Kapitel 50
Der junge rothaarige Magier.
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Der junge rothaarige Magier.
»Nein, allein ist das doch nicht machbar, oder?«
»Warum denn nicht? Ich weiß, dass vor langer Zeit zwei Helden allein einen Dämonenfürsten besiegt haben!«
»Ja, aber die waren auch auf dem Platin-Rang. Sie sollten lieber eine Gruppe bilden oder einer beitreten.«
»Nach meinem Urteilsvermögen gibt es hier keine passenden Abenteurer.«
»Hm ... Das ist ein Problem «
Die Gilden Angestellte stand hinter der Anmeldung und spielte mit ihrem Zopf. Die Sonne war schon lange untergegangen und während einige Abenteurer bereits ihre abgeschlossenen Aufträge feierten, waren andere noch unterwegs. Die Beamtin war die einzige Angestellte, die sich noch in der Eingangshalle befand, und eigentlich hätte sie den jungen Abenteurer längst wegschicken sollen, aber sie brachte es nicht übers Herz. Mit einem tiefen Seufzer stand sie auf. Dann zwinkerte sie dem jungen Mann zu und sagte:
»Ich werde einen Tee aufsetzen. Schließlich warte ich auch.«
Als Goblin Slayer mit seiner Gruppe das Tor der Stadt im Grenzland passierte, war es schon späte Nacht. Die Straßenlichter waren längst erloschen und nur das Licht der zwei Monde und der Sterne erhellte die Dunkelheit.
»Ngh ... Hah ... S ... Sind wir da?«
»Ja, wir sind da, Langohr.«
»Die werte Priesterin schläft bereits.«
»Mhm ... Um ... «
Die Elfe schleppte sich mit hängenden Ohren nach vorne, während die Priesterin längst auf dem Rücken des Echsenmenschen eingeschlafen war. Die restlichen Mitglieder der Gruppe warfen sich gegenseitig einen Blick zu. Sie hatten Blut, Schweiß, Schmutz und Dreck der letzten Tage im Gesicht.
»Kümmer dich bitte darum, werter Goblintöter.«
»Ja, und ihr euch bitte um euren Teil.«
»Klar doch. Komm, Langohr, reiß dich zusammen!«
»U ... Urgh ... Ich will einfach nur ins Bett ... «
»Ja, aber bitte nicht auf der Straße. Die Straße ist kein Ort zum Schlafen.«
Der Zwerg stupste die Waldläuferin, die sich die Augen rieb, an, um sie zum Weiterlaufen zu bewegen. Sie nächtigte derzeit im Obergeschoss der Gilde, wo sie, typisch für einen Abenteurer, ein Zimmer gemietet hatte.
»Dann bis morgen.«
»Ja.«
Der Echsenmensch legte seine Hände in einer mysteriösen Bewegung zusammen, worauf Goblin Slayer mit einem Nicken antwortete. Der Krieger schaute seinen Kameraden noch eine Weile hinterher und bekam so mit, wie die Priesterin kurz ihre Augen öffnete und murmelte:
»Hm ... Gu ... te ... Na ... cht ... «
»Hm ...«
Goblin Slayer schüttelte den Kopf und im selben Moment schoss ihm das Wort „Kameraden“ durch den Kopf.
Vor einem Jahr war er noch allein unterwegs gewesen, doch jetzt konnte er sich kaum mehr vorstellen, wie es ohne sie gewesen war. Durch sie hatte er so viele Sachen gelernt und auch weitaus mehr Möglichkeiten, um seine Aufträge zu erledigen. Er hätte nie gedacht, dass weitere Leute in seiner Gruppe so einen großen Unterschied machen würden. Nachdenklich öffnete er die Tür des Gildengebäudes und betrat die Eingangshalle. Verwundert hielt er kurz inne, denn es brannte tatsächlich noch Licht. Er hatte schauen wollen, ob noch ein Angestellter da war, bei dem er kurz Bericht erstatten konnte, aber er hatte nicht damit gerechnet, wirklich jemanden anzutreffen.
Goblins?
Reflexartig schoss Goblin Slayers Hand zu seiner Waffe und er begann, sich schleichend tiefer in den Raum hineinzubewegen. Auf manche mochte sein Verhalten lächerlich wirken, doch ihm kam das nicht in den Sinn. Schließlich war es schon häufig genug vorgekommen, dass Goblins plötzlich in Städten aufgetaucht waren. Der Krieger ließ seinen Blick über einige Bänke wandern und blieb bei einem Schatten hängen, der sich leicht zu bewegen schien. Bei dem Versuch, sich ebendiesem zu nähern, knarrte plötzlich der Fußboden.
»Hm... Mhm?«
Goblin Slayer erkannte, dass es sich um einen Menschen handelte, der mit einer Decke auf einer Bank geschlafen hatte. Dieser richtete sich auf, rieb sich die Augen und gähnte kurz. Es war der junge Abenteurer mit den roten Haaren.
»Hm ... Muss ich etwas schon aufstehen ...?«
Blinzelnd öffnete er die Augen und es dauerte einige Sekunden, bis er erkannte, dass jemand vor ihm stand. Erschrocken rief er:
»Uwah?!«
»Hmpf ...«, schnaubte der Krieger, während der Schrei des Jungen durchs Gebäude hallte.
»Ah! Was?!«, kam direkt darauf ein Schrei aus der Richtung der Anmeldung.
»G... Goblin Slayer?! Ich hab nicht geschlafen! Ich war die ganze Zeit wach!«
Es war die Gilden Angestellte, die vor Schreck von ihrem Stuhl aufgesprungen war. Sie richtete schnell ihre Haare und ihre Uniform und schüttelte ihren leicht geröteten Kopf. Dann räusperte sie sich kurz und setzte anschließend ein strahlendes Lächeln auf.
»Schön, dass Sie wieder zurück sind.«
Erst als er diese Worte hörte, lockerte Goblin Slayer den Griff um seine Waffe. Ohne Umschweife kippte sich der Krieger den Tee, den die Gilden Angestellte sorgfältig für ihn zubereitet hatte, herunter. Die Beamtin hätte sich gewünscht, dass er sich etwas Zeit genommen hätte, um das Getränk zu genießen, doch sie schenkte ihm trotzdem ein Lächeln. Mit geübten Handgriffen sortierte sie die Dokumente vor sich, wischte die Spitze der Feder ab und tauchte sie in ein Tintenfass. Dann fragte sie:
»Und wie ist es Ihnen diesmal ergangen? Es waren ziemlich viele, oder?«
»Ja«, antworte Goblin Slayer und nickte kurz.
»Da waren Goblins.«
»Wie viele waren es?« Die Gilden Angestellte begann, die Feder über ein Blatt Papier tanzen zu lassen.
»Bitte geben Sie mir die Zahlen getrennt nach Aufträgen.«
»Beim ersten Auftrag waren es über dreißig«, sagte er und hielt kurz inne. Dann ergänzte er: »Es könnten aber auch bis zu vierzig gewesen sein.«
Die Gilden Angestellte hörte kurz auf zu schreiben.
