[Sammelthread] Die unendliche Geschichte ala alle

Akira Akarui

Super-Moderator
Teammitglied
SMods
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"
"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte.
 
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"
"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg.
 

Akira Akarui

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Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"
"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
 
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"
"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte.
 

Akira Akarui

Super-Moderator
Teammitglied
SMods
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"
"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte.
 
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"
"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin.
 

Shishiza

Sehr brave Fee^^
Teammitglied
Mod
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern.
 

Akira Akarui

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Teammitglied
SMods
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb.
 
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb. Ein Blick von ihm genügte und auch der dritte Mann verließ den Raum und ließ mich mit dem Pistolenträger allein.
 

Akira Akarui

Super-Moderator
Teammitglied
SMods
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"

Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"
Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb. Ein Blick von ihm genügte und auch der dritte Mann verließ den Raum und ließ mich mit dem Pistolenträger allein. Der stand von seinem Stuhl auf, drehte diesen herum und setzte sich nun so mir gegenüber, dass seine Beine sich provokant zwischen meine drängten und sie auseinanderschoben, während er sich wieder ganz nah zu mir beugte und mir mit einem süffisanten Grinsen tief in die Augen sah.
 

Shishiza

Sehr brave Fee^^
Teammitglied
Mod
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"

Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"

Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb. Ein Blick von ihm genügte und auch der dritte Mann verließ den Raum und ließ mich mit dem Pistolenträger allein. Der stand von seinem Stuhl auf, drehte diesen herum und setzte sich nun so mir gegenüber, dass seine Beine sich provokant zwischen meine drängten und sie auseinanderschoben, während er sich wieder ganz nah zu mir beugte und mir mit einem süffisanten Grinsen tief in die Augen sah. "Nun, was sollen wir jetzt machen?" kam die sehr einfache Frage, die doch sehr sehr bedrohlich wirkte.
 
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"

Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"

Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb. Ein Blick von ihm genügte und auch der dritte Mann verließ den Raum und ließ mich mit dem Pistolenträger allein. Der stand von seinem Stuhl auf, drehte diesen herum und setzte sich nun so mir gegenüber, dass seine Beine sich provokant zwischen meine drängten und sie auseinanderschoben, während er sich wieder ganz nah zu mir beugte und mir mit einem süffisanten Grinsen tief in die Augen sah. "Nun, was sollen wir jetzt machen?" kam die sehr einfache Frage, die doch sehr sehr bedrohlich wirkte. Ehe ich mir eine Antwort zurechtlegen konnte, erschütterte eine Explosion die gesamte Lagerhalle, mit quietschenden Reifen schien Augenblicke danach im angrenzenden Raum ein Fahrzeug zum Stehen zu kommen und stakkatoartig ertönten Schüsse.
 

Lia

Don't eat the help! ツ
Otaku Veteran
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"

Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"

Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb. Ein Blick von ihm genügte und auch der dritte Mann verließ den Raum und ließ mich mit dem Pistolenträger allein. Der stand von seinem Stuhl auf, drehte diesen herum und setzte sich nun so mir gegenüber, dass seine Beine sich provokant zwischen meine drängten und sie auseinanderschoben, während er sich wieder ganz nah zu mir beugte und mir mit einem süffisanten Grinsen tief in die Augen sah. "Nun, was sollen wir jetzt machen?" kam die sehr einfache Frage, die doch sehr sehr bedrohlich wirkte. Ehe ich mir eine Antwort zurechtlegen konnte, erschütterte eine Explosion die gesamte Lagerhalle, mit quietschenden Reifen schien Augenblicke danach im angrenzenden Raum ein Fahrzeug zum Stehen zu kommen und stakkatoartig ertönten Schüsse.
Grade als ich mir die Frage stellen wollte, in was für einen Alptraum ich da geraten war, sprangen drei Männer von der Ladefläche des Fahrzeugs, eröffneten das Feuer auf mein Gegenüber, was mir ein weiteres ungewolltes Blutbad direkt vor meinen Augen bescherte, wobei eine der Kugeln ein Stück der Rückenlehne meines Stuhles wegriss.
 

