1: Der letzte Held der Welt
Irgendwann ist für jeden Menschen die Zeit gekommen, wo er dem Tod in die Augen blicken muss. Der Tod starrt dich direkt an, mit seinen düsteren, kalten Augen und du weißt, es ist nicht zu verhindern. Dann gibst du dich dem hin, lässt dein Leben langsam zu Ende gehen und dann ist es abrupt vorbei. So hatte ich mir das Sterben immer vorgestellt. Doch das Schicksal zögerte den sicheren Tod vieler Menschen hinaus bis sie fast verrückt wurden und ihn sich allmählich herbeiwünschten, zuerst nur in flüchtigen Gedanken, bald schrieen sie nach dem Sterben. Selbst ich hatte es mir schon so oft gewünscht, den Tod zu finden, mich neben die Leichen auf die Straße zu legen und die Augen zu schließen. Diese Gedanken überfielen mich erst lange Zeit nach den schrecklichen Vorfällen, doch das minderte ihre Heftigkeit nicht, ich begann sogar, die Toten zu beneiden. Sie hatten es hinter sich gebracht, waren all dem ausgewichen, um ihren ewigen Frieden im ewigen Nichts zu finden.
Meine Hilflosigkeit und Nutzlosigkeit trieb mich in die Verzweiflung, nein, sie ließ mich innerlich sterben. Jedes Gefühl war vor vielen Stunden gestorben, nur mein Körper weigerte sich mit einer unbändigen und unvorstellbaren Kraft dagegen, die Tatsachen hinzunehmen. Er hatte mich stets vorangetrieben, obwohl ich nicht mehr gehen wollte. Er hat gekämpft, obwohl die Fäuste wund waren. Er lebt noch.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte ich nicht mehr sagen, ob ich mein erbärmliches Leben verdient hatte und warum es all die anderen Menschen nicht hatten. War ich vielleicht besser als sie? Doch warum war ich besser? Oder hatte ich nur Glück gehabt? Aber warum hatten die anderen Menschen kein Glück? Und habe ich überhaupt irgendetwas unternommen, um die Menschen vor dem Tod zu bewahren oder habe ich mich nur versteckt? All diese Fragen waren in den Vordergrund gerückt, beschäftigten mich stets. Alles andere war in weite Ferne gerückt.
Die Füße in den abgenutzten Lederschuhen ruhten auf dem Dachvorsprung, eine Zigarette hing zwischen den zitternden Fingern, in der anderen Hand, die nicht minder zitterte, lag der Revolver. Die Waffe war nutzlos, alle Kugeln waren verschossen. Ich hatte keine Verwendung mehr dafür, also schleuderte ich ihn mit der letzten Kraft, die ich noch aufbringen konnte, herunter. Mit einem dumpfen Geräusch traf er einen der Köpfe und hinterließ eine tiefe Wunde in dem trockenen Fleisch. Der Körper darunter sank leblos zu Boden. Ich stieß mehrere laute Flüche aus und verstummte dann abrupt. Diese Gestalten waren der Grund, warum ich überhaupt dort stand, warum all die Menschen sterben mussten und warum ich mir überhaupt Gedanken um den Sinn meines Lebens machen musste.
Ich war unbewaffnet, vollends verloren und mutlos. Das einzige, was mich noch vom Tod trennte, war die mit Tischen und Stühlen verbarrikadierte Tür hinter mir, nicht mehr. Ich war mir sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Barrikade durchbrochen war. Diese widerlichen Ausgeburten der Hölle würden mich in Stücke reißen, nichts mehr von mir übrig lassen.
Auch nach mehreren Tagen wusste ich nicht, wie diese Gestalten entstehen konnten oder wie man den Ansturm aufhalten konnte. Sie waren weder tot noch lebendig, wandelnde Ungeheuer, Untote, die ihren Platz auf dieser Welt nicht verdient hatten. Alleine waren sie leicht zu töten und generell dumm, doch wenn sie sich zusammenrotteten und durch die Straßen streiften, zerrissen sie in Windeseile jeden, der nicht wie sie war. Und ihre Zahl stieg stetig an. Ein derartiges Szenario kannte ich vorher nur aus Filmen und in diesen Filmen gab es selten ein Happy End, ganz im Gegenteil sogar.