»Bis zu vierzig?«
»Wir haben die Gefangene gerettet und dann die Höhle der Goblins geflutet. Am Ende konnte ich zwar 34 Leichen finden, aber es könnten insgesamt auch ein paar mehr gewesen sein.«
»Ach ...«, entfuhr es der Beamtin.
Normalerweise war Goblin Slayer immer sehr penibel, was seine Berichte anging, weshalb sie sich von der ungenauen Angabe des Abenteurers hatte verwirren lassen.
»Und wie viele waren es bei dem zweiten Auftrag?«
»Dreiundzwanzig ...«
Wie immer berichtete der Abenteurer, wie er Goblins ertränkt, verbrannt, erschlagen und auf viele andere Arten und Weisen erledigt hatte, und die Gilden Angestellte hörte ihm dabei aufmerksam zu und notierte alles, was wichtig war. Anders war diesmal allerdings, dass noch eine weitere Person dem Bericht des Kriegers zuhörte. Es war der Abenteurer-Anfänger mit dem roten Haar. Er trug einen nigelnagelneuen Umhang und hatte einen Stab bei sich. Besonders war, dass ebenjener keinen Edelstein besaß, wie man ihn erhielt, wenn man seinen Abschluss von der Magie Akademie machte - ein Anzeichen dafür, dass er Reißaus genommen hatte. Von seinem Erscheinungsbild her konnte man ihn auf ungefähr 15 Jahre schätzen. Nach einigen Minuten des Zuhörens holte er ein Heft und einen Stift hervor. Anscheinend wollte er sich einige Notizen machen, aber als Goblin Slayer das bemerkte, sagte er in scharfem Ton:
»Lass das.«
Der junge Magier zuckte kurz vor Schreck zusammen, bevor er in meckerndem Ton antwortete:
»Was denn? Goblins sind doch eh nicht das große Ding. Lass mich doch ein paar Notizen ... «
»Nein. Hast du mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn die Goblins dir das Heft abnehmen?«
Ein genervter Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Jungen:
»Glaubst du etwa, dass ich gegen Goblins verlieren würde?«
»Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.«
»Wie bitte?!«
Der Junge schoss von der Bank und kam mit wütenden Schritten auf den Krieger zugelaufen. Auf der Suche nach einem Weg, um die Situation zu entschärfen, fiel der Blick der Gilden Angestellten auf die Tasse des Anfängers.
»Vielleicht noch etwas Tee?«
»Äh, also ...«
Mit einem Schlag war die Wut des Anfängers verpufft. Wie ein Junge, der bei einem Streich erwischt worden war, kratzte er sich nervös an der Wange. »J ... Ja ... Schon ... «
»Hier, bitte.«
Plätschernd goss die Beamtin dem Anfänger etwas von dem dampfend heißen Tee ein. Sie nutzte die Möglichkeit, um Goblin Slayers Tasse auch gleich noch einmal aufzufüllen. Dabei musterte sie den jungen Magier. Was hatte ihn wohl dazu bewegt, Abenteurer zu werden? Vielleicht Hoffnungen und Träume von Reichtum und Ehre?
»Danke«, brummelte der Krieger.
»Sehr gern«, erwiderte die Beamtin mit einem strahlenden Lächeln.
Der junge Magier bemerkte den Unterschied zu dem Lächeln, das sie ihm vorher geschenkt hatte, doch er wusste nicht, was dieser zu bedeuten hatte. Er schüttelte kurz seinen Kopf, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Abenteurer vor ihm. Vorsichtig sprach er ihn an:
»Du bist der, den man Goblin Slayer nennt, nicht wahr?«
»So ist es.«
Der Anfänger lehnte sich nach vorne und Goblin Slayer erkannte die Anspannung, aber auch die Euphorie, die in den leuchtend grünen Augen des Jungen tobten. Diese Gefühle fanden auch ihren Weg in die Worte, die der Magier dann dem Krieger entgegenwarf.
»Bring mir bei, wie man Goblins tötet!«
»Nein.«
»Warum denn nicht?«
»Leuten, die selbst nichts tun, bevor man ihnen etwas beigebracht hat, habe ich nichts beizubringen.«
»Hä?«
Nachdem er das gesagt hatte, griff Goblin Slayer sich seine Tasse, schüttete sich den Tee in einem Schluck herunter und nahm den fertiggestellten Bericht von der Gilden Angestellten zum Unterzeichnen entgegen. Er dachte kurz darüber nach, warum die Beamtin zu später Stunde noch hier gewesen war, und sagte dann:
»Danke. Du hast mir damit sehr geholfen.«
»Nein, das ist nicht der Rede wert. Sie arbeiten doch immer so
hart. Ach, die Belohnung ... «
»Teil sie gerecht auf. Ich nehme jetzt nur meinen Teil mit.«
»Jawohl.«
Die Leichtigkeit der Bewegungen der Gilden Angestellten ließ überhaupt nicht erkennen, dass sie heute so lange gearbeitet hatte. Sie ging zum Tresor hinter der Anmeldung, nahm einen Beutel mit Geldstücken heraus und wog ihn ab.
Der Krieger beobachtete sie dabei und sagte:
»Es hat sich doch neulich diese Gruppe registriert. Die mit dem Rhea-Mädchen.«
»Ach, die ... Ha ha ...« Die Beamtin war froh, dass der Krieger ihr Gesicht in diesem Moment nicht sehen konnte.
»Denen geht es gut. Sie haben Ratten bekämpft und wurden dabei lediglich leicht gebissen. Zum Glück hatten sie genügend Gegengifte dabei.«
»Ach so.«
»Beruhigt Sie das?«
»Ja.«
Die Gilden Angestellte ging zurück zum Tresen und stellte darauf einen Lederbeutel ab, den Goblin Slayer an sich nahm, ohne den Inhalt zu prüfen. Wenn man die Belohnung eines Goblin Auftrags durch fünf teilte, kam nicht sonderlich viel Gold dabei herum. Selbst wenn man das zehnmal machte, war es am Ende nicht mehr Geld als nach zwei Goblin Aufträgen, die man allein erledigte, aber dabei durfte man nicht vergessen, dass dieses Geld von Dorfbewohnern kam, die es eigentlich nicht übrighatten. Nachdem der Krieger den Beutel weggesteckt hatte, nickte er in Richtung des Anfängers und fragte die Beamtin:
»Wer ist das?«
»Ein Junge, der sich gerade als Abenteurer registriert hat.«
»Warum ist er hier?«
»Nun ja ...«
Die Gilden Angestellte lehnte sich über den Tresen und flüsterte.
»Er möchte Jagd auf Goblins machen und zeigt an anderen Dingen kein Interesse.«
»Und seine Gruppe?«
Die Beamtin schüttelte den Kopf.
»Anscheinend hat er keine.«
»So ein Schwachsinn.«
Während sie noch dachte, dass er gut reden habe, ließ sie kurz ihren Kopfhängen und sagte dann:
»Aber was soll ich jetzt tun?«
Als Antwort bekam sie zunächst nur ein tiefes Brummen.
