[Biete] Goblin Slayer Lightnovel [Deutsch][Kapitel 128/128][Update 01.03.23][PDF: Gesamtausgabe v_0.11.140 ]

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 50
Der junge rothaarige Magier.


»Nein, allein ist das doch nicht machbar, oder?«​
»Warum denn nicht? Ich weiß, dass vor langer Zeit zwei Helden allein einen Dämonenfürsten besiegt haben!«​
»Ja, aber die waren auch auf dem Platin-Rang. Sie sollten lieber eine Gruppe bilden oder einer beitreten.«​
»Nach meinem Urteilsvermögen gibt es hier keine passenden Abenteurer.«​
»Hm ... Das ist ein Problem «​
Die Gilden Angestellte stand hinter der Anmeldung und spielte mit ihrem Zopf. Die Sonne war schon lange untergegangen und während einige Abenteurer bereits ihre abgeschlossenen Aufträge feierten, waren andere noch unterwegs. Die Beamtin war die einzige Angestellte, die sich noch in der Eingangshalle befand, und eigentlich hätte sie den jungen Abenteurer längst wegschicken sollen, aber sie brachte es nicht übers Herz. Mit einem tiefen Seufzer stand sie auf. Dann zwinkerte sie dem jungen Mann zu und sagte:​
»Ich werde einen Tee aufsetzen. Schließlich warte ich auch.«​
Als Goblin Slayer mit seiner Gruppe das Tor der Stadt im Grenzland passierte, war es schon späte Nacht. Die Straßenlichter waren längst erloschen und nur das Licht der zwei Monde und der Sterne erhellte die Dunkelheit.​
»Ngh ... Hah ... S ... Sind wir da?«​
»Ja, wir sind da, Langohr.«​
»Die werte Priesterin schläft bereits.«​
»Mhm ... Um ... «​
Die Elfe schleppte sich mit hängenden Ohren nach vorne, während die Priesterin längst auf dem Rücken des Echsenmenschen eingeschlafen war. Die restlichen Mitglieder der Gruppe warfen sich gegenseitig einen Blick zu. Sie hatten Blut, Schweiß, Schmutz und Dreck der letzten Tage im Gesicht.​
»Kümmer dich bitte darum, werter Goblintöter.«​
»Ja, und ihr euch bitte um euren Teil.«​
»Klar doch. Komm, Langohr, reiß dich zusammen!«​
»U ... Urgh ... Ich will einfach nur ins Bett ... «​
»Ja, aber bitte nicht auf der Straße. Die Straße ist kein Ort zum Schlafen.«​
Der Zwerg stupste die Waldläuferin, die sich die Augen rieb, an, um sie zum Weiterlaufen zu bewegen. Sie nächtigte derzeit im Obergeschoss der Gilde, wo sie, typisch für einen Abenteurer, ein Zimmer gemietet hatte.​
»Dann bis morgen.«​
»Ja.«​
Der Echsenmensch legte seine Hände in einer mysteriösen Bewegung zusammen, worauf Goblin Slayer mit einem Nicken antwortete. Der Krieger schaute seinen Kameraden noch eine Weile hinterher und bekam so mit, wie die Priesterin kurz ihre Augen öffnete und murmelte:​
»Hm ... Gu ... te ... Na ... cht ... «​
»Hm ...«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf und im selben Moment schoss ihm das Wort „Kameraden“ durch den Kopf.​
Vor einem Jahr war er noch allein unterwegs gewesen, doch jetzt konnte er sich kaum mehr vorstellen, wie es ohne sie gewesen war. Durch sie hatte er so viele Sachen gelernt und auch weitaus mehr Möglichkeiten, um seine Aufträge zu erledigen. Er hätte nie gedacht, dass weitere Leute in seiner Gruppe so einen großen Unterschied machen würden. Nachdenklich öffnete er die Tür des Gildengebäudes und betrat die Eingangshalle. Verwundert hielt er kurz inne, denn es brannte tatsächlich noch Licht. Er hatte schauen wollen, ob noch ein Angestellter da war, bei dem er kurz Bericht erstatten konnte, aber er hatte nicht damit gerechnet, wirklich jemanden anzutreffen.​
Goblins?
Reflexartig schoss Goblin Slayers Hand zu seiner Waffe und er begann, sich schleichend tiefer in den Raum hineinzubewegen. Auf manche mochte sein Verhalten lächerlich wirken, doch ihm kam das nicht in den Sinn. Schließlich war es schon häufig genug vorgekommen, dass Goblins plötzlich in Städten aufgetaucht waren. Der Krieger ließ seinen Blick über einige Bänke wandern und blieb bei einem Schatten hängen, der sich leicht zu bewegen schien. Bei dem Versuch, sich ebendiesem zu nähern, knarrte plötzlich der Fußboden.​
»Hm... Mhm?«​
Goblin Slayer erkannte, dass es sich um einen Menschen handelte, der mit einer Decke auf einer Bank geschlafen hatte. Dieser richtete sich auf, rieb sich die Augen und gähnte kurz. Es war der junge Abenteurer mit den roten Haaren.​
»Hm ... Muss ich etwas schon aufstehen ...?«​
Blinzelnd öffnete er die Augen und es dauerte einige Sekunden, bis er erkannte, dass jemand vor ihm stand. Erschrocken rief er:​
»Uwah?!«​
»Hmpf ...«, schnaubte der Krieger, während der Schrei des Jungen durchs Gebäude hallte.​
»Ah! Was?!«, kam direkt darauf ein Schrei aus der Richtung der Anmeldung.​
»G... Goblin Slayer?! Ich hab nicht geschlafen! Ich war die ganze Zeit wach!«​
Es war die Gilden Angestellte, die vor Schreck von ihrem Stuhl aufgesprungen war. Sie richtete schnell ihre Haare und ihre Uniform und schüttelte ihren leicht geröteten Kopf. Dann räusperte sie sich kurz und setzte anschließend ein strahlendes Lächeln auf.​
»Schön, dass Sie wieder zurück sind.«​
Erst als er diese Worte hörte, lockerte Goblin Slayer den Griff um seine Waffe. Ohne Umschweife kippte sich der Krieger den Tee, den die Gilden Angestellte sorgfältig für ihn zubereitet hatte, herunter. Die Beamtin hätte sich gewünscht, dass er sich etwas Zeit genommen hätte, um das Getränk zu genießen, doch sie schenkte ihm trotzdem ein Lächeln. Mit geübten Handgriffen sortierte sie die Dokumente vor sich, wischte die Spitze der Feder ab und tauchte sie in ein Tintenfass. Dann fragte sie:​
»Und wie ist es Ihnen diesmal ergangen? Es waren ziemlich viele, oder?«​
»Ja«, antworte Goblin Slayer und nickte kurz.​
»Da waren Goblins.«​
»Wie viele waren es?« Die Gilden Angestellte begann, die Feder über ein Blatt Papier tanzen zu lassen.​
»Bitte geben Sie mir die Zahlen getrennt nach Aufträgen.«​
»Beim ersten Auftrag waren es über dreißig«, sagte er und hielt kurz inne. Dann ergänzte er: »Es könnten aber auch bis zu vierzig gewesen sein.«​
Die Gilden Angestellte hörte kurz auf zu schreiben.​
»Bis zu vierzig?«​
»Wir haben die Gefangene gerettet und dann die Höhle der Goblins geflutet. Am Ende konnte ich zwar 34 Leichen finden, aber es könnten insgesamt auch ein paar mehr gewesen sein.«​
»Ach ...«, entfuhr es der Beamtin.​
Normalerweise war Goblin Slayer immer sehr penibel, was seine Berichte anging, weshalb sie sich von der ungenauen Angabe des Abenteurers hatte verwirren lassen.​
»Und wie viele waren es bei dem zweiten Auftrag?«​
»Dreiundzwanzig ...«​
Wie immer berichtete der Abenteurer, wie er Goblins ertränkt, verbrannt, erschlagen und auf viele andere Arten und Weisen erledigt hatte, und die Gilden Angestellte hörte ihm dabei aufmerksam zu und notierte alles, was wichtig war. Anders war diesmal allerdings, dass noch eine weitere Person dem Bericht des Kriegers zuhörte. Es war der Abenteurer-Anfänger mit dem roten Haar. Er trug einen nigelnagelneuen Umhang und hatte einen Stab bei sich. Besonders war, dass ebenjener keinen Edelstein besaß, wie man ihn erhielt, wenn man seinen Abschluss von der Magie Akademie machte - ein Anzeichen dafür, dass er Reißaus genommen hatte. Von seinem Erscheinungsbild her konnte man ihn auf ungefähr 15 Jahre schätzen. Nach einigen Minuten des Zuhörens holte er ein Heft und einen Stift hervor. Anscheinend wollte er sich einige Notizen machen, aber als Goblin Slayer das bemerkte, sagte er in scharfem Ton:​
»Lass das.«​
Der junge Magier zuckte kurz vor Schreck zusammen, bevor er in meckerndem Ton antwortete:​
»Was denn? Goblins sind doch eh nicht das große Ding. Lass mich doch ein paar Notizen ... «​
»Nein. Hast du mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn die Goblins dir das Heft abnehmen?«​
Ein genervter Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Jungen:​
»Glaubst du etwa, dass ich gegen Goblins verlieren würde?«​
»Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.«​
»Wie bitte?!«​
Der Junge schoss von der Bank und kam mit wütenden Schritten auf den Krieger zugelaufen. Auf der Suche nach einem Weg, um die Situation zu entschärfen, fiel der Blick der Gilden Angestellten auf die Tasse des Anfängers.​
»Vielleicht noch etwas Tee?«​
»Äh, also ...«​
Mit einem Schlag war die Wut des Anfängers verpufft. Wie ein Junge, der bei einem Streich erwischt worden war, kratzte er sich nervös an der Wange. »J ... Ja ... Schon ... «​
»Hier, bitte.«​
