[Diskussion] Facebook/Blizzard

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Soll es nach Facebook und Blizzard gehen werden bald alle registrierten User Gläsern sein, wie denkt ihr darüber ist das wirklich ein Fortschritt zum Wohle von allen oder eher ein Schritt ins Negative? Ich selbst bin Froh weder World of Warcraft zu spielen oder gar bei Facebook registriert zu sein.

http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,705406,00.html



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08.07.2010

Klarnamenzwang bei "World of Warcraft"
Facebook verdirbt die Sitten

Von Christian Stöcker

"World of Warcraft"-Spielfigur: Im Forum künftig bitte als Lieschen Müller

Heinz Müller statt Tollagorim - Orks, Elfen und Zauberer sollen künftig gefälligst im "World of Warcraft"-Forum sagen, wie sie wirklich heißen. Das will der Betreiber Blizzard erzwingen. Online-Rollenspieler sind wütend über den Schritt, hinter dem der gewaltige Einfluss von Facebook steckt.

Gute Witze haben ja immer einen wahren Kern, und wohl deshalb ist dieser "New Yorker"-Cartoon zu einem Klassiker, einem Sprichwort geworden: "Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist."

Jetzt scheint das Sprichwort seine Gültigkeit zu verlieren: Künftig soll im Internet jeder wissen, ob man ein Hund ist. Das aktuellste Beispiel für den Zwang zur Selbstentblößung stammt aus einer Welt, in der das Annehmen ausgedachter Identitäten Grundprinzip ist: der Welt der Online-Rollenspiele. In den Foren des Branchengiganten Blizzard werden Spieler künftig zwangsläufig mit ihrem vollen Vor- und Zunamen auftauchen, ob sie wollen oder nicht - ein symptomatischer, rabiater Schritt.

Anonymität gehörte viele Jahre zum Wesen des Netzes selbst. Spitz- oder Spielnamen begegnen dem Web-Surfer bis heute ständig. Parallel aber vollzieht sich seit Jahren eine Entwicklung, die jedem eine digitale Hundemarke verpassen soll. Die stärkste Kraft hinter diesem Trend ist zweifelsohne Facebook, mit über 500 Millionen Nutzern heute die soziale Weltmacht im Netz, aufgebaut auf dem schlichten Grundgedanken, dass dort jeder preisgeben soll, wer er wirklich ist. Oder wenigstens, wie er wirklich heißt. Hinter dieser Forderung steht eine Ideologie, die Facebook-Gründer Mark Zuckerberg gelegentlich mal durchblicken lässt: Der Mittzwanziger sagte dem Buchautor David Kirkpatrick ("The Facebook Effect"), mehr als eine Identität zu besitzen, sei "ein Beispiel für einen Mangel an Integrität".

Im Schlafzimmer spielen wir eine andere Rolle als im Büro

Das mag auf einen Jungmilliardär zutreffen, der keine Kinder hat und keine Zeit für abseitige Hobbys und dessen Privatleben sich vermutlich tatsächlich weitgehend mit seinem Berufsleben deckt. Für die meisten auf diesem Planeten aber gilt, Internet hin oder her: Normale Menschen füllen in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche soziale Rollen aus, im Schlafzimmer mit der Gattin benimmt man sich anders als beim Spielen mit den Kindern, im Büro anders als am Stammtisch. Das ist gut, wichtig und richtig so und hat mit einem "Mangel an Integrität" rein gar nichts zu tun, sondern mit einer normalen Persönlichkeitsentfaltung.

Facebook hat eine solche transformative Wucht entfaltet in den letzten Jahren, dass seine Mechanismen und seine Philosophie sich schleichend in viele andere Bereiche verbreiten. Die Spielebranche ist da nur das prominenteste Beispiel: Bei der Electronic Entertainment Expo in Los Angeles im Juni konnte man keine schleichende, sondern eine stolz präsentierte Facebookisierung besichtigen. Fitnessspiele werden mit Community-Funktionen ausgestattet, damit der digitale Freundeskreis stets gut darüber informiert ist, wie viele Kalorien man gerade verbrannt, wie viele Kilometer zurückgelegt hat. Die neueste Ausgabe der Rennspiel-Serie "Need for Speed" hat eine eigene Community eingebaut, inklusive Facebook-haftem Newsfeed, das die Konsolenkumpels darüber auf dem Laufenden hält, welches Rennen man gerade gefahren ist, welchen Bahnrekord man aufgestellt hat. Und Social Games wie "Farmville" oder "Mafia Wars" gelten längst auch den etablierten Branchengrößen wie Electronic Arts als Vorbild dafür, wie man die sozialen Beziehungen der Spieler nutzt, um sie zum Spielen, sprich: zum Bezahlen zu bringen.

"Konstruktive Unterhaltungen fördern"

All das ist nicht verwerflich: Schließlich ist Spielen schon immer eine im Kern soziale Aktivität. Diesen Aspekt nun von den Fesseln des Raumes zu befreien, ist nur folgerichtig. Das Problem mit der Facebookisierung ist ein anderes: Mit den Mechanismen der Social Networks, allen anderen voran dem Prinzip Newsfeed, werden auch noch andere, tiefergehende Prinzipien des zuckerbergschen Reiches gleich mitübernommen. Zum Beispiel die Idee von der Überflüssigkeit sozialer Rollen.