Danach folgten einige Momente der Stille. Es war nichts weiter zu hören als das leise Rascheln von Kleidung und das Knistern einiger Lampen.
»Hey.«
Als Goblin Slayer dann den jungen Magier ansprach, zuckte dieser kurz vor Schreck zusammen.
»Hast du ein Zimmer?«
»A... Ahm ...«
Der Junge stolperte über seine eigenen Worte. Er öffnete und schloss mehrfach seinen Mund, bis er schließlich einfach nur ein
»Geht dich nichts an« von sich gab.
»Ist das so?«
Goblin Slayer wandte sich wieder der Gilden Angestellten zu, die unauffällig ein X mit ihren Fingern formte.
»Also hast du keins, was?«
»...«
»Es ist Frühling, daher würdest du dich nicht erkälten, aber ... «
Goblin Slayer stand von seinem Platz auf und stapfte in Richtung Tür. Ohne sich auch nur einmal zu dem Jungen umzudrehen, sagte er:
»Komm mit.«
Der Anfänger verstand nicht, was hier los war. Er schaute zu, wie der Krieger in der Dunkelheit der Nacht verschwand, und begann dann, selbst in Richtung Ausgang zu hasten.
»H... Hey! Warte! Was entscheidest du hier denn so einfach ... ?!«
Mit der Hand an der Tür drehte der junge Magier sich aber noch einmal um und verbeugte sich.
»Danke für den Tee.«
Dann rannte er los. Die Tür quietschte und damit war auch er verschwunden. Seufzend begann die Gilden Angestellte, ihre Dokumente zu sortieren, und kontrollierte, ob der Tresor ordentlich abgeschlossen war. Natürlich gab es noch Verwalter in dem Gebäude, aber sie war der letzte anwesende Beamte. Sie hatte an diesem Tag so einiges an Überstunden angehäuft, aber sie würde sich deswegen nicht beschweren. Sie griff sich ihren Mantel, zog ihn über und steckte ihre privaten Gegenstände ein.
»Irgendwie hat er wohl auf mich abgefärbt ... «
Mit einem kurzen Kichern beugte sie sich über eine der Lampen am Tresen und spitzte leicht ihre Lippen, fast, als wäre sie kurz davor, jemanden zu küssen. Dann blies sie das Licht aus.
***
Nachdem Goblin Slayer und der Anfänger das Tor der Stadt passiert hatten, blieb der Krieger kurz stehen und schaute zum grünen der beiden Monde hoch.
»Hm ...«, brummte er und stapfte weiter.
»W. ... Was wird das? Wohin bringst du mich?«, fragte der junge Magier nervös.
»Komm einfach mit. Dann wirst du es schon sehen.«
Goblin Slayer setzte stapfend einen Fuß vor den anderen, während der Anfänger ihm fluchend hinterher stolperte, bis er etwas in der Entfernung erkannte. Es war ein Licht, dem sie immer näher kamen. Wenig später fanden sie sich vor einem kleinen Tor wieder, das zusammen mit einem Zaun einige Häuser vom Rest der Welt abgrenzte. Der junge Magier spitzte seine Ohren und hörte das leise Muhen von Kühen.
»Ein Bauernhof …?«
»Was denn sonst?«
»Ich dachte, dass du mich zu einem Gasthaus oder so etwas bringen würdest.«
»Nein«, antwortete Goblin Slayer und öffnete das Tor. Es gab ein knirschendes Geräusch von sich, als ...
»Ach! Du bist wieder da!«, schallte eine Stimme durch die Dunkelheit.
»Uwah?!«
Der Junge erschrak und schaute sich panisch um, bis er erkannte, dass der Ausruf von einem Mädchen gekommen war. Es trug Arbeitskleidung, die seinen äußerst kurvigen Körper verhüllte. Das Mädchen eilte heran und tippte Goblin Slayer verspielt auf die Schulter.
»Willkommen zurück.«
»Ja«, gab dieser zurück. »Ich bin wieder da.«
»Diesmal warst du ziemlich lange weg. Wie ist es gelaufen? Bist du verletzt?«
»Es gab Goblins, aber alles verlief problemlos. Wieso bist du noch wach?«
»Hi hi hi, die letzten Tage bin ich immer ziemlich lange aufgeblieben.«
Die Kuhhirtin verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken und beugte sich nach vorne, was ihren Busen sehr betonte. Der Blick des Jungen wanderte automatisch dorthin und ein leises „Wow, sind die groß“ rutschte ihm heraus.
»Hm?«
Das Mädchen bekam mit, dass der Anfänger etwas gemurmelt hatte, und fragte:
»Wer ist denn der Junge?«
»Ä... Ähm ...«
Da die Kuhhirtin ihm ein wenig näher gekommen war, wollte der Junge instinktiv einen Schritt zurück machen und fiel plumpsend auf seinen Hintern. Wahrend ihm die Röte ins Gesicht stieg, stammelte er:
»I... Ich ... Ich bin Ab ... Abenteurer!«
Noch nie war ein älteres Mädchen ihm so nahe gekommen und er fühlte sich von ihrem süßlichen Geruch ganz betört.
»Er ist neu«, erklärte Goblin Slayer nüchtern.
»Er hat noch keinen Platz zum Schlafen.«
»Oh nein ... Aber ...«
Die Kuhhirtin dachte kurz nach und nickte dann mehrfach.
»Mir soll es recht sein.«
»Gut, danke.«
»Kein Problem. So etwas passt zu dir.«
»Ich möchte mit deinem Onkel reden. Ist er noch wach?«
»Bestimmt.«
»Ach so.«
Während das Mädchen locker mit der Hand wedelte, stapfte Goblin Slayer an ihr vorbei in Richtung des Haupthauses. Der Junge schaute dem Krieger verwirrt hinterher und fragte dann die Kuhhirtin:
»Wer bist du denn? Bist du etwa seine Frau?«
»Ja, oder?«
»Nein.«
Der Krieger hatte anscheinend noch gehört, worüber die beiden geredet hatten. Als Antwort streckte das Mädchen ihm die Zunge raus. Den Anfänger ließ die Frage aber nicht los, weshalb er nachhakte.
»Wer denn dann?«
»Hm... Ich weiß es auch nicht so recht.«
Die Kuhhirtin kicherte.
»Wie dem auch sei, er will wohl, dass du hier übernachtest.«
»Ich verstehe gar nichts! Was ist hier los?!«
»Ach, zerbrich dir nicht so den Kopf. Komm einfach mit rein.«
»Hey, nicht! Lass los!«
»Jetzt benimm dich nicht wie eine verzogene Göre. Komm schon.«
Ein frischgebackener Abenteurer und eine erfahrene Bäuerin. Der Magier hatte keine Chance.
»Auf keinen Fall.«
Das Gleiche galt für den Bauern, mit dem der Junge gerade am Tisch saß. Er war der Besitzer des Hofs und hatte die Bitte von Goblin Slayer, seinem Mieter, geradeheraus abgelehnt.
