Kapitel 18
Auf dem Weg zum Tod
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Auf dem Weg zum Tod
»Und wofür ist der jetzt?«, fragte die Elfe Goblin Slayer, die Hände in die Hüften gestemmt.
Die Gruppe war wieder in die Kanalisation hinabgestiegen, um ihre Erkundung fortzusetzen. Am Gürtel des Kriegers hing neben einem Schwert mittlerer Länge ein kleiner Käfig. In diesem befand sich ein kleiner grüngelber Vogel, der leise vor sich hin zwitscherte. Sein lieblich heller Gesang bildete einen starken Kontrast zu der dreckigen und dunklen Kanalisation.
»Hm! Kennst du etwa keine Vögel?«, fragte Goblin Slayer sichtlich verwirrt.
»Natürlich kenne ich sie.«
»Ja, und das hier ist ein Kanarienvogel.«
»Das sehe ich.«
Während die Elfe genervt die Ohren aufstellte, gab der Zwerg sein Bestes, um nicht laut loszulachen.
»Du bist schon seit gestern Abend so. Du hörst echt nicht mit dem Fragen auf, was?«
»Warum ein Vogel auf einem Abenteuer? Ist das ein besonders gefährlicher Vogel?«
Die Elfe konnte ihre Neugier einfach nicht bändigen. Anstatt sich auf das Erkunden des Tunnels zu konzentrieren, schielte sie immer wieder auf den Käfig an Goblin Slayers Gürtel.
»Dürfte ich ihn denn berühren, oder komme ich dann in Probleme wie bei der Schriftrolle?«
»Glaubst du wirklich, dass ein Kanarienvogel jemanden töten könnte?«, fragte der Krieger in nüchternem Ton. Der Zwerg konnte sich nicht mehr zurückhalten und begann lautstark zu lachen. Die Priesterin wusste, dass die beiden sich streiten würden, wenn es so weiterginge, und entschloss sich dazu, etwas zu sagen:
»Goblin Slayer, sie meinte das anders ...«
»Wie denn!«, erwiderte er und drehte sich zu ihr um.
Sein kalter Blick ließ die Priesterin kurz innehalten. Nach der gestrigen Unterhaltung mit der Erzbischöfin hatte sie die ganze Nacht nicht schlafen können. Der Inhalt der Unterhaltung beschäftigte sie, aber sie wusste auch nicht, ob sie zu viel hineininterpretierte. Als die Gruppe heute Morgen gemeinsam gefrühstückt hatte, war die Jungfrau des Schwertes vorbeigekommen, hatte sich aber nichts von ihrem Verhalten des Vortags anmerken lassen. Die Priesterin fasste den Entschluss, dass sie etwas falsch verstanden hatte. Sie konnte es sich nicht anders erklären.
»Ist irgendwas?«, fragte Goblin Slayer, der immer noch auf eine Antwort von ihr wartete.
»Äh, nein ... Die Elfe will bestimmt einfach nur wissen, warum du einen Kanarienvogel dabeihast. Er ist niedlich, aber dient doch bestimmt einem weiteren Zweck.«
»Kanarienvögel können selbst kleinste Mengen Gift wahrnehmen.«
»Gift?«
»Da die Goblins hier wissen, wie man Schiffe baut, kann ihnen auch jemand beigebracht haben, wie man Fallen legt.«
»Ach ja . . . Menschliche Bergarbeiter sollen immer Vögel dabeihaben, die sie vor giftigen Gasen warnen«, stimmte der Zwerg dem Krieger zu, während er in seiner Tasche wühlte.
»Mein Volk hingegen hat eher Angst vor Drachen, die plötzlich auftauchen und uns unsere Schätze rauben.«
»Ist das so?«
Die Elfe grinste frech, während sie um eine Ecke spähte und den anderen zuwinkte.
»Ich hab gehört, dass Zwergen Reiche bereits untergegangen sind, weil sie Dämonen ausgegraben haben.«
»Ja, das passiert ab und an mal ...«, antwortete der Zwerg leicht bedröppelt.
Es war nicht unüblich, dass Reiche untergingen oder neu entstanden. Kriege, das Auftauchen von mächtigen Dämonen oder Naturkatastrophen waren nur einige der vielen Ursachen, die zu solchen Ereignissen führen konnten.
»Ich verstehe«, sagte der Echsenmensch, während er mit dem Schwanz wedelte.
»Woher hast du all dieses Wissen, werter Goblintöter?«
»Von einem Bergarbeiter. Es gibt viele, die Dinge wissen, die ich nicht weiß.«
Eine Zeit lang stand die Abenteurergruppe vor einer eingestürzten Steinbrücke, die es einst ermöglicht hatte, den vor ihnen liegenden Dreckwasserkanal zu überqueren. Die Elfe streckte eine Hand aus und stellte den Daumen auf, um die Breite des Kanals schätzen zu können.
»Ich glaube, dass ich über den Kanal springen könnte«, sagte sie, nachdem sie kurz nachgedacht hatte.
»Wie sieht es mit anderen Wegen aus?«, fragte Goblin Slayer.
»Mal schauen ...«
Raschelnd breitete der Echsenmensch die alte Karte der Kanalisation aus. Der Mönch hatte sie im Laufe ihrer Erkundungen um allerlei Informationen erweitert. Behutsam führte er eine Kralle über alle Kanäle und Tunnel, bis er schließlich den Kopf schüttelte.
»Da ich nicht sagen kann, wie es um die anderen Brücken steht, würde ich uns raten, den Kanal hier zu überqueren.«
»Das macht wenig Hoffnung«, kommentierte der Zwerg die Aussage seines schuppigen Kameraden und beugte sich leicht über den Rand der kaputten Brücke.
»Bitte Fall nicht runter«, sagte die Elfe und hielt ihn am Gürtel fest.
»Danke ... Hm? Ihr Alter und verschiedene Überflutungen scheinen zu ihrem Einsturz geführt zu haben. Das ist nicht erst gestern passiert. Bei den anderen Brücken in dieser Gegend wird es nicht besser sein.«
Als würde der Zwerg seine Aussage unterstreichen wollen, nahm - er sich einen Steinbrocken, der ursprünglich ein Teil der Brücke gewesen war, und zerdrückte ihn mit Leichtigkeit in einer Hand.
»Dann springen wir«, entschied Goblin Slayer.
»Einer springt zuerst und macht drüben ein Seil fest. Dann kommt der Rest.«
»I. .. Ich habe ein Seil dabei«, sagte die Priesterin und holte ein Seil mit Haken aus ihrer Tasche hervor.
Passend zu ihrem Charakter war es perfekt zusammengelegt, allerdings zeigte es auch keine Gebrauchsspuren, was man als Zeichen für ihre mangelnde Abenteuererfahrung sehen konnte.
»Ach, ist das aus deinem Abenteurerset? Da kommen Erinnerungen hoch ...«, meinte die Elfe.
Ein Seil mit Haken, mehrere Keile, ein Hammer und eine Zunderbüchse. Dazu eine kleine Tasche, ein Wasserbeutel, Geschirr, Kreide, ein Messer und viele weitere Kleinigkeiten. Das Abenteurerset war ein Ausrüstungspaket für neue Abenteurer, und es war lange her, dass die Elfe ihres gekauft hatte.
»Außer dem Seil mit Haken braucht man den Rest eher weniger.«
»Aber heißt es nicht, dass man ohne diese Dinge niemals auf ein Abenteuer gehen sollte?«
Die Elfe schnaufte kurz und griff sich die haken lose Seite des Seils. Dann machte sie ein zwei Schritte zurück, lief wie ein kleines Rehkitz los und sprang über den Kanal auf die andere Seite der zerstörten Brücke. Dort wickelte sie ihre Seite des Seils um einen Pfeil und verkeilte ihn in einer Spalte zwischen zwei Bodenplatten.
