*hust* Neu geschreiben und hoffentlich jetzt besser als zuvor, hier ist
Die drei Schlüssel
Schande, Rache, Frieden. Die drei Worte haben mich nicht weiter gebracht, und wahrscheinlich haben sie auch keine Bedeutung. Vielleicht bedeuten sie auch nur das, was sie bedeuten â ein kleiner Hoffnungsschimmer, immerhin.
Früher hätte man sagen können, dass ich ein ruhiger und ausgeglichener Mensch bin â jetzt stehe ich am Rande eines dunklen Abgrunds, und unten steht Claire und lacht und lacht und lacht.
Letztendlich ist vielleicht alles vergebens.
Trotzdem, ich frage mich, was mich auf die Idee gebracht hat, mich für die letzten Stunden meines Lebens in eine Disco zu setzen und auf Krampf zu versuchen, Spaß zu haben. Die Musik ist so laut, dass mir fast das Trommelfell platzt, und die vielen bunten Lichter verwirren mich. Es fragt sich außerdem, wer danach hier aufwischenâ¦
Ich werde abgelenkt von einem jungen Mann â er steuert auf mich zu und lächelt. Er sieht so fröhlich aus, wie ich jetzt vielleicht wäre, wenn das alles nie passiert wäre. Verdammt, ich werde sentimental.
âHi!â
Er muss brüllen, um sich verständlich zu machen. Ich möchte ihn mit ein paar netten Worten fortschicken, aber alles, was mir spontan über die Lippen kommt, ist:
âZieh Leine, Kleiner!â
Er ist kurz verblüfft, lächelt dann aber wieder. Er scheint einer von der hartnäckigen Sorte zu sein, und eigentlich hat mir das immer gefallen, aber eigentlich bin ich auch zu müde, um mich jetzt noch durch ein Gespräch zu quälen. Aber wenn er meint, mit mir reden zu wollen⦠vielleicht wird es mich vom Unvermeidlichen ablenken. Es ist 21 Uhr.
âDu kommst mir bekannt vor. Bist du oft hier?â Ich schüttele den Kopf zum Zeichen, dass ich ihn gar nicht kennen kann. Er setzt sich neben mich und wirft einen Blick auf das Notizbuch â bevor er zu viel lesen kann, schlage ich es zu. Hilft allerdings nichts, er kann die Umschlagseite lesen, und die sagt schon genug. â The three keys? Hey, das kenn ich, das ist doch von dieserâ¦â Er sieht mich an, und ein ungläubiges Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit. Oh Gott, wie ich ihn dafür hasse, irgendwann vor mehr als einem Jahr konnte ich auch lächelnâ¦
â⦠Sie sind CHRISTINA CARTEN!â
Müde winke ich ab: âUnd wenn es so wäre? Willst du ein Autogramm?â
Er schüttelte den Kopf, um dann fasziniert zu sagen: âSie sind es wirklich! Ich hab mir erst vor kurzem ihr Buch gekauft, aber ich habe noch keine Zeit gefunden es zu lesenâ¦. es soll großartig sein...â Er wird immer leiser und schweigt schließlich verwirrt, als er mein trauriges Lächeln sieht. Eigentlich wollen mir die Tränen kommen. Was ich alles verpasst habe und nie mehr erleben werde. Meine Familie ⦠mein Jobâ¦
âWillst du die Geschichte hören? Von mir?â Ich sollte das nicht tun. Ich werde ihm nur schaden. Aber ich habe nur noch diese Stunde, um mich von allem zu verabschieden.
Er nickt.
Möge Claire dir gnädig sein.
Schlüssel
âMein Großvater, Markus Carten, starb vor elf Jahren um 22 Uhr. Ich war damals 10 Jahre alt, und sein Herz blieb stehen, als er nur einen Meter neben mir stand. Der Leichenbestatter verlangte viel Geld, weil er seine verkrampften Züge mit viel Mühe verändern musste, um eine Aufbahrung möglich zu machen, und meine Verwandten bemitleideten mich, dass ich das Dahinscheiden meines Großvaters auf so schreckliche Weise erleben musste. Aber ich habe mich nie daran erinnert, was damals geschah â in mir blieb nichts von dem Tod meines Großvaters zurück, nur eine Leere, als fehle mir tatsächlich ein Stück meiner Erinnerung. Ich glaubte später, zu jung gewesen zu sein, um zu begreifen, dass mein Großvater an einem Herzinfarkt gestorben war, und es deshalb verdrängt hätte.
Mit meinem Großvater starb die Person, die für mich verantwortlich gewesen war â meine Eltern waren irgendwann verschollen, und ich erinnerte mich nicht einmal an sie. So blieb ich mit meiner Schwester Anna, die 5 Jahre älter als ich war, allein zurück, und wir besaßen zusammen ein Vermögen von mehreren tausend Euro, ein riesiges Anwesen mit einem großen Garten, unsere Familie und die Verfügung, uns zur Verlesung des letzten Testaments erst in 9 Jahren wieder zu treffen.
Neun Jahre schienen mir eine sehr lange Zeit zu sein, doch der Tag war viel schneller da, als ich gedacht hätte. Für mich und meine Schwester hatte sich viel verändert, wir waren beide um die 20, selbstständig und studierten.
Ich erklärte mich bereit, die Lesung des letzten Testaments in Großvaters Haus stattfinden zu lassen. Damals bewohnte ich nur einen kleinen Teil des Hauses, und fast alle Zimmer dieses kleinen Teils befanden sich im Erdgeschoss. Anne hatte sich geweigert, dort zu leben, da sie das Haus schon immer als kalt und zugig empfunden hatte.
Da ich damit rechnete, dass einige Familienmitglieder im Haus übernachten würden, begann ich frühzeitig, die Zimmer zu putzen, Betten neu zu beziehen und zu lüften.
Ich erinnere mich genau: Es war ein Tag vor dem Treffen, am 12. 4., als ich beschloss, die großen Beete vor dem Haus zu bepflanzen. Es sollte nichts besonderes sein, ich kaufte vierzig Stiefmütterchen und beschloss, sie in je zwei Reihen auf den zwei Beeten zu setzen.
Mein Interesse für Gartenarbeit hielt sich damals wie heute in Grenzen, und deshalb verzichtete ich auf eine besondere Ausrüstung und beschloss, die Pflanzen mit den Händen zu setzen, indem ich einfach ein Loch in die Erde grub.
Als ich am Morgen des 13. meine Arbeit begann, war die Luft sehr klar, und ich begann sofort mit der Arbeit. Mein Besuch hatte sich für 15 Uhr angekündigt. Ich war gerade dabei, das achte Stiefmütterchen zu setzen, als ich beim Graben auf Widerstand stieß â zuerst dachte ich, auf einen Stein gestoßen zu sein, denn meine Hände waren klamm vom kalten und feuchten Boden. Als ich erneut dagegen stieß, fühlte ich, dass die Kante zu ebenmäßig war, um ein Stein zu sein. Vorsichtig begann ich, die Erde um den Gegenstand herum mit den Händen weg zu schieben.
Die Holztruhe, die ich schließlich heraus ziehen konnte, war größer, als ich erwartet hatte, aber sie maß trotzdem nur um die 15 cm. In den Deckel waren Zeichen eingeritzt, aber das Einzige, was ich von der Form her erkannte, waren ein Dreieck, ein Viereck und ein Fünfeck. Der Rest schien ein wirres Muster aus unzähligen Schnörkeln zu sein. Vorsichtig, immer noch mit kalten, von Erde klebrigen Händen, öffnete ich die Truhe. Darin lagen drei Schlüssel.
Im ersten Moment war mir völlig unklar, wozu sie gehören könnten, doch es schien mir, dass sie zu klein für eine der normalen Türen waren und zu groß für eine einfache Schmuckschatulle. Als ich gedanklich alle abschließbaren Möbelstücke des Hauses, die ich kannte, auf die Möglichkeit untersuchte, zu den Schlüsseln zu passen, erinnerte ich mich an den großen Schrank im Arbeitszimmer meines verstorbenen Großvaters. Ich wusste, der Schrank war abgeschlossen, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, ob er drei Schlüssellöcher besessen hatte â ich war seit neun Jahren nicht mehr dort gewesen. Mein Großvater war dort gestorben, und ich mied diesen Ort meistens, einerseits, weil er mich zu sehr an ihn erinnerte, andererseits, weil ich einfach keine Veranlassung hatte, in den zweiten Stock zu gehen. Vielleicht hätte es meinem Großvater gefallen, wenn wir in seinem Arbeitszimmer sein letztes Testament verlasen, das war der erste dumme Gedanke einer Flut von dummen Gedanken, die mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Aber das wusste ich damals nicht, und es erschien mir sinnvoll, gleichzeitig meinem Großvater zu gedenken und mich mit dem verschlossenen Schrank in seinem Arbeitszimmer zu beschäftigen. Also schloss ich das Holzkästchen, stellte es zur Seite und pflanzte die restlichen Stiefmütterchen, dann betrat ich das Haus, schrubbte eine halbe Stunde meine verdreckten Hände und das nicht weniger verdreckte Truhe, und stand schließlich, mit Schlüsseln, Staubtuch und einiger Erwartung vor der Tür des Arbeitszimmers, das mein Großvater bis zu seinem Tod am häufigsten von allen Räumen des Hauses bewohnt hatte. Er liebte Papier, erinnerte ich mich plötzlich. Urkunden, wichtige Briefe, Rechnungen, er hatte solchen Dingen immer viel Ehrfurcht, aber auch Liebe entgegen gebracht. Und er hatte gewissenhaft Tagebuch geführt, das fiel mir ebenfalls wieder ein, als ich vor der Tür stand. Vorsichtig griff ich nach der Türklinke und öffnete die Tür.
