Kapitel 14
Der Alltag der Abenteurer
»Wenn es dir nicht gefällt, kannst du auch gehen.«
Eine Stimme hallte durch den Wald, der selbst zur Mittagszeit etwas düster war. Bäume, Moos und Ranken überwucherten die verfallenen Gebäude aus weißem Stein und zeugten davon, dass die Pflanzenwelt mittlerweile die Überreste dieser alten Stadt beherrschte. Dem Zahn der Zeit konnte niemand standhalten, noch nicht einmal die langlebigen Elfen. Diese Ruinen waren der bittere Beweis dafür: Einst prachtvolle Bildhauereien waren aufgebrochen, große Risse liefen durch die Bodenplatten und statt der Bewohner lebte hier nur noch Wildwuchs. Eine fünfköpfige Gruppe von Abenteurern war dabei, diese ehemals prächtige Stadt zu erkunden. Der gerade erklungene Ausruf kam von einer jungen Frau in Jagdkleidung. Ihre langen Ohren und der große Bogen in ihrer Hand deuteten darauf hin, dass sie eine Hochelfen-Bogenschützin war. Sie sagte in schnippischem Ton:
»Wenn du eigentlich gar nicht hier sein willst, bringt mir das auch nichts!«
»Was?«, antwortete ihr eine komplett emotionslose Stimme.
Sie kam von einem Menschenkrieger mit verschmutztem Eisenhelm und Lederrüstung. An der Hüfte trug er ein mittellanges Schwert, um den Arm hatte er sich einen kleinen Rundschild gebunden und am Gürtel hing eine Tasche. Selbst Anfänger besaßen meist bessere Ausrüstung als er. Seine Bewegungen und seine Haltung zeugten jedoch von Selbstvertrauen, weshalb er bei den meisten Wesen, denen er begegnete, einen gemischten Eindruck hinterließ.
»Ich rede natürlich von diesem Abenteuer«, antwortete die Elfe, ohne sich zu dem Krieger umzudrehen.
Viele Elfen bekamen die Talente, mit denen sie fähige Waldläufer werden konnten, in die Wiege gelegt, was dazu führte, dass sie neben den Rhea die besten Späher waren. Aus diesem Grund hatte die Elfe die Vorhut der Gruppe übernommen.
»Es geht doch nicht darum, dass es mir nicht gefällt.«
Die Ohren der Elfe stellten sich freudig auf . . . und sanken sofort wieder nach unten.
»Es war schließlich abgemacht, dass ich euch begleite.«
Ein weiteres Mitglied der Gruppe seufzte. Es war ein junges Menschenmädchen, das einen Stab fest in den Händen hielt und ein Kettenhemd unter der Kleidung trug. Es handelte sich um eine Priesterin. Sie zeigte mit einem Finger auf den Krieger und begann mit ihm zu schimpfen:
»Mann, so geht das doch nicht. Deine Einstellung ist nicht in Ordnung.«
»Ach so«, erwiderte dieser und schwieg.
Nach einer Weile schaute er die Hochelfe an und fragte:
»Wirklich?«
»Was fragst du jetzt mich?«
Die Elfe blies schmollend die Wangen auf. Er hatte ihr zum Austausch für ihre Hilfe bei der Verteidigung des Bauernhofs versprochen, sie auf ein Abenteuer zu begleiten, und sie hatte sich sehr darauf gefreut.
»Unmöglich, das führt doch zu nichts.«
Ein dicklicher Zwerg kommentierte grinsend das Geschehen und fuhr sich durch den dichten Bart. Seine fernöstliche Kleidung war ein Hinweis darauf, dass es sich bei ihm um einen Zwergen-Schamanen handelte. Von der Körpergröße her war er zwar kleiner als die Priesterin, aber sein großer runder Bauch ließ ihn wie ein Fels wirken. Und auch wenn die meisten Magiewirker eher körperlich schwach waren, war er als Zwerg von Natur aus sehr kräftig. Sein größtes Problem waren die kurzen Beine, die es ihm immer wieder erschwerten, steile Pfade zu erklimmen und Hindernisse zu überwinden.
»Er ist schließlich Bartschneider. Es ist ja nicht so, als wäre er erst seit Kurzem ein komischer Kauz.«
»Ja.Er ist nun mal Orcbolg«, stimmte die Elfe ihm seufzend zu.
»Wer hätte gedacht, dass ich mal mit einem Zwerg die Meinung teile.«
»Den letzten Satz hättest du dir sparen können«, schnaufte der Zwerg beleidigt.
»Wenn du mit deinem Gemecker nicht aufhörst, wirst du nie einen Mann finden. Du bist zweitausend Jahre alt und immer noch allein.«
»Ts ...«
Die Ohren der Elfe zitterten.
»Ich brauch keinen.
Außerdem bin ich noch jung.«
»Stimmt«, erwiderte der Zwerg und grinste selbstzufrieden.
»Du hast ja schließlich auch noch die Brust eines Kindes.«
»Halt den Rand, du fettes Fass!«
Mit wütendem Blick starrte die Elfe den Zwerg an. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und öffnete den Mund, um dem Schamanen eine weitere Beleidigung an den Kopf zu werfen, doch sie wurde von einer fauchenden Stimme unterbrochen.
»Die Bewohner dieser Stadt mögen längst fort sein, aber dennoch sollten wir uns ein wenig anständiger verhalten.«
Es war ein Echsenmensch, der eine Vielzahl an Glücksbringern um den Hals trug. Er bildete die Nachhut der Gruppe und trug die traditionelle Kleidung seines Stammes. Er war ein Mönch und verehrte einen furchteinflößenden Drachen als seinen Vorfahren.
»Vor allem müssen wir achtsam bleiben, damit wir keine schlafenden Hunde wecken.«
»Hmpf ... Sag das ihr, sie hält doch nicht den Rand.«
»Pfft. Von wegen. Du Zwerg musst doch immer mit dem ...«
»Bitte, werte Waldläuferin. Konzerntrier dich lieber auf den Weg vor uns.«
»Ja ...«
Der Echsenmensch war zwar nicht der Anführer der Gruppe, aber die Elfe entschied sich dafür, seiner Bitte nachzukommen.
»Und du, werter Schamane, bitte lenke sie nicht zu sehr vom Spähen ab.«
»Ich weiß. Ich weiß.«
Während die Elfe schmollend die Ohren hängen ließ, schien den Zwerg die Schelte nicht sonderlich gestört zu haben. Verzweifelt rollte der Echsenmensch mit den großen Augen, worauf die Priesterin leise kichern musste. Immer wenn die Elfe und der Zwerg sich in die Haare kriegten, wurde es lebhaft. Sie mochte das. Wenn sie sich nicht gut verstehen würden, würden sie auch nicht streiten, oder?
»Und hepp.«
Die Elfe erklomm mit ein, zwei, drei Sätzen eine Baumwurzel, die weit größer war als sie selbst.
»Nicht schlecht«, sagte der Krieger, der sie dabei beobachtet hatte.
»Ja, oder?«, antwortete die Elfe selbstbewusst und schmiss der Gruppe ein Kletterseil herunter.
Der Krieger zog zwei-, dreimal daran, bevor er mit dessen Hilfe die Baumwurzel erklomm. Es war kaum zu glauben, dass er eine Rüstung mit einem schweren Eisenhelm trug, denn er stand in kürzester Zeit neben der Elfe. Er musste an das Leben im Freien gewöhnt sein.
»Der Nächste«, sagte er und schaute auf den Rest der Gruppe hinunter.
»Äh, ja!«, erwiderte die Priesterin und hing sich ihren Stab über die Schulter. Unerfahren griff sie nach dem Seil und begann vorsichtig ihren Aufstieg. »Aber ... Hngh. Dass so eine große Stadt jetzt eine Ruine ist ... Ah!«
»Pass aufl«
Als die Priesterin mit den Füßen am nassen Moos abrutschte, schnappte der Krieger nach ihrem Handgelenk und zog sie daran grob nach oben.
»E ... Es tut mir leid ....«, entschuldigte sich die Priesterin und rieb sich das schmerzende Handgelenk.
»Wenn du nicht verletzt bist, klettern wir jetzt gleich auf der anderen Seite wieder runter.«
»Ja ...«
Mithilfe des Kriegers gelang der Priesterin auch der Abstieg.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich die Elfe.
»Ja... Ich muss meinen Körper wohl ein bisschen mehr trainieren«
»Das mag sein. Aber übertreib es nicht, ja?«
Die Elfe wackelte mit den Ohren und kniff die Augen leicht zusammen.