Nach nun fünf Stunden, die ich auf dem Dach verbrachte, hatte sich mittlerweile eine ganze Schar von ihnen unter mir versammelt, vielleicht zweihundert oder dreihundert. Sie standen nur da, starrten zu mir hinauf. Manche von ihnen sprangen wild gegen die Fassade, als glaubten sie zu mir hinaufklettern zu können. Doch die meisten von ihnen reckten still ihre Nasen in die Höhe, sie rochen mein lebendiges Fleisch, den Geruch ihres Futters. Ihr Hunger schien groß zu sein, sonst hätten sie sich nicht alle unter mir versammelt, wahrscheinlich waren ihnen alle anderen schon zum Opfer gefallen. In diesem Augenblick glaubte ich sogar, dass ich der letzte lebende Mensch auf diesem Planeten war. Aber ich schüttelte den Gedanken ab, das konnte nicht stimmen, es durfte nicht stimmen. Aber wenn es doch so war, dann war ich bereit mich zu opfern, dem grausigen Schauspiel endlich ein Ende zu bereiten, ihnen die Welt zu überlassen.
Die letzte Zigarette, die ich besaß, war am Ende - ich warf sie dem Revolver hinterher. Wenn ich jetzt springen würde, könnte ich einige mit in den Tod reißen, dachte ich. Das würde meine letzte Aufgabe sein: möglichst viele von ihnen zu töten. Doch jetzt, als es darauf ankam, konnte ich mich noch nicht von meinem Leben verabschieden. War wirklich schon alles verloren? Ich klammerte mich an diese Frage, versuchte eine Antwort zu finden. Alle, die ich kannte, waren tot, alle, die ich nicht kannte, ebenfalls. Was machte es dann noch für einen Unterschied, ob ich lebte oder nicht. Ich würde wissen, dass ich als Held aus dem Leben scheide - der letzte Held der Welt.
Ich ließ die Zehen über den Vorsprung rutschen, näherte mich ihm langsam. Die Hände wurden unerwartet ruhig, als ich in die Masse von Haaren, aufgerissenen Mäulern, Nasen und Armen blickte. Sie lechzten nach meinem Fleisch. Die unerwartete Ruhe ließ diesen Moment zu einem glücklichen werden, der mich alles vergessen ließ, was ich erlebt hatte. Doch plötzlich ertönte eine Stimme, sie kam nicht aus der Meute, sondern erklang hinter mir. Die Stimme war unglaublich vertraut und schallte wunderbar hell und zart durch meinen Gehörgang. Dann mischte sich ein metallenes, zuerst leises und dann ohrenbetäubendes Geräusch dazwischen, bis es die Stimme übertönte. Ich wand mich hastig herum. Ein dunkler Schatten legte sich über mich. Nun war das Ende gekommen, dachte ich. Als ich in das fragende Gesicht vor mir blickte, musste ich an den Anfang denken, der Tag ab dem das grausige Schicksal seinen Lauf nahm: ein warmer Montagmorgen im Sommer…
Meine Hilflosigkeit und Nutzlosigkeit trieb mich in die Verzweiflung, nein, sie ließ mich innerlich sterben. Jedes Gefühl war vor vielen Stunden gestorben, nur mein Körper weigerte sich mit einer unbändigen und unvorstellbaren Kraft dagegen, die Tatsachen hinzunehmen. Er hatte mich stets vorangetrieben, obwohl ich nicht mehr gehen wollte. Er hat gekämpft, obwohl die Fäuste wund waren. Er lebt noch.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte ich nicht mehr sagen, ob ich mein erbärmliches Leben verdient hatte und warum es all die anderen Menschen nicht hatten. War ich vielleicht besser als sie? Doch warum war ich besser? Oder hatte ich nur Glück gehabt? Aber warum hatten die anderen Menschen kein Glück? Und habe ich überhaupt irgendetwas unternommen, um die Menschen vor dem Tod zu bewahren oder habe ich mich nur versteckt? All diese Fragen waren in den Vordergrund gerückt, beschäftigten mich stets. Alles andere war in weite Ferne gerückt.
Die Füße in den abgenutzten Lederschuhen ruhten auf dem Dachvorsprung, eine Zigarette hing zwischen den zitternden Fingern, in der anderen Hand, die nicht minder zitterte, lag der Revolver. Die Waffe war nutzlos, alle Kugeln waren verschossen. Ich hatte keine Verwendung mehr dafür, also schleuderte ich ihn mit der letzten Kraft, die ich noch aufbringen konnte, herunter. Mit einem dumpfen Geräusch traf er einen der Köpfe und hinterließ eine tiefe Wunde in dem trockenen Fleisch. Der Körper darunter sank leblos zu Boden. Ich stieß mehrere laute Flüche aus und verstummte dann abrupt. Diese Gestalten waren der Grund, warum ich überhaupt dort stand, warum all die Menschen sterben mussten und warum ich mir überhaupt Gedanken um den Sinn meines Lebens machen musste.