Staubig war eigentlich noch zu wenig gesagt - das Zimmer war regelrecht grauweiß, was allerdings auch daher rührte, dass Großvater eine Vorliebe für ein bestimmtes Holz hatte: Doussiè, ein dunkles, afrikanisches Holz, auf dem sich der Staub sehr gut sichtbar ablagern konnte. Während ich das Fenster aufriss, den Staub vom Schreibtisch wischte und ein paar Spinnen von ihren angestammten Plätzen vertrieb, erinnerte ich mich an die Eigenschaften dieses erstaunlichen Holzes â es war witterungs-, insekten- und säurebeständig. In Anbetracht der Tatsache, dass meine Familienmitglieder zwar weder Insekten noch Witterung, teilweise jedoch sehr giftig waren, wollte ich lachen, doch dann hielt ich inne. Der große Schrank aus dem gleichen, dunklen Holz, war ohne Staub. Nicht einmal ein dünner Film lag auf der Oberfläche des Möbelstücks. Und ich konnte meine Augen auf einmal nicht mehr von dem Schrank abwenden, sie wurden irgendwie festgehalten.
Ich wusste wieder, warum ich immer bei meinem Großvater im Arbeitszimmer spielen wollte â es war dieser Schrank gewesen. Eine dunkle Aura, nicht nur durch das dunkle, tiefbraune Holz, sondern aus dem Inneren heraus. Hatte Großvater den Schrank eigentlich jemals aufgeschlossen? Ich konnte mich an kein einziges Mal erinnern. Nun, die drei Schlüssellöcher des Schrankes schienen tatsächlich zu den Schlüsseln zu gehören, oder andersherum, wenn manâ¦
Jemand kratzte von innen an der Tür. Der Tür des großen Schrankes. Es war ein ganz leiser, flüsternder Laut. Und wieder. Nägel scharrten von innen über die Oberfläche, suchten nach einer Stelle, an der sie sich verhaken und das Holz aufreissen konnten.
Das ist kompletter Blödsinn, schalt ich mich, und dann ertönte ein Krachen. Ich schrie auf, und stolperte hastig drei Schritte zurück, in der Annahme, dass die Tür des Schrankes splitternâ¦
Nichts war mit dem Schrank geschehen. Einer der drei Schlüssel war von der Kante des großen Schreibtisches gefallen. Ich atmete hörbar auf, mein Herz pochte laut. Natürlich, es war nur die alte Schwerkraft, kein Geist.
(Du hast die Schlüssel in die Mitte des Schreibtischs gelegt)
Ich stand stocksteif da, als mich der Gedanke überfiel, und bewegte keinen Muskel. Ich prüfte mein Gedächtnis, während ich auf die zwei anderen Schlüssel starrte, die an der Kante des Tisches lagen. Ich hatte sie nicht dorthin gelegt, aber das war verrückt.
Es kratzte, als sich einer der beiden verbliebenen Schlüssel leise, ganz sacht, über die Tischplatte schob und mit einem ebenso lauten Krachen auf dem Boden landete.
(Die Schlüssel machen dieses scharrende Geräusch, wenn sie über die Tischplatte)
Hinter mir, vom Schrank her, ertönte erneut ein leises Scharren, von einem harten Gegenstand gegen Holz. Aber so ein kratzendes Geräusch konnte nicht von Fingernägeln ausgelöst werden.
(Dann sind es wahrscheinlich Knochen)
(Du bist verrückt da drin sitzt nur eine gefangene Maus die sich durch die Rückwand gefressen hat)
Konnte sich eine Maus überhaupt durch die Rückwand fressen? Dieses Holz war viel härter als anderes Holz, es widerstand Insekten, Witterung, Säure und
(lebendigen Toten)
bestimmt auch vielen anderen Dingen â wie sollte eine einfache kleine Maus sich durch dieses Holz beissen?
Wieder krachte es, als der dritte Schlüssel vom Schreibtisch auf den Fußboden fiel. Ich drehte mich weg vom Schrank, hob sie auf und ging zurück. Steckte den ersten Schlüssel in das dafür vorgesehene Schlüsselloch. Ich war wirklich und wahrhaftig für diesen Moment verrückt, aber es schien mir, als könnte ich keine 10 Minuten länger mit der Ungewissheit lebenâ¦
Es hupte draußen, ein quäkender, seltsamer Laut, der mich vielleicht zum Lachen gereizt hätte, wäre die Situation nicht so grotesk gewesen. Plötzlich merkte ich, dass meine Hände zitterten wie die einer alten Frau. Kalter Schweiß hatte mich von Kopf bis Fuß in seiner klebrigen Umarmung, und ein dumpfer Schmerz ging von meiner Hand aus. Ich sah auf sie hinab und erkannte, benommen und ohne Entsetzen, dass sich meine Fingernägel fast 3 Millimeter tief in meine Handfläche gebohrt hatten. Blut quoll hervor und fiel in lautlosen Tropfen auf den Fußboden â Doussiè, auch Afzelia genannt.
(Du wirst wahnsinnig)
Das quäkende Geräusch der Hupe, das mich jetzt erneut erreichte, liess einen hysterischen Lachanfall aus mir herausbrechen. Mit langsamen Schritten, ganz vorsichtig, ging ich zum Schreibtisch, legte die Schlüssel vorsichtig in seine Mitte, und dann rannte ich, als wäre der Teufel hinter mir her, nach unten.
Mein Großonkel Edward, von allen Ed genannt, musste sehr erstaunt gewesen sein, als ich schließlich aus der Haustür stolperte. Ich hatte mich in 5 Minuten geduscht, umgezogen und meine Hand bandagiert. Ich hatte mir vorgenommen, das Blut unauffällig aufzuwischen, wenn ich mit meinen Verwandten das Arbeitszimmer betrat, denn allein würden mich keine zehn Pferde noch einmal dort hinein bringen.
âWas hast du denn wieder angestellt?â Ed zeigte auf meine bandagierte Hand, und ich zuckte â möglichst lässig, unauffällig â mit den Achseln. âIch habe mich geschnitten.â âWomit?â Für einen Moment wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte, doch dann fiel mir eine Ausrede ein, eine sehr lasche zwar, aber sie musste genügen: âIch habe im Beet gegraben um die Stiefmütterchen zu pflanzen, und dabei bin ich auf einen spitzen Stein gestoßen.â Ed runzelte die Stirn, las aber in meinem Gesicht, dass er mich nicht weiter drängen sollte. Er kratzte sich das Kinn, als denke er nach, und gab dann zum Besten: âNaja, du hattest ja schon immer eine Schwäche für Verletzungen. Ich erinnere mich, dass du einmal über deine eigenen Füße gestolpert bist, als du drei warst, und dann einen Abhang hinunter gerollt bist. Du warst überall grün und blauâ¦â Ich wedelte ungeduldig mit der Hand. Ed kannte alle meine Katastrophenstorys von dem Tag an, als ich geboren war, und konnte stundenlang davon erzählen, was mir eher peinlich war â ich war im Alter von 2 â 12 Jahren wirklich dauernd auf die Nase gefallen.
Ein anschwellendes Dröhnen und das Knirschen von Rädern auf Kies unterbrach uns, anscheinend hatte es die Schwester meines Großvaters, sie hieß Carola, doch wieder hierher geschafft, zusammen mit ihrem uralten Ford, der eigentlich schon schrottreif war. Der Ansturm hatte also begonnen.
Schande
Als letzte und nur eine Stunde zu spät trafen schließlich meine Tante Sophie und ihr Mann Sam ein, die eine Arztpraxis für âseelisch Angeknacksteâ, wie sie es nannten, leiteten. Ich begleitete sie ins Esszimmer, wo meine laute Familie gerade über meinen selbstgebackenen Kuchen herfiel und die Lautstärke eines normalen Raketenstarts locker übertönte.
Meine Familie war ein bunter Haufen aller möglichen und unmöglichen Verwandtschaftsgrade, durch den ich selbst nicht durchsah, und ich hielt nur mit den hier Anwesenden Kontakt, der Rest der weitläufigen Familie war irgendwann vom Fernweh weit fortgezogen wurden â im extremsten Fall nach Japan. Was übrig blieb, war folgende Gästeliste:
Meine Tante Sophie und ihr Mann Sam, mein Onkel Thomas und seine Frau Helena, mein Großonkel Edward, geschieden, seine Töchter Luise und Sara, beide unverheiratet, meines Großvaters Schwester Carola, verwitwet und 95 Jahre alt, und meine Schwester Anna, Studentin und ebenfalls mit niemanden liiert, außerdem der Notar Burke, ein alter Freund meines Großvaters, der sich allerdings in Lautstärke und Gefräßigkeit zurückhielt.
Zusammen ergaben wir 11 Personen, eine Zahl, die bei dieser Familie Kopfschmerzen bereiten konnte. Während meine Schwester Anna mit Luise und Sara über irgendetwas fachsimpelte, was ich sowieso niemals verstehen würde â da es augenscheinlich um höhere Physik ging â schloss ich mich zuerst dem Gespräch zwischen Sam, Sophie, Thomas und Helena an und wechselte dann zu Ed und Carola, die ein beruhigend einfaches Gespräch über die unzähligen Schlaglöcher der Stadt begonnen hatten.
Schließlich stand ich auf und verschaffte mir unter der Zuhilfenahme eines Glases und eines Löffels Gehör â oder versuchte es, liess jedoch wegen meiner bandagierten Hand das Glas fallen und gewann damit doch die nötige Aufmerksamkeit. âIch dachte, wir könnten hinauf in Marcus Arbeitszimmer gehen, um uns den letzten Rest des Testaments anzuhören. Was meint ihr?â Beifälliges Gemurmel quittierte meinen guten Einfall, und alle standen auf und folgten mir in den zweiten Stock. Schließlich standen wir alle in dem geräumigen Zimmer. Eds Blick fiel fast augenblicklich auf die Blutstropfen vor dem Schrank. Er hob fragend eine Augenbraue. âWie gesagt, ich habe mich geschnitten, als ich Scherben aufgelesen habe, und dann bin ich schnell runter gelaufen, um ins Bad zu kommen, und dabei ist mir das ganze hier heruntergefallen.â Ich deutete auf die drei Schlüssel und das Kästchen, in denen sie gelegen hatten. Ich hatte es niemals hierher gebracht, aber es war da, lag zusammen mit den Schlüsseln auf dem Boden â sehr nahe am Schrank.