»Es wäre schrecklich, wenn du am Ende so dick und rund wärst wie der Zwerg.«
»Halt die Klappe, Langohr. Für einen Zwerg habe ich ein vollkommen durchschnittliches Gewicht.«
Von der anderen Seite des Baums schallten die wütenden Worte des Zwergs herüber.
»Der Zahn der Zeit macht wirklich vor nichts Halt. Weder vor den Behausungen der Elfen, noch vor den Höhlen meiner Art. Einfach vor nichts ...«
Dem Zwerg war es nur mithilfe des Echsenmenschen gelungen, die Wurzel zu erklimmen, aber schon im nächsten Moment sprang er entschlossen auf der anderen Seite hinunter. Mit einem dumpfen Rumms landete der Zwerg auf seinem Gesäß. Bei dem Anblick konnte sich die Elfe natürlich einen Kommentar nicht verkneifen:
»Geht das nicht auch etwas eleganter?«
»Meine Beine sind eben nicht so lang. Scher dich um deinen eigenen Kram.«
»Setz doch zumindest Sturzkontrolle ein.«
»Pah! Wieso sollte ich für so etwas einen Zauber verwenden? Ihr Elfen seid wirklich verschwenderisch!«
»Beruhigt euch doch bitte.«
Die Priesterin ging zwischen die beiden, aber konnte sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen.
»Wenn ihr zu laut seid, kriegt ihr gleich wieder Ärger.«
»Also wirklich. Als würde ich mir von so einem schuppigen Kind etw ...«
»Selbst Elfen sind nicht ewig. Ewig ist einzig die Ewigkeit, oder?«, wurden sie von einer tiefen Stimme unterbrochen.
Der Echsenmensch hatte mithilfe seiner Krallen die Baumwurzel erklommen und sprang jetzt geschickt auf der anderen Seite herunter. Es war zwar etwas laut, aber wirklich beeindruckend.
»Wollen wir es an dir ausprobieren, werte Hochelfe?«
»Ich verzichte ...«
Schmollend runzelte die Elfe die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Und?«, fragte der Krieger.
»Wo sind die Goblins?«
»Schon wieder ...«
Die Elfe zuckte langsam mit den Schultern und seufzte.
»Ich habe extra für dich Ruinen ausgesucht, in denen es vielleicht Goblins geben könnte. Zeig doch bitte erst einmal etwas Dankbarkeit.«
»Hmpf ... Dann hast du also Rücksicht auf mich genommen?«
»Ja, so könnte man das nennen.«
Der Krieger schritt mit einem Nicken voran. Aufgeregt huschte die Elfe an ihm vorbei und übernahm wieder die Vorhut.
»Wieso die Eile, werter Goblintöter!«
Der Echsenmensch breitete beim Gehen eine Schriftrolle aus. Es war eine alte Karte dieser Stadt. Bedacht darauf, sie nicht zu beschädigen, führte er vorsichtig seine Krallen darüber.
»Im Inneren gibt es einen Tempel. Wollen wir uns dorthin bewegen?«
»Ja.«
Der Krieger blieb stehen und deutete auf leicht verstreute Pflastersteine, die einst Teil eines Weges gewesen sein mussten. Nüchtern ergänzte er: »Vielleicht sind dort Goblins.«
»Hast du nichts anderes im Kopf?«, maulte die Elfe genervt.
»Was denn?«
»Die Mysterien! Die Geheimnisse! Die Rätsel! Die Legenden!«
»Dafür hab ich keine Zeit.«
»Du bist echt unglaublich.«
»Ist das so?«
»Hey, hey, Langohr! Wenn du es beim Schleifen eines Steins übereilst, bricht er!«
Der Zwerg redete mit der Elfe wie mit einem Kind.
»Für eine Elfe hast du echt keine Geduld.«
»Wenn ich den ganzen Tag herumsitzen und nur fressen und saufen würde, wäre ich bald so fett wie du, Zwerg.«
»Halt die Klappe. Alkohol ist eine Ausnahme. Aber ein wenig zunehmen könntest du wirklich.«
Anstatt sich zu ärgern, schnappte er sich den Trinkbeutel von seinem Gürtel und nahm einen Schluck Branntwein.
»Dennoch muss ich zugeben, dass du ein wenig recht hast, Langohr.«
Nach einem herzhaften Rülpser fuhr er fort:
»Bartschneider, glaubst du nicht, dass vieles einfacher für dich wäre, wenn du deinen Horizont erweitern würdest?«
»Ich habe darüber nachgedacht.«
Während der Krieger leise antwortete, lugte er vorsichtig um eine Ecke.
»Ich habe mich verdient gemacht und den Silber-Rang erreicht. Als Abenteurer mit größerem Einsatzspielraum hätte ich auch mehr Möglichkeiten.«
»Und warum machst du es dann nicht?«, fragte der Zwerg.
»Weil Goblins währenddessen weitere Dörfer angreifen würden.«
Die Elfe schüttelte den Kopf.
»Ich hab gehört, dass Menschen oft nur ans Jetzt denken, aber sind sie alle so eingleisig wie er?«
»Ich glaube, dass er ein besonderer Fall ist«, antwortete die Priesterin mit einem verlegenen Lächeln.
Sie war erst ein paar Monate mit dem Krieger unterwegs, hatte sich jedoch schon viele Male über ihn gewundert.
»Aber er ist jetzt schon viel gesprächiger. Außerdem kann man ihn ziemlich leicht verstehen.«
»Ja, da hast du recht.«
Die Elfe kicherte und auch der Zwerg und der Echsenmensch stimmten mit ein. Ein wenig später überquerte die Gruppe einen Weg, der einst eine große Straße gewesen sein musste. Damit waren sie am Ziel angelangt: Zwischen einigen Bäumen war bereits ein Eingang zu erkennen.
»Es scheint keine Wachen zu geben«, sagte der Krieger, nachdem er das Gebüsch und den Boden genau untersucht hatte.
»Vielleicht gibt es hier überhaupt keine Goblins!«, rief die Priesterin sichtlich erleichtert.
»Nein, Ich glaube nicht, dass sie so ein Nest übersehen würden.«
»Aber es wäre doch schön, wenn es hier keine Goblins gäbe.«
Der Krieger ignorierte die Bemerkung der Elfe und murmelte:
»Vielleicht haben sie auch nur einen Tunnel von ihrem Nest hierher gegraben.«
»Sagt mal ... Stinkt hier nicht irgendwas?«
Die Elfe verzog leicht das Gesicht.
Der Echsenmensch schüttelte langsam den Kopf und antwortete:
»Meine Nase funktioniert in Wäldern wie diesen nicht besonders gut. Was riechst du?«
»Es riecht nach faulen Eiern«
»Also sind doch welche hier«
Die Abenteurer zogen ihre Waffen. Die Elfe hielt einen Langbogen in der Hand, der aus einem natürlich gewachsenen Ast angefertigt worden war. Seine Sehne bestand aus Spinnenfäden und die Pfeile hatten Knospen statt Eisenspitzen. Der Echsenmensch betete zu seinen Vorfahren und beschwor aus einem Reißzahn eine Klinge. Der Zwerg griff in seine Taschen, die mit Katalysatoren gefüllt waren, und die Priesterin hielt sich mit beiden Händen an ihrem Priesterstab fest. Die Gruppe platzierte sich in einem Halbkreis um den Eingang.
»Was machen wir? Dringen wir ein? Dann sollte ich ein schützendes Wunder ...«, sagte die Priesterin, doch der Krieger unterbrach sie.
»Nein. Diese Ruine ... Dieser Schrein hat vielleicht einen Hintereingang. Was sagt die Karte?«
»Darauf war nichts verzeichnet«, antwortete der Echsenmensch.
»Da es sich um eine alte Ruine handelt, können wir davon ausgehen, dass große Teile bereits eingestürzt sind.«
»Dann werden wir sie ausräuchern.«
Der Krieger griff in seine Tasche und zog einen faustgroßen Klumpen heraus. Es war ein kleines Bündel Anmachholz, in dem etwas steckte.
Der verkrampfte Gesichtsausdruck der Priesterin zeigte, dass sie bereits wusste, was es war.
»Das ist Kiefernharz und Schwefel ...«
»Der Rauch ist schwer und sinkt nach unten.«
Der Krieger schlug mit einer Hand gegen den Klumpen und entzündete so die Rauchbombe. Er warf sie geschickt in den Eingang.
»Auch wenn der Rauch giftig ist, wird er sie nicht töten«, sagte er und zog sein Schwert aus der Scheide.
