[Biete] Goblin Slayer Lightnovel [Deutsch][Kapitel 128/128][Update 01.03.23][PDF: Gesamtausgabe v_0.11.140 ]

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 18
Auf dem Weg zum Tod


»Und wofür ist der jetzt?«, fragte die Elfe Goblin Slayer, die Hände in die Hüften gestemmt.​
Die Gruppe war wieder in die Kanalisation hinabgestiegen, um ihre Erkundung fortzusetzen. Am Gürtel des Kriegers hing neben einem Schwert mittlerer Länge ein kleiner Käfig. In diesem befand sich ein kleiner grüngelber Vogel, der leise vor sich hin zwitscherte. Sein lieblich heller Gesang bildete einen starken Kontrast zu der dreckigen und dunklen Kanalisation.​
»Hm! Kennst du etwa keine Vögel?«, fragte Goblin Slayer sichtlich verwirrt.​
»Natürlich kenne ich sie.«​
»Ja, und das hier ist ein Kanarienvogel.«​
»Das sehe ich.«​
Während die Elfe genervt die Ohren aufstellte, gab der Zwerg sein Bestes, um nicht laut loszulachen.​
»Du bist schon seit gestern Abend so. Du hörst echt nicht mit dem Fragen auf, was?«​
»Warum ein Vogel auf einem Abenteuer? Ist das ein besonders gefährlicher Vogel?«​
Die Elfe konnte ihre Neugier einfach nicht bändigen. Anstatt sich auf das Erkunden des Tunnels zu konzentrieren, schielte sie immer wieder auf den Käfig an Goblin Slayers Gürtel.​
»Dürfte ich ihn denn berühren, oder komme ich dann in Probleme wie bei der Schriftrolle?«​
»Glaubst du wirklich, dass ein Kanarienvogel jemanden töten könnte?«, fragte der Krieger in nüchternem Ton. Der Zwerg konnte sich nicht mehr zurückhalten und begann lautstark zu lachen. Die Priesterin wusste, dass die beiden sich streiten würden, wenn es so weiterginge, und entschloss sich dazu, etwas zu sagen:​
»Goblin Slayer, sie meinte das anders ...«​
»Wie denn!«, erwiderte er und drehte sich zu ihr um.​
Sein kalter Blick ließ die Priesterin kurz innehalten. Nach der gestrigen Unterhaltung mit der Erzbischöfin hatte sie die ganze Nacht nicht schlafen können. Der Inhalt der Unterhaltung beschäftigte sie, aber sie wusste auch nicht, ob sie zu viel hineininterpretierte. Als die Gruppe heute Morgen gemeinsam gefrühstückt hatte, war die Jungfrau des Schwertes vorbeigekommen, hatte sich aber nichts von ihrem Verhalten des Vortags anmerken lassen. Die Priesterin fasste den Entschluss, dass sie etwas falsch verstanden hatte. Sie konnte es sich nicht anders erklären.​
»Ist irgendwas?«, fragte Goblin Slayer, der immer noch auf eine Antwort von ihr wartete.​
»Äh, nein ... Die Elfe will bestimmt einfach nur wissen, warum du einen Kanarienvogel dabeihast. Er ist niedlich, aber dient doch bestimmt einem weiteren Zweck.«​
»Kanarienvögel können selbst kleinste Mengen Gift wahrnehmen.«​
»Gift?«​
»Da die Goblins hier wissen, wie man Schiffe baut, kann ihnen auch jemand beigebracht haben, wie man Fallen legt.«​
»Ach ja . . . Menschliche Bergarbeiter sollen immer Vögel dabeihaben, die sie vor giftigen Gasen warnen«, stimmte der Zwerg dem Krieger zu, während er in seiner Tasche wühlte.​
»Mein Volk hingegen hat eher Angst vor Drachen, die plötzlich auftauchen und uns unsere Schätze rauben.«​
»Ist das so?«​
Die Elfe grinste frech, während sie um eine Ecke spähte und den anderen zuwinkte.​
»Ich hab gehört, dass Zwergen Reiche bereits untergegangen sind, weil sie Dämonen ausgegraben haben.«​
»Ja, das passiert ab und an mal ...«, antwortete der Zwerg leicht bedröppelt.​
Es war nicht unüblich, dass Reiche untergingen oder neu entstanden. Kriege, das Auftauchen von mächtigen Dämonen oder Naturkatastrophen waren nur einige der vielen Ursachen, die zu solchen Ereignissen führen konnten.​
»Ich verstehe«, sagte der Echsenmensch, während er mit dem Schwanz wedelte.​
»Woher hast du all dieses Wissen, werter Goblintöter?«​
»Von einem Bergarbeiter. Es gibt viele, die Dinge wissen, die ich nicht weiß.«​
Eine Zeit lang stand die Abenteurergruppe vor einer eingestürzten Steinbrücke, die es einst ermöglicht hatte, den vor ihnen liegenden Dreckwasserkanal zu überqueren. Die Elfe streckte eine Hand aus und stellte den Daumen auf, um die Breite des Kanals schätzen zu können.​
»Ich glaube, dass ich über den Kanal springen könnte«, sagte sie, nachdem sie kurz nachgedacht hatte.​
»Wie sieht es mit anderen Wegen aus?«, fragte Goblin Slayer.​
»Mal schauen ...«​
Raschelnd breitete der Echsenmensch die alte Karte der Kanalisation aus. Der Mönch hatte sie im Laufe ihrer Erkundungen um allerlei Informationen erweitert. Behutsam führte er eine Kralle über alle Kanäle und Tunnel, bis er schließlich den Kopf schüttelte.​
»Da ich nicht sagen kann, wie es um die anderen Brücken steht, würde ich uns raten, den Kanal hier zu überqueren.«​
»Das macht wenig Hoffnung«, kommentierte der Zwerg die Aussage seines schuppigen Kameraden und beugte sich leicht über den Rand der kaputten Brücke.​
»Bitte Fall nicht runter«, sagte die Elfe und hielt ihn am Gürtel fest.​
»Danke ... Hm? Ihr Alter und verschiedene Überflutungen scheinen zu ihrem Einsturz geführt zu haben. Das ist nicht erst gestern passiert. Bei den anderen Brücken in dieser Gegend wird es nicht besser sein.«​
Als würde der Zwerg seine Aussage unterstreichen wollen, nahm - er sich einen Steinbrocken, der ursprünglich ein Teil der Brücke gewesen war, und zerdrückte ihn mit Leichtigkeit in einer Hand.​
»Dann springen wir«, entschied Goblin Slayer.​
»Einer springt zuerst und macht drüben ein Seil fest. Dann kommt der Rest.«​
»I. .. Ich habe ein Seil dabei«, sagte die Priesterin und holte ein Seil mit Haken aus ihrer Tasche hervor.​
Passend zu ihrem Charakter war es perfekt zusammengelegt, allerdings zeigte es auch keine Gebrauchsspuren, was man als Zeichen für ihre mangelnde Abenteuererfahrung sehen konnte.​
»Ach, ist das aus deinem Abenteurerset? Da kommen Erinnerungen hoch ...«, meinte die Elfe.​
Ein Seil mit Haken, mehrere Keile, ein Hammer und eine Zunderbüchse. Dazu eine kleine Tasche, ein Wasserbeutel, Geschirr, Kreide, ein Messer und viele weitere Kleinigkeiten. Das Abenteurerset war ein Ausrüstungspaket für neue Abenteurer, und es war lange her, dass die Elfe ihres gekauft hatte.​
»Außer dem Seil mit Haken braucht man den Rest eher weniger.«​
»Aber heißt es nicht, dass man ohne diese Dinge niemals auf ein Abenteuer gehen sollte?«​
Die Elfe schnaufte kurz und griff sich die haken lose Seite des Seils. Dann machte sie ein zwei Schritte zurück, lief wie ein kleines Rehkitz los und sprang über den Kanal auf die andere Seite der zerstörten Brücke. Dort wickelte sie ihre Seite des Seils um einen Pfeil und verkeilte ihn in einer Spalte zwischen zwei Bodenplatten.​
»Aber sag mal, Orcbolg. Das mit der Portal-Schriftrolle hast du auch von jemandem gelernt?«​
»Ich hatte davon gehört, dass eine Gruppe Abenteurer von Wasser zerquetscht wurde, als sie ein Portal zu einer versunkenen Ruine öffneten.«​
Auf Zeichen der Elfe schnappte sich Goblin Slayer die andere Seite des Seils und sprang. Mit einem dumpfen Geräusch landete der Krieger auf der anderen Seite.​
»Wie bitte? Und dann hast du sie eingesetzt? Dir ist wohl jedes Mittel gegen Goblins recht.«​
»Selbstverständlich«, sagte Goblin Slayer nüchtern und drückte der Elfe das Seil in die Hand, damit sie es der Priesterin zuwarf.​
»Und schaffst du den Sprung?«, fragte der Zwerg die Priesterin besorgt.​
»Ich werde mir vom Schuppigen helfen lassen ...«​
»Äh, ja. Ich spring dann mal.«​
Aufgeregt nahm die Priesterin einige Schritte Anlauf, lief los und sprang. Er legt Fallen. Er tötet ohne zu zögern Kinder. Er ist clever und gnadenlos. Damit ist er fast wie ein Goblin. Aber sicher wird auch er irgendwann ... Plötzlich schoss ihr wieder die Unterhaltung mit der Erzbischöfin durch den Kopf. Was hatte all das zu bedeuten?​
* * *
Die Erkundung der Kanalisation verlief heute viel schneller als an den vorigen Tagen. Das lag zum einem daran, dass sie langsam den Aufbau der Kanalisation verstanden, und zum anderen daran, dass sie ihre Taktik geändert hatten. Goblin Slayer hatte sich entschieden, ab sofort vorsichtiger vorzugehen und Begegnungen mit Goblins zu vermeiden. Deshalb bewegte sich die Gruppe so leise wie möglich und umging alle Goblin Patrouillen, die sie erspähten.​
»Es ist echt seltsam für dich, dass du Goblins laufen lässt, Orcbolg«, sagte die Elfe.​
»Ich lasse sie nicht laufen«, erwiderte er, während er um eine Ecke lugte. »Aber erst müssen wir den Anführer erledigen. Der Rest kommt danach.«​
»Wer steckt wohl dahinter? Ein Lord? Ein Oger?«, fragte die Priesterin unsicher.​
Kopfschüttelnd antwortete Goblin Slayer:​
»Ich weiß es nicht.«​
Da Goblins niedere Monster waren, dienten sie vielen verschiedenen Meistern: Dunkelelfen, hochrangigen Dämonen und manchmal sogar Drachen.​
»Wir sollten jetzt noch nicht darüber nachdenken«, entgegnete der Echsenmensch, der gerade die Karte studierte.​
»Ich denke, dass wir noch weit davon entfernt sind, ihn aufzudecken.« »Meinst du damit, dass wir noch viel tiefer in die Kanalisation eindringen müssen?«, fragte der Zwerg.​
»Wir müssen stromaufwärts gehen«, sagte Goblin Slayer, der sich mittlerweile auch über die Karte beugte.​
Mit einem Finger zeigte er auf die Stelle, an der sie am vorherigen Tag auf die Goblin Schiffe getroffen waren.​
»Sie kamen mit ihren Schiffen stromabwärts, weshalb zu erwarten ist, dass sie ein Lager stromaufwärts haben.«​
Die Priesterin fragte besorgt:​
»Aber verlassen wir dann nicht das Gebiet, das die Karte abdeckt? Ist das in Ordnung?«​
Auf der Karte, die sie erhalten hatten, war nur die Kanalisation der Stadt des Wassers abgebildet. Während der Erkundungen der Gruppe hatte sich jedoch herausgestellt, dass eben diese nur ein kleiner Teil eines gewaltigen unterirdischen Ruinensystems war.​
»Wir werden es nicht übertreiben«, antwortete Goblin Slayer entschieden.​
Die Priesterin wusste nicht, ob er das nur aus Rücksicht zu ihr gesagt hatte, aber trotzdem fühlte sie sich ein wenig erleichtert.​
»Stromaufwärts geht es hier entlang.«​
Ohne zu zögern, ging die Elfe los und der Rest der Gruppe folgte ihr. Als sie nach einiger Zeit den Rand des Gebiets erreicht hatten, das von der Karte dargestellt wurde, veränderte sich das Aussehen der Tunnel. Die Wände zierten jetzt Wandgemälde und das vorher dreckige Wasser war jetzt sauber. Dies war offensichtlich keine Kanalisation mehr.​
»Hier sind Ruß spuren«, sagte Goblin Slayer und zeigte auf eine Stelle an der Wand.​
»Das heißt, dort waren Fackeln angebracht, oder?«, fragte die Elfe.​
»Ja, aber vor langer Zeit. Goblins können im Dunkeln sehen und brauchen keine Fackeln.«​
Der Echsenmensch strich mit der Hand über eines der Wandgemälde. Darauf waren Menschen, Elfen, Zwerge, Rhea, Echsenmenschen, Padfoots und viele weitere Völker abgebildet.​
»Krieger und Soldaten?«, murmelte der Mönch, während er die dargestellten Wesen betrachtete.​
»Nein, sie tragen alle unterschiedliche Ausrüstung ... Sind es Abenteurer?«​
»Vor langer Zeit gab es in der Gegend heftige Kämpfe«, sagte der Zwerg und stellte sich neben den Echsenmenschen.​
Mit leicht zusammengekniffenen Augen untersuchte er das Gemälde genauer. Über die langen Jahre war es stark verwittert und wahrscheinlich würde eine Berührung schon reichen, um große Teile davon abblättern zu lassen.​
»Dieses Bild muss circa vier- oder fünfhundert Jahre alt sein.«​
Die Priesterin schaute sich noch einmal genauer um. Ordentlich aufgebaute Durchgänge, Wandmalereien und sauberes, fließendes Wasser. Es musste ursprünglich ein Ort des Friedens gewesen sein. Sie hatte eine Idee.​
»Kann es sein, dass wir hier in einem Mausoleum sind?«​
Es musste eine Grabstätte für gefallene Kämpfer des Zeitalters der Götter sein. Die Priesterin kniete nieder und sprach ein Gebet. Die Elfe stellte sich neben sie und zuckte mit den Schultern.​
»Jetzt ist es nur noch ein Goblin Nest.«​
Ihre traurigen Worte hallten leicht von den Wänden wider. Für Elfen, die mehrere Tausend Jahre lebten, war das Zeitalter der Götter noch nicht allzu lange her, aber der Gedanke, dass hier vielleicht Krieger begraben lagen, von denen ihre Eltern ihr erzählt hatten, versetzte sie in eine komische Stimmung. »Selbst die Tapfersten gehen am Ende unter, nicht wahr?«​
»Das ist jetzt egal«, kommentierte Goblin Slayer das Verhalten der Elfe und der Priesterin.​
Nachdem er keine Goblin Spuren in der Umgebung gefunden hatte, wollte er weiterziehen.​
»Was soll das jetzt wieder?«, fragte die Elfe die Priesterin, die schulterzuckend antwortete:​
»Typisch Goblin Slayer ...«​
Die beiden standen auf und folgten dem Krieger. Auch der Echsenmensch und der Zwerg setzten sich wieder in Bewegung.​
»Also wirklich, Bartschneider, die kleinen Biester rennen bestimmt weg, wenn sie dich sehen.«​
»Das wäre ein Problem. Das macht es schwieriger, sie zu töten«, antwortete der Krieger, ohne sich umzudrehen.​
Die Gruppe durchquerte ein steinernes Tor und betrat die Katakomben.Deren Aufbau war nicht weniger verwirrend als der der Kanalisation: Die vielen Treppen und Gänge verflochten sich zu einem komplexen Muster, in dem man sich leicht verlaufen konnte.​
»Vielleicht wollten sie mit diesem Aufbau Monster verwirren und tollpatschige Krieger abschrecken«, mutmaßte der Zwerg.​
»Selbst für die Steinmetze meines Volkes wäre so ein komplexer Bau eine echte Herausforderung. Ich will mir gar nicht erst vorstellen, wie es sein muss, sich hier auf alle Ewigkeit zu verlaufen.«​
»Dann wäre man für immer für den Kreislauf des Lebens verloren. Wie schrecklich ... Nun ja, aber jetzt, wo dieser Ort in die Hände der Goblins gefallen ist, ist er ein Hort des Chaos. Wir müssen wachsam bleiben«, sagte der Echsenmensch.​
Er zeichnete gerade auf einem Pergamentpapier eine rudimentäre Karte der Katakomben auf.​
»Eine genaue Karte dieser Katakomben zu erstellen würde bestimmt ewig dauern.«​
»Wollen wir zuerst diesen Raum untersuchen?«, fragte die Priesterin und richtete den Blick auf eine gewaltige Tür.​
Sie war aus tiefschwarzem Ebenholz und besaß schwere Metallbeschläge. Trotz der hohen Luftfeuchtigkeit zeigte sie keinerlei Fäulnis oder andere Schäden, was hieß, dass sie vor langer Zeit mit einer besonderen Art von Magie behandelt worden sein musste.​
»Sie ist offen und es gibt auch wohl keine Fallen. Zumindest direkt an der Tür.«​
Die Elfe hatte die Tür genauer untersucht.​
»Es ist aber nicht mein Fachgebiet, daher kann ich es nicht garantieren.«​
»Worauf wartet ihr dann? Lasst uns weiter«, sagte Goblin Slayer und trat die Tür mit roher Gewalt auf.​
Seine Kameraden folgten ihm hastig in den Raum und der Zwerg sicherte einen der zwei Türflügel mit einem Keil. Goblin Slayer, die Elfe und der Echsenmensch standen - auf Überraschungsangriffe vorbereitet - mit gezückten Waffen schützend vor der Priesterin und dem Zwerg, doch auf den ersten Blick schien der Raum, der sich als Grabkammer entpuppte, bis auf ein paar Steinsärge leer. Als Waldläuferin war es nun die Aufgabe der Elfe, die ungefähr zehn Quadratfuß große Kammer zu untersuchen. Der Boden bestand aus neun quadratischen Steinplatten, die in einem Drei-mal-drei-Muster ausgelegt waren. Mit gespanntem Bogen begann sie vorsichtig den Raum zu durchqueren als ...​
»Schaut dort!« »Wie schrecklich!«​
Im Licht von Goblin Slayers Fackel konnte man mit Mühe eine Gestalt erkennen. Sie hing an Beinen und Armen mit Ketten gefesselt an einer Wand am anderen Ende der Kammer. Den langen Haaren nach zu urteilen, handelte es sich wohl um eine Frau, die eine metallene Rüstung trug. Sie musste einer der Abenteurer sein, die nicht zurückgekehrt waren.​
»Goblin Slayer!«, rief die Priesterin und schaute den Krieger fragend an.​
»Geh.«​
Die Priesterin eilte zu der Frau und fragte: »Hallo? Alles in Ordnung?«​
Diese reagierte nicht, was bedeutete, dass sie bewusstlos war oder . . . Schnell schüttelte die Priesterin ihre schlimmsten Befürchtungen ab und sagte:​
»Wir werden dir helfen!«​
Sie begann zur Erdmutter zu beten und um Heilung zu bitten: »Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte lege deine Hände ... Wa ... ?«​
Mit einem leisen Rascheln fielen die Haare der Frau zu Boden. Die Priesterin, die bis gerade noch in ihr Gebet vertieft war, hob den Blick und starrte in leere Augenhöhlen. Die Gestalt war ein Mensch gewesen, doch ihr musste bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen worden sein, weshalb statt eines Gesichts nur noch ein kahler Schädel übrig war.​
»Nein! Das kann nicht sein!«, schrie die Priesterin erschrocken auf.​
Im gleichen Augenblick knallte die schwere Tür hinter den Abenteurern zu. Das Klappern des Keils, der dabei in den Raum geworfen wurde, klang wie ein hämisches Lachen.​
»Nein!«​
Mit einem Schrei warf sich der Echsenmensch gegen die Tür, aber sie bewegte sich nicht.​
»Das ist gar nicht gut! Sie haben die Tür verriegelt!«​
»Los, Schuppiger! Wir probieren es zusammen!«​
Der Echsenmensch und der Zwerg warfen sich gemeinsam gegen die Tür, und obwohl sie ein leichtes Knacken von sich gab, bewegte sie sich noch immer nicht.​
»GROOROOROROB!!«
»GOROB!! GORRRRB!«
Verspottendes Gelächter war von der anderen Seite der Tür zu hören und die Elfe biss sich vor Wut auf die Lippe.​
»Goblins!«​
»Jetzt haben sie uns erwischt«, sagte Goblin Slayer.​
Es war zu erwarten gewesen, dass die Goblins irgendwann auf sie aufmerksam werden würden, denn sie merkten immer, wenn jemand in ihr Nest eindrang. Doch anstatt sich aggressiv auf die Gruppe zu werfen, hatten diese Goblins sich dafür entschieden, sie in eine Falle zu locken. Die Biester wussten, dass Abenteurer keine Kameradin hilflos zurücklassen würden, und hatten es so geschafft, die Gruppe in die Enge zu treiben. Als die Priesterin begriff, in welcher Lage sie und ihre Kameraden sich befanden, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ihre Knie begannen zu zittern und ihre Zähne zu klappern. Unweigerlich musste sie daran denken, was auf ihrem ersten Abenteuer geschehen war.​
»Beruhigt euch«, befahl Goblin Slayer in herrischem Ton.​
Obwohl seine Worte nichts Aufmunterndes an sich hatten, schaffte die Priesterin es mit ihrer Hilfe, sich wieder etwas in den Griff zu bekommen. Sie nickte tapfer. Wäre er gerade nicht hier, hätte sie wahrscheinlich bereits alle Hoffnung aufgegeben.​
»Noch sind wir am Leben.«​
Plötzlich begann der Kanarienvogel lautstark zu piepsen.​
* * *
»Gift!«
»GROB! GORRB!!« »GROOROB! GORRRB!!«
Das Piepsen des Kanarienvogels hallte durch den Raum, während das Gelächter der Goblins von der anderen Seite der Tür zu hören war. Aus unzähligen kleinen Löchern in den Wänden strömte weißer Rauch in den Raum und die Abenteuer drängten sich in seiner Mitte zusammen.​
»Das ist nicht gut. So werden wir alle mit einem Schlag erledigt«, rief der Echsenmensch.​
»Nicht jedes Gift muss tödlich sein, aber du hast recht: Das ist gar nicht gut«, entgegnete der Zwerg und wischte sich den Schweiß von der Stirn.​
Die Elfe hatte den Blick noch einmal durch die Kammer schwenken lassen, bevor sie ihren Kameraden mitteilte:​
»Es gibt keinen Ausgang außer der Tür! Wir sitzen hier fest!«​
»Goblin Slayer, was sollen wir tun?«, fragte die Priesterin verzweifelt.​
Sie beherrschte das Wunder »Gegengift« noch nicht ... Nein, selbst damit hätte sie den Tod der Gruppe nur herauszögern können, denn es würde sie nur für kurze Zeit schützen. Außerdem konnte sie es nicht häufiger als dreimal wirken.​
»Goblin Slayer?«​
Der Krieger wühlte wortlos in seiner Tasche und warf der Priesterin sechs schwarze Klumpen zu.​
»Wickel eins davon jeweils in ein Tuch und sorge dafür, dass jeder eins bekommt. Haltet es euch vor Nase und Mund!«​
»Was ist das?«​
»Kohle. Damit kann man einige Gifte aus der Luft filtern.​
Wenn du Heilkräuter hast, tu sie dazu.«​
»Äh.ja!«​
Aufgeregt setzte die Priesterin sich hin und holte sechs Tücher aus ihrer Tasche. Der Echsenmensch eilte an ihre Seite.​
»Soll ich helfen? Gift wirkt bei mir nicht so stark.«​
»J ... Ja, bitte!«​
Mit schnellen Handgriffen wickelte sie Kohle und Kräuter in eins der Tücher, um eine simple Gasmaske herzustellen. Während der Echsenmensch ihr diese um den Mund wickelte, stellte die Priesterin weitere für ihre Kameraden her.​
»Goblin Slayer!«​
»Danke.«​
Goblin Slayer hielt zwei der Masken in der Hand. Die größere der beiden wickelte er um den Vogelkäfig und die kleinere steckte er sich in seinen Helm. Danach begann er erneut seine Tasche zu durchwühlen.​
»Mensch, Was hast du denn alles dabei, Bartschneider?«, meinte der Zwerg, während er sich seine Maske umwickelte.​
Nachdem Goblin Slayer zwei Päckchen aus seiner Tasche geholt hatte, antwortete er:​
»Nur das Nötigste. Eigentlich wollte ich Gasmasken, wie sie die Pestärzte benutzen, dabeihaben, aber ...«​
Er warf dem Zwerg die Päckchen zu. überrascht fing dieser sie und legte aufgrund ihres Gewichts leicht den Kopf schräg.​
»Was ist das?«​
»Steinkohle und Vulkanerde. Mischt das und verschließt die Löcher,«,​
Der Zwerg schlug sich auf den Bauch und fragte:​
»Ist das etwa Beton?!«​
»Kannst du ihn schnell trocknen lassen?«​
»Natürlich, Bartschneider. Ich beherrsche den Zauber -Verwitterung-.«​
Als die Elfe das hörte, schnappte sie sich eins der Päckchen.​
»Hey, Langohr. Was soll das?!«​
»Als Elfe bin ich gut darin, Windzüge zu spüren!«​
Die Elfe kniff grinsend die Augen zusammen und wackelte mit den Ohren. »Ich werde die Löcher suchen und stopfen! Kümmer du dich um den Zauber, Zwerg!«​
»Alles klar!«​
Der Zwerg eilte der Elfe hinterher, die quer durch die Kammer rannte. Nachdem sie das erste Loch mit einer matschartigen Masse gestopft hatte, streckte der Zwerg einen Arm danach aus und sagte mit geschlossenen Augen:​
»Tick, Tack! Wandere weiter, Chronos. Setz die Zahnräder in Bewegung.«​
Als der Zwerg die Augen wieder aufschlug, war der Matsch bereits getrocknet und zu Beton geworden. Der Echsenmensch rollte aufgeregt mit den Augen. »Diese Zauberer sollte man nicht unterschätzen.«​
Da das Tuch allein nicht gereicht hatte, um sein Maul zu verdecken, hatte er einen Verband als Verlängerung benutzt, und weil das Kampfgeschehen für ihn wie eine zweite Heimat war, wirkte er sehr viel entspannter als seine Kameraden.​
»Was ist der nächste Schritt in deinem Plan, werter Goblintöter?«​
»Lasst uns die Tür mit diesem steinernen Sarg blockieren«, antwortete der Krieger.​
»Sobald sich das Gift gelegt hat, werden sie rein stürmen.«​
»Oh, i. .. ich helfe auch!«, meinte die Priesterin.​
Auf ein Nicken von Goblin Slayer sprang der Echsenmensch an seine Seite und auch die Priesterin eilte heran.​
»Ich bin jederzeit bereit«, sagte Goblin Slayer.​
»Dann schieben wir jetzt gemeinsam.«​
Während Goblin Slayer und die Priesterin sich Seite an Seite gegen den Sarg stemmten, stellte sich der Echsenmensch hinter die beiden und griff mit seinen riesigen Armen über sie hinweg. »Und ...«​
»Hmpf!« »... Los!«​
Zusammen mit ihren beiden Kameraden sammelte die zart gebaute Priesterin all ihre Kräfte und drückte, so stark sie konnte. Auch wenn sie wusste, dass ihre Kräfte nicht mit denen ihrer Kameraden zu vergleichen waren, gab sie dennoch ihr Bestes.​
»H ... Hnngh!«​
Als die Priesterin bemerkte, dass sie nicht mehr zitterte, begann auch der Sarg sich zu bewegen. Mit einem lauten Kratzen rutschte er über die Steinplatten und hinterließ eine weiße Spur. Mit einem dumpfen Geräusch stieß er schließlich gegen die Tür. Nachdem er den Sarg noch zwei-, dreimal geschubst hatte, sagte der Echsenmensch:​
»Das wäre erledigt.«​
Wahrend der Mönch zufrieden nickte, kam die Elfe heran gesprungen.​
»Wir sind auch fertig!«​
Schwankend lief ihr der Zwerg hinterher und wischte sich den Schweiß von der Stirn.​
»Aber mir sind die Zauber ausgegangen.«​
»Dann nimm eine Waffe.«​
Goblin Slayer reichte ihm einen Dolch und stellte den Vogelkäfig mit dem Kanarienvogel, der wieder zur Ruhe gekommen war, in der Mitte der Kammer ab. Dann kontrollierte er seinen Schild, schaute in seine Tasche und nahm Kampfhaltung ein.​
»Oho. Zumindest sollte mir hier die Munition nicht ausgehen.«​
Nachdem er den Dolch weggesteckt hatte, zog der Zwerg eine Schleuder aus seiner Tasche und sammelte einige Steine vom Boden auf. Die Elfe überprüfte in der Zeit die Sehne ihres Bogens und schaute in ihren Köcher.​
»Soll ich auch einen Drachenzahnkrieger rufen?«​
»Ach, dann wirke ich auch Schutzwall!«​
»Bitte.«​
Auf Goblin Slayers Antwort hin begannen der Mönch und die Priesterin ihre Gebete.​
»Zerschneidende Klaue meines Vorfahren Iguanodon lvana. Vier Glieder. Zwei Beine. Erhebe dich aus dem Boden.«​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde.«​
Während sich die auf den Boden geworfenen Reißzähne in einen Drachenzahnkrieger verwandelten, materialisierte sich das Wunder Schutzwall vor den Abenteurern.​
»Es ist plötzlich so ruhig«, sagte die Elfe, während sie mit ihrem gespannten Bogen auf die Tür zielte.​
Aufgeregt wackelte sie mit den Ohren. Immer noch in Kampfhaltung erklärte Goblin Slayer ihr:​
»Da wir die Löcher versiegelt haben, wird das Gift zurückgeschickt. Das wird einige erledigt haben.«​
Bomm.
Fast als würden sie Goblin Slayers Aussage unterstreichen wollen, erklang das tiefe Grollen von Kriegstrommeln, gefolgt von den Schrittgeräuschen vieler sich nähernder Wesen.​
»Sie sind da.«​
Die vom Steinsarg blockierte Tür bebte kurz. Kurz darauf ertönte ein sich wiederholendes Trommeln, als würde etwas dagegen gerammt. Während sich bei den ersten Schlägen nichts tat, knirschte und knackte die Tür nach und nach immer mehr, bis schließlich ein Teil davon herausbrach. Dreckig gelbe Augen schimmerten durch den Spalt hervor.​
»Passt auf!«, rief die Elfe und feuerte einen Pfeil ab.​
Den Bruchteil einer Sekunde später durchbohrte er den Schädel des herein spähenden Goblins.​
»GARAB?!«
Mit einem ohrenbetäubenden Kreischen fiel das Biest tot um, aber einer seiner Artgenossen nahm sofort seinen Platz ein.​
»Ich weiß nicht, wie viele es sind, aber einige von ihnen scheinen besonders zu sein!«​
Die Goblins begannen von ihrer Seite der Tür die Abenteurer mit Pfeilen zu beschießen, aber im Gegensatz zum Pfeilregen des letzten Kampfs konnten einzelne Pfeile nur schwer das Wunder durchdringen. Solange die Priesterin es also aufrechterhielt, stellten die Pfeile der Goblins keine Gefahr dar.​
»Sie winden sich durch die Löcher!«, rief der Zwerg und zog eine Grimasse, dessen wahre Bedeutung schwer zu deuten war.​
Obwohl der Zwerg und die Elfe schnellstmöglich Steine und Pfeile auf die durchbrechenden Biester feuerten, konnten sie diese nicht daran hindern, die Tür an ihre Belastungsgrenzen zu bringen, die schließlich mit einem ohrenbetäubenden Krachen aus den Angeln riss.​
»GORORB!!« »GROOROB!!«
Ungehindert stürzten die Goblins in den Raum. Sie hielten die für die Biester üblichen groben Waffen in den Händen, trugen aber Kettenhemden und Lederrüstungen, was alles andere als gewöhnlich für sie war.​
»Sie sind wirklich gut ausgerüstet«, sagte Goblin Slayer, nachdem er die einfallenden Wesen kurz beobachtet hatte.​
Doch nicht nur das war ihm aufgefallen.​
»Ein Hob ... Nein ...«​
Ein gewaltiger Goblin schob sich mit einem dunklen Knurren durch die Tür. Goblin Slayer warf seinen Dolch nach ihm und traf einen Rüstungsspalt an der Schulter, doch das Wesen schien das nicht im Geringsten zu stören. Man konnte es nicht mit seinen Artgenossen vergleichen. Es war größer als jeder Mensch und seine Muskeln spannten seine grüne Haut so sehr, dass man das Gefühl bekam, sie könnte jederzeit platzen. Es war mit einem gewaltigen Knüppel bewaffnet und ein abscheuliches aber auch selbstgefälliges Grinsen prägte seine Fratze.​
»GORAORARO!!«
»Ein Champion«, stellte Goblin Slayer nüchtern fest.​
Der Goblin Champion zog sich den Dolch aus der Schulter und verbog ihn mit einer Hand, bevor er ihn zu Boden warf.​
»Ich lege los.«​
Goblin Slayer zog sein Schwert und stürzte sich auf die ersten Goblins.​
»Ich unterstütze dich!«, rief der Echsenmensch und zog seine Knochenklinge.​
Mit einem furchterregenden Kampfschrei stürzte auch er sich auf die einfallenden Bestien. Sein Drachenzahnkrieger folgte ihm. Das Geräusch von reißendem Fleisch, Gebrüll und Schmerzensschreie. Augenblicklich lag der Geruch von Blut in der Luft. Wie immer interessierten sich die Goblins nicht sonderlich für ihre gefallenen Kameraden und stürzten sich Welle für Welle auf die Abenteurer. Doch Goblin Slayer war sich bereits im Klaren darüber, dass sie so nicht gewinnen könnten. Sie mussten den Anführer besiegen.​
»Ä ... Ähm ...«, sprach eine bebende Stimme den Krieger von hinten an.​
Es war die Priesterin, die zwischen dem Zwerg und der Priesterin stand. Goblin Slayer jedoch ignorierte sie und stürzte sich in die Unmengen von Goblins vor ihnen und war kurz darauf nicht mehr zu sehen. Er bewegte sich geduckt, immer darauf achtend, dass keine der Bestien ihn von hinten erwischen konnte. Wenn er einen Goblin nicht mit seiner Klinge traf, schlug er ihn mit dem Schild, sodass er umfiel und damit leichte Beute für den Echsenmenschen und seinen Drachenzahnkrieger war. Ein Goblin hatte es derweil geschafft, sich an dem Rücken des Drachenzahnkriegers festzuklammern, aber der Echsenmensch beförderte ihn mit einem Tritt zu Boden. Der Drachenzahnkrieger stürzte sich auf den gefallenen Goblin und zerriss ihm blitzschnell die Kehle. Goblin Slayer schleuderte sein Schwert auf einen Angreifer mit Speer und nahm dann den Knüppel eines gefallenen Goblins zur Hand.​
»ORARAGA?!«
»Fünf.«​
Da sie in einem offenen Raum kämpften, hätte Goblin Slayer gegen diese Menge an Goblins allein keine Chance gehabt. Selbst wenn ihm nicht die Puste ausgegangen wäre, hätte früher oder später eines der Biester es geschafft, ihn von hinten oder von der Seite zu erwischen.​
»Geh in die Vollen«, rief Goblin Slayer dem schuppigen Mönch zu.​
»Ja«, antwortete er mit einem Brüllen.​
»Oh, schenke mir deine Sicht, Vorfahre!«​
Erst schlug er einen Gegner mit dem Schwanz weg, dann griff​
er sich den nächsten und warf ihn an die Wand.​
»GORARA?!« »GROOROBB?!«
Zwei Krallen bepackte Hände, ein Kiefer und ein Schwanz. Der ganze Körper des Echsenmenschen war eine Waffe, sodass er wie ein wilder Wirbelsturm kämpfen konnte. Egal in welche Richtung er auch schlug, ein Gegner war immer in Reichweite. Zusammen mit seinem Drachenzahnkrieger schaffte er es, ein kleines Loch im Kampfgetümmel zu erzeugen, durch das Goblin Slayer schnell hindurch eilte.​
»Scheiße, sind das viele!«​
»Hör auf zu nörgeln und kämpfe!«​
Alle Goblins, die Goblin Slayer und der Echsenmensch übrig ließen, wurden zielsicher von dem Zwerg oder der Elfe im Fernkampf beseitigt.​
»Kannst du noch?!«​
»Ja, irgendwie ...«​
Die Priesterin bemühte sich immer noch, das Wunder Schutzwall aufrecht zuerhalten, und hielt damit die Goblins davon ab, zu ihr, der Elfe und dem Zwerg durchzudringen. Da die Anzahl der Goblins, die in die Kammer eindringen konnten, durch den Schutzwall und den Türrahmen begrenzt war, verlief der Kampf zu Gunsten der Abenteurer, aber die Frage war, wie lange es noch so bleiben würde. Kein anderer konnte die Frage besser beantworten als Goblin Slayer, der gerade einem Goblin mit dem Knüppel den Schädel einschlug. Als nächstes zerquetschte er einer der Bestien mit seinem Schild die Luftröhre und warf einer weiteren den Knüppel an den Kopf. Dann griff er zu dem Langschwert eines bereits getöteten Goblins.​
»Siebzehn ...«​
Nachdem Goblin Slayer sich etwas Freiraum erkämpft hatte, verschwand er hinter einem der Steinsärge. Sein Ziel war es, hinter den Goblin Champion zu kommen und ihn zu überraschen. Der Champion war dreimal so groß wie ein Goblin und zweimal so groß wie ein Mensch. Seinem Aussehen nach musste er von einem Hobgoblin abstammen und hatte seinen mächtigen Körper durch Aufenthalte in mehreren Nestern und im Kampf gegen unterschiedlichste Abenteurer trainiert. Ihm war es bereits in die Wiege gelegt worden, ein Anführer zu sein, und durch Erfahrung war er zu etwas wie einem Helden der Goblins geworden. Bei dem Kampf um den Bauernhof hatte ein anderer Goblin Champion den Panzerkrieger und die Ritterin in Schach halten können, und es war zu erwarten, dass auch dieses Exemplar beachtliche Kampffähigkeiten besaß.​
>Aber ein Goblin bleibt halt ein Goblin<, dachte sich Goblin Slayer.​
Natürlich hieß das nicht, dass er auf ihn herabsah. So einen Fehler würde der Krieger nicht begehen.​
»ORGOORORB!!«
Um seine feigen Untergebenen anzustacheln, schwang der Champion seinen Knüppel durch die Luft. Goblin Slayer hatte es mittlerweile geschafft, sich hinter ihn zu schleichen. Er hatte Geschichten davon gehört, dass es einem Rhea gelungen war, einem Goblin Lord mit einem Schlag den Kopf abzuschlagen. Er wusste zwar nicht, ob das wirklich möglich war, aber auch er hatte vor, es mit einem Schlag zu beenden. Er würde versuchen, mit seiner Klinge den Hals des Champions von hinten zu durchbohren. Er drehte die Klinge in seiner Hand um, nahm Anlauf und sprang von einem der Steinsärge ab.​
»OROAGA?!«
Er spürte genau, wie das Schwert Fleisch durchtrennte, doch dann erkannte er, dass er nicht den Champion, sondern nur einen seiner Untergebenen erwischt hatte.​
»GORAGAGA!!«
Der Anführer hatte einen niederen Goblin als Schild verwendet. Das war nichts Neues für Goblin Slayer. Er wusste, dass Goblins keinerlei Probleme damit hatten, ihre Kameraden zu opfern, denn für sie zählte allein der Sieg. Allerdings hieß das nicht, dass sie nicht über den Tod ihrer Kameraden sauer wurden.​
»GOROROROB!«
Der Goblin, den der Champion als Schutzschild verwendet hatte, schaffte es noch, Goblin Slayer etwas ins Gesicht zu schreien, während er dickes Blut ausspuckte.​
»Ts!«​
Goblin Slayer zögerte nicht lange und zog sein Schwert heraus, um zum nächsten Hieb anzusetzen, doch dafür war es zu spät. Der Champion hatte bereits mit seinem Knüppel ausgeholt und begann dreckig zu grinsen.​
»GROOOOORB!!«
»Argh?!«​
Ein schreckliches Knacken halte durch die Kammer, als der Knüppel auf Goblin Slayers Körper traf. Er fühlte, wie er durch die Luft segelte und in etwas krachte - dann überkam ihn ein Schmerz, der ihm alle Sinne raubte. Goblin Slayer war in einen der Steinsärge geschleudert worden, der unter der Kraft des Aufpralls zerbrochen war.​
»Goblin Slayer ... ?!«​
Die Priesterin blickte fassungslos auf ihren reglosen Kameraden.​
»Orcbolg, wurdest du erwischt?!«​
Auch die Elfe und der Zwerg richteten die Blicke auf Goblin Slayer.​
Doch er antwortete nicht.​
»G ... Goblin Slayer!«, schrie die Priesterin.​
>N. .. Nein ... Das kann nicht sein ... Selbst nach dem Treffer des Ogers war er wieder aufgestanden ... Ja ... Er wird gleich wieder aufstehen ... !<​
Doch er tat es nicht. Er lag da wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden. Blut tropfte aus seinem Visier, und seinen Kameraden wurde klar, dass der Champion ihn mit einem kritischen Treffer erwischt hatte.​
»Ne ...«​
Der Priesterin rutschte der Stab aus den Händen und er fiel scheppernd zu Boden. Sie konnte sich vor Zittern kaum noch auf den Beinen halten.​
»Nein! Goblin Slayer! Goblin Slayer!!«​
»GORB! GRROB!«
»GROROB!«
Als sie die Schreie des Mädchens hörten, mussten die Goblins Lachen, denn es war genau das, was sie wollten. Einer der Nahkämpfer der Abenteurer war schwer verletzt und die Priesterin in Panik. Sie wussten, was das bedeutete: Ihre Gegner hatten keine Chance mehr. Bald würden sie ihren Spaß mit ihnen haben können.​
»Oh, nein! Der Schutzwall!«​
Der Zwerg bemerkte es zuerst.​
Das Wunder der Priesterin war endgültig verschwunden, und die Goblins, die sich der Priesterin, der Elfe und dem Zwerg bisher​
nicht nähern konnten, stürmten jetzt auf sie zu.​
»Wirke das Wunder erneut!«, rief die Elfe der immer noch panischen Priesterin zu.​
»Beruhige dich. Konzentriere dich!«​
»J ... Ja!«, antwortete die Priesterin.​
Stotternd begann sie zu beten:​
»H ... Höchst barmherzige ... Er. .. Erd ... !«​
Doch es war zu spät. Bevor die Priesterin ihr Gebet zu Ende sprechen konnte, hatten sich die ersten Goblins bereits auf die Elfe gestürzt. Sie hatte so schnell mit Pfeilen auf sie gefeuert, wie sie es konnte, aber es hatte nicht gereicht, um ihren Ansturm zu verlangsamen. Verzweifelt versuchte sie die Goblins von sich zu schütteln, doch Elfen waren zarte Geschöpfe und ihre Kraft reichte nicht, um sich aus den Klauen ihrer Angreifer zu befreien.​
»Loslassen. Lasst los. Haa. Ah?! Aufhö ... Nein. Aah?!«​
In kürzester Zeit saßen so viele Goblins auf ihr, dass aus der Masse der Angreifer nur noch ihre Beine hervorschauten, mit denen sie verzweifelt um sich trat.​
»Langohr!«​
Der Zwerg stand der Elfe am nächsten und warf seine Schleuder von sich, um eine Axt aus seinem Gürtel zu ziehen.​
»Ihr verfluchten Viecher! Lasst sie gefälligst los!«​
Da er all seine Magie bereits aufgebraucht hatte, blieb dem Zwerg nichts anderes übrig, als seine Kameradin mit roher Gewalt zu befreien. Zum Glück hatte er schnell genug reagiert, bevor einer der Goblins seine Klinge in die Elfe rammen konnte. Allerdings sorgte die fehlende Fernkampfunterstützung nicht nur dafür, dass der Echsenmensch jetzt komplett allein auf sich gestellt war, sondern auch dafür, dass niemand mehr zwischen der Priesterin und dem Goblin Champion stand.​
»Nei... Nein, nicht ...«​
Die junge Frau zitterte am ganzen Körper. Vor Angst klapperte sie mit den Zähnen und schaffte es nicht mehr, sich auf den Beinen zu halten. Als sie Plumpsend auf den Hintern fiel, breitete sich zwischen ihren Beinen ein feuchtwarmes Gefühl aus.​
»GROB! GROORB! GORRRB!«
Als der Goblin Champion roch, was gerade passiert war, schaute er sie verachtend an. Am liebsten wäre sie bewusstlos geworden, aber ironischerweise ließ all die Erfahrung, die sie mittlerweile während ihrer Abenteuer gesammelt hatte, genau dies nicht zu. Der Champion streckte einen Arm aus, ergriff die zarte Priesterin an der Hüfte und hob sie in die Luft.​
»Hnngh?! A ... Argh!«​
Der grobe Griff des Goblins tat der Priesterin weh und sie ächzte vor Schmerzen. Sie überkam die Furcht, dass die Bestie ihr Rückgrat brechen würde.​
»Hi ... Hilfe! Wa ... Was? Warum?«​
Doch stattdessen zog der Champion die junge Frau näher an sein nach verfaultem Fleisch stinkendes Maul heran und schnüffelte kurz an ihr, bevor er seine Zähne in sie vergrub.​
»Aaaaaaah!«​
Als wäre es gar nicht existent, biss das Monster ein Stück des Kettenhemds zusammen mit einem Stück Fleisch aus der Schulter der Priesterin heraus. Blut sprudelte aus der Wunde hervor und färbte die Robe rot.​
»Aah?! Aaah?!«​
Noch nie hatte die Priesterin unter solchen Schmerzen gelitten. Ihr Verstand war gar nicht mehr dazu fähig, all das zu verarbeiten, was gerade passierte. Während ihr langsam schwarz vor Augen wurde, verlor sie die Kontrolle über ihren Körper.​
»Hört auf! Verdammt! Loslassen! Lasst los!«​
Endlich hatte die Elfe es mithilfe des Zwergs geschafft, sich aus dem Haufen von Goblins zu befreien.​
»Es geht so nicht weiter! Werter Zwerg, wenn wir die drei nicht hier raus bringen, werden wir sicher aufgerieben!«, rief der Echsenmensch, während er so viele Goblins erledigte, wie er konnte.​
»Das sagst du so leicht, Schuppiger!«​
»GOROROB!«
»GORRB! GORB! GOOB!«
Der Goblin Champion lachte lautstark, während er beobachtete, wie die restlichen Abenteurer verzweifelt um ihr Leben kämpften. Es war ein Tag wie jeder andere. Die Würfel bestimmten mit ihren Augen das Schicksal aller und sorgten so immer wieder dafür, dass Abenteurer von Goblins aufgerieben wurden. Die einen nannten es Schicksal, die anderen nannten es Zufall ...​
>Halt's Maul!<​
Für Goblin Slayer war es, als hätte er eine Stimme gehört, die ihn wahnsinnig wütend gemacht hatte. So wütend, dass er wieder zu Bewusstsein gekommen war. Er richtete sich vorsichtig auf und bemerkte, dass sich in dem Grab, auf das er gefallen war, eine versteckte Treppe befand, die in die Tiefe führte. Er hatte Glück gehabt, denn sie hatte einen Hohlraum geschaffen, der ihm das Leben gerettet hatte. Wäre sein Sturz dadurch nicht abgeschwächt worden, wäre er jetzt ganz sicher tot. Aber diese Treppe interessierte ihn jetzt nicht. Wichtig war nur, dass er noch lebte - und solange er am Leben war, würde er kämpfen. Er griff in seine Tasche und zog mit Mühen einen Heiltrank heraus, der nicht durch den Aufprall zerstört worden war. Mit seinen gebrochenen Fingern war es nicht einfach, den Korken aus der Flasche zu ziehen, aber als er es schließlich geschafft hatte, schüttete er sich den Inhalt in den Mund. Der Trank würde ihn nicht wie ein göttliches Wunder heilen, aber er würde die Schmerzen lindern und ihm damit ermöglichen, sich zu bewegen. Und wenn er sich bewegen konnte, dann konnte erkämpfen. Mit seiner rechten Hand suchte er die Umgebung ab und fand schließlich eine Waffe oder zumindest etwas, was er als Waffe verwenden konnte. Er griff zu und zwang sich dann, trotz des angebrochenen Knies aufzustehen. Er war noch am Leben. Als dies ein Goblin bemerkte, näherte er sich ihm grinsend. Wahrscheinlich dachte der Goblin, dass er ihm den Todesstoß versetzen könnte. Schild voraus lies Goblin Slayer sich auf den Angreifer fallen.​
»GORARO?!«
Mit der Kraft seines Körpergewichts bohrte er den Schild in die Stirn seines Gegenübers und tötete ihn. Er schüttelte das Blut und die Gehirnmasse von seinem Schild und richtete sich wieder auf. Er musste weiter und dabei leise sein. Er durfte diesmal nicht bemerkt werden. Der Goblin Champion war gerade vollkommen darauf konzentriert, an seinem Opfer zu knabbern, der Priesterin, die er immer noch in der Hand hielt. Er hatte noch nicht bemerkt, dass Goblin Slayer wieder aufgestanden war. Der Körper der Priesterin war vollkommen schlaff und ihre leeren Augen starrten in die Ferne. Die Bisswunde an ihrer Schulter hörte nicht auf zu bluten und ihre Lippen bewegten sich zitternd, aber kein Laut war zu hören. Betete sie etwa oder flehte um Hilfe? Es war unklar. Goblin Slayer hatte es mittlerweile geschafft, unbemerkt hinter den Champion zu gelangen, und sprang ihm auf den Rücken. Er warf dem Monster etwas um den Hals und zog mit aller Kraft daran. Als er nach einer Waffe gesucht hatte, hatte Goblin Slayer die Haare der toten Abenteurerin und ihre Wirbelsäure gefunden. Er hatte aus den Haaren eine Schlinge gefertigt und diese an der Wirbelsäule befestigt. Die Wirbelsäule half ihm dabei, die nötige Kraft zu entwickeln, die er brauchte, um den muskelbepackten Goblin überhaupt erst würgen zu können.​
»GO, RRRRBBBB?!?!?!«​
Verzweifelt versuchte der Champion aufzuschreien, bekam aber nicht mehr als ein kratziges Geräusch heraus. Er zog mit der freien Hand an der Schlinge aus Haaren, schaffte es aber nicht, mehr als ein paar Haare zu lösen. Goblin Slayer hatte gehört, dass Meuchelmörder Fäden aus Menschenhaaren als Mordwerkzeug nutzten, weil sie widerstandsfähig waren und nicht verrutschten. Dieses Wissen war ihm jetzt nützlich geworden. Als dem Goblin Champion bewusst wurde, dass er sich nicht so einfach aus der Lage befreien konnte, schmiss er die Priesterin zu Boden.​
»Ah ...«​
Goblin Slayer hörte, wie sie ein leichtes Stöhnen von sich gab. Sie lebte. Diese Information reichte in diesem Moment für ihn. Nicht wissend, was er sonst tun sollte, bäumte der Goblin Champion seinen Körper auf und schmiss sich mit dem Rücken gegen eine Wand.​
»Argh!«, entwich Goblin Slayer ein Schmerzensschrei.​
Er war zwischen dem Körper des Champions und der Wand eingeklemmt worden und hatte die volle Wucht der Körpermasse des Goblins abbekommen. Er spuckte erneut Blut, aber lockerte seinen Griff für keine Sekunde.​
»GOROROB?! GROORB?!«
Der Goblin Champion geriet in Panik und seine Untergebenen eilten herbei, um ihm zu helfen. Allerdings war das ein Fehler, denn just in diesem Moment begann ihr Anführer, mit seinem Knüppel wild um sich zu schlagen. Von der Wucht seiner Waffe getroffen, wurden einige von ihnen in Stücke gerissen und andere am Boden zerquetscht.​
»Hejaaaah!«​
Der Echsenmensch nutzte die Chance und stürzte sich mit Gebrüll auf einige verwirrte Goblins.​
»GRAB?!«
»GORORB?!«
Mit jedem Aufblitzen seiner Scharfen Kralle flogen Arme, Beine oder Köpfe seiner Gegner durch die Luft, die verzweifelt versuchen, ihn zu umzingeln. Allerdings machte ein Hagel aus Pfeilen mit Knospen Spitzen ihnen einen Strich durch die Rechnung.​
»Los! Heil sie!«, rief die Elfe dem schuppigen Mönch zu.​
Die Goblins hatten ihre Kleidung aufgerissen und sie war von oben bis unten mit Blut beschmiert, aber daran schien sie gerade gar nicht zu denken.​
»Wir kümmern uns um die Goblins hier!«​
»Ja!«, antwortete der Echsenmensch und begann sich zur Priesterin durchzukämpfen.​
»Danke«, sagte die Elfe zum Zwerg und atmete erleichtert aus.​
»Wo kommt das so plötzlich her?«, fragte der Zwerg verwundert.​
Auch er war vollkommen mit Goblin Blut besudelt und obwohl er sichtlich erschöpft war, war er immer noch in Kampfposition.​
»Beschämend, dass ich als Elfe einem Zwerg etwas schuldig bin, aber es wäre noch beschämender, wenn ich mich nicht bedanken würde.«​
Der Zwerg lachte lautlos und entgegnete:​
»Gerade hattest du noch Tränen in den Augen. Du bist verdammt stolz.«​
Darauf zwinkerte die Elfe ihm zu und sagte: »Immer noch besser, als keinen zu haben, oder?«​
Danach feuerte sie ein paar Pfeile auf den Goblin Champion und rief:​
»Mach ihn fertig, Orcbolg!«​
Goblin Slayer zog nach wie vor mit voller Kraft und versuchte dabei, das Wüten des Champions weg von seinen Kameraden zu lenken. Der Goblin warf seinen Körper hin und her und während der Krieger zuerst höllische Schmerzen empfunden hatte, spürte er mittlerweile gar nichts mehr. Es war ein wenig so, als würde er auf Wasser treiben. Sein Verstand schlug Alarm. Er wusste, Schmerzen waren ein Zeichen dafür, dass man am Leben war. War ihr Fehlen ein Zeichen dafür, dass er kurz vor seinem Ende stand? Hatte er eine falsche Entscheidung gefällt? Stirb endlich. Setz dem Ganzen ein Ende! Nein, eigentlich traf es sich doch gerade gut, dass er keine Schmerzen spürte. Wenn es zum Sieg führte, würde er immer übertreiben.​
»Heyl«, presste Goblin Slayer unter Schmerzen hervor.​
Ihm war nicht klar, ob der Champion verstehen konnte, was er sagte, aber jedenfalls drehte dieser den Kopf und schaute den Krieger an.​
»Sieh mich an, Goblin.«​
Nachdem der Goblin ihm den Kopf weit genug zugedreht hatte, rammte Goblin Slayer die rechte Hand in eins seiner Augen und riss es heraus.​
»GRORARARAB?! GROOROROROB?!?!?!!«
Als Reaktion auf die Schmerzen und darauf, was gerade passiert war, zuckte der Goblin plötzlich heftig und Goblin Slayer fiel zu Boden. Nur mit Mühe konnte er sich vor dem Körper des Champions retten, der direkt darauf auf die Knie fiel. Unter höllischen Schmerzen und mit heftigem Keuchen richtete sich Goblin Slayer wieder auf, wobei er einen Knochen als Stütze nutzte. Von oben bis unten mit Blut besudelt bot er einen furchterregenden Anblick und die Goblins schienen aus Furcht vor ihm eingefroren zu sein. Obwohl er dem Tode nahe war, erhob der Krieger die Stimme und sagte: »Wer ist als Nächstes dran?« Als wollte er seine Aussage unterstreichen, warf er den herausgerissenen Augapfel dem nächstbesten Goblin klatschend vor die Füße.​
»Du?«​
»GORB ... ! GARARARAB!!«
Der Goblin Champion schaffte es, sich schwankend aufzurichten, und stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus. Wo eben noch sein rechtes Auge war, war jetzt nur noch ein blutendes schwarzes Loch.​
»GOB ...«
Die Goblins schwenkten verwirrt die Blicke von ihrem Anführer zu Goblin Slayer und zurück, bis einer von ihnen vor Angst seine Waffe fallen ließ und damit ungewollt den hastigen Rückzug des Rests der Horde einleitete.​
»GORROROROB!!«
»GORARAB! GORAB!«
»GROOB! GROB!«
Unter Schreien rannten sie wie kopflose Hühner los. An ihrer Spitze war der Champion und bewies damit, dass er zwar stark sein mochte, aber am Ende auch nur ein Goblin war. Schnell verschwanden sie durch den Eingang der Kammer in der Dunkelheit und ließen die Abenteurer mit Bergen toter Kameraden zurück. Verletzt und am Ende ihrer Kräfte dachten die Abenteurer gar nicht daran, die Verfolgung aufzunehmen - bis auf Goblin Slayer. Schwankend warf er den Knochen fort und griff nach einem Speer, um ihn als Krücke zu verwenden. Mühsam bewegte er sich durch die Kammer und zog dabei eine Spur aus Blut hinter sich her, die aus seinem eigenen sowie aus Goblin Blut bestand, doch nach einigen Metern fiel er auf die Knie.​
»Orcbolg!«, rief die Elfe und kam heran gesprungen, um ihn zu stützen.​
Dass nur einige Fetzen Kleidung ihren sonst vollkommen entblößten Körper bedeckten, schien sie nicht zu stören.​
»Alles okay?«, fragte Goblin Slayer mit einer fast träumerischen Stimme.​
»]a, so gerade ...«, antwortete die Elfe mit heiserer Stimme.​
»Du hingegen bist alles andere als okay.«​
»Das stimmt. Wie geht es der Priesterin?«​
»Warte ... Kannst du gehen?«​
»Ich werde es versuchen.«​
Ihre letzten Kräfte mobilisierend schaffte die Elfe es, Goblin Slayer zu stützen, und zusammen gingen sie zu dem Rest ihrer Kameraden. Die Elfe merkte, wie ihr warme Tränen die Wangen herunterliefen.​
»Hier, ich helfe euch«, sagte der Zwerg und kam den beiden entgegengeeilt. Auch er sah schrecklich aus. Seine Ausrüstung war rot getränkt von all dem Goblin Blut, und selbst sein weißer Bart, auf den er so stolz war, war nicht verschont geblieben. Er stützte Goblin Slayer von der anderen Seite und sagte:​
»Wir sollten erst einmal umkehren.«​
»Ja ...«, stimmte Goblin Slayer überraschenderweise zu.​
Zusammen erreichten sie den zerstörten Steinsarg, auf dem Goblin Slayer gelandet war. Neben ihm saß der Echsenmensch über die Priesterin gebeugt und heilte sie mit einer seiner Fähigkeiten.​
»Wie sieht es aus?«, fragte Goblin Slayer.​
Der Echsenmensch kniff die Augen leicht zusammen und hob den Kopf seiner Patientin mit seinem Schwanz an. Dann antwortete er:​
»Ihr Leben ist nicht mehr in Gefahr. Aber wären die Wunden etwas tiefer gewesen, hätte ich nichts mehr für sie tun können.«​
»Ach so.«​
»Hier ... Setz dich, das ist besser, oder?«, meinte die Elfe zu Goblin Slayer, der neben ihr keuchte.​
Mit der Hilfe des Zwergs setzte sie ihn so hin, dass er sich an dem kaputten Sarg anlehnen konnte, aber trotzdem wirkte er, als ob er jeden Moment umfallen würde.​
»Ah ...« Mit einem leisen Stöhnen öffnete die Priesterin ihre Augen.​
»Es tut ... mir ... lei...«​
»Mach dir keinen Kopf. So etwas kommt schon mal vor«, sagte Goblin Slayer und nahm ihre Hand.​
»Go ... Slay ... er.«​
»Wir müssen an die Oberfläche zurück. Wenn wir uns nicht beeilen, kommen sie wieder. Kannst du stehen, Orcbolg?«​
»Ach, zieh du dir lieber einen Mantel über. Ich werde Bartschneider stützen.«​
»Ich werde die werte Priesterin auf meinen Schultern tragen.​
Bleibt wachsam.«​
Wahrend er hörte, wie seine Kameraden den Rückzug aus der Kanalisation besprachen, verschwand Goblin Slayers Bewusstsein langsam in der Dunkelheit.​