Plätschernd goss die Beamtin dem Anfänger etwas von dem dampfend heißen Tee ein. Sie nutzte die Möglichkeit, um Goblin Slayers Tasse auch gleich noch einmal aufzufüllen. Dabei musterte sie den jungen Magier. Was hatte ihn wohl dazu bewegt, Abenteurer zu werden? Vielleicht Hoffnungen und Träume von Reichtum und Ehre?​
»Danke«, brummelte der Krieger.​
»Sehr gern«, erwiderte die Beamtin mit einem strahlenden Lächeln.​
Der junge Magier bemerkte den Unterschied zu dem Lächeln, das sie ihm vorher geschenkt hatte, doch er wusste nicht, was dieser zu bedeuten hatte. Er schüttelte kurz seinen Kopf, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Abenteurer vor ihm. Vorsichtig sprach er ihn an:​
»Du bist der, den man Goblin Slayer nennt, nicht wahr?«​
»So ist es.«​
Der Anfänger lehnte sich nach vorne und Goblin Slayer erkannte die Anspannung, aber auch die Euphorie, die in den leuchtend grünen Augen des Jungen tobten. Diese Gefühle fanden auch ihren Weg in die Worte, die der Magier dann dem Krieger entgegenwarf.​
»Bring mir bei, wie man Goblins tötet!«​
»Nein.«​
»Warum denn nicht?«​
»Leuten, die selbst nichts tun, bevor man ihnen etwas beigebracht hat, habe ich nichts beizubringen.«​
»Hä?«​
Nachdem er das gesagt hatte, griff Goblin Slayer sich seine Tasse, schüttete sich den Tee in einem Schluck herunter und nahm den fertiggestellten Bericht von der Gilden Angestellten zum Unterzeichnen entgegen. Er dachte kurz darüber nach, warum die Beamtin zu später Stunde noch hier gewesen war, und sagte dann:​
»Danke. Du hast mir damit sehr geholfen.«​
»Nein, das ist nicht der Rede wert. Sie arbeiten doch immer so​
hart. Ach, die Belohnung ... «​
»Teil sie gerecht auf. Ich nehme jetzt nur meinen Teil mit.«​
»Jawohl.«​
Die Leichtigkeit der Bewegungen der Gilden Angestellten ließ überhaupt nicht erkennen, dass sie heute so lange gearbeitet hatte. Sie ging zum Tresor hinter der Anmeldung, nahm einen Beutel mit Geldstücken heraus und wog ihn ab.​
Der Krieger beobachtete sie dabei und sagte:​
»Es hat sich doch neulich diese Gruppe registriert. Die mit dem Rhea-Mädchen.«​
»Ach, die ... Ha ha ...« Die Beamtin war froh, dass der Krieger ihr Gesicht in diesem Moment nicht sehen konnte.​
»Denen geht es gut. Sie haben Ratten bekämpft und wurden dabei lediglich leicht gebissen. Zum Glück hatten sie genügend Gegengifte dabei.«​
»Ach so.«​
»Beruhigt Sie das?«​
»Ja.«​
Die Gilden Angestellte ging zurück zum Tresen und stellte darauf einen Lederbeutel ab, den Goblin Slayer an sich nahm, ohne den Inhalt zu prüfen. Wenn man die Belohnung eines Goblin Auftrags durch fünf teilte, kam nicht sonderlich viel Gold dabei herum. Selbst wenn man das zehnmal machte, war es am Ende nicht mehr Geld als nach zwei Goblin Aufträgen, die man allein erledigte, aber dabei durfte man nicht vergessen, dass dieses Geld von Dorfbewohnern kam, die es eigentlich nicht übrighatten. Nachdem der Krieger den Beutel weggesteckt hatte, nickte er in Richtung des Anfängers und fragte die Beamtin:​
»Wer ist das?«​
»Ein Junge, der sich gerade als Abenteurer registriert hat.«​
»Warum ist er hier?«​
»Nun ja ...«​
Die Gilden Angestellte lehnte sich über den Tresen und flüsterte.​
»Er möchte Jagd auf Goblins machen und zeigt an anderen Dingen kein Interesse.«​
»Und seine Gruppe?«​
Die Beamtin schüttelte den Kopf.​
»Anscheinend hat er keine.«​
»So ein Schwachsinn.«​
Während sie noch dachte, dass er gut reden habe, ließ sie kurz ihren Kopfhängen und sagte dann:​
»Aber was soll ich jetzt tun?«​
Als Antwort bekam sie zunächst nur ein tiefes Brummen.​
Danach folgten einige Momente der Stille. Es war nichts weiter zu hören als das leise Rascheln von Kleidung und das Knistern einiger Lampen.​
»Hey.«​
Als Goblin Slayer dann den jungen Magier ansprach, zuckte dieser kurz vor Schreck zusammen.​
»Hast du ein Zimmer?«​
»A... Ahm ...«​
Der Junge stolperte über seine eigenen Worte. Er öffnete und schloss mehrfach seinen Mund, bis er schließlich einfach nur ein​
»Geht dich nichts an« von sich gab.​
»Ist das so?«​
Goblin Slayer wandte sich wieder der Gilden Angestellten zu, die unauffällig ein X mit ihren Fingern formte.​
»Also hast du keins, was?«​
»...«​
»Es ist Frühling, daher würdest du dich nicht erkälten, aber ... «​
Goblin Slayer stand von seinem Platz auf und stapfte in Richtung Tür. Ohne sich auch nur einmal zu dem Jungen umzudrehen, sagte er:​
»Komm mit.«​
Der Anfänger verstand nicht, was hier los war. Er schaute zu, wie der Krieger in der Dunkelheit der Nacht verschwand, und begann dann, selbst in Richtung Ausgang zu hasten.​
»H... Hey! Warte! Was entscheidest du hier denn so einfach ... ?!«​
Mit der Hand an der Tür drehte der junge Magier sich aber noch einmal um und verbeugte sich.​
»Danke für den Tee.«​
Dann rannte er los. Die Tür quietschte und damit war auch er verschwunden. Seufzend begann die Gilden Angestellte, ihre Dokumente zu sortieren, und kontrollierte, ob der Tresor ordentlich abgeschlossen war. Natürlich gab es noch Verwalter in dem Gebäude, aber sie war der letzte anwesende Beamte. Sie hatte an diesem Tag so einiges an Überstunden angehäuft, aber sie würde sich deswegen nicht beschweren. Sie griff sich ihren Mantel, zog ihn über und steckte ihre privaten Gegenstände ein.​
»Irgendwie hat er wohl auf mich abgefärbt ... «​
Mit einem kurzen Kichern beugte sie sich über eine der Lampen am Tresen und spitzte leicht ihre Lippen, fast, als wäre sie kurz davor, jemanden zu küssen. Dann blies sie das Licht aus.​
***
Nachdem Goblin Slayer und der Anfänger das Tor der Stadt passiert hatten, blieb der Krieger kurz stehen und schaute zum grünen der beiden Monde hoch.​
»Hm ...«, brummte er und stapfte weiter.​
»W. ... Was wird das? Wohin bringst du mich?«, fragte der junge Magier nervös.​
»Komm einfach mit. Dann wirst du es schon sehen.«​
Goblin Slayer setzte stapfend einen Fuß vor den anderen, während der Anfänger ihm fluchend hinterher stolperte, bis er etwas in der Entfernung erkannte. Es war ein Licht, dem sie immer näher kamen. Wenig später fanden sie sich vor einem kleinen Tor wieder, das zusammen mit einem Zaun einige Häuser vom Rest der Welt abgrenzte. Der junge Magier spitzte seine Ohren und hörte das leise Muhen von Kühen.​
»Ein Bauernhof …?«​
»Was denn sonst?«​
»Ich dachte, dass du mich zu einem Gasthaus oder so etwas bringen würdest.«​
»Nein«, antwortete Goblin Slayer und öffnete das Tor. Es gab ein knirschendes Geräusch von sich, als ...​
»Ach! Du bist wieder da!«, schallte eine Stimme durch die Dunkelheit.​
»Uwah?!«​
Der Junge erschrak und schaute sich panisch um, bis er erkannte, dass der Ausruf von einem Mädchen gekommen war. Es trug Arbeitskleidung, die seinen äußerst kurvigen Körper verhüllte. Das Mädchen eilte heran und tippte Goblin Slayer verspielt auf die Schulter.​
»Willkommen zurück.«​
»Ja«, gab dieser zurück. »Ich bin wieder da.«​
»Diesmal warst du ziemlich lange weg. Wie ist es gelaufen? Bist du verletzt?«​
»Es gab Goblins, aber alles verlief problemlos. Wieso bist du noch wach?«​
»Hi hi hi, die letzten Tage bin ich immer ziemlich lange aufgeblieben.«​
Die Kuhhirtin verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken und beugte sich nach vorne, was ihren Busen sehr betonte. Der Blick des Jungen wanderte automatisch dorthin und ein leises „Wow, sind die groß“ rutschte ihm heraus.​
»Hm?«​
Das Mädchen bekam mit, dass der Anfänger etwas gemurmelt hatte, und fragte:​
»Wer ist denn der Junge?«​
»Ä... Ähm ...«​
Da die Kuhhirtin ihm ein wenig näher gekommen war, wollte der Junge instinktiv einen Schritt zurück machen und fiel plumpsend auf seinen Hintern. Wahrend ihm die Röte ins Gesicht stieg, stammelte er:​
»I... Ich ... Ich bin Ab ... Abenteurer!«​
Noch nie war ein älteres Mädchen ihm so nahe gekommen und er fühlte sich von ihrem süßlichen Geruch ganz betört.​
»Er ist neu«, erklärte Goblin Slayer nüchtern.​
»Er hat noch keinen Platz zum Schlafen.«​
»Oh nein ... Aber ...«​
Die Kuhhirtin dachte kurz nach und nickte dann mehrfach.​
»Mir soll es recht sein.«​
»Gut, danke.«​
»Kein Problem. So etwas passt zu dir.«​
»Ich möchte mit deinem Onkel reden. Ist er noch wach?«​
»Bestimmt.«​
»Ach so.«​
Während das Mädchen locker mit der Hand wedelte, stapfte Goblin Slayer an ihr vorbei in Richtung des Haupthauses. Der Junge schaute dem Krieger verwirrt hinterher und fragte dann die Kuhhirtin:​