Ed betrachtete mich misstrauisch, ich hatte ihm ja eine ganz andere Geschichte erzählt, aber davon lies sch mich nicht aus dem Konzept bringen. âWürden sie Bitte anfangen?â, fragte ich den Notar, der daraufhin seinen eleganten Aktenkoffer öffnete und einen versiegelten Brief hervorholte. Wir alle lehnten oder setzten uns an oder auf irgendein Möbelstück, aber ich betrachtete interessiert, dass keiner auch nur in die Nähe des Schrankes kam, als wären Schrank und meine Verwandten gleich geladen und würden sich abstoßen.
Burke hob an und begann mit ein paar Formalitäten, riss dann den Brief auf und begann zu lesen:
âLiebe Familie,
es ist nun neun Jahre her, dass ich plötzlich und tragisch von euch gegangen bin.â
Alle runzelten die Stirn. Plötzlich und tragisch? Woher hatte er das ahnen können?
âNun liegt es an mir, meine Schuld von euch zu nehmen und euch für immer davon zu entlasten. Meine Schuld ist der große Schrank in meinem Arbeitszimmer. Öffnet ihn, selbst wenn ihr die Schlüssel gefunden habt, nicht â denn großes Unheil wie dieses kann selbst in so vielen Jahren nicht geläutert werden. Verbrennt ihn in einem heißen Feuer, zerstört ihn nicht auf andere Weise! Nehmt meine Warnung ernst, denn sonst wird der Zweig unserer Familie vielleicht für immer verdorren. Ich wünsche euch alles Glück der Welt.
Marcus Cartenâ
Schweigen breitete sich aus, dann fragte Carola mit ihrer etwas brüchigen Stimme: âIst mein Bruder denn völlig übergeschnappt? Einen derartigen brief wollen wir doch nicht etwa ernst nehmen! Hat der Schrank in den letzten Jahren jemand geschadet? Nein! Also lassen wir ihn stehen und vergessen das Ganze.â Ich zuckte mit den Schultern. âMir ist es egal, er steht zwar in meinem Haus, aber ich komme selten hier hoch.â
(Hinter mir scharrte wieder etwas. An der Tür des Schrankes. Ich versuchte, es nicht zu beachten, dieses schabende Geräusch.)
Sam konnte sich damit allerdings nicht abfinden, er war der geborene Entdecker neuer Kontinente und des unheimlichen Schrankinneren. âWenn wir ihn schon nicht verbrennen wollen, können wir genauso gut hineinsehen, oder etwa nicht? Wie Carola schon sagte, er wird kaum beissen!â
Jetzt tat ich etwas, was ich weder wollte noch wirklich begriff â ich hob die Schlüssel samt Kästchen auf und gab sie Sam. âBitte sehr, wenn du unbedingt willst.â Sam nickte und ging zum Schrank. Steckte den ersten Schlüssel hinein, drehte ihn herum. Es knackte leicht, als das erste Schloss zurücksprang. Dasselbe beim zweiten Schloss. Und schließlich beim dritten.
(TU DAS NICHT!)
âSam, vielleicht sollten wir diese Schrankgeschichte einfach sein lassenâ¦â Es war der atemlose Einwurf von Luise, der uns alle aufschauen liess. âAch Unsinn!â Mit einem kräftigen Ruck zog Sam an der Schranktür. Nichts geschah.
âTja, das dumme Ding scheint zu klemmen.â Sam zuckte mit den Achseln. Mein angehaltener Atem entlud sich in einem tiefen Seufzer, und ich liess mich schwer gegen den Tisch sinken. Am liebsten hätte ich ihm einen großen, harten Gegenstand â zum Beispiel den Briefbeschwerer - über den Kopf gezogen â ich hatte das Gefühl, nur knapp unglaublichem Unheil entkommen zu sein. Furchtbar knapp.
Helena ergriff als erste das Wort. âWas machen wir jetzt? Ich würde sagen, wir vergessen diesen ganzen Unsinn. Was immer im Schrank ist, kann dort bleiben.â
(Die Schranktür knarrte leise.)
Sophie schien mit dieser Antwort nicht zufrieden. âUnd was ist mit dem letzten Teil des Testaments? Können wir
(Hinter Burke materialisierte sich ein Schatten, ein wenig kleiner als normale Menschen, unmenschlich blass)
das ganze denn einfach so umgehen?â
(WER BIST DU?)
âIch glaube nicht, dass
(einer böser traum)
Ich schrie. Es hat keinen Sinn, das zu leugnen, ich begann zu schreien, hoch und schrill. Aber ich fühlte mich, als hätte man mir einen eiskalten Eimer Wasser ins Gehirn geschüttet, wo es ins Herz hinab sank und mein Blut gefrieren liess. Die schreckliche Gestalt hinter Burke war mir schrecklich vertraut und unmenschlich naheâ¦
Ich wusste nicht, ob ich mit schreien aufhörte, aber es spielte auch keine Rolle. Alle wandten sich erst zu mir und dann in die Richtung, in die ich starrte â und erstarrten ebenso wie ich.
Sie war wie eine tödliche Version von Caspar. Die Augen waren unheimlich groß in verfallenen, dunklen Höhlen, der Körper gedrungen und geschrumpft, das Haar eine fahle Wolke aus schwarzem Haar. Sie war eine böse Variante von Whoopie Goldberg, Inkarnation eines viel älteren Schreckens als des Teufelsâ¦
(NEIN BITTE TU MIR NICHTS NEIN BITTE TU MIR NICHTS BITTE BITTE LASS UNS AM LEBEN)
(nein)
Sie bewegte sich⦠ihr blasser Mund öffnete sich, offenbarte eine dunkle Grube voller fauliger Zähne. Großer fauliger Zähne. Messerscharfer fauliger Zähne.
Und dann
(ICH)
biss sie zu.
(BIN FREI)
Burkes Körper veränderte sich, auf interessante und drastische Weise. Dort, wo vorher die Schultern und der Kopf waren, klaffte nun ein großer, dunkelroter Riss. Sein grauer Anzug färbte sich dunkelrot, und seine Hände zuckten unkontrolliert, ebenso wie seine Füße, als ihnen ein letzter Befehl durch die Nervenbahnen schoss â Flucht. Doch für Burke war es zu spät.
Hinter seinem entstellten Körper, mit einem wahnsinnigen, blutverschmierten Grinsen, stand SIE. âGuten Tag.â Es war ein Donnerhall aus einer anderen Welt, und ich krümmte mich unter der tonlosen, aber entsetzlich diabolischen Stimme. âIch bin euch sehr dankbar, meine Freunde.â Die blassen Hände streckten sich, dehnten sich, weit über jede menschliche Hand hinweg, und ihr gespieltes Gähnen zeigte amüsierte, tödliche Gleichgültigkeit. âEs wird euch interessieren, zu erfahrenâ, fuhr sie fort, âdass ihr alle den nächsten Monat nicht mehr erleben werdet. Ich werde euch töten⦠einen nach dem anderen. Ist das nicht lustig und spaßig? Nicht wahr. Ach ja...â Sie blickte spöttisch auf Burkes steifen, endlich zur Ruhe gekommenen Körper hinab und leckte sich mit der Zunge Blut von den Zähnen. ââ¦das war nur der Anfang. Adios.â Und sie verschwand, gleich einer Trickfigur, im Schrank.
Meine Knie wurden weich, Helena ging tatsächlich auf die Knie und wurde nur von Thomas vor einem härteren Sturz bewahrt. Eds Lippen waren weiß wie Kreide. âSie wird zurückkommen. Verdammt, dieses Luder spielt mit uns. âSpielen? SPIELEN?! SIE WIRD UNS ALLE UMBRINGEN, DIESE KOMISCHE KUH!!â, schrie Sara hysterisch und fegte mit einer wütenden Geste eine Vase vom Tisch, die auf dem Boden förmlich zerplatzte. Ich hatte beinahe laut aufgelacht. Komische Kuh, was für ein herrlicher Ausdruck für Großvaters schreckliches Geheimnis, für das wir vielleicht alle unser Leben lassen würden. âBeruhigt euch, und zwar alleâ, schaltete Anna sich ein. In solchen Momenten war meine Schwester einfach am verlässlichsten. âEs wird uns nicht weiter bringen, Schimpfworte im Dutzend zu benutzen. Thomas, Chris, Sam, holt Werkzeuge. Wir brechen das verdammte Ding auf, und wenn wir ein Loch reinnagen müssen.â Ich nickte und ging mit Thomas und Sam das nötige Werkzeug beschaffen. Auch Anna machte sich auf den Weg.
Als wir schließlich wieder alle im Zimmer versammelt waren, hatten Helena und Sara bereits eine Tischdecke über Burke gelegt. Sie war durchgeblutet, ersparte aber das Schlimmste. Anna trug in der Hand ein riesiges silbernes Steakmesser, mit dem man Wildschweine hätte schlachten können â ein Geschenk von Carola, die immer darauf bestand, mindestens ein Set von âgutem Besteckâ im Haus zu haben. Ich sah zu ihr, um ihren missbilligenden Blick zu betrachten, doch er blieb mir erspart â sie war in eine gnädige Ohnmacht gefallen, die arme alte Frau. âAlso los.â Thomas nickte und nahm die Brechstange, die ich im Keller gefunden hatte. Er setzte sie vorsichtig an die Schranktür an und drückte dann mit all seiner Kraft. Seine Armmuskeln traten hervor, und dann geschah etwas Unglaubliches â die Brechstange zerbrach mit einem hohen, metallischen Laut einfach in der Mitte. Aus dem Schrank erklang ein leises, aber unüberhörbares Lachen, das sich langsam zu einem schrillen, kreischenden Gelächter ausweitete. Ich sah, wie Sara trotz meines Rauchverbots für das Haus eine Zigarette aus eine Packung fummelte und sie anzündete â ihre Hände brachten es kaum fertig, das Ding festzuhalten, geschweige denn, zu entzünden. Schließlich stopfte sie alles mit einer ärgerlichen Geste in ihre Tasche und wandte sich zur Tür. âMir reicht es mit diesem Horrortrip! Dann versucht doch, in diesen Scheißschrank zu kommen, ich muss morgen 4 Uhr zur Arbeit!â Damit rauschte sie aus der Tür. Ich sah zu Anna und Ed, und beide zuckten synchron mit den Schultern. Was konnte man dagegen tun? Nichts, ein Geist war kein Supermarkt, dem man an jeder Straßenecke begegnete.
