Erstmal vorweg möchte ich sagen, dass ich einige der Geschichten, die hier folgen werden bereits in zwei Foren gepostet hatte. Ich versichere aber, dass es sich dabei um meine eigenen geistigen Ergüsse handelt (Wenn ich was klauen würde, dann was Gutes und nicht meins ). Es sind ältere Geschichten dabei und man möge dem Vergangenheitsalbin entschuldigen, dass er teils nicht auf englische Namen verzichten wollte ^^
Diskussionsthread: http://board.world-of-hentai.to/f211/albins-gruselecke-112824/
Ich werde in diesem Thread meine eigene persönliche Horrorecke einrichten, wo jeder es sich gerne auf der Couch bequem machen darf und die Beine auf den Tisch legen kann. Doch Vorsicht, wer weiß schon, was für Kreaturen unter der Couch nur auf den nächsten unachtsamen Schreiberling warten? Wer weiß schon, welche kalten Klauen dort unten gewetzt werden und bereit sind, nach allem zu schnappen, was sie in die Finger kriegen?
Die Maske des Tieres
„Sie sagen also, Sie haben in der Halloweennacht eine Ihnen zuvor völlig unbekannte Frau ermordet? Haben Sie sie erschossen, erstochen oder vielleicht erwürgt?“ Er spürte den zweifelnden Ton in seiner Stimme und setzte vorsichtig hinzu: „Mr Anderson?“
Der Mann in dem braunen Ledersessel zuckte zusammen, als wäre er aus einem bösen Traum erwacht. Seine Augen wanderten über die Wände und fixierten Dr. Reyleigh, woraufhin er resigniert seufzte; der Alptraum dauerte immer noch an.
„Ich habe es Ihnen doch gesagt. Die Maske .. es war die Maske.“ Ängstlich, bebend, zitternd kamen die Worte über seine Lippen.
„Am besten fangen wir von vorne an, Mr Anderson. Wo haben Sie diese Maske her.“
Der Mann winkelte ein Bein stark an und zog es auf den Ledersessel. Eine bedauernswerte, kümmerliche Figur, die sich vor Angst auf einem Sessel zusammengekauert hatte; das war alles, was vom bodenständigen Mr Anderson übrig war.
„Ich .. ich habe es Ihnen doch schon erklärt. Dieses alte Haus, in das ich im August gezogen bin. Es war noch eingeräumt; Schränke, Stühle, Tische, alles davon hatte zwei Weltkriege überlebt. Kisten und Truhen, in denen der alte Hausherr alles gesammelt hatte, was es an Antiquitäten und nutzlosem Zeug gab, versperrten den Speicher komplett. Und da oben war sie.“
Seine ängstlichen Züge wandelten sich in eine Mischung aus Abscheu und Wut. Dr Reyleigh machte sich eine kleine Notiz auf seinem Klemmbrett und sah seinem Gegenüber tief in die Augen. Er schien innerlich zerrüttet. Bevor der Psychiater etwas sagen konnte, fing er auch schon wieder an zu erzählen. Er muss es loswerden, dachte Dr Reyleigh und entschloss sich, seinen spontanen Patienten nicht darauf aufmerksam zu machen, dass seine Praxis in einer halben Stunde schließen würde.
„Da war diese verzierte Holzkiste mit einem verrosteten alten Schloss daran. Es war eine dieser kleinen Schatullen, die man hofft zu finden, wenn man als Kind auf Abenteuersuche geht. In altdeutscher Schrift war auf dem Deckel 'Maske des Tieres' eingraviert. Damals hielt ich es für einen schlechten Scherz unter den Sammelleidenschaften des alten Mannes, aber heute.. heute..“
Er stockte und sah betrübt auf den Boden. Seine Augen füllten sich mit Tränen und seine Hände schienen sich an die Armlehnen zu klammern, als wären sie die Realität; eine Realität, die man festhalten kann, bevor sie unter einem weggerissen wird, wie ein alter Läufer. Dr Reyleigh räusperte sich leicht und Mr Anderson blickte auf, erinnerte sich, wo er war und öffnete den Mund, um seine Geschichte loszuwerden.
„Die Schatulle zu öffnen war kein Problem; ein Hieb mit einem kleinen Hammer und das Schloss broch davon ab. Darin war eine Maske.“
Er verzog schmerzhaft das Gesicht, zwang sich aber weiterzureden.
„Es war ein rotes Gesicht mit dicken Beulen und starrenden schwarzen Augen. Der Mund der Maske war geöffnet und entblößte grauenvoll viele Zähne. Sie waren spitz und erinnerten an das Maul eines Raubtieres. Nicht das Maul eines Löwen oder eines Haies. Mehr das eines Raubtieres, das einen in Sekundenbruchteilen in zwei Hälften reißt, das alle bekannten gefährlichen Tiere wie Lemminge aussehen ließ.“
Er hielt eine Sekunde inne und besah sich seine Handfläche. Der anfänglichen Traurigkeit folgte eine Art Euphorie des Erzählens, das gute Gewissen, das sich mit jedem ausgesprochenen Wort verstärkt.
„Sie war aus Gummi. Komplett aus Gummi. Ich hatte sie dort oben in ihrer Schatulle liegen lassen, denn ich war nie ein großer Fanatiker des Halloweenfestes. Leute, die sich wie Monster und Hexen, Zauberer und Ungeheuer verkleiden und Süßigkeiten an kleine Kinder verschenken; das war nie meine Welt. Die Tage vergingen und irgendwann, kam Halloween.“
Wieder blickte er fasziniert auf seine Handflächen und Dr Reyleigh überkam das Verlangen, sich ein paar Notizen auf dem Klemmbrett zu machen, aber er hatte es vor wenigen Sekunden aus der Hand gelegt. Die Art, wie der Mann seine Geschichte erzählte, fesselte ihn.