»Jetzt heißt es warten.«
»Deine Methoden sind echt grausam«, meinte der Zwerg seufzend.
»Sind sie das?«
»Weißt du das etwa nicht?«
Grausam hin oder her, seine Methode waren wirksam. Mit schrillen Schreien sprangen kleine Gestalten aus dem verrauchten Eingang hervor. Es waren Goblins.Als der Krieger sah, dass die Goblins lederne Brustpanzer trugen, holte er mit seinem Schwert von oben aus. Ein Schlag. Ein Schrei. Eine Blutfontäne. Er trat gegen den Goblin, in dessen Kopf er die Klinge vergraben hatte, und schnappte sich dessen Waffe. Der Krieger nickte zufrieden: Es war ein kleiner Krummsäbel.
»Sie sind gut ausgerüstet. Seid vorsichtig.«
»Das ist für mich kein Abenteuer,«
»Etwa nicht?«
»Natürlich nicht.«
Mit grimmigem Gesicht spannte die Elfe einen Pfeil auf ihren Bogen und schoss ihn ab. Er verschwand im Dunkel des Eingangs, und direkt darauf ertönten drei Schreie.
»Wenn wir schon gegen Goblins kämpfen, dann doch bitte zumindest in einer Ruine!«
»Es ist wie immer.«
Der Echsenmensch sprang heran und versetzte einigen Goblins, die sich am Boden krümmten, den Todesstoß.
»Du hast Goblintöter eingeladen, was hast du also anderes erwartet?«
Der Krieger bohrte in diesem Moment den aufgehobenen Krummsäbel tief in die Kehle eines Goblins, zog ihn wieder heraus und warf ihn dann in Richtung des Eingangs. Sofort ertönte ein quietschender Schrei. Seine Handgriffe wirkten geradezu maschinell.
»Für die paar brauchen wir noch nicht einmal Zauber.«
Der Zwerg legte einen Stein in seine Schleuder und zertrümmerte mit dem Geschoss den Kopf eines Goblins. Der Krieger hob einen Dolch auf, der einem der getöteten Goblins gehörte und sah eine unbekannte schwarze Flüssigkeit auf der Schneide. Den erschreckten Blick der Priesterin ignorierend, wischte er sie an der Kleidung des Leichnams ab.
»Spart euch die Zauber auf, bis wir reingehen.«
Dann richtete er seinen Blick auf den Eingang. Während sich dort bereits ein Stapel von Goblin-Leichen angesammelt hatte, kamen keine neuen Gegner mehr heraus. Hatten die Abenteurer bereits alle erwischt, oder waren einige von ihnen irgendwie entkommen?
»Goblins sind hartnäckig.«
Er zog sein eigenes Schwert aus dem Kopf des ersten Goblins und überprüfte die Klinge.
»Sobald sich der Rauch gelegt hat, gehen wir rein.«
»Ich sag es noch mal, aber das ist für mich kein Abenteuer«, protestiere die Elfe.
»Ach, ja?«, entgegnete der Krieger emotionslos.
»Das zählt nicht!«
»Alles klar«
Der Krieger ging in Richtung des Eingangs, und der Rest der Gruppe folgte ihm. Seit sie sich zusammengeschlossen hatten, waren die Sterne bereits die Hälfte ihres sich stetig wiederholenden Weges am Horizont gewandert. Durch die ewigen Kämpfe zwischen Chaos und Ordnung waren zahlreiche vergessene Festungen, Tempel, Ruinen und Höhlen über die ganze Welt verstreut. Häufig dienten sie als Verstecke für Diener des Chaos, die nur darauf warteten, dass ihre Zeit kommen würde. Doch anstatt sich um diese schlummernden Gefahren zu kümmern, betrachteten die Könige der verschiedenen Länder sich argwöhnisch und überließen die Aufgabe der Erkundung solch verlorener Objekte den Abenteurern. In Hoffnung auf Ruhm, Schätze und Reichtum nahmen die meisten Abenteurer die Aufträge an, doch für einen Krieger spielten all diese Dinge keine Rolle. Orcbolg, Bartschneider, Goblintöter. Er trug mehrere Spitznamen.
»Lasst uns Goblins töten.«
Er war Goblin Slayer.
* * *
Es war am frühen Abend, und die Sonne versank bereits am Horizont. Der Hofbesitzer hatte gerade seine Arbeiten an dem Zaun beendet, der zur Abwehr von wilden Tieren diente, und richtete sich auf, als er die stapfenden Schritte hinter sich hörte.
»Da bist du ja wieder«, murmelte er.
»Ja. Ich habe meinen Auftrag erledigt«, antwortete Goblin Slayer, der direkt hinter ihm stand.
»Ach so ...«
Der Hofbesitzer wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Da man aufgrund des Helms sowieso nicht erkennen konnte, was Goblin Slayer gerade dachte, schaute der Hofbesitzer ihn gar nicht erst an. Er kannte ihn schon seit dessen Kindheit, aber wusste nicht, wie er mit ihm umgehen sollte. Auch wenn er ihn nicht rausschmeißen konnte, wollte er ihn nicht unbedingt um sich haben. Es waren bereits einige Jahre vergangen, seitdem die Goblins die Heimat von seiner Nichte und Goblin Slayer zerstört hatten. Es war ein Unglück, eine regelrechte Katastrophe gewesen, aber Goblin Slayer hatte sie überlebt. Er hatte sie überlebt und sich nicht davon brechen lassen. Das war doch eine gute Sache.
»Ja«, sagte Goblin Slayer, als wüsste er, worüber der Hofbesitzer gerade nachdachte.
»Übertreib es nicht immer ... Denk auch an das arme Mädchen ...«
»Ich werde mich bessern ...«
»Es ist wirklich nicht einfach mit ihm.«
Der Hofbesitzer wunderte sich, warum er auf jemanden, den eigentlich nichts störte, immer solche Rücksicht nahm. Als hätte er erneut seine Gedanken gelesen, sagte Goblin Slayer:
»Tut mir leid, aber ich müsste den Schuppen benutzen.«
»Du brauchst ihn doch immer, wenn du zurückkommst. Du musst das nicht extra anmelden«, entgegnete der Hofbesitzer mürrisch.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verschwand Goblin Slayer hinter dem Kuhstall. Dort ging er an einem Heuhaufen vorbei zu einem alten Schuppen, der schon lange nicht mehr im besten Zustand war. Goblin Slayer hatte mit Mühe und Not die Löcher in den Wänden und im Dach gestopft, und auch wenn er mit seinen Arbeiten nicht angeben konnte, taten sie ihren Zweck. Er hatte sie still und heimlich erledigt, damit die Kuhhirtin nichts davon mitbekam, denn eigentlich hatte sie den Schuppen reparieren wollen. Da aber Goblin Slayer die Person war, die ihn nutzte, war es für ihn selbstverständlich, dass er ihn auch reparierte.
»Ahl«
Als Goblin Slayer eine Hand auf die Tür des Schuppens legte, hörte er einen kindlichen Zuruf. Er drehte sich um und sah, wie die Kuhhirtin auf ihn zu gerannt kam.
»Willkommen zurück! Du könntest doch wenigstens Bescheid geben, wenn du wieder da bist!«
»Ich wollte dich nicht stören.«
»Du störst doch nicht.«
»Ist das so?«
Die Kuhhirtin blies vor Wut die Backen auf und richtete einen Zeigefinger auf Goblin Slayer.
»Wenn du das verstanden hast, dann melde dich gefälligst zurück!«
Nach einem kurzen Augenblick antwortete er leise:
»Ich bin zurück ...«
»Willkommen zurück.«
Die Kuhhirtin lächele strahlend.
»Das hast du eben schon gesagt«, erwiderte Goblin Slayer schroff, öffnete die quietschende Tür und betrat den Schuppen.
Die Kuhhirtin folgte ihm hinein, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
»Was ist mit deiner Arbeit?«, wunderte sich Goblin Slayer.
»Sagen wir mal ... Ich mache gerade eine Pause ...«
»Ist das so?«
»Ja.«
Ohne dem Ganzen weitere Beachtung zu schenken, warf er seine Tasche auf den Boden und entzündete eine kleine Lampe mit seinem Feuerstein. Der Schuppen war gefüllt mit mysteriösen Gegenständen. Es waren Heilmittel, besondere Waffen, Bücher mit unlesbaren Schriftzeichen, Tierköpfe und auch andere Dinge, die die Kuhhirtin nie zuvor gesehen hatte. Wahrscheinlich gab es selbst unter den Abenteurern viele, die sich nicht vorstellen konnten, wofür Goblin Slayer die Objekte wohl einsetzen würde.
