[Diskussion] Der goldene Handschuh

TheDarkness2

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Ein Szenefilm? Aus Deutschland? Unmöglich? Nein, denn im Grunde hat Deutschland auch den Grundstein für Hollywood gelegt. Nosferatu, Metropolis, Der Golem oder wie er in die Welt kam, die Nibelungen. Ich könnte ewig so weitermachen. Doch dann kam die Nazi Zeit und Deutschland verlor seinen Anspruch in der Geschichte des Kinos und spielt seitdem kaum eine Rolle darin. Wenn ein deutscher Film richtig gefördert wird muss er entweder von Hr. Schweiger oder Hr. Schweighöfer sein. Mit Fuck Ju Göte schaffte man dann sowas wie eine kleine Revolution. Und wenn es dann mal gute Ausnahmen wie z. B. Der Untergang gibt mischt sich ständig die Regierung ein da man sicher gehen muss das die Nazis auch wirklich böse genug sind. Auch Das Boot geriet ein wenig unter politische Räder wegen der Zeit in der es spielte. Und dann ist da plötzlich Der goldene Handschuh der im Februar im Kino lief und von den deutschen Medien geradezu verrissen wird, während die ausländische Presse ihn fast ausschließlich feiert für einen Beitrag zu einem Genre das schon lange nicht mehr so gut präsentiert wurde. Eigentlich gibt es in diesem Genre nur 2 gute Filme Henry: Portrait of a Serial Killer aus Amerika und Angst aus Österreich.

Doch worum geht es: Der goldene Handschuh ist die Kneipe am Kiez an der sich die verlorenen Existenzen in den 70er Jahren treffen. Sie haben keine Hoffnung, keine Zukunft und der Alkohol hilft Ihnen ihr Leben zu ertragen und ihre Sorgen zu mildern. Hier hausiert auch Fritz Honka, der die Leute in der Kneipe als seine einzige Familie ansieht die er kennt und mit denen er agieren kann. Auch er ist gescheitert, er ist ein Säufer, äußerlich entstellt und nur eine Randnotiz von der keiner Notiz nimmt. Doch er ist der in dieser Kneipe seine Opfer sucht an denen er seine bestialischen Triebe stillen kann. Und er kommt immer wieder davon und nur durch einen blöden Zufall kommt ihm die Polizei nach Jahren auf die Schliche....

Uff, schwer eine Beschreibung zu geben und noch schwerer ein Review zu verfassen. Also fangen wir damit an das der Film sich an den realen Tatsachen orientiert, nichts dazu dichtet und einfach nur die Realität abbildet. Dem Regisseur Faith Akin war es wichtig die Situation so wie sie war abzubilden mit all ihrer Grausamkeit und Hoffnungslosigkeit. Schließlich kommt er aus Hamburg und Honka war für ihn ein Gruselmärchen wie für uns das vom schwarzen Mann der uns Nachts holen kommt wenn wir nicht brav waren als Kinder. Und damit hat der Film einen ungemein realistisches Fundament das nicht jedem schmeckt. Gerade den deutschen Medien nicht die dem Film nicht verzeihen können das er grausam, schonungslos ist und kompromisslos ist. Es gibt kein Aufatmen, keine Befreiung. Und das passt nicht in das heile Welt Bild das sich die deutschen Medien wünschen, es gibt keine Lacher und keinen Humor. Und genau das wollte der Film erreichen und das Echo der Medien zeigt es ist ihm gelungen und das in geradezu perverser Perfektion.