Die Kuhhirtin, die gleichzeitig die Nichte des Bauern war, protestierte: »Warum denn nicht, Onkel? Eine Nacht kann doch nicht schaden.«
»Also wirklich ...« Der Hofbesitzer seufzte und verzog sein sonnengebräuntes Gesicht. Seine Nichte konnte trotz ihrer eigenen Vergangenheit wirklich naiv sein.
»Woher sollen wir denn wissen, dass er nicht einfach ein dahergelaufener Verbrecher ist?«
»Was?!« Der Anfänger schlug wütend auf den Tisch und brachte damit das Geschirr zum Scheppern. Er lehnte sich nach vorne und zischte:
»Ich soll ein Verbrecher sein?!«
»Halt den Mund!« Mit diesen drei Worten brachte der Onkel den Jungen zum Schweigen. Sie waren ruhig ausgesprochen worden, doch es war klar, dass er keine Widerworte dulden würde. Er war zwar nie gegen das Chaos in die Schlacht gezogen, doch er hatte seinen eigenen Kampf gekämpft, um sich und seine Familie zu ernähren, und er würde das Erreichte jetzt nicht für einen dahergelaufenen Abenteurer riskieren.
»Jemandem, der sich so verhält, werde ich nicht vertrauen.«
Es war allgemein bekannt, dass viele Abenteurer der Gilde Schufte waren. Die Organisation bürgte für sie, solange sie sich benahmen, aber für einen Frischling, der sich noch keinen Ruf erarbeitet hatte, war es schwer, das Vertrauen fremder Leute zu gewinnen. Natürlich hieß das nicht, dass sie wie Verbrecher behandelt werden sollten, aber wenn ein neuer Abenteurer so aufsässig war wie der junge Magier, hatte er es schwer. Der Besitzer des Hofs ergriff erneut das Wort und sagte zu seiner Nichte:
»Du weißt schon, dass du eine junge Frau bist. Was willst du denn machen, wenn er versucht, sich an dir zu vergreifen?«
»Onkel, du machst dir zu große Sorgen ... «
»Du hältst auch den Mund!«, fuhr er die Kuhhirtin streng an.
»Na gut ...«
Goblin Slayer schaute zu dem Schuppen, in dem er seine Ausrüstung lagerte.
»Wie wäre es, wenn er dort schläft?«
»Sollte ihr«, der Onkel zeigte auf seine Nichte, »irgendwas passieren, übernimmst du dann die Verantwortung?«
»Nein, deshalb werde ich die ganze Nacht Wache halten.«
Der Hofbesitzer knirschte widerwillig mit den Zähnen und suchte noch Widerworten, doch er konnte keine finden. Wieso war der Kindheitsfreund seiner Nichte so? Der Alte wusste, was ihm zugestoßen war, doch verstehen konnte er ihn trotzdem nicht. Er ballte seine Hände zu Fäusten, doch spürte dann, wie sich die Hände der Kuhhirtin zärtlich auf seine legten.
»Onkel...«
»Macht, was ihr wollt ...« ,
Trotz seiner Bedenken brachte der Hofbesitzer es nicht übers Herz, den Wunsch seiner Nichte einfach zu übergehen. Genauso wenig, wie er es nicht übers Herz brachte, so einen erschöpften jungen Mann einfach vor die Tür zu setzen. Er schaute zu Goblin Slayer.
»Sieh zu, dass du auch ein wenig Schlaf bekommst.«
»Es tut mir leid«, antwortete der Krieger.
»Du musst dich nicht entschuldigen. Für einen Abenteurer ist sein Körper doch sein Kapital.«
»So ist es.«
Goblin Slayer lebte hier schon lang genug, um zu wissen, dass der Hofbesitzer sich nicht sonderlich darüber freute, wenn man sich bei ihm bedankte. Deshalb griff er in seine Tasche, holte einen Geldbeutel hervor und legte ihn auf den Tisch.
»Das ist für diesen Monat.«
»Gut.«
Auch wenn es keine richtige Form der Danksagung war, wusste der Krieger, wie der Bauer diese Geste verstehen würde. Als dieser seufzend den Beutel an sich nahm, stand Goblin Slayer auf und wandte sich dem Anfänger zu.
»Wir gehen.«
»J ... Ja ... «
Die beiden machten sich daran, das Haus zu verlassen, doch die Kuhhirtin schnellte hoch, hielt ihren Kindheitsfreund am Ärmel fest und fragte flüsternd: »Sag mal, was steht morgen auf dem Plan?«
»Es hängt von den Aufträgen ab, aber wir sind gerade erst heimgekehrt. Die anderen werden sich vermutlich ausruhen wollen.«
Das Mädchen kratzte sich an der Wange. Eigentlich hätte sie mit so einer Antwort rechnen sollen, aber irgendwie hatte sie sich doch Hoffnungen gemacht ... Seufzend sagte sie:
»Ich wollte wissen, was du machst ...«, aber ließ ihn dann von der Leine.
Mit einem „Ich werde morgen Frühstück machen“ verabschiedete sie sich.
»Ja«, gab der Krieger zurück und wünschte eine gute Nacht.
Dann trat er zusammen mit dem Jungen nach draußen und wenig später trafen sie im Schuppen ein. Eine rußverschmierte Lampe schenkte nur schwaches Licht, aber der junge Magier schaute sich trotzdem, so gut es ging, um. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Regale waren mit allem möglichen Krempel vollgestopft und der Anfänger fühlte sich ein wenig, als würde er im Zimmer seines Lehrmeisters der Akademie stehen. Das gefiel ihm gar nicht. Aber der Umstand, dass er auf einem Strohhaufen in einer Ecke schlafen sollte, störte ihn mehr. Auf die Frage, wie das denn bitte gehen solle, bekam er die Anweisung, seinen Umhang als Unterlage zu nutzen. Meckernd legte er sich hin.
Dann fragte er:
»Wer sind denn diese Leute? Wenn die Bäuerin nicht deine Frau ist, dann sind sie nicht deine Familie, oder?«
»So ist es.«
Während der Anfänger merkte, dass der Strohhaufen doch nicht so ungemütlich war wie gedacht, setzte Goblin Slayer sich in den Türrahmen. »Ich weiß nicht, wie die beiden darüber denken.«
»Was meinst du damit?«
»Ich kenne sie schon lange. Den Besitzer und das Mädchen. Sie ist so etwas wie seine Tochter.«
Danach schwieg der Krieger. Der Anfänger schaute ihn noch für einige Momente erwartungsvoll an, aber als er merkte, dass er keine weiteren Informationen erhalten würde, ließ er seinen Blick erneut über die Regale schweifen. Darin gelagert waren Knochen von irgendwelchen Lebewesen, mysteriöse Fläschchen, ein seltsames Wurfmesser mit drei Klingen und viele weitere Dinge, bei denen der Junge sich nicht vorstellen konnte, wie sie einzusetzen waren.