»Aber sag mal, Orcbolg. Das mit der Portal-Schriftrolle hast du auch von jemandem gelernt?«
»Ich hatte davon gehört, dass eine Gruppe Abenteurer von Wasser zerquetscht wurde, als sie ein Portal zu einer versunkenen Ruine öffneten.«
Auf Zeichen der Elfe schnappte sich Goblin Slayer die andere Seite des Seils und sprang. Mit einem dumpfen Geräusch landete der Krieger auf der anderen Seite.
»Wie bitte? Und dann hast du sie eingesetzt? Dir ist wohl jedes Mittel gegen Goblins recht.«
»Selbstverständlich«, sagte Goblin Slayer nüchtern und drückte der Elfe das Seil in die Hand, damit sie es der Priesterin zuwarf.
»Und schaffst du den Sprung?«, fragte der Zwerg die Priesterin besorgt.
»Ich werde mir vom Schuppigen helfen lassen ...«
»Äh, ja. Ich spring dann mal.«
Aufgeregt nahm die Priesterin einige Schritte Anlauf, lief los und sprang. Er legt Fallen. Er tötet ohne zu zögern Kinder. Er ist clever und gnadenlos. Damit ist er fast wie ein Goblin. Aber sicher wird auch er irgendwann ... Plötzlich schoss ihr wieder die Unterhaltung mit der Erzbischöfin durch den Kopf. Was hatte all das zu bedeuten?
* * *
Die Erkundung der Kanalisation verlief heute viel schneller als an den vorigen Tagen. Das lag zum einem daran, dass sie langsam den Aufbau der Kanalisation verstanden, und zum anderen daran, dass sie ihre Taktik geändert hatten. Goblin Slayer hatte sich entschieden, ab sofort vorsichtiger vorzugehen und Begegnungen mit Goblins zu vermeiden. Deshalb bewegte sich die Gruppe so leise wie möglich und umging alle Goblin Patrouillen, die sie erspähten.
»Es ist echt seltsam für dich, dass du Goblins laufen lässt, Orcbolg«, sagte die Elfe.
»Ich lasse sie nicht laufen«, erwiderte er, während er um eine Ecke lugte. »Aber erst müssen wir den Anführer erledigen. Der Rest kommt danach.«
»Wer steckt wohl dahinter? Ein Lord? Ein Oger?«, fragte die Priesterin unsicher.
Kopfschüttelnd antwortete Goblin Slayer:
»Ich weiß es nicht.«
Da Goblins niedere Monster waren, dienten sie vielen verschiedenen Meistern: Dunkelelfen, hochrangigen Dämonen und manchmal sogar Drachen.
»Wir sollten jetzt noch nicht darüber nachdenken«, entgegnete der Echsenmensch, der gerade die Karte studierte.
»Ich denke, dass wir noch weit davon entfernt sind, ihn aufzudecken.« »Meinst du damit, dass wir noch viel tiefer in die Kanalisation eindringen müssen?«, fragte der Zwerg.
»Wir müssen stromaufwärts gehen«, sagte Goblin Slayer, der sich mittlerweile auch über die Karte beugte.
Mit einem Finger zeigte er auf die Stelle, an der sie am vorherigen Tag auf die Goblin Schiffe getroffen waren.
»Sie kamen mit ihren Schiffen stromabwärts, weshalb zu erwarten ist, dass sie ein Lager stromaufwärts haben.«
Die Priesterin fragte besorgt:
»Aber verlassen wir dann nicht das Gebiet, das die Karte abdeckt? Ist das in Ordnung?«
Auf der Karte, die sie erhalten hatten, war nur die Kanalisation der Stadt des Wassers abgebildet. Während der Erkundungen der Gruppe hatte sich jedoch herausgestellt, dass eben diese nur ein kleiner Teil eines gewaltigen unterirdischen Ruinensystems war.
»Wir werden es nicht übertreiben«, antwortete Goblin Slayer entschieden.
Die Priesterin wusste nicht, ob er das nur aus Rücksicht zu ihr gesagt hatte, aber trotzdem fühlte sie sich ein wenig erleichtert.
»Stromaufwärts geht es hier entlang.«
Ohne zu zögern, ging die Elfe los und der Rest der Gruppe folgte ihr. Als sie nach einiger Zeit den Rand des Gebiets erreicht hatten, das von der Karte dargestellt wurde, veränderte sich das Aussehen der Tunnel. Die Wände zierten jetzt Wandgemälde und das vorher dreckige Wasser war jetzt sauber. Dies war offensichtlich keine Kanalisation mehr.
»Hier sind Ruß spuren«, sagte Goblin Slayer und zeigte auf eine Stelle an der Wand.
»Das heißt, dort waren Fackeln angebracht, oder?«, fragte die Elfe.
»Ja, aber vor langer Zeit. Goblins können im Dunkeln sehen und brauchen keine Fackeln.«
Der Echsenmensch strich mit der Hand über eines der Wandgemälde. Darauf waren Menschen, Elfen, Zwerge, Rhea, Echsenmenschen, Padfoots und viele weitere Völker abgebildet.
»Krieger und Soldaten?«, murmelte der Mönch, während er die dargestellten Wesen betrachtete.
»Nein, sie tragen alle unterschiedliche Ausrüstung ... Sind es Abenteurer?«
»Vor langer Zeit gab es in der Gegend heftige Kämpfe«, sagte der Zwerg und stellte sich neben den Echsenmenschen.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen untersuchte er das Gemälde genauer. Über die langen Jahre war es stark verwittert und wahrscheinlich würde eine Berührung schon reichen, um große Teile davon abblättern zu lassen.
»Dieses Bild muss circa vier- oder fünfhundert Jahre alt sein.«
Die Priesterin schaute sich noch einmal genauer um. Ordentlich aufgebaute Durchgänge, Wandmalereien und sauberes, fließendes Wasser. Es musste ursprünglich ein Ort des Friedens gewesen sein. Sie hatte eine Idee.
»Kann es sein, dass wir hier in einem Mausoleum sind?«
Es musste eine Grabstätte für gefallene Kämpfer des Zeitalters der Götter sein. Die Priesterin kniete nieder und sprach ein Gebet. Die Elfe stellte sich neben sie und zuckte mit den Schultern.
»Jetzt ist es nur noch ein Goblin Nest.«
Ihre traurigen Worte hallten leicht von den Wänden wider. Für Elfen, die mehrere Tausend Jahre lebten, war das Zeitalter der Götter noch nicht allzu lange her, aber der Gedanke, dass hier vielleicht Krieger begraben lagen, von denen ihre Eltern ihr erzählt hatten, versetzte sie in eine komische Stimmung. »Selbst die Tapfersten gehen am Ende unter, nicht wahr?«
»Das ist jetzt egal«, kommentierte Goblin Slayer das Verhalten der Elfe und der Priesterin.
Nachdem er keine Goblin Spuren in der Umgebung gefunden hatte, wollte er weiterziehen.
»Was soll das jetzt wieder?«, fragte die Elfe die Priesterin, die schulterzuckend antwortete:
»Typisch Goblin Slayer ...«
Die beiden standen auf und folgten dem Krieger. Auch der Echsenmensch und der Zwerg setzten sich wieder in Bewegung.
»Also wirklich, Bartschneider, die kleinen Biester rennen bestimmt weg, wenn sie dich sehen.«
»Das wäre ein Problem. Das macht es schwieriger, sie zu töten«, antwortete der Krieger, ohne sich umzudrehen.