»Wer bist du denn? Bist du etwa seine Frau?«​
»Ja, oder?«​
»Nein.«​
Der Krieger hatte anscheinend noch gehört, worüber die beiden geredet hatten. Als Antwort streckte das Mädchen ihm die Zunge raus. Den Anfänger ließ die Frage aber nicht los, weshalb er nachhakte.​
»Wer denn dann?«​
»Hm... Ich weiß es auch nicht so recht.«​
Die Kuhhirtin kicherte.​
»Wie dem auch sei, er will wohl, dass du hier übernachtest.«​
»Ich verstehe gar nichts! Was ist hier los?!«​
»Ach, zerbrich dir nicht so den Kopf. Komm einfach mit rein.«​
»Hey, nicht! Lass los!«​
»Jetzt benimm dich nicht wie eine verzogene Göre. Komm schon.«​
Ein frischgebackener Abenteurer und eine erfahrene Bäuerin. Der Magier hatte keine Chance.​
»Auf keinen Fall.«​
Das Gleiche galt für den Bauern, mit dem der Junge gerade am Tisch saß. Er war der Besitzer des Hofs und hatte die Bitte von Goblin Slayer, seinem Mieter, geradeheraus abgelehnt.​
Die Kuhhirtin, die gleichzeitig die Nichte des Bauern war, protestierte: »Warum denn nicht, Onkel? Eine Nacht kann doch nicht schaden.«​
»Also wirklich ...« Der Hofbesitzer seufzte und verzog sein sonnengebräuntes Gesicht. Seine Nichte konnte trotz ihrer eigenen Vergangenheit wirklich naiv sein.​
»Woher sollen wir denn wissen, dass er nicht einfach ein dahergelaufener Verbrecher ist?«​
»Was?!« Der Anfänger schlug wütend auf den Tisch und brachte damit das Geschirr zum Scheppern. Er lehnte sich nach vorne und zischte:​
»Ich soll ein Verbrecher sein?!«​
»Halt den Mund!« Mit diesen drei Worten brachte der Onkel den Jungen zum Schweigen. Sie waren ruhig ausgesprochen worden, doch es war klar, dass er keine Widerworte dulden würde. Er war zwar nie gegen das Chaos in die Schlacht gezogen, doch er hatte seinen eigenen Kampf gekämpft, um sich und seine Familie zu ernähren, und er würde das Erreichte jetzt nicht für einen dahergelaufenen Abenteurer riskieren.​
»Jemandem, der sich so verhält, werde ich nicht vertrauen.«​
Es war allgemein bekannt, dass viele Abenteurer der Gilde Schufte waren. Die Organisation bürgte für sie, solange sie sich benahmen, aber für einen Frischling, der sich noch keinen Ruf erarbeitet hatte, war es schwer, das Vertrauen fremder Leute zu gewinnen. Natürlich hieß das nicht, dass sie wie Verbrecher behandelt werden sollten, aber wenn ein neuer Abenteurer so aufsässig war wie der junge Magier, hatte er es schwer. Der Besitzer des Hofs ergriff erneut das Wort und sagte zu seiner Nichte:​
»Du weißt schon, dass du eine junge Frau bist. Was willst du denn machen, wenn er versucht, sich an dir zu vergreifen?«​
»Onkel, du machst dir zu große Sorgen ... «​
»Du hältst auch den Mund!«, fuhr er die Kuhhirtin streng an.​
»Na gut ...«​
Goblin Slayer schaute zu dem Schuppen, in dem er seine Ausrüstung lagerte.​
»Wie wäre es, wenn er dort schläft?«​
»Sollte ihr«, der Onkel zeigte auf seine Nichte, »irgendwas passieren, übernimmst du dann die Verantwortung?«​
»Nein, deshalb werde ich die ganze Nacht Wache halten.«​
Der Hofbesitzer knirschte widerwillig mit den Zähnen und suchte noch Widerworten, doch er konnte keine finden. Wieso war der Kindheitsfreund seiner Nichte so? Der Alte wusste, was ihm zugestoßen war, doch verstehen konnte er ihn trotzdem nicht. Er ballte seine Hände zu Fäusten, doch spürte dann, wie sich die Hände der Kuhhirtin zärtlich auf seine legten.​
»Onkel...«​
»Macht, was ihr wollt ...« ,​
Trotz seiner Bedenken brachte der Hofbesitzer es nicht übers Herz, den Wunsch seiner Nichte einfach zu übergehen. Genauso wenig, wie er es nicht übers Herz brachte, so einen erschöpften jungen Mann einfach vor die Tür zu setzen. Er schaute zu Goblin Slayer.​
»Sieh zu, dass du auch ein wenig Schlaf bekommst.«​
»Es tut mir leid«, antwortete der Krieger.​
»Du musst dich nicht entschuldigen. Für einen Abenteurer ist sein Körper doch sein Kapital.«​
»So ist es.«​
Goblin Slayer lebte hier schon lang genug, um zu wissen, dass der Hofbesitzer sich nicht sonderlich darüber freute, wenn man sich bei ihm bedankte. Deshalb griff er in seine Tasche, holte einen Geldbeutel hervor und legte ihn auf den Tisch.​
»Das ist für diesen Monat.«​
»Gut.«​
Auch wenn es keine richtige Form der Danksagung war, wusste der Krieger, wie der Bauer diese Geste verstehen würde. Als dieser seufzend den Beutel an sich nahm, stand Goblin Slayer auf und wandte sich dem Anfänger zu.​
»Wir gehen.«​
»J ... Ja ... «​
Die beiden machten sich daran, das Haus zu verlassen, doch die Kuhhirtin schnellte hoch, hielt ihren Kindheitsfreund am Ärmel fest und fragte flüsternd: »Sag mal, was steht morgen auf dem Plan?«​
»Es hängt von den Aufträgen ab, aber wir sind gerade erst heimgekehrt. Die anderen werden sich vermutlich ausruhen wollen.«​
Das Mädchen kratzte sich an der Wange. Eigentlich hätte sie mit so einer Antwort rechnen sollen, aber irgendwie hatte sie sich doch Hoffnungen gemacht ... Seufzend sagte sie:​
»Ich wollte wissen, was du machst ...«, aber ließ ihn dann von der Leine.​
Mit einem „Ich werde morgen Frühstück machen“ verabschiedete sie sich.​
»Ja«, gab der Krieger zurück und wünschte eine gute Nacht.​
Dann trat er zusammen mit dem Jungen nach draußen und wenig später trafen sie im Schuppen ein. Eine rußverschmierte Lampe schenkte nur schwaches Licht, aber der junge Magier schaute sich trotzdem, so gut es ging, um. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Regale waren mit allem möglichen Krempel vollgestopft und der Anfänger fühlte sich ein wenig, als würde er im Zimmer seines Lehrmeisters der Akademie stehen. Das gefiel ihm gar nicht. Aber der Umstand, dass er auf einem Strohhaufen in einer Ecke schlafen sollte, störte ihn mehr. Auf die Frage, wie das denn bitte gehen solle, bekam er die Anweisung, seinen Umhang als Unterlage zu nutzen. Meckernd legte er sich hin.​
Dann fragte er:​
»Wer sind denn diese Leute? Wenn die Bäuerin nicht deine Frau ist, dann sind sie nicht deine Familie, oder?«​
»So ist es.«​
Während der Anfänger merkte, dass der Strohhaufen doch nicht so ungemütlich war wie gedacht, setzte Goblin Slayer sich in den Türrahmen. »Ich weiß nicht, wie die beiden darüber denken.«​
»Was meinst du damit?«​
»Ich kenne sie schon lange. Den Besitzer und das Mädchen. Sie ist so etwas wie seine Tochter.«​
Danach schwieg der Krieger. Der Anfänger schaute ihn noch für einige Momente erwartungsvoll an, aber als er merkte, dass er keine weiteren Informationen erhalten würde, ließ er seinen Blick erneut über die Regale schweifen. Darin gelagert waren Knochen von irgendwelchen Lebewesen, mysteriöse Fläschchen, ein seltsames Wurfmesser mit drei Klingen und viele weitere Dinge, bei denen der Junge sich nicht vorstellen konnte, wie sie einzusetzen waren.​
Nach einer Weile richtete er seinen Blick wieder auf Goblin Slayer, welcher sich scheinbar keinen Millimeter bewegt hatte. Der junge Magier fragte ihn: »Willst du nicht schlafen?«​
»Ich kann auch mit einem offenen Auge schlafen.«​
»Erst zwingst du mich dazu, hierherzukommen, und jetzt verdächtigst du mich ... Na toll ... «​
»Nein.«​
Goblin Slayer schüttelte leicht seinen Kopf.​
»Ich halte mich bereit, falls Goblins auftauchen sollten.«​
»Hä?«​
»Weil ich im Schuppen schlafe, muss ich schnell genug reagieren, um sie retten zu können.«​
»Wovon redest du?«​
»Zumindest so viel solltest du wissen, wenn du Goblins töten willst.«​
Der Junge drehte sich auf den Rücken und starrte wieder an die Decke, genauer gesagt auf die Lampe, die von der Decke hing. Er probierte, mit einem offenen Auge zu schlafen, und konnte es sich selbst bei diesem schwachen Licht nicht vorstellen.​
»So krasse Maßnahmen sind doch nicht nötig.«​
»Wenn du so denkst, dann soll mir das recht sein«, erwiderte Goblin Slayer. »Und jetzt schlaf. Ich bring dich morgen zur Gilde.«​
Was denkt der Kerl sich bloß ... Der junge Magier verstand den Krieger nicht. Er hatte sich vermutlich von der scheinbar ausweglosen Situation des Anfängers beeinflussen lassen, aber warum war er so weit gegangen, um ihm zu helfen? Wieso ließ er einen unbekannten Abenteurer, den er noch nie gesehen hatte, bei sich übernachten? Warum hatte er sich so viel Mühe gegeben, seine Frau, Familie oder was auch immer die waren zu überreden? War er vielleicht jemand, der neue Abenteurer ausraubte?