»Das ist gefährlich.«
»Äh,ja.«
Nachdem er der neugierigen Kuhhirtin eine Warnung zugeworfen hatte, setzte er sich auf den Boden. Er nahm sein Schwert vom Gürtel und warf es in eine Ecke. Dann zog er sich die Rüstung aus und begann daran zu arbeiten. Die Kuhhirtin beugte sich leicht über seine Schulter und fragte ihn: »Was machst du da?«
»Ich bessere eine Beule im Helm aus und wechsle die Scharniere der Rüstung. Ich flicke das Kettenhemd, schärfe das Schwert und poliere den Rand des Schildes.«
»Den Rest verstehe ich, aber warum musst du den Rand des Schildes polieren?«
»In den richtigen Momenten kann das nützlich sein.« »Hm ...«
Er arbeitete sehr gründlich. Er schwang den Hammer, nahm einen Beschlag ab und wechselte ihn aus. Dann griff er zu einer gebogenen Nadel, um das Kettenhemd zu flicken. Zuletzt nahm er einen Polier Stein und polierte den Rand des Schildes.
Wenn Goblin Slayers Waffen kaputt gingen, konnte er sich neue von den erlegten Goblins besorgen, aber bei Rüstungsgegenständen war es anders. Die Biester trugen nur selten Rüstung und selbst wenn, hatte er im Feld nicht die Zeit dazu, sie ihnen auszuziehen und sich selbst wieder anzuziehen. Sowieso konnte ein falscher Treffer bei einer ungepflegten oder kaputten Rüstung schnell tödlich enden, was die Arbeit gerade umso wichtiger machte.
»Ist das spannend?«, fragte Goblin Slayer die Kuhhirtin, die ihm immer noch aufmerksam bei der Arbeit zuschaute.
Sie musste kurz kichern, bevor sie ihm antwortete:
»Irgendwie schon. Ich interessiere mich dafür, was du so machst. Und, wie ist das Abenteuer gelaufen?«
Sie lehnte sich an Goblin Slayers Rücken, und ihre Augen glitzerten, während sie gespannt auf seine Antwort wartete. Diese fiel wie so häufig sehr kurz aus:
»Da waren Goblins.«
»Ach ja?«
»Ja, sehr viele.«
Die Kuhhirtin musterte ihn ganz genau und ...
»Hey!«
Goblin Slayer spürte, wie sich ihre Arme von hinten um ihn schlossen, und kurz darauf wuschelte sie ihm durch die Haare. Zum ersten Mal, seitdem sie den Schuppen betreten hatten, hörte er auf, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, und wandte sich der Kuhhirtin zu.
»Was ist?«
»Nichts, Das war bestimmt anstrengend.«
»Pass auf.«
»Keine Angst. Ist schon gut.«
»Nein, ist es nicht.«
»Ist sonst noch irgendwas Spannendes passiert? An was für einem Ort wart ihr!«
Er schwieg, lehnte den fertig polierten Schild an die Wand und lies den Blick über ein Regal schweifen. Er griff nach mehreren Fläschchen, einem Paar Lederhandschuhe und einem Mörser. Nachdem er sich die Handschuhe angezogen hatte, öffnete er eins der Fläschchen und schüttete ein paar seltsame Würmer in die Schale des Mörsers. Die Kuhhirtin hinter ihm gab ein angewidertes Geräusch von sich.
»Nicht anfassen. Die sind giftig«, warnte Goblin Slayer sie.
»Ich fass die schon nicht an.«
»Wir waren bei einigen Ruinen im Wald.«
»Und ihr wart dort, um Goblins zu töten?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf.
»Ich wurde von den anderen eingeladen.«
Während die Kuhhirtin sichtlich überrascht war, kippte Goblin Slayer den Inhalt der restlichen Fläschchen in die Schale. Danach zerstieß er alles und mischte es.
»Es soll früher eine Stadt gewesen sein.«
»Erinnerst du dich an ihren Namen?«
»Nein, der war mir egal.«
»Nun ja ... Hier im Grenzgebiet gibt es viele davon.«
Nachdem alles gut durchmischt war, griff er erneut ins Regal und holte eine intakte Eierschale hervor. Er entfernte ihre Spitze und füllte den Inhalt des Mörsers vorsichtig hinein. Ohne den Blick von seiner Arbeit abzuwenden, sagte Goblin Slayer:
»Eine große ...«
»Ja?«, unterbrach ihn die Kuhhirtin aufgeregt.
»Dort war eine große Baumwurzel.«
»Groß? Wie groß denn?«
»Sie war größer als du. Es war gar nicht so einfach, sie zu überwinden.«
»Das war bestimmt toll!«
Die Antwort der Kuhhirtin klang wie die eines begeisterten Kindes. Sie hatte noch nie solche Dinge gesehen, und es war für sie äußerst aufregend, Goblin Slayers Geschichten zu lauschen. Allerdings wurde sie bisweilen auch ein wenig traurig, dass er so viel welterfahrener war als sie. Nachdem das Ei gefüllt war, wickelte er es in Ölpapier und murmelte:
»Es war komisch. Die Goblins dort waren zu gut ausgerüstet.«
»Hm?«
Die Kuhhirtin legte nachdenklich einen Finger aufs Kinn.
»Vielleicht sind sie vor der Schlacht letztens geflohen.«
»Aber warum haben sie keine Wachen aufgestellt?«
»Wenn du das nicht weißt, weiß ich es erst recht nicht.«
Sie hob die Arme in die Luft und ließ sich nach hinten fallen.
»Du machst dich dreckig«, ermahnte Goblin Slayer sie.
»Ist mir egal. Sag mal, kannst du morgen freimachen?«
»Nein.«
Er steckte das fertige Ei in seine Tasche und schüttelte
den Kopf.
»Die Gilden Angestellte will etwas von mir.«
»Ach so ... Schade.«
»Ja. Es geht wahrscheinlich wieder um Goblins.«
* * *
»Nein, es geht nicht um Goblins. Äh ... Deswegen müssen Sie doch nicht gleich gehen!«
Obwohl Goblin Slayer schon die Klinke des Besprechungszimmers in der Hand hatte, drehte er sich noch einmal um. Der Raum war mit prachtvollen Möbeln ausgestattet, und die Wände schmückten alte Waffen, Köpfe von Monstern sowie viele weitere Trophäen.
»Aber es geht doch nicht um Goblins, oder?«
»Ähm. Nun ja ... Das stimmt zwar ...«
Die Gilden Angestellte saß auf einer Bank und schaute ihn an, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Aber ohne Sie geht es nicht, Goblin Slayer.«
Nachdem er für einen Moment geschwiegen hatte, seufzte er leise. Er drehte sich um, ging auf die der Gilden Angestellten gegenüberliegende Bank zu und setzte sich.
»Dann bringen wir es hinter uns«, sagte Goblin Slayer mürrisch.
»J ... Ja!«
Plötzlich stand der Gilden Angestellten die Freude ins Gesicht geschrieben. Sie breitete ihre Unterlagen auf dem Tisch zwischen ihnen aus. Es handelte sich um die Lebensläufe mehrerer Abenteurer. Deren Namen, Volkszugehörigkeit, Geschlecht, Fähigkeiten und bisher erfüllte Aufträge waren darauf notiert.
»Goblin Slayer, ich möchte Sie bitten, als rang hoher Abenteurer einem Rangaufstiegsinterview beizuwohnen.«
»Ich soll einem Rangaufstiegsinterview beiwohnen?«
Innerhalb der Gilde konnten Abenteurer zehn verschiedene Ränge einnehmen. Die Verteilung von Rängen geschah anhand der bisherigen Belohnungen, der Beiträge zur Gesellschaft und dem Charakter der Abenteurer. Die Kombination aller drei Kriterien war auch als Erfahrungspunkte bekannt. Wer genügend Erfahrungspunkte gesammelt hatte, der durfte einen Rangaufstieg beantragen. Um den wahren Charakter eines Abenteurers zu bewerten, wurden dann Rangaufstiegsinterviews durchgeführt, denen hin und wieder ranghohe Abenteurer als Zeugen beiwohnten. Diese Interviews sollten verhindern, dass Abenteurer hohe Ränge nur aufgrund ihrer Stärke erreichten, und machten es für Neuanfänger so gut wie unmöglich, in kürzester Zeit den Silber oder Gold-Rang zu erreichen. Erfolgreiche Abenteurer zeichneten sich in den Augen der Gilde also nicht nur durch Stärke, sondern auch durch vertrauenswürdiges und zuverlässiges Verhalten aus.