Die Gruppe durchquerte ein steinernes Tor und betrat die Katakomben.Deren Aufbau war nicht weniger verwirrend als der der Kanalisation: Die vielen Treppen und Gänge verflochten sich zu einem komplexen Muster, in dem man sich leicht verlaufen konnte.
»Vielleicht wollten sie mit diesem Aufbau Monster verwirren und tollpatschige Krieger abschrecken«, mutmaßte der Zwerg.
»Selbst für die Steinmetze meines Volkes wäre so ein komplexer Bau eine echte Herausforderung. Ich will mir gar nicht erst vorstellen, wie es sein muss, sich hier auf alle Ewigkeit zu verlaufen.«
»Dann wäre man für immer für den Kreislauf des Lebens verloren. Wie schrecklich ... Nun ja, aber jetzt, wo dieser Ort in die Hände der Goblins gefallen ist, ist er ein Hort des Chaos. Wir müssen wachsam bleiben«, sagte der Echsenmensch.
Er zeichnete gerade auf einem Pergamentpapier eine rudimentäre Karte der Katakomben auf.
»Eine genaue Karte dieser Katakomben zu erstellen würde bestimmt ewig dauern.«
»Wollen wir zuerst diesen Raum untersuchen?«, fragte die Priesterin und richtete den Blick auf eine gewaltige Tür.
Sie war aus tiefschwarzem Ebenholz und besaß schwere Metallbeschläge. Trotz der hohen Luftfeuchtigkeit zeigte sie keinerlei Fäulnis oder andere Schäden, was hieß, dass sie vor langer Zeit mit einer besonderen Art von Magie behandelt worden sein musste.
»Sie ist offen und es gibt auch wohl keine Fallen. Zumindest direkt an der Tür.«
Die Elfe hatte die Tür genauer untersucht.
»Es ist aber nicht mein Fachgebiet, daher kann ich es nicht garantieren.«
»Worauf wartet ihr dann? Lasst uns weiter«, sagte Goblin Slayer und trat die Tür mit roher Gewalt auf.
Seine Kameraden folgten ihm hastig in den Raum und der Zwerg sicherte einen der zwei Türflügel mit einem Keil. Goblin Slayer, die Elfe und der Echsenmensch standen - auf Überraschungsangriffe vorbereitet - mit gezückten Waffen schützend vor der Priesterin und dem Zwerg, doch auf den ersten Blick schien der Raum, der sich als Grabkammer entpuppte, bis auf ein paar Steinsärge leer. Als Waldläuferin war es nun die Aufgabe der Elfe, die ungefähr zehn Quadratfuß große Kammer zu untersuchen. Der Boden bestand aus neun quadratischen Steinplatten, die in einem Drei-mal-drei-Muster ausgelegt waren. Mit gespanntem Bogen begann sie vorsichtig den Raum zu durchqueren als ...
»Schaut dort!« »Wie schrecklich!«
Im Licht von Goblin Slayers Fackel konnte man mit Mühe eine Gestalt erkennen. Sie hing an Beinen und Armen mit Ketten gefesselt an einer Wand am anderen Ende der Kammer. Den langen Haaren nach zu urteilen, handelte es sich wohl um eine Frau, die eine metallene Rüstung trug. Sie musste einer der Abenteurer sein, die nicht zurückgekehrt waren.
»Goblin Slayer!«, rief die Priesterin und schaute den Krieger fragend an.
»Geh.«
Die Priesterin eilte zu der Frau und fragte: »Hallo? Alles in Ordnung?«
Diese reagierte nicht, was bedeutete, dass sie bewusstlos war oder . . . Schnell schüttelte die Priesterin ihre schlimmsten Befürchtungen ab und sagte:
»Wir werden dir helfen!«
Sie begann zur Erdmutter zu beten und um Heilung zu bitten: »Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte lege deine Hände ... Wa ... ?«
Mit einem leisen Rascheln fielen die Haare der Frau zu Boden. Die Priesterin, die bis gerade noch in ihr Gebet vertieft war, hob den Blick und starrte in leere Augenhöhlen. Die Gestalt war ein Mensch gewesen, doch ihr musste bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen worden sein, weshalb statt eines Gesichts nur noch ein kahler Schädel übrig war.
»Nein! Das kann nicht sein!«, schrie die Priesterin erschrocken auf.
Im gleichen Augenblick knallte die schwere Tür hinter den Abenteurern zu. Das Klappern des Keils, der dabei in den Raum geworfen wurde, klang wie ein hämisches Lachen.
»Nein!«
Mit einem Schrei warf sich der Echsenmensch gegen die Tür, aber sie bewegte sich nicht.
»Das ist gar nicht gut! Sie haben die Tür verriegelt!«
»Los, Schuppiger! Wir probieren es zusammen!«
Der Echsenmensch und der Zwerg warfen sich gemeinsam gegen die Tür, und obwohl sie ein leichtes Knacken von sich gab, bewegte sie sich noch immer nicht.
»GROOROOROROB!!«
»GOROB!! GORRRRB!«
»GOROB!! GORRRRB!«
Verspottendes Gelächter war von der anderen Seite der Tür zu hören und die Elfe biss sich vor Wut auf die Lippe.
»Goblins!«
»Jetzt haben sie uns erwischt«, sagte Goblin Slayer.
Es war zu erwarten gewesen, dass die Goblins irgendwann auf sie aufmerksam werden würden, denn sie merkten immer, wenn jemand in ihr Nest eindrang. Doch anstatt sich aggressiv auf die Gruppe zu werfen, hatten diese Goblins sich dafür entschieden, sie in eine Falle zu locken. Die Biester wussten, dass Abenteurer keine Kameradin hilflos zurücklassen würden, und hatten es so geschafft, die Gruppe in die Enge zu treiben. Als die Priesterin begriff, in welcher Lage sie und ihre Kameraden sich befanden, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ihre Knie begannen zu zittern und ihre Zähne zu klappern. Unweigerlich musste sie daran denken, was auf ihrem ersten Abenteuer geschehen war.
»Beruhigt euch«, befahl Goblin Slayer in herrischem Ton.
Obwohl seine Worte nichts Aufmunterndes an sich hatten, schaffte die Priesterin es mit ihrer Hilfe, sich wieder etwas in den Griff zu bekommen. Sie nickte tapfer. Wäre er gerade nicht hier, hätte sie wahrscheinlich bereits alle Hoffnung aufgegeben.
»Noch sind wir am Leben.«
Plötzlich begann der Kanarienvogel lautstark zu piepsen.
* * *
»Gift!«
»GROB! GORRB!!« »GROOROB! GORRRB!!«
»Gift!«
»GROB! GORRB!!« »GROOROB! GORRRB!!«
Das Piepsen des Kanarienvogels hallte durch den Raum, während das Gelächter der Goblins von der anderen Seite der Tür zu hören war. Aus unzähligen kleinen Löchern in den Wänden strömte weißer Rauch in den Raum und die Abenteuer drängten sich in seiner Mitte zusammen.
»Das ist nicht gut. So werden wir alle mit einem Schlag erledigt«, rief der Echsenmensch.
»Nicht jedes Gift muss tödlich sein, aber du hast recht: Das ist gar nicht gut«, entgegnete der Zwerg und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Die Elfe hatte den Blick noch einmal durch die Kammer schwenken lassen, bevor sie ihren Kameraden mitteilte:
»Es gibt keinen Ausgang außer der Tür! Wir sitzen hier fest!«
»Goblin Slayer, was sollen wir tun?«, fragte die Priesterin verzweifelt.
Sie beherrschte das Wunder »Gegengift« noch nicht ... Nein, selbst damit hätte sie den Tod der Gruppe nur herauszögern können, denn es würde sie nur für kurze Zeit schützen. Außerdem konnte sie es nicht häufiger als dreimal wirken.