Das nächste was die deutschen Medien sich vorknüpften war Honka selbst. Die Identifikationsfigur des Films und der zentrale Punkt. Warum tut er es? Bleibt völlig im Dunkeln, er ist wie ein unberechenbarer Vulkan der jederzeit ausbrechen kann. Unkontrollierbar und wahnsinnig. Hinter der Fassade des Verlierers brodelt es. Die deutschen Medien beklagten das die Figur ekelhaft aussieht, herabgewürdigt wird mit ihrem Aussehen und das sie schlicht nichts liebenswertes hat. Das sich Akin 100% an das reale Vorbild gehalten hat geht da völlig unter. Honka ist er selbst, es gibt keinen Grund für das was er tut. Und Jonas Dassler spielt die Rolle als hinge sein Leben davon ab, er gibt dem Charakter allein durch sein Schauspiel Tiefe und Komplexität. Und ja er sah wirklich so aus wie im Film. Der Wechsel vom betrunkenen Verlierer zum brutalen Sadist vollzieht Dassler in wenigen Sekunden mit seiner Mimik und Gestik. Man nimmt ihn die Rolle ab. Es ist ein beeindruckendes Stück Schauspielkunst das einen ängstigen kann.

Punkt 3 auf der Abschussliste: Die Frauen. Oh Mann, kommen wir zur Anklage: Der Film hat ein frauenfeindliches Weltbild das er schamlos zur Schau stellt und er würdigt die gesamte Frauenkultur ab ohne auf deren Gefühle, Träume und Hoffnungen einzugehen. Die Frauen sind eindimensional und wehrlos. Kurzum sie passen nicht in das Bild der heutigen Frau wie man es durch Medien, Feminismus und Gleichberechtigung transportiert. Ich sage gut so, denn es würde den Film zerstören. Die Frauen im Goldenen Handschuh sind ganz unten angekommen. Sie wurden jahrzehntelang gedemütigt, misshandelt, vergewaltigt und ihnen wurde immer wieder beigebracht das sie nichts wert sind. Sie sind nur leere Hülle ohne Hoffnung, ohne jede Chance auf Erlösung. Wenn Honka sie mitnimmt hoffen sie noch einmal geliebt, noch einmal eine Chance zu erhalten. Vielleicht noch einmal etwas hinkriegen, vielleicht noch einmal aus dem Teufelskreis zu entkommen. Für die Frauen stellt Honka Hoffnung dar und das wird mit jeder Frau die er mitnimmt neu aufgearbeitet. Es ist ein perfektes Theaterstück das immer wieder neu mit Dialog, Mimik und Gestik aufgeführt wird und das den Opfern ihre Berechtigung gibt. Obwohl wir nicht viel über die Opfer selbst erfahren, so erfahren wir doch genug um mitzufühlen wenn Honka sein Werk beginnt.

Und nun kommen wir zum Werk das gerne als der Gipfel aller Grausamkeiten von den deutschen Medien sterilisiert wird. Dabei machen diese sich genauso lächerlich wie damals beim Blutgericht in Texas. Denn Akin weiß um die Affinität der Politik Filme zu zensieren, zu verbieten und so zu zerstören. Also bedient er sich wie damals Tobe Hooper und John Carpenter dem Kopfkino. Man hört die Geräusche, man hört Honka stöhnen weil es anstrengend ist was er tut und man kann den Geruch in seiner Wohnung förmlich riechen. Warum? Weil es visuell dargestellt wird, überall hängen Duftbäume die immer mehr werden je mehr Leichen Honka zerstückelt und hinter der Fassade verstaut. Manche davon rotten schon Jahre dahin, der Duft stört jeden der die Wohnung betritt aber Honka schiebt alles auf die Griechen unter ihm was aufgrund von Vorurteilen auch funktioniert. Und Honka mordet wahllos, er ist stets besoffen und eskaliert sobald es nicht nach seinem Kopf geht. Egal ob er den Kopf eines Opfers auf der Tischplatte zerschmettert, mit einem Handtuch erwürgt oder einfach nur seine sadistischen Neigungen an ihm auslebt. Penetration mit Kochlöffeln und Wiener Würstchen ist da noch das Harmloseste. Er hat kein Problem damit Frauen zu schlagen und seine sadistische Neigung kommt erst voll zum Ausleben als er Gerda mit nach Hause nimmt.