Shishiza

Sehr brave Fee^^
Teammitglied
Mod
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"

Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"

Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb. Ein Blick von ihm genügte und auch der dritte Mann verließ den Raum und ließ mich mit dem Pistolenträger allein. Der stand von seinem Stuhl auf, drehte diesen herum und setzte sich nun so mir gegenüber, dass seine Beine sich provokant zwischen meine drängten und sie auseinanderschoben, während er sich wieder ganz nah zu mir beugte und mir mit einem süffisanten Grinsen tief in die Augen sah. "Nun, was sollen wir jetzt machen?" kam die sehr einfache Frage, die doch sehr sehr bedrohlich wirkte. Ehe ich mir eine Antwort zurechtlegen konnte, erschütterte eine Explosion die gesamte Lagerhalle, mit quietschenden Reifen schien Augenblicke danach im angrenzenden Raum ein Fahrzeug zum Stehen zu kommen und stakkatoartig ertönten Schüsse.
Grade als ich mir die Frage stellen wollte, in was für einen Alptraum ich da geraten war, sprangen drei Männer von der Ladefläche des Fahrzeugs, eröffneten das Feuer auf mein Gegenüber, was mir ein weiteres ungewolltes Blutbad direkt vor meinen Augen bescherte, wobei eine der Kugeln ein Stück der Rückenlehne meines Stuhles wegriss. Ich konnte mit ansehen, wie eine Kugel durch den Kopf des Mannes schoss, der mir gegenüber saß.
 

Lia

Don't eat the help! ツ
Otaku Veteran
Heute ist Samstag und das Wetter ist grau und kalt. Da möchte man am liebsten direkt nach dem Aufstehen wieder in sein Bett zurück fallen. Was aber nicht geht, da man ja an die Arbeit muss. Ich hasse meinen Beruf! Am allerliebsten wäre ich den ganzen Tag liegen geblieben und hätte den Geräuschen gelauscht, die vor meinem Fenster auftraten. Schlussendlich rappelte ich mich dann auf, schaute auf die Uhr und, oh weh, doch schon so spät. Nun aber schnell rein in die Klamotten und ab zum Bus. Wenn es nicht nur schon wieder regnen würde ... Da ich auch noch Pech habe, werde ich sofort nass, weil ein Auto mich von der Seite nass spritzt. Wirklich ärgerlich, schimpfe dem noch lautstark hinterher, rege mich noch ein wenig wie ein Rohrspatz auf, und sage zu mir: "Es kann nicht schlimmer werden, hilft alles nichts, weiter zum Bus."Triefend vor Nässe und zitternd vor Kälte erreiche ich den schmalen Busstand. Mit einem Blick auf meine Uhr muss ich feststellen, dass diese auch noch stehen geblieben ist. Da ich immer gute 10 Minuten zum Bus brauche, weiß ich jetzt nicht mal wie spät es ist und ich nehme schon immer den Letzten der fährt. Gereizt schüttele ich meinen Kopf, starre auf die gegenüberliegende Gebäudefassade und erblicke schließlich eine Leuchtanzeige, die mir noch nie zuvor aufgefallen war: Sa., 23.02.13 - 8°C - 7.18 Uhr. Verdammt ich wusste, das ich zu spät bin. Sollte um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. Der Chef würde mir wieder eine gehörige Standpauke verpassen, aber erstmal musste ich zusehen, dass ich auf die Arbeit kam. Nur wie sollte ich das anstellen ohne Auto? Ein Taxi wäre jetzt das Beste der Wahl, nur leider hatte ich auch noch mein Handy zu Hause liegen lassen und mein Geld auch noch. So blieb mir halt nichts anderes übrig als zu laufen, was nicht das Beste war, besonders bei diesen Temperaturen. "War der blöde Weg schon immer so lang gewesen", war das Einzige, was ich bei dieser Kälte und dem Regen aus mir heraus brachte. Ich schüttelte mich und klemmte meine Haare hinter meine Ohren. "Nicht aufregen Marie, nicht aufregen ...", war das Einzige, was ich zu mir murmelte, als ich geschwind die Straße entlang ging. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich den LKW fast übersehen hätte. So konnte ich noch rechtzeitig zur Seite springen, als der durch eine Pfütze raste. "Verdammt!", entfuhr es mir, während das aufspritzende Wasser auch noch die letzten trockenen Stellen meiner Kleidung durchnässte.Dem LKW-Fahrer warf ich einige Flüche hinterher, doch machen konnte ich nun eh nichts mehr. Ich würde nach Hause gehen und den Tag einfach als "Krank" machen. Morgen dann zum Arzt und dann... schön die nassen Klamotten von meinem Leib zärtlich wegreißen und ein Bad einlaufen lassen. Ein heißes Bad wär jetzt genau das Richtige Ich lasse mich in der Badewanne ''gehen'', schmelze quasi dahin, oh Gott, das Leben kann doch soooo schön sein.. wenn da bloß nicht der ganze Stress wär ... Nur leider habe ich nicht bedacht, dass morgen erst Sonntag war und ich erst am Montag zum Arzt kommen würde. Aber so nass wie ich war, würde ich bestimmt eine Erkältung bekommen. Also zerrte ich mir regelrecht die nassen Klamotten runter und wollte ein Bad einlaufen lassen. Aber, wie der Teufel es will, kam nur eine braune Brühe aus dem Hahn. Vorbei der Traum vom schönen heißen Bad. Und mir war auch noch saukalt. ,,Ach verdammt! Wäre ich heute doch nur zu Hause geblieben!'', ich band mir ein Tuch um und rannte regelrecht auf mein Zimmer, riss den Schrank auf, zog meinen Pyjama an und verschwand unter meiner Bettdecke. Ich hab keine Ahnung, wie lange ich da lag, denn mich weckten ein paar Sonnenstrahlen, die durch mein Fenster schienen. Mein Handy vibrierte unaufhörlich, ich öffnete es und da stand: ,,7 verpasste Anrufe/ Absender: Chef''. Verdutzt darüber, dass dieser so oft angerufen hatte, rieb ich mir mit Unglauben die Augen. "Was zur Hölle will der? Nicht mal einen Tag darf man krank machen? Ha! Morgen zum Arzt und für den Rest der Woche 'n Gelben holen!" Moment, was hatte ich da gesagt? Morgen? Ich hatte den gesamten Samstag verschlafen und es war bereits Sonntag geworden, zumindest wenn ich dem Datum auf meinem Handy trauen konnte. Seufzend blickte ich an die Decke und wischte mir eine Strähne meiner pechschwarzen Haare aus den giftgrünen Augen. "Er bringt mich spätestens am Dienstag so was von um", murmelte ich und begann in meinem Schrank nach einem BH zu suchen. 75F war nicht unbedingt die Größe, in der man viele BHs bekam. Was deutlich wurde als ich das Tablar mit der Unterwäsche ansah. Ich zog das Pyjamaoberteil aus und legte mir den BH an, dann suchte ich mir noch eine passende Unterhose und zog sie ebenfalls an. Aus der hinteren Ecke eine Hose und ein einfaches T-Shirt, zog sie mir an und ging aus meinem Zimmer. ,,Waaaah, wie spät ist es denn jetzt eigentlich?'' sagte ich gähnend als ich die Treppe hinunter ging. Ich ging in die Küche und holte das Müsli aus dem Schrank, füllte es in eine Schüssel, dann machte ich den Kühlschrank auf und nahm die Milch raus.