»Goblin Slayer?«
Der Krieger wühlte wortlos in seiner Tasche und warf der Priesterin sechs schwarze Klumpen zu.
»Wickel eins davon jeweils in ein Tuch und sorge dafür, dass jeder eins bekommt. Haltet es euch vor Nase und Mund!«
»Was ist das?«
»Kohle. Damit kann man einige Gifte aus der Luft filtern.
Wenn du Heilkräuter hast, tu sie dazu.«
»Äh.ja!«
Aufgeregt setzte die Priesterin sich hin und holte sechs Tücher aus ihrer Tasche. Der Echsenmensch eilte an ihre Seite.
»Soll ich helfen? Gift wirkt bei mir nicht so stark.«
»J ... Ja, bitte!«
Mit schnellen Handgriffen wickelte sie Kohle und Kräuter in eins der Tücher, um eine simple Gasmaske herzustellen. Während der Echsenmensch ihr diese um den Mund wickelte, stellte die Priesterin weitere für ihre Kameraden her.
»Goblin Slayer!«
»Danke.«
Goblin Slayer hielt zwei der Masken in der Hand. Die größere der beiden wickelte er um den Vogelkäfig und die kleinere steckte er sich in seinen Helm. Danach begann er erneut seine Tasche zu durchwühlen.
»Mensch, Was hast du denn alles dabei, Bartschneider?«, meinte der Zwerg, während er sich seine Maske umwickelte.
Nachdem Goblin Slayer zwei Päckchen aus seiner Tasche geholt hatte, antwortete er:
»Nur das Nötigste. Eigentlich wollte ich Gasmasken, wie sie die Pestärzte benutzen, dabeihaben, aber ...«
Er warf dem Zwerg die Päckchen zu. überrascht fing dieser sie und legte aufgrund ihres Gewichts leicht den Kopf schräg.
»Was ist das?«
»Steinkohle und Vulkanerde. Mischt das und verschließt die Löcher,«,
Der Zwerg schlug sich auf den Bauch und fragte:
»Ist das etwa Beton?!«
»Kannst du ihn schnell trocknen lassen?«
»Natürlich, Bartschneider. Ich beherrsche den Zauber -Verwitterung-.«
Als die Elfe das hörte, schnappte sie sich eins der Päckchen.
»Hey, Langohr. Was soll das?!«
»Als Elfe bin ich gut darin, Windzüge zu spüren!«
Die Elfe kniff grinsend die Augen zusammen und wackelte mit den Ohren. »Ich werde die Löcher suchen und stopfen! Kümmer du dich um den Zauber, Zwerg!«
»Alles klar!«
Der Zwerg eilte der Elfe hinterher, die quer durch die Kammer rannte. Nachdem sie das erste Loch mit einer matschartigen Masse gestopft hatte, streckte der Zwerg einen Arm danach aus und sagte mit geschlossenen Augen:
»Tick, Tack! Wandere weiter, Chronos. Setz die Zahnräder in Bewegung.«
Als der Zwerg die Augen wieder aufschlug, war der Matsch bereits getrocknet und zu Beton geworden. Der Echsenmensch rollte aufgeregt mit den Augen. »Diese Zauberer sollte man nicht unterschätzen.«
Da das Tuch allein nicht gereicht hatte, um sein Maul zu verdecken, hatte er einen Verband als Verlängerung benutzt, und weil das Kampfgeschehen für ihn wie eine zweite Heimat war, wirkte er sehr viel entspannter als seine Kameraden.
»Was ist der nächste Schritt in deinem Plan, werter Goblintöter?«
»Lasst uns die Tür mit diesem steinernen Sarg blockieren«, antwortete der Krieger.
»Sobald sich das Gift gelegt hat, werden sie rein stürmen.«
»Oh, i. .. ich helfe auch!«, meinte die Priesterin.
Auf ein Nicken von Goblin Slayer sprang der Echsenmensch an seine Seite und auch die Priesterin eilte heran.
»Ich bin jederzeit bereit«, sagte Goblin Slayer.
»Dann schieben wir jetzt gemeinsam.«
Während Goblin Slayer und die Priesterin sich Seite an Seite gegen den Sarg stemmten, stellte sich der Echsenmensch hinter die beiden und griff mit seinen riesigen Armen über sie hinweg. »Und ...«
»Hmpf!« »... Los!«
Zusammen mit ihren beiden Kameraden sammelte die zart gebaute Priesterin all ihre Kräfte und drückte, so stark sie konnte. Auch wenn sie wusste, dass ihre Kräfte nicht mit denen ihrer Kameraden zu vergleichen waren, gab sie dennoch ihr Bestes.
»H ... Hnngh!«
Als die Priesterin bemerkte, dass sie nicht mehr zitterte, begann auch der Sarg sich zu bewegen. Mit einem lauten Kratzen rutschte er über die Steinplatten und hinterließ eine weiße Spur. Mit einem dumpfen Geräusch stieß er schließlich gegen die Tür. Nachdem er den Sarg noch zwei-, dreimal geschubst hatte, sagte der Echsenmensch:
»Das wäre erledigt.«
Wahrend der Mönch zufrieden nickte, kam die Elfe heran gesprungen.
»Wir sind auch fertig!«
Schwankend lief ihr der Zwerg hinterher und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Aber mir sind die Zauber ausgegangen.«
»Dann nimm eine Waffe.«
Goblin Slayer reichte ihm einen Dolch und stellte den Vogelkäfig mit dem Kanarienvogel, der wieder zur Ruhe gekommen war, in der Mitte der Kammer ab. Dann kontrollierte er seinen Schild, schaute in seine Tasche und nahm Kampfhaltung ein.
»Oho. Zumindest sollte mir hier die Munition nicht ausgehen.«
Nachdem er den Dolch weggesteckt hatte, zog der Zwerg eine Schleuder aus seiner Tasche und sammelte einige Steine vom Boden auf. Die Elfe überprüfte in der Zeit die Sehne ihres Bogens und schaute in ihren Köcher.
»Soll ich auch einen Drachenzahnkrieger rufen?«
»Ach, dann wirke ich auch Schutzwall!«
»Bitte.«
Auf Goblin Slayers Antwort hin begannen der Mönch und die Priesterin ihre Gebete.
»Zerschneidende Klaue meines Vorfahren Iguanodon lvana. Vier Glieder. Zwei Beine. Erhebe dich aus dem Boden.«
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde.«
Während sich die auf den Boden geworfenen Reißzähne in einen Drachenzahnkrieger verwandelten, materialisierte sich das Wunder Schutzwall vor den Abenteurern.
»Es ist plötzlich so ruhig«, sagte die Elfe, während sie mit ihrem gespannten Bogen auf die Tür zielte.
Aufgeregt wackelte sie mit den Ohren. Immer noch in Kampfhaltung erklärte Goblin Slayer ihr:
»Da wir die Löcher versiegelt haben, wird das Gift zurückgeschickt. Das wird einige erledigt haben.«
Bomm.
Fast als würden sie Goblin Slayers Aussage unterstreichen wollen, erklang das tiefe Grollen von Kriegstrommeln, gefolgt von den Schrittgeräuschen vieler sich nähernder Wesen.
»Sie sind da.«
Die vom Steinsarg blockierte Tür bebte kurz. Kurz darauf ertönte ein sich wiederholendes Trommeln, als würde etwas dagegen gerammt. Während sich bei den ersten Schlägen nichts tat, knirschte und knackte die Tür nach und nach immer mehr, bis schließlich ein Teil davon herausbrach. Dreckig gelbe Augen schimmerten durch den Spalt hervor.