Nein, das kann nicht sein, der ist doch auf dem Silber-Rang. Dass die Gilde ihn falsch eingestuft hatte oder die Gilden Angestellte mit ihm unter einer Decke steckte, war sehr unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz, mit dieser dreckigen Rüstung ist er irgendwie gruselig ... Um Goblin Slayer nicht ständig aus seinem Augenwinkel sehen zu müssen, drehte er dem Krieger den Rücken zu. Ist er trotz seines Aussehens vielleicht einfach nur nett? Nein, der junge Magier beschloss, dass das auch nicht der Fall sein konnte. Er überprüfte vorsichtig, ob der versteckte Dolch unter seiner Kleidung noch da war. Der soll ja nicht denken, dass er mich ohne Gegenwehr töten kann!​
Fest in dem Glauben, dass er jemand war, der nicht einfach so unachtsam wurde, versank der Junge langsam ins Reich der Träume.​
»Hm... Was …?​
Als der Anfänger aufwachte, war das erste Geräusch, das er vernahm, ein unregelmäßiges Klopfen. Er setzte sich auf und obwohl er seine Brille nicht aufhatte und deshalb so gut wie nichts sehen konnte, wusste er, dass er sich nicht in seinem Zimmer in der Akademie befand. Ein Grund dafür war, dass das Bett, auf dem er geschlafen hatte, aus Stroh war. Vorsichtig tastete der junge Magier sein Nachtlager nach seiner Brille ab und nachdem er sie gefunden hatte, setzte er sie rasch auf. Das dumpfe Licht der Lampe war hellen Sonnenstrahlen gewichen, die durch Löcher in der Wand in den Schuppen fielen. In ihnen tanzte Staub.​
»Ah, ja ...«​
Der Junge erinnerte sich, was geschehen war. Goblin Slayer hatte ihn dazu genötigt, hier zu schlafen, und an der Tür Platz genommen, um Wache zu halten. Doch wo war der Krieger jetzt? Wenn der Anfänger den Stand der Sonne richtig schätzte, konnte es erst kurz nach Morgengrauen sein.​
»Ts ... Keine Ahnung, aber mein Umhang ist jetzt voller Stroh.«​
Der Magier stand auf, schnappte sich das Kleidungsstück, das er als Unterlage verwendet hatte, und schüttelte es aus. Er bekam nicht alles raus - damit würde er leben müssen - und warf sich das Kleidungsstück über. Dann verließ er den Schuppen.​
»Uwah... Das ist echt kalt.«​
Auch wenn der Frühling bereits angebrochen war, lag noch ein Hauch von Winter in der Luft. Der Anfänger schob seine Arme tief unter seinen Umhang, damit ihm nicht noch kälter wurde, und lief in Richtung des Eingangs des Haupthauses - oder zumindest dorthin, wo er jenen vermutete. Auf dem Weg kam er an einem einfachen Brunnen mit Überdachung vorbei. Über dem Brunnen war ein Querbalken angebracht, durch den ein Seil gezogen war. Am einen Ende des Seils war ein Stein und an dem anderen ein Eimer befestigt. Der Junge griff sich die Seite mit dem Stein und zog diesen aus dem Brunnen, wodurch sich der Eimer in die Tiefe senkte und mit Brunnenwasser füllte. Dann ließ er das Steingewicht fallen und zog an der Seite des Seils, an dem der Eimer befestigt war, um ihn wieder nach oben zu holen. Er legte kurz seine Brille ab und spritzte sich etwas Brunnenwasser ins Gesicht. Die Kälte des Wassers nahm ihm kurz den Atem, doch half ihm, die restliche Müdigkeit, die noch an ihm hing, abzuschütteln. Er trocknete sich das Gesicht mit seinem Umhang ab und nutzte dann noch etwas Wasser, um sich den Mund auszuspülen. Es war eine wilde Art von Morgenhygiene, doch immer noch besser als keine.​
»Hm?«​
In diesem Moment vernahm der Anfänger erneut das unregelmäßige Klopfen, das er bereits direkt nach dem Aufwachen gehört hatte. Es klang nicht nach einer Tätigkeit, der jemand auf einem Bauernhof nachgehen würde, und, neugierig wie der Junge war, wollte er natürlich wissen, was dort vor sich ging.​
»Hoppla. Das geht doch nicht!«​
Weil der junge Magier merkte, dass er seinen Stab im Schuppen liegen gelassen hatte, holte er ihn schnell und schlich sich dann vorsichtig an die Geräuschquelle heran. Wegen des schleierartigen Nebels, der sich gerade noch langsam über die Wiesen schob, konnte er zuerst nichts weiter als einen Umriss erkennen, doch als er nah genug herankam, sah er, dass es sich um Goblin Slayer handelte.​
»Hey, was machst du da?«​
»Ich trainiere.«​
Der Krieger stand gerade vor einer Zielscheibe, die er am Zaun befestigt hatte, und war dabei, Waffen - genauer gesagt ein Messer, einen Kurzspeer, ein Schwert, eine kleine Axt und ein Hackebeil - aus ihr herauszuziehen. Im Gras verteilt lagen auch Steine, wobei der Anfänger sich nicht sicher war, ob Goblin Slayer diese auch geworfen hatte.​
»Wieso wirfst du deine Nahkampfwaffen? Ohne sie kannst du doch nicht mehr kämpfen. Ist das nicht vollkommen schwachsinnig?«​
»Dann nehme ich mir halt die Waffe meines Gegners.«​
Goblin Slayer strich mit der Fingerspitze über das herausgezogene Messer, um die Klinge zu überprüfen.​
»Goblins haben mehr als genug Waffen.«​
»Wäre es nicht klüger, gleich bessere Waffen mitzunehmen?«​
»Ist das so?«​
»Goblins kann man doch eh mit einem Zauber fertigmachen.«​
»Ist das so?«​
»Außerdem, solltest du dich nicht ausruhen?«​
»Als ich das letzte Mal Pause gemacht habe, sind meine Bewegungen träge geworden.«​
Goblin Slayer machte ein paar Schritte von der Zielscheibe weg und ließ die herausgezogenen Waffen einfach ins Gras fallen.​
»Ich muss sichergehen, dass ich immer bereit bin.«​
Mit diesen Worten drehte sich der Krieger blitzschnell der Zielscheibe zu, schnappte sich in der Bewegung eine der Waffen und warf sie. Mit einem dumpfen Klopfen fand das Messer sein Ziel. Dies wiederholte Goblin Slayer mit allen Waffen, die auf dem Boden lagen, und zog sie dann wieder aus der Scheibe. Das Ganze wiederholte er immer und immer wieder. Wie langweilig, dachte sich der Junge und gähnte ausgiebig. Während er sich die Augen rieb, sagte er:​
»Was hast du denn davon, die ganze Zeit mit einem unbeweglichen Ziel zu trainieren?«​
»Das weiß ich nicht.«​
»Und hängt die Zielscheibe nicht seltsam niedrig?«​
»Auf der Höhe befindet sich bei Goblins die Kehle.«​
Der Anfänger schaute dem Krieger noch eine Weile bei seinem Training zu, bis die Kuhhirtin den beiden schließlich zurief, dass das Frühstück fertig sei.​
»Verstanden«, antwortete Goblin Slayer und wandte sich dann dem jungen Magier zu.​
»Lass uns gehen.«​
Pah! Hoffentlich gibt es was Ordentliches zu beißen! Träge und unwillig folgte der Junge Goblin Slayer. Wenn nicht, werfe ich den Tisch um!​
***
Zum Frühstück gab es Eintopf. Der Junge nahm sich dreimal Nachschlag.​
***
»Urgh...«​
»Du hast zu viel gegessen.«​
Goblin Slayer und der junge Magier hatten gerade das Tor der Stadt passiert und standen vor dem Gebäude der Gilde. Auf dem Weg hierher hatte der Anfänger sich beim Gehen auf seinen Stab stützen müssen, weil er sich den Bauch beim Frühstück zu vollgeschlagen hatte. Wer es nicht besser wusste, hätte glauben können, dass er gerade ein grandioses Abenteuer hinter sich gebracht hätte.​
Sobald er mit Goblin Slayer die Eingangshalle der Gilde betreten hatte, ließ er sich erschöpft auf einer Bank nieder und schaute sich um. Auch heute war wieder viel los.​
»Uwääärgh ... «​
»Nur weil wir es gestern in den Ruinen bis zum Aufzug geschafft haben, musstest du Idiot dich doch nicht so volllaufen lassen! Kein Wunder, dass du jetzt solch einen massiven Kater hast!«​
»Ich dachte, dass der Alkohol mir neue Kräfte schenken würde ... «​
»Spare dir deine dummen Ausreden!«​
Weil er erkannte, dass er nicht der Einzige hier war, der absolut durchhing, fühlte sich der Anfänger tatsächlich ein wenig besser. Er schaute zu Goblin Slayer, der sich ihm gegenüber auf eine Bank gesetzt hatte.​
»Gut, ich mach mich dann auf. Geh du erst einmal in der Kanalisation nach diesen ... ähm ... Riesen ... Wie hießen die noch einmal ... Ach so, ja. Geh Ratten jagen.«​
»Ich werde ... Goblins bekämpfen ... gehen ... «​
»Ist das so?«​
Ohne weitere Worte zu verlieren, stand der Krieger auf und ging mit stapfenden Schritten zu dem Platz, auf dem er immer saß. Noch vor einem Jahr hatte er dort allein gesessen, doch jetzt war alles anders. Jetzt war der Platz der Ort, an dem er sich mit seinen Kameraden traf. Auch heute war es so. Der Echsenmensch, der Zwerg, die Elfe und die Priesterin warteten bereits auf ihn. Doch irgendetwas lag in der Luft.​
»Goblin Slayer ..., sagte die Priesterin mit zitternder Stimme.​
»Was ist?«​
»Sie möchte wohl wegen des Rangaufstiegs mit dir reden«, antwortete die Elfe für ihre Kameradin.​
»Stimmt. Es wird so langsam mal Zeit, nicht wahr?«​
Abenteurer wurden in zehn Ränge eingeteilt, von denen der höchste Platin und der niedrigste Porzellan war. Wer genügend Erfahrungspunkte gesammelt hatte, dem wurde es erlaubt, im Rang aufzusteigen. So war es auch im Falle der Priesterin gewesen, als sie vom Porzellan- auf den Obsidian-Rang aufgestiegen war. Goblin Slayer konnte sich nicht mehr daran erinnern, was für ein Monster sie besiegt hatten, bevor ihr der erste Rangaufstieg erlaubt worden war, aber danach hatten sie noch viele weitere Aufträge erledigt. Deshalb war er der Meinung, dass sie jetzt eigentlich erneut im Rang aufsteigen dürfen müsste. Weil sie aber gerade so angeschlagen war ...​
»Hat es etwa nicht geklappt?«​
»Ja, anscheinend nicht. Und das trotz eines Empfehlungsschreibens«, antwortete die Elfe.​
Die Priesterin bestätigte die Aussage der Elfe mit einem traurigen Nicken und erklärte:​
»Sie sagten, dass ich nicht genügend zu dem Erfolg unserer Aufträge beigetragen hätte ... «​
»Wahrscheinlich haben sie dieses Urteil daran festgemacht, dass wir anderen alle den Silber-Rang tragen«, murmelte der Echsenmensch.​
Der Zwerg schnaufte unzufrieden durch die Nase.​
»Sicher denken sie, dass wir das Mädchen einfach mitgeschleppt haben, damit sie Erfahrungspunkte sammeln konnte.«​
»Hm ...«, brummte Goblin Slayer.​