Ich wollte gerade den Inhalt über mein Müsli kippen, als ich diesen stechenden Geruch wahrnahm.
Ich roch vorsichtshalber noch mal daran, nur um sicher zu gehen. Fehler, mächtig großer Fehler.
Das Zeug stank mir die Bude voll.
Verfluchte Scheiße, jetzt muss ich das Zeug also auskippen.
Als hätte ich nicht so schon genug Stress, muss jetzt auch noch mein Handy klingeln.
Ich schaute aufs Display und wunderte mich, wer denn um alles auf der Welt, meine Nummer kennt, ich beschloss also ran zu gehen und erlitt den Schock meines Lebens.

Der Freund von meinem Ex! Woher kennt der denn bitte meine Nummer!
Bestimmt hat mein Ex meine Nummer ihm gegeben, aber was nun? Ich ging ans Telefon und hörte einen lauten Schrei. Schlagartig fiel mir das Handy aus der Hand.

Scheiße aber auch, was war denn das?
Erst der Freund meines Ex, jetzt auch noch dieser Schrei!
OK, nachdenken, denk nach Marie, denk nach!!!
Ich hob das Telefon und wählte, während ich mich zur Ruhe zwang.

,,Ich rufe ihn jetzt einfach zurück und frage, wo zur Hölle er meine Nummer her habe und warum er ins Telefon schreie'' sage ich mir selbst, doch nix mit zurückrufen. //Ihr Guthaben ist erschöpft, bitte laden Sie es wieder auf um diesen Anruf zu tätigen//, sagte mir die ,,nette'' Stimme des automatischen Services und während das ertönte, schmiss ich mein Handy wieder auf den Boden. ,,Ach scheiß die Wand an!'' schrie ich wutentbrannt bis ich merkte, dass das ein Fehler war. Hektisch hob ich mein Handy wieder vom Boden auf und drückte irgendwelche Tasten, doch nichts regte sich. ,,Ach egal, ich brauche eh ein neues Handy'' versuchte ich mich zu trösten, dass ich nicht in Tränen ausbrach. Irgendwie war jetzt ein Bach geöffnet worden, denn die Tränen flossen wie ein riesiger Wasserfall die Wangen herunter. Nach ein paar Minuten konnte ich mich langsam beruhigen, es war aber echt heute der Teufel los.
Und wie um das zu bestätigen klingelte es plötzlich Sturm an meiner Türe. //Wer kann das denn wieder sein?//