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Edward Teach

Anime-Pirat
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Kapitel 19
Verirrt


»Wie lange willst du noch schlafen, du Volltrottel!«​
Ein Schlag auf den Hinterkopf riss den Jungen aus seinem Schlaf. Er sprang auf, nahm Kampfhaltung ein und untersuchte seine Umgebung. Sie war kalt. Eisig kalt und weiß. Er befand sich wie immer in der großen Höhle unter der Erde, die voller Eis und Schnee war. Es war dunkel und er konnte nicht viel erkennen. Kaum hatte er begriffen, wo er sich aufhielt, traf ihn ein weiterer Schlag am Hinterkopf.​
»Was träumst du da! Wenn du wach bist, dann begrüß mich gefälligst!« Jemand schimpfte ihn aus, aber er traute sich nicht, sich umzuschauen, denn in der Zwischenzeit würde er bestimmt erneut geschlagen werden. Es konnte nur sein Meister sein, aber er konnte ihn nirgends sehen. Er war mittlerweile mehrere Monate - oder vielleicht sogar Jahre - in dieser Höhle. Er konnte es nicht mehr genau sagen - und eigentlich war es ihm auch egal. Sein Meister, der ihn hergebracht hatte, trug viele Namen, darunter auch »Schleicher« oder »Vagabund«.​
»Ja, Meister. Vielen Dank«, sagte der Junge und senkte den Kopf.​
»Hmpf!« Als Antwort hörte er nichts weiter als ein Schnaufen.​
Wenn er seinen Meister verärgert haben sollte, würde der Junge nicht nur von ihm gezüchtigt, sondern auch nicht mehr von ihm trainiert. Panik stieg in ihm auf. Doch dann erlöste er ihn mit einem:​
»Na, in Ordnung.«​
Der Junge beruhigte sich wieder und fragte seinen Meister, dessen genaue Position er immer noch nicht kannte:​
»Was soll ich heute machen?«​
»Was du machen sollst?«, erwiderte dieser spottend.​
»Du bist wirklich ein Idiot! Was für eine törichte Frage!«​
Ein Schneeball flog durch die Luft und traf den überraschten Jungen im Gesicht.​
»Du wurdest geschlagen! Also schlag zurück! Schlag die Goblins!«​
»Jawohl!«​
Ohne sich den Schnee aus dem Gesicht zu streichen, starrte der Junge nach vorn. Dass er sich in dieser Umgebung leicht unterkühlen konnte, kam ihm schon lange nicht mehr in den Sinn. Der Schmerz, die Gefahren und die Goblins waren für ihn mittlerweile selbstverständlich.​
»Wie ist es?«, fragte der Meister ihn.​
»Die Biester sind clever. Sie sind grausam, zahlreich und verschlagen. Kannst du Goblins töten?«​
»Ich werde sie töten.«​
Der Meister gab ein seltsames Lachen von sich, bevor er sagte:​
»Als deine geliebte Schwester von den Bestien abgeschlachtet wurde, hast du nur schweigend zugesehen, oder? Weil du machtlos warst, nicht wahr?«​
»Ja«, antwortete der Junge und biss sich auf die Lippe.​
»Falsch!«​
Ein weiterer Schneeball kam heran geflogen und traf den Jungen erneut im Gesicht. Neben der Kälte des Schnees spürte er auch einen stechenden Schmerz. Sein Meister, Schleicher, war grausam. Er hatte kleine Steine in den Schneeball gemischt. Der Junge merkte, dass er blutete, aber entschied, die Wunde zu ignorieren. Stattdessen schaute er in die Richtung, wo er Schleicher vermutete.​
»Du hättest einfach nur etwas tun müssen!«​
Der harte Vorwurf seines Meisters entflammte ein Feuer in dem Jungen, der seine Hände zu Fäusten ballte.​
»Du hättest die Goblins erschlagen können! Du hättest mit deiner Schwester fliehen können!«​
Der Junge erkannte ein leichtes Flackern in der Luft. Sein Meister musste mittlerweile in direkter Nähe sein. Es kam ihm vor, als könnte er den Alkohol in seinem Atem riechen.​
»Der Grund ist einfach: Deine Schwester ist tot, weil du sie nicht gerettet hast. Ob du den Versuch überlebt hättest, spielt dabei keine Rolle!«​
Sein Meister begann ihn mit singender Stimme zu verspotten: ·​
»Ich bin machtlos und kann überhaupt nichts tun! Hätten die Götter mir Kraft gegeben, hätte ich die Goblins vernichtet! Wäre ich als legendärer Held auserwählt worden, hätte ich die Goblins besiegt! Hätte ich ein heiliges Schwert, hätte ich die Goblins bezwungen! Hätte ich nur Macht, wäre ich zu allem fähig!«​
»Kann ein schwacher Feigling etwas unternehmen, selbst wenn er mächtig wird?«, fragte der Meister.​
Der Junge schwieg.​
»Die Macht wäre nichts weiter als ein Vorhang und in kürzester Zeit würde der Feigling wieder zum Vorschein kommen!«​
Erneut erkannte der Junge, wie etwas in der Luft flackerte, doch anstatt die Gegend mit den Augen abzusuchen, schloss er sie und konzentrierte sich auf die Luftströmungen in der Höhle.​
»Hörst du?«, setzte der Meister seinen Monolog fort.​
»Du hast kein Talent. Du hast kein Können. Du bist einer von vielen. Du stehst ganz am Anfang.«​
Plötzlich stieß etwas den Jungen vor die Brust. Er öffnete die Augen und sah seinen Meister vor sich stehen. Dessen Augen leuchteten seltsam gelb in der Dunkelheit.​
»Nur du allein kannst es entscheiden. Du musst dich entscheiden und Dinge ins Rollen bringen, um zu gewinnen.«​
Der Meister schnipste mit den Fingern und entzündete Fackeln, die er vorbereitet haben musste, während der Junge geschlafen hatte. Ihre Flammen färbten die eisbedeckten Wände der Höhle rot. Nachdem der Junge nur eine Sekunde lang den Blick von ihm abgewandt hatte, war sein Meister wieder nirgends zu sehen.​
»Es geht um Glück, Wissen und Willensstärke!«, hallte seine Stimme durch die Höhle.​
Der Junge versuchte ruhig zu bleiben und konzentrierte sich zuerst auf seine Atmung. Dann hob er leicht die Arme, stellte die Beine leicht auseinander und senkte die Hüfte.​
»Machst du es oder machst du es nicht? Das ist die erste grundlegende Frage!«​
»Jawohl, Meister,«​
»Wenn du dich überwindest, kannst du Riesen mit Steinen erlegen, gewaltige Spinnen erstechen, Drachen töten und selbst die Herrscher der Unterwelt vernichten!«​
»Ja, Meister.«​
»Du hast kein Glück und auch kein Wissen. Hast du Willensstärke? Du musst dir alles aneignen. Schau jetzt nach oben!«​
Schnell richtete der Junge seinen Blick nach oben. Er erkannte, dass zahlreiche spitze Eiszapfen sich über ihm befanden. Durch die Hitze der Fackeln hatten sie bereits angefangen zu schmelzen und es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten davon auf ihn herunterrasen würden.​
»Dies ist ein Rätsel! Eine Denkaufgabe! Mehr ist es nicht! Wenn du leben willst, antworte schnell!« »Ja, Meister.«​
»Gut ...«​
Rätsel waren seit dem Zeitalter der Götter eine traditionelle Art des Kampfes und sollten sogar noch älter sein als das Würfelspiel der Götter selbst. Für den Jungen spielte das jedoch keine Rolle. Er musste sie einfach nur lösen, denn sonst würde er sterben.​
»Es kann frei durch die Luft fliegen. Es besitzt einen grausamen Rüssel, mit dem es Blut saugt. Es ist dein Erzfeind! Doch wenn du es tötest, dann fließt dein eigenes Blut! Was ist es?!«​
Zuerst musste der Junge an Goblins denken, aber sie hatten keine Rüssel. Während er nachdachte kam ein Schneeball heran geflogen, aber diesmal hatte er damit gerechnet und wich aus. Dabei fiel etwas Blut von seiner Kopfwunde aufs Eis und dies sehend fiel ihm die Antwort ein.​
»Eine Mücke.«​
»Richtig!«, sagte der Meister und schnaubte amüsiert.​
»Aber das war erst der Anfang! Weiter geht's!«​
»Den Meeren fehlt das Wasser. Die Flüsse fließen nicht mehr. Die Bäume der Wälder sind vertrocknet. Die Gebäude der Städte sind eingestürzt und keine Menschen zu sehen! Wo ist dieser Ort?!«​
Der Junge war ratlos. Er hatte in all den Geschichten seiner Schwester von keinem Ort gehört, den solch ein hartes Schicksal ereilt hatte.​
»Hey! Wo bleibt deine Antwort? Beeil dich! Sonst stirbst du!«, schimpfte sein Meister.​
Noch bevor er antworten konnte, rollte der Junge sich reflexartig zur Seite ab. Einer der Eiszapfen war von der Decke gefallen und zersplitterte dort, wo er noch vor einer Sekunde gestanden hatte. Er hob die Hände, um sich vor den herumfliegenden Splittern zu schützen, und da fiel es ihm ein: Vor vielen Jahren hatte er mit seiner Schwester ein Rätselspiel gespielt, in dem dieselbe Frage vorgekommen war.​
»Auf einer Karte.«​
»Richtig! Aber viel zu langsam!«, sagte der Meister und begann zu klatschen. Das Geräusch hallte durch die Höhle. Der Junge ließ sich jedoch nicht davon ablenken und kontrollierte stetig sein näheres Umfeld. Er durfte sich keine Unachtsamkeit leisten. Obwohl eine furchtbare Kälte in der Höhle herrschte, begann sich langsam Schweiß auf der Stirn des Jungen zu bilden. Damit ihm Blut und Schweiß nicht in die Augen tropfen konnten, wischte er sich mit einem Ärmel über die Stirn. Dabei verspürte er einen stechenden Schmerz, doch natürlich ließ sein Meister ihn nicht verschnaufen.​
»Komm schon. Es geht noch weiter! Gerechter als die Götter! Bösartiger als das Böse selbst! Die Reichen brauchen es! Die Armen wollen es nicht! Was ist es?«​
Eine schwierige Frage und der Junge hatte nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken. Aus allen Richtungen flogen Schneebälle heran und er hatte seine liebe Mühe, ihnen auszuweichen.​
»Hey, pass auf! Du wirst noch zerquetscht!«, warnte sein Meister ihn.​
Ein weiterer Eiszapfen fiel von der Decke und drohte den Jungen zu durchbohren. Während er sich noch über den freundlichen Hinweis seines Meisters wunderte und zur Seite sprang, nutzte dieser die Gelegenheit, um einige Schneebälle auf seinen Schüler abzufeuern. Sie trafen den Jungen an der Schulter und die darin versteckten Steine bohrten sich tief in seine Haut. Schmerzerfüllt stöhnte er auf. Ich weiß es nicht! Mir fällt nichts ein! Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken! Der Junge war kurz davor aufzugeben, als es ihm schließlich dämmerte.​
»Nichts!«, schrie er.​
»Die Antwort lautet: Nichts.« Obwohl er richtig lag, war sein Meister noch nicht fertig mit ihm.​
»Was erscheint schwarz umgeben von Schwarz in Schwarz innerhalb Schwarz?«​
»Ein Goblin im Bauch einer Frau, die gefangen in einem Goblin Käfig in einer Höhle ist! Das war einfach.«​
»Oho, verstehe! Wie sieht es damit aus?! Er wird irgendwann auf jeden Fall vor dir auftauchen! Er wird dich nicht entkommen lassen! Du wirst nicht mit ihm reden können! Schau doch! Er ist neben dir! Wie schade! Gib einfach auf!«​
Als der Junge das Rätsel hörte, war ihm sofort bewusst, dass sein Meister ihm das vorige nur gestellt hatte, um sich das nächste auszudenken. Während er keuchend den Schneebällen und Eiszapfen auswich, fiel ihm keinerlei Antwort ein. Das Blut und der Schweiß tropften ihm von der Stirn, liefen ihm in die Augen und raubten ihm die Sicht. Die Verletzung an der Schulter pochte schmerzhaft, aber dennoch gab er alles, um eine Antwort zu finden. Was würde auf jeden Fall vor ihm auftauchen? Was würde ihn nicht entkommen lassen? Warte ... Stand er nicht auch jetzt direkt neben ihm?​
»Der Tod!«​
»Gut. Sehr gut. Du hast kein Glück und auch kein Wissen. Aber Willensstärke hast du. Denk nach. Denk mit aller Kraft nach.«​
»Ja, Meister.«​
Der Junge wusste nicht, warum sich der Meister um ihn kümmerte, aber er würde seine Motive nicht hinterfragen. Er konnte von ihm Strategien lernen, um sein Dorf ... nein, seine Schwester zu rächen, und war dankbar dafür, dass er ihn auf diese Aufgabe vorbereitete.​
»Du bist besser geworden, aber ein Rätsel habe ich noch für dich!«​
Plötzlich stand der Meister vor dem Jungen. Er war nur halb so groß wie dieser und besaß eine dunkele Haut. In der Hand hielt er einen Dolch und er trug ein silberfarbenes Kettenhemd. Es handelte sich um einen Greis vom Volk der Rhea. Er starrte ihn aus Augen an, die im Schein der Fackeln gelb glitzerten, und ein Grinsen entblößte seine schiefen Zähne.​
»Was habe ich in meiner Tasche?«​
Es war eine Frage, die eigentlich gegen die Regeln der Rätsel verstieß, doch der Junge begann ernsthaft darüber nachzudenken. Als ihm keine genaue Idee kam, wollte er darum bitten, dreimal antworten zu dürfen, doch im nächsten Moment spürte er einen dumpfen Schmerz am Hinterkopf. Sein Verstand versank langsam in der Dunkelheit. Der Junge würde nie die Antwort auf die Frage erfahren.​

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Edward Teach

Anime-Pirat
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Kapitel 20
Geflüster, Gebete und Arien


Als Goblin Slayer die Augen aufschlug, fand er sich in einem weichen Bett mit sauberen Laken wieder. Es stand in einem Zimmer mit hoher Decke, wo es angenehm warm war. Er blickte an den imposanten Marmorsäulen vorbei nach draußen in einen strahlend blauen Himmel. Beim Aufrichten merkte er, dass er keine Rüstung trug. Jemand musste sie ihm abgenommen haben, während er bewusstlos gewesen war. Es war für Goblin Slayer eine unheimliche Blamage, sein Bewusstsein verloren zu haben, aber trotzdem war er froh, dass sie es geschafft hatten, sich zurückzuziehen. Er war am Leben und das hieß, es gab ein nächstes Mal. Ein nächstes Mal, bei dem er es besser machen würde. Langsam erinnerte Goblin Slayer sich an den Traum, den er während seiner Bewusstlosigkeit gehabt hatte. Der alte Rhea, sein Meister, war darin vorgekommen. Er hatte ihn im Alter von zehn Jahren aufgenommen und nach fünf Jahren intensiven Trainings war er einfach verschwunden. Das ist jetzt fünf Jahre her. Was macht er wohl? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er tot ist. Goblin Slayer wusste, dass es nichts bringen würde, darüber nachzudenken, und streckte sich, um seine körperliche Verfassung zu überprüfen. Zu seinem Erstaunen erkannte er, dass all seine Wunden und gebrochenen Knochen bereits geheilt waren. Er spürte weder Schmerzen noch irgendwelche Unannehmlichkeiten. Jemand musste ein mächtiges Heilwunder auf ihn gewirkt haben.​
»Hm ...«​
Plötzlich legte ihm jemand die Hände auf die Hüften und erst jetzt merkte Goblin Slayer, dass er nicht allein war. Die Priesterin lag nackt neben ihm, ihr zarter Körper nur in eine dünne Decke gehüllt, und sie hatte sich im Schlaf an ihn geklammert. Goblin Slayer seufzte und zog sorgsam die Decke ein Stück zur Seite, um den Hals und die Schulter des Mädchens zu kontrollieren. Auch wenn die Haut an der Stelle, an der der Champion ihr ein Stück Fleisch herausgebissen hatte, ein wenig heller war, waren sonst keinerlei Verletzungsspuren zu erkennen.​
»Mhrn ...«​
Die Priesterin bewegte sich leicht und Goblin Slayer deckte sie wieder komplett zu. Ungewollt drifteten seine Gedanken noch einmal zurück zu seinem Meister und plötzlich fühlte Goblin Slayer sich wie ein schrecklicher Versager. Es war bereits fünf Jahre her, dass der alte Rhea sich von ihm getrennt hatte, und er war immer noch nicht dazu imstande, sich allein um eine kleine Horde von Goblins zu kümmern. Schlimmer als das war nur, dass er diesmal nicht nur sich, sondern auch seine Kameraden durch sein Handeln in Gefahr gebracht hatte.​
»Darüber hat er mir nichts beigebracht ...«, murmelte Goblin Slayer stöhnend.​
»Du bist wieder bei Bewusstsein«, störte ihn eine bekannte Stimme in seinen Gedanken.​
Es war die Jungfrau des Schwertes, die Erzbischöfin des Tempels des Rechts, die sich dem Bett mit eleganten Schritten näherte.​
»Und wie gefiel es dir«, flüsterte sie und setzte sich auf die Bettkante, »mit mir und dem Mädchen eine Matratze zu teilen?«​
»Es war nicht schlecht«, erwiderte Goblin Slayer nüchtern, während sie ihm sanft mit ihren überraschend kalten Finger über die Wange strich.​
»Das Wunder - Auferstehung -, oder?«​
»Du kennst es?«​
»Nur aus Geschichten.«​
Auferstehung war ein legendäres Heilwunder, das die Wirkung von Heilen und Erfrischung bei Weitem übertraf. Um es wirken zu können, musste eine reine junge Frau in den Diensten der Götter mit einem Wesen das Bett teilen, um sich an seinem Leben festzuhalten. Es konnte keine Toten wiederbeleben, aber war dazu fähig, das Leben von Todgeweihten zu retten. Allerdings kamen nur ausgewählte Personen in den Genuss dieses Wunders und dafür gab es drei Gründe. Zuerst einmal war es für die meisten Wesen so gut wie unmöglich, in einem Tempel oder an einem auf gleiche Weise heiligen Ort zu übernachten. Zweitens waren nur einige wenige hochrangige Dienerinnen der Götter überhaupt dieses Wunders mächtig und dazu gewillt, es für fremde Wesen zu wirken. Drittens ließen diese sich ihre Dienste in Form von hohen Spenden vergüten, die sich nur die wenigsten leisten konnten. Die Erzbischöfin lächelte, als sie Goblin Slayers Blick bemerkte, und sagte:​
»Ich werde dir die Gebühr von der Belohnung abziehen. So ist es normal unter Abenteurern, nicht wahr?«​
»Wieso hast du so etwas für einen normalen Abenteurer wie mich gemacht?«​
»Hi hi ... Was für eine Frage ... Du trägst den Silber- Rang, den dritthöchsten Rang aller Abenteurer.«​
Goblin Slayer wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Es kam häufiger vor, dass er auf seinen Rang hingewiesen wurde, aber für ihn war er nichts Besonderes. Die Jungfrau des Schwertes musste zufrieden kichern, als sie bemerkte, dass dem Abenteurer keine passende Antwort einfiel. Doch nach einem kurzen Moment der Stille verdunkelte sich ihr Gesichtsausdruck und sie entfernte ihre schwarze Augenbinde, die sie bisher immer vor dem Abenteurer und seinen Kameraden getragen hatte. Als würde sie mit jemand anderem sprechen, murmelte sie:​
»Man kann mich sowieso nicht mehr als rein bezeichnen ...«​
Zum ersten Mal blickte Goblin Slayer ihr in die Augen. Jemand musste sie geblendet haben. Es war als würde sie in die Ferne starren. Nüchtern fragte er:​
»Goblins?«​
»Ja.«​
Die Erzbischöfin nickte.​
»Es ist mittlerweile zehn Jahre her. Es passierte, als ich noch eine Abenteurerin war. Goblins zerrten mich in eine Höhle ... Willst du hören, was sie mit mir gemacht haben?«​
»Nein, ich weiß es eh.«​
Als Reaktion auf Goblin Slayers unempathische Antwort gab die Jungfrau des Schwertes ein kurzes Kichern von sich.​
»Es tat weh ... Es tat so weh. Ich habe geweint wie ein kleines Mädchen.« Sie strich sich mit einer ihrer narbigen Hände über die Schenkel, als wollte sie sich selbst beruhigen.​
»Aber weißt du, ich kann sie sehen. Sie ist verschwommen, wie ein Schatten von dir.«​
Sanft streckte sie die Finger in Richtung des Abenteurers aus. »Sie ist überall, aber wenn ich kurz wegschaue, verschwindet sie sofort. Diese schattenartige Gestalt.«​
Goblin Slayer verstand nicht wirklich, was die Jungfrau des Schwertes ihm damit sagen wollte, und entschied sich deshalb, nichts darauf zu antworten. Er ließ den Blick durch den Raum gleiten und erkannte in einer Ecke seine Ausrüstung. Teile davon waren so stark lädiert, dass ihm wahrscheinlich nichts anderes übrigbleiben würde, als sie reparieren zu lassen.​
»Gibt es hier eine Werkstatt oder einen Waffenhändler?«​
Die Jungfrau des Schwertes ignorierte seine Frage und starrte weiter auf die schattenartige Gestalt, die nur sie wahrnahm.​
»Menschen sind schwache Wesen.«​
Das Bett quietschte leicht, als sie sich an den Körper des Abenteurers schmiegte.​
»Im Antlitz all der dunklen Mächte dieser Welt fühle ich mich erdrückend schwach.«​
Im Gegensatz zu ihren Fingern fühlte sich ihr wohlgeformter Körper angenehm warm an. Goblin Slayer stieg ein süßlicher Rosenduft in die Nase. »Ich fühle mich unsicher. Ich habe Angst. Ist es nicht seltsam? Obwohl ich die Jungfrau des Schwertes bin, habe ich jeden Abend fürchterliche Angst. Ich fürchte mich so sehr, dass ich es kaum aushalten kann.«​
Immer noch an Goblin Slayer gelehnt umschlang sie sich selbst so fest, dass ihre Kleidung verrutschte. Der Krieger bekam mehr als nur einen Teil ihrer Schulter zu sehen. Jemand anders hätte sicherlich seine Probleme gehabt, sich zu kontrollieren, aber den Krieger schien es nicht im Geringsten zu interessieren.​
»Es ist eine fürchterliche Welt. Und auch wenn es Wesen gibt, die mir helfen können, können andere mich wahrscheinlich nicht verstehen, oder ... ?«​
»Ist das so?«, erwiderte der Abenteurer in seinem typisch nüchternen Tonfall.​
»Hi hi hi ...«​
Die Erzbischöfin musste amüsiert und gleichzeitig enttäuscht lachen.​
»Was ist so lustig?«​
»Es ist schon seltsam, oder? Dabei habe ich einst den Dämonenfürsten zurückgeschlagen ... «​
Sie erhob sich vom Bett und richtete ihre Kleidung. Dann nahm sie die schwarze Augenbinde und verband sich die Augen. Jetzt, wo sie wieder so vor Goblin Slayer stand, war es kaum zu glauben, wie sie sich vor einigen Sekunden verhalten hatte.​
»Sag, willst du mich nicht retten?«​
Wieder einmal wusste der Abenteurer nicht, was er antworten sollte. Er schaute zu, wie die Erzbischöfin sich umdrehte und langsam davonging. Sie verschwand durch eine Tür, die sie behutsam hinter sich schloss. Goblin Slayer stieß einen langen Seufzer aus und löste sich vorsichtig aus dem Griff der immer noch schlafenden Priesterin. Während er mit schweren Schritten zu seiner Ausrüstung stapfte, wachte sie jedoch auf.​
»Mhm ... ?«​
Schläfrig blinzelnd setzte sie sich auf und als ihr Blick auf den von Goblin Slayer traf, lief sie schlagartig tiefrot an. Hastig zog sie die Bettdecke hoch, um ihre nackte Brust zu verdecken.​
»Wie? Äh, ich, ähm ... Hast du alles gesehen?«​
Goblin Slayer war mittlerweile bei seiner Ausrüstung angekommen und antwortete seelenruhig:​
»Ja, aber sei unbesorgt. Es ist keine Narbe zurückgeblieben.«​
Wortlos ließ die Priesterin den Kopf hängen. Goblin Slayer machte sich währenddessen daran, sich die Teile seiner Ausrüstung anzuziehen, die er noch gebrauchen konnte. Das Kettenhemd und sein Unterhemd waren zum Glück unversehrt geblieben, aber seine Lederrüstung war hinüber.​
»Ge ... Geht es dir wieder gut?«, fragte die Priesterin und stand aus dem Bett auf.​
»Ja«, antworte Goblin Slayer, ohne sich zu ihr umzudrehen.​
Sie nutzte die Chance und zog sich hastig an. Während ihr Kettenhemd immer noch ein großes Loch hatte, war der Rest ihrer Kleidung fein säuberlich geflickt worden. Da sie sich, den Lehren der Erdmutter folgend, nicht schminkte, war sie im Handumdrehen fertig.​
»Solltest du dich nicht lieber noch etwas ausruhen, Goblin Slayer?«​
»Warum fragst du?«​
»Irgendwie bist du anders als sonst ...«​
»Nein«, erwiderte dieser und griff zu seinem Helm.​
Er inspizierte ihn kurz und setzte ihn dann auf.​
»Ich bin wie immer.«​
Er musste sich neue Ausrüstung besorgen, sonst könnte er sich nicht um den Rest der Goblins unter der Stadt kümmern.​
»Hier, oder?!« Mit einem lauten Krachen flog die Tür des Raums auf und die sichtlich aufgedrehte Elfe trat ein.​
»Ich habe gehört, dass ihr wieder wach seid! Alles in Ordnung?«​
Der über beide Ohren grinsenden Waldläuferin folgten der Zwerg und der Echsenmensch.​
»Sie sehen wieder fit aus. Sowohl Bartschneider als auch das Mädel.«​
»Das ist gut zu hören. Da waren wir wohl noch gerade rechtzeitig.«​
Goblin Slayer beäugte seine Kameraden und fragte:​
»Bei euch alles gut?«​
»Du sorgst dich um uns, Orcbolg?!«, wunderte sich die Elfe.​
»Was ist mit dem Kanarienvogel?«​
»Dem geht es gut! Bei dir war es aber am gefährlichsten.«​
Als die Elfe das Bett sah, sagte sie:​
»Was für ein Luxus!«, und warf sich darauf.​
»Aber nur mal so, wusstest du, dass die Priesterin die ganze Zeit geheult und nach dir geschrien hat, nachdem du umgekippt bist? Das war echt schrecklich!«​
»Mo ... Moment mal! Du hast versprochen, das nicht zu verraten!«​
Die Priesterin wurde rot wie eine Tomate und versuchte mit den Armen wedelnd alles abzustreiten.​
»Wenn ich ihm nicht davon erzähle, versteht er das Ganze doch nicht!«​
Vergnügt leckte der Echsenmensch sich über die Schnauze und sagte:​
»Wie dem auch sei, wir müssen unsere Erkundungen fortsetzen und den Champion erledigen, aber wahrscheinlich sollten wir vorher noch unsere Ausrüstung ausbessern lassen ...«​
»Schuppiger, du Idiot ... Erst mal brauchen wir was zwischen die Zähne. Ich bin schon ganz abgemagert.«​
»Zwerg, pass lieber auf, dass dein Gürtel nicht bald reißt.«​
»Ha! Wenn du wüsstest! Ich bin ein echter Prachtzwerg!«​
»Dass ich nicht lache!«​
Und schon lagen der Zwerg und die Elfe sich wieder in den Haaren, als wäre nichts passiert.​
»Ihr habt alle noch nicht gegessen, oder?«, fragte Goblin Slayer in die Runde.​
»Nein«, antwortete die Priesterin.​
»Ich musste doch beim Wirken des Wunders helfen.«​
»Nein, aber ...«, wollte Goblin Slayer entgegnen, aber die Priesterin unterbrach ihn.​
»Hast du etwa unser Versprechen vergessen? Wir wollten doch alle zusammen essen gehen, wenn wir zurück sind.«​
»Hm ...«​
»Daran mussten wir uns doch halten!«​

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Edward Teach

Anime-Pirat
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Intermission VIII
Wenn ein Abenteurer sich bei einem anderen einmischt


»Ach, scheiße. Mir tut der Hintern weh. Pferdewagen sind echt nichts für mich. Ich war mit ihr bereits auf vielen Abenteuern und ich sage euch, als Abenteurer reist man am besten zu Fuß.«​
»Hm ... Ah ... Wir sind mit einer Lieferung betraut. Solche Aufträge bekommt man halt auch ... Und ihr Mädels? So allein auf Abenteuer zu gehen ist doch gefährlich, oder nicht?«​
»Wie ich das meine? Nun ja, ihr könnt nicht reiten und dann ist da die Sache, die ihr jeden Monat kriegt, was heißt: Ihr müsst viele Pausen einle ... Hrmpf!«​
»Hey, verdammt! Wer zaubert hier plötzlich .Spinnennetz-r!«​
»Ich entschuldige mich für sein rüpelhaftes Verhalten ... ja?«​
»Ja, ja ... Es tut mir leid ... Aber wenn ihr nur drei Mädchen in der Gruppe seid, solltet ihr wirklich wachsam sein. Nicht nur wegen Monstern und Banditen. Es gibt auch ziemlich üble Typen unter uns Abenteurern.«​
»Nein, nicht so Typen wie mich! Ich meine solche, die behaupten, dass sie euch helfen wollen, und euch dann das Geld für Lehrstunden oder ähnlichen Schwachsinn aus der Tasche ziehen!«​
»Es gab schon immer schräge Typen, aber heutzutage ist es besser als früher. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Neulinge noch in der Schänke verprügelt und nackt ausgezogen!«​
»Das war aber vor zwanzig dreißig Jahren ... okay?«​
»Was stempelst du das jetzt als alte Geschichten ab? Ich will sie doch nur zur Vorsicht warnen! Abenteurer sind nicht alle schlechte Menschen, aber eben auch nicht alle gute.«​
»Natürlich streiten wir Abenteurer uns untereinander! Und manchmal können Diskussionen dann eben nur mit Fäusten geführt werden!«​
»Ja, manchmal sieht man welche von uns umringt von Frauen, aber für mich ist das nichts. Ich suche nach der wahren Liebe!«​
»Hey! Wieso starrt ihr mich alle so an? Glaubt ihr mir etwa nicht?«​
»Na, dann halt nicht. Passt trotzdem auf euch auf. In letzter Zeit sollen in der Stadt des Wassers schlimme Dinge passieren.«​
»Ja, da er hier ist, geht es bestimmt um Goblins.«​

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Edward Teach

Anime-Pirat
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Kapitel 21
Ein Lesezeichen setzen.