„Ich wusste, dass die Kleinen auch zu mir kommen würden und nach Süßem fragen würde, aber ich konnte gerne auf einen Besuch der Blagen verzichten. Das ganze Jahr über zertreten sie einem die Blumen und werfen mit Bällen Fensterscheiben entzwei und man kriegt sie nie erwischt, nur an diesem einen Tag kommen sie freiwillig angedackelt und wollen eine Belohnung dafür. Früher hätte man für ein solches Benehmen ein paar auf die Ohren bekommen. Eine saftige Ohrfeige hatte noch nie einem Kind geschadet.“
Dr Reyleigh faltete die Hände. Er hielt überhaupt nichts von der Ohrfeigenerziehung, aber erhob keinen Widerspruch.
„Ich hatte also nichts da, was ich ihnen hätte geben können und bevor es dunkel wurde, bin ich in den Keller gestiegen und habe die Klingel abgestellt. Es muss so gegen halb zehn gewesen sein, als ich dann, von Teufel oder sonstwem geritten, auf den Speicher ging. Ich hatte mir eingebildet etwas zu hören und beschloss, nach oben zu gehen, bevor sich über mir eine Rattenkolonie ansiedelte. Das war das letzte, was ich wollte; eine Rattenkolonie, die mir durch das alte Gemäuer kriecht.
Auf der obersten Treppenstufe sah ich dann die Schatulle liegen. Sie .. sie wartete auf mich. Ich hob sie hoch und ohne darüber nachzudenken eilte ich mit der verzierten Kiste in der Hand nach unten. Sie war schwerer als beim letzten Mal und mit jedem Schritt, den ich tat, verdoppelte sich ihr Gewicht. Als ich unten ankam und mich auf das Sofa fallen ließ, hatte ich Mühe sie mit beiden Händen zu halten. Ich war neugierig. Irgendetwas verleitete mich dazu, die vermaledeite Kiste zu öffnen. Und da grinste mich wieder dieser Mund an. Die langen Zähne gebleckt und die starrenden schwarzen Augen auf mich gerichtet. Ich .. ich konnte nicht anders, ich musste sie herausnehmen und sichergehen, dass es nur eine Maske war, aus Gummi und kein echter Kopf. Aber, .. aber es fühlte sich nicht wie Gummi an. Sie schien aus Haut zu sein. Als ich dastand und sie hochhob, dachte ich, es wäre ein Trugschluss, die Maske kam mir so echt vor und deshalb fühlte ich Haut, obwohl es eigentlich Gummi war, aber heute bin ich mir sicher; es war Haut.
Kaum hatte ich sie aus der Kiste geholt, führte ich sie mir auch schon an mein Gesicht, ich wollte sie spüren, musste sie spüren. Es war eng und stickig. Der eigentümliche Geruch von altem Gummi stieg mir in die Nase und benebelte meine Sinne und dann .. dann wachte ich wieder auf.“
Dr Reyleigh rümpfte die Nase, als habe sein Gegenüber etwas von sich getan, was sich nicht gehört, als hätte er seine Zeit für eine sinnlose Sprechstunde verschwendet, die darauf hinauslief, dass jemand geträumt hatte, er hätte jemanden umgebracht.
„Mr Anderson, wollen Sie sagen, Sie sind einfach so in Ohnmacht gefallen? Sie haben die Maske aufgesetzt und waren ... bewusstlos?“
„Verdammt, ich würde Ihnen gerne etwas anderes erzählen, aber das ist nun mal das, was passiert ist. Als Seelenklempner werden Sie doch bezahlt, Leuten zuzuhören. Dann hören Sie mir auch zu.“
Der Psychiater wollte gerade etwas erwidern, hielt es aber für geschickter, Mr Andersons Geschichte zu Ende zu hören.
„Natürlich. Fahren sie fort.“
„Ich erwachte also“, nahm er den Faden wieder auf „ungefähr drei Stunden später. Mir war elend und ich wusste zuerst nicht, was passiert war. Mein ganzer Körper bebte und zitterte und das erste, was ich sah, als ich die Augen öffnete, war die Maske. Sie lag vor dem Kamin, fast schon im Feuer und eine dickflüssige dunkle Lache bedeckte das Parkett unter ihr. Das Plastik schmolz also, dachte ich zuerst. Ich war erleichtert, aber irgendwie spürte ich auch einen Schmerz in der Magengegend. Ich ging näher zum Feuer, um zuzusehen, wie die Maske langsam schmelzen würde. Ich würde dabei grinsen, dachte ich.“
Seine Stimme verdüsterte sich, als wollte er auf eine dunkle Pointe anspielen.
„Es war nicht die Maske, die schmolz. Aus dem Mund der Maske tröpfelte die Flüssigkeit, aber als ich in die Knie ging, um genauer zu sehen, was es war, überkam mich ein fürchterlicher Brechreiz. Es war Blut. Schreckliches, rotes, dickflüssiges Blut. Menschenblut. Kinderblut!“
Er sah wieder seine Handflächen an, als würde an ihnen noch immer Kinderblut kleben. Dieses Gefühl, dachte Dr Reyleigh, würde wohl nie ganz verblassen.