Meine trüben Gedanken waren mit einem Mal wie weggeblasen, und ich eilte mit einer Mischung aus Neugierde, Besorgnis, aber auch dem Gefühl, gar nicht wissen zu wollen, was da schon wieder auf mich zukam, zur Türe und sah zunächst mal durch den Spion. Der Spion war ziemlich benebelt, so das ich gar nicht wirklich gut rausschauen konnte. Also musste ich erahnen, wer draußen stand. Doch nach Rätselraten war mir absolut nicht zumute, daher griff ich beherzt zur Klinke und öffnete die Türe. Mit verheulten Augen und verrotzter Nase schaute ich neugierig aus der Wohnung. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte überrascht in das Gesicht des Freundes meines Ex. Was um Gottes Willen hatte er hier zu suchen??? Eine gefühlte Ewigkeit starrten wir uns wortlos an, bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich sagte: "Was um Gottes Willen hast du hier verloren?"
"Du ... Du ... Du bist daran Schuld, Marie!", geiferte er mich plötzlich an, ohne das ich eine Ahnung hatte, was er meinte.
In diesem Moment merkte ich, dass um mich herum alles verschwamm und es dunkel wurde. Langsam machte ich meine Augen wieder auf und blickte in das Gesicht von meinem Ex.
Zeitgleich bemerkte ich einen dumpfen Schmerz an meinem Hinterkopf und tastete den Bereich ab. Ich lag auf meinem Sofa im Wohnzimmer und spürte eine schmerzhafte Beule und getrocknetes Blut zwischen meinen Haaren. Ich musste wohl mit meinem Kopf auf den harten Steinboden des Eingangsbereich meiner Wohnung geprallt sein und dachte in diesem Moment eigentlich eher über die Tatsache nach, dass sich mein Ex offensichtlich in meiner Wohnung befand. "Freund meines Ex ...", korrigierte ich mich in Gedanken und fragte mich gleichzeitig, ob der Schlag auf meinen Kopf mehr als nur eine schmerzende Beule verursacht hatte. Ralfs Gesicht schob sich in mein Blickfeld und eine Mischung aus Wut und Sorge lag darin, wobei die Wut die Oberhand zu gewinnen schien, je länger ich ihn ansah. //Warum war er schon wieder wütend, ich hatte absolut keine Ahnung.//
"Martin - DEIN Ex Martin - liegt im Koma!", warf er mir unvermittelt an den Kopf. Langsam kamen mir wieder die Erinnerungen, ach ja, da war noch was ... Martin ... Martin ... er hatte sich doch nicht etwa etwas angetan ... wegen unserer Trennung?!? Oder war es doch wegen was anderem?? Anstatt weiter wild zu spekulieren und mir alles mögliche vorzustellen, entschied ich mich, Ralf direkt zu fragen und so hob ich die Brauen und wollte wissen: "Martin liegt im Koma ... wieso ... was ist passiert?"
"Er wollte zu dir ... mit dir reden, sich entschuldigen, was weiß ich, ... und er ..." Seine Stimme schien zu versagen. "er hatte einen Unfall ... mit dem Motorrad ... vor drei Wochen." Kopf kratzend überlegte ich, so lange ist das schon her, wo ist nur die Zeit geblieben ...
"Aber wieso kommst du jetzt und was willst du von mir?", konnte ich nicht umhin, Ralf zu fragen, fügten sich die einzelnen Puzzleteilchen für mich noch nicht zu einem ganzen Bild zusammen.
"Verdammt Marie, drei Wochen und du hast dich nicht ein einziges Mal blicken lassen; als wär' er dir völlig egal", warf er mir vor und ich verstand plötzlich seine Wut auf mich, aber wie sollte ich ihm klar machen, dass ich schlicht nichts davon gewusst hatte? Aber wie sollte ich auch, damals vor drei Wochen ist er wutentbrannt aus der Wohnung gestürmt ...
Ich hatte gesehen, wie er seine Kollegin Sophie geküsst hatte - also richtig, LEIDENSCHAFTLICH; hatte er erwartet, dass ich ihm kaum zwei Stunden später seine Ausreden glauben würde?
Ich spürte wie mich der bloße Gedanke daran immer noch aufwühlte, und da mein bisheriger Tag reichlich beschissen gewesen war, mein Schädel brummte und ich keinerlei Lust zu großartigen Erklärungen hatte, sagte ich harsch: "Das ist etwas zwischen Martin und mir und nichts, was dich angeht, Ralf!"
"Es geht mich ganz sicher was an, wenn sich mein bester Freund wegen dir fast in den Tod fährt und es dir offenbar völlig gleich ist."
"Ach ja, dann frage ich dich doch mal, was er dir erzählt hat, von der Sache vor drei Wochen?"
Das schien ihn jetzt doch zumindest kurzzeitig aus der Fassung zu bringen, denn er runzelte die Stirn und war für einen Moment sprachlos, während man sehen konnte, wie es in seinem Kopf arbeitete.
"Ähm ..., ja, Marie", druckste er herum. "Also ..., eins vorweg: ich dachte zuerst auch, er würde lügen, aber warum sollte er mir so eine Geschichte auftischen, wenn er genau weiß, dass wir beide uns noch nie leiden konnten."
"Wovon redest du eigentlich?"
"Martin hat einen ... Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling, einen ... ach, keine Ahnung, wer oder was er war, ... jedenfalls war es nicht Martin, den du gesehen hast."
"... Willst du mein Vertrauen wirklich mit solch einer Absurdität erschüttern?" Doppelgänger, eineiiger Zwilling, womöglich gar ein Klon ... dachte ich, während ich spürte, wie bei Ralfs absurder Behauptung etwas in mir hochkochte. Enttäuscht über Ralfs ausbleibende Antwort, warf ich ihm einen verachtenden Blick zu und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, im Bad.
Aber ich hatte nicht mit Ralfs Hartnäckigkeit gerechnet, denn er folgte mir und sagte schließlich, in Ton doch sehr einlenkend: "Ich will doch nur, dass du mit mir kommst, Marie ... zu Martin und er deine Anwesenheit spüren kann."
Genervt darüber, dass ich meine kurze Pause nun doch nicht bekam und sich auch noch ein Gefühl von Mitleid in mir anbahnte, ließ ich ein tiefes Seufzen verlauten, schnappte mir die Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Dabei wäre es so schön gewesen, einen freien Tag zu haben, aber was solls.
Grade als ich losfahren wollte, bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo Martin im Moment überhaupt ist, was mich so in Gedanken versinken ließ, dass ich nicht merkte, wie Ralf mir nachlief, bis er schließlich in's Auto stieg, was ich allerdings widerwillig hinnehmen musste, da mein "du-steigst-sofort-aus"-Blick seinem "das-wird-nicht-passieren"-Blick nicht standhalten konnte. Seufzend stieg ich in das Auto, "Wo liegt er?" kam widerwillig die Frage.
"Er ist seit gestern wieder zu Hause.", antwortete Ralf mit strahlendem Gesicht.
"Ich dachte, er liegt im Koma ... wie kann er da zuhause sein?", fragte ich und sah Ralf perplex an.
Ralfs erschrocken Blick nach zu urteilen, nahm ihn die ganze Sache ziemlich mit, wenn er sogar unter so drastischen Realitätsstörungen leidet.
"Ist mit dir alles in Ordnung?", platzte es nun doch aus mir heraus und ich spürte, wie sich auch der letzte Ärger ob seiner Einmischung zu verflüchtigen begann, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte.
Ralfs nachdenklicher Blick traf auf den meinen, woraufhin er sich gleich wieder von mir abwandte und nach einem längeren Moment der Stille antwortete: "Ja, er... liegt im Uniklinikum.", was mich unmittelbar dazu veranlasste, ordentlich auf's Gas zu treten, In der Hoffnung, dieser nervig erdrückenden Stimmung zu entkommen.
Eine knappe Viertelstunde später betrat ich mit Ralf die Klinik.
Sowie wir in Richtung Empfang gehen wollten, hörten wir das beängstigende Geschrei einer Frau. Das war nun wirklich nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben und mir wurde plötzlich wieder bewusst, welche Aversion ich gegen Krankenhäuser hatte, gegen den Geruch, der sich in den Gängen hielt, gegen die gewienerten Böden, die weißgekittelten Gestalten, die weinenden und bangenden Angehörigen und gegen all das Leid, die Krankheit und der Tod, der einem von überall entgegenwehte, nicht nur von den Kranken, die in ihren Betten teils auf den Gängen auf Untersuchungen warteten.
Wenige Sekunden später riss mich das Ertönen mehrerer Schüssen, die mir klarmachten, das Geschrei falsch beuteilt zu haben, aus meinen Gedanken. Während mein Puls unwillkürlich zu rasen begann, sah ich mich hektisch um, nach einer möglichen Deckung genauso wie nach dem Ursprung der Schüsse, denn ich wollte keinesfalls in ebendiese Richtung laufen. Über den stückweise offenen Gang des ersten Obergeschosses, der unmittelbar über der Rezeption lag, rannten zwei Leute, ein jüngerer Mann und eine Frau mittleren Alters, in den rechten Flügel.
"Was geht da vor?", fragte ich, während ich zeitgleich instinktiv hinter dem Tresen der Rezeption Schutz suchte.
Während weitere, immer präsenter werdende, Schüsse ertönten und wir, an den Tresen gelehnt mit dem Eingang im Blick, mit dem Rücken zum Geschehen hockten, stotterte Ralph, "Wir müssen hier weg!", als plötzlich ein paar Leute, die bisher noch wie angewurzelt im Eingangsbereich standen, mit dem Blick nach oben verzweifelt Schutz suchend in alle Richtungen liefen, was mich dazu veranlasste, es für keine gute Idee zu halten, durch einen kurzen Blick herausfinden zu wollen, was auf dem Durchgang vor sich geht.
Ralph wurde offenkundig von dieser einsetzenden Panik miterfasst, denn er erhob sich und rannte los, hin zum Ausgang, ohne auch nur einen Blick hinter sich zu werfen, was mich trotz der angsteinflößenden Situation den Kopf schütteln ließ, während ich ihm nachrief: "Bleib hier, Ralph, das ist keine gute Idee!"
Kaum hatte ich ihm das zugerufen, musste ich beobachten, wie Ralph, dicht gefolgt von einem weiteren einschneidenden Knall eines unmittelbaren Schusses, ohne jegliche erkennbare Bemühungen, dem Aufprall entgegenzuwirken, im Sprint zu Boden ging, wo er sich nach dem Aufprall noch ein paar Mal überschlug und eine immer größer werdende Blutspur hinterließ.
Fassungslos starrte ich ihn an mit einem plötzlich aufwallenden Gefühl von Unwirklichkeit und dem starken Drang, sofort zu ihm zu sprinten und ihm zu helfen, was jedoch von meinem unmittelbar wieder einsetzenden Verstand verhindert wurde, der Bilder von Filmen vor meinem inneren Auge ablaufen ließ, Bilder, in denen genau solche Rettungsversuche mit dem Tod des Retters belohnt wurden.
Aus meinem äußersten Blickwinkel erkannte ich, begleitend von einem dumpfen Geräusch, wie jemand rechts von mir auf den Tresen landete, wodurch ich meinen Blick langsam in dessen Richtung wandte und in die Augen eines Mannes mit einer geschulterten Schrotflinte blickte, der mich für ein ein paar Sekunden ansah und dann lächelnd sagte, "Du wirst mit uns kommen", was mich nach einigen Sekunden, die ich brauchte, die Situation halbwegs zu erfassen, in leichte Panik versetze und mich veranlasste am ganzen Körper zu zittern, ehe ich beim Versuch aufzustehen, um davonzulaufen, lediglich über mein linkes Knie stolperte und nun regungslos am Boden lag und hoffte, dass es mich nicht auch treffen würde.
Doch dieser Totstellreflex, der im Tierreich oft von Erfolg gekrönt wurde, zeigte bei dem Mann mit der Schrotflinte keinerlei Wirkung, denn er stieß mir den Lauf erst recht unsanft in den Rücken, bevor er mich an den Haaren aus meiner liegenden Position zog, um mich mit einem in mein Ohr geraunten "zum Liegen wirst du noch Gelegenheit genug bekommen ..." mit sich gen Ausgang zu ziehen.
Meine Gedanken, was nun mit mir passieren oder, ob ich das Alles überleben könnte, wurden vom Anblick Ralphs unterbrochen, dessen lebloser Körper in einer immer größer werdenden Blutlache lag und mir die letzte Hoffnung nahm, dass er möglicherweise noch am Leben sein könnte, unterbrochen, bis mir die, vor Angst entstellten Gesichter der Leute, die sich in unmittelbarer Nähe aufhielten, erneut die Ernsthaftigkeit meiner Situation klarmachten und mir Anlass zu der Annahme gaben, dass meine Chancen relativ schlecht stehen würden, wenn ich mich von diesen Leuten einfach mitnehmen lassen würde.
Allerdings war ich Realist genug, um zu wissen, dass mir mit einer immer noch auf mich gerichteten Schrotflinte und den Haaren in der Hand meines Peinigers nicht viele Alternativen blieben, als zumindest im Moment der doch recht brutalen Aufforderung Folge zu leisten, in der Hoffnung, dass sich auf dem weiteren Weg eine Möglichkeit zur Flucht ergeben würde, bevor ich das gleiche Schicksal erleiden würde wie Ralph, dessen nun starr geöffnete Augen mir nachzublicken schienen, obwohl das physisch kaum noch möglich sein konnte.