Nach einer Weile richtete er seinen Blick wieder auf Goblin Slayer, welcher sich scheinbar keinen Millimeter bewegt hatte. Der junge Magier fragte ihn: »Willst du nicht schlafen?«
»Ich kann auch mit einem offenen Auge schlafen.«
»Erst zwingst du mich dazu, hierherzukommen, und jetzt verdächtigst du mich ... Na toll ... «
»Nein.«
Goblin Slayer schüttelte leicht seinen Kopf.
»Ich halte mich bereit, falls Goblins auftauchen sollten.«
»Hä?«
»Weil ich im Schuppen schlafe, muss ich schnell genug reagieren, um sie retten zu können.«
»Wovon redest du?«
»Zumindest so viel solltest du wissen, wenn du Goblins töten willst.«
Der Junge drehte sich auf den Rücken und starrte wieder an die Decke, genauer gesagt auf die Lampe, die von der Decke hing. Er probierte, mit einem offenen Auge zu schlafen, und konnte es sich selbst bei diesem schwachen Licht nicht vorstellen.
»So krasse Maßnahmen sind doch nicht nötig.«
»Wenn du so denkst, dann soll mir das recht sein«, erwiderte Goblin Slayer. »Und jetzt schlaf. Ich bring dich morgen zur Gilde.«
Was denkt der Kerl sich bloß ... Der junge Magier verstand den Krieger nicht. Er hatte sich vermutlich von der scheinbar ausweglosen Situation des Anfängers beeinflussen lassen, aber warum war er so weit gegangen, um ihm zu helfen? Wieso ließ er einen unbekannten Abenteurer, den er noch nie gesehen hatte, bei sich übernachten? Warum hatte er sich so viel Mühe gegeben, seine Frau, Familie oder was auch immer die waren zu überreden? War er vielleicht jemand, der neue Abenteurer ausraubte?
Nein, das kann nicht sein, der ist doch auf dem Silber-Rang. Dass die Gilde ihn falsch eingestuft hatte oder die Gilden Angestellte mit ihm unter einer Decke steckte, war sehr unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz, mit dieser dreckigen Rüstung ist er irgendwie gruselig ... Um Goblin Slayer nicht ständig aus seinem Augenwinkel sehen zu müssen, drehte er dem Krieger den Rücken zu. Ist er trotz seines Aussehens vielleicht einfach nur nett? Nein, der junge Magier beschloss, dass das auch nicht der Fall sein konnte. Er überprüfte vorsichtig, ob der versteckte Dolch unter seiner Kleidung noch da war. Der soll ja nicht denken, dass er mich ohne Gegenwehr töten kann!
Fest in dem Glauben, dass er jemand war, der nicht einfach so unachtsam wurde, versank der Junge langsam ins Reich der Träume.
»Hm... Was …?
Als der Anfänger aufwachte, war das erste Geräusch, das er vernahm, ein unregelmäßiges Klopfen. Er setzte sich auf und obwohl er seine Brille nicht aufhatte und deshalb so gut wie nichts sehen konnte, wusste er, dass er sich nicht in seinem Zimmer in der Akademie befand. Ein Grund dafür war, dass das Bett, auf dem er geschlafen hatte, aus Stroh war. Vorsichtig tastete der junge Magier sein Nachtlager nach seiner Brille ab und nachdem er sie gefunden hatte, setzte er sie rasch auf. Das dumpfe Licht der Lampe war hellen Sonnenstrahlen gewichen, die durch Löcher in der Wand in den Schuppen fielen. In ihnen tanzte Staub.
»Ah, ja ...«
Der Junge erinnerte sich, was geschehen war. Goblin Slayer hatte ihn dazu genötigt, hier zu schlafen, und an der Tür Platz genommen, um Wache zu halten. Doch wo war der Krieger jetzt? Wenn der Anfänger den Stand der Sonne richtig schätzte, konnte es erst kurz nach Morgengrauen sein.
»Ts ... Keine Ahnung, aber mein Umhang ist jetzt voller Stroh.«
Der Magier stand auf, schnappte sich das Kleidungsstück, das er als Unterlage verwendet hatte, und schüttelte es aus. Er bekam nicht alles raus - damit würde er leben müssen - und warf sich das Kleidungsstück über. Dann verließ er den Schuppen.
»Uwah... Das ist echt kalt.«
Auch wenn der Frühling bereits angebrochen war, lag noch ein Hauch von Winter in der Luft. Der Anfänger schob seine Arme tief unter seinen Umhang, damit ihm nicht noch kälter wurde, und lief in Richtung des Eingangs des Haupthauses - oder zumindest dorthin, wo er jenen vermutete. Auf dem Weg kam er an einem einfachen Brunnen mit Überdachung vorbei. Über dem Brunnen war ein Querbalken angebracht, durch den ein Seil gezogen war. Am einen Ende des Seils war ein Stein und an dem anderen ein Eimer befestigt. Der Junge griff sich die Seite mit dem Stein und zog diesen aus dem Brunnen, wodurch sich der Eimer in die Tiefe senkte und mit Brunnenwasser füllte. Dann ließ er das Steingewicht fallen und zog an der Seite des Seils, an dem der Eimer befestigt war, um ihn wieder nach oben zu holen. Er legte kurz seine Brille ab und spritzte sich etwas Brunnenwasser ins Gesicht. Die Kälte des Wassers nahm ihm kurz den Atem, doch half ihm, die restliche Müdigkeit, die noch an ihm hing, abzuschütteln. Er trocknete sich das Gesicht mit seinem Umhang ab und nutzte dann noch etwas Wasser, um sich den Mund auszuspülen. Es war eine wilde Art von Morgenhygiene, doch immer noch besser als keine.
»Hm?«
In diesem Moment vernahm der Anfänger erneut das unregelmäßige Klopfen, das er bereits direkt nach dem Aufwachen gehört hatte. Es klang nicht nach einer Tätigkeit, der jemand auf einem Bauernhof nachgehen würde, und, neugierig wie der Junge war, wollte er natürlich wissen, was dort vor sich ging.
»Hoppla. Das geht doch nicht!«
Weil der junge Magier merkte, dass er seinen Stab im Schuppen liegen gelassen hatte, holte er ihn schnell und schlich sich dann vorsichtig an die Geräuschquelle heran. Wegen des schleierartigen Nebels, der sich gerade noch langsam über die Wiesen schob, konnte er zuerst nichts weiter als einen Umriss erkennen, doch als er nah genug herankam, sah er, dass es sich um Goblin Slayer handelte.
»Hey, was machst du da?«
»Ich trainiere.«
Der Krieger stand gerade vor einer Zielscheibe, die er am Zaun befestigt hatte, und war dabei, Waffen - genauer gesagt ein Messer, einen Kurzspeer, ein Schwert, eine kleine Axt und ein Hackebeil - aus ihr herauszuziehen. Im Gras verteilt lagen auch Steine, wobei der Anfänger sich nicht sicher war, ob Goblin Slayer diese auch geworfen hatte.