„Ich sah noch einmal zur Maske. Im Maul, zwischen den Zähnen, hing der Ärmel eines grünen T-Shirts. Ich rannte zur Tür und riss sie auf. Der Geschmack von Magensäure und Blut mischte sich mit meinem Speichel und ich erbrach mich geräuschvoll in den Busch vor meinem Haus. Als ich mich aufrichtete, bemerkte ich rote Flecken auf meinem Hemd. Der Kragen schien wie durchtränkt und der ganze Bereich um meine Brust war fleckig. Ich dachte, ich hätte mich über mich selbst erbrochen, aber es war getrocknet. Am Kragen war es noch etwas weich, aber das .. das Blut auf meiner Brust war bereits trocken.“
Er hob dramatisch die Stimme und krallte die Fingernägel der rechten Hand in seinen Hals. Rote Striemen zeichneten sich auf der Haut ab.
„Es dauerte, bis ich bemerkte, dass direkt vor meiner Haustür ein Krankenwagen stand. Eine kleine Menschentraube hatte sich dort gebildet und wie von einer fremden Macht geleitet, ging ich auch dorthin. Der Körper war verdeckt, aber die Trage war kaum ausgefüllt. Ein Kind ist gestorben, wurde getötet. Als die Sanitäter die Trage in den Krankenwagen schoben, konnte ich sehen, wie unter der Plane, die den leblosen Körper bedeckte ein Arm herausrutschte. Bisspuren hatten ihn verunstaltet und ein zerfetzter grüner Ärmel hing am vom Torso über den Arm.“
Er vergoss einige stumme Tränen, machte aber keine Anstalten noch weiterzureden, weshalb Dr Reyleigh schloss, dass er mit seiner Geschichte fertig war.
„Wissen Sie, Mr Anderson, ich glaube, Sie haben niemanden verletzt in dieser Nacht.“
Der Mann blickte auf und starrte den Psychiater ungläubig an.
„Was .. natürlich habe ich. Diese Maske.. sie..“
„Nein“, unterbrach ihn Dr Reyleigh. „Die Maske hatte Ihnen nur Angst eingejagt und, als Sie dann in Ohnmacht fielen, haben Sie sich diese Dinge wie das Blut und das Stück Stoff nur eingebildet.“
„Aber, es war da: Das Blut und der Stoff... sie waren da!“
„Sie sind doch, nachdem Sie den Leichnam gesehen haben, wieder in Ihr Haus zurückgekehrt, richtig?“
„Ja, schon, aber was..“
„War dort immer noch das Blut und der Stoff?“
„N.. nein, aber ich habe sie doch vorher gese...“
„Haben Sie Beweise dafür, dass Sie das Haus verlassen haben?“
„Ich bin mir sicher, dass ich es verlassen habe, wie sonst hätte ich..“
„Wie sonst hätten Sie was? Das Mädchen töten sollen? Ich denke nicht, dass Sie es waren.“
„Aber ich war nicht bei Bewusstsein, vielleicht bin ich wie in Trance..“
„Mr Anderson, wenn Gummimasken lang in einer verschlossenen Schatulle ruhen, dann bilden sich dort Gase. Diese müssen, bei den alten Materialien, so extrem die Sinne beeinträchtigend gewesen sein, dass Sie in Ohnmacht fielen.“
„Aber...“, setzte er an.
„Kein Aber!“ Dr Reyleigh lächelte ihn mitfühlend an. „Haben Sie die Maske zufällig dabei, Mr Anderson?“
„Ja, ich wollte sie wegwerfen. In den Fluss oder irgendwo verbrennen..“
Er kramte in seiner Aktentasche und gab eine braune, reichlich verzierte Holzkiste an den Psychiater. Dr Reyleigh nahm sie und, ohne lang zu zögern, öffnete er sie.
Die Maske war ein Kunstwerk. Die Augen starrten den Betrachter aus unergründlichen Tiefen an und die Zähne sahen atemberaubend echt und gefährlich aus. Er verstand sofort, wie sich Mr Anderson einbilden konnte, dass diese Maske Macht über ihn hatte. Er schloss seine Hände um das Gummi, das sich seltsam warm anfühlte und zog sie aus der Kiste.
„Mr Anderson, wenn ich also jetzt diese Maske aufziehe, werde ich keine Kontrolle mehr über mich haben und wie ein wildes Tier auf Jagd gehen?“
Er blickte seinen Patienten ins Gesicht, aber der hatte die Augen geschlossen und hielt sich die Arme wie schützend vor seinen Kopf. Er leidet unter einer Psychose, dachte Dr Reyleigh, aber jetzt ist er in Therapie. Es wird sich bessern.
„Ich werde Ihnen nun beweisen, Mr Anderson, dass nichts Gefährliches von dieser Maske ausgeht.“
Er hob die Maske vor sein Gesicht und achtete nicht auf die wüsten Protestrufe seines Gegenübers, während er die warme Maske an sein Gesicht führte. Sie passte sich seiner Kopfform an, schien ihn ganz zu umschließen. Es war heiß und stickig unter der Maske und im nächsten Augenblick sah er nur noch Schwärze.
Dr Reyleigh wachte spät in der Nacht auf und spürte, wie sein Körper zitterte und bebte. Das erste, was er sah, waren zwei starrende schwarze Augen und ein Höllenschlund aus dem Blut tropfte.
Keiner weiß so genau, was in der Nacht passierte, als der bodenständige Mr Anderson in Dr Reyleighs Praxis eintrat, aber jedem, der es wissen will, erzählt seine frühere Nachbarin, dass Dr Reyleigh seit dieser schicksalsvollen und tragischen Nacht unter einer Psychose leidet. Aber er ist jetzt in Therapie und es wird sich bessern...
Das Talent
Steffen stand in seinem Atelier vor der großen Staffelei und schwang kunstvoll den Pinsel. Aus einzelnen Strichen entstand langsam das Gesicht einer hübschen Frau. Steffen kannte die Frau nicht, er hatte nie eine der Personen, die er zeichnete, gekannt.