Draußen angekommen wurden wir bereits von einem schwarzen Bus und drei davor positionierten bewaffneten Männern erwartet, die mir unangenehme Blicke zuwarfen und mir unmittelbar in den Bus folgten, der sich kurz darauf in Bewegung setzte.
Als ich das sah, drängte sich mir unweigerlich der Gedanke auf, dass die es auf mich abgesehen hatten, dass der Überfall auf das Krankenhaus auf irgendeine Weise mir gegolten hatte, auch wenn ich mir keinerlei Reim darauf machen konnte, wieso ein Teil der Verbrecher aus dem ersten Stockwerk gekommen war und was das Ganze überhaupt sollte.
Nach ungefähr einer Minute, die ich zu nutzen versuchte, um wieder halbwegs zur Besinnung zu kommen, sah mich der Typ, der mich in den Wagen zerrte musternd an, während er sich eine Zigarette anzündete, bis er schließlich mit zusammengezogenen Augen und in einem gehässigen Ton fragte: "Na, bist du sauer, weil ich deinen Freund umgelegt habe?"
Für einen Moment war ich perplex und starrte den Mann sprachlos an, doch dann schlüpfte die Frage wie von alleine über meine Lippen: "Du hast ihn umgelegt, weil du denkst, er war meine Freund?"
"Ich hab' ihn umgelegt, weil er dämlich war, weil er geglaubt hat, einer Kugel davonrennen zu können - und weil er unserem Auftrag im Weg stand." Langsam kam mir der Satz im Gehirn an, aber so ungefähr den Sinn verstand ich im ersten Moment nicht, bis es mir so langsam dämmerte.
"Mich entführen ist euer Auftrag?", fragte ich daher auch, wobei ich nicht umhin konnte, vermutlich recht verwirrt und irritiert auszusehen, immerhin hatte ich noch keinerlei blassen Schimmer, was das Ganze wirklich sollte.
"Das würde dir gefallen, nicht wahr Prinzessin?", murmelte einer der anderen Entführer, der mir gegenüber saß, und mir die gesamte Zeit unverblümt auf meine Brüste starrte. Nur kurz streifte mein Blick den Mann, dann entschied ich mich, seine lüsternen Blicke genauso zu ignorieren wie seinen gemurmelten Kommentar und ich sah stattdessen weiterhin auf den Mann, der der Anführer zu sein schien, und fragte: "Und ich bin eurem Auftrag förderlich, was auch immer das für einer ist?"