»Aber bin ich dafür überhaupt der Richtige?«, fragte Goblin Slayer verwundert.
»Was reden Sie denn da? Sie tragen doch den Silber-Rang.«
»Das hat die Vereinigung entschieden.«
»Das zeigt, wie dankbar Ihnen alle sind«, erwiderte die Gilden Angestellte ein wenig stolz.
Nachdem er eine Weile schweigend an die Decke gestarrt hatte, betrachtete Goblin Slayer die Unterlagen und sagte:
»Wer soll denn bewertet werden?«
»Vielen Dank! Es geht um die Mitglieder einer Gruppe, die von Stahl auf Saphir aufsteigen möchten. Sie wollen also von Rang acht auf Rang sieben aufsteigen.«
* * *
»Di.. Diesmal. Diesmal schaffen ... schaffen wir es und steigen auf. Auf jeden Fall!«
Die Gruppe von Abenteurern wartete auf dem Gang vor dem Besprechungszimmer darauf, dass sie einzeln aufgerufen wurden.
Einer von ihnen rezitierte murmelnd ein Gebet. Er trug die Kleidung eines Mönches, hielt einen langen Stab in den Händen und besaß trotz seines fortgeschrittenen Alters einen sehr durchtrainierten Körper. Er musste ein Kampfmönch sein. Allerdings zeugten die vereinzelten Haarstoppel, die aus seinem sonst kahlen Kopf hervorschauten, davon, dass er sich in letzter Zeit ein wenig gehen gelassen hatte.
»Halt die Klappe, alter Mann! Mönch hin oder her. Deine Gebete bringen uns nur Pech«, fauchte ein weiteres Mitglied der Gruppe.
Es war ein junger Mann, der seinem Äußeren zufolge ein Krieger - genauer gesagt ein Axtkämpfer - sein musste. Er war fürchterlich aufgeregt und stand keine Sekunde lang still. Seine Ausrüstung war nicht verrostet, aber alt und nicht von allzu hoher Qualität.
»Außerdem hättest du dir für heute mal ordentlich den Schädel rasieren können.«
»Er hat eine Familie zu ernähren, natürlich will er da beten«, antwortete die Hexe der Gruppe auf das Gemecker des Axtkämpfers.
Ihre Ohren, die leicht unter der Kapuze der zerrissenen Robe hervorschauten, verrieten, dass sie eine Halbelfe war. Ihr Zauberbuch, das sie in den Händen hielt, war eine alte handgeschriebene Ausgabe, die kurz davorstand auseinanderzufallen.
»Außerdem werden die Haare heute nicht entscheidend für unser Interview sein.«
»Ach, kommt. Beruhigt euch. Wir haben nichts davon, wenn wir uns jetzt streiten«, fügte ein kleiner junger Mann hinzu, der nur halb so groß wie die restlichen Gruppenmitglieder war.
Er trug eine makellose Lederrüstung, an der Hüfte einen Dolch und an den Füßen nagelneue Lederschuhe. Er war ein Späher vom Volk der Rhea.
»Das mag sein, aber Saphir-Ränge kriegen bessere Aufträge und Belohnungen als Stahl-Ränge«, erwiderte der Axtkämpfer.
»Wir müssen unsere Schulden so langsam zurückzahlen, und das hier könnte uns das ermöglichen. Wie sollen wir da ruhig bleiben?«
»Ich sehe das ähnlich. Wenn wir den Aufstieg schaffen, können wir uns endlich vom Ratten jagen in der Kanalisation verabschieden. Außerdem sind Zauberbücher teuer. Wenn Gebete uns helfen, mach ich mit«, stimmte die Hexe dem Axtkämpfer zu.
Während sie den Späher mit bohrendem Blick anstarrte, fügte sie hinzu:
»Tu nicht so, als ginge dich das nichts an.«
Dieser kratzte sich am Kopf und sagte:
»Nein, ha ha ha Aber ein höherer Rang bedeutet auch gefährlichere Aufträge! Davor hab ich ein wenig Angst ... Schulden habe ich auch keine ...« »Weichei.«
»Feigling.«
Auf die Beschimpfungen des Axtkämpfers und der Hexe hin zuckte der Späher nur mit den Schultern.
»Gut. Der Nächste bitte«, rief die Gilden Angestellte aus dem Besprechungszimmer.
»Oh, ich bin dran.«
Mit einem leichten Wippen im Schritt bewegte sich der Späher in Richtung Tür. Bevor er den Besprechungsraum betrat, sagte der Kampfmönch noch mit bettelnder Stimme:
»Bitte reiß dich am Riemen!«
»Ja, ich weiß. Nerv nicht«, antwortete der Rhea genervt und klatschte die Tür hinter sich zu.
»Ah!«
Als er sah, welche drei Personen in dem Raum auf ihn warteten, gab der Späher einen kleinen Ausruf des Erstaunens von sich. Zuerst einmal befand sich dort die Gilden Angestellte mit dem gleichgültigen Gesichtsausdruck. Zu gern würde er ihr mal den Hintern versohlen und sie so dazu kriegen, mal ein wenig Emotion zu zeigen. Neben ihr saß eine weitere Frau, die in der Uniform der Gilde gekleidet war. Der Späher war sich nicht sicher, ob er sie bereits irgendwo gesehen hatte. Person Nummer drei war ein ranghoher Abenteurer und der Grund, warum er den erstaunten Laut von sich gegeben hatte. Er trug einen billigen Eisenhelm und eine verdreckte Lederrüstung: Auch ohne Schwert und Schild war dem Späher klar, um wen es sich dabei handelte.
»Go ... Goblin Slayer,«
»Stimmt was nicht!«
»Nei ... Nein ...«
Der Späher verachtete Goblin Slayer nicht. Der Silber- Rang Abenteurer hatte es schließlich mit einfachen Aufträgen geschafft, Rang und Ruhm zu erwerben. Da er selbst fürchterliche Angst vor dem Tod hatte, schien ihm der Weg, den Goblin Slayer eingeschlagen hatte, ein äußerst kluger zu sein. Einzig der Helm, der Goblin Slayer vollkommen emotionslos erscheinen ließ, schreckte den Rhea ein wenig ab. Als der Späher gegenüber von dem Silber-Rang-Abenteurer Platz nahm, merkte er, wie dieser ihn von oben bis unten musterte. Er lachte verlegen und sagte:
»Äh ... Ahm, kommen wir zur Sache. Es geht um einen Rangaufstieg. Am liebsten würde ich gleich Saphir und Smaragd überspringen und zu Rubin ... nein, gleich zu Bronze aufsteigen«
»Nein, ein Schritt nach dem anderen«, erwiderte die Gilden Angestellte, während sie die vor ihr liegenden Unterlagen durchblätterte;
»Ihre Rüstung und Stiefel sind neu, oder? Das stach mir gleich ins Auge.«
»Ach? Sieht man das?«
Der Rhea-Späher grinste schelmisch und legte die kleinen Füße auf den Tisch. »Das sind feine Treter. Ich hab sie mir in matt gekauft. Toll, oder?«
»Sie nehmen als Gruppe Aufträge an und erhalten eine Belohnung. Wieso sind Sie dann viel besser gekleidet als Ihre Kameraden?«, fragte die Gilden Angestellte sehr sachlich und ruhig.
»Ist das nicht seltsam? Liegt das vielleicht an einem Berechnungsfehler?«
Obwohl es offensichtlich war, dass der Späher bereits verkrampfte, fuhr die Gilden Angestellte fort:
»Es ist auch auffällig, dass Sie das einzige Mitglied der Gruppe sind, dessen Auftragsberichte immer etwas vage sind.«
»Ähm ... Also ...«
Aufgeregt nahm der Späher die Füße vom Tisch und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Es wirkte, als würde er einen Fluchtweg suchen.
»M ... Meine Familie hat mir ein wenig Geld geschickt ...«
»Er lügt«, sagte die dem Späher unbekannte Gilden Angestellte mit lauter, klarer Stimme.
Um ihren Hals hing eine Kette mit einem Symbol, das wie die Kombination eines Schwertes und einer Waage aussah.
»Ich schwöre im Namen des erhabenen Gottes, dass seine Worte gelogen sind.«
Das Wunder »Lügen erkennen«?! Sie ist eine Inspektorin! Dem Rhea wurde plötzlich klar, warum er sie noch nie gesehen hatte. Sie war nicht nur eine gewöhnlich Gilden Angestellte, sondern auch eine Dienerin des erhabenen Gottes - eine Inspektorin. Wie kann das sein? Stand ich etwa bereits unter Beobachtung? Aber wieso?