Ich war unbewaffnet, vollends verloren und mutlos. Das einzige, was mich noch vom Tod trennte, war die mit Tischen und Stühlen verbarrikadierte Tür hinter mir, nicht mehr. Ich war mir sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Barrikade durchbrochen war. Diese widerlichen Ausgeburten der Hölle würden mich in Stücke reißen, nichts mehr von mir übrig lassen.
Auch nach mehreren Tagen wusste ich nicht, wie diese Gestalten entstehen konnten oder wie man den Ansturm aufhalten konnte. Sie waren weder tot noch lebendig, wandelnde Ungeheuer, Untote, die ihren Platz auf dieser Welt nicht verdient hatten. Alleine waren sie leicht zu töten und generell dumm, doch wenn sie sich zusammenrotteten und durch die Straßen streiften, zerrissen sie in Windeseile jeden, der nicht wie sie war. Und ihre Zahl stieg stetig an. Ein derartiges Szenario kannte ich vorher nur aus Filmen und in diesen Filmen gab es selten ein Happy End, ganz im Gegenteil sogar.
Nach nun fünf Stunden, die ich auf dem Dach verbrachte, hatte sich mittlerweile eine ganze Schar von ihnen unter mir versammelt, vielleicht zweihundert oder dreihundert. Sie standen nur da, starrten zu mir hinauf. Manche von ihnen sprangen wild gegen die Fassade, als glaubten sie zu mir hinaufklettern zu können. Doch die meisten von ihnen reckten still ihre Nasen in die Höhe, sie rochen mein lebendiges Fleisch, den Geruch ihres Futters. Ihr Hunger schien groß zu sein, sonst hätten sie sich nicht alle unter mir versammelt, wahrscheinlich waren ihnen alle anderen schon zum Opfer gefallen. In diesem Augenblick glaubte ich sogar, dass ich der letzte lebende Mensch auf diesem Planeten war. Aber ich schüttelte den Gedanken ab, das konnte nicht stimmen, es durfte nicht stimmen. Aber wenn es doch so war, dann war ich bereit mich zu opfern, dem grausigen Schauspiel endlich ein Ende zu bereiten, ihnen die Welt zu überlassen.
Die letzte Zigarette, die ich besaß, war am Ende - ich warf sie dem Revolver hinterher. Wenn ich jetzt springen würde, könnte ich einige mit in den Tod reißen, dachte ich. Das würde meine letzte Aufgabe sein: möglichst viele von ihnen zu töten. Doch jetzt, als es darauf ankam, konnte ich mich noch nicht von meinem Leben verabschieden. War wirklich schon alles verloren? Ich klammerte mich an diese Frage, versuchte eine Antwort zu finden. Alle, die ich kannte, waren tot, alle, die ich nicht kannte, ebenfalls. Was machte es dann noch für einen Unterschied, ob ich lebte oder nicht. Ich würde wissen, dass ich als Held aus dem Leben scheide - der letzte Held der Welt.
Ich ließ die Zehen über den Vorsprung rutschen, näherte mich ihm langsam. Die Hände wurden unerwartet ruhig, als ich in die Masse von Haaren, aufgerissenen Mäulern, Nasen und Armen blickte. Sie lechzten nach meinem Fleisch. Die unerwartete Ruhe ließ diesen Moment zu einem glücklichen werden, der mich alles vergessen ließ, was ich erlebt hatte. Doch plötzlich ertönte eine Stimme, sie kam nicht aus der Meute, sondern erklang hinter mir. Die Stimme war unglaublich vertraut und schallte wunderbar hell und zart durch meinen Gehörgang. Dann mischte sich ein metallenes, zuerst leises und dann ohrenbetäubendes Geräusch dazwischen, bis es die Stimme übertönte. Ich wand mich hastig herum. Ein dunkler Schatten legte sich über mich. Nun war das Ende gekommen, dachte ich. Als ich in das fragende Gesicht vor mir blickte, musste ich an den Anfang denken, der Tag ab dem das grausige Schicksal seinen Lauf nahm: ein warmer Montagmorgen im Sommer…
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