Das Licht fiel durch das große Fenster auf der Südseite ein und erhellte das Gesicht der Frau. Ihre braunen langen Haare waren leicht gelockt und zu einem eleganten Zopf verschlungen. Ihre grünen Augen strahlten dem Betrachter entgegen und ihr voller Mund war zu einem schelmischen Lächeln verzogen.
Vorsichtig entfernte sich Steffen von seinem Kunstwerk, während er jeden Pinselstrich betrachtete. Es war perfekt. Er sah in die grünen Augen der Frau. Für einen kurzen Moment schloss er seine eigenen Augen. Es fiel ihm leichter zu entscheiden, ob das Bild etwas taugte, wenn er sich für jede Person, deren Gesicht er mit dem Pinsel auf Leinen bannte, eine Geschichte ausdachte.
Die Frau mit den grünen Augen war achtundzwanzig Jahre alt und seit zwei Jahren verheiratet. Ihr Mann, der vor dem Abschließen des heiligen Bundes der Ehe ein zuvorkommender Steuerberater war, hatte sich innerhalb von zwei Jahren zu einem verkommenen Säufer entwickelt, der keine Arbeit hatte und dessen einziges Hobby es offenbar war, die Wohnung zu verschmutzen, die seine Frau nach den langen Schichten im Krankenhaus aufräumte. Sie war Krankenschwester auf der Kinderstation. Sie wollte auch selbst Kinder, aber sie hatte heimlich wieder angefangen die Pille zu nehmen, damit ihre Kinder nicht mit so einem Vater aufwachsen mussten. Sie hatte Angst, er würde seinen eigenen Sohn grün und blau prügeln, wenn er seinen Brei nicht essen wollte. Vielleicht würde er ihm auch den Arm brechen, wenn er seinem Vater nicht die Ruhe gönnte, die dieser nach einem Rausch brauchte. Vielleicht...
„Ich hab gefragt, ob Sie denken, Sie können das Geld auftreiben.“ Sein Vermieter stand im Türrahmen. Die Sonne spiegelte sich in der Glatze und blendete Steffen einen Moment. Er hatte seit drei Monaten keine Miete mehr bezahlt, da das Verkaufen seiner Bilder seine einzige Geldquelle war, aber das lief zur Zeit nicht gut.
„Mr. Denison, geben Sie mir noch etwas Zeit. Ich weiß, ich kann es schaffen. Wenn ich erstmal ein paar Bilder verkauft habe, ...“
„Ich habe Ihnen schon zu viel Zeit gegeben. Künstlerpack. Ich habe Sie immer respektvoll behandelt, aber wenn sie nicht anfangen sich einen richtigen Job zu suchen, werden Sie Ihre Bilder wohl bald auf der Straße malen können“, fiel er ihm ins Wort und schnaubte aufgeregt. Das Schnauben erinnerte Steffen stark an ein Walross und, wäre es nicht eine so ernste Situation, hätte er losgeprustet bei diesem Gedanken.
„Ich werde das Geld auftreiben, Mr. Denison, aber geben Sie mir noch etwas mehr Zeit. Alles, was ich brauche ist etwas mehr Zeit. Bitte.“
„Alles, was ich brauche ist mein Geld, Mr. Donovan. Schönen Tag noch“, sagte er bissig und verließ das Atelier. Steffen hörte die Tür seiner Wohnung zuknallen.
Wenig später verließ er selbst die Wohnung. Er musste noch einige Dinge im Supermarkt besorgen. Als er um die Straßenecke bog, sah er ein Paar grüne Augen direkt vor seinen eigenen. Für einen kurzen Augenblick sah er die Verzweiflung in ihnen, bevor er mit der Frau zusammenstieß.
„Tut mir Leid“, murmelte sie abwesend und stahl sich an ihm vorbei.
Er konnte nicht anders, als ihr hinterherzuschauen. Ihre langen braunen Haare waren hinten zu einem eleganten Zopf verschlungen und unter ihrem dicken Mantel sah er die Kleidung einer Krankenschwester aufblitzen, bevor sie um die Ecke ging.
Völlig perplex stand Steffen auf dem Gehweg und war unfähig sich zu bewegen, bis er es hörte. Ein lautes Quietschen von bremsenden Rädern auf Asphalt, gefolgt von einem dumpfen Rumms und einem langen Schmerzensschrei. Er hastete um die Ecke, wo der Lärm herkam und bereitete sich auf Grauenvolles vor.
Auf der Straße stand ein rotes Auto und eine lange Bremsspur zeigte, dass es vom Zentrum gekommen war. Vor dem Auto war rote Farbe und ein Haufen Kleidung lag unweit von der Farbe. Er konnte deutlich den dicken Mantel erkennen.
Zwei Tage nach dem Unfall kam erneut Mr. Denison in die Wohnung von Steffen. Er hatte seinen Pinsel nicht wieder angefasst und verkauft hatte er bisher auch keines seiner Bilder.
„Bis morgen will ich mein Geld sehen, sonst sind Sie hier schneller raus, als sie 'Malen' sagen können.“ Er schnaubte und Steffen fragte sich, ob der kleine Schnauzer, der zitterte und bebte, den Eindruck eines Walrosses absichtlich verstärkte oder, ob er das Resultat eines missglückten Versuches war, etwas Individuelles in das Gesicht seines Vermieters zu bringen.
„Bis morgen. Und ich warne Sie, wenn Sie das Geld nicht haben, dann sollten Sie lieber gleich verschwinden.“ Er knallte die Tür ins Schloss.
Steffen stand auf und schritt durch die Wohnung. Eine Tür stand offen. Er sah durch den Türspalt, den Vollmond über der Stadt hängen und die Staffelei in der Mitte des Raumes anstrahlen. Er nahm den Pinsel in die Hand und begann zu zeichnen.