»Passt auf!«, rief die Elfe und feuerte einen Pfeil ab.
Den Bruchteil einer Sekunde später durchbohrte er den Schädel des herein spähenden Goblins.
»GARAB?!«
Mit einem ohrenbetäubenden Kreischen fiel das Biest tot um, aber einer seiner Artgenossen nahm sofort seinen Platz ein.
»Ich weiß nicht, wie viele es sind, aber einige von ihnen scheinen besonders zu sein!«
Die Goblins begannen von ihrer Seite der Tür die Abenteurer mit Pfeilen zu beschießen, aber im Gegensatz zum Pfeilregen des letzten Kampfs konnten einzelne Pfeile nur schwer das Wunder durchdringen. Solange die Priesterin es also aufrechterhielt, stellten die Pfeile der Goblins keine Gefahr dar.
»Sie winden sich durch die Löcher!«, rief der Zwerg und zog eine Grimasse, dessen wahre Bedeutung schwer zu deuten war.
Obwohl der Zwerg und die Elfe schnellstmöglich Steine und Pfeile auf die durchbrechenden Biester feuerten, konnten sie diese nicht daran hindern, die Tür an ihre Belastungsgrenzen zu bringen, die schließlich mit einem ohrenbetäubenden Krachen aus den Angeln riss.
»GORORB!!« »GROOROB!!«
Ungehindert stürzten die Goblins in den Raum. Sie hielten die für die Biester üblichen groben Waffen in den Händen, trugen aber Kettenhemden und Lederrüstungen, was alles andere als gewöhnlich für sie war.
»Sie sind wirklich gut ausgerüstet«, sagte Goblin Slayer, nachdem er die einfallenden Wesen kurz beobachtet hatte.
Doch nicht nur das war ihm aufgefallen.
»Ein Hob ... Nein ...«
Ein gewaltiger Goblin schob sich mit einem dunklen Knurren durch die Tür. Goblin Slayer warf seinen Dolch nach ihm und traf einen Rüstungsspalt an der Schulter, doch das Wesen schien das nicht im Geringsten zu stören. Man konnte es nicht mit seinen Artgenossen vergleichen. Es war größer als jeder Mensch und seine Muskeln spannten seine grüne Haut so sehr, dass man das Gefühl bekam, sie könnte jederzeit platzen. Es war mit einem gewaltigen Knüppel bewaffnet und ein abscheuliches aber auch selbstgefälliges Grinsen prägte seine Fratze.
»GORAORARO!!«
»Ein Champion«, stellte Goblin Slayer nüchtern fest.
Der Goblin Champion zog sich den Dolch aus der Schulter und verbog ihn mit einer Hand, bevor er ihn zu Boden warf.
»Ich lege los.«
Goblin Slayer zog sein Schwert und stürzte sich auf die ersten Goblins.
»Ich unterstütze dich!«, rief der Echsenmensch und zog seine Knochenklinge.
Mit einem furchterregenden Kampfschrei stürzte auch er sich auf die einfallenden Bestien. Sein Drachenzahnkrieger folgte ihm. Das Geräusch von reißendem Fleisch, Gebrüll und Schmerzensschreie. Augenblicklich lag der Geruch von Blut in der Luft. Wie immer interessierten sich die Goblins nicht sonderlich für ihre gefallenen Kameraden und stürzten sich Welle für Welle auf die Abenteurer. Doch Goblin Slayer war sich bereits im Klaren darüber, dass sie so nicht gewinnen könnten. Sie mussten den Anführer besiegen.
»Ä ... Ähm ...«, sprach eine bebende Stimme den Krieger von hinten an.
Es war die Priesterin, die zwischen dem Zwerg und der Priesterin stand. Goblin Slayer jedoch ignorierte sie und stürzte sich in die Unmengen von Goblins vor ihnen und war kurz darauf nicht mehr zu sehen. Er bewegte sich geduckt, immer darauf achtend, dass keine der Bestien ihn von hinten erwischen konnte. Wenn er einen Goblin nicht mit seiner Klinge traf, schlug er ihn mit dem Schild, sodass er umfiel und damit leichte Beute für den Echsenmenschen und seinen Drachenzahnkrieger war. Ein Goblin hatte es derweil geschafft, sich an dem Rücken des Drachenzahnkriegers festzuklammern, aber der Echsenmensch beförderte ihn mit einem Tritt zu Boden. Der Drachenzahnkrieger stürzte sich auf den gefallenen Goblin und zerriss ihm blitzschnell die Kehle. Goblin Slayer schleuderte sein Schwert auf einen Angreifer mit Speer und nahm dann den Knüppel eines gefallenen Goblins zur Hand.
»ORARAGA?!«
»Fünf.«
Da sie in einem offenen Raum kämpften, hätte Goblin Slayer gegen diese Menge an Goblins allein keine Chance gehabt. Selbst wenn ihm nicht die Puste ausgegangen wäre, hätte früher oder später eines der Biester es geschafft, ihn von hinten oder von der Seite zu erwischen.
»Geh in die Vollen«, rief Goblin Slayer dem schuppigen Mönch zu.
»Ja«, antwortete er mit einem Brüllen.
»Oh, schenke mir deine Sicht, Vorfahre!«
Erst schlug er einen Gegner mit dem Schwanz weg, dann griff
er sich den nächsten und warf ihn an die Wand.
»GORARA?!« »GROOROBB?!«
Zwei Krallen bepackte Hände, ein Kiefer und ein Schwanz. Der ganze Körper des Echsenmenschen war eine Waffe, sodass er wie ein wilder Wirbelsturm kämpfen konnte. Egal in welche Richtung er auch schlug, ein Gegner war immer in Reichweite. Zusammen mit seinem Drachenzahnkrieger schaffte er es, ein kleines Loch im Kampfgetümmel zu erzeugen, durch das Goblin Slayer schnell hindurch eilte.
»Scheiße, sind das viele!«
»Hör auf zu nörgeln und kämpfe!«
Alle Goblins, die Goblin Slayer und der Echsenmensch übrig ließen, wurden zielsicher von dem Zwerg oder der Elfe im Fernkampf beseitigt.
»Kannst du noch?!«
»Ja, irgendwie ...«
Die Priesterin bemühte sich immer noch, das Wunder Schutzwall aufrecht zuerhalten, und hielt damit die Goblins davon ab, zu ihr, der Elfe und dem Zwerg durchzudringen. Da die Anzahl der Goblins, die in die Kammer eindringen konnten, durch den Schutzwall und den Türrahmen begrenzt war, verlief der Kampf zu Gunsten der Abenteurer, aber die Frage war, wie lange es noch so bleiben würde. Kein anderer konnte die Frage besser beantworten als Goblin Slayer, der gerade einem Goblin mit dem Knüppel den Schädel einschlug. Als nächstes zerquetschte er einer der Bestien mit seinem Schild die Luftröhre und warf einer weiteren den Knüppel an den Kopf. Dann griff er zu dem Langschwert eines bereits getöteten Goblins.
»Siebzehn ...«
Nachdem Goblin Slayer sich etwas Freiraum erkämpft hatte, verschwand er hinter einem der Steinsärge. Sein Ziel war es, hinter den Goblin Champion zu kommen und ihn zu überraschen. Der Champion war dreimal so groß wie ein Goblin und zweimal so groß wie ein Mensch. Seinem Aussehen nach musste er von einem Hobgoblin abstammen und hatte seinen mächtigen Körper durch Aufenthalte in mehreren Nestern und im Kampf gegen unterschiedlichste Abenteurer trainiert. Ihm war es bereits in die Wiege gelegt worden, ein Anführer zu sein, und durch Erfahrung war er zu etwas wie einem Helden der Goblins geworden. Bei dem Kampf um den Bauernhof hatte ein anderer Goblin Champion den Panzerkrieger und die Ritterin in Schach halten können, und es war zu erwarten, dass auch dieses Exemplar beachtliche Kampffähigkeiten besaß.