»Wieso wirfst du deine Nahkampfwaffen? Ohne sie kannst du doch nicht mehr kämpfen. Ist das nicht vollkommen schwachsinnig?«
»Dann nehme ich mir halt die Waffe meines Gegners.«
Goblin Slayer strich mit der Fingerspitze über das herausgezogene Messer, um die Klinge zu überprüfen.
»Goblins haben mehr als genug Waffen.«
»Wäre es nicht klüger, gleich bessere Waffen mitzunehmen?«
»Ist das so?«
»Goblins kann man doch eh mit einem Zauber fertigmachen.«
»Ist das so?«
»Außerdem, solltest du dich nicht ausruhen?«
»Als ich das letzte Mal Pause gemacht habe, sind meine Bewegungen träge geworden.«
Goblin Slayer machte ein paar Schritte von der Zielscheibe weg und ließ die herausgezogenen Waffen einfach ins Gras fallen.
»Ich muss sichergehen, dass ich immer bereit bin.«
Mit diesen Worten drehte sich der Krieger blitzschnell der Zielscheibe zu, schnappte sich in der Bewegung eine der Waffen und warf sie. Mit einem dumpfen Klopfen fand das Messer sein Ziel. Dies wiederholte Goblin Slayer mit allen Waffen, die auf dem Boden lagen, und zog sie dann wieder aus der Scheibe. Das Ganze wiederholte er immer und immer wieder. Wie langweilig, dachte sich der Junge und gähnte ausgiebig. Während er sich die Augen rieb, sagte er:
»Was hast du denn davon, die ganze Zeit mit einem unbeweglichen Ziel zu trainieren?«
»Das weiß ich nicht.«
»Und hängt die Zielscheibe nicht seltsam niedrig?«
»Auf der Höhe befindet sich bei Goblins die Kehle.«
Der Anfänger schaute dem Krieger noch eine Weile bei seinem Training zu, bis die Kuhhirtin den beiden schließlich zurief, dass das Frühstück fertig sei.
»Verstanden«, antwortete Goblin Slayer und wandte sich dann dem jungen Magier zu.
»Lass uns gehen.«
Pah! Hoffentlich gibt es was Ordentliches zu beißen! Träge und unwillig folgte der Junge Goblin Slayer. Wenn nicht, werfe ich den Tisch um!
***
Zum Frühstück gab es Eintopf. Der Junge nahm sich dreimal Nachschlag.
***
»Urgh...«
»Du hast zu viel gegessen.«
Goblin Slayer und der junge Magier hatten gerade das Tor der Stadt passiert und standen vor dem Gebäude der Gilde. Auf dem Weg hierher hatte der Anfänger sich beim Gehen auf seinen Stab stützen müssen, weil er sich den Bauch beim Frühstück zu vollgeschlagen hatte. Wer es nicht besser wusste, hätte glauben können, dass er gerade ein grandioses Abenteuer hinter sich gebracht hätte.
Sobald er mit Goblin Slayer die Eingangshalle der Gilde betreten hatte, ließ er sich erschöpft auf einer Bank nieder und schaute sich um. Auch heute war wieder viel los.
»Uwääärgh ... «
»Nur weil wir es gestern in den Ruinen bis zum Aufzug geschafft haben, musstest du Idiot dich doch nicht so volllaufen lassen! Kein Wunder, dass du jetzt solch einen massiven Kater hast!«
»Ich dachte, dass der Alkohol mir neue Kräfte schenken würde ... «
»Spare dir deine dummen Ausreden!«
Weil er erkannte, dass er nicht der Einzige hier war, der absolut durchhing, fühlte sich der Anfänger tatsächlich ein wenig besser. Er schaute zu Goblin Slayer, der sich ihm gegenüber auf eine Bank gesetzt hatte.
»Gut, ich mach mich dann auf. Geh du erst einmal in der Kanalisation nach diesen ... ähm ... Riesen ... Wie hießen die noch einmal ... Ach so, ja. Geh Ratten jagen.«
»Ich werde ... Goblins bekämpfen ... gehen ... «
»Ist das so?«
Ohne weitere Worte zu verlieren, stand der Krieger auf und ging mit stapfenden Schritten zu dem Platz, auf dem er immer saß. Noch vor einem Jahr hatte er dort allein gesessen, doch jetzt war alles anders. Jetzt war der Platz der Ort, an dem er sich mit seinen Kameraden traf. Auch heute war es so. Der Echsenmensch, der Zwerg, die Elfe und die Priesterin warteten bereits auf ihn. Doch irgendetwas lag in der Luft.
»Goblin Slayer ..., sagte die Priesterin mit zitternder Stimme.
»Was ist?«
»Sie möchte wohl wegen des Rangaufstiegs mit dir reden«, antwortete die Elfe für ihre Kameradin.
»Stimmt. Es wird so langsam mal Zeit, nicht wahr?«
Abenteurer wurden in zehn Ränge eingeteilt, von denen der höchste Platin und der niedrigste Porzellan war. Wer genügend Erfahrungspunkte gesammelt hatte, dem wurde es erlaubt, im Rang aufzusteigen. So war es auch im Falle der Priesterin gewesen, als sie vom Porzellan- auf den Obsidian-Rang aufgestiegen war. Goblin Slayer konnte sich nicht mehr daran erinnern, was für ein Monster sie besiegt hatten, bevor ihr der erste Rangaufstieg erlaubt worden war, aber danach hatten sie noch viele weitere Aufträge erledigt. Deshalb war er der Meinung, dass sie jetzt eigentlich erneut im Rang aufsteigen dürfen müsste. Weil sie aber gerade so angeschlagen war ...
»Hat es etwa nicht geklappt?«
»Ja, anscheinend nicht. Und das trotz eines Empfehlungsschreibens«, antwortete die Elfe.
Die Priesterin bestätigte die Aussage der Elfe mit einem traurigen Nicken und erklärte:
»Sie sagten, dass ich nicht genügend zu dem Erfolg unserer Aufträge beigetragen hätte ... «
»Wahrscheinlich haben sie dieses Urteil daran festgemacht, dass wir anderen alle den Silber-Rang tragen«, murmelte der Echsenmensch.
Der Zwerg schnaufte unzufrieden durch die Nase.
»Sicher denken sie, dass wir das Mädchen einfach mitgeschleppt haben, damit sie Erfahrungspunkte sammeln konnte.«
»Hm ...«, brummte Goblin Slayer.
Obwohl er verstand, wie man auf diese Idee kommen könnte, fand er das Urteil nicht in Ordnung. Er schielte rüber zur Anmeldung, wo die Gilden Angestellte beschäftigt hin und her flitzte. Sie bemerkte seinen Blick und hielt kurz in ihrem Treiben inne, um ihre Hände zusammenzulegen, als wolle sie sich bei ihm entschuldigen. Der Krieger wusste, dass es nicht ihre Schuld war. Sie war nur ein Rädchen in der riesigen Maschine, die sich Gilde nannte, und es gab genügend andere Leute, die auf solch eine Entscheidung Einfluss nahmen. Natürlich war persönlicher Einsatz unabdingbar, aber selbst damit konnte man nicht alles erreichen.