Als er fertig war, ging er vorsichtig zum Türrahmen und blickte zurück zur Staffelei. Ein glatzköpfiger Mann mit kleinem Schnauzer blickte ihn von dem Leinenbild an. Minutenlang herrschte Stille. Dann glaubte Steffen einen Stock weiter unten einen erstickten Schrei und einen umfallenden Tisch zu hören. Lächelnd schloss er die Tür zum Atelier.
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Die Maske des Tieres
„Sie sagen also, Sie haben in der Halloweennacht eine Ihnen zuvor völlig unbekannte Frau ermordet? Haben Sie sie erschossen, erstochen oder vielleicht erwürgt?“ Er spürte den zweifelnden Ton in seiner Stimme und setzte vorsichtig hinzu: „Mr Anderson?“
Der Mann in dem braunen Ledersessel zuckte zusammen, als wäre er aus einem bösen Traum erwacht. Seine Augen wanderten über die Wände und fixierten Dr. Reyleigh, woraufhin er resigniert seufzte; der Alptraum dauerte immer noch an.
„Ich habe es Ihnen doch gesagt. Die Maske .. es war die Maske.“ Ängstlich, bebend, zitternd kamen die Worte über seine Lippen.
„Am besten fangen wir von vorne an, Mr Anderson. Wo haben Sie diese Maske her.“
Der Mann winkelte ein Bein stark an und zog es auf den Ledersessel. Eine bedauernswerte, kümmerliche Figur, die sich vor Angst auf einem Sessel zusammengekauert hatte; das war alles, was vom bodenständigen Mr Anderson übrig war.
„Ich .. ich habe es Ihnen doch schon erklärt. Dieses alte Haus, in das ich im August gezogen bin. Es war noch eingeräumt; Schränke, Stühle, Tische, alles davon hatte zwei Weltkriege überlebt. Kisten und Truhen, in denen der alte Hausherr alles gesammelt hatte, was es an Antiquitäten und nutzlosem Zeug gab, versperrten den Speicher komplett. Und da oben war sie.“
Seine ängstlichen Züge wandelten sich in eine Mischung aus Abscheu und Wut. Dr Reyleigh machte sich eine kleine Notiz auf seinem Klemmbrett und sah seinem Gegenüber tief in die Augen. Er schien innerlich zerrüttet. Bevor der Psychiater etwas sagen konnte, fing er auch schon wieder an zu erzählen. Er muss es loswerden, dachte Dr Reyleigh und entschloss sich, seinen spontanen Patienten nicht darauf aufmerksam zu machen, dass seine Praxis in einer halben Stunde schließen würde.
„Da war diese verzierte Holzkiste mit einem verrosteten alten Schloss daran. Es war eine dieser kleinen Schatullen, die man hofft zu finden, wenn man als Kind auf Abenteuersuche geht. In altdeutscher Schrift war auf dem Deckel 'Maske des Tieres' eingraviert. Damals hielt ich es für einen schlechten Scherz unter den Sammelleidenschaften des alten Mannes, aber heute.. heute..“
Er stockte und sah betrübt auf den Boden. Seine Augen füllten sich mit Tränen und seine Hände schienen sich an die Armlehnen zu klammern, als wären sie die Realität; eine Realität, die man festhalten kann, bevor sie unter einem weggerissen wird, wie ein alter Läufer. Dr Reyleigh räusperte sich leicht und Mr Anderson blickte auf, erinnerte sich, wo er war und öffnete den Mund, um seine Geschichte loszuwerden.
„Die Schatulle zu öffnen war kein Problem; ein Hieb mit einem kleinen Hammer und das Schloss broch davon ab. Darin war eine Maske.“
Er verzog schmerzhaft das Gesicht, zwang sich aber weiterzureden.
„Es war ein rotes Gesicht mit dicken Beulen und starrenden schwarzen Augen. Der Mund der Maske war geöffnet und entblößte grauenvoll viele Zähne. Sie waren spitz und erinnerten an das Maul eines Raubtieres. Nicht das Maul eines Löwen oder eines Haies. Mehr das eines Raubtieres, das einen in Sekundenbruchteilen in zwei Hälften reißt, das alle bekannten gefährlichen Tiere wie Lemminge aussehen ließ.“
Er hielt eine Sekunde inne und besah sich seine Handfläche. Der anfänglichen Traurigkeit folgte eine Art Euphorie des Erzählens, das gute Gewissen, das sich mit jedem ausgesprochenen Wort verstärkt.
„Sie war aus Gummi. Komplett aus Gummi. Ich hatte sie dort oben in ihrer Schatulle liegen lassen, denn ich war nie ein großer Fanatiker des Halloweenfestes. Leute, die sich wie Monster und Hexen, Zauberer und Ungeheuer verkleiden und Süßigkeiten an kleine Kinder verschenken; das war nie meine Welt. Die Tage vergingen und irgendwann, kam Halloween.“
Wieder blickte er fasziniert auf seine Handflächen und Dr Reyleigh überkam das Verlangen, sich ein paar Notizen auf dem Klemmbrett zu machen, aber er hatte es vor wenigen Sekunden aus der Hand gelegt. Die Art, wie der Mann seine Geschichte erzählte, fesselte ihn.