âWas ist mit euch? Was wollen wir jetzt machen?â Ich sah, wie Helena mit den Schultern zuckte, Sam kratzte sich verlegen am Kopf, Ed runzelte die Stirn und schien mir nicht zuzuhören. Luise lächelte vorsichtig, nicht recht überzeugend, besser gesagt: kein bisschen überzeugend. âWir sollten das vielleicht erstmal auf sich berufen lassen und die Polizei...â âWas willst du denen sagen? Wir haben einen Geist gesehen, er hat den Notar gefressen?!â Annas Stimme klang unglaublich scharf, sodass Luise zusammenzuckte. âJedenfalls können wir erstmal nichts machen!â Beifälliges Gemurmel. Ich seufzte. âDann geht nach Hause, wenn ihr keine Lust habt, am leben zu bleiben.â Luise nahm beleidigt ihre Sachen und ging, Thomas und Helena gingen ebenfalls sehr hastig, aber eher voller Furcht. Sam und Sophie waren zögerlicher, sie schienen noch zu verwirrt. âWir werden unser möglichstes tun, um etwas herauszufinden, okay?â Sam sagte es vorsichtig, als hätte er Angst, wieder die scharfe Seite von Annas Zunge zu spüren zu bekommen, doch die blickte konzentriert auf das silberne Steakmesser, das immer noch in ihrer Hand ruhte.
Zu meinem Erschrecken ging sie mit schnellen Schritten auf den Schrank zu und hackte dreimal mit aller Kraft auf das dunkle Holz ein. Nichts passierte. âDas âVater unserâ ist dem Ding anscheinend scheißegalâ, stellte sie trocken fest und liess das Messer fallen. Es landete mit einem Klirren auf den Boden. Ich liess es liegen, ich fühlte mich, als hätte ich nicht die Kraft dazu, es aufzuheben. âWas machen wir?â Ed und Anna sahen sich an, als erwarteten sie vom jeweils anderen die Antwort. âUnibibliothek.â Anna sagte es ohne erkennbaren Grund, doch wir verstanden alle, was sie meinte. Ed zuckte mit den Schultern. âStadtarchiv?â Ich dachte nach und sagte dann nach einigem Zögern: âStadtbibliothek.â âDenkst du, dort findest du etwas?â Anna sagte es zweifelnd, doch ich konnte nur mit den Schultern zucken. âSie haben dort Internet, also könnte ich recherchieren.â Ed sah noch einmal zum Schrank hinüber und erschauerte. â Hoffen wir nur, dass uns genug Zeit bleibt.â
Rache
Als sowohl Anna als auch Ed mit der immer noch betäubten Carola im Schlepptau gegangen waren, aß ich nichts mehr, sondern liess mich ins Bett fallen. Ich fühlte mich ausgelaugt und nicht wirklich da, aber das war vielleicht kein Wunder. Ich rechnete kurz mit der Möglichkeit, dass ich die erste sein würde, die unter dem Geist zu leiden hätte, doch das erschien mir aus irgendeinem Grund unwahrscheinlich.
Als ich einschlief, heulte um das Haus ein schwerer, kalter Sturm. Die nächsten Stunden erwachte ich immer wieder von quälenden Alpträumen, Schreckensvisionen von dem, was nun im Arbeitszimmer meines Großvaters vorgehen mochte. Und dieser schreckliche Geist war immer Bestandteil davon. Schließlich, gegen 3 Uhr, fiel ich zum ersten Mal in einen tiefen Schlaf â und erwachte schließlich.
Ich war in Saras Wohnung. Ich konnte ihr helles, kühles Parkett unter meinen Fußsohlen spüren, doch gleichzeitig spürte ich den Bezug meines Bettes, warm und angenehm. Ich ging ein paar Schritte, federleicht und doch bewegungslos. Ich kam vor Saras Spiegelschrank zum Stehen und warf einen Blick hinein, flüchtig, auf dem Weg zur Küche, in der Licht brannte. Es wunderte mich kaum, dass meine Füße über dem Boden schwebten, und mehr noch, dass ich kaum sichtbar war. Es schien, als wäre mein Körper aus Glas, Riffelglas, das manchmal für Türen verwendet wurde, damit man das Dahinterliegende nicht eindeutig erkennen konnte. Ohne nachzudenken ging ich weiter, in Saras Küche.
Sie war damit beschäftigt, die Zeitung vom letzten Tag zu lesen. Vor ihr stand eine Tasse Kaffee, dampfend und tiefschwarz â man blieb von Saras Kaffee meist die ganze Nacht wach. Das war für sie auch bitter notwendig, sie war Krankenschwester und übernahm meist die frühen Schichten, die 5 Uhr begannen und erst drei Uhr nachmittags beendet waren.
(Im Kaffee spiegelte sich ein amüsiertes Gesicht, von dem ich glaubte, es sei meines)
Ich begann gerade, mich in meinem Traum wohl zu fühlen, als Sara sich den Teil Regionales nahm und die erste Seite aufschlug.
Auf dem großen Photo, inmitten einer fröhlichen Herde von Kindern, die die Eröffnung eines neuen, großen Kindergartens feierten, saß SIE.
Sara sah sie nicht, sie las die andere Seite, während dieses Monster mir winkte und Grimassen schnitt. Mir wurde schlecht, und es erschien mir, als müsste ich mich sofort übergeben. SIE fing schließlich an, im das Photo zu verändern. Die Kinder liefen schreiend auseinander, schwarzes Zeitungsblut spritzte, als sie einem der Kleinen eine kleine Hand abbiss und ihr damit wieder winkte. Ich schloss die Augen.
Und öffnete sie sofort wieder, als ich Saras Entsetzensschrei hörte. Eine lange Geisterhand, mehr Gerippe als Hand, griff aus dem Photo nach Sara. Ich sah atemlos zu, wie Sara die Zeitung mit einer abwehrenden Geste auf den Boden fegte, und dann nahm sie ihren Stuhl â ich glaubte es nicht einmal, als ich es sah â hob ihn hoch über ihren kopf, und schlug mit all ihrer Kraft auf die Zeitung ein, einmal, zweimal, immer wieder. Ihr Haar flog um ihren Kopf, und ich sah ihr verzerrtes Gesicht, als sie schrie: âNEIN! NEIN! DU BIST TOT! DU BIST TOT! WIR HABEN DICH GETÖTET!â
(ich bin dein schlimmster Alptraum)
Sara hörte es, und mit einer letzten, heftigen Geste, liess sie den Stuhl auf die zerfetzte Zeitung fallen, wo er, zersplittert und nur noch in Einzelteilen, endgültig auseinanderbrach.
(WIR HABEN DICH GETÖTET)
(Alpträume sterben nicht)
(daneben, daneben, daneben)
Sara sah auf, zu mir, zurück auf die Zeitung. âDU!â Ihr Gesicht wurde kalkweiß, als sie mich sah, wendete sich zu mir, und in diesem Moment begannen die Fetzen der Zeitung auf dem Boden zu rascheln,
(ich werde warten bis du wahnsinnig bist, und dann werde ich kommen und dich töten)
(SARA)
formierten sich zu einem dicken, grau-schwarzen Strang und begannen, sich um Sara zu wickeln, und sie schrie, schlug danach
(bis du wahnsinnig bist)
(hört sich so ein Tier an, wenn es in die Falle gegangen ist)
doch ihre Abwehr wurde schwächer, als ihr Mund, die Nase und schließlich ihre Augen unter Zeitungspapier verschwanden. Röchelnde Laute, schwächer werdendes Zappeln, dann Stille, zu Boden raschelnde Zeitung, ein vor Todesangst verzerrtes Gesicht.
(und dann werde ich kommen und dich töten)
âWARUM?!â Ich sank auf die Knie, und ich wollte schreien, aber es war nur ein Krächzen, das mir über die Lippen kam. SIE sah mich an, sah mir in die Augen, und LÄCHELTE.
âDas ist meine Rache. Rache Rache Rache ist Blutwurst.â Sie LACHTE. Mein Kopf dröhnte. âWAS WILLST DU?!â Ich erschrak, dieses weinerliche, bettelnde Winseln kam aus meinem Mund, und ich konnte nichts dagegen tun. âWAS?!â SIE LACHTE, noch dröhnender als vorher, und dieses Lachen steigerte sich zu einem schrecklichen, raubvogelartigen Kreischen. âICH WERDE WARTEN BIS DU WAHNSINNIG BIST, UND DANN WERDE ICH KOMMEN UND DICH TÖTEN! RACHE! RACHE! RACHE!â
Und sie flog auf mich zu, und riss mich mit sich, fort aus meinem Traum, und ich fielâ¦
Mein eigener, kalter Holzfußboden fing mich unsanft auf.
(kommen und dich töten)
Ich stand auf, und voller Angst, aber unfähig etwas anderes zu tun, stand ich auf und stolperte die Treppe in den zweiten Stock empor. Stand vor dem Schrank und konnte erst nicht begreifen, was ich sah.
(kommen und dich TÖTEN)
Eine Kerbe. Tief ins dunkle Holz gekratzt, von Nägeln, die so heiß sein mussten wie die Hölle, so verbrannt war das Holz.
(UND DICH TÖTEN TÖTEN TÖTEN KOMMEN UND DICH TÖTEN UND ASCHE ZU ASCHE UND STAUB ZU STAUB UND GEBEIN ZU GEBEIN ABER NEIN NIMMER MEHR FRIEDEN FÜR EUCH WIR HABEN DICH GETÖTET DOCH ICH BIN ZURÜCKGEKEHRT)
Mein heißes Gesicht sank gegen den Schrank, und ich weinte. Um mich. Und um Sara. Um meinen Großvater. Und um meine Familie. Und dann schlief ich wieder ein.
to be continued
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Ich entschuldige mich jetzt schon für alle Rechtschreibefehler.