Warme Sonnenstrahlen und eine kühle Brise: Es war ein herrlicher Tag in der Stadt des Wassers, durch deren Gassen Goblin Slayer und die Priesterin gerade marschierten.​
»Schönes Wetter, oder?«​
»Ja.«​
Mit leicht gerötetem Gesicht trappelte die Priesterin hinter Goblin Slayer her und obwohl sie eine schwere Tasche trug, waren ihre Schritte überraschend leicht.​
»Soll ich sie tragen?«, fragte der Krieger seine Begleiterin.​
»Nein, ist schon gut!«, erwiderte diese mit einem Lächeln.​
Goblin Slayer nickte, aber verlangsamte rücksichtsvoll seinen Schritt, sodass die Priesterin kurz darauf neben ihm gehen konnte. Sie schaute zu ihm hoch und wirkte dabei fast wie ein kleines Hündchen. Die Passanten und Händler der Stadt warfen den beiden beim Vorbeigehen skeptische Blicke zu. Die Priesterin wollte Goblin Slayer eigentlich etwas fragen, verkniff es sich aber schließlich doch. Er ist nun mal, wer er ist, und er stört sich bestimmt auch nicht daran. Ich sollte mir darüber nicht allzu viele Gedanken machen. Wie es den anderen wohl gerade geht? Ihre Kameraden waren erneut in die Kanalisation gestiegen, um die Treppe zu untersuchen, die in dem Steinsarg versteckt gewesen war, und herauszufinden, wohin der Champion geflohen war. Bei ihrem gemeinsamen Essen hatten sie sich darauf geeinigt, dass Goblin Slayer und die Priesterin sich in der Zeit etwas ausruhen und sich neue Ausrüstung besorgen würden. Zum Erstaunen aller Anwesenden hatte der Krieger keine Einwände gehabt, wahrscheinlich weil er wusste, dass die Zeit auf der Seite der Goblins war. Auf der Suche nach einem Schmied waren Goblin Slayer und die Priesterin zuerst zu der hiesigen Zweigestelle der Gilde gegangen, aber der Schmied dort hatte sie mit der Begründung abgewimmelt, dass er viel zu viel zu tun hätte. Deshalb liefen sie jetzt die Gassen der Stadt des Wassers auf der Suche nach einem geeigneten Laden ab. Freudig versuchte die Priesterin immer wieder eine Unterhaltung mit Goblin Slayer ans Laufen zu bringen, doch dieser antwortete ihr mit nichts weiter als knappen Aussagen.​
»Hoffentlich passiert den anderen nichts.«​
»Ja.«​
»Sind deine Wunden verheilt?«​
»Ja.«​
»Du warst noch viel schlimmer verletzt als ich.«​
»Ja.«​
»Bitte übertreibe es nicht.«​
»Ja.«​
Mit einem »Hmpf« blieb die Priesterin stehen und blies wütend die Wangen auf. Goblin Slayer bemerkte dies erst, als er schon einige Schritte weitergegangen war. Er drehte sich zu ihr um und fragte:​
»Was ist?«​
»Mensch, Goblin Slayer!«​
Sie lief mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Krieger zu.​
»Ich bin wütend!«​
Sie versuchte einen möglichst wütenden Gesichtsausdruck aufzusetzen, wirkte aber alles andere als bedrohlich. Die Passanten warfen den beiden jetzt eher amüsierte als skeptische Blicke zu. Sie dachten sich wahrscheinlich, dass dies ein Streit unter Geschwistern war.​
»Du antwortest mir mit nichts weiter als >Ja< «​
»Ist das so?«​
»Ja, natürlich!«​
»Ach so ...«​
»Und >ach so< sagst du auch zu oft.«​
»Hm ...« Goblin Slayer verschränkte die Arme und brummte.​
Er schien wirklich ernsthaft nachzudenken, bis er nickte und sagte:​
»Ich werde mich bessern.«​
»Ich bitte dich darum«, antwortete die Priesterin mit einem Kichern.​
Sie wusste, auf sein Wort war verlass, und glaubte ihm deshalb wirklich, dass er sein Bestes geben würde. Zusammen setzten die beiden sich wieder in Bewegung.​
»Du wolltest noch einige Dinge besorgen, oder?«​
»Ja«, erwiderte er.​
Als er den fordernden Blick der Priesterin bemerkte, streckte er eine Hand aus um ihr zu signalisieren, dass er noch nicht fertig war.​
»Ich will mir Waffen und Rüstungen anschauen gehen. Was ist mit dir?«​
»Ähm ...«​
Die Priesterin legte einen Finger auf die Lippen.​
»Willst du dich etwa mit mir absprechen?«​
»Das war meine Absicht.«​
»Oh, Mann ...«​
Sie musste seufzen. Es war schön, dass er Rücksicht auf sie nahm, aber er musste noch an der Art und Weise arbeiten, wie er es tat.​
»Mein Kettenhemd ist kaputtgegangen. Hoffentlich kann mir das jemand reparieren.«​
»Es ginge schneller, ein neues zu kaufen«, antwortete Goblin Slayer gleichgültig.​
»Das will ich aber nicht.«​
»Warum?«​
Die Priesterin drücke die Tasche wie etwas Kostbares an sich und sagte:​
»Als ich es mir gekauft habe, hast du mich das erste Mal gelobt.«​
Goblin Slayer blieb kurz stehen und schaute sie kritisch an. Die Priesterin wandte den Blick verschämt ab.​
»Erinnerst du dich nicht mehr? Du meintest, es sei nicht schön, werde mir aber Schutz vor ihren Klingen bieten.«​
»Ach so ...«, antwortete er in gewohnt nüchternem Ton.​
* * *
Dem Ausrüstungsladen, den die beiden schließlich fanden, schien es gut zu gehen. Er war gut besucht und aus den hinteren Bereichen des Ladens hörte man, wie etwas mit einem Hammer auf einem Amboss bearbeitet wurde. Im Verkaufsraum wurden die verschiedensten Waffen und Rüstungsgegenstände präsentiert.​
»Wow ...«​
Die Augen der Priesterin strahlten, während sie den Blick über die verschiedenen Gegenstände schwenkte. So viele Waffen, die sie noch nie gesehen hatte, und Rüstungen, bei denen sie sich nicht im Geringsten vorstellen konnte, wie man sie tragen sollte. Als sie schließlich eine Waffe erblickte, die sie kannte, nahm sie sie mit einem »Oh ...« in die Hand.​
»Ein Flegel wäre vielleicht auch nicht schlecht.«​
Ein Flegel war ein Stab, an dessen Spitze mit einer Kette ein Gewicht befestigt war. Es war eine Waffe, die aus Dreschwerkzeug entstanden war. Da es einige Priester im Tempel der Erdmutter gab, die Flegel benutzten, kannte die Priesterin diese Waffe.​
»Kaufst du ihn?«, fragte Goblin Slayer.​
Sie dachte kurz nach. In erster Reihe mitkämpfen wollte sie nicht, und zur Verteidigung besaß sie bereits ihren Priesterstab.​
»Ich verzichte lieber ...«, sagte sie, legte den Flegel vorsichtig zurück und näherte sich dem Besitzer des Ladens, der hinter einem Tresen stand.​
»Ähm, Entschuldigung ...«​
»Hm?«​
Als der Besitzer sich zu ihr umdrehte, legte die Priesterin nervös die Hände zusammen. Er war ein junger Mann von ungefähr zwanzig Jahren, aber besaß eher die Ausstrahlung eines Fünfzigjährigen. Er trug saubere Kleidung und war gut frisiert, doch seine Art hatte etwas Kühles und Distanziertes an sich.​
»Oh, willkommen. Um was geht es denn?«​
»Ähm ... Um die Reparatur dieses Kettenhemds.«​
Die Priesterin reichte dem Besitzer ihr Kettenhemd, der es ohne Umschweife ausbreitete. Nachdem er eine Hand durch das Loch gesteckt hatte, seufzte er und sagte:​
»Hm ... Da ist ein ziemlich großes Loch drin. Sollten Sie das nicht besser ersetzen?«​
»Nein, es soll repariert werden ...«​
»Ja ... Eine Reparatur also ...«​
Kritisch musterte er die Priesterin von oben bis unten.​
»Wenn ich schon dabei bin, könnte ich es auch in der Größe anpassen.«​
»Ne ... Nein, danke.«​
Mit hochroten Wangen schüttelte die Priesterin den Kopf. Vielleicht war sein Verhalten hier normal, aber in der Stadt im Grenzland wäre es undenkbar gewesen. Es musste wohl daran liegen, dass sie auf ihn wie eine Anfängerin wirkte, was sie unheimlich frustrierte.​
»Reparieren«, erklang eine herrische Stimme hinter ihr.​
Beim Anblick von Goblin Slayer stieß der Verkäufer zuerst nichts weiter als ein »Urgh« aus, doch dann fiel sein Blick auf das Abzeichen um seinen Hals. »Ein Silber-Rang ...«​
»Diese Lederrüstung und diesen Rundschild. Zusammen mit dem Kettenhemd. Es ist eilig.«​
»Ähm, soll ich sie auch putzen? Was ist mit dem Griff des Schilds?«​
»Sie müssen nicht gereinigt werden. Den Griff habe ich entfernt.«​
»Und die Bezahlung? Ähm, wenn es schnell gehen soll ...«​
»Hier.«​
Ohne zu zögern warf Goblin Slayer einen Lederbeutel auf den Tresen. Der Ladenbesitzer schaute hinein und erkannte, dass er voll mit Goldmünzen war.​
»Vi, .. Vielen Dank!«​
»Zeig mir eure Schwerter.«​
»Ach, ähm, ich hätte ein Schwert aus Mithril für Sie!«​
»Brauch ich nicht.«​
Stapfend ging Goblin Slayer zu einem Fass, in dem unterschiedliche Schwerter steckten und zog eins heraus. Es war ein normales Langschwert mit zweischneidiger Klinge.​
»Ach, wenn Ihnen diese Art Schwert besser gefällt, dann vielleicht eine meisterhaft von Zwergen geschmiedete Klinge ...«​
»Das hier ist zu lang.«​
Goblin Slayer steckte das Schwert zurück ins Fass und griff als Nächstes zu einem Kurzschwert mit einseitiger Klinge.​
»Liegen Ihnen also eher Kurzschwerter? Wie wäre es dann mit einer verzauberten Klinge, die erst kürzlich in einer Ruine gefunden wurde?«​
»Verzaubert?«​
»Ja, richtig.« Die Stimme des Verkäufers überschlug sich.​
»Sie wird nie stumpf und warnt mit einem Geräusch vor sich nähernden Feinden ...«​
»Brauche ich nicht«, unterbrach der Krieger ihn.​
»Das hier werde ich nehmen. Es ist etwas lang, aber ich werde es abschleifen. Ich benutze dafür euren Schleifstein.«​
»A... Aber damit könnte man doch höchstens einen Goblin erlegen.«​
»Genau dafür brauche ich es.«​
Der Verkäufer wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, und machte ein komisches Gesicht. Goblin Slayer störte das jedoch nicht im Geringsten und er stapfte zum Schleifstein des Ladens. Die Priesterin, die das ganze beobachtete, musste leicht grinsen.​
* * *
»Hi hi hi!«​
»Was ist?«​
Goblin Slayer und die Priesterin waren gerade dabei, den Laden zu verlassen. Draußen herrschte wie schon am Vormittag bestes Wetter, und das Plätschern des Wassers in den Kanälen sorgte für eine angenehme Atmosphäre.​
»Goblin Slayer... du bist echt ... I ... Ich weiß, dass ich nicht lachen sollte, aber«​
Der Priesterin kamen vor Lachen die Tränen. Sie machte die Stimme von Goblin Slayer nach, wie er dem Verkäufer erklärt hatte, warum er die Klinge so sehr abschliff:​
»Da ich es wegwerfe oder nach Gebrauch fallen lasse, ist das alles kein Problem!«​
»Aber es entspricht doch der Wahrheit.«​
»Der Verkäufer war trotzdem echt geplättet.«​
»War das so?«​
»Ja.«​
Die Priesterin schaffte es endlich, sich wieder einzukriegen. Die Lehren der Erdmutter erlaubten es eigentlich nicht, sich so über das Verhalten anderer Wesen zu amüsieren, aber sie hatte es einfach nicht mehr ausgehalten. Leise murmelte sie: »Ein wenig ist doch in Ordnung, oder?«​
»Lecker Eiscreme! Wahrlich schmackhafte Eiscreme!«​
Ein Händler auf der anderen Seite der Straße schwang eine kleine Glocke und pries lautstark seine Waren an.​
»Wovon redet er da?«, fragte Goblin Slayer verwundert und beobachtete, wie eine Gruppe von Kindern freudig auf den Stand des Mannes zustürmte.​
Er konnte es nicht genau erkennen, aber er vermutete, dass dort Süßigkeiten verkauft wurden. Als er sich der Priesterin zuwandte, sah sie ihn bereits mit strahlenden Augen an.​
»Willst du diese Eiscreme mal probieren?«​
»Ja, sehr gern! Vielen Dank!«​
Mit einem strahlenden Grinsen verbeugte sich das Mädchen. Es war ihr ein wenig peinlich, sich unter die Kinder zu mischen, aber eigentlich war sie mit fünfzehn ja auch nicht viel älter als diese. Nachdem sie bezahlt hatte, reichte der Händler ihr eine weiße Kugel, die in einer Schale aus hart gebackenem Keks serviert wurde. Auf der Kugel thronte eine rote Kirsche, die der Süßigkeit etwas Farbe gab. Die Priesterin kratze etwas von der Speise mit ihrem Löffel ab und steckte es in ihrem Mund.​
»Oh! Wow!«​
Sie musste sofort grinsen.​
»Es ist wunderbar erfrischend und süß!«​
»Schmeckt es?«​
»Ja, sehr! Im Tempel konnte ich nur selten süße Dinge essen!«​
»Hm ... Eine gefrorene Süßigkeit ...«​
Interessiert näherte Goblin Slayer sich dem Stand und sah, dass der Händler das Eis in einem gut gekühlten metallenen Behälter aufbewahrte. Der Abenteurer konnte keine Spuren von Magie erkennen und auch der braungebrannte Händler wirkte nicht auf ihn wie jemand, der Magie wirken könnte.​
»Das ist kein Zauber, oder? Wie wird es denn hergestellt?«​
»Was genau dahintersteckt, weiß ich auch nicht«, antwortete der Verkäufer willens.​
»Ein Wissenschaftler hat herausgefunden, dass man etwas gut kühlen kann, wenn man ein Feuermittel mit Wasser mischt. Wenn man mithilfe dieser Methode Alkohol kühlt, schmeckt er großartig. Auch gekühlte Früchte schmecken fantastisch.«​
»Hm ...«​
»Und als ich das alles hörte, kam ich auf die Idee, dass gefrorene Milch auch lecker sein könnte.«​
»Ich verstehe. Wirklich interessant.«​
Die Priesterin dachte kurz, dass sie träumte. Goblin Slayer wirkte gerade wie ein kleines Kind, dem man das Geheimnis hinter einem Zaubertrick verraten hatte. Sie hatte ihn noch nie so gesehen. Der Krieger reichte dem Händler währenddessen ein großes Goldstück und sagte:​
»Behalte das Wechselgeld. Eine Portion bitte.«​
»Ja, vielen Dank!«, antwortete der Verkäufer fröhlich und bereitete ihm mit geübten Handgriffen eine Portion zu.​
Goblin Slayer schaute gespannt zu.​
»Hi hi hi.«​
Verwirrt drehte Goblin Slayer sich zu der Priesterin um.​
»Was denn?«​
»Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum du so viel weißt.«​
Nachdem er seine Portion erhalten hatte, schlug sie vor, dass die beiden sich setzten, und so gingen sie zusammen zu einer Bank am Straßenrand. Dort löffelten sie beide in Ruhe ihr Eis. Als die Priesterin mit ihrer Portion fertig war, beobachtete sie Goblin Slayer dabei, wie er sich Häppchen für Häppchen des Eises durch einen Spalt in seinem Helm schob. Sie genoss diesen Moment unheimlich. Warmes Sonnenlicht wärmte ihren Körper und eine leichte Brise lies ihre Haarspitzen tanzen. Kinder rannten spielend vorbei und Passanten unterhielten sich freudig über alltägliche Dinge.​
»Es ist seltsam, oder?«, sagte die Priesterin mit verträumter Stimme.​
»Wenn man das Treiben hier so beobachtet, würde man nie denken, dass direkt unter ihnen Goblins leben.«​
»Ja.«​
»Bestimmt gibt es einige, die von den Vorfällen gehört haben ...«​
>. . . aber es scheint sie nicht zu stören<, beendete die Priesterin ihren Satz in Gedanken.​
»Als ich klein war«, murmelte Goblin Slayer plötzlich, »hatte ich einmal Angst, dass die Erde unter mir aufbrechen würde, sobald ich mich bewegte.«​
Die Priesterin hielt unbewusst den Atem an, während sie Goblin Slayer zuhörte.​
»Also habe ich mich eine ganze Zeit lang nicht bewegt.«​
Während er redete, kullerte die Kirsche von der Spitze seiner halb gegessenen Eiskugel herab.​
»Meine Angst war nicht unberechtigt, aber niemand sonst hat sich solche Sorgen gemacht. Ich fand es wirklich seltsam.«​
Obwohl die Priesterin sein Gesicht nicht sehen konnte, hatte sie das Gefühl, Goblin Slayer würde gerade leicht lächeln.​
»Alle haben darüber gelacht, auch meine Schwester. Irgendwann bemerkte ich dann allerdings, dass ich mich bewegen muss, und tat es wieder.«​
»Ich verstehe.«​
»Ja ...«​
Ein Windstoß ließ die Blätter der nahe stehenden Bäume rascheln.​
»Auch jetzt habe ich große Angst.«​
Wovor sagte er aber nicht und auch nicht warum. Sie hatten sich erst vor wenigen Monaten kennengelernt, aber sie war seitdem ständig an seiner Seite gewesen, weshalb sie in diesem Moment wusste, dass sie besser nicht nachfragen sollte.​
»Ich bin dankbar, dass du mir hilfst«, sagte Goblin Slayer, während er in die Ferne blickte, »aber das musst du nicht tun.«​
Die Priesterin nahm sich seine Kirsche und steckte sie sich den Mund. In dem süß-sauren Fruchtfleisch spürte sie den harten Kern. Trotzig antwortete sie:​
»Du hast doch gesagt, dass ich tun und lassen soll, was ich will, oder?«​
»War das so?«​
»Ja, war es ... Du bist wirklich unverbesserlich.«​
Goblin Slayer war sich nicht sicher, was er darauf sagen sollte, und richtete seinen Blick in den blauen Himmel. Die Priesterin spielte währenddessen mit dem Stiel der Kirsche zwischen ihren Lippen.​
»Tut mir leid«, sagte der Krieger, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte.​
»Das will ich nicht von dir hören.«​
»Auch das tut mir leid ...«​
»Ist schon gut. Es ist nicht so, als hätte ich selbst keine Angst ...«​
Die Priesterin bemerkte, dass ihr ein Tropfen von dem Eis auf die Hand getropft war, und schleckte es ab. Dann machte sie sich daran, die durch die geschmolzenen Eisreste weich gewordene Waffelschale zu essen. Als sie fertig war, stand sie auf und wandte sich an Goblin Slayer.​
»Na gut. Wollen wir geh ...«​
»Goblin Slayer, da bist du ja!«​
Eine bekannte Stimme unterbrach sie. Verwundert drehte sie sich um. Vor ihr stand der Speerkämpfer in seiner blauen Rüstung. »Glaubst du etwa, ich wäre ein Briefbote?! Ich werde mich bei der Gilden Angestellten über dich beschweren!«​
»Wieso das denn?«​
»Anstatt dich um deinen Auftrag zu kümmern, amüsierst du dich hier mit einem Mädel!«​
»Und? Wir haben uns neue Ausrüstung besorgt.«​
Wie immer versuchte er sich mit Goblin Slayer anzulegen, aber der ließ ihn in gewohnter Manier abblitzen. Während die Priesterin sich verlegen umschaute, begann die Hexe, die den Speerkämpfer begleitete, zu kichern.​
»Hi hi hi ...«​
Sie richtete den Blick auf die Priesterin.​
»Es geht dir gut ... So ein Glück ...«​
»Äh, ja.«​
Die Priesterin verbeugte sich aufgeregt.​
»Ährn ... Seid ihr wegen eines Auftrages hier?«​
»Ja ... ein Auftrag. Deswegen sind wir hier ...«​
Die Hexe holte ihre lange Pfeife hervor und drehte sie für einen kurzen Moment zwischen den Fingern, bevor sie sich diese zwischen die Lippen steckte. Sie entzündete sie mit ihrer Magie und ein süßlicher Tabakgeruch verbreitete sich in der Luft.​
»Los ...«, sagte die Hexe und verpasste dem Speerkämpfer einen leichten Stoß in die Seite. Der schnalzte laut mir der Zunge und reichte Goblin Slayer ein kleines Paket.​
»Wehe du lässt mich noch mal so etwas durch die Gegend tragen!«​
Der Krieger wog das Päckchen kurz in der Hand und steckte es dann in seine Tasche.​
»Unter den Abenteurern, die ich kenne, bist du nun mal der flinkste und vertrauenswürdigste. Du hast mir sehr geholfen.«​
»Grrrrl«​
»Hi hi hi ...«​
Die Hexe begann erneut zu kichern und erntete wütende Blicke ihres Kameraden. Natürlich interessierte sie das genauso wenig wie Goblin Slayer und sie kicherte einfach weiter.​
»Habt ihr genug Leute?«, fragte der Speerkämpfer und wandte sich wieder Goblin Slayer zu.​
»Für eine Belohnung helfe ich euch.«​
»Nein, es wird schon irgendwie.«​
»Wie du meinst ... Nur mal so, Hättest du das Zeug nicht hier kaufen können?«​
»Die Ware hier ist zu grobkörnig«, antwortete der Krieger.​
»Sie muss fein sein.«​
»Wofür willst du das überhaupt benutzen?«​
»Das fragst du noch?«​
Jetzt begann auch die Priesterin zu kichern.​
»Um Goblins zu töten.«​
Er war wirklich unverbesserlich.​
* * *

* * *
Nachdem sie sich von den beiden verabschiedet und noch einige Dinge eingekauft hatten, machten die Priesterin und Goblin Slayer sich auf den Rückweg. Die Sonne stand mittlerweile schon im Begriff unterzugehen, und die 'Schatten der beiden wurden immer länger. Ohne einen besonderen Grund dafür zu haben, schaute die Priesterin zu Goblin Slayer auf und dachte: >Ob ich ihn wohl jemals einholen werde? < Sie war nur auf dem Obsidian-Rang und damit noch weit davon entfernt, mit dem Silber-Rang-Abenteurer auf einer Stufe zu stehen. Es waren bereits einige Monate vergangen, seitdem sie auf den Krieger getroffen war. Auch wenn sie das Gefühl hatte, dass sie ihn mittlerweile einigermaßen verstand, musste sie noch viel über ihn lernen. Während die Priesterin vor sich hin grübelte, kamen sie ihrem Ziel, dem Tempel des Rechts, immer näher. Als hätten sie sich abgesprochen, warteten dort auch schon ihre drei Kameraden auf sie. Als die Priesterin sie sah, eilte sie zu ihnen und rief freudig:​
»Ihr seid wieder da!«​
Die Elfe antwortete müde: »Ja! Das war echt kein Zuckerschlecken! Als wir zurückkamen, wart ihr beide noch nicht wieder da. Deswegen ...«​
»Deswegen wollten wir die Gelegenheit nutzen und euch entgegenkommen«, unterbrach sie der Zwerg, während er sich mit einer Hand durch den Bart fuhr und sich mit der anderen zufrieden auf den Bauch schlug.​
»Wir haben so einiges zu besprechen. Lasst uns beim Essen darüber reden. Ich bin am Verhungern!«​
»Moment mal, Zwerg! Beim Essen über die Arbeit zu sprechen ist verboten! Verboten!«, keifte die Elfe empört.​
»Weil du immer alles verbietest, mögen die. Männer dich nicht.«​
»Was soll das denn heißen?!«​
»Also wirklich. Ihr beiden versteht euch echt gut«, kommentierte die Priesterin das Verhalten der beiden grinsend. Am Anfang hatte sie noch versucht, die beiden auseinanderzuhalten, aber mittlerweile genoss sie ihre Zankerei ein wenig. Nachdem Goblin Slayer sich kurz das Treiben angeschaut hatte, wandte er sich an den Echsenmenschen.​
»Wie ist die Erkundung gelaufen? Habt ihr etwas über die Goblins herausgefunden?«​
»Nun ja ... Wir sollten nicht im Stehen über diese Angelegenheit sprechen. Lasst uns in den Tempel gehen.«​
»Ach, wenn das so ist, habe ich eine Idee«, mischte sich die Priesterin in die Unterhaltung der beiden ein.​
Sie reichte dem Echsenmenschen ihre Tasche, die nicht nur mit ihrer Ausrüstung, sondern auch mit Proviant für die ganze Gruppe gefüllt war.​
»Ich werde heute das Abendessen kochen und dann können wir in Ruhe darüber reden. Was denkt ihr?«​
»Ich habe keine Einwände.«​
»Ich auch nicht.«​
Nachdem der Echsenmensch und Goblin Slayer ihrem Vorschlag zugestimmt hatten, spitzte die Priesterin die Lippen und hob einen Zeigefinger:​
»Aber ihr müsst über etwas anderes als Goblins reden, während ich koche.«​
»Hm ...«​
»Ha ha ha ha!«​
Der Echsenmensch klopfte Goblin Slayer aufmunternd auf die Schulter.​
»Ab und an muss man in einer Gruppe auch auf die Meinung seiner Kameraden hören. Kommt ihr beiden. Wir gehen.«​
Die Elfe und der Zwerg hörten auf sich zu streiten und setzten sich zusammen mit dem Echsenmenschen in Bewegung. Die Priesterin wollte ihnen folgen, aber bemerkte, dass Goblin Slayer still dastand. Allein im Licht der Abendsonne hatte er etwas von einem verträumten Kind, das es verpasst hatte, rechtzeitig nach Hause zu gehen.​
»Goblin Slayer, kommst du?«​
»Kameraden ...«​
Er war sich unsicher, was dieses Wort wirklich bedeutete. Mehrmals murmelte er es vor sich hin, bevor er sich an den Klang gewöhnte. Dann richtete er seinen Blick auf die Priesterin.​
»Sind wir Kameraden?«​

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Edward Teach

Anime-Pirat
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Intermission IX
Vom besiegen einer bösen Sekte


»Scheiße! Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße! Verdammter Gygax!«​
»Was für ein grässlicher Patzer! Wie konnte das passieren?! Wie konnten sie nur den Ort der Kapelle herausfinden?!«​
»Wir haben ein Lager unter der Stadt errichtet und die Goblins Opfer für das Wiederbelebungsritual sammeln lassen. Sie hätten sich einfach nur auf das Verschleppen von Frauen konzentrieren sollen!«​
»Wäre bloß diese Erzbischöfin nicht mehr am Leben! Sie ist komplett verdorben, aber nennt sich trotzdem Jungfrau ... Pah! Sie wird bereuen, was sie vor zehn Jahren getan hat!«​
»Aber wie konnte es sein, dass alle Goblins abgeschlachtet wurden? Wo genau lag mein Fehler? Der Plan war doch perfekt!«​
Nein, dein Plan war unzureichend.​
»Oh?! Das ist die Stimme meines ehrwürdigen Gottes! Bitte erhöre die Bitte deines erbärmlichen Dieners und schenke ihm Kraft!«​
Nein ... Du wirst schon sehen.​
»Hm?!«​
»Hey! Bis hierhin und nicht weiter! Das wollte ich schon immer mal rufen!«​
»Ich versteh nicht, warum wir für den Auftritt einen Überraschungsangriff aufgeben mussten.«​
»Der Auftritt ist wichtig. Außerdem zieht sie die Angriffe mit solchen Provokationen auf sich.«​
»Ein schwarzhaariges Mädchen und zwei Frauen? Abenteurer?! Warum kennt ihr das Versteck unserer Glaubensgemeinschaft?!«​
»Wir hatten einfach Glück.«​
»Was?!«​
»Eure Pläne wurden längst durchschaut.«​
»Es gibt kein Entkommen!«​
»Waren es die Weisen? Oder die Schwertheilige? Wie dem auch sei ... Ihr seid Feinde des Dämonenfürsten! Deshalb müsst ihr sterben!«​
»Die Heldin ist da!«​

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Edward Teach

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Kapitel 22
Ein Monster dessen Namen man nicht nennen darf


»Das ist es, wovon ich gestern geredet habe«, sagte der Zwerg und zeigte auf etwas.​
Die Gruppe um Goblin Slayer befand sich erneut in den Tunneln unter der Stadt des Wassers. Um genauer zu sein, waren sie die Treppe hinuntergegangen, die in dem Steinsarg versteckt war, und jetzt standen sie vor einer Halle, die an eine Kapelle erinnerte. In ihr befanden sich steinerne Bänke und im hinteren Bereich ein Altar, über dem ein gewaltiger Spiegel hing. Seine Oberfläche wirkte, als würde sie sich leicht bewegen.​
»Was ist das?«, murmelte die Priesterin leise.​
»Ich weiß es nicht, aber es sieht aus wie ein Augapfel«, antwortete die Elfe.​
Mitten in der Halle schwebte ein merkwürdiges Wesen. Es war ungefähr so groß wie ein Mensch und bewegte sich nicht vom Fleck. Die geometrisch korrekt geformte Pupille des Monsters war blutunterlaufen und zuckte hin und her. Dort, wo bei einem normalen Auge das Augenlid sein müsste, waren mehrere Tentakel, die sich langsam hin und her bewegten. Am Ende von jedem dieser Auswüchse befand sich ein weiteres Auge, die wie kleine Kopien des größeren aussahen und mysteriös leuchteten. Die Reißzähne des Wesens erinnerten an die einer wilden Raubkatze. Seinem Anblick zufolge war davon auszugehen, dass es Wesen der sprechenden Völker gegenüber nicht freundlich gesinnt war, aber obwohl die Abenteurer bereits mehrmals in seinem Sichtfeld gewesen waren, hatte es nicht reagiert.​
»Es muss ein Wesen des Chaos sein«, sagte der Echsenmensch.​
»Es zu besiegen sollte uns Ruhm bescheren. Auch wenn seine Art unbekannt ist.«​
»Es ist ein Monster, dass man nicht beim Namen nennen sollte«, murmelte der Zwerg und zuckte mit den Schultern.​
Während ihre Kameraden sich unterhielten, schaffte die Priesterin es nicht, ihren angsterfüllten Blick von dem Wesen abzuwenden. Für Abenteurer gab es fast keine gefährlichere Aufgabe, als gegen unbekannte Monster zu kämpfen. Die Elfe, der Zwerg und der Echsenmensch waren auf dieses Wesen während ihrer Erkundungen am Vortag gestoßen und hatten sich entschlossen, es zusammen mit ihren Kameraden zu attackieren. Was hat das noch mit dem Vertreiben von Goblins zu tun? Sollten wir nicht lieber noch einmal mit der Jungfrau des Schwertes darüber reden?, dachte sich die Priesterin.​
»Das Ding kann heißen, wie es will«, unterbrach Goblin Slayer ihre Gedanken.​
»Ich bin hier, um Goblins zu töten.«​
Der Zwerg musste laut lachen.​
»Ha ha ha, wie erwartet von dir, Bartschneider. Lasst es uns .Großäugiges Monster oder Betrachter nennen.«​
»Ja, gut.«​
Die Elfe nickte mit wackelnden Ohren. »Aber was machen wir jetzt mit dem?«​
»Ich werde Schutzwall wirken«, sagte die Priesterin und umgriff fest ihren Stab.​
Der Echsenmensch fuhr sich mit der Zunge über seine Schnauze.​
»Ich werde vorne mitkämpfen.«​
Die Elfe legte einen Pfeil in ihren Bogen und spannte ihn.​
»Ich unterstütze euch natürlich mit meinem Bogen.«​
»Was soll ich denn machen ...«, murmelte der Zwerg und schaute hoch zur Decke der Halle.​
Baumwurzeln hatten sich mit der Zeit durch die Fugen gefressen und der Schamane sah dies als Zeichen dafür, dass sie sich nicht mehr direkt unter der Stadt befanden. Über der Erde musste der Wald sein, der den See umrandete, in dessen Mitte die Stadt des Wassers lag.​
»Wir sollten dafür sorgen, dass das Wesen uns nicht sehen kann.«​
»Soll das ein schlechter Scherz sein?«​
»Nein, Langohr. Ich meine das ernst.«​
Der Zwerg wedelte genervt mit den Händen.​
Drachen spuckten Feuer, Harpyien sangen, Spinnen nutzten Gift und dieses Augenmonster würde sicherlich etwas mit seinen Augen machen. Es wäre geradezu töricht, seine Augen zu ignorieren.​
»Ja«, sagte Goblin Slayer.​
»Hast du bereits eine Idee?«​
Der Zwerg wühlte in seiner Tasche und antwortete: »Ich könnte Geisterwand. wirken.«​
»Okay.«​
Goblin Slayer überprüfte seine Ausrüstung. Man sah seiner Rüstung an, dass sie repariert worden war, aber sie saß wie gewohnt, was den Krieger zufrieden stimmte. Sein kleiner Schild war wie immer fest an seinem linken Arm befestigt und das abgeschliffene Schwert war bestens für den Kampf in dieser Halle geeignet. Der Eisenhelm war immer noch etwas verbeult, aber Goblin Slayer war sich sicher, dass er nach wie vor seinen Zweck erfüllen würde. Jeder andere Abenteurer würde seine Ausrüstung als schäbig bezeichnen, denn selbst Anfänger waren meist bereits besser ausgerüstet als er. Goblin Slayer war das jedoch egal, denn für ihn war dies eine vollständige Ausrüstung.​
»Du könntest ruhig etwas auf dein Äußeres achten«, sagte die Elfe kichernd.​
»Das stimmt.«​
Nachdem die Priesterin kurz nachgedacht hatte, klatschte sie in die Hände. »Willst du nicht eine Feder oder so etwas an deinen Helm stecken, Goblin Slayer?«​
»Kein Interesse«, antwortete der Krieger nüchtern.​
Die Elfe sah, dass an seiner Hüfte eine Laterne schaukelte, und fragte: »Huch, heute ohne Fackel, Orcbolg?«​
»Ich möchte etwas ausprobieren. Feuer würde stören.«​
Nachdem alle Gruppenmitglieder bereit waren, rief Goblin Slayer:​
»Los!«​
Die Abenteurer sprangen in die Halle. Goblin Slayer und der Echsenmensch stürmten vor, während die Elfe den Augapfel mit Pfeilen beschoss. Hinter der Elfe befanden sich der Zwerg und die Priesterin, die ihre Zauber und Wunder vorbereiteten. Das Wesen richtete sofort seinen Blick auf die Eindringlinge, und die Instinkte der Priesterin schlugen Alarm. Sie festige den Griff um ihren Stab und begann zu beten: »Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Er ... Ah?!«​
»BEBBEBEBEBEHOOOO!!«
Das Mädchen wurde aus seinem Gebet gerissen und hart nach hinten geschleudert. Es war, als hätte sie ein unsichtbarer Schlag getroffen. Die Elfe, die sich tänzelnd durch den Raum bewegte und einen Hagel aus Pfeilen auf den Gegner herabregnen ließ, sah dies und rief sofort:​
»Bist du okay?!«​
»J ... Ja ...«, entgegnete die Priesterin keuchend.​
Der Augapfel hatte ihr Wunder irgendwie verhindert. Ihr Körper schmerzte durch den harten Aufprall, doch als sie erneut versuchte ein Wunder zu wirken, merkte sie, dass dies nicht ihr einziges Problem war.​
»Ich ... Ich kann meine Wunder nicht einsetzen!«​
Der erschrockene Ausruf des jungen Mädchens erreichte alle Ohren ihrer Gruppe und sie wussten, dass sie ein Problem hatten. Mit zwei Geistlichen und einem Schamanen bestand ihre Gruppe zu mehr als der Hälfte aus Magiewirker.​
»Das muss Entzauberung sein!«, rief der Zwerg.​
»Bartschneider, kannst du ihm kurz die Sicht nehmen?«​
»Alles klar.«​
Goblin Slayer zog aus seiner Tasche ein Ei hervor und warf es in Richtung des Monsters. Es flog in einem kleinen Bogen durch die Luft und traf die Bestie genau im Auge. Ein rot schwarzer Nebel breitete sich langsam aus.​
»OOOOODEEARARARA?!?!«
Die Mischung aus Pfeffer und Schlangengift blendete die vielen Augen der Bestie und sie gab einen ohrenbetäubenden Schrei von sich.​
»Jetzt bin ich dran!«​
Der Zwerg holte etwas Erde aus seiner Tasche und warf sie in die Luft.​
»Gnome, Gnome! Wehrt Wind und Wasser ab und bildet einen harten Schutz!«​
Direkt nachdem der Zwerg den Spruch gesprochen hatte, formte sich aus der Erde eine kleine Mauer, die zuerst aussah wie ein Spielzeug, doch dann innerhalb weniger Sekunden zu einer stattlichen Größe heranwuchs. Mit einem Krachen fiel sie vor den Abenteurern zu Boden. Im Gegensatz zu dem Wunder Schutzwall handelte es sich bei Geisterwand um eine physische Mauer, die auch Blicke abwehren konnte.​
»Was hältst du davon, du Bestie?«, rief der Zwerg mit einem hämischen Grinsen.​
Der Nebel war mittlerweile verschwunden und das Wesen konnte wieder sehen. Es richtete die Tentakel mit den Augen auf die Geisterwand.​
»BEEEHOOOOLLLL!!«
Blendende Lichtstrahlen schossen aus den Tentakelaugen hervor und bohrten sich in die beschworene Wand. Die Abenteurer konnten auf der anderen Seite sehen, wie bestimmte Stellen zu blubbern begannen, bevor vereinzelte Strahlen durchbrachen.​
»Heiß!«​
»Das ist nicht gut!«​
Überrascht sprangen die Abenteuer in alle Richtungen davon.​
»Das große Auge wirkt Entzauberung und die kleinen Augen wirken Zerfall!«, schrie der Echsenmensch seinen Kameraden zu.​
Er wusste nicht, was er tun sollte. Seine Schuppen boten ihm guten Schutz, aber Zerfall würden sie nicht standhalten können und aufgrund von Entzauberung würde er keinen Drachenzahnkrieger beschwören können.​
»Das ist gar nicht gut!«, rief die Elfe.​
»Was machen wir?!«​
»Zieht euch zurück:!«, befahl Goblin Slayer seinen Kameraden.​
Er zog seinen Schild hoch und schützte die Priesterin mit seinem Körper, die hinter ihm zurück in den Gang lief, aus dem die Gruppe gekommen war.​
»Verstanden!«, rief die Elfe und sprang in Richtung des Gangs.​
»BEBEBEBEBEEEEHOO!!«
»Wa ... ?!«​
Nur mit Mühe schaffte die Waldläuferin es, mitten in der Luft einem Strahl von Zerfall auszuweichen. Nichtsdestotrotz verlor sie einige Haarsträhnen, weshalb sie den Augapfel in der Sprache der Elfen beschimpfte. Wankend landete sie an Goblin Slayers Seite.​
»Alles in Ordnung?«, fragte dieser.​
»Alles gut. Danke.«​
Auch der Echsenmensch und der Zwerg schafften es mehr oder minder elegant, den Strahlen auszuweichen, und stolperten zurück in den Gang.​
»BEEHOHOHO ...«
Nachdem die Abenteurer die Halle verlassen hatten, unterbrach das Auge seinen Angriff und kehrte schwebend auf seinen Platz in die Mitte des Raums zurück.​
»Solange wir den Raum nicht betreten, scheint es uns nicht anzugreifen. Beschützt er diesen Ort?«, fragte die Priesterin vollkommen außer Atem.​
»Trink erst mal einen Schluck Wasser.«​
»Ah, da ... danke.«​
Die Elfe reichte der Priesterin ihren Wasserschlauch, die diesen dankend annahm und hastig ein Paar Schlucke nahm.​
»Also kann ich Wunder wirken, wenn er mich nicht ansieht ...«, murmelte das Mädchen nachdenklich.​
»Er kann zaubern und wir nicht. Er scheint gerade die überhand zu haben ...« Der Zwerg ließ sich neben ihnen auf den Boden Plumpsen.​
»Ich hab eine Idee«, erwiderte Goblin Slayer, während er in seiner Tasche wühlte.​
»Ich will dich nur daran erinnern. Feuer, Wasser und Gift sind Tabu!«, sagte die Elfe skeptisch.​
»Nein, ich hab es schließlich versprochen.«​
»Hmpfl«​
Die Ohren der Elfe zuckten leicht. »Dann ist's ja gut.«​
»Nur zur Sicherheit: Wir sind hier nicht mehr unter der Stadt, oder?«​
»Ich denke schon«, antwortete der Zwerg.​
»Über uns müsste der Wald sein.«​
»Dann sollte es kein Problem sein.«​
»Dann bleibt uns wohl keine andere Wahl.«​
Der Echsenmensch klatschte in die Hände.​
»Wir versuchen es mit Goblintöters Strategie.«​
»Danke.« Goblin Slayer nickte leicht und drehte sich dann der Elfe zu. »Jemand muss ihn für mich ablenken. Kannst du seinen Blick auf dich ziehen?«​
»Na klar!«, antwortete die Waldläuferin mit einem Grinsen. Als Nächstes wandte der Krieger sich dem Zwerg zu.​
»Kannst du Trunkenheit wirken?«​
»Von hier? Hm?« Der Zwerg streckte den Arm aus und schätzte die Entfernung zum Riesenauge. »Wenn ich die die Anzahl der Steinplatten nehme ... Okay, okay. Das sollte gerade noch gehen!«​
Goblin Slayer richtete seinen Blick auf den Echsenmenschen.​
»Außerdem bräuchte ich einen Drachenzahnkrieger. Kannst du einen rufen?«​
»Mir bereitet Entzauberung des Auges einige Sorgen ...«​
»Ich werde ihm die Sicht nehmen.«​
Amüsiert rollte der Echsenmensch mit den Augen.​
»Dann sollst du ihn haben.«​
»Auf meinen Befehl«, wandte sich Goblin Slayer zuletzt an die Priesterin, »versperrst du die Tür mit Schutzwall. Schaffst du das?«​
Nachdem es einmal tief durchgeatmet hatte, antwortete das Mädchen: »Ja, keine Sorge. überlass das mir!«​
Einige Sekunden später gab Goblin Slayer dann den Befehl zum Angriff. Die Elfe sprang wie ein wildes Kaninchen durch die Halle und zog damit die Aufmerksamkeit des Auges auf sich. Die Tentakel begannen zu zucken und das Wesen gab einen furchterregenden Schrei von sich.​
»BEBEBEBEBEHOHOOOOOL!!«
Lautlos ließ es die Lichtstrahlen aus den Tentakeln hervorschießen und versuchte die Elfe zu treffen, doch diese war zu schnell. >Gar nicht so schlecht<, dachte sich die Elfe und grinste, während sie den Angriffen des Auges wie eine Akrobatin auswich. Sie wusste, dass einige ihrer Schwestern und Cousins es wahrscheinlich besser als sie gekonnt hätten, aber sie hatte ja noch genug Zeit dazu, Erfahrung zu sammeln. Schließlich war die Zeit auf Seiten der Elfen - solang sie nicht unerwartet starben. Aber es war jetzt nicht an der Zeit, über die Zukunft nachzudenken, weshalb sie sich wieder auf das Ausweichen konzentrierte.​
»OOOOOLLDER!!«
Dem Riesenauge gefiel es gar nicht, dass es die Elfe nicht treffen konnte, und es konzentrierte sich voll und ganz auf das herum hüpfende Geschöpf.​
»Ha! Das Langohr ist gut in Form!«​
Der Zwerg stand im Eingang der Halle und beobachtete amüsiert seine Kameradin. Er wühlte in seiner Tasche und holte eine Tonflasche hervor, die mit Alkohol gefüllt war. Er zog den Korken aus der Flasche und nahm einen großen Schluck. Es schien ihn nicht zu stören, dass einige Tropfen in seinem Bart gelandet waren, und er spuckte den Alkohol in die Luft.​
»Trinke und singe, Geist des Weins! Singe, tanze und schlafe ein. Zeige mir die Träume eines Betrunkenen.«​
Der ausgespuckte Alkohol verwandelte sich in einen Dunst, der sich langsam um das Auge legte.​
»BE ... DERRRR ... ?«​
Schwankend sank es zu Boden und schloss die Augen.​
»Wenn es einen nicht anstarrt, ist das alles ganz einfach«, sagte der Zwerg in angeberischem Ton und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.​
»Gut.«​
Goblin Slayer nickte dem Schamanen zu und rannte im nächsten Moment in die Halle. Seine Bewegungen waren nicht vergleichbar mit denen der Elfe, aber für einen Krieger in Ganzkörperrüstung bewegte er sich geradezu geschmeidig. Im Laufen holte er einen Beutel aus der Tasche und begann dessen Inhalt im Raum zu verteilen. Nach und nach verteilte sich ein feiner Dunst in der Luft.​
»Orcbolg, was ist das?«​
»Das ist Mehl. Nicht einatmen.«​
»Ich habe keine Ahnung, was du vorhast, aber eine Warnung wäre nett gewesen!«​
Ohne darauf zu antworten, zog Goblin Slayer weiter seine Bahnen durch den Raum und verteilte den Rest des Mehls. Als schließlich der Beutel leer war, konnte man keinen Meter weit im Raum sehen.​
»Hey, Bartschneider! Langohr! Der Zauber wirkt gleich nicht mehr!«, warnte der Zwerg seine beiden Kameraden.​
»Hierher, Orcbolg!«​
Für die trainierten fünf Sinne der Elfe war es kein Problem, wenn ihr die Sicht genommen wurde. Goblin Slayer ließ sich von ihrer Stimme leiten und eilte aus der Kapelle heraus. Als die beiden zurück waren, trat der Echsenmensch einen Schritt vor und warf einige Fangzähne auf den Boden. In wenigen Augenblicken setzten sich diese zusammen und wuchsen zu einem Skelettkrieger, der mit Schild und Schwert bewaffnet war. Unerschrocken stürmte dieser in die Halle und auf das Riesenauge zu.​
»Werter Goblintöter, der Drachenzahnkrieger kann Zerfall nicht widerstehen.«​
»Kein Problem«, sagte Goblin Slayer und wandte sich dann an Elfe.​
»Schieß einen Pfeil auf das Auge. Du musst es nur treffen.«​
»Dann wird er komplett aufwachen«, entgegnete sie.​
»Ist nicht schlimm«, entgegnete der Krieger und drehte sich der Priesterin zu. »Und du wirkst direkt darauf Schutzwall. Es hängt alles an dir. Klappt es nicht, sterben wir,«​
Entschlossen hielt das Mädchen sich ihren Stab vor die Brust und antwortete:​
»J ... Ja!«​
Während sie einen Pfeil auf ihren Bogen spannte, murmelte die Elfe:​
»Der ist echt unsensibel ...«​
Die Sehne aus Spinnenfäden knirschte, während sie sie so weit zurückzog, wie es nur ging. Sie richtete all ihre Sinne auf die Stelle, an der sie das Auge vermutete, und ließ los. Der Pfeil raste von der Sehne und durchtrennte den Dunst aus Mehl. Sie wusste, dass sie treffen würde.​
»Ich treffe!«​
Hastig begann die Priesterin ihr Gebet:​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde!«​
Sofort legte sich ein unsichtbarer Schutzschild vor den Eingang zum Gang.​
»Staub ... Verschluss ...«​
Der Zwerg riss die Augen auf.​
»Hey. Hey, hey, hey. Doch nicht etwa?«​
Die Frage des Zwergs ignorierend rief Goblin Slayer seinen Kameraden zu: »Haltet euch die Ohren zu, macht den Mund auf und geht in Deckung!«​
* * *
»BE ... HOOLLLOOHOHOHO!!«
Ein Pfeil, der ihn an der Seite traf, weckte das Auge. Es konnte nichts bis auf einen Schatten erkennen, der auf ihn zu gestürmt kam. Es musste einer der Eindringlinge sein. Das Auge zielte auf den Schatten und die Tentakelaugen begannen zu leuchten. Es feuerte die Strahlen ab und ...​
»LDEEERRRRRRR! !! !«

*
* *
EINE EXPLOSION.

* * *
Die Priesterin dachte zuerst, es wäre ein Blitz eingeschlagen. Nach mehreren krachenden Geräuschen wurde die Halle vor ihnen komplett von einem Feuer erfüllt, das jedoch nach kurzer Zeit wieder erlosch. Eine heiße Luftwelle durchdrang selbst den Schutzwall und das Mädchen hielt sich die Hände schützend vor das Gesicht. Die Ruine wackelte fürchterlich und sie bekam kurz Angst, dass das restliche Gebäude zusammenstürzen würde. Als die Lage sich etwas beruhigt hatte, beugte Goblin Slayer sich vor und sagte leise:​
»Schaut.«​
Die Elfe richtete ihren Blick in die Halle und sah das Riesenauge. Es war mit Wucht an die Decke geschleudert und dort zerquetscht worden. Die Tentakel des verkohlten Monsters zuckten leicht und dann ...​
Platsch.
... fiel es von der Decke in die Mitte der Halle. Der Aufprall lies den Körper aufplatzen und Eingeweide und Körperflüssigkeiten verteilten sich auf dem Boden des Raums.​
»Damit wäre das erledigt«, murmelte der Zwerg ein wenig abwesend.​
»Werter Goblintöter, war der Staub von eben wirklich nur einfaches Mehl? Was hast du damit getan?«, fragte der Echsenmensch skeptisch.​
»Ich habe von einem Minenarbeiter davon gehört.«​
Mit stapfenden Schritten betrat der Krieger die Kapelle.​
»Wenn sich in einem engen, geschlossenen Raum Staub verteilt und es dann einen Funken gibt, kommt es zu einer Explosion.«​
Er zog sein Schwert aus der Scheide und rammte es in das Auge, um zu überprüfen, ob es wirklich tot war.​
»Aber es ist schwer vorzubereiten und es kann sich leicht ein Feuer ausbreiten. Diese Methode ist zu gefährlich. Ich sollte sie nicht gegen Goblins einsetzen.«​
Die Ohren der Elfe stellten sich blitzartig auf und sie schrie:​
»Das war eine Explosion?!«​
»Es war weder Feuer noch Wasser noch Gift.«​
»Das ist nicht das Problem ... Na ja, jetzt ist es mir egal.«​
Die Elfe seufzte. >Das ist also das Ergebnis, wenn er sich an das Versprechen hält?<
Jetzt wo der Betrachter tot war, konnten die Abenteurer keine feindlichen Aktivitäten erkennen. Sie wussten jetzt zwar nicht, ob das Auge der Drahtzieher hinter all den Goblin Aktivitäten war, aber vielleicht würden ihre weiteren Untersuchungen mehr Auskunft darüber geben.​
»Ähm, was hättest du gemacht, wenn es keine Explosion gegeben hätte?«, fragte die Priesterin Goblin Slayer, nachdem sie sich neben ihn gestellt hatte.​
»Die Aufgabe des Augapfels schien allein der Schutz dieses Raums gewesen zu sein. Deshalb hätten wir uns zurückgezogen und ihn mit Pfeilen beschossen, sobald er unachtsam gewesen wäre. Das hätten wir so lange gemacht, bis er erledigt gewesen wäre. Aufwändig, aber wirksam.«​
»Hey!«, beschwerte die Elfe sich.​
»Dann hätte ich die ganze Arbeit machen müssen.«​
Der Zwerg konnte sich darauf einen Kommentar nicht verkneifen:​
»Du kannst schießen, so viel du willst, aber deine Arme bleiben dünne Ästchen.«​
»Nimm du erst einmal ab!«​
»Ach Quatsch! Zwerge müssen so aussehen!«​
Der Echsenmensch und die Priesterin warfen sich kurz einen Blick zu und begannen dann lautstark zu lachen. Kurz darauf stimmten der Zwerg und die Elfe mit ein. Nur Goblin Slayer lachte nicht ...​
Mit einem Seufzen steckte er sein Schwert wieder in die Scheide. Sie hatten gewonnen.​

* * *
»Gut. Was wollen wir jetzt tun? Und was hat es mit diesem Spiegel auf sich?«​
Nachdem sie fertig gelacht hatten, standen der Echsenmensch, die Priesterin und Goblin Slayer vor dem Spiegel, der über dem Altar hing. Seine Oberfläche waberte leicht, als wäre sie aus Wasser, und sie reflektierte Licht auf eine mysteriöse Art und Weise. Der Rand war fein mit Blattgold verziert, und obwohl die Explosion ihn erwischt haben musste, schien er vollkommen unversehrt. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht.​
»Ist dieser Spiegel ein Objekt der Verehrung?«​
Die Priesterin lehnte sich vor, um das mysteriöse Objekt zu berühren. »Sollten wir ihn nicht untersuchen, bevor wir ihn anfassen?«, fragte der Echsenmensch.​
»Aber in unserer Gruppe haben wir keinen Späher oder Dieb«, entgegnete die Priesterin und berührte mit ihren Fingern sanft die Oberfläche des Spiegels.​
Mit einem leisen Plopp versanken sie darin.​
»Ah?!«​
Reflexartig zog sie die Hand zurück. Die durch ihre Berührung ausgelösten Wellen auf der Oberfläche breiteten sich aus.​
»Zurück!«​
Goblin Slayer stieß die Priesterin zur Seite und stellte sich mit gehobenem Schild direkt vor den Spiegel. Wahrend seine Kameraden mit gezückten Waffen herbeieilten, machte der Spiegel weiterhin komische Dinge. Ohne dass die Abenteurer etwas taten, wurden die Wellen auf dem Spiegel immer wilder und wilder. Sie wurden zu einem Wirbel, der sich schließlich auflöste und plötzlich die Sicht auf eine unbekannte Landschaft freigab. Sie war rau und trostlos, voll mit grünem Sand. Von einem unheimlich aussehenden Himmel knallte eine gelbe Sonne brennend herunter und am Horizont war eine rätselhafte Maschine zu sehen. Sie ähnelte entfernt einer Mühle und aus ihr strömten unaufhörlich kleine Wesen heraus. Goblin Slayer erkannte sie sofort.​
»Goblins.«​
Es waren Unmengen der kleinen Biester. Einige von ihnen hielten Peitschen in den Händen und nutzen sie, um schreiend einige ihrer Artgenossen anzutreiben. Was diese Maschine tat, konnte sich selbst Goblin Slayer nicht erklären, aber er erkannte, dass sie zum Teil aus Menschenknochen errichtet worden war.​
»Was ist das für ein abartiger Ort?«, fragte die Priesterin verängstigt.​
»Leben die Goblins dort?«​
Der Echsenmensch trat nach vorn und berührte mit einer seiner Krallen die Spiegeloberfläche. Diese verzerrte sich und zeigte kurz darauf ein weiteres Bild.​
»Ah!«, rief die Elfe, die gerade herbeigeeilt war.​
»Sind das nicht die Ruinen von neulich?«​
»Die Goblins dort waren überraschend gut ausgerüstet ...«, murmelte Goblin Slayer.​
»Deine Art, dir Orte zu merken, ist echt komisch ... Na ja, vielleicht sind sie von hier dorthin gekommen.«​
»Ist dieser Spiegel vielleicht ein uraltes Relikt? Ein „Tor?“«, mutmaßte der Zwerg, der als Letztes an gestampft kam.​
Er schien es selbst nicht zu glauben, aber das war ihm nicht zu verübeln. Wie bei den Portal-Schriftrollen, handelte es sich bei Toren um eine Art von Relikt, deren Technik seit langer Zeit als verloren galt. Nur noch wenige davon waren übrig und das machte sie äußerst begehrt und wertvoll. Die Elfe zog sich vorsichtig von dem Spiegel zurück und fragte:​
»Also hat jemand die Goblins mithilfe dieses Spiegels hierher geholt?«​
»Ja, und er hat ihnen Waffen gegeben und sie hier wohnen lassen«, antwortete der Zwerg.​
»Außerdem hat er den Betrachter beschworen und den Spiegel bewachen lassen«, fügte der Echsenmensch hinzu.​
Beunruhigt wandte die Priesterin sich an Goblin Slayer:​
»Was machen wir jetzt?«​
Ohne zu antworten, sprang der Krieger vom Altar und ging zu den Überresten des Riesenauges. Er trat sie zur Seite und griff nach einem durchlöcherten Tuch, das die Explosion irgendwie überstanden hatte. Er breitete es aus und sah, dass jemand etwas mit Blut darauf gemalt hatte. Eine abartige Fratze mit nur einem Auge. Die Zeichnung war krude, aber Goblin Slayer wusste, was sie zu bedeuten hatte. Es war eine Nachricht von dem Goblin Champion. Er würde sich rächen.​
»Also doch ...«​
Fast wie eine Antwort auf Goblin Slayers Murmeln war Gebrüll aus den Tiefen der Katakomben zu hören. Es war geprägt von dem Durst nach Gewalt und Rache. Die Priesterin begann am ganzen Körper zu zittern. Sie kannte dieses Gebrüll nur zu gut ... Es waren Goblins.​
»Ha ha ... Sie müssen die Explosion gehört haben.«​
Der Echsenmensch schaute sich genauer in der Halle um und erkannte, dass es mehrere Gänge gab, die aus der Halle führten. Aus allen von ihnen war das Gebrüll der Goblins zu hören. Der Gruppe von Abenteurern blieb nicht viel Zeit.​
»Wenn das hier der Eingang für die Goblins ist ...«​
»Ja.«​
Der Zwerg holte eine Flasche Branntwein hervor und nahm einen Schluck. »Sie kommen, um diesen Ort zurückzuerobern.«​
»Hey ... Muss das jetzt sein?«, meckerte die Elfe kraftlos.​
Sie setzte sich auf den Boden und schien in Gedanken zu versinken.​
Die Priesterin stellte sich neben sie und richtete ihren verzweifelten Blick auf den Krieger. Sie wusste nicht, was sie von ihm erwartete, doch sie konnte nicht anders.​
»Goblin Slayer.«​
Ihre leisen Worte sorgten dafür, dass auch der Rest der Gruppe ihren Blick auf den Silber-Rang-Abenteurer richtete. In ihnen allen loderte die Hoffnung, dass ihm - wie zuvor beim Kampf gegen den Oger und der Schlacht gegen den Goblin Lord - etwas einfallen würde. Sie hatten es nie gesagt, aber er war ihr Anführer, und deshalb hofften sie jetzt auf ihn. Wortlos schaute Goblin Slayer sich um. Eine zerstörte Kapelle. Ein Portal-Spiegel. Goblins, die von allen Seiten heranströmten, Und fünf Abenteurer, die bereits am Ende ihrer Kräfte waren. Die Lage schien aussichtslos.​
>Was habe ich in meiner Tasche? <​
Er kannte die Antwort noch immer nicht, aber er würde sie auch nicht mehr brauchen. Für ihn war dort nichts. Nur eine fähige Hand. Und mehr benötigte er nicht. Er sah die Elfe an, die trotz Angst nicht weglief. Er sah den Zwerg an, der Alkohol trank, um sich Mut zu machen. Er sah den Echsenmenschen an, dessen Blut in Vorfreude auf den Kampf bereits kochte. Und dann sah er die Priesterin an ...​
»Keine Angst.«​
Versteckt vom Eisenhelm konnte man Goblin Slayers Gesichtsausdruck nicht erkennen.​
»Das wird gut gehen.«​
In diesem Moment glaubten all seine Kameraden, dass er lächelte.​