Bei "World of Warcraft", dem erfolgreichsten Online-Rollenspiel der Welt, stand das Soziale von vorneherein im Zentrum. Heute hat das Spiel um Tauren, Elfen, Orks und Magier mehr als elf Millionen aktive - und zahlende - Abonnenten. Jetzt will der Betreiber die alte Internetregel mit dem Hund für obsolet erklären. In einem Eintrag im Auftrag des Unternehmens im offiziellen Forum verkündete ein Administrator am 6. Juli, dass "in naher Zukunft alle Teilnehmer in den offiziellen Blizzard-Foren ihre Beiträge und Antworten mit ihrem richtigen Vor- und Nachnamen verfassen werden". Wenn der "für Online-Unterhaltungen typische Schleier der Anonymität entfernt" werde, könne dies "zu einer besseren Umgebung in den Foren führen, konstruktive Unterhaltungen fördern", schrieb der Blizzard-Mitarbeiter. Unter seinem Forumsnamen "Wrocas". Blizzards Pressestelle war am Donnerstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Dass Klarnamen die Sitten verbessern helfen könnten, mag sein. Hinter dem Schritt dürften jedoch auch noch ganz andere Motive stehen.

"Ihr ekelt mich an"

Die Reaktion auf den Eintrag jedenfalls war ein Sturm der Entrüstung. Mittlerweile weit über 8000 Beiträge stehen allein unter dem deutschsprachigen Posting, die meisten davon erschrocken bis entrüstet. "Teilnahme nur für Leute, die bereit sind, auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten zu verzichten? Ihr ekelt mich an", schrieb einer. Durchsetzen kann Blizzard das übrigens sehr leicht: Namen und Adressen der Spieler sind ja aus den Zahlungsinformationen bekannt, die jeder Abonnent hinterlegt.

Auch international sind die Reaktionen heftig. Ein Blizzard-Administrator in den USA, der den Fehler machte, als Argument im Rahmen der Debatte einfach mal seinen eigenen Klarnamen anzugeben, bereute dies schnell: In kürzester Zeit fand jemand seine Adresse, seine Telefonnummer, sein Alter, die Namen seiner Verwandten, seine musikalischen Vorlieben und andere persönliche Informationen heraus - und veröffentlichte sie, versehen mit dem Kommentar: "Ich denke, jetzt können wir alle sehen, was für eine tolle Idee das ist."

Inzwischen hat der Blizzard-Mitarbeiter sein Facebook-Profil gesperrt und seine Telefonnummer stilllegen lassen.

Passt die Rolle des Rechtsanwalts zu der des Spiel-Schamanen?

WoW-Spieler drohen in Scharen, unter den neuen Bedingungen würden sie keinen einzigen Forenbeitrag mehr verfassen. Blizzard verweist darauf, dass die Teilnahme am Forum freiwillig und optional sei. Allerdings sind die Foren ein wichtiger Teil des Nutzer-Supports von WoW und anderer Blizzard-Titel - häufig kommt man mit einer Frage um Rat im Forum schneller weiter als mit einer offiziellen Anfrage beim Blizzard-Support. Mancher Spieler sorgt sich nun, dass er künftig per Suchmaschine blitzschnell als Online-Rollenspieler identifiziert werden könnte, was in einer Zeit, in der dieses Hobby gerne mal mit Sucht, sozialer Isolation und genereller Weltferne assoziiert wird, durchaus nicht jedem Recht sein dürfte. Sogar Internet-Cartoons zum Thema gibt es schon. Passt die soziale Rolle "Patentanwalt" wirklich mit der sozialen Rolle "Schamane Level 32" zusammen?

Zugrunde liegt dem radikalen Schritt, der sehr an die nicht minder rabiate Vorgehensweise Facebooks in Sachen Privatsphäre erinnert, wohl nicht nur der Wunsch nach zivilisierteren Forendiskussionen. Erst im Mai hat Blizzard eine Kooperation mit Facebook angekündigt - die Freundeslisten des Social Networks sollen künftig mit denen aus der Spieler-Community Battle.net abgeglichen werden können. Man werde "das soziale Unterhaltungserlebnis für unsere Spieler verbessern", verkündete Blizzard-Chef Paul Sams damals.

Beide Änderungen - die Facebook-Koppelung und die Klarnamenzwang - beziehen sich nicht nur auf die Foren zu "World of Warcraft", sondern beispielsweise auch auf das lang erwartete "StarCraft II: Wings of Liberty". Die Fortsetzung des immens erfolgreichen Echtzeitstrategie-Klassikers wird am 27. Juli mit einem globalen Marketingfeldzug auf den Markt gebracht - und da sind die sozialen Werbemechanismen und die gewaltige Nutzerschaft von Facebook genau der richtige Hebel, um für möglichst viel Aufmerksamkeit zu sorgen.

Letztlich geht es eben auch bei dieser Änderung vorrangig ums Geld: darum nämlich, noch mehr über seine Kunden herauszufinden, was Marketing, Produktplanung und viele andere Dinge erleichtert. Und darum, Informationen über den "Social Graph", das soziale Gefüge der eigenen Kundschaft und angrenzender Gruppierungen zu bekommen. Was wiederum Marketing, Marktforschung und vieles andere enorm erleichtert.

Mark Zuckerberg hat das schon vor langer Zeit verstanden, und dementsprechend radikal ist die zuckerbergsche Identitätstheorie. Dass nun aber auch Orks, Elfen und Zauberer nur noch die eine, unteilbare Netz-Identität haben dürfen sollen, wird noch für eine Menge böses Blut sorgen.
 
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