Die drei Schlüssel
Schande, Rache, Frieden. Die drei Worte haben mich nicht weiter gebracht, und wahrscheinlich haben sie auch keine Bedeutung. Vielleicht bedeuten sie auch nur das, was sie bedeuten â ein kleiner Hoffnungsschimmer, immerhin.
Früher hätte man sagen können, dass ich ein ruhiger und ausgeglichener Mensch bin â jetzt stehe ich am Rande eines dunklen Abgrunds, und unten steht Claire und lacht und lacht und lacht.
Letztendlich ist vielleicht alles vergebens.
Trotzdem, ich frage mich, was mich auf die Idee gebracht hat, mich für die letzten Stunden meines Lebens in eine Disco zu setzen und auf Krampf zu versuchen, Spaß zu haben. Die Musik ist so laut, dass mir fast das Trommelfell platzt, und die vielen bunten Lichter verwirren mich. Es fragt sich außerdem, wer danach hier aufwischenâ¦
Ich werde abgelenkt von einem jungen Mann â er steuert auf mich zu und lächelt. Er sieht so fröhlich aus, wie ich jetzt vielleicht wäre, wenn das alles nie passiert wäre. Verdammt, ich werde sentimental.
âHi!â
Er muss brüllen, um sich verständlich zu machen. Ich möchte ihn mit ein paar netten Worten fortschicken, aber alles, was mir spontan über die Lippen kommt, ist:
âZieh Leine, Kleiner!â
Er ist kurz verblüfft, lächelt dann aber wieder. Er scheint einer von der hartnäckigen Sorte zu sein, und eigentlich hat mir das immer gefallen, aber eigentlich bin ich auch zu müde, um mich jetzt noch durch ein Gespräch zu quälen. Aber wenn er meint, mit mir reden zu wollen⦠vielleicht wird es mich vom Unvermeidlichen ablenken. Es ist 21 Uhr.
âDu kommst mir bekannt vor. Bist du oft hier?â Ich schüttele den Kopf zum Zeichen, dass ich ihn gar nicht kennen kann. Er setzt sich neben mich und wirft einen Blick auf das Notizbuch â bevor er zu viel lesen kann, schlage ich es zu. Hilft allerdings nichts, er kann die Umschlagseite lesen, und die sagt schon genug. â The three keys? Hey, das kenn ich, das ist doch von dieserâ¦â Er sieht mich an, und ein ungläubiges Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit. Oh Gott, wie ich ihn dafür hasse, irgendwann vor mehr als einem Jahr konnte ich auch lächelnâ¦
â⦠Sie sind CHRISTINA CARTEN!â
Müde winke ich ab: âUnd wenn es so wäre? Willst du ein Autogramm?â
Er schüttelte den Kopf, um dann fasziniert zu sagen: âSie sind es wirklich! Ich hab mir erst vor kurzem ihr Buch gekauft, aber ich habe noch keine Zeit gefunden es zu lesenâ¦. es soll großartig sein...â Er wird immer leiser und schweigt schließlich verwirrt, als er mein trauriges Lächeln sieht. Eigentlich wollen mir die Tränen kommen. Was ich alles verpasst habe und nie mehr erleben werde. Meine Familie ⦠mein Jobâ¦
âWillst du die Geschichte hören? Von mir?â Ich sollte das nicht tun. Ich werde ihm nur schaden. Aber ich habe nur noch diese Stunde, um mich von allem zu verabschieden.
Er nickt.
Möge Claire dir gnädig sein.
Schlüssel
âMein Großvater, Markus Carten, starb vor elf Jahren um 22 Uhr. Ich war damals 10 Jahre alt, und sein Herz blieb stehen, als er nur einen Meter neben mir stand. Der Leichenbestatter verlangte viel Geld, weil er seine verkrampften Züge mit viel Mühe verändern musste, um eine Aufbahrung möglich zu machen, und meine Verwandten bemitleideten mich, dass ich das Dahinscheiden meines Großvaters auf so schreckliche Weise erleben musste. Aber ich habe mich nie daran erinnert, was damals geschah â in mir blieb nichts von dem Tod meines Großvaters zurück, nur eine Leere, als fehle mir tatsächlich ein Stück meiner Erinnerung. Ich glaubte später, zu jung gewesen zu sein, um zu begreifen, dass mein Großvater an einem Herzinfarkt gestorben war, und es deshalb verdrängt hätte.
Mit meinem Großvater starb die Person, die für mich verantwortlich gewesen war â meine Eltern waren irgendwann verschollen, und ich erinnerte mich nicht einmal an sie. So blieb ich mit meiner Schwester Anna, die 5 Jahre älter als ich war, allein zurück, und wir besaßen zusammen ein Vermögen von mehreren tausend Euro, ein riesiges Anwesen mit einem großen Garten, unsere Familie und die Verfügung, uns zur Verlesung des letzten Testaments erst in 9 Jahren wieder zu treffen.
Neun Jahre schienen mir eine sehr lange Zeit zu sein, doch der Tag war viel schneller da, als ich gedacht hätte. Für mich und meine Schwester hatte sich viel verändert, wir waren beide um die 20, selbstständig und studierten.
Ich erklärte mich bereit, die Lesung des letzten Testaments in Großvaters Haus stattfinden zu lassen. Damals bewohnte ich nur einen kleinen Teil des Hauses, und fast alle Zimmer dieses kleinen Teils befanden sich im Erdgeschoss. Anne hatte sich geweigert, dort zu leben, da sie das Haus schon immer als kalt und zugig empfunden hatte.
Da ich damit rechnete, dass einige Familienmitglieder im Haus übernachten würden, begann ich frühzeitig, die Zimmer zu putzen, Betten neu zu beziehen und zu lüften.
Ich erinnere mich genau: Es war ein Tag vor dem Treffen, am 12. 4., als ich beschloss, die großen Beete vor dem Haus zu bepflanzen. Es sollte nichts besonderes sein, ich kaufte vierzig Stiefmütterchen und beschloss, sie in je zwei Reihen auf den zwei Beeten zu setzen.
Mein Interesse für Gartenarbeit hielt sich damals wie heute in Grenzen, und deshalb verzichtete ich auf eine besondere Ausrüstung und beschloss, die Pflanzen mit den Händen zu setzen, indem ich einfach ein Loch in die Erde grub.
Als ich am Morgen des 13. meine Arbeit begann, war die Luft sehr klar, und ich begann sofort mit der Arbeit. Mein Besuch hatte sich für 15 Uhr angekündigt. Ich war gerade dabei, das achte Stiefmütterchen zu setzen, als ich beim Graben auf Widerstand stieß â zuerst dachte ich, auf einen Stein gestoßen zu sein, denn meine Hände waren klamm vom kalten und feuchten Boden. Als ich erneut dagegen stieß, fühlte ich, dass die Kante zu ebenmäßig war, um ein Stein zu sein. Vorsichtig begann ich, die Erde um den Gegenstand herum mit den Händen weg zu schieben.
Die Holztruhe, die ich schließlich heraus ziehen konnte, war größer, als ich erwartet hatte, aber sie maß trotzdem nur um die 15 cm. In den Deckel waren Zeichen eingeritzt, aber das Einzige, was ich von der Form her erkannte, waren ein Dreieck, ein Viereck und ein Fünfeck. Der Rest schien ein wirres Muster aus unzähligen Schnörkeln zu sein. Vorsichtig, immer noch mit kalten, von Erde klebrigen Händen, öffnete ich die Truhe. Darin lagen drei Schlüssel.
Im ersten Moment war mir völlig unklar, wozu sie gehören könnten, doch es schien mir, dass sie zu klein für eine der normalen Türen waren und zu groß für eine einfache Schmuckschatulle. Als ich gedanklich alle abschließbaren Möbelstücke des Hauses, die ich kannte, auf die Möglichkeit untersuchte, zu den Schlüsseln zu passen, erinnerte ich mich an den großen Schrank im Arbeitszimmer meines verstorbenen Großvaters. Ich wusste, der Schrank war abgeschlossen, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, ob er drei Schlüssellöcher besessen hatte â ich war seit neun Jahren nicht mehr dort gewesen. Mein Großvater war dort gestorben, und ich mied diesen Ort meistens, einerseits, weil er mich zu sehr an ihn erinnerte, andererseits, weil ich einfach keine Veranlassung hatte, in den zweiten Stock zu gehen. Vielleicht hätte es meinem Großvater gefallen, wenn wir in seinem Arbeitszimmer sein letztes Testament verlasen, das war der erste dumme Gedanke einer Flut von dummen Gedanken, die mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Aber das wusste ich damals nicht, und es erschien mir sinnvoll, gleichzeitig meinem Großvater zu gedenken und mich mit dem verschlossenen Schrank in seinem Arbeitszimmer zu beschäftigen. Also schloss ich das Holzkästchen, stellte es zur Seite und pflanzte die restlichen Stiefmütterchen, dann betrat ich das Haus, schrubbte eine halbe Stunde meine verdreckten Hände und das nicht weniger verdreckte Truhe, und stand schließlich, mit Schlüsseln, Staubtuch und einiger Erwartung vor der Tür des Arbeitszimmers, das mein Großvater bis zu seinem Tod am häufigsten von allen Räumen des Hauses bewohnt hatte. Er liebte Papier, erinnerte ich mich plötzlich. Urkunden, wichtige Briefe, Rechnungen, er hatte solchen Dingen immer viel Ehrfurcht, aber auch Liebe entgegen gebracht. Und er hatte gewissenhaft Tagebuch geführt, das fiel mir ebenfalls wieder ein, als ich vor der Tür stand. Vorsichtig griff ich nach der Türklinke und öffnete die Tür.