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Edward Teach

Anime-Pirat
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Kapitel 23
Magische Fallen der Ruinenstadt

Es klang, als würden sich die Schritte des Todes nähern. Sie wurden begleitet von dem tiefen Rumoren von Kriegstrommeln. Die Goblins näherten sich der Halle, in der sich die Abenteurer befanden. Sie brüllten, grölten und der Sabber lief ihnen aus den Fratzen. Der Goblin Champion malte sich bereits aus, wie er sich rächen würde. Zuerst würde er ihnen die Augen ausreißen. Dann würde er sie vergewaltigen, töten und fressen. Er konnte es gar nicht mehr erwarten ...​
»Urgh ...«, sagte die Elfe, die mithilfe ihrer empfindlichen Ohren bereits erahnen konnte, wie viele Goblins auf sie zukamen.​
Sie überprüfte die Sehne an ihrem Bogen und kontrollierte die restlichen Pfeile in ihrem Köcher, als Goblin Slayer sie ansprach:​
»Alles klar?«​
»Natürlich!«, antwortete sie.​
»Pass du lieber auf, dass dich keiner durch die Gegend schleudert.«​
»Das habe ich vor. Weißt du, woher sie kommen?«​
»Aus allen Richtungen«, sagte die Elfe und zuckte mit den Schultern.​
»Sie werden uns in großer Überzahl angreifen.«​
»Werter Goblintöter, die Barrikaden sind fertig«, unterbrach der Echsenmensch die beiden.​
Er hatte Trümmer, die bei der Explosion entstanden waren, rund um den Altar zu Barrikaden aufgeschichtet. Sie würden ihnen keinen sicheren Sieg gewähren, aber ihnen helfen, etwas Zeit zu schinden. Sie waren eine Idee des Zwergs gewesen, der sich Staub von der Robe klopfte und meinte:​
»Sie sollten ihren Zweck erfüllen.«​
»Ja.«​
Der Echsenmensch nickte kurz und legte die Hände zusammen. Geschickt stieg er zu seinen Kameraden auf den Altar. Man sagte sich, dass kein Volk sich bereits so lange im Kampf mit den dunklen Mächten befand wie die Echsenmenschen, und die Erfahrungen seiner Vorfahren halfen dem Mönch anscheinend dabei, Goblin Slayers Taktiken zu verstehen. Während der Echsenmensch sich um seinen Drachenzahnkrieger kümmerte, strich sich der Zwerg durch den Bart.​
»Ich habe Geisterwand und Trunkenheit gewirkt. Mir bleiben also noch zwei.«​
»Spare du sie dir auch auf. Sie werden unsere Trumpfkarten«, antwortete der Krieger.​
»Oho! Das klingt wichtig. Willst du mir verraten, wie ich sie einsetzen soll!«, fragte der Zwerg und schlug sich auf den Bauch.​
Die Elfe kicherte kurz und sagte:​
»Wir haben echt Glück, dass gleich drei von uns Magie beherrschen.«​
»Sieh an, endlich mal ehrliche Worte von dir, Langohr.«​
»Ich bin immer ehrlich!«, keifte die Elfe und wandte sich an Goblin Slayer.​
»Was soll ich machen?«​
»Lock sie an und töte sie. Töte so viele du nur kannst.«​
»Das klingt mal wieder nach einem verrückten Plan.«​
»Ist das so?«​
Bevor die beiden ihre Unterhaltung beenden konnten, hatte die Goblins die Kapelle erreicht. Ihre funkelnden Augen waren in der Dunkelheit der Eingänge zu erkennen. Goblin Slayer zog eine Schleuder hervor und warf eine weitere dem Zwerg zu. Die Elfe schnaufte kurz aus und spannte einen Pfeil in ihren Bogen.​
»In Ordnung, Orcbolg! Ich mache es!«​
Direkt darauf stieß der Goblin Champion einen Kriegsschrei aus:​
»GOROORORRRRRB!!«​
Seine Truppen rissen ihre kruden Waffen in die Höhe und stürzten in die Halle.​
»Nummer eins.«​
»GROB?!«​
Ohne zu zögern, feuerte Goblin Slayer mit seiner Schleuder auf den erstbesten Goblin und tötete ihn.​
»Nicht schlecht, bei so vielen muss man nicht mal zielen«, meinte der Zwerg. »Bartschneider, schieß einfach drauflos! Hier ist jeder Stein ein Treffer!«​
»Das habe ich vor.«​
Mit einem Schwupp feuerte Goblin Slayer einen weiteren Stein ab, und zertrümmerte einem der heranstürmenden Biester die Stirn. Die anderen Goblins störten sich jedoch nicht an ihrem toten Kameraden und rannten weiter auf den Altar zu.​
»GROB! GOOOROBB!!«​
Einige Goblins versuchten, heimlich die Barrikade an der rechten Wand der Halle zu erklimmen. Die Priesterin bemerkte sie und schrie:​
»Hier rechts!«​
»Ich kümmere mich um sie!« Die Elfe lies einen Hagel aus Pfeilen auf sie herabregnen, doch andere Goblins hatten bereits neue Wege über und auch durch die Barrikaden gefunden. Die Priesterin warnte die Waldläuferin:​
»Drei von links! Vier von vorn!«​
»Ja, ja!«​
Fast tanzend sprang die Elfe auf dem Altar umher und verschoss ihre Pfeile. Statt einzelne feuerte sie bereits mehrere auf einmal.​
»GOROROB! GROB! GOORB!«​
Auf Befehl des Goblin Champions nahm ein Goblin den Deckel von einem Gefäß, das er vorsichtig in seinen Händen trug. In ihm befand sich eine giftige Flüssigkeit, die die Goblins zusammen gepanscht hatten. Die Goblin Bogenschützen tunkten ihre Pfeile in die Flüssigkeit und feuerten sie dann auf die Abenteurer ab.​
»GOORB?!«​
Allerdings zielten sie so schlecht, dass sie einige ihrer Kameraden trafen. Obwohl die Treffer nicht tödlich waren, begannen die verwundeten Goblins blutigen Schaum zu spucken und fielen tot um. Die Bogenschützen störte dies jedoch nicht. Wichtig war nur, dass sie irgendwann die Elfe und die Priesterin treffen würden. Die Goblins hatten ihre Rechnung jedoch ohne den Drachenzahnkrieger gemacht, der sich mit erhobenem Schild vor die Elfe oder die Priesterin stellte, wann immer ein Pfeil sie zu treffen drohte. Die Waldläuferin atmete kurz durch und strich sich den Schweiß von der Stirn. Dann griff sie nach ein paar Pfeilen und meinte:​
»Der ist eigentlich ganz niedlich, oder?«​
»A ... Ach, ja?«, fragte die Priesterin skeptisch.​
Als im nächsten Moment ein Goblin Pfeil mit einem Tock in das Schild des Drachenzahnkriegers einschlug, zuckte sie kurz zusammen. Ihr Blick fiel auf den Echsenmensch, der vor dem Portal-Spiegel stand.​
»Ha ha ha! Ich bedanke mich vielmals für das Lob!«​
Der Spiegel war anscheinend fest in die Wand eingelassen. Der Mönch kratzte mit einer Kralle am Spiegelrand entlang.​
»Ich kann mir nicht erklären, wie dieser Spiegel hier befestigt wurde.«​
Als er schließlich links und rechts eine Lücke fand, die er greifen konnte, packte er fest zu und rief:​
»Oh, edler Brontosaurier, gib mir die Kraft Zehntausender!«​
Er wirkte ein Wunder namens „Scheindrache“, das ihm den Segen seiner Vorfahren verlieh. Seine Muskeln wurden von einer unheimlichen Kraft erfüllt und er begann an dem Spiegel zu zerren. Dieser bewegte sich zwar ein wenig, aber der Echsenmensch würde noch ein wenig Zeit brauchen, um ihn komplett aus der Wand reißen zu können.​
»GOROOOOBB! GOOROOROB!!«​
Die Goblins ließen währenddessen nicht nach und stürmten unter hohen Verlusten immer weiter auf den Altar an. Sie hatten einen Champion auf ihrer Seite und sie waren sich sicher, dass sie diese Schlacht gewinnen würden. Das Geschrei der Goblins ließ die Priesterin erzittern. Sie erkannte, dass der Champion sich in Bewegung setzte, und schrie ihren Kameraden zu:​
»Der Große kommt!«​
Das Monstrum zerstörte mit einem Schwung seines Knüppels eine der Barrikaden und stürmte heran.​
»Ich übernehme ihn«, antwortete Goblin Slayer nüchtern.​
Er hob einen Dolch vom Boden auf und sprang vom Altar. Ohne sich umzudrehen, rief er seinen Kameraden zu:​
»Entfernt euch nicht vom Altar!«​
Ohne ihr Feuer auf die Goblins zu unterbrechen, antworteten die Elfe und der Zwerg:​
»Verstanden«.​
Der Krieger schoss wie ein Pfeil nach vorn und rannte an vereinzelten Goblins vorbei, bis drei der Biester versuchten, sich ihm in den Weg zu stellen. Mit der rechten Hand zog Goblin Slayer sein Schwert und durchtrennte mit einem Schlag die Kehle des ersten von ihnen.​
»Neunzehn.«​
Wahrend eine Blutfontäne aus dem getöteten Gegner hervor spritze, holte der Krieger mit seinem Schild aus und zertrümmerte dem nächsten Goblin, der von rechts angriff, den Schädel.​
»Zwanzig.«​
Als er sich dem letzten der drei zuwenden wollte, sah Goblin Slayer, wie ein Stein des Zwergs heran gesaust kam.​
»GROOB?!«​
Der Treffer war nicht tödlich, doch Goblin Slayer zögerte nicht und rammte dem Goblin seine Klinge in den Hals. Ohne einen Schrei von sich geben zu können, fiel das Biest leblos zu Boden.​
»Einundzwanzig.«​
Schnell zog er seinen Dolch und warf ihn in einer wirbelnden Bewegung auf einen Goblin, der gerade versuchte sich von hinten auf den Krieger zu werfen.​
»Zweiundzwanzig.«​
Nachdem dieser zu Boden gefallen war, sprintete Goblin Slayer los und griff sich den Knüppel, mit dem er bewaffnet gewesen war. Er nutzte ihn sogleich, um einem weiteren Goblin damit den Schädel einzuschlagen.​
»Dreiundzwanzig.«​
Als Nächstes warf er die Waffe einem Goblin Bogenschützen an den Kopf, der gerade auf ihn zielte.​
»GORARA?!«​
Natürlich reichte das nicht, um ihn zu töten, aber darum kümmerte sich dann ein Pfeil der Elfe.​
»Erwischt«, freute sich die Waldläuferin.​
»Orcbolg, ich brauch Pfeile!«
»Hmpfl«​
Sie hatte es Goblin Slayer nicht sagen müssen, denn dieser wusste bereits von dem Munitionsmangel seiner Kameradin. Er stürmte zu der Leiche des Goblin Bogenschützen und warf seinen Köcher in Richtung Altar. Doch leider war der Wurf etwas zu kurz.​
»Ich hol ihn.«​
Sofort sprang der Zwerg vom Altar, um den Köcher zu holen. Er griff ihn sich und warf ihn der Priesterin zu, die ihn mit beiden Händen fing. Die Elfe griff sich den Köcher im Vorbeirennen und ließ es erneut Pfeile regnen.​
»GROORB!!«​
Da der Zwerg nun auf dem Boden der Halle stand, richteten einige der Goblins ihre Aufmerksamkeit nun auf ihn. Wissend, dass er jetzt in den Nahkampf wechseln musste, ließ der Zwerg die Schleuder fallen und griff zu seiner Axt. Wie ein Wirbelsturm fegte er in seine Angreifer hinein. Nachdem er einem Goblin ein Bein abgeschlagen hatte, rief er dem Echsenmensch zu: »Schuppiger, wie sieht es aus?«​
»Noch ein klein wenig!« Obwohl der Echsenmensch mit all seiner Kraft am Spiegel zerrte, war er noch nicht sehr weit gekommen.​
»Ich helfe dir!« Die Priesterin eilte an die Seite des Mönchs. Sie steckte ihren Stab in den Spalt zwischen Spiegel und Wand und begann mit aller Kraft zu drücken.​
»Ngh!!«​
»Braucht ihr noch lange?«, rief Goblin Slayer seinen Kameraden zu. Er kämpfte allein in vorderster Reihe und wehrte sich mit Mühe und Not gegen all die Goblins, die sich auf ihn warfen. Gerade hatte er sich eine krude Goblin Klinge gegriffen und sie einem Goblin von unten durch die Kehle in den Kopf gerammt, als er ein tiefes Grummeln hinter sich hörte.​
»GORARAB ... !«​
Es war der Goblin Champion. Er hatte ein wutverzerrtes Grinsen aufgesetzt.
»GORARARABOOBOBORIIIIN!!«​
Goblin Slayer machte einen Satz nach hinten und rollte sich rückwärts ab.
»GORAB?!«​
Er ignorierte den Schrei eines Goblins, den er dabei ins Gesicht getreten hatte. Dort, wo er eben noch gestanden hatte, war der Knüppel des Champions herab gerauscht und hatte eine der Bodenplatten unter der Wucht des Schlags zerbrechen lassen.​
»Was für ein Muskelprotz«, murmelte Goblin Slayer.​
Er war sich sicher, dass dieser Champion in Sachen Körperkraft der Bestie, die er mit der Portal-Schriftrolle besiegt hatte, in nichts nachstand. Er dürfte sich keinen Patzer erlauben, sonst wäre das sein Ende. Der Krieger drehte sich um, riss seinen Schild hoch und rannte in eine Gruppe Goblins.​
»GORAB?!«​
Sein Plan ging auf. Der Champion war blind vor Wut und schlug rücksichtslos nach Goblin Slayer, ohne dabei auf seine Kameraden zu achten. Während der Krieger durch die Gruppe der Goblins im Zickzack hin und herlief, sauste der Knüppel immer wieder herab und verfehlte ihn nur um eine Haaresbreite, bevor er einige Goblins erwischte. Verzweifelte Schmerzensschreie. Das Knacken von Knochen. Der Champion veranstalte ein Goblin Blutbad, aber das war ihm egal. Er wollte den Krieger tot sehen.​
»GORAB?!«​
Im Vorbeirennen bohrte Goblin Slayer seine Klinge in den Schädel eines verängstigten Goblins und griff nach dessen Waffe. Es war ein altes rostiges Schwert, dass die Viecher einem Abenteurer abgenommen haben mussten. Der Krieger hielt nicht lange daran fest und rammte es in die Kehle eines weiteren Goblins, dessen zuckender Körper kurz darauf von der Keule des Champions zermatscht wurde.​
»Ein gnädiger Tod für einen Goblin«, kommentierte Goblin Slayer das Geschehen.​
»GORARARAB!! GORARARA!!«​
Mit jedem Schlag erwischte der Champion nicht nur einige seiner Artgenossen, sondern zerstörte auch immer mehr die Halle. Langsam begannen Sand und kleine Steinbröckchen von der Decke zu rieseln. Goblin Slayer hatte über die Jahre gelernt, dass Goblins zwar dumm, aber auch lernfähig waren. Allerdings wusste er auch, dass sie ihre Gefühle selten unter Kontrolle hatten. Dies machte er sich gerade zunutze und lockte den Champion immer weiter vom Altar weg. Die Elfe bemerkte dies und konzentrierte sich darauf, Goblin Slayer in seinen Bemühungen zu unterstützen. Sie bestrafte jeden Goblin, der sich ihm in den Weg stellte, mit einem Pfeil. Der Zwerg hingegen war immer noch damit beschäftigt, heranstürmende Goblins mit seiner Axt niederzustrecken, Sein strahlend weißer Bart war mittlerweile in dem öligen Blut der Goblins getränkt.​
»Langohr! Schieß schneller!«​
»Halt die Klappe! Ich habe kaum noch Pfeile!«​
»Dann wirf mit Steinen nach ihnen!«​
»Nein!«​
Während der Zwerg und die Elfe sich wie immer piesackten, waren der Echsenmensch und die Priesterin immer noch dabei, den Spiegel aus der Wand zu lösen.​
»Hnnngh!«​
Die dünnen Arme des Mädchens zitterten vor Anstrengung. Dies sehend, dachte sich der Echsenmensch: >Wenn in so einem Mädchen solch eine Kraft steckt, dann darf ein mächtiger Echsenmensch wie ich auf keinen Fall mit seinen Kräften am Ende sein!< Mithilfe des Segens seiner Vorfahren brachte er sein Blut zum Kochen und fokussierte all seine Energie in seinen Krallen.​
»Hiiiiijaaaahl!«​
Mit einem krachenden Geräusch gab der Widerstand des Spiegels endlich nach und der Mönch hielt ihn in den Händen. Nach Luft ringend rief die Priesterin:​
»Goblin Slayer! Jetzt!«​
Als der Krieger den Ruf des Mädchens hörte, schlug er einen kurzen Haken und rannte zurück zum Altar.​
»Haltet die Spiegelseite nach oben und geht darunter in Deckung!«​
»Ja!« Mit dem Spiegel auf den Schultern fiel der Echsenmensch auf ein Knie und hielt ihn schräg wie ein Dach über sich und die Priesterin. Der Drachenzahnkrieger unterstützte ihn dabei.​
»ORARARAG!!«​
Der Goblin Champion war verwirrt. Er wusste nicht, was hier vor sich ging, aber erkannte, dass die Abenteurer etwas planten. Goblin Slayer nutzte die Chance und warf einen Speer, dem er einer Leiche abgenommen hatte, nach dem Hünen. Die Klinge traf seine Hand und trennte einige seiner Finger ab.​
»GARAOR?!«​
»Steinhagel! Ein großer von oben!«, rief der Krieger dem Zwerg zu.​
»Hm? Okay!«​
Auch wenn der Zwerg überrascht war, hatte er jetzt keine Zeit zu zögern. Er griff in seine Tasche, holte einen Klumpen Lehm hervor, hauchte ihn an und warf ihn in die Luft.​
»An die Arbeit, Gnome! Formt die einzelnen Sandkörner und rollt sie zu Steinen!«​
Wie bereits in der Kanalisation wuchs die Lehmkugel schlagartig zu einem riesigen Felsen heran.​
Als Nächstes rief Goblin Slayer der Priesterin zu:​
»Licht!«​
»Ja!«​
Das Mädchen begann sofort mit ihrem Gebet.​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht.«​
Auf das Gebet gewährte die Erdmutter ihrer treuen Dienerin das Wunder Heiliges Licht. Blendendes weißes Licht erfüllte die düstere Halle und stahl den Goblins die Sicht.​
»GORORB?!«​
Die Bestien schrien laut auf und versuchten, so gut es ging, ihre Augen zu verdecken. Auch Goblin Slayer wurde geblendet, aber zu seinem Glück wies die Elfe ihm mit einem »Orcbolg, hier drüben!« den Weg.​
Als er beim Altar angekommen war, half die Waldläuferin ihm hinauf.​
»Entschuldige.«​
»Ist schon gut! Ich weiß aber nicht, was du vorhast!«​
Nachdem er sich zusammen mit der Waldläuferin unter den Spiegel gesetzt hatte, sagte der Krieger zum Zwerg:​
»Lass ihn mit Sturzkontrolle fallen!«​
Dieser war - den Felsen mit seiner Magie in der Luft haltend - bereits zu seinen Kameraden unterm Spiegel gestoßen.​
»Gnome, Gnome! Dreht den Eimer! Wirbelt ihn herum! Schleudert ihn fort!« Mithilfe seiner Kameraden drehte der erschöpfte Goblin Slayer sich um und erkannte trotz des grellen Lichts, wie der Felsen nicht nach unten, sondern nach oben fiel.​
»GO?! GROB?!«
»GRAROORORORORB?!«​
Er rammte in die Decke und obwohl sie der Explosion und dem Kampf mit dem Champion standgehalten hatte, war der Felsen dann doch etwas zu viel für sie. Sie knackte und begann zu reißen, bis sie schließlich nachgab.​
»GO?! GROB?!«
»GRAROORORORORB?!«​
Das Kreischen der Goblins war noch kurz zu hören, bis die herabstürzende Erdmasse sie alle zum Schweigen brachte.​
»Das macht dreiundfünfzig.«​
Das war das Ende des Goblin Champions.​
* * *

* * *
Es herrschte absolute Stille in der Halle. Sie war einst eine Kapelle gewesen, aber alle Spuren davon waren unter den Erdmassen verschwunden, die auch die Goblins begraben hatten. Wo eben noch die Decke gewesen war, war jetzt ein Loch, das den Blick auf einen klaren Nachthimmel freigab. Zwischen einigen Steinen befand sich der Spiegel, unter dem die Abenteurergruppe Schutz gesucht hatte. Mit einem leichten Poltern begann er sich zu bewegen.​
»Puh«, seufzte die Elfe und kletterte unter dem Spiegel hervor.​
Sie schüttelte sich kurz wie eine nasse Katze und begann sich bei dem Krieger zu beschweren, der nach ihr unter dem Spiegel hervorkroch:​
»A ... Also, also wirklich! Wa ... Was hast du dir dabei gedacht, Orcbolg?!«​
»Da ... Das kam unerwartet ...«, antwortete ihr jemand, aber es war nicht Goblin Slayer, sondern die Priesterin, die als Nächstes hervorgekrochen kam.​
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen ... ?«​
»Irgendwie gewöhne ich mich so langsam an so was.«​
»Ihr seid echt unfassbar ...«​
Kopfschüttelnd half die Elfe der Priesterin auf.​
»Ojemine ... Zum Glück hatten wir den Spiegel«, sagte der Echsenmensch und kam auch herausgekrochen.​
Das Relikt hatte der Gruppe das Leben gerettet. Während die Goblins von der Erdmasse lebendig begraben worden waren, hatte es alles, was auf seine Oberfläche fiel, mithilfe seiner Magie an einen anderen Ort geschickt. »Leider ist er etwas schwer, sonst könnte man ihn als Schild nutzen.«​
Als Letztes kam der Zwerg unter dem Spiegel hervor und nahm erst einmal einen tiefen Schluck Branntwein. Dann bedankte er sich bei dem Mönch:​
»Du hast heute am meisten geschuftet, Schuppiger. Ich danke dir. Nur mal nebenbei, ich habe darüber nachgedacht, warum der Spiegel hier ist. Kann es vielleicht sein, dass dies eine Anlage zum Verreisen war?«​
Es war eine interessante Frage, aber nur die Menschen, die dieses Bauwerk im Zeitalter der Götter errichtet hatten, hätten diese Frage vollständig beantworten können. Eins war jedoch klar: Die Person, die die Goblins und den Beobachter hergebracht hatte, wusste, wie der Spiegel funktionierte, und sie hatte ihn effektiv für seine Ziele eingesetzt.​
»Ist mir egal«, antwortete Goblin Slayer mit gewohnt nüchterner Stimme.​
Die Priesterin sagte mit einem erleichterten Grinsen:​
»Zum Glück waren wir wirklich nicht unter der Stadt ...«​
»Dann hätte ich mir etwas anderes einfallen lassen müssen.«​
Der Krieger schwenkte seinen Blick über seine Kameraden. Dort war die leise kichernde Priesterin, der grinsende Echsenmensch, der leicht angeschwipste Zwerg und schließlich die Elfe, die ihn mit zusammengekniffenen Augen ansah.​
»Hey.«​
»Was denn? Das war weder Feuer, Wasser, Gift noch eine Explosion, oder?«, fragte der Krieger mit einem gewissen Hauch von Stolz in der Stimme.​
Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen der Elfe, als sie sagte:​
»Orcbolg?«​
»Hm?«​
Die Waldläuferin verpasste Goblin Slayer einen kräftigen Tritt und beförderte ihn damit in einen Haufen aus Dreck.​

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Edward Teach

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Kapitel 24
Hin und Zurück

Für die Jungfrau des Schwertes war die Welt ein weißer Raum, der mit nichts weiter als Licht gefüllt war. Sie spürte die leichte Brise auf ihrer Haut, hörte das Rascheln der Blätter und das Gras kitzelte zwischen ihren Zehen, aber sie sah nichts weiter als Licht. Langsam und vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen und fühlte sich zum ersten Mal seit Langem wohl. Sie selbst war überrascht von diesem Gefühl, aber wusste ganz genau, wer es ausgelöst hatte. Es konnte nur er sein. Ein einfacher Held ohne besondere Talente, der nichts weiter getan hatte, als über die Jahre seinen Körper und seinen Geist zu trainieren und so zu überleben. Wahrscheinlich war es das, was sie anzog. Jede einzelne seiner Narben erzählte eine Geschichte seines fortlaufenden Kampfes. Als sie Schritte auf dem Rasen des Tempel Gartens vernahm, blieb die Erzbischöfin stehen. Ein Schatten trat in ihre weiße Welt. Ihre Lippen formten sich zu einem leichten Lächeln. Goblin Slayer war zu ihr gekommen.​
»Was denn? Solange ich dir helfen kann, will ich dir alle Fragen ...«​
»Du wusstest von allem«, unterbrach sie Goblin Slayer mit ruhiger Stimme.​
Das Herz der Erzbischöfin machte einen Sprung. Sie umgriff fest ihren Stab und versuchte sich so gut wie möglich zu sammeln.​
»Ja. Das stimmt.«​
»Na dann«, antwortete der Krieger.​
Seine Stimme war dabei genauso nüchtern wie bei ihrem ersten Treffen. Obwohl die Jungfrau des Schwertes eigentlich erleichtert darüber sein sollte, dass er nicht sauer war, enttäuschte seine Antwort sie. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich so fühlte.​
»Wie bist du darauf gekommen?«, fragte sie Goblin Slayer mit belegter Stimme.​
»Das bin ich nicht. Ich hatte vor, alle zu fragen, die vielleicht etwas wissen könnten.«​
»Alle ... ?«, murmelte die Jungfrau des Schwertes und stieß einen tiefen Seufzer aus.​
»Ich verstehe ... Dann hätte ich es vielleicht abstreiten sollen. Nichtsdestoweniger ist es interessant, dass du zuerst zu mir gekommen bist. Dürfte ich dich fragen, warum du mich verdächtigt hast?«​
»Das hatte viele Gründe.«​
Der schwarze Schatten Goblin Slayers bewegte sich leicht. Mit einigen wenigen stapfenden Schritten wechselte er seine Position. Sie liebte, wie selbstbewusst er umher Schritt.​
»Dieses weiße Monster ... Wie heißt es noch mal?«​
»Der Alligator?«​
Sie wandte sich dem Krieger zu und sagte:​
»Gut, dass du nicht verletzt bist.«​
Er schien leicht zu nicken und antwortete:​
»Ich wollte etwas überprüfen.«​
Sie überlegte kurz, wie sie darauf reagieren sollte. Sollte sie sich entschlossen geben, oder sich ehrlich über sein Erscheinen freuen? Ihre Position als Erzbischöfin entsprechend entschloss sie sich fürs Erstere.​
»Ja«, erwiderte er.​
»Wir sind ihm nicht zufällig über den Weg gelaufen.«​
»Glaubst du etwa, die Begegnung war Teil eines Plans?«​
»Der Alligator sollte uns vertreiben, aber auch die Goblins angreifen.«​
»Ist das nicht etwas paranoid?«​
Goblin Slayer schüttelte langsam den Kopf.​
»Nein, Trotz der Größe der Kanalisation existieren keine Karten und keine Aufträge, um das Ungeziefer darin zu vertreiben. Außerdem patrouillieren keine Abenteurer, aber es ist undenkbar, dass niemand die Kanalisation bewacht.«​
»Du kennst dich gut aus.«​
»Ja. Zumindest was Abenteuer angeht.«​
Die Erzbischöfin musste kurz kichern, doch Goblin Slayer redete einfach weiter:​
»So kam ich zu dem Schluss, dass dieser Alligator der Bewacher der Kanalisation ist und gleichzeitig ein Vertrauter sein muss.«​
Ohne darauf zu antworten, begann die Jungfrau des Schwertes Goblin Slayer anzulächeln. Er hatte recht. Der Alligator diente ihr als Schutzbestie und bewachte die Kanalisation der Stadt. Sie war mit ihm verbunden und spürte dadurch, was auch ihr Vertrauter spürte: die Kälte des Regens, die Hitze der Kämpfe, der Gestank der Goblins.​
»Es ist ironisch«, sagte sie schließlich, »dass ein Gesandter des erhabenen Gottes beschützt werden muss. Dabei sollte ich eigentlich diese Stadt ...«​
Erneut unterbrach sie der Krieger:​
»Du musst es auch bemerkt haben. Die Frauen, die getötet und ausgenommen wurden. Das war nicht das Werk von Goblins.«​
Wieder hatte der Krieger recht. Die Erzbischöfin wusste, dass Goblins menschliche Opfer nicht in feindlichen Gebieten ausnahmen. Als äußerst grausame Kreaturen, gehörte es zu ihren größten Freuden, Opfer mit zurück in ihr Nest zu schleppen und dort ihren Spaß mit ihnen zu haben, bis sie starben.​
»Ja ...«​
Sofort erinnerte sie sich daran, was damals mit ihr geschehen war. Sie hatten sie in eine dunkle steinerne Kammer gesperrt und ihr unaussprechliche Dinge angetan. Dort war es auch, wo sie ihr Augenlicht verloren hatte. Sie taten es auf äußerst brutale Weise mithilfe von Fackeln ... Schnell wischte sie die schmerzhaften Erinnerungen weg und konzentrierte sich wieder auf den Abenteurer vor ihr.​
»Ich habe gehört, dass ihr in den Ruinen einen Portal-Spiegel gefunden habt. Der Drahtzieher, einer der übrig gebliebenen Diener des Dämonenfürsten, muss etwas damit vorgehabt haben. Allerdings hat mich bereits ein Bericht erreicht, dass dieser besiegt wurde.«​
Sie lehnte sich an einen Pfeiler und wandte sich von Goblin Slayer ab, bevor sie weiterredete:​
»In der Stadt gab es verstreut Spuren von Opferritualen, anhand derer ich mir bereits denken konnte, wessen Werk die Vorkommnisse waren. Der Diener des Dämonenfürsten wollte sich an mir rächen. Wenn es nur das gewesen wäre, hätte ich mich selbst darum kümmern können, aber er schickte Goblins. Sie nisteten sich unter der Stadt ein ...«​
Die Jungfrau des Schwertes musste sich kurz sammeln. Allein der Gedanke an Goblins brachte ihre Beine bereits zum Zittern. Nach einer kurzen Zeit setzte sie ihre Erzählung fort:​
»Ich habe einen Dämonenfürsten bezwungen und werde nun Jungfrau des Schwertes genannt, aber ein Satz wollte mir einfach nicht über die Lippen ... Bitte beschützt mich vor den Goblins ...«​
In fast neckischem Ton fragte sie dann den Krieger:​
»Was willst du jetzt mit mir machen?«​
»Gar nichts«, antwortete dieser desinteressiert.​
»Du bist schließlich kein Goblin.«​
Wieder überkam sie ein unerwartetes Gefühl der Enttäuschung.​
»Dürfte ich dir erzählen, warum ich so gehandelt habe?«​
»Ja, wenn es sein muss.«​
»Ich wollte einfach nur, dass mich jemand versteht.«​
Ein Windstoß brachte die Blätter der Bäume im Tempel Garten zum Rascheln.​
»Unter der Stadt wimmelt es nur so von Goblins. Jede Nacht kriechen sie aus den Kanälen heraus, um sich ihr nächstes Opfer zu schnappen. Abenteurer, die sich auf die Jagd nach ihnen machen, kehren nie zurück. Niemand weiß, wer ihnen als Nächstes zum Opfer fällt. Sie könnten unter dem Bett oder im Schatten der Tür auf einen lauern. Selbst im Schlaf ist man nicht sicher vor ihnen. Ich hoffte, sie alle würden sich zu fürchten beginnen. Ich wollte, dass jemand dieselbe Furcht verspürt wie ich ... Doch niemand tat es.«​
Die Erzbischöfin hatte gelernt, dass es so nicht funktionierte. Leute sterben, aber das war anderen egal. Am Ende hatte sich keiner außer ihr vor dem Terror der Goblins gefürchtet.​
»Du kannst diesen Portal-Spiegel gern haben.«​
Sie zwang sich dazu, ein Lächeln aufzusetzen.​
»Du würdest ... Ja ... Du verstehst mich, nicht wa ...«​
Zum dritten Mal im Laufe dieser Unterhaltung unterbrach Goblin Slayer sie: »Ich habe ihn weggeworfen.«​
»Was?«​
Die Erzbischöfin konnte ihre Überraschung nicht verstecken.​
»Diesen unbezahlbaren Schatz?«​
»Andere Goblins könnten lernen, ihn zu nutzen. Ich habe ihn in Beton versiegelt und versenkt. Bestimmt kann dieses weiße Monster ihn als Bett benutzen.«​
»Ah ...«​
Die Jungfrau des Schwertes musste kurz kichern.​
»Du bist ein wirklich interessanter Geselle ... aber ganz sicher auch ein wenig verrückt.«​
»Das mag sein«, antwortete der Krieger lustlos.​
»Sag, Darf ich auch etwas fragen?«​
»Ja, auch wenn ich nicht weiß, ob ich deine Frage beantworten kann.«​
»Hat sich durch das Beseitigen der Goblins irgendetwas geändert«​
Sie wandte sich wieder dem Krieger zu und breitete die Arme aus, als würde sie ein Geständnis machen.​
»Sollte ein Held nicht einer bösen Sekte das Handwerk legen und damit die Gerechtigkeit und den Frieden dieser Welt wahren? Doch du hast nichts weiter getan, als einem Mädchen zu helfen, das Angst vor Goblins hat. Sag mir, was soll das schon ändern?«​
Sicherlich nichts ...​
»Aber ist das nicht schon genug?«, antwortete Goblin Slayer.​
»Du hast gesagt, dass Goblins dir schreckliche Dinge angetan haben.« »Ja ...«​
»Ich habe selbst gesehen, was das bedeutet, und gerade deswegen kann ich deine Angst nicht verstehen.«​
Plötzlich fühlte sich die Jungfrau des Schwertes, als würde sie fallen. Sie wollte den Krieger erreichen, der ihr als schattige Gestalt erschien, aber sie wusste nicht wie. Mit verzweifelter Stimme fragte sie ihn:​
»Also wirst du mich nicht befreien?«​
»Nein«, antwortete dieser kalt und drehte ihr den Rücken zu.​
Die Jungfrau des Schwertes antwortete dem Krieger mit einem kraftlosen Lachen. Sie hatte gehofft, dass er sie von dem Albtraum, der sie immer noch jede Nacht verfolgte, befreien würde. Von den Goblins, die sie Nacht für Nacht beschmutzten, sie vergewaltigten und sie wie Dreck behandelten. Sie fühlte sich allein ... Niemand würde ihr jemals helfen ...​
»Aber«, sagte Goblin Slayer, ohne sich umzudrehen, »ruf nach mir, wenn Goblins auftauchen. Ich werde sie töten.«​
»Ah ...«​
Mit einem Seufzen fiel die Jungfrau des Schwertes erleichtert auf die Knie. Sie begann zu weinen, _zum ersten Mal seit Jahren außerhalb eines Traums. Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Sie hatte Goblin Slayers Worte genau vernommen, aber sie musste sich versichern.​
»Auch ... Auch in meinen Träumen?«​
»Ja.«​
»Du wirst mir dort helfen?«​
»Ja, weil ich Goblin Slayer bin.«​
Mit diesen Worten verschwand der schwarze Schatten aus ihrer Welt des Lichts.​
»Ah ...«​
Mit einem Stöhnen umschlang die Erzbischöfin ihren eigenen Körper. Unreine Gedanken überkamen sie und eine Lust nahm von ihr Besitz, die sie eigentlich für verloren geglaubt hatte. Es war wie eine Flamme, die ihr Herz in Brand setzte und sie wieder hoffen ließ. Sie wusste, sie könnte endlich wieder in Ruhe schlafen. Während ihr die Tränen das Gesicht hinunterliefen, sagte die Jungfrau des Schwertes zu dem längst verschwundenen Goblin Slayer: »I...Ic ... Ich ... Ich verzehre mich nach dir!«​
Ob ihre Worte ihn erreichten, wussten jedoch nur die Götter.​
* * *

* * *​
Auf einem Weg, der gerade über eine weite Eben führte, polterte ein Pferdewagen entlang. Er war auf dem Weg ins westliche Grenzland. Auf seiner Ladefläche befanden sich die unterschiedlichsten Gestalten mit unterschiedlichsten Motiven und unter ihnen waren Goblin Slayer und seine Kameraden. Sie hatten es sich, so gut es ging, gemütlich gemacht.​
»Mhm ... ! Hach! Das hat Spaß gemacht!«, sagte die Elfe und streckte eine wenig die Arme, um ihre steifen Schultern zu lockern.​
Der Zwerg grinste hämisch und entgegnete ihr:​
»Ich höre noch, wie du geschrien hast, als die Goblins uns übermannt haben.«​
»Schnee von gestern! Wir haben überlebt und wurden entlohnt!«, antwortet die Waldläuferin und klopfte auf ihren Rucksack, der ein leichtes Klimpern von sich gab.​
»Die Sache mit dem Spiegel ist zwar bedauerlich«, sagte der Echsenmensch, während er in einem Notizbuch blätterte, »aber wir haben kostbare Daten gesammelt und Ketzer vernichtet. So gesehen war es ein voller Erfolg.«​
»Solange ich mir von der Belohnung ordentlich einen gönnen kann, werde ich mich nicht beschweren«, murmelte der Zwerg, während er aus einem Schälchen Branntwein trank.​
»Ihr Zwerge denkt immer nur an so was.«​
»So ist es, Langohr. Wir Zwerge gehen einfach gern mal einen heben.«​
Die Priesterin lauschte den beiden Streithähnen mit einem Grinsen und freute sich, dass dieser Auftrag gut ausgegangen war. Sie wunderte sich zwar immer noch, wer hinter den Geschehnissen in der Stadt des Wassers gesteckt hatte, aber da Goblin Slayer nicht darüber redete, schien es für die Gruppe keine Rolle mehr zu spielen. Sie blickte zu dem Krieger hinüber. Er saß mit dem Rücken an eine Seitenwand des Wagens gelehnt und schlief. Dabei hielt er sein Schwert fest umklammert und hatte, wie sollte es auch anders sein, seinen Eisenhelm nicht abgesetzt.​
»Er ist unverbesserlich«, sagte das Mädchen und kicherte leicht.​
Sie zog eine dünne Decke aus ihrer Tasche und deckte Goblin Slayer zu. Nachdem der Krieger von seinem Bericht bei der Jungfrau des Schwertes zurückgekehrt war, hatte er nichts weiter gesagt als: »Es ist vorbei« und die gesamte Gruppe hatte es kommentarlos so hingenommen. Als die Priesterin erneut einen Blick auf Goblin Slayer warf, erkannte sie, dass der Vogelkäfig mit dem Kanarienvogel neben ihm stand. Der Vogel saß auf einer Stange und schlief wie sein Herrchen.​
Ob er sich schon einen Namen überlegt hat? Der Gedanke amüsierte die Priesterin. Wahrscheinlich würde er sich gewissenhaft um den Vogel kümmern, aber nie einen Gedanken daran verlieren, wie er ihn nennen sollte. Sie würde ihn fragen, wenn er wieder aufwacht, aber sie wusste schon jetzt, dass sie eine Antwort wie »Kanarienvogel reicht doch« erhalten würde. Vorsichtig griff das Mädchen nach einer gelbgrünen Feder, die dem Vogel ausgefallen war und steckte sie vorsichtig in einen Spalt von Goblin Slayer Eisenhelm. Die Feder passte nicht im Geringsten zu der dreckigen Rüstung des Kriegers, aber die Farbe an ihrem sonst so düsteren Kameraden, munterte sie irgendwie auf.​
»Ruh dich gut aus, Goblin Slayer,«​
»Wenn wir zurück sind«, kam plötzlich ein Murmeln aus dem Eisenhelm.​
Erschrocken fuhr die Priesterin hoch:​
»Mann! Sag doch, dass du wach bist!«​
»Ich bin gerade aufgewacht.«​
»Wie soll ich das durch den Eisenhelm erkennen?«​
»Hm ...«​
Goblin Slayer zog seinen Trinkbeutel aus der Tasche und nahm ein paar tiefe Schlucke daraus. Dann schaute er zur Priesterin und sagte:​
»Wenn wir zurück sind, möchte ich etwas ausprobieren.«​
»Was denn?«​
»Ich möchte Eiscreme herstellen.«​
Wahrend sich ein Lächeln auf die Lippen der Priesterin legte, sprang der Echsenmensch freudig auf und rief:​
»Eiscreme?! Werter Goblintöter, dürfte ich dir dabei behilflich sein?«​
»Wenn du willst, gern. Ich werde versuchen Milcheis zu machen.«​
Der Echsenmensch schlug vor Freude mit seinem Schwanz mehrmals auf den Boden, was dazu führte, dass die anderen Fahrgäste erschrocken aufsprangen.​
»E ... Es tut mir leid.«​
Aus Angst davor, aus dem Wagen geworfen zu werden, entschuldigte und verbeugte sich die Priesterin sofort. Der Zwerg ignorierte das Ganze völlig und schlug sich laut lachend auf den Bauch.​
»Oho, Bartschneider. Du willst mich doch wohl nicht außen vor lassen?«​
»Willst du auch mitmachen«​
»Aber natürlich!«​
Auf die Frage des Zwerges, wie er die Speise herstellen wollte, gab Goblin Slayer wieder, was der Eishändler in der Stadt des Wassers ihm erklärt hatte. Der Echsenmensch hatte gleich eine Idee, wie man die Methode verbessern könnte, und der Krieger hörte ihm aufmerksam zu. Für einen Abenteurer, der eigentlich als einsam galt, war Goblin Slayer mittlerweile relativ gesprächig. Die Priesterin freute sich unheimlich darüber. Mit einem Grinsen fragte sie ihn:​
»Goblin Slayer, darf ich es dann probieren?«​
»Warum nicht?«, antwortete der und drehte sich der Elfe zu.​
»Was ist mit dir?«​
»Ich nehme auch was«, antwortete sie mit skeptischem Gesichtsausdruck.​
»Aber tritt mich nicht, wenn es nicht schmeckt.«​
»Ah ... Hm ...«​
Die Elfe wusste, dass er nicht nachtragend war, und fragte sich, ob er das gerade als Witz gemeint hatte.​
»Ja, ja. Das mach ich schon nicht. Aber nur wenn ich wirklich was abbekomme, okay?«​
»Ja.«​
Während Goblin Slayer nickte, wippte auch die gelbgrüne Feder, die immer noch im Helm steckte, hoch und runter. Die Elfe bemerkte sie und freute sich bereits jetzt darauf, zu sehen, wie er reagieren würde, wenn er sie bemerkte. Mit wackelnden Ohren sagte die Waldläuferin:​
»Da es ums Töten von Goblins ging, gibt es Abzüge, aber dieses Abenteuer war gar nicht so übel.«​
Sie hatten unterirdische Ruinen untersucht, waren in eine Falle geraten und hatten überlebt. Dann waren sie einem unbekannten Monster begegnet, hatten es bezwungen und waren auf ein uraltes Relikt gestoßen. Der Kanarienvogel öffnete die Augen und begann ein fröhliches Lied zu zwitschern. Es ging nach Hause.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 25
Der Krieger Lehrling und die Heilige in Ausbildung