Er schlägt sie, er misshandelt sie und trotzdem hält sie an ihm fest weil er das Beste ist was ihr jemals in ihrem Leben passiert ist. Das ist so verstörend zu sehen, es weckt den Wunsch Gerda zu helfen sie da rauszuholen und ihr zu zeigen das es so nicht sein muss. Es ist wirklich aufwühlend diese Situation auf dem Fernseher zu sehen, sie ist erneut perfekt gespielt. Und sowohl Jonas Dassler als auch Margarthe Tiesel spielen die Rolle bis zur absoluten Perfektion. Diese perverse Abhängigkeitsbeziehung wird durch Mimik, Gestik und wenig Dialog transportiert. Gerda erträgt alles und unterschreibt sogar einen Vertrag in dem sie bestätigt das sie von jetzt an Honka gehört und ihm sogar ihre Tochter hinterlässt damit er diese zu seiner Verfügung nutzen kann. Das Schlimme daran ist das es auch heute noch solche Situationen gibt, es geht weit über häusliche Gewalt hinaus und der Realismus zerrt einfach an den Nerven und geht unter die Haut. Ich habe schon lange nicht mehr eine so verstörende schauspielerische Leistung gesehen. Doch Gerda wird gerettet als sie sich einer Missionarin der Heilsarmee anschließt die ihr ein besseres Leben verspricht als sie es jetzt hat. Und das ist ein Moment wo der Zuschauer aufatmet.

Aber auch Honka entwickelt sich, will alles hinter sich alles nachdem er angefahren wird. Er wird clean, besorgt sich einen neuen besseren Job und alles scheint sich einzurenken. Doch als er sich in die Putzfrau Helga verliebt und von dieser und ihrem Ehemann wieder zum Trinken animiert wird kehrt die Bestie schnell und gnadenlos wieder zurück. Helga überlebt, aber das nächste Opfer von Honka das er darauf im Goldenen Handschuh aufliest nicht. Es handelt es sich um eine ehemalige KZ Insassin und Zwangsprostituierte. Als Honka sie zusammenschlägt rächt sie sich indem sie ihm Senf an den Penis schmiert während er schläft. Honkas Rache ist grausam, leitet aber das Ende seiner Laufbahn ein.

Denn die Griechen unter ihm feiern ein Familienfest als plötzlich Maden aus den Löchern in der Decke regnen. Fluchtartig verlassen sie das Haus und lassen den Herd an, was zu einem Wohnungsbrand führt bei dem die Feuerwehr dann das Werk von Honka vorfindet. Honka der in der Menge den Brand beobachtet wird verhaftet. Für den Film war dies das Ende. Und es ist erschreckend das niemand Notiz von Honka nahm. Er geht nicht gerade vorsichtig vor, es gibt ein eindeutiges Muster und trotzdem juckt es Niemanden. Wer interessiert sich schon für den Abschaum der Gesellschaft? So war es früher und so ist es heute. So konnte Honka unter dem Radar laufen und unbehelligt seinen Trieben nachgehen ohne das es aufgefallen wäre. Es ist so grausam das es es zum verzweifeln ist. Es hätte viel verhindert werden können, aber niemand wollte etwas tun.

Ist der Film verstörend? Ja. Aber er ist nicht das was die deutschen Medien aus ihm machen. Er ist ein raffinierter, schonungsloser und realistischer Blick auf einen Serienmörder. Ohne Wertung, ohne Hoffnung und ohne Ausweg. Dies ängstigt die Presse, sogar im Ausland. Aber die Reaktionen auf den Film könnten nicht unterschiedlicher sein. Auf jeden Fall ist es ein Genrefilm der Respekt verdient hat. Denn sowas in der heutigen Medienlandschaft von Deutschland zu veröffentlichen grenzt schon an Karrieresuizid für jeden Regisseur.

Ich kann den Film empfehlen wenn ihr einen starken Magen habt und ihr etwas neues erleben wollt. Erwartet jedoch nichts positives oder gar ein Happy End. Dieser Film bleibt in eurem Kopf und zwingt euch über das Gesehene nachzudenken. Seht ihn euch an, denn dieser Film reiht sich jetzt in die Top 3 des Genres ein und steht damit auf einer Stufe mit dem oben genannten Henry und Angst. Respekt dafür.
 
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