Staubig war eigentlich noch zu wenig gesagt - das Zimmer war regelrecht grauweiß, was allerdings auch daher rührte, dass Großvater eine Vorliebe für ein bestimmtes Holz hatte: Doussiè, ein dunkles, afrikanisches Holz, auf dem sich der Staub sehr gut sichtbar ablagern konnte. Während ich das Fenster aufriss, den Staub vom Schreibtisch wischte und ein paar Spinnen von ihren angestammten Plätzen vertrieb, erinnerte ich mich an die Eigenschaften dieses erstaunlichen Holzes â es war witterungs-, insekten- und säurebeständig. In Anbetracht der Tatsache, dass meine Familienmitglieder zwar weder Insekten noch Witterung, teilweise jedoch sehr giftig waren, wollte ich lachen, doch dann hielt ich inne. Der große Schrank aus dem gleichen, dunklen Holz, war ohne Staub. Nicht einmal ein dünner Film lag auf der Oberfläche des Möbelstücks. Und ich konnte meine Augen auf einmal nicht mehr von dem Schrank abwenden, sie wurden irgendwie festgehalten.
Ich wusste wieder, warum ich immer bei meinem Großvater im Arbeitszimmer spielen wollte â es war dieser Schrank gewesen. Eine dunkle Aura, nicht nur durch das dunkle, tiefbraune Holz, sondern aus dem Inneren heraus. Hatte Großvater den Schrank eigentlich jemals aufgeschlossen? Ich konnte mich an kein einziges Mal erinnern. Nun, die drei Schlüssellöcher des Schrankes schienen tatsächlich zu den Schlüsseln zu gehören, oder andersherum, wenn manâ¦
Jemand kratzte von innen an der Tür. Der Tür des großen Schrankes. Es war ein ganz leiser, flüsternder Laut. Und wieder. Nägel scharrten von innen über die Oberfläche, suchten nach einer Stelle, an der sie sich verhaken und das Holz aufreissen konnten.
Das ist kompletter Blödsinn, schalt ich mich, und dann ertönte ein Krachen. Ich schrie auf, und stolperte hastig drei Schritte zurück, in der Annahme, dass die Tür des Schrankes splitternâ¦
Nichts war mit dem Schrank geschehen. Einer der drei Schlüssel war von der Kante des großen Schreibtisches gefallen. Ich atmete hörbar auf, mein Herz pochte laut. Natürlich, es war nur die alte Schwerkraft, kein Geist.
(Du hast die Schlüssel in die Mitte des Schreibtischs gelegt)
Ich stand stocksteif da, als mich der Gedanke überfiel, und bewegte keinen Muskel. Ich prüfte mein Gedächtnis, während ich auf die zwei anderen Schlüssel starrte, die an der Kante des Tisches lagen. Ich hatte sie nicht dorthin gelegt, aber das war verrückt.
Es kratzte, als sich einer der beiden verbliebenen Schlüssel leise, ganz sacht, über die Tischplatte schob und mit einem ebenso lauten Krachen auf dem Boden landete.
(Die Schlüssel machen dieses scharrende Geräusch, wenn sie über die Tischplatte)
Hinter mir, vom Schrank her, ertönte erneut ein leises Scharren, von einem harten Gegenstand gegen Holz. Aber so ein kratzendes Geräusch konnte nicht von Fingernägeln ausgelöst werden.
(Dann sind es wahrscheinlich Knochen)
(Du bist verrückt da drin sitzt nur eine gefangene Maus die sich durch die Rückwand gefressen hat)
Konnte sich eine Maus überhaupt durch die Rückwand fressen? Dieses Holz war viel härter als anderes Holz, es widerstand Insekten, Witterung, Säure und
(lebendigen Toten)
bestimmt auch vielen anderen Dingen â wie sollte eine einfache kleine Maus sich durch dieses Holz beissen?
Wieder krachte es, als der dritte Schlüssel vom Schreibtisch auf den Fußboden fiel. Ich drehte mich weg vom Schrank, hob sie auf und ging zurück. Steckte den ersten Schlüssel in das dafür vorgesehene Schlüsselloch. Ich war wirklich und wahrhaftig für diesen Moment verrückt, aber es schien mir, als könnte ich keine 10 Minuten länger mit der Ungewissheit lebenâ¦
Es hupte draußen, ein quäkender, seltsamer Laut, der mich vielleicht zum Lachen gereizt hätte, wäre die Situation nicht so grotesk gewesen. Plötzlich merkte ich, dass meine Hände zitterten wie die einer alten Frau. Kalter Schweiß hatte mich von Kopf bis Fuß in seiner klebrigen Umarmung, und ein dumpfer Schmerz ging von meiner Hand aus. Ich sah auf sie hinab und erkannte, benommen und ohne Entsetzen, dass sich meine Fingernägel fast 3 Millimeter tief in meine Handfläche gebohrt hatten. Blut quoll hervor und fiel in lautlosen Tropfen auf den Fußboden â Doussiè, auch Afzelia genannt.
(Du wirst wahnsinnig)
Das quäkende Geräusch der Hupe, das mich jetzt erneut erreichte, liess einen hysterischen Lachanfall aus mir herausbrechen. Mit langsamen Schritten, ganz vorsichtig, ging ich zum Schreibtisch, legte die Schlüssel vorsichtig in seine Mitte, und dann rannte ich, als wäre der Teufel hinter mir her, nach unten.
Mein Großonkel Edward, von allen Ed genannt, musste sehr erstaunt gewesen sein, als ich schließlich aus der Haustür stolperte. Ich hatte mich in 5 Minuten geduscht, umgezogen und meine Hand bandagiert. Ich hatte mir vorgenommen, das Blut unauffällig aufzuwischen, wenn ich mit meinen Verwandten das Arbeitszimmer betrat, denn allein würden mich keine zehn Pferde noch einmal dort hinein bringen.
âWas hast du denn wieder angestellt?â Ed zeigte auf meine bandagierte Hand, und ich zuckte â möglichst lässig, unauffällig â mit den Achseln. âIch habe mich geschnitten.â âWomit?â Für einen Moment wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte, doch dann fiel mir eine Ausrede ein, eine sehr lasche zwar, aber sie musste genügen: âIch habe im Beet gegraben um die Stiefmütterchen zu pflanzen, und dabei bin ich auf einen spitzen Stein gestoßen.â Ed runzelte die Stirn, las aber in meinem Gesicht, dass er mich nicht weiter drängen sollte. Er kratzte sich das Kinn, als denke er nach, und gab dann zum Besten: âNaja, du hattest ja schon immer eine Schwäche für Verletzungen. Ich erinnere mich, dass du einmal über deine eigenen Füße gestolpert bist, als du drei warst, und dann einen Abhang hinunter gerollt bist. Du warst überall grün und blauâ¦â Ich wedelte ungeduldig mit der Hand. Ed kannte alle meine Katastrophenstorys von dem Tag an, als ich geboren war, und konnte stundenlang davon erzählen, was mir eher peinlich war â ich war im Alter von 2 â 12 Jahren wirklich dauernd auf die Nase gefallen.
Ein anschwellendes Dröhnen und das Knirschen von Rädern auf Kies unterbrach uns, anscheinend hatte es die Schwester meines Großvaters, sie hieß Carola, doch wieder hierher geschafft, zusammen mit ihrem uralten Ford, der eigentlich schon schrottreif war. Der Ansturm hatte also begonnen.
Schande
Als letzte und nur eine Stunde zu spät trafen schließlich meine Tante Sophie und ihr Mann Sam ein, die eine Arztpraxis für âseelisch Angeknacksteâ, wie sie es nannten, leiteten. Ich begleitete sie ins Esszimmer, wo meine laute Familie gerade über meinen selbstgebackenen Kuchen herfiel und die Lautstärke eines normalen Raketenstarts locker übertönte.
Meine Familie war ein bunter Haufen aller möglichen und unmöglichen Verwandtschaftsgrade, durch den ich selbst nicht durchsah, und ich hielt nur mit den hier Anwesenden Kontakt, der Rest der weitläufigen Familie war irgendwann vom Fernweh weit fortgezogen wurden â im extremsten Fall nach Japan. Was übrig blieb, war folgende Gästeliste:
Meine Tante Sophie und ihr Mann Sam, mein Onkel Thomas und seine Frau Helena, mein Großonkel Edward, geschieden, seine Töchter Luise und Sara, beide unverheiratet, meines Großvaters Schwester Carola, verwitwet und 95 Jahre alt, und meine Schwester Anna, Studentin und ebenfalls mit niemanden liiert, außerdem der Notar Burke, ein alter Freund meines Großvaters, der sich allerdings in Lautstärke und Gefräßigkeit zurückhielt.
Zusammen ergaben wir 11 Personen, eine Zahl, die bei dieser Familie Kopfschmerzen bereiten konnte. Während meine Schwester Anna mit Luise und Sara über irgendetwas fachsimpelte, was ich sowieso niemals verstehen würde â da es augenscheinlich um höhere Physik ging â schloss ich mich zuerst dem Gespräch zwischen Sam, Sophie, Thomas und Helena an und wechselte dann zu Ed und Carola, die ein beruhigend einfaches Gespräch über die unzähligen Schlaglöcher der Stadt begonnen hatten.
Schließlich stand ich auf und verschaffte mir unter der Zuhilfenahme eines Glases und eines Löffels Gehör â oder versuchte es, liess jedoch wegen meiner bandagierten Hand das Glas fallen und gewann damit doch die nötige Aufmerksamkeit. âIch dachte, wir könnten hinauf in Marcus Arbeitszimmer gehen, um uns den letzten Rest des Testaments anzuhören. Was meint ihr?â Beifälliges Gemurmel quittierte meinen guten Einfall, und alle standen auf und folgten mir in den zweiten Stock. Schließlich standen wir alle in dem geräumigen Zimmer. Eds Blick fiel fast augenblicklich auf die Blutstropfen vor dem Schrank. Er hob fragend eine Augenbraue. âWie gesagt, ich habe mich geschnitten, als ich Scherben aufgelesen habe, und dann bin ich schnell runter gelaufen, um ins Bad zu kommen, und dabei ist mir das ganze hier heruntergefallen.â Ich deutete auf die drei Schlüssel und das Kästchen, in denen sie gelegen hatten. Ich hatte es niemals hierher gebracht, aber es war da, lag zusammen mit den Schlüsseln auf dem Boden â sehr nahe am Schrank.