Mit einem Wusch raste die billige Klinge des Krieger Lehrlings durch die Luft, doch es war fast, als würde sie an der fetten Riesenratte abprallen.​
»U. .. Wah?!«, schrie der Jüngling auf, als die Bestie versuchte, sich auf ihn zu werfen.​
Er machte einen unsicheren Schritt zurück, aber schaffte es dabei der Ratte mit seinem Schild einen Hieb zu verpassen.​
»GYURI?!«​
Das Monster verfehlte sein Ziel und fiel zu Boden, sprang jedoch sofort wieder auf. Der Krieger Lehrling zitterte vor Erschöpfung. Er wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde.​
»Heyl Warum setzt du nicht nach?!«, meckerte eine weibliche Stimme hinter dem Jungen.​
Es war die Heilige in Ausbildung, die in der einen Hand eine Laterne und in der anderen eine Kombination aus Waage und Schwert hielt.​
»Weil meine Hand wehtut, verdammt noch mal!«, keifte der Krieger Lehrling zurück.​
Die beiden jungen Abenteurer befanden sich derzeit in der Kanalisation der Stadt im Grenzland und waren sichtlich von ihrer Situation genervt. Der Boden war rutschig, ein Fluss aus Abwasser strömte in der Mitte des Tunnels und machte die Luft unerträglich. Dazu kam, dass der Biss einer Riesenratte nicht nur höllisch wehtat, sondern durchaus auch weitreichendere Konsequenzen haben konnte. Schließlich waren die Nager auch als Überträger von Krankheiten bekannt. Der Junge und das Mädchen hatten einen Auftrag zur Jagd auf Ungeziefer unter der Stadt angenommen - eine Arbeit, die ebenso unangenehm wie undankbar war. Wenn sie ihr Soll erfüllten, würden sie am Ende des Tages nicht mehr als eine Goldmünze erhalten, aber selbst davon waren sie noch weit entfernt.​
Ich würde viel lieber Goblins jagen ... , dachte sich der Krieger Lehrling, als die Heilige in Ausbildung ihn aus seinen Gedanken riss:​
»Sie kommt zurück, du Idiot!«​
»... ?!«​
Instinktiv stieß der Junge sein Schwert nach vorne, ohne genau zu schauen, wohin er eigentlich zielte.​
»GYAARU?!?!«​
Im Versuch sich erneut auf den jungen Krieger zu schmeißen, fiel die Ratte jetzt mit ihrem vollen Gewicht in seine Klinge. Billiger Stahl bohrte sich durch Fell, Fleisch und Eingeweide und tötete die Bestie, doch ihr erschlaffender Körper riss den Jungen mit zu Boden.​
»N ... Ngh?!«​
Zappelnd befreite er sich von dem Kadaver und rappelte sich wieder auf. Er war von oben bis unten mit dem Blut der Ratte und dem Dreck der Kanalisation besudelt.​
»Hey, alles okay?​
Wurdest du gebissen?« Obwohl die Heilige in Ausbildung häufig etwas schroffer mit dem Jungen umging, machte sie sich in diesem Moment echte Sorgen um ihn. Sofort eilte sie heran und nutzte einen Teil ihres weißen Gewands, um ihm Blut aus dem Gesicht zu wischen.​
»Hast du was in die Augen bekommen? Oder in den Mund?«​
»In den Mund hab ich etwas bekommen, ja. Aber gebissen wurde ich nicht.« »Mann, du solltest trotzdem aufpassen«, schimpfte sie und zog etwas enttäuscht ein Fläschchen mit Gegengift aus ihrer Tasche.​
Nachdem er seinen Mund mit einem Schluck Wasser aus seiner Trinkflasche ausgespült hatte, trank der junge Krieger den Inhalt des Fläschchens.​
Die beiden waren auf Porzellan-Rang. Ein Wunder zur Entgiftung, eine Rüstung aus Stahl oder ein Kettenhemd waren alles Dinge, von denen sie nur träumen konnten. Dennoch waren die beiden nicht zu unterschätzen.​
Als die Abenteurer die eben erledigte Ratte entdeckt hatten, war sie gerade dabei gewesen an einer Leiche zu nagen. Obwohl die leeren Augen und die aufgerissene Wange der Leiche sie zuerst denken ließen, dass die Person ein Herumtreiber gewesen war, hing ein Abzeichen um ihren Hals. Die Heilige in Ausbildung nahm das Porzellantäfelchen, legte es vorsichtig in ein Handtuch und steckte es in ihre Brusttasche. Die Abenteurerin - das Geschlecht hatte sie anhand der Schrift auf dem Abzeichen erkannt - trug keine Rüstung; Als Waffe hatte sie nichts weiter als einen Stock bei sich gehabt. Wahrscheinlich war sie von einer der Ratten getötet worden.​
»Ah, da kommt noch eine!«​
»Beschwere dich nicht und mach deinen Job.«​
Vielleicht war sie durch den Tod ihres Artgenossen angelockt worden, oder vielleicht auch nur durch den Blutgeruch, aber eine neue Ratte kroch aus den Tiefen der Kanalisation hervor. Ihre roten Augen spiegelten sich im Schein der Laterne der Abenteurer und anhand ihres Schattens konnte man erahnen, dass es sich um ein ungewöhnlich großes Exemplar handelte.​
»Schnell, schneide das Ohr der toten Ratte als Beweis ab!«, rief​
die Heilige in Ausbildung.​
»Ich? Das Ohr?«, antwortete der Krieger Lehrling erschrocken.​
»Ja, genau! Das Ohr!«​
»Du könntest ruhig mal netter zu mir sein!«​
Der junge Krieger zog am Griff des Schwerts, das noch in der toten Ratte steckte, aber ...​
»Hä?«​
Er zog und zerrte, aber das Schwert wollte sich nicht bewegen.​
Die andere Ratte kam immer näher.​
»Ah, halt! Was ist hier los?«​
»Du Idiot! Sie kommt! Sie kommt ... !«​
»Uwah?!«​
Nur um Haaresbreite verfehlte die Attacke der Ratte den Krieger Lehrling. Er hatte sich mit einem Sprung zur Seite gerettet und war in einem Haufen Dreck gelandet. Jetzt saß er inmitten von vergammelten Essensresten und anderem Unrat, aber es war immer noch besser, als von der Ratte gebissen und infiziert zu werden.​
»GURUUURRRU. .. !«​
Mit kreischenden Lauten und peitschenden Schwanzschlägen versuchte die Riesenratte den jungen Krieger einzuschüchtern. Sie sah schon vor ihrem inneren Auge, wie sie zuerst an dem unbewaffneten Jungen und dann an dem Mädchen hinter ihm nagen würde. Vor lauter Gier tropfte ihr Speichel aus dem Maul. Eine solche Gelegenheit wollte sich die Bestie nicht entgehen lassen.​
»Ah ... Verflucht!«​
Die Heilige in Ausbildung schnalzte mit der Zunge. Riesenratten waren nicht nur Überträger von gefährlichen Krankheiten, sondern auch Feinde der Ordnung. Sie streckte ihren Stab in die Höhe und im selben Moment formte sich ein violetter schwertförmiger Blitz in der Luft.​
»Richtender Herrscher, Fürst der Klinge und Meister des Rechts, entfalte deine alles umfassende Macht!«​
Nachdem die Heilige ihren Spruch aufgesagt hatte, donnerte der Blitz auf die Ratte herab. Es war das Wunder »Heiliges Schmettern«.​
Sofort lag der Geruch von verbranntem Fleisch in der Luft. Während das Mädchen erleichtert ausatmete, verzog der Junge unzufrieden die Lippen.​
»Wie praktisch. Du hast sie mit einem einzigen Wunder erledigt ...«​
»Jetzt hör auf zu meckern! Ich kann dieses Wunder nur einmal am Tag wirken!«​
Die junge Heilige starrte den jungen Krieger beleidigt an.​
»Hol dein Schwert und schneide den beiden toten Ratten die Ohren ab. Ich will zurück und mich waschen.«​
»Ja, ja ...«​
Der Junge seufzte tief und griff erneut nach seinem Schwert, das immer noch in der Rattenleiche feststeckte. Doch bevor er daran ziehen konnte, hörte er ein Rascheln.​
»...«​
Es war ein äußerst widerwärtiges Geräusch. Die beiden Abenteurer schauten sich verwirrt an.​
Ratsch. Rasche!. Ratsch. Ratsch. Rasche!.​
Ängstlich hielt die Heilige ihre Laterne in die Höhe, um weiter in den Tunnel hineinblicken zu können. Es waren Riesen Schaben mit ihren glatten Panzern, die aussahen, als wären sie mit Öl eingerieben worden. Dort im Dunkeln lauerten nicht nur ein oder zwei von den Viechern, sondern mindestens zehn.​
»Wah?!«​
Die Heilige in Ausbildung begann am ganzen Körper zu zittern.
»Oh neeeein!«​
»Komm schon, nimm die Beine in die Hand!«, rief der Junge und schubste seine Kameradin an.​
Die beiden Abenteurer schnappten sich ihre Sachen und rannten keuchend in Richtung des Ausgangs der Kanalisation. Den ganzen Weg über hörten sie das bedrohliche Rascheln der Schaben, die sie verfolgten. Der Krieger wollte nicht von ihnen umgebracht werden - wenn schon sterben, dann wenigstens getötet von einem Drachen. Oder vielleicht Goblins. Nein, die würden ihn vorher foltern. Es war ja auch egal, solange es eben keine Riesen Schaben waren.​
* * *
Die Sonne des Spätfrühlings kündigte mit ihrer Warme bereits das Kommen des Sommers an.​
»Ngh ... !«​
Der Krieger Lehrling setzte sich im Stroh auf und streckte seinen verspannten Körper. Als morgendliche Begrüßung stieg ihm der Gestank von Tieren und Alkohol in die Nase, aber er würde sich nicht beschweren. Schließlich war es in diesem Pferdestall immer noch um Welten besser als in der Kanalisation. Natürlich war an die Zweigstelle der Abenteurer eine Unterkunft angegliedert, aber auch für diese musste man bezahlen und das konnte der junge Krieger nicht. Er stieß einen langen Seufzer aus. Mit dem Abenteuer am Vortag hatten sie Miese gemacht. Sie hatten ein Gegengift verbraucht, ein Schwert verloren und das Soll nicht erfüllt, weswegen sie überhaupt keine Belohnung erhalten hatten. Zwar reichte das bisschen Geld, das der Krieger jetzt noch hatte, um sich noch ein paar Tage etwas zu Essen leisten zu können, aber wenn es so weiterging, würde er seine Sachen packen und zurück in die Heimat gehen müssen. Der Krieger Lehrling war erst vor einigen Monaten aus einem Bauerndorf abgehauen, um Abenteurer zu werden. Den Entschluss dazu hatte er gefasst, weil er seine Kindheitsfreundin nicht alleine losziehen lassen wollte. Sie hatte von Anfang an vorgehabt, Geistliche zu werden und er wollte nicht, dass sie irgendwo umkam. Sie wiederum behaupte zwar, dass sie das Dorf nur verlassen hätte, um ihn zu beschützen, doch das stimmte nicht. Irgendwann würde er ihr das klarmachen müssen.​
Aber kann man mich überhaupt als Abenteurer bezeichnen? Zweifel nagten an dem jungen Krieger. Nein, Schluss damit! So komme ich nicht weiter!​
Der Junge schüttelte sich, pflückte das Stroh aus seiner Kleidung und stand auf. Direkt neben ihm hatte ein älterer Arbeitskollege geschlafen, der gestern Nacht betrunken zusammengebrochen sein musste und jetzt immer noch laut schnarchte. Aus den anderen Boxen warfen Pferde den beiden Störenfrieden missbilligende Blicke zu. Die Heilige in Ausbildung war natürlich nicht hier. Sie war zu stolz, um in einem Stall zu schlafen und hatte sich ein einfaches Zimmer besorgt. Ich werde mich heute erst recht anstrengen! Der junge Krieger zwang sich, positiv zu denken. Er griff sich seine Sachen und verließ den Stall. Zuerst rannte er zum Brunnen, wo er den Eimer hochzog und sich Wasser über den Kopf schüttete. Dann schrubbte er sich mit einem Lappen das Gesicht. Noch nicht einmal ein Bart will mir wachsen ... Der würde mir bestimmt helfen, besser auszusehen ... Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, fragte er sich, wie seine Kindheitsfreundin auf einen Bart reagieren würde. Ihm entwich ein leichtes Brummen. Er hatte viel zu tun.​
Als er seine Katzenwäsche beendet hatte, eilte er zurück in den Stall. Dort schnappte er sich einen Spaten und ging um den Pferdestall herum.​
»Wo war es denn noch gleich?«​
Er war gestern so erschöpft zurückgekehrt, dass er sich nicht mehr genau erinnerte, wo er sie vergraben hatte. Nachdem er eine Weile den Boden abgesucht hatte, sagte er​
»Da ist es ja.«, und begann zu graben.​
Ein paar Spatenstiche später stieß der Krieger Lehrling auf seine verbuddelte Ausrüstung. Er zog Lederrüstung und Rundschild aus der Erde. Beides hatte er sich direkt nach seiner Ankunft in der Stadt gekauft. Sie waren billig gewesen, aber zurzeit waren sie die einzigen Werkzeuge, auf die er sich verlassen konnte. Er hatte sie eingegraben, um sie etwas vom Gestank der Kanalisation zu befreien. Er hob sie an seine Nase und schnupperte daran. »Hm ... Der Geruch ... Ja ... Er ist etwas besser, glaube ich.«​
Als er nach seiner verzweifelten Flucht aus der Kanalisation durch die Stadt gelaufen war, hatten nicht nur die Stadtbewohner, sondern auch seine Abenteurerkollegen die Nasen gerümpft. Und als wäre das nicht genug, hatte ihm die Gilden Angestellte, nachdem sie ihren Bericht abgegeben hatten, noch gesagt:​
»Geh dich waschen!«​
Die Heilige in Ausbildung hatte mit knallrotem Gesicht gezittert und zu Boden geschaut. Dem Krieger Lehrling tat es dann fürchterlich leid, weshalb er sich gleich überlegt hatte, wie er den Geruch loswerden könnte. Er hatte seine Kleidung gewaschen und seinen Körper von Kopf bis Fuß abgeschrubbt. Als Nächstes hatte er dann seine Ausrüstung in der Hoffnung vergraben, dass sie so etwas von dem Gestank der Kanalisation verlieren würde. überzeugt etwas von dem Gestank losgeworden zu sein, wischte er die an der Rüstung klebende Erde mit einem Taschentuch ab und zog sich sie dann an. In einem gemieteten Zimmer hätte er sie vielleicht zurückgelassen, aber im Stall würde sie sicher gestohlen werden, weshalb er sie lieber mitnahm. Weil sein Magen laut grummelte, legte der Krieger Lehrling die Hand auf den Bauch. Am vorigen Abend hatte er nichts zu essen bekommen und nur ein wenig Wasser getrunken.​
»Ich sollte wohl was futtern gehen ...«​
* * *
»Du bist spät dran ...«​
Die Heilige in Ausbildung war schon längst in der Schänke, als der Krieger Lehrling dort ankam. Sie saß in einer Ecke des sehr belebten Wirtsraums. Mit einem kurzen »Tut mir leid« setzte der Junge sich zu ihr an den Tisch. Dann fragte er:​
»Was ist mit dem Frühstück?«​
»Hab ich schon gegessen«, erwiderte das Mädchen grummelnd.​
»Aber iss du jetzt schnell was. Wir müssen nachher wieder in die Kanalisation.«​
Vor der Heiligen in Ausbildung stand ein leerer Brotteller und vor dem Jungen eine dampfende Bohnensuppe. Er begann die Suppe zu essen, als die junge Heilige ihn fragte:​
»Was ist mit deinen anderen Kleidern? Hast du sie im Pferdestall aufgehängt?«​
»Äh, ja. Sie sind aber noch nicht trocken.«​
»Dann gib sie mir später. Bei deiner Waschtechnik stinken sie​
selbst nach dem Waschen noch. Ich werde mich darum kümmern.«​
»Ja ... Danke ...«​
»Sonst denken die Leute nachher noch, dass ich auch stinke.«​
Der junge Krieger wusste, dass der Fehlschlag am vorigen Tag​
auf seine Kappe ging, weshalb er sich einfach entschuldigte und sich aufs Essen konzentrierte. Die Suppe war dünn und salzig, aber besser als nichts. Nachdem er fertig war, legte er den Löffel in den Teller und sagte:​
»Erst mal die Waffe ...«​
»Ja. Wir hätten sie nicht zurücklassen dürfen.«​
»Das meine ich nicht«, erwiderte er und goss sich etwas Wasser aus einem Wasserkrug ein.​
»Wenn wir heute wieder in die Kanalisation gehen sollen, brauche ich eine neue Waffe.«​
»Hast du denn das Geld dafür?«​
»Nun ja ...«​
Der Junge trank aus und wollte sich nachfüllen.​
Weil das Mädchen aber zur gleichen Zeit zum Krug griff, schenkte er ihr zuerst einen Schluck ein.​
»Danke«, sagte sie und nippte daran.​
»Aber du hast kein Geld, oder?«​
»Ich könnte mir was leihen.«​
»Nein, leih dir lieber kein Geld.«​
»Ich meinte eine Waffe.«​
Der junge Krieger ging bereits im Kopf durch, von wem er sich eine Waffe leihen könnte. Ein einfacher Dolch wäre sicherlich kein Problem, aber mit dieser Art von Waffe würde er keinen großen Schaden anrichten können. Wenn er aber nach einem Langschwert fragen würde, könnten andere darauf kommen, dass er sein eigenes verloren hatte. Und wer würde ihm dann noch seine Waffe anvertrauen?​
»Hach.«​
Der Junge musste seufzen.​
»Hm? Was ist denn mit dir? Was ziehst du am frühen Morgen so ein Gesicht?«, sprach ihn jemand locker an.​
Der junge Krieger sah hoch und erkannte, dass ein Abenteurer mit glitzerndem Speer hinter ihm stand. Um seinen Hals hing ein silbernes Abzeichen.​
»Ach? Wie? Ähm ...«​
»Ich hab gleich ein Date und deshalb nicht viel Zeit, aber erzähl mir ruhig, was los ist.«​
Der junge Krieger wusste nicht, wo er anfangen sollte und starrte den Speerkämpfer einfach nur perplex an, bis die Heilige in Ausbildung ihn mit dem Ellenbogen in die Seite stieß, um ihn zum Reden zu bringen.​
»Ähm ... Ich ... Ich habe gestern mein Schwert in der Kanalisation verloren.« »Ach?«​
Der Speerkämpfer machte einen Gesichtsausdruck, als könnte er die Sorgen des jungen Kriegers verstehen.​
»Das ist natürlich alles andere als schön.«​
»Wir würden es gerne zurückholen, aber ich habe keine Waffe. Ich würde mir also gerne eine borgen.«​
»Von mir? Ich hätte zwar eine übrig, die ich dir leihen könnte«, murmelte der Speerkämpfer und musterte den Krieger Lehrling, »aber für die fehlt es dir an Muskelkraft.«​
»Urgh ...«, stöhnte der Junge nach dem kritischen Treffer.​
Er war zwar durchtrainiert und schlank, aber was die Muskelmasse anging, war er dem Speerkämpfer vollkommen unterlegen.​
»Außerdem ist da noch das Problem, dass ihr sie niemals ersetzen könntet, falls euch diese Waffe verloren ginge«, fügte der Speerkämpfer hinzu.​
»Das stimmt ...«​
Nachdem sich der junge Krieger dies eingestanden hatte, trat eine Frau in äußerst enger Kleidung und mit verführerischen Kurven hinter dem Speerkämpfer hervor. Bei ihrem Anblick wurde die Heilige in Ausbildung ganz rot im Gesicht und musste die Augen abwenden.​
»Eine magische Waffe die nicht zu ihrem Träger passt ... wäre ein bisschen zu viel oder?«​
Wahrend die Hexe kicherte, wollte der Krieger Lehrling seinen Ohren nicht trauen. Dass sogar die Ersatzwaffe des Speerkämpfers magisch war, ließ den Jungen staunen. Ich habe gehört, dass man sie mit viel Glück in Ruinen und Labyrinthen finden kann ... Sie müssen unheimlich wertvoll sein ... Die Hexe riss den Jungen aus seinen Gedanken, als sie sagte:​
»Ich gebe euch ... etwas anderes Gutes ... okay?«​
Sie stecke eine Hand in ihren Ausschnitt und zog einen länglichen Gegenstand heraus. Er war bläulich und bedeckt mit komplizierten Schriftzeichen, die der junge Krieger nicht lesen konnte.​
»Ist das«, fragte die Heilige in Ausbildung neugierig, »eine Kerze?«​
»Ja ...«, die Hexe zwinkerte ihr zu und senkte ihre Stimme, als würde sie ein Geheimnis erzählen, »das ist ... eine Kerze der Gegenstandsuche. Sie wird . . . wärmer . . . wenn man dem ... gesuchten Gegenstand näher kommt.«​
Selbst der Krieger Lehrling begriff, dass es sich um einen magischen Gegenstand handeln musste. Damit müssten sie eigentlich gar nicht erst in die Kanalisation steigen, um sein Schwert zu suchen. Sie könnten die Kerze verkaufen und ihm mit dem Geld eine ganz neue Waffe besorgen.​
»Ihr könnt ... sie auch einfach zu Geld machen ... und euch damit ... ein neues Schwert kaufen«, sagte die Hexe lächelnd.​
Der junge Krieger fühlte sich erwischt. Beschämt schaute er zu Boden, doch die Heilige in Ausbildung verpasste ihm erneut einen Stoß in die Seite. Er schreckte hoch und sagte:​
»Ah! Ja! Vielen lieben Dank.«​
»Schon gut ... Es ist ja nichts weiter ... als eine kleine Hilfe.«​
Die Hexe übergab dem Krieger Lehrling die Kerze.​
»Na dann ... Wir gehen jetzt ... auf ein Date.«​
»Sterbt mir bloß nicht da unten, ihr beiden.«​
Der Speerkämpfer wuschelte dem Jungen zum Abschluss durch die Haare und verließ zusammen mit seiner Kameradin die Gilde.Der Krieger Lehrling spürte noch immer die kräftigen Finger des Silber-Rang-Abenteurers auf seinem Kopf.​
»Wie cool.«​
»Stimmt«, murmelte die Heilige in Ausbildung.​
* * *
»Nein, das geht nicht.«​
Der junge Späher wedelte abwehrend mit den Armen.​
»Ich habe gerade erst mein Kurzschwert verloren und musste mir selber eins leihen. Wenn ich es weiterverleihe, bringt mein Anführer mich um.«​
»Wie hast du es denn verloren?«, fragte der junge Krieger.​
»Eine Riesenschnecke hat es zersetzt.«​
Die Rhea-Druidin zog die Augenbrauen hoch und sagte:​
»Das war echt idiotisch ...«​
»Wow ... Eine Riesenschnecke ...«​
Der Krieger Lehrling würde zu gern mal gegen solch einen Gegner kämpfen.​
Die Heilige in Ausbildung konnte bereits erahnen, was ihr Kamerad sich dachte, und verpasste ihm einen Stoß in die Rippen.​
»Wir sind Porzellan-Rang-Abenteurer. Die beiden sind mit Silber-Rängen unterwegs, das kannst du nicht vergleichen.«​
»Ihr habt Ratten gejagt, oder?«​
Auf die Frage des Spähers nickte der Krieger kurz.​
»Ja ... Und bei so was verliere ich auch noch mein Schwert.«​
»Wenigstens war es nichts Wertvolles.«​
Der junge Späher schielte rüber zum Panzerkrieger und der Ritterin, die gerade miteinander trainierten. Schlagen, Ablenken, Zuschlagen, Ausweichen, Herumwirbeln, Herabstoßen, Wegschlagen, Zustoßen und Zurückdrängen. Sie beide wussten genau, was sie taten, und ihre Waffen und Rüstungen waren Meisterwerke.​
»Einfach großartig.«​
Der Späher wandte sich wieder dem Krieger Lehrling zu.​
»Was denn?«​
»Dieser Zweihänder.«​
»Vergiss es«, antwortete ihm die Heilige in Ausbildung.​
»Damit würdest du nur Staub aufwirbeln.«​
»Was soll das denn heißen?«​
»Nun ja, dass du damit nur Wind machen würdest«, sagte darauf die Druidin.​
»Die meinen, dass du damit eh nichts triffst«, fügte der Späher hinzu.​
»Aber wenn ich damit treffen würde, wäre es schon krass, oder?«​
»Ja, aber dafür müsstest du es erst mal schleppen können.«​
»Es ist so cool ...«​
»Und bezahlen können müsstest du es auch.«​
Der Krieger Lehrling verstand schon. Egal, was er sagte, die Heilige in Ausbildung würde ihm nicht zustimmen. Deshalb hielt er lieber einfach den Mund. Der junge Späher musste kichern und sagte:​
»Es ist, als hätte sie Stille auf dich gewirkt.«​
Die Druidin stieß ein leichtes Schnaufen aus und wackelte mit ihren Ohren. »Meine Güte. Bei dir muss ich doch auch darauf aufpassen, dass du nicht immer dein Geld aus dem Fenster wirfst.«​
Der Späher begann zu schmollen und sie wandte sich den beiden anderen Abenteurern zu.​
»Habt ihr mal bei der Gilde nachgefragt?«​
»Wegen einer Leihwaffe?«​
»Nein, das nicht. Ich meine, wie man richtig Ratten jagt. Vielleicht kann euch da jemand Tipps geben.«​
»Hm ... Machen die so etwas?«​
* * *​
»So einfach geht das leider nicht.«​
Die Gilden Angestellte machte ein verlegenes Gesicht.​
»Uns bleibt also doch nur die harte Tour«, sagte die Heilige in Ausbildung und nickte.​
»Ja, Wenn es einfach wäre, dann würden dafür keine Abenteurer benötigt.«​
»Ja, natürlich. Wo wir schon hier sind, hätte ich gerne noch ein Gegenmittel.«​
»Bitte sehr.«​
Die Gilden Angestellte holte einen Trank unter dem Tresen hervor und überreichte ihn dem jungen Mädchen, das ihn sicher in ihrer Tasche verstaute.​
»Wie wäre es noch mit einem Heiltrank?«​
»Leider fehlt uns das Geld dafür. Haben Sie stattdessen irgendwelche Verbände, Kräuter und Salben?«​
»Ihr habt es wirklich nicht einfach, was? Vielleicht habe ich doch noch einen Tipp für euch.«​
»Wirklich?«​
Polternd lehnte sich der Krieger Lehrling über den Tresen. Es war bereits nachmittags, weshalb sich relativ wenig Abenteurer in der Gilde aufhielten. »Wir sind für jeden Rat dankbar.«​
»Eigentlich ist es ganz einfach.«​
Um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, streckte die Gilden Angestellte ihren Zeigefinger in die Luft.​
»Der Trick bei dem Ganzen ist eine starke Verteidigung. Ein Kettenhemd ist der ideale Schutz gegen Bisse von Ratten und Riesen Schaben.«​
»Aber dafür haben wir doch kein Geld ...«​
Der Krieger Lehrling rutschte traurig auf seinen Stuhl zurück.​
»Ein gebrauchtes Kettenhemd kann man relativ günstig erwerben.«​
»Aber gehörten die nicht meistens Toten?«, fragte die Heilige in Ausbildung skeptisch.​
»Wie unhöflich.«​
Die Gilden Angestellte verzog ihre Lippen.​
»Manchmal kommen sie auch von Abenteurern im Ruhestand oder wurden verpfändet.«​
»Aber ein Teil von ihnen kommt dennoch von Leichen, oder?«​
»Das stimmt schon, aber sie kommen zumindest nicht von Untoten. Ausrüstung ist doch Ausrüstung, oder nicht?«​
Selbst gebrauchte Kettenhemden können wir uns im Moment nicht leisten. Der Krieger Lehrling stieß einen langen Seufzer aus und fragte:​
»Haben Sie keinen anderen Tipp?«​
»Mal überlegen ... Habt ihr eine Laterne?«​
»Ja. Aus dem Abenteurerset«, erwiderte die junge Heilige ein wenig genervt. Das Abenteurerset beinhaltete nützliche Dinge wie ein Seil, die Laterne, Kreide, mehrere Keile und weitere Kleinigkeiten. Aber das Mädchen bereute den Kauf ein wenig, weil sie bisher bis auf die Laterne kaum etwas davon genutzt hatte.​
»Manche Abenteurer nehmen statt einer Laterne lieber eine Fackel mit und setzen sie als Waffe ein. Ratten und Schaben hassen Feuer.«​
»Wer denn bitte?«​
»Nun ja ...«​
Als jemand hinter ihnen die Gilde betrat, fing die Beamtin an zu lächeln. Der Krieger Lehrling folgte ihrem Blick und sah eine dreckige Gestalt, die wohl so ziemlich jeder in der Gegend kannte.​
»Hey, Goblin Slayer! Nicht so schnell ...«​
Die Priesterin, die ihm wohl hinterhergerannt war, folgte ihm durch die Tür. Ihr eigentlich weißes Gewand war voller roter und schwarzer Flecken. Goblin Slayer nickte kurz und stapfte zu einer Bank, auf der er sich rumsend niederließ. Die Priesterin trappelte zu ihm und setzte sich.​
»Ich sage ihm immer, dass er etwas reinlicher sein soll. So wird er von anderen nur missverstanden«, murmelte die Gilden Angestellte, bevor sie sich wieder den beiden jungen Abenteurern vor ihr zuwandte.​
»Ist irgendwas?«​
»Ähm ...«​
Die Heilige in Ausbildung kratzte sich nervös am Arm.​
»Wir waren mal etwas unhöflich zu der Priesterin.«​
Es war bereits einige Zeit her, aber sie konnte sich noch gut daran erinnern. Sie hatten gedacht, dass Goblin Slayer sie vielleicht nur ausnutzen würde und hatten dies der Priesterin mitgeteilt.​
»Ach«, erwiderte die Gilden Angestellte und kicherte leicht.​
»Keine Angst. Sie wird schon nicht sauer sein.«​
»Trotzdem tut es uns leid ...«, sagte der Krieger Lehrling und schaute sich dann Goblin Slayer noch einmal genauer an.​
Irgendwas stimmte nicht. Ein billiger Eisenhelm, eine dreckige Lederrüstung, am Arm einen kleinen Rundschild und an der Hüfte ... einen Knüppel?​
»Benutzt er nicht normalerweise ein Schwert?«​
»Ich meine schon ...«​
Die junge Heilige musterte den Silberrang-Abenteurer.​
»Nicht wahr?«​
»Ich frage mich aber eher, warum seine Begleiterin so blutverschmiert ist.«​
»Wenn es euch so interessiert, solltet ihr ihn fragen. Dann könnt ihr euch auch gleich Tipps für eure kommenden Aufträge holen.«​
»N ... Nein ... Schon gut ...«, lehnte der Krieger Lehrling ab.​
Er traute sich nicht, Goblin Slayer anzusprechen.​
Offenbar gänzlich anderer Meinung stand die Heilige in Ausbildung entschlossen von ihrem Stuhl auf:​
»Okay, was soll's!«​
»H ... Heyl«​
»Wir gehen ihn doch nur fragen und das kostet nichts!«​
Ohne auf eine Antwort ihres Kindheitsfreundes zu warten, stapfte das Mädchen los. Der Krieger Lehrling schaute die Gilden Angestellte an, die ihn einfach nur anlächelte.​
»Oh Mann!«​
Der Junge sprang von seinem Stuhl auf.​
* * *
»Ähm ...«, hob die Heilige in Ausbildung an.​
Nach dem die Priesterin ein leises »Mjam?« von sich gegeben hatte, fragte Goblin Slayer, der neben ihr saß, ausdruckslos:​
»Was ist?«​
»Ürgh ...« Das Mädchen zuckte kurz zusammen.​
»A ... Also ...«​
Der Krieger Lehrling stellte sich schützend vor seine Kameradin. Auch wenn sie versuchte, sich zu beschweren, redete er einfach weiter:​
»Wir hätten da mal eine Frage.«​
»Was denn?«, erwiderte Goblin Slayer mit tiefer Stimme und deutete dann auf die Priesterin.​
»Wenn, dann seid bitte ruhig dabei. Sie schläft gerade.«​
»Äh ... Ja, tut uns leid ...«​
Die Stimme des jungen Kriegers überschlug sich vor Aufregung. Die junge Heilige griff nach seiner Hand und hielt sie, was ihn ein wenig beruhigte.​
»War der Auftrag anstrengend?«​
»Nein.« Goblin Slayer schüttelte langsam den Kopf.​
»Sie war ja dabei.«​
Der junge Krieger atmete tief durch.​
»Wir wollten dich fragen, warum du jetzt einen Knüppel verwendest.«​
»Ich hab ihn Goblins abgenommen.«​
»Ab ... Abgenommen?«​
»Mit einem Schwert kann man zuschlagen und zustoßen, aber irgendwann wird es stumpf oder es bricht. Richtig eingesetzt reicht eins für fünf Goblins.«​
Der Krieger Lehrling überlegte, ob Goblin Slayer damit auf seine eigene Art und Weise auf die Frage geantwortet hatte, aber er entschied sich, einfach zur nächsten Frage überzugehen.​
»Wie nützlich ist so ein Knüppel denn gegen Ratten und Schaben?«​
»Hm ... Ratten und Schaben?«​
»Ja.«​
»Dazu kann ich eigentlich nichts sagen.«​
Er nahm den Knüppel und schwang ihn ein paar Mal leicht durch die Luft. »Wenn man mit ihm trifft, sollte man genügend Schaden anrichten können. Er bricht auch nicht so leicht wie ein Schwert.«​
Goblin Slayer stand langsam von der Bank auf. Die Priesterin, die auf seiner Schulter geschlafen hatte, wachte auf.​
»Das macht es leichter.«​
»Leichter ... ?«​
»Ich geh dann mal«, sagte Goblin Slayer. Dann drehte er sich zu der Priesterin um.​
»Brauchst du eine Pause?«​
»Hm ... Nein ... Ich komme mit.«​
»Na dann.«​
Goblin Slayer ging mit stapfenden Schritten los und die Priesterin tapste ihm hinterher. Nach einigen Schritten drehte sie sich zu den beiden jungen Abenteurern um und verbeugte sich.​
»Ähm ... Sag mal ...«, sagte die Heilige in Ausbildung.​
»Ja? Was ist denn?«, antwortete Goblin Slayers Begleiterin.​
»Warum bist du voller Blut?«​
»Ach ...«​
Die Priesterin wurde leicht rot im Gesicht.​
»Frag lieber nicht«​
»Ach so«​
»Ah! Aber ich bin nicht verletzt, keine Angst!«​
Die Priesterin grinste erschöpft. Obwohl sie von oben bis unten mit Schmutz und Blut verdreckt war, wirkte ihr Lächeln aufrichtig. Das Abzeichen, das um ihren Hals hing, war nicht mehr aus Porzellan, sondern aus Obsidian.​
* * *

* * *
»Ähm ... Also ...« »Ja?«​
»Das neulich tut uns leid.«​
»Hm?«​
»Wir hatten das irgendwie komplett falsch verstanden.«​
Die Priesterin begann nervös zu blinzeln.​
»Nein, nein! Es ist alles gut. Trotz seines Aussehens ist er wirklich nett.«​
»Kommst du?«, rief Goblin Slayer von der anderen Seite des Raums.​
»Wir können ein anderes Mal weiterreden«, sagte die Priesterin und verbeugte sich erneut.​
Dann rannte sie zu ihrem Kameraden, der auf sie gewartet hatte.​
Er fragte: »War was?«​
»Nein, nichts.«​
»Bist du müde?«​
»Äh, nun ja ... Vielleicht ein wenig.«​
»Dann ruhe dich etwas aus.«​
Die jungen Abenteurer sahen, wie sich die Gesichtszüge der Priesterin entspannten.​
»Wir sollten unser Bestes geben!«​
»Ja, du hast recht.«​
Die Heilige in Ausbildung und der Krieger Lehrling schlugen ihre Fäuste zusammen.​
* * *
»Okay, alles klar.«​
»Dann lass uns die Liste durchgehen.«​
Es war am Rande der Stadt. Im Licht der Morgensonne überprüften die beiden jungen Abenteurer ihre Ausrüstung.​
»Gegengift?«​
»Habe ich!«​
»Heilmittel?«​
»Verbände und Kräuter habe ich!«​
»Lichtquellen?«​
»Die Laterne aus dem Abenteurerset, Öl und Fackeln! Was noch?«​
»Die Kerze der Gegenstandsuche ... Ähm, und die Karte!«​
»Beides hier.«​
»Rüstung?«​
»Die Lederrüstung mieft noch ein wenig ... Und der Schild auch. Komm, mach du auch eine Drehung.«​
»Wie? Ich habe eigentlich nicht vor, in meiner Robe getroffen​
zu werden.«​
»Jetzt mach schon, sonst hat die Kontrolle keinen Sinn.«​
»Ja, ja ... Waffe?«​
»Habe ich«, sagte der junge Krieger und hielt seinen neuen Knüppel hoch. Obwohl er sehr günstig gewesen war, hatte er den Jungen sein letztes Geld gekostet.​
»Gut.«​
Die Heilige in Ausbildung nickte, streckte beide Arme aus und drehte sich auf der Stelle. Ihre Robe war an einigen Stellen schmutzig und hatte ein paar Risse, war aber ansonsten noch schick.​
»Und?«​
»Du solltest sie später flicken.«​
»Wenn ich wieder Geld habe, lass ich sie auch flicken.« Sie stemmte die Hände in die Hüfte und sagte in ernstem Ton: »Wenn wir heute das Soll nicht erfüllen, dann war es das! Finito!«​
»Du übertreibst ein wenig, oder?«​
»Das Geld reicht nicht mal mehr, um nach Hause zu reisen. Du würdest Leibeigener werden und, ähm, ich müsste ...«​
»Deinen Körper verkaufen? Ach, das klappt bei dir eh nicht.«​
»Sag so was nicht, du Idiot!«​
Die Heilige in Ausbildung wurde knallrot im Gesicht und schlug ihrem Kindheitsfreund kräftig in die Seite. Genau dort, wo die Rüstung ihn nicht schützte.​
»Hast du jetzt verstanden, wie ernst die Lage ist, oder nicht?«​
»J ... Ja ... Ich hab es verstanden ... Aber irgendwie schaffen wir das schon!«​
Die Stadt, in der sie sich befanden, war eine der Städte im Grenzland mit einer gut ausgebauten Kanalisation. Während einige Städte, wie beispielsweise die Stadt des Wassers, auf alten Ruinen erbaut worden waren, war diese Stadt komplett neu errichtet worden. Der Krieger Lehrling fragte sich, was zuerst gekommen war, die Stadt oder die Kanalisation, aber er wusste es nicht. Nachdem sie die verrostete Eisentür durchquert hatten und eine Treppe heruntergestiegen waren, standen sie inmitten eines der Kanäle. Dreckiges Wasser floss durch die Tunnel und sofort stieg den beiden der leider allzu gut bekannte Geruch von Fäule in die Nase. Selbst in neueren Kanalisationen lebten Riesenratten und -Schaben und es war wichtig, regelmäßig Jagd auf sie zu machen, um zu verhindern, dass sie zu einer schlimmeren Plage wurden.​
»Und? Wo müssen wir lang?«​
»Ähm ... Warte kurz.«​
Während der Krieger Lehrling wachsam die Umgebung im Blick behielt, durchwühlte die junge Heilige aufgeregt ihre Sachen. Sie schlug Feuersteine zusammen und entzündete so die Laterne. Dann zündete sie an der Flamme der Laterne die Kerze der Gegenstandsuche an.​
»Wie sieht's aus?«​
»Sie ist warm, aber noch nicht warm genug ...«​
»Während wir mit der Jagd nach den Viechern beschäftigt sind, vergiss bitte mein Schwert nicht.«​
Natürlich war die Wiederbeschaffung des Schwertes eines ihrer Ziele, aber das Wichtigste war, dass sie heute ihren Soll erfüllten. Der Krieger Lehrling marschierte entschieden los. Er bog an mehreren Abzweigungen ab, bis sie zu einem riesigen Rattennest kamen, das sie bei ihrer letzten Tour durch die Kanalisation gefunden hatten.​
»Da wären wir ...«​
Der Krieger zählte erst eine Ratte und dann eine weitere. Er spuckte auf den Griff seiner neuen Waffe und rieb ihn ein, dann rannte er los und stürzte sich auf seine Gegner.​
»Hah!«
»GYUUI?!«​
Während das eine der Viecher überrascht zur Seite sprang, bemerkte das andere ihn nicht. Der Krieger traf es mit dem Knüppel und der Treffer fühlte sich dumpfer an als mit einem Schwert. Es war, als würde er auf einen Fleischklumpen einschlagen. Die Riesenratte gab einen schrillen Quietscher von sich und fiel um, aber sie war noch am Leben.​
»Stirb!«​
Der junge Krieger hatte schon lange kein schlechtes Gewissen mehr, die Biester zu töten. Schließlich würden sie das Gleiche mit ihm machen, wenn sie könnten.​
»Ah!«​
Bevor er jedoch seine Keule runter sausen lassen konnte, war die Riesenratte aufgesprungen und stürzte sich mit aufgerissenem Maul auf ihn. Der Krieger Lehrling schlug die Bestie mit seinem Schild zur Seite. Sein Arm zitterte vom Aufprall. Mit aller Kraft schlug er den Knüppel in den Nacken der Ratte.​
»Nimm das!«
»GYU?!«​
Das Rückgrat des Viechs gab einen knackenden Laut von sich als es brach. Zur Sicherheit verpasste der Krieger ihm noch einen Schlag. Nachdem er kontrolliert hatte, dass die Ratte tot war, wischte er sich den Schweiß von der Stirn.​
»W ... Wo ist die andere?«, fragte er keuchend.​
»Die ist längst weggelaufen«, erklärte die Heilige in Ausbildung. Sie kam herangeeilt und überprüfte, ob der Krieger nicht verletzt worden war.​
»Es scheint alles gut zu sein.«​
»Ja, sieht so aus.«​
»Gut.« Die junge Heilige nickte.​
»Und wie ist der Knüppel?«​
»Hm ... ich bin mir noch nicht sicher.«​
Der Junge schwang den Knüppel durch die Luft. Er war nicht so schnittig wie ein Schwert, aber er fühlte sich verlässlich an.​
»Er reicht auf jeden Fall, um sie zu erledigen.«​
Gefühlt hatte er sich mit der Wahl dieser Waffe noch weiter von seinen Vorbildern entfernt, aber irgendwie störte diese Tatsache ihn weniger als gedacht.​
* * *
»Was sagt die Kerze?«​
»Hm ... Ich denke, dass sie in dieser Richtung wärmer wird.«​
»Also sollten wir nach Westen gehen?«​
Bei jeder Abzweigung überprüften die beiden jungen Abenteurer, bei welcher Richtung die Kerze wärmer wurde. Nachdem sie ein wenig durch die Kanalisation gelaufen waren, fanden sie sich an dem Ort wieder, an dem der Junge das Schwert verloren hatte. Zu ihrer Enttäuschung war die Waffe nirgendwo zu finden. Das konnte nur heißen, dass sie entweder von den Riesenratten verschleppt oder vom Dreckwasser weggespült worden war.​
»Zum Glück sind hier keine Goblins, die das Schwert gegen uns verwenden würden.«​
»Hey, mach mir bitte keine Angst!«​
Die Heilige in Ausbildung starrte den Krieger Lehrling böse an.​
»Außerdem hätte die Stadt ein großes Problem, wenn hier Goblins herumschwirren würden.«​
»Stimmt, aber für solche Aufträge haben wir ja zum Glück Goblin Slayer.«​
Während die beiden miteinander redeten, setzten sie vorsichtig ihre Erkundung fort. Nach der erledigten Riesenratte trafen sie noch auf drei weitere und eine Riesen Schabe. Der Knüppel war bereits voller Flecken.​
»Das Spritzen von Blut und anderen Flüssigkeiten ist eindeutig ein Nachteil«, murmelte der junge Krieger.​
»Stimmt, Goblin Slayer war ja auch komplett eingesaut.«​
»Allerdings ist es gut, dass ich ihn bedenkenlos schwingen kann. Er ist bloß ein wenig schwerer als ein Schwert.«​
»Pass auf, dass du ihn nicht verlierst.«​
»Ja ...«, murmelte der Krieger zustimmend und lugte um die nächste Ecke. Dort war nichts weiter als eine kleine Ratte. Er gab seiner Begleiterin ein Handzeichen, ihm zu folgen, und ging los. Weil aber die kleine Ratte zwischen den Füßen der beiden Abenteurer hindurch zischte, gab die Heilige in Ausbildung ein erschrecktes »Ah!« von sich.​
»Hm ...«​
»Was denn? Hast du eine Idee?«​
Der Junge nickte leicht und setzte sich auf den Boden. Dann fragte er: »Hast du ein Band oder so?«​
»Was ist denn mit dem Seil aus dem Abenteurerset?«​
»Es sollte etwas dünner sein.«​
»Ich kann dir ein Haarband geben.«​
»Ja, das würde gehen.«​
Sie wühlte kurz in ihrer Tasche und hielt ihm dann ein Haarband entgegen.​
»Gib es mir aber zurück.«​
»Wenn wir heute das Soll erfüllen, kauf ich dir sogar ein neues.«​
»Ja, aber bitte von deinem Lohnanteil.«​
»Sicher,«​
Der Junge nahm das Haarband, formte eine Schlaufe und wickelte den Rest des Bandes um den Griff des Knüppels,​
»Schau. So verliere ich ihn nicht.«​
»Oho ...«​
Die Heilige in Ausbildung schaute überrascht auf das Werk ihres Kameraden, »Für dich ist das eine echte Leistung.«​
»Hey ... Solche Sprüche sind fies ...«​
»Ja, ja, wenn wir zurück sind, mache ich dir eine noch bessere Schlaufe.« Kichernd überprüfte die junge Heilige die Kerze und rief:​
»Wah!«​
»Hey; was ist?«​
Überrascht stand der junge Krieger auf und überprüfte ihr Umfeld.​
»D ... Die Kerze. Sie wird immer heißer.«​
»Heißer? Wieso das denn?«​
»Na warum wohl?! Das Schwert kommt näher!«​
Instinktiv sprang der Krieger zu seiner Kindheitsfreundin und schubste sie zur Seite.​
»Ah?! Hey, was soll ...«​
»Dummkopf Schau doch!«​
Ein schwarzer Klumpen fiel von der Decke und landete dort, wo die Heilige bis eben noch gestanden hatte. Eine gigantische Schabe richtete sich vor ihnen auf und klackte mit ihren scharfen Fangzähnen.​
»Steckt mein Schwert etwa in dem Viech?«​
Als die Riesen Schabe begann, auf die beiden zuzulaufen, rannten sie schreiend los.​
* * *
»W ... W ... Was machen wir jetzt?«​
»Wieso fragst du mich das?!«​
In einem Höllentempo verfolgte die Riesen Schabe die beiden und krabbelte dabei an der Decke und den Wänden entlang.​
»Aber so werden wir bald eingeholt!«​
Sie hatten durch ihren Frühstart einen kleinen Vorsprung vor der Schabe, aber bald würde diese ihn wett gemacht haben.​
Wir müssen schnell zurück an die Oberfläche ... Nein, das schaffen wir nicht! Um zurück an die Oberfläche zu kommen, mussten sie zuerst eine Leiter hochklettern, aber spätestens dort würde das Biest sie erwischen.​
»Sollen wir ins Wasser springen?«​
»Dort fangen wir uns sicherlich eine Krankheit ein! Da können wir uns gleich zerfleischen lassen!«​
»Und der schmale Gang dort? Da hinein kann sie uns sicherlich nicht folgen!«​
»Nein! Schaben haben einen sehr weichen Körper und passen so ziemlich überall rein!«​
Bei der Vorstellung, sich in einen schmalen Gang zu quetschen und dort mit dem Viech gefangen zu sein, lief es beiden kalt den Rücken runter.​
»Dann müssen wir wohl gegen sie kämpfen!«​
»Aber wie denn?«​
Das Rascheln kam immer näher. Der Krieger Lehrling schaute runter zu seinem Knüppel. Wenn ich oft genug zuschlage, werde ich sie schon totkriegen, aber mit blindem Herumwirbeln komme ich nicht weit.​
»Sag mal . . . Kannst du nicht Heiliges Schmettern einsetzen?«​
»Wenn sie direkt von vorne kommt, sollte es klappen!«​
»Na, dann leg mal los!«​
»Okay!«​
Es war Zeit zu handeln. Ohne weiter darüber nachzudenken, riss der Krieger Lehrling die Laterne von der Hüfte der Heiligen in Ausbildung. Leider wurde die Robe des Mädchens dabei in Mitleidenschaft gezogen.​
»Wah?! Halt, du Trottel! Was machst du da?!«​
»Du kannst mit mir schimpfen, wenn wir das hier überleben!«, antwortete der junge Krieger und wandte sich ihrem Gegner zu.​
Sabber tropfte aus dem Maul der Riesen Schabe und ihre Fangzähne klapperten. Der Abenteurer schluckte.​
»Friss das!«​
Er warf die Laterne auf den Boden und eine Flamme schoss empor. Die Schabe schrie laut auf und sprang in die Luft. Der junge Krieger spürte, wie ihm eine warme Flüssigkeit die Beine herunterlief, doch er wusste, dass es in diesem Moment um alles oder nichts ging. Er schrie:​
»Los jetzt!«​
Die Heilige in Ausbildung riss zitternd ihren Stab in die Höhe.​
»Richtender Herrscher, Fürst der Klinge und Meister des Rechts, entfalte deine alles umfassende Macht!«​
Ein Blitzschwert rauschte auf die Schabe hinunter und ein kurzer Lichtblitz erhellte den gesamten Tunnel. Brandgeruch stieg dem jungen Krieger in die Nase. Die Schabe war aus der Luft gerissen worden und auf ihrem Rücken gelandet. Ihre Beine zappelten in der Luft.​
»Arrrrrgh!«​
Der Krieger Lehrling sprang sofort mit hochgerissenem Knüppel heran. Er stieß die herum zappelnden Beine mit seinem Schild zur Seite und schlug ein erstes Mal zu. Dann ein zweites, drittes und viertes Mal. Er ignorierte die herumspritzenden Körperflüssigkeiten und drosch wieder und wieder auf die Schabe ein. Ohne die Schlaufe wäre ihm der Knüppel vor Schweiß aus der Hand gerutscht. Unentwegt prügelte er auf die Bestie ein.​
»Ah ... Hah ... Ah ...«​
Schließlich ging dem Jungen die Puste aus und seine Beine knickten unter ihm weg, doch die Heilige in Ausbildung fing ihn auf.​
»A … Alles in Ordnung?«​
»J.. Ja ...«​
Die komplette Ausrüstung des Jünglings war besudelt und dort, wo einst der Kopf der Schabe gewesen war, befand sich nur noch ein klebriger Klumpen. Ihre Beine zuckten noch immer leicht.​
»L. .. Lebt sie noch ... ?«​
»Geh zurück. Das ist gefährlich.«​
Der Krieger Lehrling zog seinen Dolch vom Gürtel. Dann schnappte er sich ein Schabenbein nach dem anderen und schnitt sie alle mit knackenden Geräuschen ab. Doch es war noch nicht vorbei.​
»Das Schwert ist im Magen, oder ... ?«​
Der Junge holte weit aus und stieß hart zu. Mit einem schmatzenden Geräusch spritzte Körperflüssigkeit aus der Schabe und die Spitze der Klinge stieß auf etwas Hartes. Er nahm all seinen Mut zusammen, bevor er die Hand tief in den Körper des Insekts steckte.​
»Da ist es ...«​
Er wusste nicht, warum die Riesen Schabe die Waffe gefressen hatte, aber mit einem kräftigen Ruck zog er das Schwert aus ihrem Magen heraus.​
»Wie wäre es, wenn ich ab heute mein Schwert „Brustspalter“ und den Knüppel „Schabentöter“ nenne?«​
»Hör auf Blödsinn zu reden und trink schnell das Gegengift! Ich will hier weg!«​
Die beiden waren komplett verdreckt und rochen alles andere als angenehm, doch das war ihnen egal. Sie hatten sich ihren ersten großen Sieg erkämpft und lächelten glücklich.​
* * *
»Hach ...« Die Sonne ging in der Grenzstadt unter und die beiden Abenteurer waren gerade damit fertig geworden, sich mit Flusswasser zu waschen. Danach gingen sie zur Gilde, erstatteten Bericht, erneuerten ihre Ausrüstung, kauften sich neue Heilmittel und mieteten sich ein einfaches Zimmer. Am Ende blieben ihnen nur einige Silbermünzen von ihrer Belohnung übrig. Der Krieger Lehrling seufzte.​
»Hey. Was träumst du vor dich hin?«​
»Hm?«​
Während sie sich die nassen Haare mit einem Handtuch abtrocknete, hatte die Heilige in Ausbildung sich neben ihn gestellt. Bevor er seiner Kindheitsfreundin antwortete, beobachte er für kurze Zeit die Abenteurer, die in der Gilde ein und aus gingen. Obwohl die meisten von ihnen müde und erschöpft wirkten, strahlten sie ein Erfolgsgefühl aus.​
»Ich habe nur gedacht, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben ...«​
»Ja, ist doch klar. Wir haben schließlich gerade erst angefangen.« Das Mädchen ließ sich Plumpsend auf einen Stuhl neben ihrem Kameraden fallen.​
»Aber einen Schritt nach dem anderen! Sonst kommt man noch ins Stolpern.«​
»Ja, du hast wahrscheinlich recht ...«​
»Wir haben alles gegeben, überlebt und sogar Geld erhalten. Kein Grund sich zu beschweren, oder?«​
»Ja ...«​
Er hielt eine Silbermünze hoch in die Abendsonne.​
Der Glanz blendete ihn.​
»Aber trotzdem kommt mir der Weg noch ewig lang vor.«​
»Das mag sein.«​
Die beiden hatten heute Riesenratten und eine Riesen Schabe erledigt. Niemand würde darüber Heldenlieder schreiben, aber für sie war es dennoch ein großer Erfolg. Der Junge raffte sich auf.​
»Egal, lass uns was Leckeres essen gehen!«​
»Genau. Heute gönnen wir uns was!«​
Irgendwann wollte der Krieger Lehrling mal ein richtiger Held werden, der sogar Drachen besiegen konnte, doch für heute würde er sich mit dem kleinen Sieg begnügen. Er schnippte seiner Kindheitsfreundin die Silbermünze zu. Grinsend fing sie sie auf. Zusammen mit den restlichen Münzen klimperte sie in ihrer Hand.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 26
Die Geschichte eines gewissen Jungen