>Aber ein Goblin bleibt halt ein Goblin<, dachte sich Goblin Slayer.
Natürlich hieß das nicht, dass er auf ihn herabsah. So einen Fehler würde der Krieger nicht begehen.
»ORGOORORB!!«
Um seine feigen Untergebenen anzustacheln, schwang der Champion seinen Knüppel durch die Luft. Goblin Slayer hatte es mittlerweile geschafft, sich hinter ihn zu schleichen. Er hatte Geschichten davon gehört, dass es einem Rhea gelungen war, einem Goblin Lord mit einem Schlag den Kopf abzuschlagen. Er wusste zwar nicht, ob das wirklich möglich war, aber auch er hatte vor, es mit einem Schlag zu beenden. Er würde versuchen, mit seiner Klinge den Hals des Champions von hinten zu durchbohren. Er drehte die Klinge in seiner Hand um, nahm Anlauf und sprang von einem der Steinsärge ab.
»OROAGA?!«
Er spürte genau, wie das Schwert Fleisch durchtrennte, doch dann erkannte er, dass er nicht den Champion, sondern nur einen seiner Untergebenen erwischt hatte.
»GORAGAGA!!«
Der Anführer hatte einen niederen Goblin als Schild verwendet. Das war nichts Neues für Goblin Slayer. Er wusste, dass Goblins keinerlei Probleme damit hatten, ihre Kameraden zu opfern, denn für sie zählte allein der Sieg. Allerdings hieß das nicht, dass sie nicht über den Tod ihrer Kameraden sauer wurden.
»GOROROROB!«
Der Goblin, den der Champion als Schutzschild verwendet hatte, schaffte es noch, Goblin Slayer etwas ins Gesicht zu schreien, während er dickes Blut ausspuckte.
»Ts!«
Goblin Slayer zögerte nicht lange und zog sein Schwert heraus, um zum nächsten Hieb anzusetzen, doch dafür war es zu spät. Der Champion hatte bereits mit seinem Knüppel ausgeholt und begann dreckig zu grinsen.
»GROOOOORB!!«
»Argh?!«
Ein schreckliches Knacken halte durch die Kammer, als der Knüppel auf Goblin Slayers Körper traf. Er fühlte, wie er durch die Luft segelte und in etwas krachte - dann überkam ihn ein Schmerz, der ihm alle Sinne raubte. Goblin Slayer war in einen der Steinsärge geschleudert worden, der unter der Kraft des Aufpralls zerbrochen war.
»Goblin Slayer ... ?!«
Die Priesterin blickte fassungslos auf ihren reglosen Kameraden.
»Orcbolg, wurdest du erwischt?!«
Auch die Elfe und der Zwerg richteten die Blicke auf Goblin Slayer.
Doch er antwortete nicht.
»G ... Goblin Slayer!«, schrie die Priesterin.
>N. .. Nein ... Das kann nicht sein ... Selbst nach dem Treffer des Ogers war er wieder aufgestanden ... Ja ... Er wird gleich wieder aufstehen ... !<
Doch er tat es nicht. Er lag da wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden. Blut tropfte aus seinem Visier, und seinen Kameraden wurde klar, dass der Champion ihn mit einem kritischen Treffer erwischt hatte.
»Ne ...«
Der Priesterin rutschte der Stab aus den Händen und er fiel scheppernd zu Boden. Sie konnte sich vor Zittern kaum noch auf den Beinen halten.
»Nein! Goblin Slayer! Goblin Slayer!!«
»GORB! GRROB!«
»GROROB!«
»GROROB!«
Als sie die Schreie des Mädchens hörten, mussten die Goblins Lachen, denn es war genau das, was sie wollten. Einer der Nahkämpfer der Abenteurer war schwer verletzt und die Priesterin in Panik. Sie wussten, was das bedeutete: Ihre Gegner hatten keine Chance mehr. Bald würden sie ihren Spaß mit ihnen haben können.
»Oh, nein! Der Schutzwall!«
Der Zwerg bemerkte es zuerst.
Das Wunder der Priesterin war endgültig verschwunden, und die Goblins, die sich der Priesterin, der Elfe und dem Zwerg bisher
nicht nähern konnten, stürmten jetzt auf sie zu.
»Wirke das Wunder erneut!«, rief die Elfe der immer noch panischen Priesterin zu.
»Beruhige dich. Konzentriere dich!«
»J ... Ja!«, antwortete die Priesterin.
Stotternd begann sie zu beten:
»H ... Höchst barmherzige ... Er. .. Erd ... !«
Doch es war zu spät. Bevor die Priesterin ihr Gebet zu Ende sprechen konnte, hatten sich die ersten Goblins bereits auf die Elfe gestürzt. Sie hatte so schnell mit Pfeilen auf sie gefeuert, wie sie es konnte, aber es hatte nicht gereicht, um ihren Ansturm zu verlangsamen. Verzweifelt versuchte sie die Goblins von sich zu schütteln, doch Elfen waren zarte Geschöpfe und ihre Kraft reichte nicht, um sich aus den Klauen ihrer Angreifer zu befreien.
»Loslassen. Lasst los. Haa. Ah?! Aufhö ... Nein. Aah?!«
In kürzester Zeit saßen so viele Goblins auf ihr, dass aus der Masse der Angreifer nur noch ihre Beine hervorschauten, mit denen sie verzweifelt um sich trat.
»Langohr!«
Der Zwerg stand der Elfe am nächsten und warf seine Schleuder von sich, um eine Axt aus seinem Gürtel zu ziehen.
»Ihr verfluchten Viecher! Lasst sie gefälligst los!«
Da er all seine Magie bereits aufgebraucht hatte, blieb dem Zwerg nichts anderes übrig, als seine Kameradin mit roher Gewalt zu befreien. Zum Glück hatte er schnell genug reagiert, bevor einer der Goblins seine Klinge in die Elfe rammen konnte. Allerdings sorgte die fehlende Fernkampfunterstützung nicht nur dafür, dass der Echsenmensch jetzt komplett allein auf sich gestellt war, sondern auch dafür, dass niemand mehr zwischen der Priesterin und dem Goblin Champion stand.
»Nei... Nein, nicht ...«
Die junge Frau zitterte am ganzen Körper. Vor Angst klapperte sie mit den Zähnen und schaffte es nicht mehr, sich auf den Beinen zu halten. Als sie Plumpsend auf den Hintern fiel, breitete sich zwischen ihren Beinen ein feuchtwarmes Gefühl aus.
»GROB! GROORB! GORRRB!«
Als der Goblin Champion roch, was gerade passiert war, schaute er sie verachtend an. Am liebsten wäre sie bewusstlos geworden, aber ironischerweise ließ all die Erfahrung, die sie mittlerweile während ihrer Abenteuer gesammelt hatte, genau dies nicht zu. Der Champion streckte einen Arm aus, ergriff die zarte Priesterin an der Hüfte und hob sie in die Luft.
»Hnngh?! A ... Argh!«
Der grobe Griff des Goblins tat der Priesterin weh und sie ächzte vor Schmerzen. Sie überkam die Furcht, dass die Bestie ihr Rückgrat brechen würde.
»Hi ... Hilfe! Wa ... Was? Warum?«
Doch stattdessen zog der Champion die junge Frau näher an sein nach verfaultem Fleisch stinkendes Maul heran und schnüffelte kurz an ihr, bevor er seine Zähne in sie vergrub.