Ed betrachtete mich misstrauisch, ich hatte ihm ja eine ganz andere Geschichte erzählt, aber davon lies sch mich nicht aus dem Konzept bringen. âWürden sie Bitte anfangen?â, fragte ich den Notar, der daraufhin seinen eleganten Aktenkoffer öffnete und einen versiegelten Brief hervorholte. Wir alle lehnten oder setzten uns an oder auf irgendein Möbelstück, aber ich betrachtete interessiert, dass keiner auch nur in die Nähe des Schrankes kam, als wären Schrank und meine Verwandten gleich geladen und würden sich abstoßen.
Burke hob an und begann mit ein paar Formalitäten, riss dann den Brief auf und begann zu lesen:
âLiebe Familie,
es ist nun neun Jahre her, dass ich plötzlich und tragisch von euch gegangen bin.â
Alle runzelten die Stirn. Plötzlich und tragisch? Woher hatte er das ahnen können?
âNun liegt es an mir, meine Schuld von euch zu nehmen und euch für immer davon zu entlasten. Meine Schuld ist der große Schrank in meinem Arbeitszimmer. Öffnet ihn, selbst wenn ihr die Schlüssel gefunden habt, nicht â denn großes Unheil wie dieses kann selbst in so vielen Jahren nicht geläutert werden. Verbrennt ihn in einem heißen Feuer, zerstört ihn nicht auf andere Weise! Nehmt meine Warnung ernst, denn sonst wird der Zweig unserer Familie vielleicht für immer verdorren. Ich wünsche euch alles Glück der Welt.
Marcus Cartenâ
Schweigen breitete sich aus, dann fragte Carola mit ihrer etwas brüchigen Stimme: âIst mein Bruder denn völlig übergeschnappt? Einen derartigen brief wollen wir doch nicht etwa ernst nehmen! Hat der Schrank in den letzten Jahren jemand geschadet? Nein! Also lassen wir ihn stehen und vergessen das Ganze.â Ich zuckte mit den Schultern. âMir ist es egal, er steht zwar in meinem Haus, aber ich komme selten hier hoch.â
(Hinter mir scharrte wieder etwas. An der Tür des Schrankes. Ich versuchte, es nicht zu beachten, dieses schabende Geräusch.)
Sam konnte sich damit allerdings nicht abfinden, er war der geborene Entdecker neuer Kontinente und des unheimlichen Schrankinneren. âWenn wir ihn schon nicht verbrennen wollen, können wir genauso gut hineinsehen, oder etwa nicht? Wie Carola schon sagte, er wird kaum beissen!â
Jetzt tat ich etwas, was ich weder wollte noch wirklich begriff â ich hob die Schlüssel samt Kästchen auf und gab sie Sam. âBitte sehr, wenn du unbedingt willst.â Sam nickte und ging zum Schrank. Steckte den ersten Schlüssel hinein, drehte ihn herum. Es knackte leicht, als das erste Schloss zurücksprang. Dasselbe beim zweiten Schloss. Und schließlich beim dritten.
(TU DAS NICHT!)
âSam, vielleicht sollten wir diese Schrankgeschichte einfach sein lassenâ¦â Es war der atemlose Einwurf von Luise, der uns alle aufschauen liess. âAch Unsinn!â Mit einem kräftigen Ruck zog Sam an der Schranktür. Nichts geschah.
âTja, das dumme Ding scheint zu klemmen.â Sam zuckte mit den Achseln. Mein angehaltener Atem entlud sich in einem tiefen Seufzer, und ich liess mich schwer gegen den Tisch sinken. Am liebsten hätte ich ihm einen großen, harten Gegenstand â zum Beispiel den Briefbeschwerer - über den Kopf gezogen â ich hatte das Gefühl, nur knapp unglaublichem Unheil entkommen zu sein. Furchtbar knapp.
Helena ergriff als erste das Wort. âWas machen wir jetzt? Ich würde sagen, wir vergessen diesen ganzen Unsinn. Was immer im Schrank ist, kann dort bleiben.â
(Die Schranktür knarrte leise.)
Sophie schien mit dieser Antwort nicht zufrieden. âUnd was ist mit dem letzten Teil des Testaments? Können wir
(Hinter Burke materialisierte sich ein Schatten, ein wenig kleiner als normale Menschen, unmenschlich blass)
das ganze denn einfach so umgehen?â
(WER BIST DU?)
âIch glaube nicht, dass
(einer böser traum)
Ich schrie. Es hat keinen Sinn, das zu leugnen, ich begann zu schreien, hoch und schrill. Aber ich fühlte mich, als hätte man mir einen eiskalten Eimer Wasser ins Gehirn geschüttet, wo es ins Herz hinab sank und mein Blut gefrieren liess. Die schreckliche Gestalt hinter Burke war mir schrecklich vertraut und unmenschlich naheâ¦
Ich wusste nicht, ob ich mit schreien aufhörte, aber es spielte auch keine Rolle. Alle wandten sich erst zu mir und dann in die Richtung, in die ich starrte â und erstarrten ebenso wie ich.
Sie war wie eine tödliche Version von Caspar. Die Augen waren unheimlich groß in verfallenen, dunklen Höhlen, der Körper gedrungen und geschrumpft, das Haar eine fahle Wolke aus schwarzem Haar. Sie war eine böse Variante von Whoopie Goldberg, Inkarnation eines viel älteren Schreckens als des Teufelsâ¦
(NEIN BITTE TU MIR NICHTS NEIN BITTE TU MIR NICHTS BITTE BITTE LASS UNS AM LEBEN)
(nein)
Sie bewegte sich⦠ihr blasser Mund öffnete sich, offenbarte eine dunkle Grube voller fauliger Zähne. Großer fauliger Zähne. Messerscharfer fauliger Zähne.
Und dann
(ICH)
biss sie zu.
(BIN FREI)
Burkes Körper veränderte sich, auf interessante und drastische Weise. Dort, wo vorher die Schultern und der Kopf waren, klaffte nun ein großer, dunkelroter Riss. Sein grauer Anzug färbte sich dunkelrot, und seine Hände zuckten unkontrolliert, ebenso wie seine Füße, als ihnen ein letzter Befehl durch die Nervenbahnen schoss â Flucht. Doch für Burke war es zu spät.
Hinter seinem entstellten Körper, mit einem wahnsinnigen, blutverschmierten Grinsen, stand SIE. âGuten Tag.â Es war ein Donnerhall aus einer anderen Welt, und ich krümmte mich unter der tonlosen, aber entsetzlich diabolischen Stimme. âIch bin euch sehr dankbar, meine Freunde.â Die blassen Hände streckten sich, dehnten sich, weit über jede menschliche Hand hinweg, und ihr gespieltes Gähnen zeigte amüsierte, tödliche Gleichgültigkeit. âEs wird euch interessieren, zu erfahrenâ, fuhr sie fort, âdass ihr alle den nächsten Monat nicht mehr erleben werdet. Ich werde euch töten⦠einen nach dem anderen. Ist das nicht lustig und spaßig? Nicht wahr. Ach ja...â Sie blickte spöttisch auf Burkes steifen, endlich zur Ruhe gekommenen Körper hinab und leckte sich mit der Zunge Blut von den Zähnen. ââ¦das war nur der Anfang. Adios.â Und sie verschwand, gleich einer Trickfigur, im Schrank.
Meine Knie wurden weich, Helena ging tatsächlich auf die Knie und wurde nur von Thomas vor einem härteren Sturz bewahrt. Eds Lippen waren weiß wie Kreide. âSie wird zurückkommen. Verdammt, dieses Luder spielt mit uns. âSpielen? SPIELEN?! SIE WIRD UNS ALLE UMBRINGEN, DIESE KOMISCHE KUH!!â, schrie Sara hysterisch und fegte mit einer wütenden Geste eine Vase vom Tisch, die auf dem Boden förmlich zerplatzte. Ich hatte beinahe laut aufgelacht. Komische Kuh, was für ein herrlicher Ausdruck für Großvaters schreckliches Geheimnis, für das wir vielleicht alle unser Leben lassen würden. âBeruhigt euch, und zwar alleâ, schaltete Anna sich ein. In solchen Momenten war meine Schwester einfach am verlässlichsten. âEs wird uns nicht weiter bringen, Schimpfworte im Dutzend zu benutzen. Thomas, Chris, Sam, holt Werkzeuge. Wir brechen das verdammte Ding auf, und wenn wir ein Loch reinnagen müssen.â Ich nickte und ging mit Thomas und Sam das nötige Werkzeug beschaffen. Auch Anna machte sich auf den Weg.
Als wir schließlich wieder alle im Zimmer versammelt waren, hatten Helena und Sara bereits eine Tischdecke über Burke gelegt. Sie war durchgeblutet, ersparte aber das Schlimmste. Anna trug in der Hand ein riesiges silbernes Steakmesser, mit dem man Wildschweine hätte schlachten können â ein Geschenk von Carola, die immer darauf bestand, mindestens ein Set von âgutem Besteckâ im Haus zu haben. Ich sah zu ihr, um ihren missbilligenden Blick zu betrachten, doch er blieb mir erspart â sie war in eine gnädige Ohnmacht gefallen, die arme alte Frau. âAlso los.â Thomas nickte und nahm die Brechstange, die ich im Keller gefunden hatte. Er setzte sie vorsichtig an die Schranktür an und drückte dann mit all seiner Kraft. Seine Armmuskeln traten hervor, und dann geschah etwas Unglaubliches â die Brechstange zerbrach mit einem hohen, metallischen Laut einfach in der Mitte. Aus dem Schrank erklang ein leises, aber unüberhörbares Lachen, das sich langsam zu einem schrillen, kreischenden Gelächter ausweitete. Ich sah, wie Sara trotz meines Rauchverbots für das Haus eine Zigarette aus eine Packung fummelte und sie anzündete â ihre Hände brachten es kaum fertig, das Ding festzuhalten, geschweige denn, zu entzünden. Schließlich stopfte sie alles mit einer ärgerlichen Geste in ihre Tasche und wandte sich zur Tür. âMir reicht es mit diesem Horrortrip! Dann versucht doch, in diesen Scheißschrank zu kommen, ich muss morgen 4 Uhr zur Arbeit!â Damit rauschte sie aus der Tür. Ich sah zu Anna und Ed, und beide zuckten synchron mit den Schultern. Was konnte man dagegen tun? Nichts, ein Geist war kein Supermarkt, dem man an jeder Straßenecke begegnete.