Obwohl er verstand, wie man auf diese Idee kommen könnte, fand er das Urteil nicht in Ordnung. Er schielte rüber zur Anmeldung, wo die Gilden Angestellte beschäftigt hin und her flitzte. Sie bemerkte seinen Blick und hielt kurz in ihrem Treiben inne, um ihre Hände zusammenzulegen, als wolle sie sich bei ihm entschuldigen. Der Krieger wusste, dass es nicht ihre Schuld war. Sie war nur ein Rädchen in der riesigen Maschine, die sich Gilde nannte, und es gab genügend andere Leute, die auf solch eine Entscheidung Einfluss nahmen. Natürlich war persönlicher Einsatz unabdingbar, aber selbst damit konnte man nicht alles erreichen.​
»Ä ... Ähm, kümmert euch nicht darum.«​
Die Priesterin versuchte tapfer, sich zusammenzureißen. Wahrscheinlich tat es ihr leid, dass ihre Kameraden sich so um sie sorgten.​
»Wenn ich mich weiterhin anstrenge, werden sie sicher sehen, dass ich einen Rangaufstieg verdient habe!«​
»Ja, wenn wir ihnen beweisen, wozu du fähig bist, werden sie dem Aufstieg sicher zustimmen!«​
Während der Zwerg versuchte, das jüngste Gruppenmitglied aufzumuntern, dachte der Echsenmensch einige Momente nach, bevor er mit seinem Schwanz auf den Boden schlug und sagte:​
»Wir Echsenmenschen legen großen Wert darauf, dass unsere Kampfkünste an die nächste Generation weitergegeben werden.«​
»Das ist es.«​
Die Elfe versuchte, mit den Fingern zu schnipsen, doch schaffte es nicht. Mit einem grummeligen Gesichtsausdruck versuchte sie es erneut, doch es klappte wieder nicht, weshalb der Zwerg leise kichern musste,​
»Was denn?!«​
»Nichts, nichts. Was ist dir denn jetzt eingefallen?«​
»Ich weiß, warum du gelacht hast, aber das werde ich dir irgendwann anders heimzahlen. Um zum Thema zurückzukommen, wie wäre es denn, wenn unsere liebe Priesterin mit einem anderen Obsidian oder einem Porzellan-Rang-Abenteurer einen Auftrag erledigt? Dann müssen sie doch ihr Können anerkennen, oder?«​
»Das stimmt allerdings. Vielleicht würde sie sogar Extrapunkte dafür kriegen, dass sie jemandem etwas beibringt.«​
»Ähm ...«​
Die Priesterin setzte einen verunsicherten Gesichtsausdruck auf.​
»Also soll ich mit anderen als euch auf ein Abenteuer gehen?«​
»So ist es«, antwortete Goblin Slayer nüchtern.«​
»Das ist keine schlechte Idee.«​
»Damit ist es entschieden.«​
Die Elfe wackelte stolz mit ihren Ohren.​
»Such dir am besten jemanden, der noch auf Porzellan-Rang ist!«​
Während die Gruppe das Mädchen mit allen möglichen Ratschlägen überflutete, näherte sich eine Person von hinten und rief:​
»Pah! Jemand, der so ängstlich und bestimmt auch feige ist, wird sicherlich nicht weiter aufsteigen können!«​
Die Abenteurer rund um den Krieger drehten sich um und erkannten, dass der junge Magier mit den roten Haaren hinter ihnen stand. Aus Reflex wollte die Priesterin ihn freundlich begrüßen, doch sie hielt sich zurück. Mit grimmigem Gesichtsausdruck erwiderte sie:​
»I... Ich bin gar nicht ängstlich!«​
»Ach? Dabei habe ich gehört, dass alle Priester Angsthasen sein sollen. Hä hä hä!«​
Der verächtliche Unterton in den Worten des Anfängers war nicht zu überhören.​
»Wenn sie Probleme haben, machen sie doch nichts weiter, als ihren Gott um Hilfe anzuflehen!«​
»Wie kannst du es wagen?!«​
Die Priesterin lief vor Wut rot an. In einem Ton, der für sie wirklich ungewöhnlich war, gab sie zurück:​
»Das stimmt gar nicht. Ich habe schon viel ... «​
Mitten im Satz fehlten ihr auf einmal die Worte. Was hatte sie denn schon aus eigener Kraft erreicht? Sie tat nichts weiter, als den Befehlen ihrer Kameraden zu folgen, und um sie zu beschützen, musste sie sich auf die Erdmutter verlassen. Mit zitternden Händen starrte sie auf ihre Füße, was der Junge als Sieg ansah und stolz die Brust herausstreckte.​
»Wer so über andere spricht, der muss sich nicht wundern, wenn auch über sie geredet wird.«​
Der Echsenmensch baute sich vor dem Anfänger auf, der erschrocken einige Schritte nach hinten auswich.​
»Mit deinen Beleidigungen hast du nicht nur die werte Priesterin, sondern auch mich als Mönch beleidigt!«​
Der Mönch machte eine sonderbare Bewegung mit seinem Hals, die dafür sorgte, dass der junge Magier sich umschaute. Er erkannte, dass viele Abenteurer in ihrem Treiben Halt gemacht hatten und ihn und die Priesterin anstarrten.​


»In dieser Welt wirst du es schwer haben, wenn du ohne den Schutz der Götter leben möchtest«, zischte der Echsenmensch dem Jungen zu, bevor das große Getuschel ausbrach.​
Priester, Mönche, Kleriker und andere Diener Gottes waren der Stützpfeiler vieler Abenteurergruppen und selbst wenn eine Gruppe kein Mitglied dieser Art besaß, konnte sie zu einem Tempel gehen, um dort Heilung und Beistand zu erhalten. Ohne ihre Hilfe hätten noch weitaus mehr Abenteuer in einem Desaster geendet. Genau deswegen war es so erschreckend, dass der Anfänger es gewagt hatte, in aller Öffentlichkeit über sie herzuziehen, und ihm dämmerte in diesem Moment, was er sich selbst und seinem Ruf damit angetan hatte. Mit wütenden Schritten kam die Heilige in Ausbildung auf den jungen Magier zu gestapft und schrie:​
»Sag mir das von eben noch mal ins Gesicht!«​
»Lass das, du Idiotin. Wir gehen Ratten besiegen. Ratten. Das ist ein gutes Training.«​
»Loslassen! Lass mich los! Ich werde es ihm zeigen! Jetzt lass mich los!«​
Der Anfänger hatte Glück, dass der Kamerad der Heiligen, der junge Krieger, sie gerade noch aufhielt, sonst wäre sie wahrscheinlich mit seinem Stab auf ihn losgegangen. Nach einigen Sekunden der Schockstarre begann der junge Magier, sich wieder zu bewegen. Anstatt sich aber zu entschuldigen, richtete er seinen Stab auf Goblin Slayer und verkündete in seiner rotzfrechen Art: »Ich bin auch Abenteurer! Wieso also machst du aus der Jagd nach Goblins so ein Riesending und meinst, mir nichts darüber erzählen zu müssen? Du verbietest mir, Notizen zu machen, und sagst mir, ich soll Ratten jagen gehen, aber das kannst du dir sonst wohin stecken! Ich werde Jagd auf Goblins machen!« Einige der zuschauenden Abenteurer gaben Laute der Verwunderung von sich. Abenteurer zu sein, hieß, dass man für sich selbst verantwortlich war und für die Dinge einstand, die man sagte. Somit war das Selbstvertrauen, das der Anfänger an den Tag legte, wirklich beeindruckend.​
Die Elfe zeigte sich davon jedoch vollkommen unbeeindruckt. Sie verschränkte ihre Arme und schaute zu Goblin Slayers Helm hoch.​
»Hey, Orcbolg. Ist das dein kleiner Bruder?«​
»Nein«, antwortete der Krieger.​
»Ich hatte nur eine ältere Schwester.«​
»Ach so.«​
Die Waldläuferin zuckte mit ihren Schultern.​
»Ich dachte nur, dass ich so komische Sprüche sonst eigentlich nur von dir höre.«​
»Ist das so?«​
»Nun ja, aber wer ist er denn dann?«​
»Ein Anfänger«, entgegnete Goblin Slayer, der weder den Jungen noch die Elfe oder die Priesterin anschaute.​
»Anscheinend ein Magier.«​
Der Krieger dachte nach. Das Mädchen war jetzt sechzehn und erst seit einem Jahr Abenteurerin. Wie sollte er ihr, deren Selbstbewusstsein gerade zerschmettert worden war, wieder auf die Beine helfen?​
»Dann ist es ja entschieden!«, mischte sich jemand ein.​
»Ich habe alles gehört! Als rechtschaffene Ritterin der Ordnung ist es meine Pflicht, einzugreifen!«​
Es war die Ritterin, deren Grinsen verriet, dass sie die Situation äußerst amüsant fand. Ihr Kamerad, der Panzerkrieger, stand hinter ihr und legte seine Hände zusammen, als wolle er sich bei Goblins Slayers Gruppe entschuldigen. Anscheinend hatte er sie nicht aufhalten können.​
»Was ... Wer bist du denn? Das geht dich doch nichts an!«, keifte der Anfänger sie an.​
»Ha ha ha! Schon bald wird mein Name in aller Munde sein, deshalb verzeihe ich dir jetzt, dass du mich noch nicht kennst!«​
Mit diesen Worten baute die Ritterin sich vor dem jungen Magier auf.​
»Hör mir gut zu, Bursche! Ich habe eine gute Idee!« Sie schnippte und das Geräusch, das dabei entstand, hallte im gesamten Raum wider, was dafür sorgte, dass die Elfe neidisch zu schmollen begann.​
»Wie wäre es, wenn du Goblins vertreiben gehst?«​
»Das hab ich doch eh vor!«​
»Ja, das hast du bereits verkündet!«​
Die Ritterin schwang ihren Finger wie ein Schwert durch die Luft.​
»Aber du wirst eine Gruppe mit der Priesterin bilden und sie übernimmt die Führung!«​
»Hä?!«​
Das Mädchen sprang auf und ließ ihren Blick verwirrt zwischen dem Anfänger und der Ritterin hin und her wandern.​
»I... Ich soll mit dem J ... Jungen ...? Und dann soll i ... ich auch noch d ... die Führung ...?«​
»Wieso soll sie die Führung übernehmen? Was ist das denn für eine unfaire Bedingung?«​
»Bursche, eine Ritterin ist immer gerecht! Außerdem hast du meiner Idee schon zugestimmt!«​
»Hä? Wann das denn bitte?«​
»Schluss mit den Widerworten!«​
Während der Panzerkrieger beschämt an die Decke schaute, schien seine Kameradin den ganzen Trubel sehr zu genießen. Irgendwie hatte er erwartet, dass die Götter sie für ihr Verhalten bestrafen würden, doch es geschah nichts. Um sie herum nahm die Geräuschkulisse stetig zu, doch Goblin Slayer fragte den Echsenmenschen seelenruhig:​
»Was denkst du?«​
»Sein fehlendes Verständnis geht wohl auf einen Mangel an Erfahrung zurück, aber Mumm hat er allemal. Die Frage ist, wie es um seine Fähigkeiten steht.«​
»Auch wenn wir nicht wissen, welche Zauber er beherrscht, wird er sie wohl ein- oder zweimal einsetzen können, oder?«​
»Ich denke, dass er ein ungeschliffener Edelstein ist.«​
Der Zwerg strich sich über den Bart.​
»Er wurde gerade erst aus dem Stein geschlagen, aber er könnte glänzen, wenn man ihn richtig bearbeitet.«​
»Also sollten wir ihn trainieren?«​
»Es könnte sich lohnen.«​
»Dann ist es entschieden.«​
Eine grobe Hand klopfte Goblin Slayer auf die Schulter. Sie gehörte dem Panzerkrieger, der zu ihm sagte:​
»Es ist selten, dass du solch ein Interesse an anderen Abenteurern zeigst.«​
»Ich weiß nicht, ob ich es als Interesse bezeichnen würde«, antwortete der Krieger leicht verwirrt.​