Die dem Rhea bereits bekannte Gilden Angestellte kommentierte das Geschehen mit einem leichten Lächeln auf den Lippen: »Wir wissen alles. Sie scheinen nach dem Erkunden einiger Ruinen Ihre Ausrüstung erneuert zu haben. Wahrscheinlich haben Sie zu Ihren Kameraden gesagt, dass sie die Gegend auskundschaften, und haben dann allein eine Schatzkiste geöffnet. Den Inhalt haben Sie dann geheim gehalten und verkauft.«.
»Hngh ...«
Sie hatte voll ins Schwarze getroffen.
Bei der Erkundung von Ruinen waren Fallen meist eine tödlichere Gefahr als Monster, weshalb die Kameraden des Rheas auch nichts Besonderes vermutet hatten, als er ihnen in seiner Rolle als Späher angeboten hatte, vorauszugehen und sich umzuschauen. Er hatte vorsichtig die Ruine betreten, mehrere Ecken kontrolliert und dann eine Schatzkiste gefunden. Sie war von keiner Falle geschützt und einfach zu knacken gewesen, weshalb er in kürzester Zeit einige Dutzend Goldstücke in der Tasche hatte. Da leere Schatzkisten keine Seltenheit waren, entschloss er sich einfach dazu, alles für sich zu behalten.
»Hä hä hä ...«
Der Späher setzte den Blick eines gescholtenen Kinds auf. »Es ist so über mich gekommen ... Es tut mir leid.«
»Wie ärgerlich«, antwortete die Gilden Angestellte und schüttelte den Kopf. »Wegen Personen wie Ihnen werden Späher und Rhea immer misstrauisch behandelt. Nun ja, da es Ihr erstes Vergehen ist, werden Sie nur auf Porzellan herab gestuft und erhalten ein Abenteuerverbot in dieser Stadt.«
»Mo ... Moment mal! Das ist doch übertrieben!«
Unbewusst war der Späher aufgesprungen und hatte seine Stimme erhoben. »Nur weil ich eine Schatzkiste unterschlagen habe?!«
»Was?!«, antwortete die Gilden Angestellte mit eisernem Blick.
»Nur? Sind Sie schwer von Begriff? Vertrauen kann man mit Geld nicht zurückgewinnen.«
Wer das Vertrauen anderer hinterging, besaß nicht das Recht, sich als Abenteurer zu bezeichnen. Natürlich war man vielen Gefahren ausgesetzt. Natürlich besaßen viele Abenteurer eine zwielichtige Vergangenheit. Und natürlich benahm sich der ein oder andere Abenteurer daneben. Aber Gefährten zu hintergehen konnte nicht geduldet werden. Abenteurer ähnelten Söldnern, doch die Gilde garantierte deren Vertrauenswürdigkeit. Wenn die Gilde Verhaltensweisen wie die des Rheas tolerierte, würde damit das gesamte System unterwandert. Weil es sein erstes Vergehen war, hatte sie ein Auge zugedrückt und dem Späher die Möglichkeit eingeräumt, woanders noch einmal neu anzufangen. Verstand er das nicht?
»Wir können auch bekannt geben, dass Sie aufgrund eines Verbrechens herabgestuft wurden. Dann können Sie gern hierbleiben.«
Der Späher wusste nicht, was er sagen sollte. Verzweifelt dachte er darüber nach, wie er sich aus dieser Situation herausreden konnte: Das machen doch alle ... Nein, das kann ich nicht sagen! Vielleicht, dass jemand mich gezwungen hat?! »Es bringt nichts, sich jetzt Ausreden auszudenken«, sagte die Inspektorin in hartem Ton. Jetzt wissend, dass sie seine Lügen durchschauen würde, blieb dem Späher nur noch ein Ausweg. Er wandte sich Goblin Slayer zu und flehte:
»I. .. Ich bitte dich! Du bist doch auch Abenteurer!«
»Mir egal«, antwortete der Silber-Rang-Abenteurer genervt.
»Ich bin nur Zeuge.«
»Aber ... du bist doch ...«
»Du hast die anderen Abenteurer ausgenutzt.«
Der Späher lief vor Zorn rot an und richtete den Blick auf die Inspektorin und die Gilden Angestellte. Kurz dachte er darüber nach, seinen Dolch zu ziehen und sich auf die beiden zu stürzen. Er würde die beiden kurzerhand erledigen können ... ... allerdings müsste er dafür erst einmal Goblin Slayer überwinden. Als Späher war er Flink, aber nicht flink genug, um ihn zu besiegen. Er wusste: Er hatte keine Chance. Selbst er war nicht so dumm, um es auf einen Kampf mit Goblin Slayer ankommen zu lassen.
»Ts! Das werdet ihr bereuen!«, warf der Späher in den Raum, bevor er hastig aus dem Besprechungszimmer eilte und die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zuzog.
»Beförderung abgelehnt. Hach. Das war gruselig ...«
Die Gilden Angestellte sackte erschöpft auf dem Tisch zusammen. Sie wusste genau, was der starre Blick des Spähers bedeutet hatte, und wollte sich gar nicht erst ausmalen, was passiert wäre, wenn Goblin Slayer heute nicht dabei gewesen wäre.
»Vielen Dank, Goblin Slayer.«
»Ich hab doch nichts gemacht«, antwortete der Abenteurer kopfschüttelnd.
Die Gilden Angestellte richtete sich wieder auf und entgegnete: »Das stimmt nicht. Als ich in der Hauptstadt ausgebildet wurde, war es noch härter. Ständig haben die männlichen Abenteurer herbe Zoten gerissen und sich an die Frauen ran gemacht ...«
»Von denen gibt es in der Hauptstadt viele«, fügte die Inspektorin seufzend hinzu.
Die Gilden Angestellte nickte ihrer Kollegin zustimmend zu und fuhr fort: »Normalerweise müssen wir als Angestellte der Gilde solche Abenteurer allein interviewen, aber wenn jemand als Zeuge dabei ist, dem man vertrauen kann, fühlt man sich gleich viel sicherer.«
»Ist das so?«
»Ja, natürlich.«
Goblin Slayer schwieg einen kurzen Moment, bevor er kurz darauf aufstand und sagte:
»Ich geh dann mal.«
»Sie können sich an der Anmeldung eine Entschädigung abholen.«
»Okay.«
Mit stapfenden Schritten ging der Abenteurer zur Tür.
»Ah, Ähm ...«, stammelte die Gilden Angestellte auf der Suche nach den richtigen Abschiedsworten.
Mit einer Hand auf dem Türknopf drehte sich Goblin Slayer zu ihr um und fragte:
»Was?«
Nicht wissend, was sie sagen sollte, und auch ein wenig beschämt beschloss die Gilden Angestellte, es beim Nötigsten zu belassen:
»Vielen Dank noch mal.«
»Ja. Kein Problem.«
Mit einem Knall flog die Tür zu: Goblin Slayer hatte den Raum verlassen. Die Gilden Angestellte sackte erneut auf dem Tisch zusammen. Die Tischplatte fühlte sich angenehm kühl auf ihrer Stirn an.
»Puh ...«
»Gut gemacht.«
Die Inspektorin setzte einen freundlichen Gesichtsausdruck auf und klopfte ihrer Kollegin sanft auf den Rücken.
»Aber was wird dieser Späher jetzt wohl machen?«
»Nun ja ... Abenteurer müssen auch schauen, wie sie über die Runden kommen, und sein Vergehen war noch eine vergleichsweise kleine Straftat. Hoffentlich wird aus ihm jetzt nicht ein absoluter Taugenichts.«
»Es gibt viele verschiedene Arten von Abenteurern. Von denen, die im Sinne der Gerechtigkeit handeln, bis hin zu jenen, die nichts weiter als Chaos stiften.«
»Im Grunde hat er sich noch im Toleranzbereich bewegt, aber na ja ... Ich muss dir für deine Hilfe heute danken.«
Die Inspektorin winkte mit den Händen ab und antwortete:
»Nein, nein. Als Dienerin des erhabenen Gottes sind Aufgaben wie die heutige meine Pflicht.«
»Ich weiß, dass ich im Rahmen meiner Befugnisse entschieden habe, aber wie beurteilst du mein Verhalten aus der Sicht des Gottes des Rechts?«
»Er ist zwar Gott der Gerechtigkeit, aber die meisten verstehen ihn falsch.« Die Inspektorin räusperte sich theatralisch.