âWas ist mit euch? Was wollen wir jetzt machen?â Ich sah, wie Helena mit den Schultern zuckte, Sam kratzte sich verlegen am Kopf, Ed runzelte die Stirn und schien mir nicht zuzuhören. Luise lächelte vorsichtig, nicht recht überzeugend, besser gesagt: kein bisschen überzeugend. âWir sollten das vielleicht erstmal auf sich berufen lassen und die Polizei...â âWas willst du denen sagen? Wir haben einen Geist gesehen, er hat den Notar gefressen?!â Annas Stimme klang unglaublich scharf, sodass Luise zusammenzuckte. âJedenfalls können wir erstmal nichts machen!â Beifälliges Gemurmel. Ich seufzte. âDann geht nach Hause, wenn ihr keine Lust habt, am leben zu bleiben.â Luise nahm beleidigt ihre Sachen und ging, Thomas und Helena gingen ebenfalls sehr hastig, aber eher voller Furcht. Sam und Sophie waren zögerlicher, sie schienen noch zu verwirrt. âWir werden unser möglichstes tun, um etwas herauszufinden, okay?â Sam sagte es vorsichtig, als hätte er Angst, wieder die scharfe Seite von Annas Zunge zu spüren zu bekommen, doch die blickte konzentriert auf das silberne Steakmesser, das immer noch in ihrer Hand ruhte.
Zu meinem Erschrecken ging sie mit schnellen Schritten auf den Schrank zu und hackte dreimal mit aller Kraft auf das dunkle Holz ein. Nichts passierte. âDas âVater unserâ ist dem Ding anscheinend scheißegalâ, stellte sie trocken fest und liess das Messer fallen. Es landete mit einem Klirren auf den Boden. Ich liess es liegen, ich fühlte mich, als hätte ich nicht die Kraft dazu, es aufzuheben. âWas machen wir?â Ed und Anna sahen sich an, als erwarteten sie vom jeweils anderen die Antwort. âUnibibliothek.â Anna sagte es ohne erkennbaren Grund, doch wir verstanden alle, was sie meinte. Ed zuckte mit den Schultern. âStadtarchiv?â Ich dachte nach und sagte dann nach einigem Zögern: âStadtbibliothek.â âDenkst du, dort findest du etwas?â Anna sagte es zweifelnd, doch ich konnte nur mit den Schultern zucken. âSie haben dort Internet, also könnte ich recherchieren.â Ed sah noch einmal zum Schrank hinüber und erschauerte. â Hoffen wir nur, dass uns genug Zeit bleibt.â
Rache
Als sowohl Anna als auch Ed mit der immer noch betäubten Carola im Schlepptau gegangen waren, aß ich nichts mehr, sondern liess mich ins Bett fallen. Ich fühlte mich ausgelaugt und nicht wirklich da, aber das war vielleicht kein Wunder. Ich rechnete kurz mit der Möglichkeit, dass ich die erste sein würde, die unter dem Geist zu leiden hätte, doch das erschien mir aus irgendeinem Grund unwahrscheinlich.
Als ich einschlief, heulte um das Haus ein schwerer, kalter Sturm. Die nächsten Stunden erwachte ich immer wieder von quälenden Alpträumen, Schreckensvisionen von dem, was nun im Arbeitszimmer meines Großvaters vorgehen mochte. Und dieser schreckliche Geist war immer Bestandteil davon. Schließlich, gegen 3 Uhr, fiel ich zum ersten Mal in einen tiefen Schlaf â und erwachte schließlich.
Ich war in Saras Wohnung. Ich konnte ihr helles, kühles Parkett unter meinen Fußsohlen spüren, doch gleichzeitig spürte ich den Bezug meines Bettes, warm und angenehm. Ich ging ein paar Schritte, federleicht und doch bewegungslos. Ich kam vor Saras Spiegelschrank zum Stehen und warf einen Blick hinein, flüchtig, auf dem Weg zur Küche, in der Licht brannte. Es wunderte mich kaum, dass meine Füße über dem Boden schwebten, und mehr noch, dass ich kaum sichtbar war. Es schien, als wäre mein Körper aus Glas, Riffelglas, das manchmal für Türen verwendet wurde, damit man das Dahinterliegende nicht eindeutig erkennen konnte. Ohne nachzudenken ging ich weiter, in Saras Küche.
Sie war damit beschäftigt, die Zeitung vom letzten Tag zu lesen. Vor ihr stand eine Tasse Kaffee, dampfend und tiefschwarz â man blieb von Saras Kaffee meist die ganze Nacht wach. Das war für sie auch bitter notwendig, sie war Krankenschwester und übernahm meist die frühen Schichten, die 5 Uhr begannen und erst drei Uhr nachmittags beendet waren.
(Im Kaffee spiegelte sich ein amüsiertes Gesicht, von dem ich glaubte, es sei meines)
Ich begann gerade, mich in meinem Traum wohl zu fühlen, als Sara sich den Teil Regionales nahm und die erste Seite aufschlug.
Auf dem großen Photo, inmitten einer fröhlichen Herde von Kindern, die die Eröffnung eines neuen, großen Kindergartens feierten, saß SIE.
Sara sah sie nicht, sie las die andere Seite, während dieses Monster mir winkte und Grimassen schnitt. Mir wurde schlecht, und es erschien mir, als müsste ich mich sofort übergeben. SIE fing schließlich an, im das Photo zu verändern. Die Kinder liefen schreiend auseinander, schwarzes Zeitungsblut spritzte, als sie einem der Kleinen eine kleine Hand abbiss und ihr damit wieder winkte. Ich schloss die Augen.
Und öffnete sie sofort wieder, als ich Saras Entsetzensschrei hörte. Eine lange Geisterhand, mehr Gerippe als Hand, griff aus dem Photo nach Sara. Ich sah atemlos zu, wie Sara die Zeitung mit einer abwehrenden Geste auf den Boden fegte, und dann nahm sie ihren Stuhl â ich glaubte es nicht einmal, als ich es sah â hob ihn hoch über ihren kopf, und schlug mit all ihrer Kraft auf die Zeitung ein, einmal, zweimal, immer wieder. Ihr Haar flog um ihren Kopf, und ich sah ihr verzerrtes Gesicht, als sie schrie: âNEIN! NEIN! DU BIST TOT! DU BIST TOT! WIR HABEN DICH GETÖTET!â
(ich bin dein schlimmster Alptraum)
Sara hörte es, und mit einer letzten, heftigen Geste, liess sie den Stuhl auf die zerfetzte Zeitung fallen, wo er, zersplittert und nur noch in Einzelteilen, endgültig auseinanderbrach.
(WIR HABEN DICH GETÖTET)
(Alpträume sterben nicht)
(daneben, daneben, daneben)
Sara sah auf, zu mir, zurück auf die Zeitung. âDU!â Ihr Gesicht wurde kalkweiß, als sie mich sah, wendete sich zu mir, und in diesem Moment begannen die Fetzen der Zeitung auf dem Boden zu rascheln,
(ich werde warten bis du wahnsinnig bist, und dann werde ich kommen und dich töten)
(SARA)
formierten sich zu einem dicken, grau-schwarzen Strang und begannen, sich um Sara zu wickeln, und sie schrie, schlug danach
(bis du wahnsinnig bist)
(hört sich so ein Tier an, wenn es in die Falle gegangen ist)
doch ihre Abwehr wurde schwächer, als ihr Mund, die Nase und schließlich ihre Augen unter Zeitungspapier verschwanden. Röchelnde Laute, schwächer werdendes Zappeln, dann Stille, zu Boden raschelnde Zeitung, ein vor Todesangst verzerrtes Gesicht.
(und dann werde ich kommen und dich töten)
âWARUM?!â Ich sank auf die Knie, und ich wollte schreien, aber es war nur ein Krächzen, das mir über die Lippen kam. SIE sah mich an, sah mir in die Augen, und LÄCHELTE.
âDas ist meine Rache. Rache Rache Rache ist Blutwurst.â Sie LACHTE. Mein Kopf dröhnte. âWAS WILLST DU?!â Ich erschrak, dieses weinerliche, bettelnde Winseln kam aus meinem Mund, und ich konnte nichts dagegen tun. âWAS?!â SIE LACHTE, noch dröhnender als vorher, und dieses Lachen steigerte sich zu einem schrecklichen, raubvogelartigen Kreischen. âICH WERDE WARTEN BIS DU WAHNSINNIG BIST, UND DANN WERDE ICH KOMMEN UND DICH TÖTEN! RACHE! RACHE! RACHE!â
Und sie flog auf mich zu, und riss mich mit sich, fort aus meinem Traum, und ich fielâ¦
Mein eigener, kalter Holzfußboden fing mich unsanft auf.
(kommen und dich töten)
Ich stand auf, und voller Angst, aber unfähig etwas anderes zu tun, stand ich auf und stolperte die Treppe in den zweiten Stock empor. Stand vor dem Schrank und konnte erst nicht begreifen, was ich sah.
(kommen und dich TÖTEN)
Eine Kerbe. Tief ins dunkle Holz gekratzt, von Nägeln, die so heiß sein mussten wie die Hölle, so verbrannt war das Holz.
(UND DICH TÖTEN TÖTEN TÖTEN KOMMEN UND DICH TÖTEN UND ASCHE ZU ASCHE UND STAUB ZU STAUB UND GEBEIN ZU GEBEIN ABER NEIN NIMMER MEHR FRIEDEN FÜR EUCH WIR HABEN DICH GETÖTET DOCH ICH BIN ZURÜCKGEKEHRT)
Mein heißes Gesicht sank gegen den Schrank, und ich weinte. Um mich. Und um Sara. Um meinen Großvater. Und um meine Familie. Und dann schlief ich wieder ein.
to be continued
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Ich entschuldige mich jetzt schon für alle Rechtschreibefehler.