»Ä ... Ähm, kümmert euch nicht darum.«
Die Priesterin versuchte tapfer, sich zusammenzureißen. Wahrscheinlich tat es ihr leid, dass ihre Kameraden sich so um sie sorgten.
»Wenn ich mich weiterhin anstrenge, werden sie sicher sehen, dass ich einen Rangaufstieg verdient habe!«
»Ja, wenn wir ihnen beweisen, wozu du fähig bist, werden sie dem Aufstieg sicher zustimmen!«
Während der Zwerg versuchte, das jüngste Gruppenmitglied aufzumuntern, dachte der Echsenmensch einige Momente nach, bevor er mit seinem Schwanz auf den Boden schlug und sagte:
»Wir Echsenmenschen legen großen Wert darauf, dass unsere Kampfkünste an die nächste Generation weitergegeben werden.«
»Das ist es.«
Die Elfe versuchte, mit den Fingern zu schnipsen, doch schaffte es nicht. Mit einem grummeligen Gesichtsausdruck versuchte sie es erneut, doch es klappte wieder nicht, weshalb der Zwerg leise kichern musste,
»Was denn?!«
»Nichts, nichts. Was ist dir denn jetzt eingefallen?«
»Ich weiß, warum du gelacht hast, aber das werde ich dir irgendwann anders heimzahlen. Um zum Thema zurückzukommen, wie wäre es denn, wenn unsere liebe Priesterin mit einem anderen Obsidian oder einem Porzellan-Rang-Abenteurer einen Auftrag erledigt? Dann müssen sie doch ihr Können anerkennen, oder?«
»Das stimmt allerdings. Vielleicht würde sie sogar Extrapunkte dafür kriegen, dass sie jemandem etwas beibringt.«
»Ähm ...«
Die Priesterin setzte einen verunsicherten Gesichtsausdruck auf.
»Also soll ich mit anderen als euch auf ein Abenteuer gehen?«
»So ist es«, antwortete Goblin Slayer nüchtern.«
»Das ist keine schlechte Idee.«
»Damit ist es entschieden.«
Die Elfe wackelte stolz mit ihren Ohren.
»Such dir am besten jemanden, der noch auf Porzellan-Rang ist!«
Während die Gruppe das Mädchen mit allen möglichen Ratschlägen überflutete, näherte sich eine Person von hinten und rief:
»Pah! Jemand, der so ängstlich und bestimmt auch feige ist, wird sicherlich nicht weiter aufsteigen können!«
Die Abenteurer rund um den Krieger drehten sich um und erkannten, dass der junge Magier mit den roten Haaren hinter ihnen stand. Aus Reflex wollte die Priesterin ihn freundlich begrüßen, doch sie hielt sich zurück. Mit grimmigem Gesichtsausdruck erwiderte sie:
»I... Ich bin gar nicht ängstlich!«
»Ach? Dabei habe ich gehört, dass alle Priester Angsthasen sein sollen. Hä hä hä!«
Der verächtliche Unterton in den Worten des Anfängers war nicht zu überhören.
»Wenn sie Probleme haben, machen sie doch nichts weiter, als ihren Gott um Hilfe anzuflehen!«
»Wie kannst du es wagen?!«
Die Priesterin lief vor Wut rot an. In einem Ton, der für sie wirklich ungewöhnlich war, gab sie zurück:
»Das stimmt gar nicht. Ich habe schon viel ... «
Mitten im Satz fehlten ihr auf einmal die Worte. Was hatte sie denn schon aus eigener Kraft erreicht? Sie tat nichts weiter, als den Befehlen ihrer Kameraden zu folgen, und um sie zu beschützen, musste sie sich auf die Erdmutter verlassen. Mit zitternden Händen starrte sie auf ihre Füße, was der Junge als Sieg ansah und stolz die Brust herausstreckte.
»Wer so über andere spricht, der muss sich nicht wundern, wenn auch über sie geredet wird.«
Der Echsenmensch baute sich vor dem Anfänger auf, der erschrocken einige Schritte nach hinten auswich.
»Mit deinen Beleidigungen hast du nicht nur die werte Priesterin, sondern auch mich als Mönch beleidigt!«
Der Mönch machte eine sonderbare Bewegung mit seinem Hals, die dafür sorgte, dass der junge Magier sich umschaute. Er erkannte, dass viele Abenteurer in ihrem Treiben Halt gemacht hatten und ihn und die Priesterin anstarrten.
»In dieser Welt wirst du es schwer haben, wenn du ohne den Schutz der Götter leben möchtest«, zischte der Echsenmensch dem Jungen zu, bevor das große Getuschel ausbrach.
Priester, Mönche, Kleriker und andere Diener Gottes waren der Stützpfeiler vieler Abenteurergruppen und selbst wenn eine Gruppe kein Mitglied dieser Art besaß, konnte sie zu einem Tempel gehen, um dort Heilung und Beistand zu erhalten. Ohne ihre Hilfe hätten noch weitaus mehr Abenteuer in einem Desaster geendet. Genau deswegen war es so erschreckend, dass der Anfänger es gewagt hatte, in aller Öffentlichkeit über sie herzuziehen, und ihm dämmerte in diesem Moment, was er sich selbst und seinem Ruf damit angetan hatte. Mit wütenden Schritten kam die Heilige in Ausbildung auf den jungen Magier zu gestapft und schrie:
»Sag mir das von eben noch mal ins Gesicht!«
»Lass das, du Idiotin. Wir gehen Ratten besiegen. Ratten. Das ist ein gutes Training.«
»Loslassen! Lass mich los! Ich werde es ihm zeigen! Jetzt lass mich los!«
Der Anfänger hatte Glück, dass der Kamerad der Heiligen, der junge Krieger, sie gerade noch aufhielt, sonst wäre sie wahrscheinlich mit seinem Stab auf ihn losgegangen. Nach einigen Sekunden der Schockstarre begann der junge Magier, sich wieder zu bewegen. Anstatt sich aber zu entschuldigen, richtete er seinen Stab auf Goblin Slayer und verkündete in seiner rotzfrechen Art: »Ich bin auch Abenteurer! Wieso also machst du aus der Jagd nach Goblins so ein Riesending und meinst, mir nichts darüber erzählen zu müssen? Du verbietest mir, Notizen zu machen, und sagst mir, ich soll Ratten jagen gehen, aber das kannst du dir sonst wohin stecken! Ich werde Jagd auf Goblins machen!« Einige der zuschauenden Abenteurer gaben Laute der Verwunderung von sich. Abenteurer zu sein, hieß, dass man für sich selbst verantwortlich war und für die Dinge einstand, die man sagte. Somit war das Selbstvertrauen, das der Anfänger an den Tag legte, wirklich beeindruckend.
Die Elfe zeigte sich davon jedoch vollkommen unbeeindruckt. Sie verschränkte ihre Arme und schaute zu Goblin Slayers Helm hoch.