"Ich hoffe - auch für dich selbst -, dass du uns helfen wirst, jemanden zu finden: Pawel Walczak ... oder für dich vielleicht eher Martin", entgegnete er, wobei er den Namen meines Ex-Freundes abfällig betonte.
Nur sehr langsam sickerte das Gesagte in mein Bewusstsein, während zeitgleich Ralfs Worte durch meinen Kopf schossen: er hat einen Doppelgänger, einen eineiigen Zwilling ..., was mich erst nach einer kurzen Pause, in der sich meine Gedanken wieder sortierten, möglichst unbedarft sagen ließ: "Aber Martin liegt im Krankenhaus, ich wollte ihn dort gerade besuchen ..."
"Du bist nicht sonderlich schlau, oder glaubst du, dass wir dieses Gespräch führen würden, wenn er dort gewesen wäre?"
"Er war nicht da?", fragte ich jetzt doch einigermaßen perplex und sprach weiter: "Aber es ging ihm doch so schlecht, da ist er sicher nicht einfach aus dem Krankenhaus weg ..."
"Pawel war nicht da - und du kannst dir sicher sein, dass meine Männer die Suche sehr genau genommen haben - aber wenn er erfährt, dass wir seine Liebste haben, wird er schon auftauchen."
"Liebste?" Ich lachte auf und meinte mit einem Kopfschütteln: "Da seid ihr völlig unterinformiert, denn er hat längst eine andere ... vielleicht hättet ihr lieber die entführen sollen."
"Meiner Erfahrung nach liegt jemandem, der sich aufgrund einer Frau ins Koma fährt, meistens auch noch was an dieser Frau, glaubst du nicht?"