»Wahre Gerechtigkeit besteht nicht darin, das Böse zu bestrafen, sondern dem Täter verständlich zu machen, dass er etwas Böses getan hat. Das Recht ist nur ein Hilfsmittel für ein geregeltes Leben.Nicht mehr und nicht weniger. Deshalb gibt der erhabene Gott auch keine direkten Anweisungen. Man soll nicht einfach nur den Worten der Götter folgen, sondern selbst nachdenken und Entscheidungen treffen.«
Immer noch auf dem Tisch liegend, richtete die Gilden Angestellte den Blick auf die Inspektorin.
»Das ist ein hervorragender Gedanke.«
»Ja, wenn man ihn richtig umsetzen kann. Verglichen mit der Jungfrau des Schwertes habe ich aber noch viel zu lernen.«
»Mit ihr hast du dir aber ein großes Vorbild genommen.«
Der Name »Jungfrau des Schwertes« war vor ungefähr zehn Jahren, als die Gilden Angestellte zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen war, zum ersten Mal in aller Munde gekommen. Es war eine Zeit, in der noch keine Platin-Rang-Abenteurer existierten, und zusammen mit einer Gruppe von anderen Gold-Rang-Abenteurern war es einer jungen Frau gelungen, einen wiederauferstandenen Dämonenfürsten zu bezwingen.
Die Inspektorin seufzte wie ein verträumtes Mädchen und antwortete:
»Ich bewundere sie. Verglichen mit dem was sie geleistet hat, war das heute nichts. Ich habe schließlich nur das Wunder Lügen erkennen eingesetzt. Wie dem auch sei, es gibt noch viel zu tun, oder?«
»Neben dem Versetzungsbericht und den restlichen Rangaufstiegsinterviews stehen noch die alltäglichen Aufgaben an.«
»Lass den Kopf nicht hängen«, sagte die Inspektorin und klopfte der Gilden Angestellten freundschaftlich auf den Rücken. Wissend, dass es nicht an der Zeit war, sich auszuruhen, raffte diese sich mit einem »Okay« wieder auf.
»Und? War er der Typ, an dem du interessiert bist?«, fragte die Inspektorin mit einem neckischen Grinsen.
»Ä ... Ähm ...«
Wirkte das Wunder Lügen erkennen der Inspektorin etwa noch? Mit einem leichten Nicken antwortete sie:
»J ... Ja, wieso?«
»Hm ... Ich habs mir schon gedacht. In der Hauptstadt haben dir auch eher die groben Typen gefallen.«
»Ja, aber ich glaube, dass es keinen Abenteurer gibt, der dickköpfiger ist als er ...«
Leider - oder aus anderem Blickwinkel betrachtet vielleicht auch glücklicherweise - hatte die Gilden Angestellte während ihrer Zeit in der Hauptstadt niemanden wie Goblin Slayer kennengelernt. Sie war ihm zum ersten Mal begegnet, als sie nach Abschluss ihrer Ausbildung ins Grenzland versetzt wurde. Er meldete sich als neuer Abenteurer an, und sie bezog ihre neue Position. In all der Zeit war er nur einer Aufgabe nachgegangen: der Jagd nach Goblins. Während andere dies misstrauisch betrachteten, war er für sie im Vergleich zu den aufschneiderischen Abenteurern eine erfrischende Abwechselung. Sein Pflichtbewusstsein ist bewundernswert, aber er könnte mich zumindest mal zum Essen einladen ... Kaum hatte sie darüber nachgedacht, schüttelte die Gilden Angestellte den Kopf. Der Gedanke, dass er sie zu einem Essen einladen würde, war komplett abwegig. Ihr hingegen fehlte der Mut, die Sache von sich aus anzustoßen. Dafür bräuchte sie einen besonderen Anlass.
»Hauptsache, du bist glücklich. Solltest du nicht zurück an die Arbeit?«, fragte die Inspektorin sie.
»Du hast recht. Ich sollte mit der Träumerei aufhören.« Die Gilden Angestellte setzte sich auf und sortierte ihre Unterlagen. Es gab viel zu tun. Entschieden griff sie zur Feder, tippte sie ins Tintenfass und ...
»Hey.«
»Uwaaah!«
Goblin Slayer betrat plötzlich das Zimmer und erschreckte die Gilden Angestellte so sehr, dass sie einmal quer mit der Feder über das vor ihr liegende Dokument fuhr. Sie sammelte sich kurz, richtete ihre Haare und gelobte sich, dass sie sich irgendwann bei der Inspektorin für das hämische Grinsen revanchieren würde, das diese ihr gerade zugeworfen hatte.
»Wa ... Was ist denn, Goblin Slayer?«
»Ist doch klar«, antwortete er und zeigte ihr einen Auftragszettel.
Hat er ihn von der Tafel? Nein, da hängt gerade kein Goblin Auftrag. Außerdem ist dieses Formular doch ... Ist das etwa ein direkter Auftrag? Die Gilden Angestellte wusste zwar nicht, von wem das Dokument kam, aber sie erkannte einen direkten Auftrag, wenn sie ihn sah. Irgendjemand musste nach Goblin Slayer verlangt haben. Ihren verwirrten Blick ignorierend sagte Goblin Slayer:
»Es geht um Goblins.«
* * *
Goblin Slayer saß in der Kneipe der Gilde auf einem Stuhl und erläuterte seinen Kameraden den Auftrag. Dass es erst Mittag war, interessierte die durstigen Kehlen der vielen anwesenden Abenteurer nicht, weshalb bereits eine sehr heitere Atmosphäre in dem Lokal herrschte. Da Abenteurer generell wenig darauf gaben, ob es Tag oder Nacht war, brannte in der Kneipe immer Licht, um sie jederzeit nach einem erschöpfenden Abenteuer willkommen heißen zu können.
»Die Belohnung ist ein Sack Goldmünzen pro Person. Entscheidet selbst, ob ihr mitkommen wollt.«
Die Priesterin rieb sich die Schläfen und antwortete:
»Ich glaube, ich verstehe es endlich. Ich dachte, dass ich es bereits begriffen hätte, aber jetzt hat es erst richtig geklickt.«
»Ist das so?«
»Ja, genau«, stimmte die Elfe zu.
»Wenn ich mich weiterhin jedes Mal über dein komisches Verhalten wundere, macht mein Körper das nicht mehr lange mit.«
Wahrend der Echsenmensch mit dem Schwanz wedelte und fröhlich auf einem Stück Käse herumkaute, grinste der Zwerg breit, war aber wie geistesabwesend damit beschäftigt, Edelsteine in das Futter seiner Weste zu nähen.
Die Priesterin zeigte mit ihrem Zeigefinger auf Goblin Slayer, als würde sie ein Kind im Tempel belehren, und sagte:
»Wie häufig muss ich es noch sagen? Eine Besprechung besteht nicht nur aus einem Ja oder Nein.«
»Aber ihr habt doch die Wahl.«
»]a, aber nur ob wir mitgehen oder nicht.«
»Ist das so?«
»Ja, so ist es.«
Goblin Slayer verdrehte leicht den Kopf und die Priesterin war sich nicht sicher, ob er verstanden hatte, was das Problem war.
»Du gehst doch sowieso allein, wenn wir nicht mitkommen, oder?«, fragte die Elfe.
»Ja«, antwortete Goblin Slayer, als wäre das selbstverständlich.
»Dann ist das wirklich keine Besprechung.«
»Dass er überhaupt mit uns darüber redet, ist schon ein Zeichen der Besserung«, mischte der Zwerg sich ein, während er kritisch seine Arbeit im Licht betrachtete.
»Ja, er entwickelt sich in die richtige Richtung«, fügte der Echsenmensch schmatzend hinzu.
»Also können wir selbst entscheiden, was wir wollen?«, fragte die Priesterin, während sie sich seufzend auf ihren Stab stützte.
»Ja, macht, was ihr wollt«, erwiderte Goblin Slayer nüchtern.
»Dann werde ich dich begleiten.«
»Na ja, du bist auch auf mein Abenteuer mitgekommen ...«, sagte die Elfe mit wackelnden Ohren.
Ungeduldig kontrollierte sie ihren Langbogen, schaute in ihren Köcher und stand auf. Sie warf Goblin Slayer ein selbstsicheres Lächeln zu.
»Im Austausch für meine Hilfe begleitest du mich auf ein weiteres Abenteuer. In Ordnung?«
»Ja. Einverstanden.«
»Aber dieses Giftgasding ist verboten!«
»Hm ...«
»Auch kein Feuer oder Wasser!«, ergänzte die Elfte und tippte mit ihrem Zeigefinger gegen Goblin Slayers Helm.