„Ich wusste, dass die Kleinen auch zu mir kommen würden und nach Süßem fragen würde, aber ich konnte gerne auf einen Besuch der Blagen verzichten. Das ganze Jahr über zertreten sie einem die Blumen und werfen mit Bällen Fensterscheiben entzwei und man kriegt sie nie erwischt, nur an diesem einen Tag kommen sie freiwillig angedackelt und wollen eine Belohnung dafür. Früher hätte man für ein solches Benehmen ein paar auf die Ohren bekommen. Eine saftige Ohrfeige hatte noch nie einem Kind geschadet.“
Dr Reyleigh faltete die Hände. Er hielt überhaupt nichts von der Ohrfeigenerziehung, aber erhob keinen Widerspruch.
„Ich hatte also nichts da, was ich ihnen hätte geben können und bevor es dunkel wurde, bin ich in den Keller gestiegen und habe die Klingel abgestellt. Es muss so gegen halb zehn gewesen sein, als ich dann, von Teufel oder sonstwem geritten, auf den Speicher ging. Ich hatte mir eingebildet etwas zu hören und beschloss, nach oben zu gehen, bevor sich über mir eine Rattenkolonie ansiedelte. Das war das letzte, was ich wollte; eine Rattenkolonie, die mir durch das alte Gemäuer kriecht.
Auf der obersten Treppenstufe sah ich dann die Schatulle liegen. Sie .. sie wartete auf mich. Ich hob sie hoch und ohne darüber nachzudenken eilte ich mit der verzierten Kiste in der Hand nach unten. Sie war schwerer als beim letzten Mal und mit jedem Schritt, den ich tat, verdoppelte sich ihr Gewicht. Als ich unten ankam und mich auf das Sofa fallen ließ, hatte ich Mühe sie mit beiden Händen zu halten. Ich war neugierig. Irgendetwas verleitete mich dazu, die vermaledeite Kiste zu öffnen. Und da grinste mich wieder dieser Mund an. Die langen Zähne gebleckt und die starrenden schwarzen Augen auf mich gerichtet. Ich .. ich konnte nicht anders, ich musste sie herausnehmen und sichergehen, dass es nur eine Maske war, aus Gummi und kein echter Kopf. Aber, .. aber es fühlte sich nicht wie Gummi an. Sie schien aus Haut zu sein. Als ich dastand und sie hochhob, dachte ich, es wäre ein Trugschluss, die Maske kam mir so echt vor und deshalb fühlte ich Haut, obwohl es eigentlich Gummi war, aber heute bin ich mir sicher; es war Haut.
Kaum hatte ich sie aus der Kiste geholt, führte ich sie mir auch schon an mein Gesicht, ich wollte sie spüren, musste sie spüren. Es war eng und stickig. Der eigentümliche Geruch von altem Gummi stieg mir in die Nase und benebelte meine Sinne und dann .. dann wachte ich wieder auf.“
Dr Reyleigh rümpfte die Nase, als habe sein Gegenüber etwas von sich getan, was sich nicht gehört, als hätte er seine Zeit für eine sinnlose Sprechstunde verschwendet, die darauf hinauslief, dass jemand geträumt hatte, er hätte jemanden umgebracht.
„Mr Anderson, wollen Sie sagen, Sie sind einfach so in Ohnmacht gefallen? Sie haben die Maske aufgesetzt und waren ... bewusstlos?“
„Verdammt, ich würde Ihnen gerne etwas anderes erzählen, aber das ist nun mal das, was passiert ist. Als Seelenklempner werden Sie doch bezahlt, Leuten zuzuhören. Dann hören Sie mir auch zu.“
Der Psychiater wollte gerade etwas erwidern, hielt es aber für geschickter, Mr Andersons Geschichte zu Ende zu hören.
„Natürlich. Fahren sie fort.“
„Ich erwachte also“, nahm er den Faden wieder auf „ungefähr drei Stunden später. Mir war elend und ich wusste zuerst nicht, was passiert war. Mein ganzer Körper bebte und zitterte und das erste, was ich sah, als ich die Augen öffnete, war die Maske. Sie lag vor dem Kamin, fast schon im Feuer und eine dickflüssige dunkle Lache bedeckte das Parkett unter ihr. Das Plastik schmolz also, dachte ich zuerst. Ich war erleichtert, aber irgendwie spürte ich auch einen Schmerz in der Magengegend. Ich ging näher zum Feuer, um zuzusehen, wie die Maske langsam schmelzen würde. Ich würde dabei grinsen, dachte ich.“
Seine Stimme verdüsterte sich, als wollte er auf eine dunkle Pointe anspielen.
„Es war nicht die Maske, die schmolz. Aus dem Mund der Maske tröpfelte die Flüssigkeit, aber als ich in die Knie ging, um genauer zu sehen, was es war, überkam mich ein fürchterlicher Brechreiz. Es war Blut. Schreckliches, rotes, dickflüssiges Blut. Menschenblut. Kinderblut!“
Er sah wieder seine Handflächen an, als würde an ihnen noch immer Kinderblut kleben. Dieses Gefühl, dachte Dr Reyleigh, würde wohl nie ganz verblassen.
„Ich sah noch einmal zur Maske. Im Maul, zwischen den Zähnen, hing der Ärmel eines grünen T-Shirts. Ich rannte zur Tür und riss sie auf. Der Geschmack von Magensäure und Blut mischte sich mit meinem Speichel und ich erbrach mich geräuschvoll in den Busch vor meinem Haus. Als ich mich aufrichtete, bemerkte ich rote Flecken auf meinem Hemd. Der Kragen schien wie durchtränkt und der ganze Bereich um meine Brust war fleckig. Ich dachte, ich hätte mich über mich selbst erbrochen, aber es war getrocknet. Am Kragen war es noch etwas weich, aber das .. das Blut auf meiner Brust war bereits trocken.“
Er hob dramatisch die Stimme und krallte die Fingernägel der rechten Hand in seinen Hals. Rote Striemen zeichneten sich auf der Haut ab.