»Hey, wie lange willst du denn noch schlafen?! Steh auf!«​
Die Stimme seiner älteren Schwester weckte den Jungen und er öffnete seine Augen. Er richte sich auf und streckte seinen Körper, während die gleißende Morgensonne durch das Fenster hereinschien.​
»Hm ... Urgh ...«​
Der Junge sprang von seinem Bett aus Stroh herunter. Kühle Morgenluft füllte seine Lungen. Kurz darauf stieg ihm ein verlockender Geruch in die Nase. Das ist Brot! Es war Zeit fürs Frühstück.​
»Wenn du nicht kommst, räum ich das Essen ab«, rief seine Schwester aus der Küche.​
»]a, ich weiß!«​
Schnell zog sich der Junge frische Kleidung über. Er hatte nicht vor, Zeit dieses wertvollen Tages zu verschwenden. Außerdem hatte er mächtigen Hunger. Wenn man schläft, kommt einem die Nacht wie ein kurzer Moment vor. Wieso hat man trotzdem so einen Kohldampf? Der Junge wusste keine Antwort auf diese Frage, aber irgendwann würde er seine Schwester mal danach fragen. Jetzt aber wollte er erst einmal frühstücken. Er lief in die Küche ihres kleinen Hauses.​
»Hey!«​
»Das heißt Guten Morgen. Also wirklich ... Deshalb muss das Mädchen immer auf dich aufpassen.«​
»Hmpf. Was hat sie denn jetzt damit zu tun?«​
Der Junge verzog seine Lippen, als seine Freundin von nebenan erwähnt wurde. Sie war eigentlich jünger als er, aber weil sie sich so gut benahm, redeten alle immer so, als würde sie auf ihn aufpassen und das gefiel ihm gar nicht.​
»Egal. Iss einfach.«​
»Ja ...«​
Seine Schwester ignorierte seine Beschwerde und wies ihn stattdessen dazu an, sich hinzusetzen. Heute gab es Brot und Milchsuppe. Leider hatten die Hühner keine Eier gelegt und deshalb mussten sie heute auf Rührei verzichten. Nichtsdestotrotz lief dem Jungen das Wasser im Mund zusammen. Schnell griff er zum Löffel.​
»Ah, vergiss nicht das Tischgebet!«​
Weil seine Schwester sich den Töpfen zugewandt hatte, hatte er gedacht, dass er heute ohne Gebet loslegen könne, aber er hatte sich geirrt.​
Widerwillig legte er den Löffel zurück auf den Tisch und faltete seine Hände zusammen.​
»Ihr seid größer als die Flüsse und weiter als die Meere ... Dank sei Euch für das Wissen, das uns nährt.«​
»Gut gemacht.«​
In ihrem Dorf war es eigentlich üblich die Erdmutter anzubeten, aber der Junge war ein wenig stolz darauf, dass der Glaube seiner Familie anders war. Weil seine Schwester in einer Tempelschule des Gottes der Weisheit das Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt hatte, lehrte sie dort nun selbst. Deshalb konnten die beiden trotz des Tods ihrer Eltern ein gutes Leben führen. Dafür war er dem Gott der Weisheit natürlich dankbar. Er selbst wollte später einmal Abenteurer werden. Seiner Schwester konnte er davon aber natürlich nicht erzählen.​
* * *
»Geh nicht in den Wald im Osten!«​
»Ja, verstanden.«​
»Komm gegen Mittag zurück. Wir gehen zum Tempel.«​
»Alles klar!«​
Der Junge drehte seiner Schwester den Rücken zu und rannte den Weg entlang, den er gefühlt seit seiner Geburt kannte. Auf dem Rücken trug er ein Holzschwert, das seine Schwester ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Es war in letzter Zeit sein Lieblingsspielzeug, das er herum schwang und mit dem er Abenteurer spielte. Natürlich sah er selbst diesen Spaß als Training für den Zeitpunkt an, wenn er ein richtiger Abenteurer werden würde.​
Heute fehlt mir aber ein Gruppenmitglied. Das Nachbarmädchen war in die Stadt gefahren, was er wirklich unfair fand. Schließlich war er selbst noch nie in der Stadt gewesen. Frustriert zog er sein Schwert, schwang es ziellos herum und zerpflückte dabei den einen oder anderen Busch.​
»Hey, Junge! Pass auf, dass du niemanden triffst!«, rief ihm der alte Bauer von schräg gegenüber zu.​
Er war gerade dabei, die Felder zu bewässern und als er sich aus der Hocke aufrichtete, knackte seine Hüfte.​
In dem Wissen, dass sein Verhalten ein schlechtes Licht auf seine Schwester werfen könnte, steckte der Junge das Holzschwert sofort weg.​
»Ja, es tut mir leid.«​
»Schon gut. Sei einfach vorsichtig damit.«​
Der alte Mann klopfte seine Hüfte ab und kam näher. Vor Erschöpfung schnaufend wischte er sich das schmutzige Gesicht mit einem Taschentuch ab.​
»Wo ist denn das Mädchen, das sonst bei dir ist?«​
»Sie ist heute in der Stadt«, antwortete der Junge schmollend.​
»Ach so. Sie ist ein süßes Kind. Wahrscheinlich lässt sie sich in der Stadt hübsche Kleider kaufen. Du freust dich bestimmt, sie dann wiederzusehen.«​
»Der stehen solche Kleider nicht.«​
Der Bauer wuschelte dem Jungen durch die Haare und lachte.​
»Ha ha ha! Wenn sie zurückkommt, wirst du schon sehen. Das​
gerade sage ich lieber nicht weiter.«​
»Hmpf ...«​
»Dabei fallt mir ein. Junge, gehst du heute Mittag zum Tempel?«​
»]a, meine Schwester will, dass ich dort lerne.«​
»Das ist doch gut.« Der Bauer nickte gefällig, verzog aber kurz darauf das Gesicht vor Schmerz.​
»Kannst du mir einen Gefallen tun? Meine Hüfte schmerzt fürchterlich. Kannst du den Mönch nach Medizin fragen?«​
»Ja, kein Problem«, erwiderte der Junge.​
Der Bauer grinste übers ganze Gesicht und sagte:​
»Danke ... Ach genau, Junge. Hat dir schon wer gesagt, dass du nicht in den Wald sollst?«​
»Ja.« Der Junge legte seinen Kopf leicht schief.​
»Aber wieso eigentlich?«​
»Hat dir deine Schwester das nicht erklärt?«​
»Nein, ich weiß von nichts.«​
»Im Wald im Osten ...«, der Bauer verschränkte die Arme und stieß einen tiefen Seufzer aus,»... sind Goblins aufgetaucht.«​
* * *
»Abenteurer? Glaubt ihr, dass die uns wirklich helfen?«, fragte ein älterer Mann.​
Er hatte einen alten, rostigen Speer bei sich und wirkte ängstlich. Schließlich war es schon zehn Jahre her, dass er damit in den Krieg gezogen war. Als er an der Front angekommen war, war der Krieg allerdings schon vorbei gewesen. Gerade befand er sich abseits vom Dorf auf einem Pfad, der in den Wald führte, in dem die Goblins aufgetaucht waren. Zusammen mit einer Handvoll anderer Dorfbewohner, die »Kampferfahrung« besaßen, war er beauftragt worden, sich um die Angelegenheit zu kümmern.​
»Gilde hin oder her, ich will diese Halunken nicht hier haben.«​
»Ich habe Angst, dass ein Hexer auftauchen könnte ...«​
»Wir müssen auf unsere Frauen aufpassen. Ich habe gehört, dass sie sich an ihnen vergreifen könnten und sie so verrückt machen.«​
»So was wurde mir auch mal erzählt. Habt ihr von dem Jungen in dem Dorf jenseits des Berges gehört? Ihr wisst schon, dort wo man Fäden herstellt?«​
»Oh, ja! Da war was.«​
»Er soll etwas gesagt haben wie: Ich möchte nicht mein ganzes Leben lang am Hungertuch nagen. Stattdessen werde ich Abenteurer und genieße das Leben in vollen Zügen..«​
»Ist er von zu Hause abgehauen?«​
»Genau. Aber in Wahrheit hatte er sich in so ein zauberndes Elfenmädchen verliebt.«​
»Meine Güte ...«​
»Jetzt hört auf, Unfug zu reden!«, schaltete sich der Anführer der Gruppe ein. Er hatte ein verwegenes Gesicht, war in seinen Zwanzigern und sollte irgendwann der nächste Dorfvorsteher werden.​
»Mein Großvater hat mir erzählt, dass Dörfer Goblin Angriffe nur überleben, wenn sie Abenteurer anheuern.«​
»Aber ...«​
»Oder ist es euch etwa lieber, wenn diese Bestien sich an euren Töchtern vergreifen?«​
»Also das ...«​
»Ihr habt doch bestimmt davon gehört, dass reisende Händlerinnen verschwunden sind.«​
Die Männer entschuldigten sich kleinlaut.​
»Was mein Opa sagt, wird sicher stimmen. Er kennt sich mit solchen Dingen viel besser aus als wir,«​
»Aber ist es denn wirklich notwendig, wegen ein paar Goblins Abenteurer anzuheuern? Schaffen wir das nicht allein?«​
»Wir müssen doch sicherlich nur ein oder zwei von denen vertreiben. Vielleicht wird es gar nicht so schlimm.«​
»Mein Opa meinte, dass ein einziges Goblin Nest sogar dazu imstande ist, ganze Dörfer zu überwältigen.«​
»Na, wenn das so ist. Wir können schlecht zulassen, dass die Goblins uns alle umbringen, oder?«​
»Ja ... Einen Goblin würden wir sicherlich noch vertreiben können, aber gegen ein ganzes Nest kommen wir wohl doch nicht an ...«​
»Dann haben wir keine Wahl. Lasst es uns den Abenteurern überlassen. Sie sind schließlich Profis.«​
»Mensch, was für ein Feigling«, schimpfte der zukünftige Dorfvorsteher über ein anderes Mitglied der Gruppe.​
»Denk doch bitte daran, wie er sich fühlen muss«, sagte der Mann mit dem rostigen Speer.​
»Als Sohn des Dorfvorstehers hast du eine gesicherte Zukunft. Bei uns sieht das anders aus.«​
Schweigen senkte sich über die Gruppe. Sie waren neidisch auf die Abenteurer. Auch sie wollten im Luxus schwelgen und nicht jeden Tag ihres Lebens auf den Feldern ackern. Den Frauen in ihrem Dorf ging es nicht anders. Auch ihnen blieb nichts anderes übrig, als jeden Tag auf dem Feld zu verbringen oder ihr Leben irgendeinem Gott zu widmen. Wenn sie Pech hatten, wurden sie von Wegelagerern überrascht und vergewaltigt oder mussten aus Geldmangel ihre Körper verkaufen. Die Urbarmachung des Grenzlands war harte Arbeit. Pausenlos tauchten Monster auf, aber auf Schutz durch die Armee des Königs konnte man nicht hoffen, denn die war mit größeren Dingen wie Drachen oder Dämonen beschäftigt. Als wäre das nicht schon genug, hatten sie auch noch mit der Natur zu kämpfen. Stürme und Dürren zerstörten immer wieder ihre Ernten. Aber dessen ungeachtet mussten sie alle trotzdem Steuern bezahlen. Eigentlich wäre ein Leben als Gilden Angestellter viel besser gewesen, doch dafür fehlte einfachen Leuten wie ihnen die nötige Bildung.​
»Hoffentlich kommt wirklich ein Abenteurer ...«​
»Wenn der König schon nicht seine Armee schickt, wird sich doch wohl zumindest ein Abenteurer hierher verirren. Schließlich wurde ihre Gilde mit unseren Steuergeldern erschaffen.«​
»Ja ...«​
Anstatt ihren Alltag zu verfluchen, hatten die Dorfbewohner gerade dringlichere Sorgen: die Goblins. Wahrend die Gruppe von Dorfbewohnern tief seufzte, schlich sich der Junge an ihnen vorbei und drang tiefer in den Wald ein.​
* * *
Goblins! Der Junge war fürchterlich aufgeregt. Immer wieder redeten die Erwachsenen davon, wie gefährlich die grünen Gestalten waren, aber stimmte das wirklich? Er hatte selbst noch nie einen gesehen, aber das wollte er jetzt ändern. Damit werde ich richtig angeben können! Es war ein einfacher, kindischer Gedanke, aber da der Junge aufgeschnappt hatte, dass sie zu den schwächsten aller Monster gehörten, machte er sich keine Sorgen. Er hoffte sogar, dass er einen von ihnen würde besiegen können. Wenn ich einen von ihnen erledige, werden alle so richtig staunen! Der Junge rannte einen wohlvertrauten Tierpfad entlang und schlug dabei mit seinem Holzschwert um sich. Nur selten kam jemand in den Wald und selbst zur Mittagszeit war es hier düster, da Bäume und Büsche so dicht beieinander wuchsen. Es roch nach Moos und Wildtieren. Seine Schwester ermahnte ihn immer wieder, dass es hier zu gefährlich für ihn war, aber gerade das machte den Wald so interessant für ihn.​
»Hm?«​
Plötzlich blieb der Junge stehen. Auf der Lichtung, auf der er immer spielte, entdeckte er Fußspuren, die er nicht kannte. Sie waren größer als die des Mädchens, nicht so groß wie seine eigenen und zu einem Reh oder Wolf gehörten sie ganz sicher auch nicht. Er murmelte:​
»Goblins?«​
Auf einmal fühlte sich die Kehle des Jungen trocken und kratzig an. Er festigte den Griff um sein Holzschwert.​
»Ko ... Komm doch, wenn du dich traust!«​
Mit diesem Spruch nahm er seine Kampfhaltung ein. Ein feuchtwarmer Luftzug zog vorbei.​
Wo bist du?​
Der Junge atmete einmal tief ein und aus und ging dann langsam weiter. Vorsichtig schlug er Zweige aus dem Weg, doch nichts passierte. Er hörte nichts weiter als seinen eigenen Atem.​
»Keiner hier! Mann, hab ich mich erschreckt!«​
Er wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn und rieb sie dann an seinem Hemd ab. In dem Moment merkte er, dass sein Hemd bereits schweißnass war und dass sein Herz wie wild klopfte. Er schluckte, schaute sich um und rief absichtlich laut:​
»G ... Gut, dann geh ich zurück. Meine Schwester macht sich bestimmt schon Sorgen!«​
»GORRB?!«​
Erschrocken drehte der Junge sich um und plötzlich stand ein Goblin mit hochgerissenem Knüppel vor ihm. Das Monster schien genauso überrascht wie er, denn es rührte sich nicht vom Fleck. Sie waren beide gleich groß, doch im Gegensatz zum Jungen hatte der Goblin einen dreckigen Mund und wilde Augen. Der Gestank von verfaultem Fleisch hing an ihm.​
»Go ... Goblin?!« »GB?!«​
Reflexartig schwang der Junge sein Holzschwert und traf sein Gegenüber am Kopf. Ein dumpfes Geräusch ertönte. Für einen kurzen Moment freute er sich, doch dann merkte er, dass er die Situation nur verschlimmert hatte.​
»GGGGG ...«​
Der Goblin hielt sich am Kopf fest. An der Stelle, wo ihn das Schwert getroffen hatte, war ein wenig Blut zu sehen.
»GOORBOBOOROROB!!!!«​
Der Junge flitzte los wie ein Karnickel. Er rannte, rannte und rannte. Kurz stolperte er, fing sich und rannte weiter. Er wusste nicht, wo er hinlief, aber er dachte: Hauptsache weg vom Goblin! Irgendwann ging ihm schließlich die Luft aus. Er musste laut keuchen und sein Rachen brannte. Er wusste, dass er keine Zeit zum Verschnaufen hatte, denn auch wenn er den Goblin nicht hinter sich hören konnte, war das wahrscheinlich wegen dem Rauschen seines Bluts in seinen Ohren. Er musste weiter, aber ...​
»Wo bin ich hier?«​
Der Junge stand auf einer Lichtung, die er nicht kannte, und sah sich einer Höhle gegenüber. Schnell hockte er sich in ein Gebüsch. Laut keuchend versuchte er zuerst einmal, seine Atmung unter Kontrolle zu kriegen.​
»... ?«​
Er hörte Schritte. Während er sich den Mund mit beiden Händen zuhielt, wagte er einen Blick. Er sah Goblins. Gleich zwei Stück. Doch keiner der beiden hatte eine Wunde am Kopf.​
»GORBBRB ...«
»GROB! GBRROB!«​
Laut schreiend schwangen die beiden Goblins ihre Knüppel durch die Luft. Auch wenn der Junge ihre Sprache nicht verstand, war ihre Absicht offensichtlich. Sie wollten kämpfen. Wollen sie etwa zum Dorf? Der Junge musste Bescheid geben, aber seine Beine wollten nicht so, wie er wollte. Er drohte zu fallen und hielt sich fest, doch dadurch wackelte der Busch.​
»GBRO ... ?«​
Die Goblins begannen, sich auf das Gebüsch des Jungen zuzubewegen. Erst ein Schritt. Dann noch einer. Dem Jungen klapperten die Zähne. Ich muss weglaufen ... ! Aber wie?​
»GBOROBR?!«​
Eine Klinge bohrte sich von hinten durch die Brust eines Goblins.
»GORB?!«​
Alarmiert durch die Schmerzensschreie seines Kameraden wirbelte der andere Goblin herum und erstarrte beim Anblick des vielen Bluts. Gleichzeitig bemerkte der Junge den Kämpfer mit dem billigen Eisenhelm und der dreckigen Lederrüstung. Links den kleinen Rundschild, trug er in der rechten Hand ein mittellanges Schwert. Zwar sah er nicht so strahlend aus, wie der Junge sich Abenteurer immer vorgestellt hatte, aber es bestand kein Zweifel, dass er einer war.​
»Das war Nummer eins«, sagte er mit einer tiefen, ruhigen und emotionslosen Stimme.​
Der andere Goblin geriet in Panik. Abwägend schaute er zwischen dem Knüppel in seiner Hand, dem Abenteurer und dem Eingang der Höhle hin und her. Schließlich rannte er in Richtung des Höhleneingangs los. Ohne zu zögern zog der Abenteurer das Schwert aus der Leiche des anderen Goblins und drehte es in seiner Hand um. Dann schleuderte er es dem fliehenden Goblin hinterher.​
»GOROB?!«​
Mit einem knirschenden Geräusch bohrte es sich durch den Kopf des Biestes, das sofort zusammenbrach. Nach einem letzten Zucken wich das Leben aus ihm.​
»Nummer zwei.«​
Stapfenden Schrittes ging er zur Leiche, zog mit schmatzendem Geräusch die Klinge aus dem Schädel, betrachtete sie Zungenschnalzend und warf sie einfach weg. Der Junge sah, wie er etwas Dolchartiges von dem Gürtel des Goblins nahm und ...​
»Hey! Hier ist noch einer!«​
Der Abenteurer reagierte so schnell, dass der Junge es kaum erkennen konnte. Mit einer drehenden Bewegung schleuderte er den Dolch in seine Richtung. Erschrocken schloss der Junge seine Augen und im nächsten Moment ertönte ein Schmerzensschrei und etwas Schweres fiel mit einem Plumps um.​
»GBOROB?!«​
Direkt hinter dem Jungen hauchte ein Goblin sein Leben aus, während eine Fontäne aus Blut aus seiner Kehle spritzte.​
»Ah ...«​
Entsetzt und erleichtert zugleich fiel der Junge auf seinen Hintern.​
»Das macht drei.«​
Der Abenteurer näherte sich dem Gebüsch und hob das Holzschwert auf, das der Junge fallen gelassen hatte.​
»Äh? Was?«​
»Danke«, sagte der Abenteurer und reichte ihm das Schwert.​
»Du hast mich gerettet.«​
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verschwand er in der Höhle.​
* * *

* * *
»Hey! Dabei habe ich dir doch gesagt, dass du nicht in den Wald sollst!«​
»Es tut mir leid, Schwester!«​
Kaum war der Junge in den Tempel hineingeeilt, hatte ihn seine Schwester komplett durchschaut. Schließlich war er voller Kratzer und dreckig gewesen. Sie hatte ihn am Ohr gepackt und nach Hause gezogen. Dort hatte sie ihn erst einmal ausgeschimpft, seine Wunden behandelt und ihm dann etwas zu essen gegeben. Die Salbe brannte in den Wunden, aber das tat längst nicht so weh wie die Ohrfeige, die sie ihm am Ende ihrer Standpauke verpasste.​
»Wie kannst du sagen, dass du verstanden hast und dann trotzdem in den Wald gehen? Nun ja ... Hauptsache dir geht es gut ...«​
Sie hat sich Sorgen um mich gemacht, dachte der Junge und spürte einen Stich in seiner Brust. Trotzdem musste er eine Frage loswerden.​
»Ähm, was ist mit den Goblins?«​
»Mach dir keine Sorgen. Der Abenteurer hat sie erledigt.«​
Seine Schwester lächelte und zeigte auf sein Bett. »Aber jetzt gehst du schlafen. Morgen kommt das Mädchen wieder.«​
»Ja, stimmt!«​
Aufgeregt sprang der Junge von seinem Stuhl auf. Er trottete in Richtung seines Zimmers, drehte sich dann aber noch mal um.​
»Gute Nacht und ähm ... es tut mir leid ...«​
»Gute Nacht ... Mach so etwas bloß nie wieder, okay?«​
»Ja ...«​
Im Zimmer schloss der Junge leise die Tür hinter sich. Dann seufzte er. Es war ein wirklich anstrengender Tag gewesen. Er war von Goblins angegriffen und vor ihnen gerettet worden, und zum Schluss hatte seine Schwester ihn noch ausgeschimpft, aber ... Er kletterte ins Bett und schaute das Holzschwert an, das an die Wand gelehnt war. Ein Schwert, das einen Goblin getroffen hatte. Ein Schwert, das von einem Abenteurer berührt worden war. Er atmete einmal kurz durch, um sich zu beruhigen. Ich habe einen Abenteurer getroffen und ihm sogar geholfen! Ja, damit könnte er angeben. Das war viel toller, als sich in der Stadt schicke Sachen kaufen zu lassen. Zufrieden mit seinem Abenteuer machte der Junge die Augen zu. Er konnte es kaum erwarten, dass endlich der nächste Morgen kam.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 27
Die Kellnerin der Schenke

»Herzlich willkommen!«​
»Erstmal drei Ales und zwei Zitronenwasser.«​
»Jawohl!«​
»Und ähm ... eine große Portion Fritella für fünf Personen!«​
»Alles klar!«, antwortete die Kellnerin lebhaft und schrieb die Bestellung des Abenteurers auf.​
Jede Schenke der Stadt war am frühen Abend belebt, aber die der Gilde war immer etwas voller als alle anderen. Wahrscheinlich lag es daran, dass die Abenteurer nach erledigten Aufträgen immer gerne ausgelassen feierten. Sie hatten ihr Leben riskiert und wollten sich dafür belohnen. Die Padfoot Kellnerin liebte das geschäftige Treiben dieser Stunden und tanzte zwischen den Tischen hin und her. Weniger als um das Gehalt ging es ihr darum, den Leuten behilflich sein zu können. Mit hüpfendem Zopf lief sie an der Küche vorbei und rief:​
»Chef, drei Ales, zwei Zitronenwasser und einen Fritella Teller für fünf!«​
»In Ordnung. Hast du keine aufregendere Bestellung?«​
Ihr Chef war ein dicklicher Rhea im mittleren Alter, der sich geübt in seiner Küche bewegte. Wie ein Zauberer den Stab schwang er seine Kochutensilien und bereitete die Bestellungen im Handumdrehen zu. Der Anblick seiner Gerichte ließ einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es gab kein Volk, das sich mit den Kochkünsten der Rhea messen konnte.​
»War ein Klacks. Bringst du es rüber?«, fragte der Koch.​
»Aber klar!«, antwortete die Kellnerin.​
Schnell schöpfte sie noch drei Ales aus einem Fass und tropfte etwas Zitronensaft in zwei Becher mit frischem Brunnenwasser. Damit war die Bestellung fertig. Sie stellte alles auf ein Tablett und brachte es an den Tisch, an dem sich mittlerweile der Rest der Gruppe eingefunden hatte. Ihnen stand der Heißhunger ins Gesicht geschrieben. Obwohl sie in voller Montur in die Schenke gekommen waren, hatten sie ihre Rüstungen gelockert. Um jedoch trotzdem auf alles vorbereitet zu sein, trugen sie ihre Schwerter nach wie vor griffbereit an ihren Hüften.​
»Hier. Vielen Dank fürs Warten! Drei Ale, zwei Zitronenwasser und Fritella für fünf!«​
Der Halbelf Kurzschwertkämpfer der Gruppe gab der Kellnerin einige Silbermünzen, um zu bezahlen und sagte:​
»Danke, ich hätte gern noch einen Traubenwein dazu.«​
»Ja, sicher.«​
Mit ihren katzenartigen Händen nahm sie das Geld entgegen und steckte es in ihre Tasche. Der Halbelf hatte großzügig Trinkgeld gegeben. Vielleicht wollte er ihr damit zusätzlich auch schöne Augen machen.​
»Hey, hey! In einer Schenke beginnt man mit Bier!«, beschwerte sich die Ritterin der Abenteurergruppe über die Bestellung ihres Kameraden.​
»Warum kennt sich eine Ritterin der Ordnung mit solchen Dingen aus?«, entgegnete der Halb elf patzig.​
»Weil es so in den Schriften des erhabenen Gottes steht.«​
»Passt auf, dass ihr nicht so eine Art Erwachsene werdet wie sie«, sagte der Kurzschwertkämpfer zum Rest seiner Gruppe, während er sich die Finger an die Schläfe hielt, als hätte er Kopfschmerzen.​
»Ja«, antwortete der junge Späher voller Elan.​
»Mit ein wenig Benehmen wäre sie eigentlich richtig cool ...«, schob die Rhea-Druidin mit einem Seufzer hinterher.​
»Was redet ihr da?! Ich bin immer cool!«, beschwerte sich die Ritterin und blies ihre Wangen auf.​
»Beruhige dich! Die Leute glauben noch, dass du schon betrunken bist.«​
Der Panzerkrieger hob seinen Bierkrug.​
»Lasst uns anstoßen! Das war ein gutes Abenteuer! Trinkt und esst, so viel ihr wollt!«​
Nachdem alle angestoßen hatten, machten sich der Späher und die Ritterin sofort über das Essen her. Die anderen Abenteurer warfen sich ein Grinsen zu. Die Klingel an der Tür bimmelte kurz und ein junger Mann kam mit einer wunderschönen Frau herein.​
»Endlich sind wir wieder zurück ...«​
»Das ... stimmt. Es war ... anstrengend, oder?«​
Der Speerkämpfer und die Hexe suchten sich einen leeren Tisch in der Schenke und setzten sich.​
»Junge Dame! Wir würden gern bestellen«, rief der Speerkämpfer der Kellnerin mit erhobener Hand zu.​
»Ja! Ich komme!«​
Schnell lief sie zu den beiden.​
»Also ... ich ... hm ... Traubenwein ... und Enten saute ...«, sagte die Hexe.​
»Ich ... nehme die Hinterkeule vom Rind. Röstet sie bitte schön mit dem Knochen. Und einen Apfelwein«, fügte der Speerkämpfer hinzu.​
»Ach, Apfel ...«, seufzte die Hexe und kniff die Augen leicht zusammen. »Willst du einen essen?«​
»Nein ... eigentlich ...«​
»Dann noch zwei Bratäpfel. Dann essen wir beide einen.«​
»Manno ...«​
Der Speerkämpfer zwinkerte seiner Kameradin zu und sie verzog ihre Lippen zu einer Schnute. Trotz ihres verführerischen Aussehens verhielt sich die Hexe ab und an so niedlich wie ein junges Mädchen. Die Kellnerin wollte sich schon auf den Weg in die Küche machen, als der Speerkämpfer noch einmal nach ihr rief.​
»Ach, junge Dame?«​
»Ja?«​
»Ist die Gilden Angestellte noch da?«​
Sie hatte schon damit gerechnet, dass diese Frage irgendwann kommen würde. Sie drehte sich dem Speerkämpfer zu, strich ihren Pony zur Seite und seufzte.​
»Ja, ich glaube, dass sie noch da ist.«​
»Juhu!«​
Voller Freude riss der Speerkämpfer seine Hände in die Luft, während die Hexe ihn skeptisch anschaute. Mann, dabei sitzt so eine Schönheit neben ihm, dachte sich die Padfoot Kellnerin. Natürlich würde sie den Abenteurer nie darauf ansprechen. Es ging sie schließlich nichts an, wer sich in wen verliebte. Trotzdem regte es sie irgendwie auf. Der Speerkämpfer gilt als der Stärkste im Grenzland. Wenn er sich noch benehmen könnte, wäre er eigentlich ganz cool ... Mit diesem Gedanken lief sie zur Küche.​
»Einen Traubenwein, Enten saute, eine Hinterkeule vom Rind, einen Apfelwein und dazu zwei Bratäpfel!«​
»In Ordnung! Bring ihnen schon mal die Getränke!«​
»Jawohl!«​
Auf den lauten Zuruf des Rhea-Kochs antwortete die Padfoot Kellnerin nicht weniger leise. Sie brachte den beiden Gästen mit einem Lächeln die Getränke und erhielt schon einmal die Bezahlung.​
»Auf das erfolgreiche Date«, sagte der Speerkämpfer grinsend.​
»Ja. Zum ... Wohl ...«, antwortete die Hexe.​
Die beiden stießen mit ihren Gläsern an und im gleichen Moment bimmelte die Klingel an der Tür erneut.​
»Mann ... Bin ich kaputt ...«​
»Hey, halt dich gerade!«​
Zwei vollkommen erschöpfte junge Abenteurer betraten die Schenke. Der Krieger Lehrling streckte sich lang über einen Tisch aus, während die Heilige in Ausbildung sich Schweiß von der Stirn wischte.​
»Ich will einfach nur schlafen.«​
»Nein! Vorher musst du was essen!«​
Das Mädchen schimpfte mit dem Jungen, der seinen Blick hob und dann der wartenden Kellnerin ins Gesicht schaute.​
»Ah, tut mir leid ... Eine Schale Haferbrei und Brot für zwei ... U ... Und bitte etwas Wasser!«​
»Alles klar!«​
Trappelnd lief die Kellnerin durch den Laden und gab die Bestellung an die Küche weiter.​
Der Rhea sagte:​
»Okay! Vergiss die Hinterkeule nicht! Sag mal, wo ist denn der Essig hin?«​
»Mache ich! Der Essig steht hinten im Regal.«​
Der Koch grinste und drehte sich um. Währenddessen nahm sich die Padfoot Kellnerin das Tablett mit der Bestellung und legte ein Stück Käse zu dem Brot und dem Haferschleim. Dann nickte sie zufrieden und ging los. Zuerst ging sie zu dem Tisch des Speerkämpfers und der Hexe und stellte das Fleischgericht vor ihnen ab. Sie verbeugte sich und ging dann weiter zum Tisch der beiden jungen Abenteurer. Die Heilige in Ausbildung blinzelte überrascht.​
»Äh ... Käse? Den haben wir gar nicht bestell ...«​
»Schon gut. Esst ihn einfach. Wir müssen eh bald neuen bestellen.«​
»D ... Danke.«​
»Nein, nein. Alles gut.«​
Nachdem sie die beiden abkassiert hatte, lehnte die Kellnerin sich an eine Wand und verschnaufte kurz. Die Schenke war voller lärmender Abenteurer. Sie lachten, riefen durcheinander, sangen und wirkten alle glücklich, doch irgendwie war das Padfoot Mädchen niedergeschlagen. Die Klingel an der Tür bimmelte erneut und es kamen fünf weitere Gäste herein. Eine Hochelfen Bogenschützin lief am Kopf der Gruppe.​
»Ah, Mann! Ich bin echt kaputt. Nach dem Essen geh ich gleich ins Bett.«​
Hinter ihr folgte eine Priesterin.​
»Das waren echt viele Goblins.«​
Als Nächstes trat ein Echsenmensch durch die Tür.​
»Tja, nach dem Kampf haben wir uns ein Festmahl verdient. Damit erweisen wir unseren gefallenen Gegnern einen würdigen Abschied.«​
An vierter Stelle betrat ein fülliger Zwerg die Schenke.​
»Bartschneider will morgen sicher wieder los, um Goblins zu jagen. Willst du nicht mal ein Päuschen einlegen?«​
Zuletzt kam ein Mann mit dreckiger Lederrüstung herein.​
»Nein«, sagte er mit völlig emotionsloser Stimme.​
»Ich brauche das Geld.«​
»Es tut mir leid. Wenn ich nur etwas stärker wäre ...«, murmelte die Priesterin niedergeschlagen.​
In genervtem Ton fragte die Elfe: »Goblin Slayer, willst du nicht langsam mal andere Aufträge ausprobieren?«​
»Wenn ich mich um alle Goblins gekümmert hab, gerne.«​
»Herzlich willkommen!« Die Padfoot Kellnerin war zum Eingang geeilt und begrüßte die Abenteurer mit einem Lächeln.​
»Oh!«​
Der Echsenmensch rollte vergnügt mit den Augen.​
»Die werte Kellnerin! Mich verlangt es ungemein nach Käse!«​
Weil der Echsenmensch immer etwas gehobener sprach, musste die Kellnerin innerlich kurz kichern. Sie hatte schon gewusst, was er essen wollte, als er durch die Tür getreten war.​
»Wie sieht es bei euch aus?«, fragte der schuppige Mönch seine Kameraden.​
»Ach, ich möchte dieses längliche Zeug. Ähm ... Ja, genau! Pasta!«, antwortete die Elfe.​
»I ... Ich hätte gerne etwas Leichtes ...«, sagte die Priesterin.​
»Was soll das? Esst doch was Richtiges! Fleisch! Und trinkt harten Alkohol!«, schimpfte der Zwerg mit den anderen.​
»Okay, verstanden!« Mit einer leichten Drehung wandte sich die Kellnerin Goblin Slayer zu. »Und der Herr? Heute kann ich frischen Amurhecht empfehlen! Wir haben ganz frisch welchen rein bekommen!«​
Die Zutaten waren optimal und das Können des Küchenchefs hervorragend. Wer würde da Nein sagen? Die Kellnerin war sich sicher, dass der Mann diesmal anbeißen würde. Erwartungsvoll starrte sie ihn an, als würde sie ihn heute nicht ohne Essen davonkommen lassen, doch ihr Gegenüber blieb davon unberührt.​
Er sagte nichts weiter als:​
»Nein. Ich brauche heute nichts.«​
* * *
»Was ist bloß mit dem los?«​
»Was regst du dich denn so darüber auf?«​
Der Lehrling der Schmiede erschrak fürchterlich, als die Padfoot Kellnerin mit ihrer Faust laut auf den Tresen schlug.​
»Abenteurer sollen Drachen besiegen und dann saufen und sich freuen, oder:«​
»Ich kann nicht bestreiten, dass es solche Abenteurer gibt ...«​
Der Lehrling probierte den gebratenen Amurhecht, den das Padfoot Mädchen ihm mitgebracht hatte. Er war zwar schon leicht abgekühlt, aber immer noch unheimlich schmackhaft. Jemand musste Zitrone über ihn getröpfelt haben, denn ein leicht säuerlicher, aber erfrischender Nachgeschmack breitete sich in seinem Mund aus.​
»Wie dem auch sei, vielen Dank für das Essen. Der Fisch schmeckt wirklich gut.«​
»Ich wollte nur nicht, dass er schlecht wird, also versteh die Geste nicht falsch.«​
»Schön, dass du dich auch heute nicht mit deiner Ehrlichkeit zurückhältst.«​
Mittlerweile brachte die Kellnerin dem Jungen fast jeden Tag Reste aus der Küche zum Essen, nachdem die Abenteurer die Schenke verlassen hatten und sie mit dem Aufräumen fertig war. Auch heute war es nicht anders. Als sie in die Schmiede kam, hatte sie ihn gefragt:​
»Was machst du gerade?«​
Er hatte behauptet, dass er den Ofen nicht ausgehen lassen dürfe, aber das war gelogen gewesen. Er hatte sich daran versucht, einen Dolch zu schmieden. Weil er mittags immer dem Meister helfen musste, hatte er nur die Abendstunden, um zu üben.​
»Wer essen kann, der soll auch essen.«​
»Ja ...«​
»Aber warum isst er dann nicht?!«​
Der Schwanz der Kellnerin, den sie während der Arbeit meist unter ihrem Rock versteckte, peitschte wild hin und her.​
»Meine Ehre als Kellnerin steht auf dem Spiel. Das verstehst du, oder?«​
»Nun ja ...«​
Der Lehrling kratzte sich verlegen mit dem Zeigefinger an der Wange.​
»Ich mag es auch nicht, dass er unsere Schwerter einfach wegwirft.«​
»Ja, oder?«​
Auch wenn es nicht meine sind, gibt mein Meister sich bei jedem von ihnen viel Mühe, dachte sich der Lehrling, bevor er zu dem Padfoot Mädchen sagte: »Nun ja, aber mein Meister sagt, dass es am Ende des Tags darauf ankommt, ob man selber mit seiner Arbeit zufrieden ist oder nicht.«​
»Nichtsdestotrotz möchte ich, dass dieser komische Kauz das Essen aus der Schenke probiert.«​
»Aber es ist nicht so, dass er nie was essen würde, oder?«​
»Ja! Und genau das ist es gerade!«​
Die Kellnerin streckte sich lang über den Tresen, wobei der Lehrling einen tiefen Blick in ihren Ausschnitt werfen konnte. Um nicht beim Starren erwischt zu werden, wandte er sich schnell ab.​
»Er isst nie etwas, wenn er von einem Auftrag zurück in die Gilde kommt.«​
»Ich habe von Abenteurern gehört, die vor Aufträgen nicht sonderlich viel essen, aber danach ...«​
»Hach ... Stimmt vielleicht etwas mit unserer Speisekarte nicht?«​
»Wieso stört es dich denn so sehr?«​
Vorsichtig schielte der Lehrling wieder zur Kellnerin herüber, doch da sie immer noch über dem Tresen hing, guckte er schnell wieder weg.​
»Ist was passiert?«​
»Bis vor Kurzem war er eigentlich nie in der Schenke ... Seit wann ist er überhaupt hier?«​
»Ich glaube seit fünf Jahren.«​
»Dessen war ich mir überhaupt nicht bewusst ...«​
Eigentlich kümmerte die Padfoot Kellnerin sich nicht darum, welcher Abenteuer wann gekommen und wann gegangen war, sondern nur darum, wer aktuell da war. Sie wollte sich so unnötige Sorgen ersparen. Ach, aber vor fünf Jahren? Also seitdem die Gilden Angestellte immer so aufgeregt ist?​
Der Lehrling, der immer noch nicht wusste, wohin mit seinen Augen, dachte ein wenig nach und plötzlich kam ihm ein zündender Gedanke.​
»Ah!«​
»Was denn?«, fragte die Kellnerin mit wackelnden Ohren.​
Nachdenklich nickend erklärte er:​
»Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich habe gehört, dass er gerne Eintopf isst. Mit Rind!«​
* * *
»Ist das dein Rindereintopf?«​
»]a!« Während die Kellnerin in einem großen Kochtopf rührte, war der Rhea-Koch in die Küche gekommen.​
»Tut mir leid, dass du mir extra erklären musstest, wie man ihn macht.«​
»Ach was, wenn du weißt, wie man kocht, kannst du mir ja auch ein wenig in der Küche unter die Arme greifen.«​
»Das klingt wie die Aussage eines alten Mannes.«​
»Ich bin schließlich einer. Betrachte mich einfach als zu dünn aufgetragene Butter.«​
»Was soll das denn heißen?«​
»Dass ich so langsam an meine Grenzen stoße«, sagte er und nahm sich einen Löffel vom Eintopf.​
»Nicht übel, aber lass ihn noch etwas köcheln.«​
»Ja! Damit krieg ich ihn!«​
Wahrend die Kellnerin jubelte, war der Koch sich nicht so sicher.​
»Glaubst du denn wirklich, dass er das richtige für die Abenteurer ist?«​
»Wie?«​
Mit einem Schlag war das Padfoot Mädchen wie versteinert.​
»Schmeckt er etwa nicht?«​
»Das wollte ich damit nicht sagen.«​
Der Rhea kratzte sich an der Nase.​
»Denk einfach mal darüber nach ...«​
»So ein Mist ... Was soll das jetzt plötzlich?«​
»Ha ha ha, streng dich an!«​
Der Koch verließ lachend die Küche und ließ das Padfoot Mädchen mit ihrer Verzweiflung allein. Sie hatte keine Ahnung, worüber sie nachdenken sollte.​
»Huch? Was riecht hier so gut?«​
Während die Kellnerin grübelte, näherten sich zwei Personen. Da die Klingel an der Tür nicht gebimmelt hatte, mussten sie direkt aus der Gilde gekommen sein.​
Das Padfood Mädchen rief:​
»Ich bin in der Küche und koche!​
Heute kann ich den Rindereintopf empfehlen!«​
»Oh! Ein Eintopf klingt toll.«​
»Und sogar Rindereintopf!«​
Die Gilden Angestellte und die Inspektorin betraten die Küche.​
»Ihr beiden seid bestimmt geschafft. Macht ihr gerade Mittagspause?«​
Die Kellnerin warf einen Blick aus dem Fenster und sah, dass die Sonne bereits den Zenit überschritten hatte.​
»Auch wenn es dafür ein wenig spät ist.«​
»Leider hatten wir bis jetzt noch keine Zeit, etwas zu essen.«​
»Das geht doch nicht! Ihr braucht Energie!«, sagte die Kellnerin und schaute dabei auf den Vorbau der Gilden Angestellten.​
Wie kann es sein, dass sie so gut ausgestattet ist, obwohl sie nicht ordentlich isst?​
Diese antwortete mit einem Grinsen:​
»Ja, ich habe wirklich Hunger ...«​
»Wollt ihr meinen Eintopf probieren? Ich will ihn heute Abend den Abenteurern anbieten.«​
»Ja. Wenn wir dürfen, gerne. Aber ... Ob die Abenteurer den Eintopf wohl mögen?«​
»Hm?«​
Die Kellnerin setzte einen fragenden Gesichtsausdruck auf.​
»Ja, stimmt. Er sieht ein wenig wie Blut aus«, stimmte die Inspektorin ihrer Kollegin zu.​
»Ach ...«​
Jetzt, wo es ihr direkt gesagt wurde, verstand das Padfoot Mädchen. Aufgrund seiner rötlichen Farbe und den im Eintopf herum schwimmenden Fleischstücken war der Vergleich verständlich. Plötzlich war ein klatschendes Geräusch zu hören.​
»Ah?!«​
»Hey, junge Damen. Stört bitte nicht den Unterricht.«​
Der Rhea- Koch war zurückgekehrt und klatschte mit seiner flachen Hand auf seinen runden Bauch.​
»Sie sollte selbst herausfinden, was an dem Eintopf nicht stimmt!«​
»E ... Es tut uns leid.«​
Auch wenn die beiden Damen sich entschuldigten, konnten sie sich ein Kichern nicht verkneifen.​
»Nichtsdestotrotz würden wir den Eintopf gerne mal probieren.«​
»Gerne. Braucht ihr sonst noch etwas?«​
»Gerne etwas Brot und könnten wir auch einen Tee bekommen?«​
»Wenn es geht, bitte mit etwas Marmelade in meiner Tasse!«​
»In Ordnung!«​
»Hey, träum nicht so und mach dich an die Arbeit.«​
»Urgh. Ja!«​
Obwohl die beiden Beamtinnen ihre Bestellung aufgegeben hatten, dachte das Padfoot Mädchen noch über den Eintopf nach.​
Wieso war sie nicht früher darauf gekommen, dass er wie Blut aussah? Sie dachte sich: Nun ja, irgendwer wird ihn schon essen, und bevor sie sich versah, war es auch schon Abend geworden. Wie sonst auch lief sie geschäftig durch den Laden und kümmerte sich um die Gäste, allerdings kam der Eintopf wie befürchtet nicht sonderlich gut an. Ist Rindereintopf einfach nicht das Richtige nach einem Abenteuer? Aber zum Frühstück wird ihn auch keiner essen ...​
Als sie darüber nachdachte, wie sie das Essen noch loswerden könnten, kam stapfend ein Abenteurer herein. Es wurde kurz still in der Schenke, doch dann lebte der Lärm wieder auf. Natürlich war es Goblin Slayer. Ohne sich um sein Umfeld zu kümmern, lief er einmal quer durch den Raum und wollte auf der anderen Seite wieder heraus, doch die Kellnerin hatte nicht vor, ihn einfach so entkommen zu lassen. Mit trappelnden Schritten kam sie auf ihn zu.​
»Der Herr! Ich kann heute den Rindereintopf empfehlen.«​
»Ist das so?«​
»Wie wäre es mit einem Teller?!«​
»Nein. Ich brauche heute nichts.«​
* * *
»Meintest du nicht, dass er Rindereintopf mag?«​
»Ich habe dir lediglich von einem Gerücht erzählt.«​
Es war mitten in der Nacht und der Lehrling aus der Schmiede löffelte genüsslich einen Teller Rindereintopf, während er sich mit dem Padfoot Mädchen unterhielt.​
»Oho! Mit den Kartoffeln warst du echt großzügig.«​
»Hast du mir das mit dem Gerücht nur erzählt, weil du selber Lust auf Rindereintopf hattest?«​
»Ach was ...«​
Er konnte ihre Vermutung nicht komplett abstreiten und grinste deshalb ein wenig. Die Rindfleischstücke waren so zart, dass er sie mit dem Löffel zertrennen konnte. Beim Kauen löste sich der Bratensaft aus dem Fleisch, vermischte sich mit dem Geschmack der Suppe und ergab mit allem anderen zusammen eine herrliche Kombination.​
»Und? Was machst du so?«​
»Hm? Ich habe bis gerade eben die Reste vom Schleifen zusammengefegt«, antwortete der Junge und gab der Kellnerin den leeren Teller zurück.​
»Selbst beim Schleifen von Küchenmessern kommt echt viel zusammen.«​
Auch wenn der Lehrling schon eine Weile in der Schmiede war, durfte er eigentlich noch nicht schmieden, sondern musste sich um andere Dinge kümmern. Dafür zu sorgen, dass die Schmiede sauber war, gehörte ebenfalls zu seinen Aufgaben und er ging ihr gewissenhaft nach. Weil er auch stolz auf seine Arbeit war, konnte er verstehen, wie die Kellnerin sich fühlte. Wenn jemand in Zukunft eines seiner geschmiedeten Schwerter wegwerfen würde, ohne es zu benutzen, würde ihn das rasend machen.​
»Ich glaub, ich verstehe, warum dich das Verhalten von Goblin Slayer so ärgert. Du möchtest zumindest den Grund dafür erfahren, warum er nie etwas in der Schenke isst.«​
»]a, genau. Ich will zumindest verstehen, warum?«​
»Hm ...«​
Der Junge verschränkte kurz die Arme und klatschte dann in die Hände. »Ah ... Genau!«​
»Was? Ist dem zukünftigen Meisterschmied etwas eingefallen?!«​
Das Padfoot Mädchen lehnte sich vor und dem Jungen wehte ihr Geruch entgegen. Es war eine Mischung aus Seife, etwas Süßlichem und dem Duft von Essen. Er schüttelte kurz den Kopf und sagte dann:​
»Wie wäre es, wenn du jemanden fragst, der Ahnung hat?«​
»Meinst du den Küchenchef?«​
»Nein«, meinte der Lehrling. »Jemanden, der Ahnung von Goblin Slayer hat.«​
* * *
»Wie? Eintopf?«​
»Ja, genau!«​
Die Kuhhirtin war gerade dabei gewesen, eine Lieferung vom Wagen zu laden, als die Kellnerin sie beim Lieferanteneingang abgefangen hatte.​
Mit einem »Puh!« wischte sich die Kuhhirtin Schweiß von der Stirn, wobei ihr üppiger Busen wackelte. Das Padfoot Mädchen staunte nicht schlecht darüber, dass ihr Gegenüber einen größeren Vorbau hatte als sie. Liegt es vielleicht an der Milch? Gerüchten zufolge strengte die Gilden Angestellte sich extrem an, um ihre schlanke Figur zu halten, aber die Kuhhirtin war etwas üppiger.​
»Was das Kochen angeht, kennt ihr euch in der Schenke doch viel besser aus als ich«, antwortete das Mädchen vom Bauernhof verlegen.​
»Ich koche nur einfache Hausmannskost.«​
»Ich glaube, dass es sich hier nicht um eine Frage des Könnens handelt.«​
Mit der Eleganz einer Katze setzte sich die Kellnerin auf ein Fass und überflog dann den Lieferschein, den die Kuhhirtin ihr entgegenhielt. Dann setzte sie ihre Unterschrift unter das Dokument.​
»Ich frage jedes Mal, aber willst du die Waren nicht überprüfen?«​
»Nein, nein. Ich würde es riechen, wenn etwas nicht stimmen würde. Aber kommen wir zurück zum Thema. Wie gesagt, ich glaube, dass es keine Frage des Könnens ist. Ich möchte wissen, warum jemand einfach nicht in der Schenke essen will.«​
»Ich nehme an, es geht um einen Abenteurer?«​
»Ja, einen wirklich kornischen.«​
»Ach ...«​
Die Kuhhirtin lachte verlegen.​
»Er meint es sicher nicht böse.«​
»Das ist nicht das Problem.«​
»Hm ...«, brummte die Kuhhirtin nachdenklich, wischte sich​
erneut Schweiß von der Stirn und setzte sich auf eine Holzkiste.​
»Geht es dir wirklich nur darum?«​
Ein anderer Mensch hätte sich bei dieser Frage wahrscheinlich nicht viel gedacht, aber mit ihrem scharfen Gehör hatte das Padfoot Mädchen erkannt, dass die Stimme der Kuhhirtin leicht gezittert hatte. Um sie ein wenig zu ärgern, entschied sie sich aber, so zu tun, als hätte sie es nicht erkannt. »Worum sollte es denn sonst gehen?«​
»Nun ja ...«​
Das Bauernmädchen atmete tief durch.​
»Magst du ihn vielleicht oder so?«​
* * *

* * *
»Nein, nein.« Die Padfoot Kellnerin lachte kurz und wedelte mit ihren Händen.​
»Es geht mir nur ums Essen. Bei dem Jungen aus der Schmiede ist es vielleicht anders, aber hier ...«​
Als sie bemerkte, wie die neugierigen Augen der Kuhhirtin sie förmlich durchbohrten, hielt die Kellnerin inne.​
»Wa ... Was denn?«​
»Na gut.«​
Nachdem das Bauernmädchen eine Weile geschwiegen hatte, erhob sie wieder ihre Stimme. »Ich gebe dir mein Rezept. Hast du etwas zum Schreiben?«​
»Ja, klar. Schieß los!«​
Die Kuhhirtin begann zu lächeln.​
»Ich mache den Eintopf immer wie folgt ...«​
Die Kellnerin kannte das meiste, was das Mädchen vom Bauernhof ihr erzählte. Sie überraschte nur, wie viel Milch sie verwendete. Nachdem die Kuhhirtin mit dem Erklären fertig war, sagte das Padfoot Mädchen:​
»Hm? Das ist aber ein einfaches Rezept.«​
»Ja.Es ist wirklich nicht viel dabei.«​
»Also wirklich nicht mehr als ein normaler Eintopf?« »​
So ist es. Ein ganz normaler Eintopf.«​
Während die Kuhhirtin grinste, war die Kellnerin etwas überrascht. Sie hatte etwas ganz anderes erwartet.​
»Ist das so etwas wie ein Familienrezept, das über Generationen weitergegeben wurde?«​
»Ha ha ha, so etwas in der Art.«​
Die Kuhhirtin sprang von der​
Kiste und wischte sich etwas Staub von ihrer Kleidung.​
»Ich habe es aber nicht von meiner Mutter.«​
Mit verwirrtem Blick fragte die Kellnerin:​
»Etwa von einer anderen Verwandten?«​
Die Kuhhirtin schaute in den Himmel.​
»Nein, von einer Nachbarin.«​
* * *
»Herzlich willkommen!«​
»Hey! Erstmal drei Ales und zwei Zitronenwasser.«​
»Gerne!«​
»Und jede Menge gekochte Kartoffeln. Genug für fünf.«​
»In Ordnung!«​
Es war früher Abend und wie gewohnt flitzte die Padfoot Kellnerin zwischen den Tischen hin und her.​
»Gut! Ich bring es an den Tisch!«​
»Alles klar. Aber sei vorsichtig, dass du nicht stolperst.«​
Ein typischer Spruch vom Rhea- Koch an einem typischen Tag.​
Er tanzte durch die Küche und bereitete alle möglichen Arten von Gerichten gleichzeitig zu.​
Trotz des kleinen Körpers hat er wirklich was drauf Das musste die Kellnerin ihm zugestehen. Sie sah ihn täglich, aber bekam von seinem Können nie genug. Bevor sie losging, um die Gerichte an den Tisch zu bringen, drehte sie sich noch einmal um und fragte:​
»Ist er in Ordnung? Kocht er auch nicht über?«​
»Hey; hey. Was glaubst du, mit wem du redest?«​
»Ja, ja, ich wollte nur nachfragen!«​
Sie hatte einfach nur wissen wollen, wie es um ihren Eintopf stand, also drehte sie sich nach seiner Antwort eingeschnappt um und brachte die Gerichte zu den Gästen. Als sie jedoch in die Gesichter der begeisterten Abenteurer schaute, verflog ihre schlechte Laune sofort.​
»Oho?!«​
Die Ohren der Padfoot stellten sich auf, als die Besucher der Schenke plötzlich für einen Moment still wurden und schwere, zielstrebige Schritte zu hören waren. Es war Goblin Slayer.​
»Der Herr?!«​
»An der Anmeldung wurde mir gesagt, ich soll vorbeikommen. Sind hier etwa Goblins aufgetaucht?«​
»Äh, nein! Warte mal kurz!«​
»Ja.«​
Er nickte und blieb verwundert stehen. Die Kellnerin rannte schnellen Schrittes zur Küche.​
»Hm? Was ist denn los?!«​
»Schnell! Ich brauch einen kleinen Teller!«​
»Frag doch die Person, die sie abgewaschen hat?!«​
»Das war doch ich!«​
Meckernd holte der Rhea einen Teller aus einem Stapel Geschirr hervor. Die Kellnerin schöpfte schnell etwas von ihrem selbst gekochten Eintopf hinein und rannte, bevor er kalt werden konnte, damit zu Goblin Slayer zurück.​
»Probier mal!«​
»Hm?«​
Als die Kellnerin ihm den Teller hinhielt, schaute Goblin Slayer misstrauisch. »Eintopf?«​
»Ja!«​
»Für mich?«​
»Genau!«​
»Aha.«​
Ein wenig widerwillig nahm der Abenteurer den kleinen Teller an und goss sich den Inhalt durch das Visier seines Helms in den Mund. Die Kellnerin hatte erwartet, dass er ihn absetzen würde und schaute ihm daher fasziniert dabei zu.​
Goblin Slayer gab ein brummendes Geräusch von sich. Das Padfoot Mädchen meinte, ein wenig Überraschung darin hören zu können. Deshalb sagte sie selbstbewusst:​
»Und? Lecker, oder?«​
»Nicht übel.«​
»Yay!«​
Die Kellnerin hob ihre geballten Fäuste in die Luft. »Juhu! Geschafft! Willst du dann nicht heute mal hier essen?«​
Während die Gäste sich über das Verhalten der Padfoot wunderten, antwortete Goblin Slayer vollkommen gelassen:​
»Nein, ich brauch nichts.«​
»Was?!«​
Das Mädchen war kurz davor, den Teller fallen zu lassen, doch dann sagte der Abenteurer:​
»Jemand wartet auf mich.«​
»Ach. So ist das also ...«​
So schnell die Kellnerin sich aufgeregt hatte, so schnell beruhigte sie sich auch wieder. Sie konnte sich schon denken, um wen es ging.​
»Hm?«​
»Nein, schon gut ... Du hast es also nie böse gemeint ...«​
Goblin Slayer nickte kurz und fragte:​
»Brauchst du mich noch?«​
»Ich glaube, wir sind fertig.«​
»Ach so. Dann gehe ich.«​
»Ja, vielen Dank.«​
»Wieso bedankst du dich?«​
Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte der Abenteurer sich um und stapfte los in Richtung Ausgang der Schenke.​
»Hey! Goblin Slayer. Warst du wieder auf Goblin Jagd?«​
»Willst du dich nicht mit anderen Biestern anlegen? So wie ich?«​
»Was denn? Bist du heute solo unterwegs? Wo sind die Elfe und die Priesterin?«​
Während er wie gewöhnlich mit kurzen Antworten auf die Zurufe aus dem Umfeld antwortete, öffnete er die Tür und verschwand in der Nacht. Nein, er machte sich auf den Weg nach Hause.​
»Mann, Er hätte das doch gleich sagen können.«​
Die Padfoot Kellnerin ignorierte einfach, dass sie sich selbst ein Problem eingeredet hatte und lachte schallend. Frisch motiviert zog sie ihre Schürze hinter dem Rücken fest und rief den Gästen der Schenke zu:​
»Heute empfehle ich den von mir persönlich gekochten Eintopf! Wer will was davon?«​
Hände schossen in die Höhe und die Zurufe überschlugen sich, während das Padfoot Mädchen in aller Seelenruhe die Bestellungen aufschrieb. Egal, wie oft man ihn heute bestellte, sie würde dafür sorgen, dass ein wenig Eintopf übrig blieb.​
»Schließlich muss er auch was essen!«​
Man sollte Essen kochen, wie man es mag und es den Leuten geben, die man mag.​

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Edward Teach

Anime-Pirat
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Kapitel 28
Ein typisches Goblin Nest.