»Oder?«​
»Nun ja, Ansichtssache, würde ich sagen.«​
»Na dann, aber wieso habt ihr euch überhaupt in unsere Angelegenheit eingemischt?«​
»Wir haben gar nichts gemacht, sie war das.«​
Der Panzerkrieger deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der Ritterin. Auch wenn Goblin Slayers Frage abweisend geklungen haben mochte, war er der Ritterin für ihr Eingreifen dankbar. Sie war zu seiner Hilfe gekommen, als er nicht gewusst hatte, was er zu der Priesterin hatte sagen sollen. Deswegen sagte er zu dem Panzerkrieger:​
»Entschuldige und danke.«​
»Mach dir mal keinen Kopf.«​
Der Panzerkrieger kratzte sich leicht verlegen an der Wange.​
»Ich bin dir viel schuldig. Ich werde mich nach und nach bei dir revanchieren.«​
»Du bist mir etwas schuldig?«​
»So ist es.«​
»Ach so. Ich dachte, dass es andersherum wäre.«​
»Dann revanchiere dich einfach auch nach und nach bei mir.«​
»Ach so.«​
»Und worüber denkst du nach?«​
»Wie man Goblins töten kann.«​
»Natürlich, was auch sonst.«​
Das Gesicht des Panzerkriegers war gleichzeitig von einem Lächeln und einem Stirnrunzeln gezeichnet. Jeder, der Goblin Slayer kannte, hatte bereits ähnliche Worte von ihm gehört und wusste, dass er nichts weiter als Goblins im Kopf hatte.​
»Aber ... «, sagte genau dieser Goblin Verrückte und ließ seinen Blick durch die Eingangshalle der Gilde wandern.​
Er sah, wie die Ritterin und der Anfänger sich anschrien. Wie die Elfe noch ein paar Mal zu schnipsen versuchte, um sich dann mitten in die Diskussion zu werfen. Wie der Zwerg und der Echsenmensch irgendwelche Pläne diskutierten. Wie die Inspektorin und die Gilden Angestellte hinter der Anmeldung lachten. Wie der Speerkämpfer und die Hexe herangeeilt kamen, um das Geschehen zu beobachten. Und wie die Priesterin selbst schnipsen wollte und dabei ein Geräusch erzeugte, das fast genauso laut wie das der Ritterin war. Es war der gleiche Anblick wie immer. Die Anwesenden würden wechseln und durch andere ersetzt werden, aber bestimmt würde es weiterhin so bleiben.​
»Aber ich hoffe auch, dass alles gut verläuft.«​
»Das tue ich auch.«​
Mit einem herzlichen Lachen klopfte der Panzerkrieger erneut auf Goblin Slayers Schulter.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 51
Ressourcen

Es sollte erwähnt werden, dass sie einfach nur Pech hatten. Sie waren gut ausgerüstet und auch die Komposition ihrer Gruppe war ausgewogen. Sie waren weder unvorsichtig noch überheblich. Nichtsdestotrotz wurden sie ausgelöscht. Und warum? Der Gott Wahrheit sagte es mit einem zufriedenen Lächeln:​
»Weil ich nun mal wollte, dass diese Gruppe heute ausgelöscht wird.«​
***
Einige Abenteurer auf dem Porzellan- und Obsidian-Rang machten sich daran, eine Ruine zu erkunden, die in dem Gebiet stand, wo in naher Zukunft der Trainingsplatz für Abenteurer entstehen sollte. Ihre Mission war, alle Monster in der Gegend auszulöschen. Die Gruppe hatte schon mehrere Abenteuer erfolgreich abgeschlossen, wobei sie auch schon in so manche Ruine eingedrungen waren. In dieser Ruine hatten sich Goblins eingenistet, auf die die Abenteurer, ohne zu zögern, ihren Angriff starteten. In Formation bewegten sie sich durch die Gänge und Räume und beseitigten jeden Gegner, der sich ihnen in den Weg stellte, bis sie schließlich bei einer Grabkammer ankamen. Sie traten die Tür ein und mithilfe ihrer Waffen und Magie erledigten sie einige weitere Gegner. Es war ein wahres Hack and Slash.​
»Mann, Goblins bringen es einfach nicht.«​
Der Echsenmensch legte sich sein Tebutje - ein Haizahnschwert - über die Schulter und seufzte. Beeindruckende Muskeln zeichneten sich unter seinen Schuppen ab und ließen erahnen, dass es sich bei ihm um einen Krieger handelte.​
»Im Zweikampf würde ich niemals gegen einen von ihnen verlieren!«​
»Ach ja? Ich habe meinen Spaß mit ihnen!«, antwortete eine Menschenfrau.​
Sie trug eine Rüstung, die nicht viel mehr von ihr bedeckte, als Unterwäsche es tun würde, und stellte damit ihren äußerst attraktiven Körper zur Schau. Es handelte sich um eine Priesterkriegerin im Dienste der Kriegsgöttin, die ihre mächtige Streitaxt nutzte, um den Kreaturen des Chaos Einhalt zu gebieten. Ein menschlicher Magier, der schon das mittlere Alter überschritten hatte, sagte darauf:​
»Ich würde mir wünschen, dass ihr nicht immer einfach in die Räume hineinstürmt. Wie soll ich da ordentlich Zauber wirken können?«​
»Dem Herrn Strategen gefällt unser Vorgehen wohl nicht ... «, entgegnete die Priesterkriegerin in ironischem Tonfall und kicherte.​
»Freu dich doch, dass du deine Zauber aufsparen kannst. Kämpfen ist nun mal unsere Spezialität, verstehst du?«​
»Das ist nicht das Problem, aber lass uns das später besprechen. Haben wir jetzt alle Goblins erledigt?«​
»Seid mal ruhig, sagte darauf eine tiefe, schwermütige Stimme.​
Sie gehörte zu einer schwarz gekleideten Gestalt, die sich vor eine Schatztruhe gekniet hatte.​
»Die Viecher haben eine Falle angebracht.«​
Es handelte sich um einen Dieb, dessen spitze, schwarz gefärbte Ohren verrieten, dass er kein Mensch war. Er war ein Dunkelelf, der zu den sprechenden Völkern übergelaufen war.​
»Kannst du sie entschärfen?«, fragte der Magier.​
»Natürlich kann ich das. Verglichen mit den Fallen meiner Artgenossen ist das hier Kinderkram.«​
»Hoffentlich ist da mehr drin als nur etwas Taschengeld.«​
Die Truhe öffnete sich mit einem Klacken und eine hübsche Frau beugte sich über sie. Um ihren Hals hing eine Kette mit einem Symbol, das aussah wie ein Wagenrad. Es war das Zeichen des Gottes des Handels. Die Akolythin runzelte die Stirn, als sie erkannte, dass die Kiste lediglich alte Münzen enthielt.​
»Wenn ihr euch alle nicht immer so großzügig ausrüsten würdet, hätten wir nicht ständig Geldprobleme.«​
Der Echsenmensch legte seine Hand auf die Schulter der Akolythin und sagte:​
»Wer sich nicht ordentlich ausrüstet, auf den wartet nichts weiter als der Tod. Außerdem - wer nicht ordentlich isst, der kann auch nicht ordentlich kämpfen.«​
»Ja, das weiß ich doch.«​
Sie legte eine Hand auf die ihres schuppigen Kameraden.​
»Aber genau deshalb müssen wir mehr als das hier verdienen.«​
»Kommt, lasst uns weiter, ihr Turteltauben«, unterbrach die Priesterkriegerin mit einem Lächeln den Moment der beiden.​
»Ja, genau«, pflichtete der Magier ihr bei und drehte sich dem Dunkelelfen zu.​
»Schau bei der Tür im Norden, ob es Fallen gibt.«​
»Hier sind keine«, gab ebenjener zurück und legte ein Ohr an die Tür.​
Im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubendes Brüllen.​
»Da ist ja auch schon unser nächstes Opfer!«, rief der Krieger freudig.​
Die Gruppe nahm Kampfformation ein. Der Echsenmensch und die Priesterkriegerin standen in der vorderen Reihe, der Magier und die Akolythin in der Mitte und der Dieb hinten.​
»Los geht's!«​
Mit einem Furcht einflößenden Kampfschrei trat der Echsenmensch die Tür ein und stürzte sich zusammen mit seinen Kameraden in den nächsten Raum. Dort wartete ein gewaltiger schwarzer Schatten auf sie. Als der Magier erkannte, um was für ein Monster es sich handelte, schrie er erschrocken auf.​
»Das ist ein Troll!«​
Trolle waren dumme, aber äußerst starke Wesen. Sie bewegten sich träge, aber wenn man von einem ihrer Angriffe erwischt wurde, war es das in der Regel für einen. Wunden, die man ihnen zufügte, schlossen sich mit höllischer Geschwindigkeit wieder, wenn man nicht gleichzeitig Feuer gegen sie einsetzen konnte. Der Magier verstand nicht, was ein Wesen wie der Troll hier zu suchen hatte. Er hatte Gerüchte gehört, dass sie gelegentlich von Goblins als Leibwächter angeheuert wurden, aber so was bisher immer als Schwachsinn abgetan. Kurz ergriff ihn die Angst, dass sie ihn wahrscheinlich nicht besiegen könnten, doch er schüttelte sie ab und machte sich daran, seiner Gruppe Befehle zu erteilen.​
»Die vordere Reihe hält ihn in Schach, während die Akolythin Verstärkungszauber wirkt. Der Dieb nutzt die Lücken in seiner Verteidigung, um immer wieder zuzuschlagen, und ich werde Feuerbälle werfen.«​
»Aber was ist mit unserer Rückendeckung?«​
»Wir haben keine Zeit dafür!«​
»Okay!«​
Der Dieb verschwand im Schatten des Raums und die Priesterkriegerin brüllte:​
»Los!«​
Der Kampf begann und mit einem »OLRLLLLRT?!« kassierte der Troll ein Heiliges Schmettern.​
»Ha ha! Anscheinend hast du ihm wehgetan, Priesterkriegerin!«​
»Ooooooh!«​
Weil der Troll ins Wanken geraten war, nutzte der Echsenmensch die Chance und griff an. Er schlug mit seiner Waffe zu, welche jedoch an der harten Haut seines Gegners abprallte.​
»Meine Güte! Der kann aber ganz schön was ab!«​
»Wartet doch, bis ich euch verstärkt habe!«, rief die Akolythin.​
»Wir können doch nicht ständig auf dich warten!«, gab der Krieger zurück und machte einen Satz nach hinten, um dem herab sausenden Knüppel des Trolls auszuweichen.​
»TOOOORLLL!!«​
Die tausend Jahre alte Kammer bebte unter der Wucht des Schlags und kleine Steine rieselten von der Decke herunter.​
»Ts! Der ist echt absurd stark!«​
Mit einem genervten Gesichtsausdruck schloss die Akolythin ihre Augen und begann zu beten,​
»Mein Gott, der du zu einem wandernden Wind wirst, bitte schenke uns Glück auf unserer Reise!«​
Ein wirbelnder Wind wehte durch die Kammer und legte sich schließlich um die Klinge des Echsenmenschen. Die Angriffskraft der Waffe hatte sich damit beachtlich erhöht.​
»Besten Dank! Mein Vorfahre Yinlong, bitte schenke mir deine Aufmerksamkeit!«​
»Wenn du jemandem danken willst, dann dank gefälligst dem Gott des Handels!«​
Die Akolythin beschwerte sich bei ihrem schuppigen Kameraden, aber dieser war vollauf damit beschäftigt, sich in eine Attacke des Trolls zu werfen und mit einem gezielten Streich seines Tebutje die Waffe des Gegners abzulenken.