»Aber ...«
»Kein Aber!«
»Vergiss es. Wenn ihre Ohren wie der Schwanz eines Hundes wackeln, dann hört sie auf niemanden mehr«, gab der Zwerg zu bedenken.
Der Echsenmensch kniff amüsiert die Augen zusammen und leckte sich mit der Zunge über die Nasenspitze.
»Selbst die schlauen Strategien des geschätzten Goblintöters zeigen bei der werten Waldläuferin keine Wirkung.«
»Dann halt nicht«, willigte Goblin Slayer ohne weitere Widerworte ein.
Wenn nicht mehr nötig war, um die Elfe dazu zu bekommen, ihn zu begleiten, würde er nach ihren Regeln spielen. Mit einem Lächeln auf den Lippen nickte die Priesterin der Elfe zu.
»Es sieht so aus«, sagte der Echsenmensch, »als bräuchtet ihr noch einen weiteren Abenteurer, der Zauber wirken kann.«
»Hey, hey, Schuppiger«, unterbrach der Zwerg ihn in einem vorwurfsvollen Ton.
»Was lässt du mich einfach außen vor?«
»Oh, ich bitte um Verzeihung. Zwei Abenteurer, die Zauber wirken können.«
Während der Echsenmensch mit den Augen rollte, gab der Zwerg ihm einen freundschaftlichen Stoß in die Seite.
»Na, wenn du das so sagst, kann ich wohl schlecht ablehnen.«
Da er fertig mit seiner Arbeit war, packte der Zwerg sein Nähzeug ein. Es war nicht zu erkennen, dass er die Edelsteine in seine Kleidung eingenäht hatte, und er ersparte sich damit die Notwendigkeit, seine Wertgegenstände irgendwo zwischen zulagern. Grinsend fuhr er sich durch den Bart sagte:
»Ich werde euch begleiten.«
»Oje«, entgegnete die Elfe mit einem schelmischen Grinsen.
»Wenn du nicht willst, dann musst du nicht.«
»Du hast gut reden. Wenn du wieder nur meckern willst, solltest wohl eher du hierbleiben.«
»Hmpfl«
Die Ohren der Elfe stellten sich auf. Sie schlug mit beiden Händen auf den Tisch und näherte sich dem Zwerg.
»Jetzt habe ich endgültig genug von dir! Ich fordere dich zum Duell heraus!«
»Oho! Mutig, mutig! Sei gewarnt, ich werde mich nicht zurückhalten.«
Mit einem siegessicheren Lachen stellte der Zwerg zwei Flaschen und zwei Gläser auf den Tisch.
»Ich trinke Branntwein und du Traubenwein. In Ordnung?«
»Mach dich auf was gefasst!«
Noch während sie sich an keiften, füllten die beiden ihre Gläser und stürzten sie in einem Schwung hinunter.
»Hey! Die trinken um die Wette!«
»Hi hi hi ... Auf wen setzt du?«
Natürlich ließen die anderen Besucher der Kneipe sich dieses Spektakel nicht entgehen. Während der Speerkämpfer sich sofort an den Tisch von Goblin Slayer und seinen Kameraden gesellte, nahm die Hexe ihren Hut ab und erklärte sich zum Buchmacher. Mehr und mehr Abenteurer gesellten sich dazu: Die erste, die Goldmünzen in den Hut warf, war die Ritterin.
»Ich setze drei Goldstücke auf die Elfe!«
»Hey, du bist aber mutig. Bist du dir sicher?«, erkundigte sich der Panzerkrieger, der neben ihr stand.
»Ha ha ha, im Namen der Gerechtigkeit setze ich auf den Außenseiter. Der erhabene Gott wird mir ...«
»Was redest du denn da? Ich dachte Glücksspiel wäre gegen die Regeln des erhabenen Gottes.«
»Ich bin für den Zwerg.«
»Nein, ich wette auf das Mädel.«
»Los! Macht weiter!«
Die Priesterin beobachtete besorgt, wie ihre Kameraden sich immer weiter rein steigerten, und wandte sich verlegen an Goblin Slayer:
»Sollten wir sie nicht lieber aufhalten?«
»Das ist eh nach ein paar Gläsern vorbei«, antwortete dieser gleichgültig.
Viele der Zuschauer waren sich sicher, dass der Zwerg als erfahrener Trinker die Elfe ohne Probleme in die Tasche stecken würde, aber der Echsenmensch war anderer Meinung:
»Nein, Die werte Waldläuferin ist dickköpfig. Sie wird nicht so einfach aufgeben.«
Mit knallrotem Gesicht stürzte die Elfe ihr zweites Glas hinunter und verkündete triumphierend:
»Noch eins! Ich bin noch lange nicht fertig!«
Sie hatte noch nicht angefangen, zu nuscheln, und auch ihr Blick war noch klar. Mit einem Klack wurde ihr das nächste Glas vor die Nase gestellt und auch dieses kippte sie mit einem Schwung hinunter. Die Leute begannen zu jubeln. Kurze Zeit später sackte die Elfe sturzbetrunken auf dem Tisch zusammen, und der Zwerg riss mit einem Siegesschrei seine Faust in die Luft. Ihm war vollkommen egal, wie stolz man eigentlich darauf sein könnte, eine Elfe im Wett trinken besiegt zu haben. Er genoss einfach den Moment.
»Ich bin als Nächstes dran«, sagte die Ritterin und machte Anstalten, sich zum Tisch durchdrängeln, aber der Panzerkrieger hielt sie auf.
»Du bist eine schlechte Trinkerin.«
Die drei anderen Mitglieder ihrer Gruppe begannen sofort zu kichern, aber als die Ritterin sah, dass der Speerkämpfer die Ärmel hochkrempelte, stieß sie den Panzerkrieger weg und meinte:
»Ich werde nicht verlieren.«
Statt gegeneinander zu trinken, duellierten sich die beiden im Armdrücken, und was als Spaß losging, wurde sehr schnell bitterer Ernst. Das Geschrei war wieder groß. Während der Zwerg sich zum Schiedsrichter erklärte, nahm die Hexe weitere Wetten an. Ein Regen von Goldmünzen fiel in ihren Hut.
Der Speerkämpfer besiegte die Ritterin und der Panzerkrieger dann den Speerkämpfer.
»Als Nächstes bin ich dran«, rief der Kriegerlehrling, aber die Heilige in Ausbildung hielt ihn auf. Der Panzerkrieger nickte anerkennend und griff sich den jungen Späher seiner Gruppe, um ihn gegen den Kriegerlehrling antreten zu lassen. Auf Signal des Zwerges begannen sie ihr Duell ...
»Goblin Slayer ... Sollen wir?«, fragte die Priesterin.
»]a.«
Goblin Slayer erhob sich von seinem Platz, ging um den Tisch herum und legte einen Arm um die Hüfte der Elfe.
»Hmpf ...«
Er hob sie hoch, doch obwohl sie sehr zart aussah, schnaufte Goblin Slayer unter ihrem Gewicht. Er schaute kurz die Priesterin an, die ihn mit einem Grinsen bestätigte, dass er die Elfe nicht zurücklassen durfte.
»Sei mir später nicht böse«, murmelte Goblin Slayer leise, griff die Elfe bei den Oberschenkeln und warf sie sich über die Schulter.
»U ... Mu ...«
»Ich hab keine Ahnung, was du mir sagen willst.«
»Mhm. Hihi ...«
Murmelte sie gerade etwas vor sich hin, oder war das die Sprache der Elfen? Goblin Slayer wusste es nicht, aber auf dem Gesicht der Elfe war ein Lächeln zu erkennen.
»Ich werde sie auf ihr Zimmer bringen«, sagte er nüchtern zu der Priesterin. »Hilf du ihr bitte beim Umziehen.«
»Ja! überlass das mir.«
»Was? Ihr legt sie jetzt einfach so ins Bett?«, fragte der Echsenmensch. »Dann wird sie morgen aber einen sehr starken Kater haben.«
»Wenn sie morgen noch betrunken ist, kriegt sie von mir ein Gegengift.«
»Goblin Slayer, das wäre zu viel des Guten«, schimpfte die Priesterin.
»Das war ein Scherz.«
Der Echsenmensch und die Priesterin begannen laut zu lachen. Nicht weil der Witz witzig war, sondern weil Goblin Slayer versucht hatte, einen zu erzählen. Es war wirklich selten, dass er so gut gelaunt war.
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