»Aaaaaaah!«
Als wäre es gar nicht existent, biss das Monster ein Stück des Kettenhemds zusammen mit einem Stück Fleisch aus der Schulter der Priesterin heraus. Blut sprudelte aus der Wunde hervor und färbte die Robe rot.
»Aah?! Aaah?!«
Noch nie hatte die Priesterin unter solchen Schmerzen gelitten. Ihr Verstand war gar nicht mehr dazu fähig, all das zu verarbeiten, was gerade passierte. Während ihr langsam schwarz vor Augen wurde, verlor sie die Kontrolle über ihren Körper.
»Hört auf! Verdammt! Loslassen! Lasst los!«
Endlich hatte die Elfe es mithilfe des Zwergs geschafft, sich aus dem Haufen von Goblins zu befreien.
»Es geht so nicht weiter! Werter Zwerg, wenn wir die drei nicht hier raus bringen, werden wir sicher aufgerieben!«, rief der Echsenmensch, während er so viele Goblins erledigte, wie er konnte.
»Das sagst du so leicht, Schuppiger!«
»GOROROB!«
»GORRB! GORB! GOOB!«
»GORRB! GORB! GOOB!«
Der Goblin Champion lachte lautstark, während er beobachtete, wie die restlichen Abenteurer verzweifelt um ihr Leben kämpften. Es war ein Tag wie jeder andere. Die Würfel bestimmten mit ihren Augen das Schicksal aller und sorgten so immer wieder dafür, dass Abenteurer von Goblins aufgerieben wurden. Die einen nannten es Schicksal, die anderen nannten es Zufall ...
>Halt's Maul!<
Für Goblin Slayer war es, als hätte er eine Stimme gehört, die ihn wahnsinnig wütend gemacht hatte. So wütend, dass er wieder zu Bewusstsein gekommen war. Er richtete sich vorsichtig auf und bemerkte, dass sich in dem Grab, auf das er gefallen war, eine versteckte Treppe befand, die in die Tiefe führte. Er hatte Glück gehabt, denn sie hatte einen Hohlraum geschaffen, der ihm das Leben gerettet hatte. Wäre sein Sturz dadurch nicht abgeschwächt worden, wäre er jetzt ganz sicher tot. Aber diese Treppe interessierte ihn jetzt nicht. Wichtig war nur, dass er noch lebte - und solange er am Leben war, würde er kämpfen. Er griff in seine Tasche und zog mit Mühen einen Heiltrank heraus, der nicht durch den Aufprall zerstört worden war. Mit seinen gebrochenen Fingern war es nicht einfach, den Korken aus der Flasche zu ziehen, aber als er es schließlich geschafft hatte, schüttete er sich den Inhalt in den Mund. Der Trank würde ihn nicht wie ein göttliches Wunder heilen, aber er würde die Schmerzen lindern und ihm damit ermöglichen, sich zu bewegen. Und wenn er sich bewegen konnte, dann konnte erkämpfen. Mit seiner rechten Hand suchte er die Umgebung ab und fand schließlich eine Waffe oder zumindest etwas, was er als Waffe verwenden konnte. Er griff zu und zwang sich dann, trotz des angebrochenen Knies aufzustehen. Er war noch am Leben. Als dies ein Goblin bemerkte, näherte er sich ihm grinsend. Wahrscheinlich dachte der Goblin, dass er ihm den Todesstoß versetzen könnte. Schild voraus lies Goblin Slayer sich auf den Angreifer fallen.
»GORARO?!«
Mit der Kraft seines Körpergewichts bohrte er den Schild in die Stirn seines Gegenübers und tötete ihn. Er schüttelte das Blut und die Gehirnmasse von seinem Schild und richtete sich wieder auf. Er musste weiter und dabei leise sein. Er durfte diesmal nicht bemerkt werden. Der Goblin Champion war gerade vollkommen darauf konzentriert, an seinem Opfer zu knabbern, der Priesterin, die er immer noch in der Hand hielt. Er hatte noch nicht bemerkt, dass Goblin Slayer wieder aufgestanden war. Der Körper der Priesterin war vollkommen schlaff und ihre leeren Augen starrten in die Ferne. Die Bisswunde an ihrer Schulter hörte nicht auf zu bluten und ihre Lippen bewegten sich zitternd, aber kein Laut war zu hören. Betete sie etwa oder flehte um Hilfe? Es war unklar. Goblin Slayer hatte es mittlerweile geschafft, unbemerkt hinter den Champion zu gelangen, und sprang ihm auf den Rücken. Er warf dem Monster etwas um den Hals und zog mit aller Kraft daran. Als er nach einer Waffe gesucht hatte, hatte Goblin Slayer die Haare der toten Abenteurerin und ihre Wirbelsäure gefunden. Er hatte aus den Haaren eine Schlinge gefertigt und diese an der Wirbelsäule befestigt. Die Wirbelsäule half ihm dabei, die nötige Kraft zu entwickeln, die er brauchte, um den muskelbepackten Goblin überhaupt erst würgen zu können.
»GO, RRRRBBBB?!?!?!«
Verzweifelt versuchte der Champion aufzuschreien, bekam aber nicht mehr als ein kratziges Geräusch heraus. Er zog mit der freien Hand an der Schlinge aus Haaren, schaffte es aber nicht, mehr als ein paar Haare zu lösen. Goblin Slayer hatte gehört, dass Meuchelmörder Fäden aus Menschenhaaren als Mordwerkzeug nutzten, weil sie widerstandsfähig waren und nicht verrutschten. Dieses Wissen war ihm jetzt nützlich geworden. Als dem Goblin Champion bewusst wurde, dass er sich nicht so einfach aus der Lage befreien konnte, schmiss er die Priesterin zu Boden.
»Ah ...«
Goblin Slayer hörte, wie sie ein leichtes Stöhnen von sich gab. Sie lebte. Diese Information reichte in diesem Moment für ihn. Nicht wissend, was er sonst tun sollte, bäumte der Goblin Champion seinen Körper auf und schmiss sich mit dem Rücken gegen eine Wand.
»Argh!«, entwich Goblin Slayer ein Schmerzensschrei.
Er war zwischen dem Körper des Champions und der Wand eingeklemmt worden und hatte die volle Wucht der Körpermasse des Goblins abbekommen. Er spuckte erneut Blut, aber lockerte seinen Griff für keine Sekunde.
»GOROROB?! GROORB?!«
Der Goblin Champion geriet in Panik und seine Untergebenen eilten herbei, um ihm zu helfen. Allerdings war das ein Fehler, denn just in diesem Moment begann ihr Anführer, mit seinem Knüppel wild um sich zu schlagen. Von der Wucht seiner Waffe getroffen, wurden einige von ihnen in Stücke gerissen und andere am Boden zerquetscht.
»Hejaaaah!«
Der Echsenmensch nutzte die Chance und stürzte sich mit Gebrüll auf einige verwirrte Goblins.
»GRAB?!«
»GORORB?!«
»GORORB?!«
Mit jedem Aufblitzen seiner Scharfen Kralle flogen Arme, Beine oder Köpfe seiner Gegner durch die Luft, die verzweifelt versuchen, ihn zu umzingeln. Allerdings machte ein Hagel aus Pfeilen mit Knospen Spitzen ihnen einen Strich durch die Rechnung.
»Los! Heil sie!«, rief die Elfe dem schuppigen Mönch zu.
Die Goblins hatten ihre Kleidung aufgerissen und sie war von oben bis unten mit Blut beschmiert, aber daran schien sie gerade gar nicht zu denken.
»Wir kümmern uns um die Goblins hier!«
»Ja!«, antwortete der Echsenmensch und begann sich zur Priesterin durchzukämpfen.