»Hey, Orcbolg. Ist das dein kleiner Bruder?«
»Nein«, antwortete der Krieger.
»Ich hatte nur eine ältere Schwester.«
»Ach so.«
Die Waldläuferin zuckte mit ihren Schultern.
»Ich dachte nur, dass ich so komische Sprüche sonst eigentlich nur von dir höre.«
»Ist das so?«
»Nun ja, aber wer ist er denn dann?«
»Ein Anfänger«, entgegnete Goblin Slayer, der weder den Jungen noch die Elfe oder die Priesterin anschaute.
»Anscheinend ein Magier.«
Der Krieger dachte nach. Das Mädchen war jetzt sechzehn und erst seit einem Jahr Abenteurerin. Wie sollte er ihr, deren Selbstbewusstsein gerade zerschmettert worden war, wieder auf die Beine helfen?
»Dann ist es ja entschieden!«, mischte sich jemand ein.
»Ich habe alles gehört! Als rechtschaffene Ritterin der Ordnung ist es meine Pflicht, einzugreifen!«
Es war die Ritterin, deren Grinsen verriet, dass sie die Situation äußerst amüsant fand. Ihr Kamerad, der Panzerkrieger, stand hinter ihr und legte seine Hände zusammen, als wolle er sich bei Goblins Slayers Gruppe entschuldigen. Anscheinend hatte er sie nicht aufhalten können.
»Was ... Wer bist du denn? Das geht dich doch nichts an!«, keifte der Anfänger sie an.
»Ha ha ha! Schon bald wird mein Name in aller Munde sein, deshalb verzeihe ich dir jetzt, dass du mich noch nicht kennst!«
Mit diesen Worten baute die Ritterin sich vor dem jungen Magier auf.
»Hör mir gut zu, Bursche! Ich habe eine gute Idee!« Sie schnippte und das Geräusch, das dabei entstand, hallte im gesamten Raum wider, was dafür sorgte, dass die Elfe neidisch zu schmollen begann.
»Wie wäre es, wenn du Goblins vertreiben gehst?«
»Das hab ich doch eh vor!«
»Ja, das hast du bereits verkündet!«
Die Ritterin schwang ihren Finger wie ein Schwert durch die Luft.
»Aber du wirst eine Gruppe mit der Priesterin bilden und sie übernimmt die Führung!«
»Hä?!«
Das Mädchen sprang auf und ließ ihren Blick verwirrt zwischen dem Anfänger und der Ritterin hin und her wandern.
»I... Ich soll mit dem J ... Jungen ...? Und dann soll i ... ich auch noch d ... die Führung ...?«
»Wieso soll sie die Führung übernehmen? Was ist das denn für eine unfaire Bedingung?«
»Bursche, eine Ritterin ist immer gerecht! Außerdem hast du meiner Idee schon zugestimmt!«
»Hä? Wann das denn bitte?«
»Schluss mit den Widerworten!«
Während der Panzerkrieger beschämt an die Decke schaute, schien seine Kameradin den ganzen Trubel sehr zu genießen. Irgendwie hatte er erwartet, dass die Götter sie für ihr Verhalten bestrafen würden, doch es geschah nichts. Um sie herum nahm die Geräuschkulisse stetig zu, doch Goblin Slayer fragte den Echsenmenschen seelenruhig:
»Was denkst du?«
»Sein fehlendes Verständnis geht wohl auf einen Mangel an Erfahrung zurück, aber Mumm hat er allemal. Die Frage ist, wie es um seine Fähigkeiten steht.«
»Auch wenn wir nicht wissen, welche Zauber er beherrscht, wird er sie wohl ein- oder zweimal einsetzen können, oder?«
»Ich denke, dass er ein ungeschliffener Edelstein ist.«
Der Zwerg strich sich über den Bart.
»Er wurde gerade erst aus dem Stein geschlagen, aber er könnte glänzen, wenn man ihn richtig bearbeitet.«
»Also sollten wir ihn trainieren?«
»Es könnte sich lohnen.«
»Dann ist es entschieden.«
Eine grobe Hand klopfte Goblin Slayer auf die Schulter. Sie gehörte dem Panzerkrieger, der zu ihm sagte:
»Es ist selten, dass du solch ein Interesse an anderen Abenteurern zeigst.«
»Ich weiß nicht, ob ich es als Interesse bezeichnen würde«, antwortete der Krieger leicht verwirrt.
»Oder?«
»Nun ja, Ansichtssache, würde ich sagen.«
»Na dann, aber wieso habt ihr euch überhaupt in unsere Angelegenheit eingemischt?«
»Wir haben gar nichts gemacht, sie war das.«
Der Panzerkrieger deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der Ritterin. Auch wenn Goblin Slayers Frage abweisend geklungen haben mochte, war er der Ritterin für ihr Eingreifen dankbar. Sie war zu seiner Hilfe gekommen, als er nicht gewusst hatte, was er zu der Priesterin hatte sagen sollen. Deswegen sagte er zu dem Panzerkrieger:
»Entschuldige und danke.«
»Mach dir mal keinen Kopf.«
Der Panzerkrieger kratzte sich leicht verlegen an der Wange.
»Ich bin dir viel schuldig. Ich werde mich nach und nach bei dir revanchieren.«
»Du bist mir etwas schuldig?«
»So ist es.«
»Ach so. Ich dachte, dass es andersherum wäre.«
»Dann revanchiere dich einfach auch nach und nach bei mir.«
»Ach so.«
»Und worüber denkst du nach?«
»Wie man Goblins töten kann.«
»Natürlich, was auch sonst.«
Das Gesicht des Panzerkriegers war gleichzeitig von einem Lächeln und einem Stirnrunzeln gezeichnet. Jeder, der Goblin Slayer kannte, hatte bereits ähnliche Worte von ihm gehört und wusste, dass er nichts weiter als Goblins im Kopf hatte.
»Aber ... «, sagte genau dieser Goblin Verrückte und ließ seinen Blick durch die Eingangshalle der Gilde wandern.
Er sah, wie die Ritterin und der Anfänger sich anschrien. Wie die Elfe noch ein paar Mal zu schnipsen versuchte, um sich dann mitten in die Diskussion zu werfen. Wie der Zwerg und der Echsenmensch irgendwelche Pläne diskutierten. Wie die Inspektorin und die Gilden Angestellte hinter der Anmeldung lachten. Wie der Speerkämpfer und die Hexe herangeeilt kamen, um das Geschehen zu beobachten. Und wie die Priesterin selbst schnipsen wollte und dabei ein Geräusch erzeugte, das fast genauso laut wie das der Ritterin war. Es war der gleiche Anblick wie immer. Die Anwesenden würden wechseln und durch andere ersetzt werden, aber bestimmt würde es weiterhin so bleiben.
»Aber ich hoffe auch, dass alles gut verläuft.«
»Das tue ich auch.«
Mit einem herzlichen Lachen klopfte der Panzerkrieger erneut auf Goblin Slayers Schulter.
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