Ich schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, denn ich hatte keine Ahnung, wieso Martin tatsächlich diesen Unfall hatte und ob er wirklich zu mir wollte, wie Ralf behauptet hatte, genauso wenig wie dieser Mann es wissen konnte. Der Kleinbus holperte inzwischen durch ein mir unbekanntes Gewerbegebiet mit zugewucherten Bürgersteigen, baufälligen Backsteingebäuden und zerbrochenen Fensterfronten, keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Der Anblick der verlassenen und heruntergekommenen Gegend ließ ein mulmiges Gefühl in mir aufsteigen und auch, wenn ich eben noch den Gedanken an das, was mir bevorstehen mochte, weit nach hinten hatte schieben können, schob er sich jetzt vehement in den Vordergrund. Wenig später bog der Bus in eine Seitengasse und hielt abrupt vor einem massiven Rolltor, dessen einwandfreier Zustand in krassem Kontrast zur Umgebung stand. Nur kurz darauf hob sich das Rolltor und der Bus fuhr ins Innere, das durch mehrere grelle Deckenlampen ausgeleuchtet war und Blick auf eine wenig einladende nüchterne Lagerhalle freigab. Kaum war er hindurch gefahren, wurde die Seitentür aufgerissen und ich sah erneut in den Lauf einer auf mich gerichteten Waffe. "Los, da rein", gab mir der Pistolenträger, der bisher noch keine einzige Silbe gesprochen hatte, den Befehl und damit die Richtung vor, während er mir gleichzeitig die Waffe so fest in den Rücken bohrte, dass ich einen Aufschrei nicht unterdrücken konnte. Die anderen Beiden waren ebenfalls ausgestiegen und gingen vorweg. Einer von ihnen hielt eine schwere Türe auf, hinter der ich einen hell erleuchteten Raum sehen konnte, während der Mann mit der Schrotflinte uns schweigend folgte, möglicherweise um dadurch meine Furcht anzufachen, was aufgegangen wäre, wenn nicht der Pistolenträger erneut das Wort ergriffen hätte: "Setz dich hin!"