»OLLLT?!«​
»Jawoll!«​
Der Troll geriet ins Wanken und der Dieb witterte seine Chance. Wie der Blitz schlug er zu und durchtrennte eine der Sehnen der Bestie.​
»TOORRRRROO!!«​
Wutentbrannt holte der Troll mit seiner Waffe aus, um die Priesterkriegerin damit zu zerquetschen.​
»Oje. Nicht gut, nicht gut, nicht gut. Jetzt ist er sauer, oder?«, rief sie und sprang zur Seite.​
Dabei fiel ihr Blick auf die Wunde, die der Dieb ihrem Gegner zugefügt hatte, und sie musste mit Schrecken erkennen, dass diese sich bereits wieder zu schließen begann. Ein Schock durchfuhr sie. Hieß das etwa, dass ihr Wunder auch keinen wirklichen Schaden verursacht hatte?​
»Wo bleiben die Feuerbälle?«, rief die Akolythin, die damit beschäftigt war, das Wunder zur Verstärkung der Waffen ihrer Kameraden aufrechtzuerhalten.​
»Ja, ich bin dabei!«, gab der Magier zurück und begann, Worte wahrer Macht zu sprechen.​
»Carbunculus ... Crescunt ... !acta!«​
Dies waren die letzten Worte, die je den Mund des Magiers verlassen sollten. Mit einem dumpfen Geräusch bohrte sich etwas in seinen Schädel und der abgeschossene Feuerball flog quer durch den Raum, um sinnlos an einer Steinsäule zu verglühen. Es war nicht klar, ob der Magier wusste, dass ein Goblin mit einer Steinaxt ihm sein Ende bereitet hatte, doch eigentlich spielte es auch keine Rolle. Teile des Hirns des Menschen verteilten sich auf dem Fußboden.​
»GROORB!!«
»GORR!«​
»Sie greifen von hinten an?!«​
Einer der übrig gebliebenen Abenteurer hatte realisiert, was passierte, doch was sollten sie jetzt tun?​
»GORBBBO!!«
»OOOTLLTL!!«​
»Ich beschäftige den Troll! Sorgt ihr dafür, dass wir hier rauskommen!«, rief der Echsenmensch und wandte sich dann der Priesterkriegerin zu.​
»Hilf den beiden!«​
Die Frau vernahm zwar die Worte ihres Kameraden, doch vor lauter Panik war sie wie gelähmt. Verzweifelt rief sie:​
»Nein, nein! Das kann ich nicht!«​
Die Situation sah alles andere als rosig für die Abenteurer aus. Sie waren in die Falle der Goblins getappt und mussten sich jetzt sowohl mit ihnen als auch mit dem Troll auseinandersetzen. Die Akolythin biss sich so doll auf die Lippen, dass sie Blut schmeckte. Der Dieb war an ihre Seite geeilt, um sie zu beschützen, aber sie war sich nicht sicher, was sie jetzt tun sollte. Schließlich entschloss sie sich, ein weiteres Gebet zu sprechen.​
»GRORORB ...!«​
Just in diesem Moment betraten weitere Goblins die Kammer. Es mussten an die zehn von ihnen sein. In ihren Augen brannte das Verlangen danach, die Abenteurer zu erniedrigen und dann zu töten. Bei ihrem Anblick geriet das Gebet der Akolythin ins Stocken, weshalb der Dunkelelf sie anfuhr:​
»Nicht aufhören!«​
Er schnellte heran und blockte den Dolchstoß eines Goblins, der es auf die Akolythin abgesehen hatte. Dann durchschnitt er die Kehle der Bestie und trat sie rücksichtslos um.​
»J ... Ja!«​
Die Frau riss sich am Riemen und griff sich das heilige Symbol, das um ihren Hals hing.​
»Mein Gott, der du zu einem wandernden Wind wirst, bitte schenke uns Glück auf unserer Reise!«​
Erneut verstärkte sie die Waffen ihrer Kameraden.​
»Oooh! Hajah!«
»TOOTLOR!«​
Das Wunder kam gerade richtig für den Echsenmenschen und die Priesterkriegerin, die dabei waren, sich erneut auf den Troll zu stürzen. Der Krieger wehrte mit einem Hieb den Knüppel des Trolls ab, während die Frau ihre Streitaxt in sein Bein rammte.​
»Nimm das! Und jetzt gemeinsam!«​
»In Ordnung!«​
Zusammen schlugen die beiden Nahkämpfer erneut zu und sorgten so dafür, dass sich das Blut der Bestie über den Boden verteilte.​
»TOORL?!«​
Doch es war noch immer bei Weitem nicht genug, um sie zu besiegen. Mit dem Verlust des Magiers hatten sie ihre Fähigkeit verloren, den entscheidenden Schlag auszuteilen.​
»Scheiße! Scheiße! Scheiße!«​
Der Priesterkriegerin stiegen die Tränen in die Augen, während sie vor sich hin fluchte. Es waren keine Tränen der Angst, sondern der Frustration, denn es beschlich sie das Gefühl, dass sie, egal, wie angestrengt sie auch kämpfen würden, den Troll nicht besiegen würden. Wäre alles vielleicht anders verlaufen, wenn sie doch dafür gesorgt hätten, dass ihnen jemand den Rücken freihielt? Aber dann wären sie doch nicht genug gewesen, um den Troll zu bezwingen!​
Als Nächstes starb der Dunkelelf. Er hatte bereits drei Goblins erledigt, als ihm ein schmutziger Dolch eine Wunde an der Wange zufügte. Der Dieb wusste sofort, dass es sich dabei um eine vergiftete Waffe gehandelt hatte, weshalb er ein Fläschchen mit Gegengift aus seiner Tasche zog.​
»GRORB!«
»GROB! GRRRORB!!«​
Die restlichen Goblins wollten ihm jedoch nicht die Zeit geben, um den Trank zu sich zu nehmen, und bedrängten ihn mit Angriffen. Nach und nach wurden die Bewegungen des Dunkelelfen träger, bis er schließlich ...​
»Ngh ... Argh!«​
... von der Waffe einer der Bestien erwischt und umgerissen wurde. Die schmatzenden Geräusche, die die Kampfgeräte machten als sie dem Dieb sein Ende bereiteten, wurden von dem verzweifelten Schrei der Akolythin übertönt. Der Echsenmensch fuhr erschrocken herum. War der Frau, die ihn in die Welt der Liebe entführt hatte, etwa etwas passiert? Liebe macht blind und das war in diesem Fall nicht anders, denn die Unachtsamkeit des Kriegers bedeutete seinen Untergang. Trolle waren dazu imstande, Bäume auszureißen, und deshalb war es nicht schwer, sich auszumalen, was mit dem Echsenmensch passierte, als der Knüppel des Biestes mit voller Gewalt auf ihn herabsauste. Dem Krieger, der im letzten Moment bemerkte, dass er nicht mehr würde ausweichen können, schoss sein Leben vor den Augen vorbei. Er hatte viele Abenteuer erlebt, viele Kämpfe gekämpft. Lediglich die Tatsache, dass der Troll wahrscheinlich sein Herz fressen würde, störte ihn. Nichtsdestotrotz ging ihm als letztes Wort ein »Hervorragend!« über die Lippen. Dann wurde sein Kopf vom Knüppel des Trolls eingeschlagen und sein Körper fiel leblos zu Boden.​
»Nein ...«​
Die Akolythin hatte den Tod ihres Geliebten ganz genau gesehen und konnte nicht gegen die Verzweiflung, die in ihrem Körper hochstieg, ankämpfen.​
»Nein! Unmöglich! Das ist nicht wahr!«​
»Halt! Es ist eh schon zu spät!«​
Die Akolythin trotzte der Warnung der Priesterkriegerin und rannte zur Leiche des Echsenmenschen, wodurch sie sich genau vor dem Troll positionierte. Mit ihren Schreien hatte sie schon dessen Aufmerksamkeit auf sich gezogen und auch die Goblins hatten sie mehr als erfreut wahrgenommen.​
»I... Ihr miesen ...!«​
Die Priesterkriegerin bemerkte, dass der Knüppel des Trolls auf ihre Kameradin herabsauste. Sie hatte ihr ganzes Leben dafür trainiert, Abenteurerin zu werden, und wenn sie einfach weggerannt wäre, hätte sie vielleicht sogar überlebt, doch das war keine Option für sie.​
»Aus dem Weg!«​
»W... Was ... ?!«, rief die Akolythin, als sie weggestoßen wurde. Sie schaute zur Priesterkriegerin und sah, dass diese kraftlos lächelte. Dann verschwand sie knirschend unter dem Knüppel des Trolls. Mit Überresten ihrer Kameradin im Gesicht schaute die Akolythin fassungslos auf die noch leicht zuckenden Gliedmaßen, die unter der groben Waffe des Biestes hervorschauten.​
»Aaah ...«​
Die letzte überlebende der Abenteurer-Gruppe konnte nicht aufstehen. Ihre Beine wollten ihr nicht gehorchen und ihre Blase auch nicht. Sie spürte, wie sich eine Pfütze zwischen ihren Beinen bildete.​
»GRRROR...!«
»GROB! GROB!«​
Die Goblins bemerkten natürlich sofort, was passiert war, und näherten sich der Akolythin quälend langsam. Aus Vorfreude auf das, was sie mit ihr anstellen würden, lief ihnen schon der Sabber aus den Mäulern.​
»N... Nein ... Nicht! Lasst mich!«​
Kreischend trat die junge Frau nach den kleinen Bestien, doch​
die wussten sich zu helfen.​
»GROB!«
»TOOOORLL!«​
Einer der Goblins gab dem Troll-Leibwächter einen Befehl, der sogleich ausgeführt wurde. Ein kurzer Schlag mit dem Knüppel brach der Abenteurerin beide Beine.​
»Aaaaaah!«​
Der Schmerzensschrei war in der gesamten Ruine zu hören, doch als die Goblins sich auf sie warfen, wurde es kurz darauf still. Das Abenteuer war damit beendet. Erneut sollte erwähnt werden, dass sie einfach nur Pech hatten. Sie waren gut ausgerüstet und auch die Komposition ihrer Gruppe war ausgewogen. Sie waren weder unvorsichtig noch überheblich. Nichtsdestotrotz wurden sie ausgelöscht. Und warum? Der Gott Wahrheit sagte es mit einem zufriedenen Lächeln:​
»Weil ich nun mal wollte, dass diese Gruppe heute ausgelöscht wird.«​
***
Los, Abenteurer!
Wir brechen auf zu einer Reise!
Was wird uns erwarten?
Drachen oder Golems?
Oder untote Krieger?
Vielleicht finden wir auch legendäre Ausrüstung.
Mit nur einer Fackel und einem Speer ziehen wir ganz unbeschwert los.
Im Westen oder Osten liegt eine Brücke, auf deren anderer Seite vielleicht der Tod wartet, doch das einzig wahre Ziel ist die Liebe.
Eine Prinzessin wäre ideal, aber seinen Wunsch bekommt man nur selten erfüllt.
Zumindest eine Nacht will man sich jedoch amüsieren.
Los, Abenteurer!
Wir brechen auf zu einer Reise!