»Danke«, sagte die Elfe zum Zwerg und atmete erleichtert aus.
»Wo kommt das so plötzlich her?«, fragte der Zwerg verwundert.
Auch er war vollkommen mit Goblin Blut besudelt und obwohl er sichtlich erschöpft war, war er immer noch in Kampfposition.
»Beschämend, dass ich als Elfe einem Zwerg etwas schuldig bin, aber es wäre noch beschämender, wenn ich mich nicht bedanken würde.«
Der Zwerg lachte lautlos und entgegnete:
»Gerade hattest du noch Tränen in den Augen. Du bist verdammt stolz.«
Darauf zwinkerte die Elfe ihm zu und sagte: »Immer noch besser, als keinen zu haben, oder?«
Danach feuerte sie ein paar Pfeile auf den Goblin Champion und rief:
»Mach ihn fertig, Orcbolg!«
Goblin Slayer zog nach wie vor mit voller Kraft und versuchte dabei, das Wüten des Champions weg von seinen Kameraden zu lenken. Der Goblin warf seinen Körper hin und her und während der Krieger zuerst höllische Schmerzen empfunden hatte, spürte er mittlerweile gar nichts mehr. Es war ein wenig so, als würde er auf Wasser treiben. Sein Verstand schlug Alarm. Er wusste, Schmerzen waren ein Zeichen dafür, dass man am Leben war. War ihr Fehlen ein Zeichen dafür, dass er kurz vor seinem Ende stand? Hatte er eine falsche Entscheidung gefällt? Stirb endlich. Setz dem Ganzen ein Ende! Nein, eigentlich traf es sich doch gerade gut, dass er keine Schmerzen spürte. Wenn es zum Sieg führte, würde er immer übertreiben.
»Heyl«, presste Goblin Slayer unter Schmerzen hervor.
Ihm war nicht klar, ob der Champion verstehen konnte, was er sagte, aber jedenfalls drehte dieser den Kopf und schaute den Krieger an.
»Sieh mich an, Goblin.«
Nachdem der Goblin ihm den Kopf weit genug zugedreht hatte, rammte Goblin Slayer die rechte Hand in eins seiner Augen und riss es heraus.
»GRORARARAB?! GROOROROROB?!?!?!!«
Als Reaktion auf die Schmerzen und darauf, was gerade passiert war, zuckte der Goblin plötzlich heftig und Goblin Slayer fiel zu Boden. Nur mit Mühe konnte er sich vor dem Körper des Champions retten, der direkt darauf auf die Knie fiel. Unter höllischen Schmerzen und mit heftigem Keuchen richtete sich Goblin Slayer wieder auf, wobei er einen Knochen als Stütze nutzte. Von oben bis unten mit Blut besudelt bot er einen furchterregenden Anblick und die Goblins schienen aus Furcht vor ihm eingefroren zu sein. Obwohl er dem Tode nahe war, erhob der Krieger die Stimme und sagte: »Wer ist als Nächstes dran?« Als wollte er seine Aussage unterstreichen, warf er den herausgerissenen Augapfel dem nächstbesten Goblin klatschend vor die Füße.
»Du?«
»GORB ... ! GARARARAB!!«
Der Goblin Champion schaffte es, sich schwankend aufzurichten, und stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus. Wo eben noch sein rechtes Auge war, war jetzt nur noch ein blutendes schwarzes Loch.
»GOB ...«
Die Goblins schwenkten verwirrt die Blicke von ihrem Anführer zu Goblin Slayer und zurück, bis einer von ihnen vor Angst seine Waffe fallen ließ und damit ungewollt den hastigen Rückzug des Rests der Horde einleitete.
»GORROROROB!!«
»GORARAB! GORAB!«
»GROOB! GROB!«
»GORARAB! GORAB!«
»GROOB! GROB!«
Unter Schreien rannten sie wie kopflose Hühner los. An ihrer Spitze war der Champion und bewies damit, dass er zwar stark sein mochte, aber am Ende auch nur ein Goblin war. Schnell verschwanden sie durch den Eingang der Kammer in der Dunkelheit und ließen die Abenteurer mit Bergen toter Kameraden zurück. Verletzt und am Ende ihrer Kräfte dachten die Abenteurer gar nicht daran, die Verfolgung aufzunehmen - bis auf Goblin Slayer. Schwankend warf er den Knochen fort und griff nach einem Speer, um ihn als Krücke zu verwenden. Mühsam bewegte er sich durch die Kammer und zog dabei eine Spur aus Blut hinter sich her, die aus seinem eigenen sowie aus Goblin Blut bestand, doch nach einigen Metern fiel er auf die Knie.
»Orcbolg!«, rief die Elfe und kam heran gesprungen, um ihn zu stützen.
Dass nur einige Fetzen Kleidung ihren sonst vollkommen entblößten Körper bedeckten, schien sie nicht zu stören.
»Alles okay?«, fragte Goblin Slayer mit einer fast träumerischen Stimme.
»]a, so gerade ...«, antwortete die Elfe mit heiserer Stimme.
»Du hingegen bist alles andere als okay.«
»Das stimmt. Wie geht es der Priesterin?«
»Warte ... Kannst du gehen?«
»Ich werde es versuchen.«
Ihre letzten Kräfte mobilisierend schaffte die Elfe es, Goblin Slayer zu stützen, und zusammen gingen sie zu dem Rest ihrer Kameraden. Die Elfe merkte, wie ihr warme Tränen die Wangen herunterliefen.
»Hier, ich helfe euch«, sagte der Zwerg und kam den beiden entgegengeeilt. Auch er sah schrecklich aus. Seine Ausrüstung war rot getränkt von all dem Goblin Blut, und selbst sein weißer Bart, auf den er so stolz war, war nicht verschont geblieben. Er stützte Goblin Slayer von der anderen Seite und sagte:
»Wir sollten erst einmal umkehren.«
»Ja ...«, stimmte Goblin Slayer überraschenderweise zu.
Zusammen erreichten sie den zerstörten Steinsarg, auf dem Goblin Slayer gelandet war. Neben ihm saß der Echsenmensch über die Priesterin gebeugt und heilte sie mit einer seiner Fähigkeiten.
»Wie sieht es aus?«, fragte Goblin Slayer.
Der Echsenmensch kniff die Augen leicht zusammen und hob den Kopf seiner Patientin mit seinem Schwanz an. Dann antwortete er:
»Ihr Leben ist nicht mehr in Gefahr. Aber wären die Wunden etwas tiefer gewesen, hätte ich nichts mehr für sie tun können.«
»Ach so.«
»Hier ... Setz dich, das ist besser, oder?«, meinte die Elfe zu Goblin Slayer, der neben ihr keuchte.
Mit der Hilfe des Zwergs setzte sie ihn so hin, dass er sich an dem kaputten Sarg anlehnen konnte, aber trotzdem wirkte er, als ob er jeden Moment umfallen würde.
»Ah ...« Mit einem leisen Stöhnen öffnete die Priesterin ihre Augen.
»Es tut ... mir ... lei...«
»Mach dir keinen Kopf. So etwas kommt schon mal vor«, sagte Goblin Slayer und nahm ihre Hand.
»Go ... Slay ... er.«
»Wir müssen an die Oberfläche zurück. Wenn wir uns nicht beeilen, kommen sie wieder. Kannst du stehen, Orcbolg?«
»Ach, zieh du dir lieber einen Mantel über. Ich werde Bartschneider stützen.«
»Ich werde die werte Priesterin auf meinen Schultern tragen.
Bleibt wachsam.«
Wahrend er hörte, wie seine Kameraden den Rückzug aus der Kanalisation besprachen, verschwand Goblin Slayers Bewusstsein langsam in der Dunkelheit.
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