Diesem Goblin ging alles auf die Nerven. Er befand sich in einer engen Höhle, die selbst für Wesen seiner Art nicht gerade der angenehmste Ort war, und hielt Wache vor einer Tür.​
»Nein! Nicht! Hört auf! Neeeein!«​
Durch einen Spalt in der schlecht gezimmerten Holztür schielte er ins Innere und schaute einem Artgenossen dabei zu, wie er seinen Trieben nachging. Er hatte zwar keine Lust, den Hintern eines dreckigen Goblins zu sehen, doch der der menschlichen Frau, die unter ihm wild durch die Luft trat, war wirklich ein wundervoller Anblick.​
»GROB! GBROOB!«, schrie der andere Goblin empört, als er seinen Blick bemerkte und der Wache schiebende Goblin drehte sich schnell wieder um. Es war immer das Gleiche. Immer kam er als Letzter dran. Warum durfte er noch nicht einmal zuschauen? Während er sich darüber ärgerte, schaute er sich den Speer in seiner Hand an. Die Spitze war aus Metall und der Schaft aus Eichenholz, aber er war krude in der Mitte durchgebrochen worden. Eigentlich hatte er sich darüber gefreut, dass er die Waffe der Frau erhalten hatte, aber er wusste nicht, wie er den Blutfleck vom Holz abkriegen sollte.​
»GBBORB. ..«​
Vielleicht wäre der glänzende Gürtel, den ein anderer erhalten hatte, viel besser gewesen. Zum Glück gehört er zu meiner Sippe und ich kann mir den Gürtel unter den Nagel reißen, wenn er stirbt. Eigentlich waren alle im Nest in gewisser Weise miteinander verwandt, aber darüber dachte der Goblin nicht nach. Sein kleines Hirn war vollends mit seiner Gier und seinem Neid beschäftigt. Mit der Begründung, dass er eine Wache war, wurde er immer im Nest zurückgelassen und hatte deshalb nie große Beute für sich beanspruchen können. Darum bekam er immer nur die Reste ab. Die gefangenen Frauen waren dann meist so schwach, dass sie nicht mehr schrien und dann machte es auch nur noch halb so viel Spaß. Nachdem er dann mit ihnen fertig war, schlugen sie ihnen meist die Arme und Beine ab, um diese dann im Topf zu kochen.​
Das schmeckt echt lecker. Während der Goblin an all die Gerichte mit Menschenfleisch dachte, lief ihm das Wasser im Mund zusammen.​
»GOBRBOB ...«
»GBORB?!«​
Der Goblin kam aus dem Raum hinter der Tür heraus. Er gab sich wichtig und lachte beim Vorbeigehen über die Wache. Dabei war der auch nur einer, der ab und an das Nest ablief und nach dem Rechten schaute. Schmollend piekte die Wache dem Artgenossen mit der Speerspitze in den Hintern.​
»GOBORB?!«​
Der gepiekte Goblin sprang vor Schreck in die Luft und beschwerte sich, doch mit seiner Waffe gab die Wache ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er abhauen sollte. Während der andere Goblin grummelnd fortging, spuckte er auf den Boden und begann finster zu grinsen. Jetzt war es an der Zeit für seinen eigenen Spaß. Vorsichtig stahl er sich durch die Tür in den Raum.​
»GBOB ... ?«​
Die gefangene Frau lag auf dem Boden und starrte geistesabwesend an die Decke. Sie gab nichts weiter als stöhnende Geräusche von sich. Der Goblin verpasste ihr mit seinem Speer einen kleinen Stoß und sie quiekte kurz auf. Weil es so spaßig war, pikste die Wache sie noch zwei- oder dreimal, aber er musste vorsichtig sein, dass sie nicht starb. Auch wenn es bestimmt unterhaltsam wäre, sie zu töten.​
»Gib ihn zurück . . . Gib mir meinen Speer zurück ...«, schluchzte die Frau wimmernd.​
»GRRORB!??«​
Der Goblin war verwirrt. Ihr sollte doch klar sein, dass die Waffe ihr nichts mehr nutzen würde. Er zuckte mit den Schultern und machte sich daran, sich mit ihr zu vergnügen. Als er fertig war, überprüfte er, ob sie noch lebte und patrouillierte anschließend durch die Gänge des Nests. Zum Glück hatte er seinen Kloaken Dienst schon beendet und da es bald Morgen für die Goblins sein würde, musste er auch keine Angst mehr vor Überfällen durch Abenteurer haben.​
»GOROB! GOOBORROB!
»GBBROBOG!!«​
Nachdem er eine Weile ziellos herumgelaufen war, hörte der Goblin schallendes Gelächter. Kurz darauf sah er drei Späher seines Schwarms, die zusammen im Kreis saßen und erbeuteten Alkohol aus kaputten Schalen tranken.​
Die Wache wurde wieder neidisch. Seiner Meinung nach hatten die Späher einen unheimlich leichten Job und die ganze Beute, die sie immer zurückschleppten und für sich beanspruchten, nicht verdient. Er hingegen war nur am Schuften und bekam dafür fast nichts. Er versuchte, sie mit seinem Speer zu beeindrucken, doch sie keiften ihn nur an.​
»GOBOR ... ?«
»GOROBOR!«​
Ein Späher riss seine Schale hoch, um die Wache damit zu schlagen, aber dieser wich aus und rannte schnell davon. Diese Mistkerle! Wenn es nach mir geht, können sie alle sterben! Wahrend der Goblin seine Artgenossen verfluchte, erreichte er einen Seiteneingang, den sein Schwarm gegraben hatte, um Angreifer überfallen zu können. Dort waren Steine aufgetürmt, um sich dahinter besser verstecken zu können und die Wache streckte seine Hand nach einem aus. Er hasste seine Aufgabe. Er hasste die Späher. Er hasste den blöden Anführer, der nichts weiter als groß war. Die Wache war überzeugt, dass er eigentlich ein viel besserer Anführer als jener Schwachkopf wäre. Dann könnte er sich mit den erbeuteten Weibern so viel vergnügen, wie er wollte. Und teilen müsste er auch mit niemandem mehr. Die nervigen Aufgaben könnten dann die anderen übernehmen. Diese Vorstellung ließ ihn Grinsen. Er überlegte schon, wie er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, als plötzlich ...​
»GORB ... ?«​
Das Geräusch von sich zielstrebig nähernden Schritten erklang. Schnell versteckte er sich hinter dem Steinhaufen und lugte hervor. Ein Abenteurer! Mit einer Fackel in der Hand lief er den Tunnel entlang. Er war allein, doch der Goblin wunderte sich, warum er ihn nicht gerochen hatte. Nun ja, eigentlich war ihm der Umstand egal, denn er würde eine großartige Beute abgeben. Er würde ihn überraschen und ein bisschen mit ihm spielen, bevor er ihn töten würde. Ein verdammter Abenteurer! Nichtsdestotrotz wollte er sich nicht direkt auf den Eindringling stürzen, denn auch wenn Abenteurer dumm waren, waren sie stark und er wollte natürlich nicht sofort sterben.​
Was soll ich machen? Der Goblin hielt sich weiterhin versteckt.​
Nicht wissend, wie er den Eindringling erledigen sollte, entschied er sich, ihm erst einmal hinterher zuschleichen. Diese Chance wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen.​
»GOROBOR!!«
»GROB! GROBORB!!«​
Nach kurzer Zeit hatte der Abenteurer die trinkenden Späher erreicht und warf seine Fackel in ihre Runde.
»GORB?!«
»GRBBBROG?! GROBOOBR!«​
Die Goblins schütteten Alkohol über die Flamme, um sie zu löschen und weißer Rauch stieg auf. Obwohl Goblins gut im Dunkeln sehen konnten, verloren sie diesen Vorteil im Rauch. Unter wildem Gezappel schrien sie auf, als der Abenteurer zur Tat schritt.​
»GORB?!«​
Der Abenteurer riss seinen Schild hoch und rammte einen Goblin, der mit dem Gesicht voran ins Feuer fiel. Dann stampfte er mit dem Stiefel auf den Kopf des umgefallenen Spähers und murmelte leise:​
»Vier.«​
»GRBBBR ...«
»GROBROB!!«​
Die anderen beiden Späher bemerkten endlich, was Sache war und griffen zu ihren Waffen, doch es war zu spät. Der Abenteurer warf sein Schwert und traf einen der Späher direkt im Gesicht. Ein paar ausgeschlagene Goblin Zähne klackerten auf den Höhlenboden, bevor der schlaffe Goblin Körper zu Boden fiel.​
»Fünf.«​
Ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden, schlug der Abenteurer mit dem scharfen Rand des Schilds dem letzten Späher das Gesicht ein. Eine Blutfontäne klatschte gegen die Höhlenwand, die Nase des Goblins war zerfetzt, ein Augapfel zweigeteilt. Doch um auf Nummer sicher zu gehen, schnappte sich der Abenteurer den Speer des Goblins und rammte ihn tief in sein Herz.​
»Damit wären es sechs.«​
Als er die Waffe losließ, fiel die Leiche in sich zusammen. Er lief zu dem toten Goblin mit dem Schwert im Kopf und zog die Waffe heraus. Solche Trottel. Anstatt sich zu fürchten, freute sich die Wache eher darüber, dass die Späher das bekommen hatten, was sie in seinen Augen verdient hatten. Sie sind selbst schuld. Allerdings war der Goblin ihnen auch dankbar dafür, dass der Abenteurer ihm jetzt den Rücken zudrehte. Bestimmt waren die anderen durch den Kampflärm aufgeschreckt worden und deswegen auf dem Weg hierher, also gab es, mit der Verstärkung um die Ecke, keinen besseren Moment für den Goblin um zuzuschlagen. Er wirbelte den Speer in seiner Hand herum und sprang auf den Abenteurer zu. Am liebsten wollte er die Brust oder den Bauch von hinten durchstoßen, aber auch ein Arm oder ein Bein wäre in Ordnung.​
»... ?!«​
Dann passierte es. Der Goblin wusste nicht, wie ihm geschah. Der Abenteurer hatte sich blitzschnell umgedreht, seinen Speer gegriffen und ihn mitsamt der Waffe auf den Boden geschleudert.​
»GROB?!«​
Sein Kopf war komplett leer, als er mit dem Rücken auf den Fels donnerte. Heftiger Schmerz durchfuhr seinen Körper und seine Knochen knirschten. Er konnte nicht mehr atmen. Mehrmals öffnete er seinen Mund, doch nichts kam heraus. Schwankend rappelte er sich auf und wollte fliehen, aber im nächsten Moment spürte er, wie kühler Stahl sich in seine Brust bohrte. Sein Geist wurde von Dunkelheit umhüllt und verschwand für immer im Nichts.​
»Sieben.«​
* * *

* * *
Nachdem Goblin Slayer die sieben Goblins erledigt hatte, atmete er tief durch. Er wischte das Schwert an dem zerrissenen Lumpen eines toten Goblins ab und steckte es weg. Dann nahm er sich zwei der Goblin Waffen und steckte sie in seinen Gürtel. Anschließend griff er nach seinem Trinkbeutel und kippte einen Schluck, mit etwas Traubenwein vermischtes Brunnenwasser, hinunter. Er musste aufpassen, dass er nicht betrunken wurde, aber der Alkohol wärmte ihn ein wenig von innen auf.​
»Es gab keine Totems ...«, murmelte der Abenteurer und verstaute den Trinkbeutel in seiner Tasche.​
Er war heute alleine unterwegs, weil die anderen beschäftigt oder krank waren, aber er störte sich nicht daran. Er konnte sich nicht immer darauf verlassen, dass sie ihn begleiten würden. Goblin Slayer lehnte erst seinen Rücken und dann auch den Helm an die Wand. Er hielt den Atem an, konnte aber keine Schritte hören, sondern nur knackende Fressgeräusche. Daran erkannte er aber schon, was los war. Die Fackel, die er zwischen die feiernden Goblins geworfen hatte, brannte immer noch. Soweit alles okay. Er zog ein Fläschchen aus seiner Tasche und warf es in die Richtung der Flamme. Als sie zersprang, löste sich etwas von der Wand.​
»GBRROBORRBBBG!!«​
Wie aus dem Nichts war eine Gruppe von Goblins aufgetaucht und wollte sich auf den Abenteurer stürzen, doch sie rutschten auf dem Öl, das sich in dem Fläschchen befunden hatte, aus.​
»GOB?! GBOROOBOGOBG?!«​
Als das Öl Feuer fing, hatte sich ein regelrechter Stapel aus den umgefallenen Goblins gebildet. Die ersten Bestien verbrannten qualvoll.​
»Acht, neun und zehn. Bleiben sieben. Einer mit Speer. Einer mit Schwert. Einer mit Axt. Vier mit Knüppeln.«​
Die restlichen Goblins störten sich nicht am Verbrennen ihrer Artgenossen, sondern fixierten den Abenteurer mit ihren kleinen Augen. Dieser zog sein Schwert und stürzte sich auf sie.​
»GBBRBGGB!!«​
Der Goblin mit dem Speer griff zuerst an, doch ohne zu zögern warf Goblin Slayer das Schwert nach ihm. Es flog zischend durch die faulige Höhlenluft und schlug mit einem Knacken in der Stirn des Goblins ein. Im gleichen Schwung riss er dem Toten den Speer aus den Händen und drehte dann zum Erstaunen seiner Gegner um und verschwand in einem Tunnel.​
»GOROOB! GOROOBORG!!«
»GROOB!!«​
Trappelnd liefen die restlichen Goblins ihm hinterher. Nachdem er sie erfolgreich in den Tunnel gelockt hatte, wirbelte Goblin Slayer herum und warf den eben erbeuteten Speer nach ihnen. Mit einem dumpfen Geräusch schlug dieser in der Brust eines Goblins ein.​
»Zwölf.«​
»GOOROBOG?!«​
Der Schmerzensschrei des Monsters hallte von den Tunnelwänden wider. Goblin Slayer zog das Schwert, das er einem der Goblin Späher abgenommen hatte, aus seinem Gürtel und nahm Kampfhaltung ein.​
»GOROBB!!«
»GBOR!«​
Ein ebenfalls mit einem Schwert bewaffneter Goblin gab Befehle, die die anderen vier Goblins mit Knüppeln befolgten. Sie waren längst außer sich und der Wunsch, den Abenteurer in Stücke zu schlagen, brannte in ihren Augen. Die erste der Bestien schwang ihren Knüppel nach Goblin Slayer, der dem Hieb nach hinten auswich und auf die Waffe trat.​
»GBOROB?!«​
Während der eine Goblin verzweifelt versuchte, seine Waffe zu befreien, schlug der Abenteurer mit seinem Schwert nach einem anderen, der von rechts angesprungen kam. Die Klinge durchbohrte den Schädel des Viechs, brach jedoch durch die Härte des Aufpralls ab.​
»Bleiben noch vier.«​
Der Krieger lenkte den Angriff eines weiteren Goblins mit seinem Schild so ab, dass er einen anderen seiner Gegner traf und schlug seinerseits mit dem Schwertknauf zu.​
»GOBOOROGOBOGOB?!«​
Der Schlag traf einen Goblin am Kopf, der schreiend umfiel. Da er noch nicht tot war, schlug der Abenteurer wieder und wieder zu, bis der Kopf des Viechs aufplatzte und sich eine Mischung aus Gehirnmasse und Blut auf dem Höhlenboden verteilte.​
»Vierzehn, also bleiben noch drei.«​
Goblin Slayer rammte den nächsten Gegner mit seinem Rundschild, um ein wenig mehr Platz zu haben, und holte weit aus, um einem weiteren Goblin den Schädel einzuschlagen. Dann erst erledigte er den Goblin, den er zuvor mit dem Schild weggestoßen hatte. Schließlich war nur noch der Goblin mit dem Schwert übrig, der allerdings schreiend das Weite suchte. Ihm war es egal, dass er seine Artgenossen verloren hatte, er wollte einfach nur weg. Auf dem Weg zum Ausgang des Nests sprang er über die Leichen seiner verbrannten Kameraden.​
»Hmpf ...«​
Brummend griff Goblin Slayer nach der Axt eines gefallenen Goblins und warf sie dem fliehenden Gegner hinterher. Sie bohrte sich in seinen Kopf und tötete ihn sofort.​
»Siebzehn.«​
Der Abenteurer zog eine neue Fackel aus der Tasche und zündete sie an. Dann ging er zu der Leiche des Goblins, der hatte fliehen wollen, und griff sich dessen Schwert.​
»Drei bei der Suche. Einer durch Zufall. Drei Wachen. Zehn beim Angriff. Insgesamt siebzehn. Gefangene. Keine Totems. Kein Gift.«​
Das Nest war vergleichsweise klein und nicht besonders gut organisiert. Goblin Slayer glaubte nicht, dass noch viele Goblins übrig waren, allerdings hatte er den Anführer - der wahrscheinlich ein Hobgoblin war - noch nicht zu Gesicht bekommen.​
»Nun ja ... Das kann nur eins bedeuten ...«​
Der Abenteurer kontrollierte schnell seine Ausrüstung und lief dann mit stampfenden Schritten tiefer ins Nest hinein. Seiner Nase folgend fand er relativ schnell sein Ziel. Vor einer schlecht zusammengezimmerten Holztür kam er zum Stehen.​
»Argh ... ! Autsch! Nein!«​
»GGGOROOOBB!!«​
Die Tür flog auf und ein gewaltiger Goblin kam heraus, der eine Frau an ihren Haaren zog. Sie schrie vor Schmerzen auf, hatte aber keine Kraft mehr, um sich groß zu wehren. Der Hobgoblin schien die Schreie zu genießen, denn er grinste breit - bis er die Gestalt vor sich erkannte.​
»GO ROBB ...«​
Er hob die Frau vor sich, um sie als Schild zu benutzen. Ihr Körper war unheimlich schmutzig und stank so fürchterlich, dass Goblin Slayer kaum glauben konnte, dass sie noch am Leben war.​
»Du Narr«, warf er dem Hobgoblin an den Kopf.​
»Mit einem menschlichen Schild wirst du nichts am Ausgang ändern.«​
»GROBO! GOBOOROGB!!«​
Auch ohne Worte verstand Goblin Slayer, dass der Hobgoblin ihn aufforderte, seine Waffen niederzulegen. Er schaute dem Biest in die Augen und nickte kurz. Dann zog er das Schwert und warf es von sich. Als der Abenteurer merkte, dass der Blick des Hobgoblins dem Schwert gefolgt war, sprang er nach vorne und trat der Bestie mit Schwung in den Schritt.​
»GGROOOOROOBOROOB?!?!?!«​
Der Hobgoblin stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus. Wahrscheinlich hatte der Tritt seine Weichteile zertrümmert.
»GBBRGO?!GOROOBOGOROGOB?!?!«​
Vor lauter Schmerz ließ der Goblin die Frau fallen und fiel auf die Knie. Der Krieger hob das Schwert wieder auf, stellte seinen Fuß auf die Schulter des Goblins und rammte ihm die Klinge in den Hals. Dieser verzog zwar noch das Gesicht, konnte jedoch keinen Laut mehr von sich geben. Mit einem schmatzenden Geräusch drehte Goblin Slayer die Klinge und durchtrennte damit das Rückenmark der Bestie. Zuckend hauchte der Goblin sein Leben aus.​
»Achtzehn ... Lebst du noch?«, fragte der Krieger die Frau.​
Ihre Lippen zitterten, doch sie bekam nicht mehr als ein »Ah« heraus.​
»Ach so.«​
Der Krieger wühlte in seiner Tasche und zog einen Mantel heraus. Darin wickelte er die Frau ein und hob sie hoch.​
»Ich habe einen Speer aufgesammelt. Der Schaft ist zwar gebrochen, aber die Spitze ist noch da.«​
Während die Frau zu schluchzen anfing, machte Goblin Slayer sich mit ihr zum Ausgang des Nests auf.​

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Edward Teach

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Kapitel 29
Ein Tag ohne ihn

»Mhm ...«​
Die Kuhhirtin wand sich stöhnend unter der Bettdecke. Eigentlich wäre es an der Zeit, dass sie die schweren Schritte ihres Kindheitsfreundes vor dem Fenster hörte, aber heute blieb es still. Ohne dieses gewohnte Geräusch brauchte sie etwas länger, um hochzukommen. Als sie sich schließlich doch aus dem Bett geschwungen hatte, zog sie sich schnell ihre Unterwäsche an, denn mittlerweile war es morgens schon recht kalt.​
»Hm ... Ist sie etwas enger geworden ... ?«​
Hatte sie zugenommen oder war sie gewachsen? Über beides würde sie sich nicht gerade freuen. Sie konnte sich nicht ständig neue Kleidung und Unterwäsche kaufen und damit das Geld des Hofes aus dem Fenster werfen. Vielleicht kann ich auch einfach ein paar Sachen um nähen. Während sie darüber nachdachte, machte sie ein Fenster auf und ließ etwas vom frischen Morgenwind in ihr Zimmer wehen. Er fühlte sich so gut an, dass sie sich kurz aus dem Fenster lehnte. Sie schaute raus auf die Felder und hörte das Muhen der Kühe und das Krähen eines Hahns. Über der Stadt stieg bereits verein - zelt Rauch aus den Schornsteinen auf.​
»Ach ... So ein Morgen ist nicht das Gleiche ohne ihn ...«, murmelte sie leise und badete ein wenig in der Morgensonne.​
* * *
»Willst du heute nicht in die Stadt gehen?«​
»Wie?«​
Sie war gerade dabei gewesen, das Geschirr vom Frühstück zu waschen, als ihr Onkel ihr diese Frage stellte.​
»Ich habe gefragt, ob du heute nicht in die Stadt gehen möchtest«, wiederholte ihr Onkel.​
Die Kuhhirtin schaute ihm ins Gesicht und erkannte, dass er es ernst meinte.​
»Nein, nein ... Was sollte ich dort denn machen?«​
»Wovon redest du denn? Du hast doch Freunde dort, oder?«​
»Nun ja ...«​
Das Mädchen lächelte vage. Sie nahm etwas Sand aus einem Bottich, der neben dem Becken stand, und schrubbte damit die Teller. Ist sie eine Freundin? Oder vielleicht eher eine Kameradin mit ähnlichen Gefühlen?​
»Geh dich ruhig mal amüsieren.«​
»Hm ...«​
Nachdem sie mit dem Sand das Gröbste entfernt hatte, wusch sie die Teller mit Wasser ab. Dann trocknete sie das Geschirr gewissenhaft ab und stellte es zurück ins Regal.​
»Aber jemand muss sich ums Vieh kümmern. Die Ernte und die Zäune müssen auch überprüft werden. Und die Lieferung für morgen muss auch noch vorbereitet werden.«​
Während sie so ihre Aufgaben aufzählte, merkte sie, dass sie eigentlich recht viel zu tun hatte. Einige Dinge konnten zwar aufgeschoben werden, aber andere mussten unbedingt heute erledigt werden.​
»Nein, ich kann heute keine Zeit verplempern. Außerdem freue ich mich, dass es etwas zu tun gibt.«​
»Hach ... Geh dich doch einfach ein wenig amüsieren«, antwortete der Onkel in einem Ton, der keine weitere Widerrede akzeptieren würde.​
»Du bist in deinen besten Jahren. Du wirst doch bald ... Ähm ...«​
»Ich werde bald neunzehn ...«​
»]a, in so einem Alter sollte man auch noch andere Dinge machen als arbeiten.«​
Da sie nicht wusste, was sie noch sagen sollte, nickte die Kuhhirtin einfach brav. Sie wusste selber nicht so richtig, warum sie sich nicht freinehmen wollte.​
»A ... Aber was ist mit dem Geld?«​
»Da du keine Leibeigene bist, kannst du dir ruhig mal was gönnen.«​
»Das mag zwar sein ...«​
Es half alles nichts. Was sie auch sagte, ihr Onkel ließ sie bei dieser Sache einfach nicht vom Haken. Sie machte den Abwasch fertig und setzte sich dann zu ihm an den Tisch. Der Onkel atmete kurz durch und sagte liebevoll: »Du musst dir keine Sorgen wegen deiner Aufgaben hier machen.«​
Die Kuhhirtin fühlte sich wie ein kleines Kind behandelt, weshalb sie die Lippen verzog, aber sie hatte keine Widerworte mehr auf Lager.​
»Los, geh dich amüsieren. Es gibt doch bestimmt einige Mädchendinge, die du machen willst.«​
Was sind denn bitte Mädchendinge? Schöne Kleidung anziehen und Kuchen essen? Die Kuhhirtin wunderte sich, was ihr Onkel wohl meinte. Nach einer Weile gab sie nach:​
»In Ordnung ... Dann geh ich jetzt etwas in die Stadt ...«​
»Ja, viel Spaß.«​
* * *
Ganz allein und ohne Gepäck war sie auf dem Weg in die Stadt. Sie war diesen Weg schon etliche Male gegangen, aber heute fühlte sich irgendetwas falsch an. Lag es vielleicht an ihrem Tempo? Sie legte nachdenklich den Kopf zur Seite und ging neben ein paar Händlern und Abenteurern durch das Tor in die Stadt hinein. Weil ihre Beine ganz automatisch den Weg zur Gilde der Abenteurer eingeschlagen hatten, musste sie verlegen lächeln, ehe sie die Richtung änderte und stattdessen auf den großen Platz zusteuerte. Dort erwarteten sie die üblichen Rufe der Händler, kreischende Kinder, schimpfende Mütter und tratschende Abenteurer. In Gedanken versunken setzte die Kuhhirtin sich auf den Bordstein. Vor ihr liefen ein Junge und ein Mädchen im Alter von ungefähr zehn Jahren vorbei. Sie schaute ihnen hinterher und seufzte.​
Eigentlich habe ich gar keine Freunde, oder ... ?
Nachdem sie vor zehn Jahren hergezogen war, hatte sie sich ausschließlich auf die Zukunft konzentriert, und sich dabei nicht die Zeit genommen, neue Freunde zu finden. Ihr war nur gelungen, damals den Abenteurer anzusprechen, der schwankend an ihr vorbeigelaufen war. Zu dieser Zeit hatte sein Helm noch Hörner und ihre Haare waren länger, aber das war jetzt auch schon fünf Jahre her.​
»Ach ...«​
Sie schüttelte leicht den Kopf, als sie an die Gilden Angestellte und die Kellnerin dachte. Waren die beiden vielleicht so etwas wie ihre Freunde?​
Die Kuhhirtin unterdrückte ein Lächeln und richtete dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Leute, die über den Platz schlenderten. Jeder von ihnen trug einen anderen Gesichtsausdruck. Einige freuten sich, andere wirkten traurig, aber sie alle schienen ein Ziel im Sinn zu haben, auf das sie zusteuerten. Wahrscheinlich waren es nur Dinge wie Arbeit, ihr Zuhause oder ein bestimmter Laden. Das Mädchen fühlte sich, als wäre sie heute die Einzige ohne ein Ziel und umklammerte ihre Knie. Irgendwie steht alles in meinem Leben in irgendeiner Verbindung zum Bauernhof, oder?​
»Ist irgendetwas passiert?«​
Eine vertraute Stimme riss die Kuhhirtin aus ihren Gedanken. Sie schaute hoch und blickte in das Gesicht eines jungen Mädchens mit goldblonden Haaren. Es war von dünner Statur und trug ein einfaches Leinenkleid. Die Kuhhirtin klatschte in die Hände und sagte:​
»Ach, bist-du nicht die Priesterin ...«​
»Ja, genau. Und du bist die Kuhhirtin, nicht wahr?«​
»So ist es.«​
Das Mädchen vom Hof stand auf und klopfte sich den Staub von ihrer Hose. »Wieso bist du heute in dieser Kleidung unterwegs?«​
Weil die Priesterin nicht ihr übliches Gewand trug, hätte die Kuhhirtin sie fast nicht wiedererkannt.​
»Er hat mich nicht mitgenommen ... Und da dachte ich, ich geh mal raus ...«, antwortete die Priesterin und kratzte sich verlegen an der Wange.​
»Allerdings weiß ich nicht, was ich machen soll.«​
»Das kann ich gut nachvollziehen. Ich weiß leider auch nicht, was ich machen soll. Auf dem Hof mache ich einfach immer das, was gerade getan werden muss. Aber so ganz ohne Plan ...«​
Auch wenn die Kuhhirtin wusste, dass sie beide nicht gleich waren, sorgte diese kleine Gemeinsamkeit bereits dafür, dass sie sich ein wenig besser fühlte. Sie entspannte sich etwas und fragte:​
»Warum hat er dich denn nicht mitgenommen?«​
»Ähm, also ...«​
Die Priesterin hielt kurz inne und starrte auf ihre Füße.​
»Heute ... ist es ... etwas schwierig ...«​
»Ah ...«​
Die Kuhhirtin konnte sich denken, was der Grund war. Schließlich war sie auch eine Frau. Sie entschied sich, lieber das Thema zu wechseln, denn es war der Priesterin sichtlich peinlich, darüber zu reden.​
»Womit verbringst du denn deine Zeit, wenn du nicht auf Abenteuer gehst?«​
»Meistens mit Gebeten. Ansonsten lese ich in der heiligen Schrift oder im Monsterhandbuch. Manchmal trainiere ich auch ...«​
»Du gibst wirklich dein Bestes, was?«​
»Nun ja, ich habe noch viel zu lernen.«​
Es schien, dass die Priesterin nicht an Lob gewöhnt war, denn bei den Worten der Kuhhirtin wurden ihre Wangen ganz rot. Letztere machte sich eine gedankliche Notiz, Goblin Slayer daran zu erinnern, dass er seine Kameradin regelmäßig loben sollte.​
»Nur mal so ...«​
»Ja?«​
»Wollen wir uns nicht ein wenig zusammen umschauen?«, fragte die Kuhhirtin mit einem Lächeln.​
»Jetzt, wo wir uns sowieso schon über den Weg gelaufen sind.«​
»Ja, stimmt.« Die Priesterin erwiderte ihr Lächeln.​
»Das wäre schön.«​
* * *

* * *

»Sag mal. Es ist noch etwas hin, aber nach dem Sommer ist doch das Erntefest.«​
»Ja, stimmt. Bald beginnen schon die Vorbereitungen für den rituellen Tanz.«​
»Wer wird denn dieses Jahr die Tänzerin sein? Willst du dich vielleicht bewerben?«​
»Nein, nicht doch. Das ist eine wichtige Aufgabe. Dafür bin ich noch nicht bereit.«​
»Meinst du? Vielleicht sollten wir mit unserem Hof auch an dem Fest teilnehmen. Wir könnten ein Büdchen aufstellen. Es muss auch nicht unbedingt eins mit Essen sein ...«​
»Das klingt nach einer guten Idee. Gerade ist es noch wirklich heiß, aber der Herbst schaut schon um die Ecke.«​
Während sich die beiden ungezwungen unterhielten, zogen sie, ohne ein bestimmtes Ziel, durch die Straßen der Stadt. Auf ihrem Streifzug begegneten die beiden immer wieder bekannten Gestalten, die sie freundlich grüßten. Ein komisches Gefühl überkam die Kuhhirtin. Irgendwie kannte sie doch mehr Leute, als sie gedacht hatte. Vielen der Abenteurer, die ihnen über den Weg liefen, war sie während des Angriffs des Goblin Lords zum ersten Mal begegnet. Sie musste ungewollt kichern, woraufhin die Priesterin fragend den Kopf schief legte.​
»Nein, nein, es ist nichts«, sagte die Kuhhirtin, um ihrer Begleitung zu erklären, dass ihr Kichern keine besondere Bedeutung hatte.​
Goblin Slayer hatte zu wirklich vielen Leuten in der Stadt Kontakt und durch ihn hatte sie auch die ein oder andere Person kennengelernt.​
»Hey ... Wie ist er normalerweise so?«​
»Was meinst du damit?«​
»Macht er dir keine Probleme?«, fragte die Kuhhirtin und drehte sich zu der Priesterin um.​
»Überhaupt nicht!«​
Die Priesterin winkte hastig ab.​
»Er hilft mir immer sehr! Eher bereite ich ihm Probleme als umgekehrt!«​
Das Mädchen vom Hof atmete erleichtert aus. Es beruhigte sie, dass er mit seinem schroffen und komischen Verhalten nicht alle Menschen verschreckt hatte.​
»Aber manchmal«, fügte die Priesterin mit frech zusammengekniffenen Augen hinzu, »ist es nicht ganz einfach mit ihm.«​
»Das kann ich mir vorstellen.«​
Die beiden schauten sich an und mussten kichern. Sie hatten nicht viel, worüber sie miteinander reden konnten, aber Goblin Slayer und seine besondere Art boten immer mehr als genug Gesprächsstoff.​
»Er kümmert sich aber wirklich gut um mich.«​
Für die Kuhhirtin war es spannend zu hören, wie die Priesterin über ihren Kindheitsfreund redete. Sie hatte das Gefühl, dadurch Seiten an ihm kennenzulernen, die ihr bisher noch nie so bewusst gewesen waren. Die Abenteurerin erzählte ihr, dass sie bei ihrer ersten Begegnung mit dem Krieger zuerst gedacht hatte, dass es sich bei ihm um ein Monster handelte. Ein anderes Mal, als er mit den anderen Gruppenmitgliedern im Kreis gesessen und Alkohol getrunken hatte, war er sofort betrunken eingenickt. Bei Nachtwachen dagegen übernahm er oftmals die Schichten für andere, damit sich die Magiewirker ihrer Gruppe ordentlich erholen konnten.​
»Außerdem hat er mir viel über Abenteuer beigebracht.«​
»Was zum Beispiel?«, fragte die Kuhhirtin neugierig.​
»Mal überlegen ... Zum Beispiel, dass man ein Kettenhemd tragen sollte.«​
»Ach so ...«​
Die Kuhhirtin dachte über den Schuppen nach, in dem Goblin Slayer seine ganzen Ausrüstungsgegenstände lagerte. Es stimmte, dass das Kettenhemd eines der Teile war, um das er sich am meisten kümmerte. Er hatte ihr auch schon einmal gezeigt, wie man es notdürftig flicken konnte.​
»Ist es denn nicht anstrengend, so ein Kettenhemd zu tragen?«​
»Erstaunlicherweise verteilt sich das Gewicht gut auf den Körper, daher ist es nicht allzu schlimm.«​
»Abenteurer haben es wirklich nicht leicht ...«​
»Allerdings tragen die meisten Magiewirker im Gegensatz zu mir kein Kettenhemd. Das liegt wohl an einem Gerücht, dass Metall Magie behindern soll.«​
Obwohl sie das ihr Erzählte nicht wirklich einordnen konnte, nickte die Kuhhirtin eifrig. Sie hatte von solchen Dingen so gut wie keine Ahnung, aber das hieß nicht, dass sie sich nicht dafür interessierte.​
»Werden Kettenhemden, Rüstungen und andere Gegenstände dieser Art eigentlich bei der Gilde verkauft?«​
»Äh, ja. Ich habe mein Kettenhemd dort gekauft.«​
»Wollen wir uns dann nicht dort mal die neusten Waren anschauen?«, fragte die Kuhhirtin mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht.​
* * *

* * *

»Uwah ...«​
Das Mädchen vom Hof konnte nicht anders als staunen, als sie die Rüstung sah, die nicht viel mehr vom Körper einer Abenteurerin verdecken würde als ihre Unterwäsche.​
»Ähm ... Trägt man das darunter?«​
»Nein. Das ist eine vollständige Rüstung«, rief der Lehrling hinter dem Tresen, der gerade dabei war, ein Schwert am Schleifstein zu schärfen.​
»Wer kauft denn so eine Rüstung?«, fragte die Priesterin ungläubig.​
»Man kann sich darin leicht bewegen und sie schützt das Wesentliche«, antwortete der junge Bursche und lief dabei im Gesicht rot an.​
»Außerdem ... nun ja ... Sie ist auch eher dafür gedacht, Männer zu betören.«​
»Betören? Damit soll man also Männer anlocken?«​
»Wow ...«​
Mit hochrotem Gesicht begutachtete die Kuhhirtin die Rüstung und fasste sie immer wieder an. Sie fuhr mit dem Finger über ihre Kanten und sagte:​
»Kann man da nicht schon fast alles sehen?«​
»Wir haben sie hier ausgestellt, weil die Nachfrage vorhanden ist«, murmelte der junge Lehrling ausweichend und wandte sich ab.​
»Hm ... Die Frau, die so etwas anzieht, muss wirklich den Mut einer Heldin besitzen.«​
»Das stimmt ...«, antwortete die Priesterin mit ernstem Gesichtsausdruck.​
Die beiden machten sich daran, die anderen Ausrüstungsstücke in dem Laden anzuschauen. Während die Kuhhirtin darüber nachdachte, wie viel Kontakt die Priesterin wohl zu Waffen und anderen Dingen hatte, wenn sie im Kampfgeschehen eher im Hintergrund agierte, blieb diese plötzlich vor einem Regal stehen.​
»Hey, den kenne ich doch!«​
Die Kuhhirtin musste lachen.​
»Ja, ich auch!«​
Die Priesterin griff nach einem billigen Eisenhelm, aus dem auf beiden Seiten Hörner herausragten. An Goblin Slayers Helm waren bereits beide Hörner abgebrochen und er war wesentlich dreckiger als dieser hier, aber von der gleichen Machart.​
»Sag mal. Wollen wir den mal aufsetzen?«, schlug die Kuhhirtin vor und klatschte in die Hände.​
»Hm? Dürfen wir das?«, entgegnete die Abenteurerin skeptisch.​
»Auf dem Schild steht, dass man ihn anprobieren darf.«​
»Na gut ... Dann bin ich mal so frei?«​
Zuerst zog sich die Priesterin eine Sturmhaube über und setzte dann den Helm auf.​
»Oje ... Uwah ... Wah?!«​
Der Helm schien schwerer als geglaubt, denn das Mädchen hatte Probleme, aufrecht zu stehen.​
»Hoppla. Alles in Ordnung?«, fragte die Kuhhirtin besorgt.​
»Äh ... ja ... Ich kam nur ein wenig ins Schwanken ...«​
Das Mädchen vom Hof meinte, die roten Bäckchen der Priesterin durch das Visier aufleuchten zu sehen. Sie schämte sich wohl ein wenig.​
»Der ... Der ist ganz schön schwer. Und man kriegt kaum Luft darin ...«​
»Bei denen, die den ganzen Kopf umschließen und ein Visier haben, ist es immer so«, warf der Lehrling von der Seite ein.​
Nachdem die Priesterin das Visier des Helms hochgeklappt hatte, gab sie ein erleichtertes »Puah« von sich. Die Kuhhirtin konnte nicht anders, als zu kichern.​
»H ... Hey, das ist nicht witzig!«​
»Ja, es tut mir leid. Lass mich ihn mal anprobieren.«​
Die Priesterin zog erst den Helm und dann die Sturmhaube aus und reichte der Kuhhirtin beide Teile, die sie gleich aufsetzte. Ein süßlicher Duft stieg ihr in die Nase. Es war nicht wirklich ein Parfüm, sondern eher der natürliche Geruch der Priesterin.​
»Oh ... wow! Ganz schön eng.«​
Es war stickig im Helm und man konnte kaum durch die Streben des Visiers sehen. Es war etwas befremdlich für die Kuhhirtin, dass Goblin Slayer so tagein, tagaus die Welt sah. Wie es wohl für ihn war, sie und seine Kameraden auf diese Weise bei ihrem Treiben zu beobachten?​
»Das ist genug, um es mir vorzustellen.«​
Sie nahm den Helm ab und wandte sich der Priesterin zu.​
»Es ist unfair, dass er immer unsere Gesichter sehen kann, obwohl wir seines nicht sehen können.«​
»Ja, das stimmt«, antwortete die Priesterin und kicherte.​
»Wobei ihm wahrscheinlich gar nicht erst in den Sinn kommt, dass es uns stört.«​
»Stellt ihn bitte wieder zurück«, rief der Lehrling, weshalb die Kuhhirtin den Helm mit der Sturmhaube zurück ins Regal legte.​
Danach neigte sie ihren Kopf nach links und rechts und streckte sich etwas, denn die schwere Ausrüstung hatte in der kurzen Zeit ihren Nacken verspannt. Ihr Blick fiel erneut auf die leichte Rüstung und sie musste grinsen.​
»Sag mal.«​
»Ja?«, fragte die Priesterin argwöhnisch.​
»Wenn wir schon hier sind, könnten wir doch auch mal die leichte Rüstung anprobieren.«​
Sofort schoss der Abenteurerin die Röte ins Gesicht.​
* * *
»Ach, Mann! Mein Königreich wurde ausgelöscht.«​
»Ha ha ha ... Ups ... Da sollte man nicht lachen, oder?«​
»Ist dieser Drache nicht viel zu stark? Weder meine Ausrüstung noch meine Techniken sind gut genug, um gegen ihn anzukommen.«​
»Man muss bestimmt auf dem Platin-Rang sein, um ihn erledigen zu können.«​
Nachdem die Kuhhirtin und die Priesterin ausgiebig in der Schmiede gestöbert hatten, waren sie in die Schenke gegangen und wurden dort gerade Zeugen eines sonderbaren Schauspiels. Wie gewöhnlich war die Gaststätte so früh am Nachmittag noch relativ leer. Nur die Inspektorin, die Gilden Angestellte und die Elfe hatten sich an einem der Tische zusammengesetzt und konzentrierten sich auf irgendetwas in ihrer Mitte.​
»Was treibt ihr denn hier?«, fragte die Priesterin, während sie etwas näher an den Tisch der Gruppe trat.​
Ihre Wangen waren noch etwas gerötet.​
»Ach, wir spielen ein Spiel«, antwortete die Gilden Angestellte.​
Sie trug nicht ihre typische Uniform, sondern Freizeitkleidung. Sie sah wirklich schick aus. In der Mitte des Tisches lag ein großes Brett, auf dem sich mehrere Spielfiguren, Karten und Würfel befanden.​
»Ich habe gestern alte Unterlagen sortiert und es dabei entdeckt. Wir wollten es ausprobieren ...«​
»Aber der Drache ist zu stark! Dieser verdammte Drache!«​
Die Elfe zeigte auf eine rote Figur, die in ihrer Form einem Drachen ähnelte.​
»Drachen sind nun mal starke Wesen. Du solltest es einfach akzeptieren und aufgeben«, antwortete die Inspektorin beschwichtigend.​
Um die rote Figur herum lagen mehrere Spielfiguren auf der Seite. Es waren die Abenteurer, die sich dem Drachen gestellt hatten und gestorben waren.​
»Wie dem auch sei ...«​
Die Elfe wandte sich der Priesterin zu.​
»Wie geht es dir?«​
»Ähm ... Ja ...«​
Die Priesterin nickte verzagt.​
»Ich konnte mich ein wenig ausruhen.«​
»Gut«, erwiderte die Elfe und breitete einladend die Arme aus.​
»Dann spielt mit und helft uns. Wir sind eindeutig zu wenig Abenteurer.«​
»Worum geht es denn genau in dem Spiel?«, fragte die Kuhhirtin neugierig.​
»Einfach gesagt ist es ein Abenteuerspiel. Jeder kontrolliert einen Abenteurer und erledigt Aufträge. Die Regeln sind aber sehr detailliert«, erklärte die Gilden Angestellte.​
»Ein Abenteuerspiel«, wiederholte die Kuhhirtin.​
»Man muss also gegen Goblins und so kämpfen?«​
»Ja. Man muss auch Höhlen und andere Verstecke von Monstern untersuchen.«​
Die Gilden Angestellte zeigte auf eine Figur, die wie ein Dieb aussah.​
»Das große Ziel des Spiels ist aber die Rettung der gefährdeten Welt.«​
»Zuerst hat man etwas Zeit, um legendäre Ausrüstungsgegenstände zu finden und seine Fähigkeiten zu entwickeln. Wenn dann der Drache erwacht, muss man sich ihm stellen. Allerdings schaffen wir es in der gegebenen Zeit nicht, stark genug zu werden, um ihn besiegen zu können«, erzählte die Elfe mit hängenden Ohren.​
»Um es kurz zu sagen: Man erhält Aufträge aus Dörfern, sammelt Ausrüstungsgegenstände und besiegt den Drachen«, fügte die Inspektorin hinzu.​
»Es gibt viel zu tun und es ist in gewissem Maße auch eine Trockenübung der Möglichkeiten, die die Gilde der Abenteurer hat.«​
»Dass es so etwas gibt ...«​
Die Kuhhirtin streckte eine Hand nach einer Figur in Form eines Ritters mit Eisenhelm aus. Seine Ausrüstung wirkte etwas schäbig, aber er war· nach wie vor ein ordentlicher Ritter. Sie schaute sich die Spielfigur ganz genau an und begann dann, das Spielbrett zu inspizieren. Ein Spiel dieser Art hatte sie noch nie gesehen. Kichernd fragte die Gilden Angestellte:​
»Wollen Sie es ausprobieren?«​
»Wie? Darf ich das wirklich?«​
»Natürlich. Einfach nur zuzuschauen ist doch langweilig, oder?«​
Hm ... So verhält sich also eine erwachsene Frau ... , dachte sich die Kuhhirtin, während sie die lächelnde Gilden Angestellte so vor sich sah. Gegen sie kann ich sicherlich nicht gewinnen.​
»Außerdem würden wir uns sehr über weitere Abenteurer freuen. Bitte.«​
Die Gilden Angestellte zeigte auf zwei freie Stühle.​
»Na gut. Wenn das so ist.«​
Die Kuhhirtin zupfte am Ärmel der Priesterin und die beiden setzten sich hin.​
Die Gilden Angestellte nickte zufrieden und sagte:​
»Dann sucht euch erst einmal eine Spielfigur aus.«​
»Der hier sieht gut aus!« Ohne zu zögern, suchte sich das Mädchen vom Hof den Ritter aus.​
»Ich nehme ihn.«​
»Ähm ... und ich ...«​
Mit einem ihrer zarten Finger auf den Lippen schweifte der Blick der Priesterin über die Figuren.​
»I... Ich nehme diese hier!«​
Sie griff nach der Elfen - Magierin, deren draller Körper von einer enganliegenden Robe umhüllt wurde.​
»Ha ha ha! Gar nicht übel!«, kommentierte die Elfe die Wahl der beiden. »Dann nehme ich diesmal den Zwergen-Krieger!«​
»Huch? Sind Sie sich sicher?«, fragte die Gilden Angestellte skeptisch.​
»Natürlich.«​
Die Elfe streckte stolz ihre Brust heraus.​
»Ich werd dem Zwerg zeigen, wie ein richtiger Zwerg zu sein hat!«​
»Dann werde ich beim Späher bleiben«, sagte die Gilden Angestellte und stellte einen schlicht gekleideten Kurzschwertkämpfer auf das Spielbrett.​
Die Inspektorin griff nach der Figur eines alten Mannes, der ein heiliges Symbol in der Hand hielt, und stellte ihn zu den anderen Figuren.​
»Na gut, dann werde ich einen Mönch spielen.«​
Damit hatten alle ihre Charaktere gewählt. Nachdem die Gilden Angestellte ihnen grob die Regeln erklärt hatte, schnappte sich die Kuhhirtin die Würfel und verkündete:​
»Wir werden die Dörfer beschützen, Prinzessinnen retten und den Drachen bezwingen! Wir werden zu Helden!«​
Mit Schwung rollte sie die Würfel über den Tisch und ihr Abenteuer begann.​
* * *
»Hach ... Wir haben verloren ...«, sagte die Kuhhirtin seufzend.​
Sie hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und ging, mit der Priesterin im Schlepptau, langsam den Weg entlang. Die Sonne war mittlerweile dabei, am Horizont unterzugehen und der Himmel über der Stadt färbte sich kobaltblau.​
»Leider haben wir die Drachentöter Klinge nicht gefunden.«​
»Ja. Ohne sie war es für uns unmöglich, den Panzer der Bestie zu durchstoßen.«​
Da bereits die Kämpfe mit den Goblins eine Herausforderung für ihre Gruppe gewesen waren, hatten sie am Ende gegen den übermächtigen Drachen natürlich erst recht verloren.​
»Aber es hat Spaß gemacht, oder?«​
»In der Tat«, stimmte die Kuhhirtin der Priesterin nickend zu.​
Sie hatte das Gefühl, mithilfe dieses Spiels noch ein bisschen mehr verstanden zu haben, wie die Welt aussah, die Goblin Slayer jeden Tag sah. Während der kalte Wind ihre Haut streichelte, drehte sie sich zu ihrer Begleiterin um und fragte:​
»Sag mal, waren das Mädchendinge, die wir heute gemacht haben?«​
»Ha ha ha ha ...«​
Die Priesterin lachte und die Kuhhirtin konnte nicht anders, als zu denken: Sie ist wirklich süß ... Das denkt er sicher auch ...
Das Mädchen vom Hof seufzte leise, doch die Abenteurerin bemerkte dies nicht und sagte sorglos:​
»Ich würde gern noch mal etwas mit dir unternehmen.«​
»Gerne doch.«​
»Na dann ...«​
Die Priesterin trappelte einige Schritte voraus und drehte sich dann zur Kuhhirtin um. Ihr goldenes Haar funkelte im Licht der untergehenden Sonne. »Dann lass uns das doch bald mal wiederholen.«​
Na so was. Dabei hatte die Kuhhirtin am Morgen noch gedacht, dass sie nichts weiter als den Bauernhof und Goblin Slayer hätte. Nach diesem Tag aber wusste sie, dass das nicht stimmte.​
»Ja, sehr gerne!«​

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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 30
Die Zerstörung eines verfluchten Tempels, der von Dämonen heimgesucht wird.