„Es dauerte, bis ich bemerkte, dass direkt vor meiner Haustür ein Krankenwagen stand. Eine kleine Menschentraube hatte sich dort gebildet und wie von einer fremden Macht geleitet, ging ich auch dorthin. Der Körper war verdeckt, aber die Trage war kaum ausgefüllt. Ein Kind ist gestorben, wurde getötet. Als die Sanitäter die Trage in den Krankenwagen schoben, konnte ich sehen, wie unter der Plane, die den leblosen Körper bedeckte ein Arm herausrutschte. Bisspuren hatten ihn verunstaltet und ein zerfetzter grüner Ärmel hing am vom Torso über den Arm.“
Er vergoss einige stumme Tränen, machte aber keine Anstalten noch weiterzureden, weshalb Dr Reyleigh schloss, dass er mit seiner Geschichte fertig war.
„Wissen Sie, Mr Anderson, ich glaube, Sie haben niemanden verletzt in dieser Nacht.“
Der Mann blickte auf und starrte den Psychiater ungläubig an.
„Was .. natürlich habe ich. Diese Maske.. sie..“
„Nein“, unterbrach ihn Dr Reyleigh. „Die Maske hatte Ihnen nur Angst eingejagt und, als Sie dann in Ohnmacht fielen, haben Sie sich diese Dinge wie das Blut und das Stück Stoff nur eingebildet.“
„Aber, es war da: Das Blut und der Stoff... sie waren da!“
„Sie sind doch, nachdem Sie den Leichnam gesehen haben, wieder in Ihr Haus zurückgekehrt, richtig?“
„Ja, schon, aber was..“
„War dort immer noch das Blut und der Stoff?“
„N.. nein, aber ich habe sie doch vorher gese...“
„Haben Sie Beweise dafür, dass Sie das Haus verlassen haben?“
„Ich bin mir sicher, dass ich es verlassen habe, wie sonst hätte ich..“
„Wie sonst hätten Sie was? Das Mädchen töten sollen? Ich denke nicht, dass Sie es waren.“
„Aber ich war nicht bei Bewusstsein, vielleicht bin ich wie in Trance..“
„Mr Anderson, wenn Gummimasken lang in einer verschlossenen Schatulle ruhen, dann bilden sich dort Gase. Diese müssen, bei den alten Materialien, so extrem die Sinne beeinträchtigend gewesen sein, dass Sie in Ohnmacht fielen.“
„Aber...“, setzte er an.
„Kein Aber!“ Dr Reyleigh lächelte ihn mitfühlend an. „Haben Sie die Maske zufällig dabei, Mr Anderson?“
„Ja, ich wollte sie wegwerfen. In den Fluss oder irgendwo verbrennen..“
Er kramte in seiner Aktentasche und gab eine braune, reichlich verzierte Holzkiste an den Psychiater. Dr Reyleigh nahm sie und, ohne lang zu zögern, öffnete er sie.
Die Maske war ein Kunstwerk. Die Augen starrten den Betrachter aus unergründlichen Tiefen an und die Zähne sahen atemberaubend echt und gefährlich aus. Er verstand sofort, wie sich Mr Anderson einbilden konnte, dass diese Maske Macht über ihn hatte. Er schloss seine Hände um das Gummi, das sich seltsam warm anfühlte und zog sie aus der Kiste.
„Mr Anderson, wenn ich also jetzt diese Maske aufziehe, werde ich keine Kontrolle mehr über mich haben und wie ein wildes Tier auf Jagd gehen?“
Er blickte seinen Patienten ins Gesicht, aber der hatte die Augen geschlossen und hielt sich die Arme wie schützend vor seinen Kopf. Er leidet unter einer Psychose, dachte Dr Reyleigh, aber jetzt ist er in Therapie. Es wird sich bessern.
„Ich werde Ihnen nun beweisen, Mr Anderson, dass nichts Gefährliches von dieser Maske ausgeht.“
Er hob die Maske vor sein Gesicht und achtete nicht auf die wüsten Protestrufe seines Gegenübers, während er die warme Maske an sein Gesicht führte. Sie passte sich seiner Kopfform an, schien ihn ganz zu umschließen. Es war heiß und stickig unter der Maske und im nächsten Augenblick sah er nur noch Schwärze.
Dr Reyleigh wachte spät in der Nacht auf und spürte, wie sein Körper zitterte und bebte. Das erste, was er sah, waren zwei starrende schwarze Augen und ein Höllenschlund aus dem Blut tropfte.
Keiner weiß so genau, was in der Nacht passierte, als der bodenständige Mr Anderson in Dr Reyleighs Praxis eintrat, aber jedem, der es wissen will, erzählt seine frühere Nachbarin, dass Dr Reyleigh seit dieser schicksalsvollen und tragischen Nacht unter einer Psychose leidet. Aber er ist jetzt in Therapie und es wird sich bessern...
Das Talent
Steffen stand in seinem Atelier vor der großen Staffelei und schwang kunstvoll den Pinsel. Aus einzelnen Strichen entstand langsam das Gesicht einer hübschen Frau. Steffen kannte die Frau nicht, er hatte nie eine der Personen, die er zeichnete, gekannt.
Das Licht fiel durch das große Fenster auf der Südseite ein und erhellte das Gesicht der Frau. Ihre braunen langen Haare waren leicht gelockt und zu einem eleganten Zopf verschlungen. Ihre grünen Augen strahlten dem Betrachter entgegen und ihr voller Mund war zu einem schelmischen Lächeln verzogen.