Während ich auf einem kalten Metallstuhl Platz nahm, konnte ich durch die offenstehende Tür hindurch sehen, dass der vierte Entführer offenbar noch hinter dem Steuer des Busses saß und ihn wieder aus der Halle hinaus steuerte. "Arme hinter den Rücken", kam es als nächstes vom Pistolenträger, der irgendwie das Kommando übernommen hatte, während der Mann mit der Schrotflinte, der die ganze Fahrt über die Reden geschwungen hatte, den Raum durch eine weitere Stahltüre verließ, nicht ohne vorher einem der anderen beiden verbliebenen etwas ins Ohr zu flüstern, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Meine Arme wurden schmerzhaft fest an die Stuhllehne gefesselt, dann zog sich der Entführer einen zweiten Stuhl heran und setzte sich rittlings mir gegenüber hin. Beugte sich vor und begann mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Wir haben jetzt eine Menge Zeit und die werden wir beide nutzen", hauchte er an mein Ohr und wenn schon nicht die Art, wie er die Worte quasi in mein Ohr gleiten ließ, einen eisigen Schauer über meinen Rücken laufen ließ, so vermochte dies seine Wange, die er provokant sachte an meiner rieb. Ein Blick von ihm genügte und auch der dritte Mann verließ den Raum und ließ mich mit dem Pistolenträger allein. Der stand von seinem Stuhl auf, drehte diesen herum und setzte sich nun so mir gegenüber, dass seine Beine sich provokant zwischen meine drängten und sie auseinanderschoben, während er sich wieder ganz nah zu mir beugte und mir mit einem süffisanten Grinsen tief in die Augen sah. "Nun, was sollen wir jetzt machen?" kam die sehr einfache Frage, die doch sehr sehr bedrohlich wirkte. Ehe ich mir eine Antwort zurechtlegen konnte, erschütterte eine Explosion die gesamte Lagerhalle, mit quietschenden Reifen schien Augenblicke danach im angrenzenden Raum ein Fahrzeug zum Stehen zu kommen und stakkatoartig ertönten Schüsse.
Grade als ich mir die Frage stellen wollte, in was für einen Alptraum ich da geraten war, sprangen drei Männer von der Ladefläche des Fahrzeugs, eröffneten das Feuer auf mein Gegenüber, was mir ein weiteres ungewolltes Blutbad direkt vor meinen Augen bescherte, wobei eine der Kugeln ein Stück der Rückenlehne meines Stuhles wegriss. Ich konnte mit ansehen, wie eine Kugel durch den Kopf des Mannes schoss, der mir gegenüber saß. "Pass auf, du Idiot!", Schrie einer der Männer, die auf meine sich versteckenden Entführer schießend in meine Richtung rannten, "Stell dir vor, du hättest sie getroffen.".
 
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