Tschamm. Mit einem scheppernden Geräusch stieß sie ihren Stab auf den Boden. Sie war als Eskorte einer Karawane unterwegs, doch die Ruhe und das wunderbare Wetter ließen sie diesen Umstand fast vergessen. Ein Pferdewagen fuhr polternd an einer Priesterin des Gottes der Weisheit vorbei, als diese blinzelnd in den Himmel schaute. An einem solch herrlichen Tag fühlte sie sich, als würden die Götter selbst auf sie herab lächeln. Zwischen den dünnen Wolken am Himmel erkannte sie eine kleine schwarze Gestalt, die über ihnen kreiste.​
»Der Vogel fliegt aber sehr weit oben, oder?«​
»Ja, das stimmt«, erwiderte ihr Partner, der auf einem der Wagen saß.​
Er war als Waldläufer mit einer Armbrust bewaffnet. Seine Aufgabe war es, die Umgebung stets im Auge zu behalten, um frühzeitig Gefahren erkennen zu können.​
»Hm?«​
Da die Priesterin vollkommenes Vertrauen in seine Fähigkeiten hatte, ließ bereits dieser kurze fragende Laut von ihm ihre Alarmglocken läuten. Sie festige den Griff um ihren Stab und auch ihre anderen Kameraden legten die Hände an ihre Waffen.​
»W ... Was ist?«​
»Der Vogel ist etwas groß, oder?«​
»Jetzt, wo du es sagst ...«​
Die Priesterin richtete erneut ihren Blick gen Himmel und erstarrte. Aus dem winzigen, undeutlichen Pünktchen war ein Monster mit grauer Haut und Klauen geworden, das steil auf sie herab schoss.​
»Ein Dämon!«, schrie der Waldläufer, doch es war zu spät.​
»Wah?!«​
Bevor sie reagieren konnte, hatten sich die Krallen der Bestie in die Schultern der Priesterin geschlagen und rissen sie in die Luft.​
»Ahhh! Hilfe!«​
Während sie schrie, versuchte sie verzweifelt, sich aus den Klauen der Bestie zu befreien. Sie stach mit ihrem Priesterstab nach ihm, doch das führte nur dazu, dass er seine Klauen noch tiefer in ihrem Fleisch versenkte. Sie schrie so laut sie konnte und bemerkte beim Herunterschauen, dass sie sich bereits in schwindelerregender Höhe befand. Eine warme Flüssigkeit floss ihre Beine hinunter.​
»Ngh ... ?! Ahhh!«​
Plötzlich durchzuckte ein heftiger Schmerz ihren rechten Schenkel. Sie schaute herunter und sah, dass sich ein Armbrustbolzen hineingebohrt hatte. Der Waldläufer hatte verzweifelt seine Waffe abgefeuert, um sie zu retten, doch der Dämon hatte das Mädchen einfach als Schutzschild missbraucht. Obwohl die Tränen, die ihr vor Schmerz in die Augen schossen, ihr die Sicht nahmen, erkannte sie, dass der Magier in der Gruppe begann, einen Zauber zu beschwören. Sie wedelte verzweifelt mit dem Priesterstab und schüttelte den Kopf. Sie wollte schreien:​
»Aufhören! Nein! Das ist kein Dämon!«, doch ihre Stimme versagte.​
Im nächsten Moment schoss ein Blitz heran, aber das Monster wich ihm mit einer ruckartigen Bewegung aus. Der Schwung sorgte jedoch dafür, dass die Krallen das Fleisch der Priesterin zerrissen und sie somit ihren Halt verloren. Unter höllischen Schmerzen stürzte die junge Abenteurerin in die Tiefe. Es tut weh. Ich habe Angst. So große Angst. Hilfe. Gott der Weisheit. Mein Gott. Mein Gott ... !
Der Wind pfiff so laut in ihren Ohren, dass das Mädchen keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und ihre Gebete an die Götter verhallten, ohne erhört zu werden. Bei vollem Bewusstsein schlug sie auf dem Boden auf. Der zuckende Fleischklumpen, der von ihr übrig blieb, erinnerte nicht mehr im Geringsten an das Mädchen, das sich bis vor kurzem noch so über das schöne Wetter gefreut hatte.​
* * *
»Und was machen wir jetzt?«, fragte der Speerkämpfer seine Begleiter.​
Die Abenteurer standen auf einer Lichtung vor einem strahlend weißen Turm, der sich mit seinen makellosen Wänden hoch in den Himmel bohrte. Sie wussten nicht, woraus die Wände bestanden, aber sie vermuteten, dass es sich um Elfenbein handelte. Da es allerdings keinen Elefanten gab, der groß genug war, um genügend Elfenbein für einen so gigantischen Turm zu liefern, musste er mithilfe von Magie errichtet worden sein.​
»Das Ding hat doch sicher sechzig Stockwerke, oder?«​
»Wir sollten auf jeden Fall nicht einfach durch die Vordertür spazieren«, antwortete der Panzerkrieger.​
Er benutzte die Hände, um seine Augen vor der Sonne zu schützen und schaute hoch zur Spitze des Turms.​
»Dahinter warten sicherlich Fallen und Monster auf uns.«​
Die Gruppe der Abenteurer hatte vor den Überresten einer Abenteurerin Halt gemacht, die anscheinend vom Himmel gefallen war. Dass der unförmige Klumpen vorher eine Frau gewesen war, konnten sie nur Anhand des Abzeichens feststellen, das sie der Leiche abgenommen hatten. Neben dem Sturz hatten nämlich auch die wilden Tiere des Waldes, die bereits an den Überresten geknabbert hatten, dafür gesorgt, dass man nicht mal mehr richtig erkennen konnte, ob dieser aufgeplatzte Fleischklumpen überhaupt einmal menschlich gewesen war.​
»Das hier ist wahrscheinlich der Unterschlupf eines gelangweilten Meistermagiers. Die verendete Abenteurerin kann einem leidtun ...«, murmelte der Panzerkrieger und tippte die Überreste mit seinem Stiefel an.​
»Wir müssen uns ja nicht mit allem da drin anlegen«, brummte das letzte Mitglied der Abenteurergruppe - Goblin Slayer.​
Er wühlte gerade in seiner Gürteltasche herum.​
»Lasst uns den Turm erklimmen.«​
»Wie willst du das denn bitte anstellen? Mit einem Seil? Du weißt schon, dass der Haken hier gar keinen Halt findet?«​
Goblin Slayer zog ein paar Pflöcke aus der Tasche und zeigte sie seinen Kameraden.​
»Wir könnten die hier nutzen. Wir rammen sie in die Wand und ziehen uns daran hoch. Habt ihr Erfahrung im Klettern?«​
»Ich bin bereits ein paar Mal in Bergen und an Steilküsten geklettert«, antwortete der Panzerkrieger und verschränkte die Arme. Dann schnalzte er mit der Zunge.​
»Allerdings dürft ihr nicht vergessen, dass wir beim Klettern potentiellen Angreifern komplett ausgeliefert sind. Ich hoffe, dass wir es nur mit Dämonen und nicht mit Gargoyles zu tun bekommen.«​
»Gargoyles?«, fragte Goblin Slayer.​
»Du musst sie dir als lebendige Steinstatuen vorstellen. Mit ihren Flügeln können sie fliegen.«​
»Hm ... Solche gibt es hier auch?«​
»Ja. Für die bräuchte ich eigentlich eine stumpfe Waffe ... Mit einem richtigen Magiewirker wäre das alles einfacher.«​
»Hey! Hey! Hey! Ihr wollt doch jetzt nicht wirklich da hoch klettern?«, rief der Speerkämpfer verzweifelt.​
Der Panzerkrieger seufzte:​
»Freundlich anklopfen und Hallo sagen wird ja wohl eher nicht klappen. Uns bleibt doch nichts anderes übrig. Wir haben keinen Magiewirker, keinen Mönch und keinen Dieb dabei.«​
* * *
In der Welt gab es unzählige Orte, die zum Schauplatz eines Abenteuers werden konnten und viele davon lagen im Grenzland. Dementsprechend war es keine Seltenheit, dass dort immer wieder neue Bauwerke entdeckt wurden, die es zu erkunden galt. Dass jedoch ein Bauwerk quasi über Nacht aus dem Nichts erschien, war etwas Neues. Ein Turm aus Elfenbein war von einem Tag auf den anderen mitten in einem Wald aufgetaucht und dort von reisenden Kaufleuten entdeckt worden. Ein näherer Blick war ihnen leider nicht möglich, da sie umgehend von humanoiden Bestien mit Flügeln angegriffen wurden. Sie machten Meldung bei der Gilde und wegen der Besonderheit des Falls erfuhr sogar der König davon. Dieser konnte jedoch nicht die Armee aussenden, um sich des Problems anzunehmen, weil diese aktuell mit den Überresten der Anhänger des Dämonenfürsten und einem Drachen beschäftigt war. Sowieso war die Armee durch den Kampf gegen die Streitkräfte des Dämonenfürsten geschwächt. Die Heldin hatte ihnen zwar letzten Endes zum Sieg verholfen, aber es waren dennoch Unmengen an Soldaten gestorben.​
»Aber wir können die Lage auch nicht ignorieren«, sagte der junge König und seufzte.​
Er war seit langer Zeit mal wieder zu Besuch bei einer alten Bekannten. Er saß zusammen mit ihr in einem prächtigen Garten und das Sonnenlicht, das sanft durch die Blätter schien, ließ den Ort noch schöner erscheinen, als der König ihn in Erinnerung gehabt hatte. Die Blumenbeete quollen voller prachtvoller Blumen über und ihr süßer Duft erfüllte die Luft. Weiße Säulen, die zwischen den Bäumen standen, rundeten das Bild ab.​
»Was soll ich nur tun?«​
»Ach herrje«, entgegnete seine Freundin, die Jungfrau des Schwertes.​
Ein unschuldiges Lächeln umspielte ihre Lippen.​
»Bei der Sache mit den Goblins hat das Königshaus einfach weggeschaut, aber jetzt kommt Ihr zu mir?«​
»Das war für viele eine Tragödie, aber im Großen und Ganzen doch eher eine Trivialität.«​
Der König wedelte mit seiner Hand durch die Luft, als wollte er das Thema wegwischen. Er saß auf einem Stuhl, der für ihn bereitgestellt worden war. »Ein paar Abenteurer sind doch mehr als genug, um sich um Goblins zu kümmern.«​
»Das mag stimmen ...«​
Im Herzen wusste die Erzbischöfin, dass ihr alter Freund recht hatte. Goblins konnten gefährlich werden, aber im Vergleich zu Drachen, Golems und Dämonen waren sie die kleinere Gefahr. Dennoch ...​
»Was für ein gnädiger Herrscher. Er nimmt dem Volk keine Steuern ab. Er gibt selbst wilden Flüssen noch Wasser. Er hilft jeglichen Stadtregierungen. Er erlaubt den Beamten, sich auszuruhen. Er gibt den Hungernden zu essen. Er ist geduldig mit seinen Truppen. Er schickt Helden in Goblin Nester. Doch dadurch hat er auch die Hauptstadt in ein Festmahl für Trolle verwandelt«, sang die Erzbischöfin ein spöttisches Lied.​
Der König verzog sein Gesicht, doch bevor er etwas sagen konnte, schlug seine Freundin ihm vor:​
»Wie wäre es, wenn Ihr diese Aufgabe wieder Abenteurern überlasst?«​
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig ...«, antwortete der König seufzend. Wenn die Armee sich nicht um etwas kümmern konnte, musste er halt eine bezahlte Bande von Raufbolden losschicken.​
»Die Händler meinten, dass es Dämonen waren, die sie angegriffen haben, aber ich bin mir nicht sicher. Ihre Beschreibung klang eher nach Gargoyles.«​
»Dann glaubt Ihr also, dass es sich um den Turm eines bösen Magiers handelt? Ach, wie schauerlich ...«, antwortete die Erzbischöfin trocken.​
Ein teilnahmsloser Ton schwang in ihrer Stimme mit. Der König warf ihr einen bösen Blick zu, entschied sich aber, nicht auf ihre Sticheleien einzugehen. Wahrscheinlich war sie noch immer sauer darüber, dass er ihr nicht mit den Goblins geholfen hatte.​
»So ein böser Magier ist viel gefährlicher als Goblins, aber längst nicht so schlimm wie ein Dämonenfürst.«​
»Das stimmt natürlich.«​
»Im Süden hat ein Nekromant eine Gruft geschändet.«​
Der König lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück, was in Kombination mit seiner noblen Kleidung einen komischen Anblick bot.​
»Er hat eine Armee aus Leichen aufgestellt, weswegen ich mich nicht um den Turm oder ein paar Goblins kümmern kann.«​
»Hi hi ... Ihr habt es nicht leicht ...«​
»Meine Position birgt viele Probleme in sich«, erklärte der König. »Selbst um mich mit alten Freunden zu treffen, muss ich irgendwelche Vorwände vorschieben.«​
»So ist es nun mal mit Rängen«, antwortete die Jungfrau des Schwertes. »Durch sie ändern sich sichtbare und auch unsichtbare Dinge.«​
»Es wäre toll, wenn ich wie früher selbst zur Klinge greifen und mich mit Kameraden um die Sache kümmern könnte, aber wenn ich so etwas öffentlich sage, kriege ich nur Ärger. Als ich noch ein einfacher Fürst war, war alles viel einfacher.«​
»Oje. Dabei wurdet Ihr damals von einem Wegelagerer verprügelt und seid geflüchtet.«​
»Ja, und dann war da noch die Geschichte mit den Schleimen ...«​
»Ich denke auch manchmal, dass ich gerne wieder ein normales Mädchen wäre.«​
»Obwohl du die Erzbischöfin des erhabenen Gottes bist?«​
»Ja.«​
Ein Lächeln umspielte die zarten Lippen der Jungfrau des Schwertes und ihre Wangen erröteten. Sie legte eine Hand auf ihren prallen Busen, als wollte sie ihren Herzschlag kontrollieren und sagte:​
»Ganz besonders in letzter Zeit.«​
»Es läuft also gerade für uns beide nicht so, wie wir es uns wünschen«, antwortete der König und erhob sich von dem Stuhl.​
»Na gut. Ich muss mich verabschieden. Offiziell bin ich ja nur hier, um mir einige Kampfpriester auszuleihen.«​
»]a, Eure Majestät. Ich bin sehr froh, dass Ihr mir etwas von Eurer Zeit geschenkt habt.«​
»Da bin ich mir nicht so sicher.«​
Der König lächelte leicht.​
»Du erweckst den Eindruck, dass du die ganze Zeit an jemand anderen denkst.«​
* * *

* * *
»Nein, das ist unmöglich. Selbst, wenn es ein Auftrag vom König ist ...«​
Der Panzerkrieger schüttelte den Kopf.​
»Ist er so schwierig ... ?«, fragte die Gilden Angestellte.​
»Ein Mitglied meiner Gruppe ist krank, ansonsten hätte ich ihn angenommen.«​
»Das ist aber ärgerlich ...«​
Die Gilden Angestellte hatte gezielt den Panzerkrieger angesprochen und gefragt, ob er einen ganz besonderen Auftrag annehmen würde. Das Ziel des Auftrags war, einen Turm - der provisorisch als Dämonenturm bezeichnet wurde - zu erkunden und alle eventuellen Gegner darin zu besiegen. Leider war die Armee zu beschäftigt, um sich selbst um die Aufgabe zu kümmern und generell stapelten sich gerade die Aufträge, weshalb die Ablehnung des Panzerkriegers die Gilden Angestellte etwas wurmte. Der Abenteurer vor dem Tresen brummte, während er in den Auftragsunterlagen blätterte und fragte dann:​
»Dämonenturm, was? Der Gegner soll also ein Dämon sein? Wenn das so ist, bräuchte ich einen Magiewirker und einen Späher. Außerdem sollten sie alle auf Silber-Rang sein.«​
Die Gilden Angestellte schöpfte doch wieder Hoffnung.​
»Also drei Leute?«​
»Ja, sonst kann man das vergessen. Gerne hätte ich zusätzlich noch zwei Magier oder Priester zur Unterstützung.«​
»Hm ...«​
Nachdenklich ging die Gilden Angestellte einige Abenteurerbögen durch, die vor ihr lagen. Anhand dieser Bögen konnte sie erkennen, welche Abenteurer gerade zur Verfügung standen und welche Fähigkeiten sie besaßen. Insgesamt waren derzeit ungefähr fünfzigtausend Abenteurer aktiv, aber natürlich standen nicht alle von ihnen zur Verfügung und vor allem hatten es längst nicht alle von ihnen auf den Silber-Rang geschafft. Es gab einfach zu wenig Leute, die lange genug überlebten, um die dafür nötige Erfahrung zu sammeln. Von den Bögen glitt ihr Blick in die Eingangshalle. Sie erkannte einige starke Abenteurer, aber da es sich um einen Auftrag vom König handelte, konnte sie auch nicht die allerschlimmsten Raufbolde schicken.​
»Am besten wäre wohl jemand, der im Nahkampf etwas taugt, aber auch zaubern ka ...«​
Bevor die Gilden Angestellte ihren Satz beenden konnte, unterbrach sie eine altbekannte Stimme:​
»Ja, hier! Hier bin ich!«​
Es war der Speerkämpfer, der trällernd auf den Tresen zugeeilt kam.​
»A ... Ach, stimmt. Sie beherrschen ja Zauber.«​
Voller Selbstvertrauen nickte der Speerkämpfer und antwortete:​
»Als Abenteurer muss man auf jegliche Situation gefasst sein!«​
Während sich die Gilden Angestellte noch mit einem höflichen Lächeln hatte retten können, zeigte der Panzerkrieger ganz offen sein Missfallen über das Auftauchen des Speerkriegers und griff sich stöhnend an den Kopf.​
»Oh nein ...«​
In dem Wissen, dass der Speerkrieger sonst immer mit der Hexe unterwegs war, fragte die Gilden Angestellte:​
»Ähm ... Kommt der Rest Ihrer Gruppe auch mit?«​
»Ach, was! Wir kommen gerade von einem Date. Sie braucht eine Pause.«​
Die Gilden Angestellte warf einen Blick zu der Hexe, die in der Eingangshalle saß. Sie hatte einen genervten Gesichtsausdruck und wedelte mit der Hand, als wollte sie sagen:​
»Der kann machen, was er will.«​
Während sie nervös mit ihrem Zopf spielte, dachte sich die Beamtin:​
Urgh! Sieht sie mich etwa als Rivalin in der Liebe?! Das ist echt nicht gut für mich! Sie schüttelte ihren Kopf. Nein! Ich darf mich jetzt nicht aus der Fassung bringen lassen! Sie wandte sich wieder den zwei Abenteurern vor ihr zu und sagte:​
»Damit wären Sie zu zweit.«​
Der Panzerkrieger seufzte und antwortete:​
»Na gut, meinetwegen. Ich weiß, dass er gut ist. Ich kann ihm vertrauen. Allerdings sind wir immer noch nicht genug.«​
»Zeig mir auch mal.«​
Der Speerkämpfer schnappte sich die Auftragsdokumente und legte seinen Kopf leicht schief.​
»Wieso sind wir nicht genug?«​
»Ich hätte gern zumindest einen Späher.«​
»Von denen gibt es nur wenige gute. Was ist denn mit dem Jungen aus deiner Gruppe?«​
»Der wird nicht gegen Dämonen ankommen. Das kann ich nicht verantworten.«​
»Er muss nicht gerade rechtschaffen sein, aber zumindest moralisch unbedenklich«, murmelte der Speerkämpfer.​
»Ich will schließlich keine Streitigkeiten.«​
Die Gilden Angestellte wusste, dass der Speerkämpfer damit nicht meinte, dass sie einen Abenteurer suchten, der für die Gerechtigkeit kämpfte, sondern einen, der sein eigenes Wohl nicht vor das der Gruppe stellte. Davon gab es bei den Spähern und Dieben nämlich viele.​
»Zusammengefasst heißt das ...«​
Die Gilden Angestellte ging noch einmal in sich. Er muss ein Späher sein und mitkämpfen können. Jemand, der nicht für Unruhe sorgt und moralisch neutral ist. Zu guter Letzt muss er natürlich an diesem Auftrag interessiert sein. Sie klatschte in die Hände.​
»Ich hätte eine Idee!«​
Der Speerkämpfer schaute sie misstrauisch an.​
»Ist dir wer eingefallen?«​
»Ja, ich kann für sein Können bürgen!«​
Die Gilden Angestellte zwinkerte den beiden zu und lief los. Sie verließ den Tresen und lief durch die Eingangshalle bis in eine entlegene Ecke. Hier war er immer. Als er ihre klackenden Schritte hörte, hob er seinen Eisenhelm und schaute sie an.​
»Geht es um Goblins?«​
* * *
»Ich hätte echt nicht gedacht, dass du uns begleiten würdest«, sagte der Speerkämpfer und lachte.​
»Es gab keine Goblin Aufträge. Außerdem brauche ich das Geld.«​
»Wahrscheinlich, um gegen Goblins kämpfen zu können, was?«​
»Nein.«​
Er schüttelte den Kopf.​
»Nicht dafür, aber ich brauch es.«​
»Ich kann es dir auch leihen«, warf der Panzerkrieger ein, während er die Wand des Turms untersuchte.​
»Du stirbst schließlich nicht so leicht.«​
»Das ist nett gemeint, aber nein danke.«​
Goblin Slayer holte einen Hammer aus seiner Tasche.​
»Außerdem bin ich euch doch schon etwas schuldig.«​
»Was heißt hier schuldig?«​
Der Speerkämpfer schnalzte mit der Zunge.​
»Wir sind doch Abenteurer. Wenn der Auftrag abgeschlossen und bezahlt ist, ist niemand jemandem etwas schuldig!«​
»Ist das so?«​
»Aber stimmt, das war wirklich nur ein Drink damals. Das war viel zu wenig.«​
Goblin Slayer zog ein aufgerolltes Seil aus der Tasche und legte es sich über die Schulter.​
»Du hast nur einen verlangt. Und bezahlt ist bezahlt!«​
»Ha ha! Du hast verloren, Gigolo!«, kommentierte der Panzerkrieger das Gespräch der beiden.​
»Argh!«​
Der Speerkämpfer wusste nicht, was er darauf erwidern sollte und begann, ebenfalls die Wand zu untersuchen. Nachdem er ein paar Mal an unterschiedlichen Stellen geklopft hatte, fragte er:​
»Ist die Wand nicht zu hart für die Pflöcke?«​
Ohne zu antworten wandte der Panzerkrieger sich Goblin Slayer zu und sagte:​
»Gib mir mal einen.«​
»Hier.«​
Er legte den Pflock an die glatte Mauer, ließ sich den Hammer reichen und schlug kräftig zu, doch dies hinterließ nicht einmal einen kleinen Kratzer.​
»Ich sehe schon. Das wird wirklich nicht einfach.«​
Der Panzerkrieger zog seine Lederhandschuhe aus und entfernte die Armringe. Dann holte er einen roten Trank aus seiner Tasche hervor und kippte das Gebräu in einem Zug herunter. Es war ein Stärketrank. Zuletzt steckte er sich einen Ring mit einem leuchtenden Rubin auf den Ringfinger und befestigte einen Einhänder an seinem Gürtel.​
»Sind das etwa ein Stärkering und ein magisches Schwert?«, fragte der Speerkämpfer aufgeregt.​
»Sonst trage ich Armringe und magische Handschuhe zum Verstärken meiner Schwerttechniken. Diese beiden benutze ich dagegen nicht so oft.«​
Diesmal ließ er den Hammer aus - beim Klettern würde er nur stören - und holte mit dem Pflock wie mit einem Dolch aus, ehe er ihn mit voller Kraft in die Wand rammte. Nun steckte er tatsächlich fest.​
»Schau mal, Goblin Slayer. So etwas kann man nur mit erstklassiger Ausrüstung. Du solltest dir auch mal bessere besorgen«, belehrte der Speerkämpfer den Krieger.​
»Mit magischen Gegenständen kommt man auch besser bei den Mädels an.«​
»Magische Waffen brauch ich nicht, aber ich besitze einen Ring«, antwortete Goblin Slayer in nüchternem Ton.​
»Was?«​
»Damit kann ich unter Wasser atmen. Wenn Goblins ihn mir abnehmen würden, wäre das kein Problem.«​
»Was machst du mit dem? Und was ist das mit den Goblins?«​
»Das ist doch klar. Der passt nicht auf ihre Finger.«​
»Du weißt doch, dass mit ihm reden nichts bringt.«​
Der Panzerkrieger musste sich zurückhalten, um nicht laut loszulachen. Er hatte bereits weitere Pflöcke in die Wand getrieben und begann, an ihnen hochzuklettern. Es war nicht die schnellste Methode, aber es war wirklich beeindruckend, ihm dabei zuzusehen.​
»Nebenbei gefragt, wäre es okay, wenn wir uns die Kosten für den Trank teilen?«​
»Kein Problem.«​
»Klar.«​
Sofort willigten der Speerkämpfer und Goblin Slayer ein. Eigentlich sprach man erst in der Schenke nach getaner Arbeit über die Aufteilung der Belohnung, aber in diesem Fall war es offensichtlich, dass sie ohne den Trank nicht weitergekommen wären. Nachdem das geklärt war, wollte der Krieger seinen Aufstieg beginnen.​
»Ich bin also Letzter ...«, murmelte der Speerkämpfer.​
»Willst du vorgehen?«, fragte Goblin Slayer und drehte sich um.​
»Erst der Verteidiger, dann der Späher. Wir halten uns daran. Kletter einfach los.«​
»Na dann ...«​
So machten sich die drei Silber- Rang-Abenteurer daran, den Turm zu erklimmen. Mit festem Griff und festem Tritt ging es Pflock für Pflock nach oben. Dabei schauten sie immer wieder in alle Richtungen, um nicht überrascht zu werden. Nach einiger Zeit warnte Goblin Slayer:​
»Hey, sie kommen.​
Aus Westen. Es sind drei Stück. Sie haben Flügel und sind keine Goblins.«​
»Welche Farbe hat ihre Haut?«, fragte der Panzerkrieger.​
»Grau.«​
»Also doch ... Das sind ganz sicher Gargoyles.«​
»So sehen die also aus?«​
»Ja, es könnten aber auch Steindämonen sein.«​
Gargoyles waren Monster mit Flügeln und aschgrauer Haut. Ursprünglich waren sie Beschützer heiliger Stätten gewesen, aber aus unbekannten Gründen waren sie mittlerweile Diener des Chaos.​
»Hast du noch nie einen gesehen? Die gibt es zuhauf in Ruinen.«​
»Ich war in ein paar Ruinen, aber die kenne ich nicht.«​
Der Speerkämpfer setze ein verwegenes Grinsen auf und sagte:​
»Ist doch egal, die sind eh gleich erledigt.«​
»Wenn die einen schnappen, ist es wohl ein Kampf darum, wer die größere Stärke besitzt«, murmelte Goblin Slayer, während er sein Schwert zog.​
»Ihr Körper könnte den Sturz abfangen, aber dann wäre man wieder unten.«​
»Du meinst, wenn man sie nicht gleich zerkloppt, oder? Ich schaffe das mit einem Arm«, gab der Panzerkrieger grinsend an.​
Seinen magischen Einhänder hielt er schon bereit. Er schnappte sich das Zierband der Klinge mit seinem Mund und wickelte es um seinen Arm.​
»Bevor man kämpft, versucht man es mit Magie! Du hast echt mehr Muskeln als Verstand«, rief der Speerkämpfer entnervt.​
Er hatte bereits die heranrasenden Gargoyles ins Visier genommen und fasste sich an einen Ohrring, um die magischen Fähigkeiten des Schmuckstücks zu aktivieren.​
»Ich hab einen Plan!«​
»Ich auch!«​
»Jetzt haltet den Rand! Ich kann mich so nicht konzentrieren!«​
»GARGLEGARGLEGARGLE!«​
Die steinernen Bestien waren mittlerweile gefährlich nah an die Abenteurer herangekommen und ihre Schreie waren Ausdruck ihrer siegessicheren Begeisterung. Der Speerkämpfer ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken und sprach Worte wahrer Macht:​
»Hora ... Semel ... Silento!«​
Es war, als wäre der Wind plötzlich stehen geblieben und auch Geräusche zogen sich seltsam in die Länge. Mit seinem Zauber »Verlangsamen« hatte der Abenteurer den Fluss der Zeit verlangsamt und so die Regeln der Welt für kurze Zeit geändert.​
»GARGLEGARG?! GARGLEGARG!!«
»GARGLEGARGLEGAR!!«​
Die Gargoyles schlugen verzweifelt mit ihren Flügeln, schafften es jedoch nicht, genügend Aufwind zu erzeugen. Als Gefangene der Schwerkraft und Opfer ihrer schweren Körper stürzten sie hinab und schlugen nach längerem Fall auf dem Boden auf, wo sie in tausend Teile zersprangen.​
»Was? Schon vorbei? Solche Weicheier!«​
»Sie sterben also wirklich, wenn sie aus dieser Höhe fallen ...«​
Während der Panzerkrieger schmollte, nickte Goblin Slayer nüchtern. Der Speerkämpfer hingegen war beleidigt darüber, dass seine Kameraden ihm nicht mehr Beachtung schenkten.​
»Ihr beiden könntet mich ruhig mal loben.«​
»Das war nicht übel«, erwiderte Goblin Slayer mit emotionsloser Stimme. »Die Taktik merk ich mir.«​
»Lass mich raten, du willst sie gegen Goblins einsetzen?«​
»Wogegen sonst?«​
Der Speerkämpfer entschied sich, lieber nicht weiter nachzufragen. Er wollte gar nicht erst wissen, in welcher Situation es sich lohnen würde, Goblins extra in die Höhe zu locken, um sie dann von dort aus in die Tiefe zu stoßen.​
»Wie viele Zauber hast du noch übrig?«, fragte der Panzerkrieger und rettete den Speerkämpfer so davor, weiter über dieses Thema nachdenken zu müssen.​
»Nur noch einen. Bin schließlich kein Magier ...«​
»Gut. Wenn wir erneut beim Klettern angegriffen werden, klettern wir runter und ruhen uns eine Nacht aus. Dann gehen wir lieber von vorne rein.« »Obwohl wir gleich da sind?«​
»Die Entfernung spielt keine Rolle.«​
»Du leitest die Gruppe«, sagte Goblin Slayer ruhig zu dem Panzerkrieger. »Ich halte mich an deine Anweisungen.«​
»Gut, Dann geht es jetzt weiter,«​
Der Panzerkrieger machte eine Handbewegung, um mehr Pflöcke von Goblin Slayer zu verlangen. Zum Glück war dieser von ihrer Nützlichkeit überzeugt und trug sie daher immer in größeren Mengen bei sich.​
»Sie wissen wohl, dass wir kommen. Da können wir ruhig etwas wilder vorgehen.«​
»Ja«, antwortete Goblin Slayer und schaute nach oben.​
Er sah, wie das Bastardschwert auf dem Rücken des Panzerkriegers hin und herzu schwingen begann, als er wieder Pflöcke in die Wand rammte.​
»Pass auf, dass du beim Klettern nicht mit deinem Schwert hängen bleibst.«​
»Halt die Klappe«, gab der Panzerkrieger zurück und der Speerkämpfer musste laut lachen. Es war nicht mehr weit bis zur Spitze des Turms.​
* * *
Am Ziel angekommen lugte der Panzerkrieger über die Kante und blickte in einen weiten offenen Raum, der von Säulen gesäumt war. Die Decke wölbte sich wie eine Halbkugel nach oben und war mit fremden, bedrohlich wirkenden Sternbildern verziert.​
»Das ist ganz offensichtlich das Werk von Kräften des Chaos. Wir sollten sie schnell erledigen, bevor die noch mehr Probleme machen«, murmelte der Panzerkrieger und zog sich über die Kante.​
Dann drehte er sich um, griff nach Goblins Slayers Lederhandschuh und half ihm hoch. Als der Krieger schließlich neben ihm stand, sagte er zu ihm:​
»Das mit dem Klettern ging einfacher als gedacht.«​
»Weil wir nun mal drei Kerle sind«, sagte der Speerkämpfer, der als Letzter den Raum betrat.​
»Stimmt, den Kindern könnte ich so einen Anstieg nicht zumuten«, antwortete der Panzerkrieger, der an die jüngeren Mitglieder seiner Gruppe dachte.​
»Ja, da gebe ich dir recht. Meine übliche Begleiterin hätte das wohl auch nicht geschafft.«​
Der Speerkämpfer ahmte den großen Vorbau der Hexe mit seinen Händen nach und kassierte dafür einen missbilligenden Blick vom Panzerkrieger.​
»Und meine ist zu zierlich. Sie soll sich lieber ausruhen«, warf Goblin Slayer ein, während er über die Priesterin nachdachte.​
»Was zum ... ?«, rief der Speerkämpfer empört.​
»Du bist echt kein Gentleman! Du musst ihr Aussehen loben! Ihre Brust, ihre Hüfte oder ihren Hintern!«​
»Und warum sollte ich das?«​
»Dann mögen sie dich mehr!«​
»Ist das so?«​
Als würde Goblin Slayer die Unterhaltung damit für beendet erklären, überprüfte er kurz seine Ausrüstung und zog anschließend sein Schwert. Der Panzerkrieger schielte in seine Richtung und fragte:​
»Du bist mit deinen Kräften noch nicht am Ende, oder?«​
Nüchtern antwortete er:​
»Natürlich nicht.«​
»Gut.«​
Der Panzerkrieger verpasste Goblin Slayer einen Klaps auf die Schulter und wandte sich dann dem dritten Mitglied der Gruppe zu.​
»Und was ist mit dir?«​
Mit einem verwegenen Grinsen gab dieser zurück:​
»Was glaubst du, wer ich bin?«​
Dass der Panzerkrieger diese Frage stellte, war ein Beweis dafür, dass er wusste, wie man Leute führte. Er leckte sich über die Lippen und sagte: »Dann mal los!«​
Ein Schatten fiel von der Decke in die Mitte des Raums. Mit einer wirbelnden Bewegung wurde aus ihm die düstere Gestalt des Magiers dieses Turms.​
»Ihr törichten Sterblichen!«​
Die Stimme des Magiers ähnelte dem Knarzen eines alten Baums im Wind. Er mochte einmal ein Mensch gewesen sein, doch jetzt war davon nicht mehr viel zu erkennen. Sein Gesicht war eingefallen und seine Glieder wirkten unnatürlich verdreht. Der Schatten, der an seiner hageren Gestalt herunterfloss und über den Boden kroch, wirkte auf die Abenteurer wie ein tiefer Sumpf des Chaos. Seine knochigen Finger umschlossen einen alten Stab und unter seinem Mantel leuchtete ein teuflisches Licht.​
»Uns aufhalten zu wollen, ist wahrlich frevelha ...«​
Bevor der Magier seinen Satz beenden konnte, traf eine Klinge seine Brust. Es war ein billiges Eisenschwert. Mit einem »Argh« fiel der Magier hintenüber.​
»Hey, hey. Lass ihn doch ausreden, Goblin Slayer«, beschwerte sich der Speerkämpfer.​
»Wir müssen ihn nicht wie einen normalen Gegner behandeln«, entgegnete der Krieger.​
Schließlich ist er nicht normal.«​
Direkt darauf zeigte sich, dass Goblin Slayer recht hatte.​
Das Schwert, das in der Brust des umgefallenen Magiers steckte, begann sich nach und nach aufzulösen, bis es komplett verschwunden war. Hämisch lachend richtete sich der Gegner der Abenteurer wieder auf.​
Der Panzerkrieger nahm Kampfhaltung ein und schielte zu ' Goblin Slayer rüber. »War es vielleicht ein Fehler, ihn an der Brust zu treffen?«​
»Auf der Höhe ist bei Goblins der Kopf.«​
Mit dieser pragmatischen Antwort zog der Krieger einen Dolch.​
»Das Ritual ist längst abgeschlossen! Ihr Würmer der sprechenden Völker könnt mich nicht mehr töten!«, kreischte der Magier.​
»Habt ihr gehört?«, sagte der Speerkämpfer und unterdrückte ein Gähnen. »Was nun?«​
»Er sagt, dass wir ihn nicht töten können, aber sterben kann er schon noch, was?«​
Der Panzerkrieger grinste siegessicher. Goblin Slayer nickte.​
»Dann gibt es nur eine Sache zu tun.«​
Ohne zu zögern riss der Magier seinen Stab in die Luft, sprach einige Worte der Macht und beschwor damit mehrere Gargoyles aus den Sternbildern an der Decke. Treu versammelten sie sich hinter ihrem Meister. Mit einem leichten Schwung seines Stabes befahl er ihnen, sich auf die Eindringlinge zu stürzen und schrie:​
»Ihr primitiven Barbaren! Kniet nieder vor meiner Weisheit!«​
»Barbaren? Du hast wohl das .Großer bei mir vergessen!«​
Der Panzerkrieger stürzte sich mit seinem Zweihänder auf die heran fliegenden Monster.​
»GARGLEGARGLEGA!!«
»GARGLE!! GARGLEGA!!«​
Die Steinstatuen wussten nicht, wie ihnen geschah, denn der muskelbepackte Abenteurer schwang seine riesige Klinge mit einer unerwarteten Leichtigkeit und zertrümmerte mit jedem Hieb zumindest einen von ihnen. Steinstaub erfüllte die Luft, während der Magier verzweifelt mit den Zähnen knirschte. Er riss seinen Stab erneut in die Höhe und schrie: »Dann wirst du eben wie ein tumber Barbar sterben müssen! Tonitrus ... Oriens!«​
Die Worte der Macht schallten durch den Raum und ein Strudel aus magischer Energie bildete sich. Obwohl bisher nicht das kleinste Lüftchen geweht hatte, drückte nun ein tosender Sturm die Abenteurer zurück.​
»Wirkt er etwa .Blitz.?!«, mutmaßte der Speerkämpfer.​
»Magie Konter ... Nein, der bringt nichts!«​
Der Panzerkrieger wollte nicht, dass der Speerkämpfer seinen letzten Zauber für eine sinnlose Aktion verschwendete. Deshalb entschied er sich für einen anderen Plan. Er wandte sich dem Speerkämpfer zu und rief:​
»Hey! Mach den Mund zu!«​
»Macht den Mund zu«, wiederholte Goblin Slayer den Befehl des Panzerkriegers und ließ seinen Dolch fallen, um in seiner Tasche zu wühlen. Mit einer schwungvollen Bewegung zog er ein weißes Ei hervor und warf es in Richtung des Magiers.​
»Lächerlich! ... ?!«​
Während die Abenteurer sich den Mund zuhielten, schlug ihr Gegner das Ei aus der Luft und es zerplatzte vor seinen Füßen.​
»... ?!«​
Im gleichen Moment waberte roter Nebel vom Boden auf und stieg dem Magier in Augen, Nase und Mund. Ein heftiger Schmerz überkam ihn. Er konnte nicht atmen, er konnte nicht sprechen und daher erst recht nicht zaubern. Schreiend hielt er sich die Hände vors Gesicht und taumelte vor und zurück. Bei dem roten Nebel handelte es sich um ein Pulver aus Pfeffer und verschiedenen anderen Zutaten. Es war ein spezielles Rezept von Goblin Slayer und solange ein Gegner atmen musste, hatte es sich bisher immer als effektiv erwiesen.​
»Ha ha ha! Eine Tränengasgranate, was? Nicht schlecht, aber als Letzter tritt immer der schönste Mann ins Rampenlicht!«​
Der Speerkämpfer sah seine Chance und flitzte wie ein Pfeil, der von der Sehne sprang, los in Richtung Magier. Er zischte an den Gargoyles vorbei und berührte mit einer Hand seinen Ohrring.​
»Aranea ... Facio ... Rigatur!«​
Der Zauber »Spinnennetz« fesselte den zappelnden Magier und der Speerkämpfer sprang mit einem​
»Jetzt hab ich dich!« hoch in die Luft, ehe er seinem Feind mit voller Wucht die Speerspitze ins Herz rammte.​
Schwarzblaues Blut schoss aus der Wunde heraus und mit einem Tritt befreite der Speerkämpfer seine Waffe aus dem Körper des Magiers, bevor er einen Satz nach hinten machte. Trotz dieser Attacke war der Magier immer noch am Leben und begann den nächsten Zauber:​
»To ... Tonitrus ...«​
»Halt den Rand.«​
Kurzerhand wickelte der Speerkämpfer einen Teil des Spinnennetzes mit dem Ende seines Stabs auf und stopfte es dem Gegner in den Mund. Dann drehte er sich zu seinen Kameraden um und sagte:​
»Es stimmt anscheinend, dass wir ihn nicht töten können. Allerdings ist ein Magier, der nicht sprechen kann, keine wirkliche Gefahr ...«​
»Dennoch ist es lästig«, antwortete der Panzerkrieger, nachdem er den letzten Gargoyle zerschmettert hatte. Dass sie ihn jetzt nicht töten konnten, hieß nämlich, dass sie die Kraftquelle des Magiers im Turm suchen mussten, um ihm ein Ende setzen zu können. Und das bedeutete wiederum, dass sie während ihrer Suche auf Fallen und weitere Wächter achten müssten.​
»Hrn ...«, brummelte Goblin Slayer und stieß ihm beiläufig den Dolch in die Brust. Kurz darauf hatte er eine Idee.​
»Was ist, wenn wir ihn vom Turm werfen?«​
Der Panzerkrieger und der Speerkämpfer sahen sich gegenseitig an und überlegten kurz. Dann nickten sie und grinsten hämisch.​
»Du hast recht.«​
Der Panzerkrieger griff sich den Magier, der trotz seines gestopften Mundes verzweifelt zu protestieren versuchte, und schleifte ihn bis zur Kante des Turms. Dort verpasste er ihm einen kräftigen Tritt und schleuderte ihn damit in die Tiefe. Zusammen mit seinen Kameraden schaute er dann dem Magier dabei zu, wie dieser hinab rauschte und schließlich auf dem Boden zerplatzte.​
»Jetzt ist er tot«, sagte der Speerkämpfer unbeeindruckt.​
»War das wirklich der Typ, der diesen Turm gebaut hat? Ich hätte ihn mir stärker vorgestellt. Nun ja, zum Glück war er hier oben. In einer Höhle oder so hätten wir ihn nirgendwo runter werfen können.«​
»Hat er vielleicht eine Weisung der Götter erhalten?«, murmelte der Panzerkrieger teilnahmslos und schaute sich den Raum noch einmal ganz genau an.​
»Außerdem, sollten wir nicht noch einmal gucken, ob es hier Schätze gibt? Schließlich ist der Boss jetzt tot und wenn wir uns nicht beeilen, verschwindet der Turm bald.«​
»Oh ja! Das hätte ich fast vergessen!« Freudig lief der Speerkämpfer los.​
Der Panzerkrieger drehte sich zu Goblin Slayer um.​
»Man muss es ihm schon lassen. Obwohl er so locker wirkt, ist er immer auf zack.«​
»Ja.«​
Goblin Slayer schaute sich seinen Dolch an und warf ihn dann weg.​
»Ich kann viel von ihm lernen.«​
»Ich hab keine Ahnung, ob das ein Witz sein sollte oder nicht.«​
Zusammen begann die Gruppe, den Raum zu untersuchen und nach einiger Zeit fanden sie eine versteckte längliche Truhe.​
»Macht euch keine zu großen Hoffnungen. Das ist nicht mein Spezialgebiet«, sagte Goblin Slayer, der sich bereits vor die Truhe gekniet hatte. Er durchwühlte seine Tasche und zog zuerst eine Feile heraus, die wie ein Messer geschärft war. Damit fuhr er den Zwischenraum zwischen Deckel und Korpus ab. Nachdem er sich sicher war, dass es keinen Fallendraht gab, schaute er mit einem Handspiegel durch das Schlüsselloch ins Innere. Erst dann machte er sich daran, das Schloss zu knacken.​
»Sag mal, Goblin Slayer. Du hast heute nichts und niemanden erledigt.«​
Der Speerkämpfer schaute dem Krieger aufmerksam zu und grinste breit. »Heißt das etwa ...«​
»Was denn?«​
»Dass ich gewonnen hab?«​
»Ja«, Goblin Slayer nickte.​
»Das stimmt. Es waren ja auch keine Goblins hier,«​
Diese Logik ignorierend riss der Speerkämpfer seine Fäuste in die Höhe und hüpfte durch die Gegend. Der Panzerkrieger hatte alles mitgehört und grinste vergnügt. Als schließlich ein Klicken zu hören war und sich das Schloss öffnete, atmete Goblin Slayer tief durch und sagte:​
»Sie wird bestimmt schimpfen, wenn ich zurückkomme.«​
»Hm? Ach, die Elfe?«, fragte der Panzerkrieger und musste sich vorstellen, wie die Bogenschützin den Krieger ausschimpfte.​
»Nein, die ist wahrscheinlich auf mich sauer. Nun ja, wir gehen einfach einen mit ihr heben und dann passt das schon.«​
»Wir wollten die Verbrauchsgegenstände abziehen und den Rest durch drei teilen, oder?«​
»Ja, das war der Plan.«​
»So ein Schatz ist gar nicht so übel«, sagte Goblin Slayer mit gewohnt emotionsloser Stimme. Der Panzerkrieger klopfte ihm bestätigend auf die Schulter und schaute gespannt dabei zu, wie der Krieger den knirschenden Deckel der Truhe anhob.​

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