Vorsichtig entfernte sich Steffen von seinem Kunstwerk, während er jeden Pinselstrich betrachtete. Es war perfekt. Er sah in die grünen Augen der Frau. Für einen kurzen Moment schloss er seine eigenen Augen. Es fiel ihm leichter zu entscheiden, ob das Bild etwas taugte, wenn er sich für jede Person, deren Gesicht er mit dem Pinsel auf Leinen bannte, eine Geschichte ausdachte.
Die Frau mit den grünen Augen war achtundzwanzig Jahre alt und seit zwei Jahren verheiratet. Ihr Mann, der vor dem Abschließen des heiligen Bundes der Ehe ein zuvorkommender Steuerberater war, hatte sich innerhalb von zwei Jahren zu einem verkommenen Säufer entwickelt, der keine Arbeit hatte und dessen einziges Hobby es offenbar war, die Wohnung zu verschmutzen, die seine Frau nach den langen Schichten im Krankenhaus aufräumte. Sie war Krankenschwester auf der Kinderstation. Sie wollte auch selbst Kinder, aber sie hatte heimlich wieder angefangen die Pille zu nehmen, damit ihre Kinder nicht mit so einem Vater aufwachsen mussten. Sie hatte Angst, er würde seinen eigenen Sohn grün und blau prügeln, wenn er seinen Brei nicht essen wollte. Vielleicht würde er ihm auch den Arm brechen, wenn er seinem Vater nicht die Ruhe gönnte, die dieser nach einem Rausch brauchte. Vielleicht...
„Ich hab gefragt, ob Sie denken, Sie können das Geld auftreiben.“ Sein Vermieter stand im Türrahmen. Die Sonne spiegelte sich in der Glatze und blendete Steffen einen Moment. Er hatte seit drei Monaten keine Miete mehr bezahlt, da das Verkaufen seiner Bilder seine einzige Geldquelle war, aber das lief zur Zeit nicht gut.
„Mr. Denison, geben Sie mir noch etwas Zeit. Ich weiß, ich kann es schaffen. Wenn ich erstmal ein paar Bilder verkauft habe, ...“
„Ich habe Ihnen schon zu viel Zeit gegeben. Künstlerpack. Ich habe Sie immer respektvoll behandelt, aber wenn sie nicht anfangen sich einen richtigen Job zu suchen, werden Sie Ihre Bilder wohl bald auf der Straße malen können“, fiel er ihm ins Wort und schnaubte aufgeregt. Das Schnauben erinnerte Steffen stark an ein Walross und, wäre es nicht eine so ernste Situation, hätte er losgeprustet bei diesem Gedanken.
„Ich werde das Geld auftreiben, Mr. Denison, aber geben Sie mir noch etwas mehr Zeit. Alles, was ich brauche ist etwas mehr Zeit. Bitte.“
„Alles, was ich brauche ist mein Geld, Mr. Donovan. Schönen Tag noch“, sagte er bissig und verließ das Atelier. Steffen hörte die Tür seiner Wohnung zuknallen.
Wenig später verließ er selbst die Wohnung. Er musste noch einige Dinge im Supermarkt besorgen. Als er um die Straßenecke bog, sah er ein Paar grüne Augen direkt vor seinen eigenen. Für einen kurzen Augenblick sah er die Verzweiflung in ihnen, bevor er mit der Frau zusammenstieß.
„Tut mir Leid“, murmelte sie abwesend und stahl sich an ihm vorbei.
Er konnte nicht anders, als ihr hinterherzuschauen. Ihre langen braunen Haare waren hinten zu einem eleganten Zopf verschlungen und unter ihrem dicken Mantel sah er die Kleidung einer Krankenschwester aufblitzen, bevor sie um die Ecke ging.
Völlig perplex stand Steffen auf dem Gehweg und war unfähig sich zu bewegen, bis er es hörte. Ein lautes Quietschen von bremsenden Rädern auf Asphalt, gefolgt von einem dumpfen Rumms und einem langen Schmerzensschrei. Er hastete um die Ecke, wo der Lärm herkam und bereitete sich auf Grauenvolles vor.
Auf der Straße stand ein rotes Auto und eine lange Bremsspur zeigte, dass es vom Zentrum gekommen war. Vor dem Auto war rote Farbe und ein Haufen Kleidung lag unweit von der Farbe. Er konnte deutlich den dicken Mantel erkennen.
Zwei Tage nach dem Unfall kam erneut Mr. Denison in die Wohnung von Steffen. Er hatte seinen Pinsel nicht wieder angefasst und verkauft hatte er bisher auch keines seiner Bilder.
„Bis morgen will ich mein Geld sehen, sonst sind Sie hier schneller raus, als sie 'Malen' sagen können.“ Er schnaubte und Steffen fragte sich, ob der kleine Schnauzer, der zitterte und bebte, den Eindruck eines Walrosses absichtlich verstärkte oder, ob er das Resultat eines missglückten Versuches war, etwas Individuelles in das Gesicht seines Vermieters zu bringen.
„Bis morgen. Und ich warne Sie, wenn Sie das Geld nicht haben, dann sollten Sie lieber gleich verschwinden.“ Er knallte die Tür ins Schloss.
Steffen stand auf und schritt durch die Wohnung. Eine Tür stand offen. Er sah durch den Türspalt, den Vollmond über der Stadt hängen und die Staffelei in der Mitte des Raumes anstrahlen. Er nahm den Pinsel in die Hand und begann zu zeichnen.
Als er fertig war, ging er vorsichtig zum Türrahmen und blickte zurück zur Staffelei. Ein glatzköpfiger Mann mit kleinem Schnauzer blickte ihn von dem Leinenbild an. Minutenlang herrschte Stille. Dann glaubte Steffen einen Stock weiter unten einen erstickten Schrei und einen umfallenden Tisch zu hören. Lächelnd schloss er die Tür zum Atelier.