***
Während die Priesterin leise ein Lied sang, führte sie die Gruppe aus sechs Personen zum Ort, an dem bald der Trainingsplatz entstehen sollte. Auf einer Ebene standen Zelte und Leute liefen beschäftigt umher. Unter ihnen waren einige, die alte Narben am Körper trugen, woran man sie als Abenteurer im Ruhestand erkennen konnte. Als die Priesterin sie sah, fragte sie sich kurz, ob sie sich darüber freuen sollte, dass selbst Leute wie sie noch Arbeit finden konnten, oder ob sie traurig darüber sein sollte, dass sie noch arbeiten mussten. Bevor das Mädchen sich für eine Antwort entscheiden konnte, zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich: eine Elfe in freizügiger Kleidung, die ihren schönen Körper zur Schau stellte. Sie war eine Prostituierte.​
»Wow...«​
Anscheinend war die Elfe nicht nur der Priesterin ins Auge gefallen, denn dem Jungen entglitt ein kleiner Ausruf, der Erstere erröten ließ. Das Mädchen drehte sich zu Goblin Slayer um und schaute, ob er der Elfe ebenfalls komische Blicke zuwarf, doch den schien sie nicht im Geringsten zu interessieren.​
»I... Ich hatte schon Gerüchte darüber gehört ...«, murmelte die Priesterin.​
»Ha ha ha ha. Männer sind eben simple Kreaturen«, antwortete der Echsenmensch und schlug seinen Schwanz klatschend auf den Boden.​
»Wenn sie Geld haben, wollen sie es ausgeben, und wenn sie keins haben, wollen sie arbeiten, damit sie welches zum Ausgeben haben.«​
»Ja«, stimmte der Zwerg dem Mönch zu.​
Er hatte es irgendwie geschafft, sich einen Bratspieß aufzutreiben, an dem er nun genüsslich knabberte.​
»Da muss ich zustimmen.«​
»Oho ... Dabei dachte ich, euer knauseriges Volk versteht nicht, wie viel Spaß es macht, Geld zu benutzen.«​
Mit heftigem Schmatzen verschlang der Zwerg seinen Spieß. Dann rülpste er und musterte den Körper der Elfe.​
»Und ich dachte, dass Elfen alle so Klappergestelle sind wie du, aber die gerade hatte im Vergleich zu dir wenigstens ein wenig Holz vor der Hütte.«​
»Wie bitte? Was soll das denn jetzt schon wieder heißen?!«​
Wie gewöhnlich fingen die beiden zu streiten an, doch der Anfänger, der daran noch nicht gewöhnt war, zog die Priesterin am Ärmel und fragte: »Ähm ... Sollten wir die nicht aufhalten?«​
»Nein, nein. Die beiden sind gute Freunde«, erwiderte das Mädchen mit einem Lächeln und damit war die Sache für sie gegessen.​
In der Hoffnung, dass sie etwas tun würden, schaute der Junge zu Goblin Slayer und dem Echsenmenschen, doch ihnen schien das Ganze komplett gleichgültig zu sein. Der Mönch näherte sich einem Stand mit weiteren Spießen und kaufte sich einen mit Käse. Genüsslich schob er ihn sich in sein Maul und rief dann:​
»Oh, Nektar! Was für ein Festschmaus! Wie in dem Lied gerade gesagt, ab und zu muss man sich auch amüsieren!«​
»Nun ja, ich glaube, dass es sich auf etwas anderes als Essen bezog ...«, entgegnete die Priesterin, doch entschied sich dann, dass gerade nicht der richtige Zeitpunkt war, um den Mönch darüber zu belehren.​
Sie hatte eine große Aufgabe vor sich und durfte sich jetzt nicht ablenken lassen. Sie festigte den Griff um ihren Stab und atmete tief ein und aus. Dann wandte sie sich Goblin Slayer zu und fragte:​
»Gut, sollen wir gleich los?«​
»Ja«, antwortete dieser kurz und knapp.​
»Oh! Wir gehen also gleich auf Goblin Jagd?!«, hakte der Anfänger neugierig nach und stieß seinen Stab in den Boden.​
»Nein, so ist das nicht ...«, wollte die Priesterin dem jungen Magier freundlich erklären, doch Goblin Slayer fiel ihr forsch ins Wort und wies den Jungen zurecht.​
»Red keinen Unsinn. Erst einmal werden wir Informationen sammeln und mit dem Auftraggeber reden.«​
Goblin Slayer ging zusammen mit dem Rest der Gruppe zum Auftraggeber, dem Vorarbeiter, der für den Bau des Trainingsplatzes zuständig war. Er war ein Zwerg und eine wahre Autorität in der Gilde der Handwerker. Sie fanden ihn vor einem Zelt sitzend. Er schenkte allen ein wenig gekühlten Traubenwein aus einer Glaskaraffe ein, doch den Zwerg-Schamanen schien etwas zu stören. Er fragte seinen Artgenossen:​
»Warum ist es denn kein Branntwein, Bruder?«​
»Bist du etwa ein Idiot? Nur Zwerge können noch arbeiten, nachdem sie Branntwein gesoffen haben, aber du hast doch auch Menschen dabei!«, gab der Handwerker zurück.​
Nachdem das geklärt war, begrüßten die beiden Zwerge sich in ihrer Sprache und stießen dreimal an.​
»Auf die langen Bärte unserer Brüder! Auf die Würfel der Götter! Auf die Abenteurer und Monster!«​
Der Vorarbeiter wischte sich einige Tropfen Wein aus dem Bart und erklärte:​
»Vor einigen Tagen hat eine andere Gruppe bereits den Auftrag angenommen.«​
Goblin Slayer schüttete sich den Rest seines Getränks in den Hals und fragte:​
»Sind sie nicht zurückgekommen?«​
»So ist es.«​
Der Zwergen-Handwerker musterte den Krieger in seiner billigen Ausrüstung. »Du bist Bartschneider, nicht wahr?«​
»Ja, unter dem Namen kennt man mich auch.«​
»Soso ...«​
Der Vorarbeiter lachte kurz.​
»Hast du irgendwelche Fragen?«​
»Es sind Goblins, oder?«​
»Das klang weniger wie eine Frage, sondern eher wie eine Feststellung, aber ja, es sind Goblins. Zum Großteil jedenfalls.«​
Der Zwergen-Handwerker verschränkte seine kurzen Arme vor der Brust und knirschte mit den Zähnen.​
»Diese widerlichen kleinen Teufel haben bis jetzt nur Werkzeug geklaut, aber wer weiß, wie lange das so bleibt. Es wäre wirklich problematisch, wenn es zu Personenschäden bei den Handwerkern käme.«​
»Also waren es wirklich Goblins.«​
»Ja, und weil es sich um einen Goblin Auftrag handelt, kann ich euch nicht allzu viel Geld dafür geben.«​
»Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.«​
»Hey, Orcbolg ...«​
Während Goblin Slayer verständnisvoll nickte, stieß die Elfe ihm den Ellbogen in die Seite. Der Vorarbeiter verzog deshalb skeptisch sein Gesicht, doch sagte nichts weiter.​
»Was denn?«, fragte der Krieger mürrisch.​
»Vergiss nicht, dass das Mädchen bei diesem Auftrag die Befehle gibt.« »Ja.«​
»Hast du es wirklich verstanden?«​
»Ja, aber in Notfallen werde ich trotzdem eingreifen.«​
»Das würde mich sehr beruhigen«, meldete sich die Priesterin lächelnd zu Wort.​
Sie wollte nicht die Leben ihrer Kameraden auf dem Gewissen haben und freute sich darüber, dass der Krieger ihr im Fall der Fälle unter die Arme greifen würde. Der Zwergen-Vorarbeiter erkannte an dem Verhalten der Gruppe, dass sie miteinander vertraut waren, und nickte zufrieden.​
»Und, ähm ...«, sprach ihn die Priesterin an.​
»Ja, bitte?«​
»Ich würde gerne einige Fragen stellen.«​
Sie ging etwas in die Knie, um dem Zwerg in die Augen sehen zu können.​
»Die Ruine, in der sich die Goblins ... nein, die Monster befinden. Wissen Sie, was das für ein Ort ist?«​
»Ja, so ein Idiot, dem das Werkzeug gestohlen wurde, wollte ihnen hinterhereilen, aber wir haben ihn aufgehalten«, antwortete der Handwerker schnaufend.​
Der Schamane der Gruppe flüsterte der Priesterin ins Ohr:​
»So sind wir Zwerge. Unser Werkzeug ist uns heilig und wer es uns klaut oder es schlecht behandelt, der hat kein Erbarmen verdient.«​
Das Mädchen nickte kurz und fragte den Vorarbeiter dann:​
»Sollen wir das Werkzeug zurückbringen, falls wir es finden?«​
»Das wäre großartig. Dann wird sich der Torfkopf, dem es geklaut wurde, auch sicher wieder beruhigen.«​
Die Priesterin machte innerlich einen Freudensprung. Sie hatte von Goblin Slayer gelernt, wie wichtig es war, gute Beziehungen zum Auftraggeber aufzubauen, und sie hatte das Gefühl, dass es ihr in diesem Fall gelungen war. Der Zwerg erklärte weiter:​
»Also, die Ruine befindet sich nördlich von hier. Ich werde eine Karte vorbereiten. Es wird sich bei ihr vermutlich ... «​
»Es ist ein Mausoleum«, unterbrach der Krieger den Zwergen Handwerker. Er hatte sich ein weiteres Glas Traubenwein in den Hals geschüttet.​
»Wie viele andere seiner Art besteht es aus verschiedenen Grabkammern und Gängen, die sie verbinden.«​
»Du kennst den Ort?«​
»Vor langer Zeit wurde mir mal gesagt, dass ich mich davon fernzuhalten hätte.«​
Vor langer Zeit? Die Priesterin musterte ihren Kameraden. Seit einem Jahr war sie nun schon mit ihm unterwegs, aber sie wusste noch immer nicht sonderlich viel über seine Vergangenheit. Er hatte eine Schwester, die bereits verstorben war, und war vor sechs Jahren Abenteurer geworden. Mehr hatte er ihr nicht erzählt. Nein, dafür ist jetzt eigentlich nicht der richtige Moment. Die Priesterin schüttelte ihren Kopf. Sie war aktuell die Anführerin der Gruppe und das Erledigen des Auftrags hatte Vorrang. Sie wandte sich wieder dem Vorarbeiter zu.​
»Ahm, gab es irgendwelche Besonderheiten beim Eingang dieser Grabstätte? Vielleicht Knochen oder Malereien?«​
»Mir wurde von nichts berichtet.«​
Das Mädchen legte einen Finger an die Lippen und nickte.​
»Wenn es keine Totems oder Ähnliches gab, werden sie keine Schamanen haben. Aber wie stand es um die nicht zurückgekehrte Gruppe? Welche Ränge hatten die Mitglieder und welchen Klassen gehörten sie an?«​
»Ich meine, dass sie alle auf Porzellan- oder Obsidian-Rang waren. Und ihre Klassen ...«​
Der Handwerker verschränkte die Arme und schaute kurz in den Himmel. Er durchforstete für eine Weile sein Gedächtnis und nickte dann.​
»Es waren ein Echsenmensch Krieger und eine Priesterkriegerin. Dann noch ein Magier, eine Art von Klerikerin und ein Dieb oder Meuchelmörder oder so.«​
»Also zwei Frauen?«​
»Ja, richtig.«​
Die Priesterin dachte daran, dass falls überhaupt noch jemand leben sollte, es wahrscheinlich die beiden Frauen waren. Es war unwahrscheinlich, aber sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben.​
»Falls Sie noch Heiltränke dahaben, würden wir gerne welche mitnehmen. Natürlich werden wir für sie bezahlen.«​
»Ja, kein Problem. Habt ihr sonst noch etwas?«​
»Falls es hier einen Heiler gibt, soll er sich bitte bereithalten.«​
Goblin Slayer, der dem Gespräch aufmerksam zugehört hatte, neigte sich zum Echsenmenschen herüber und fragte:​
»Was denkst du?«​
»Ich denke, dass ihre Einschätzung richtig ist. Zwei von der Gruppe könnten überlebt haben, aber wir sollten davon ausgehen, dass sie alle tot sind.«​
»Was?!«​
Der Anfänger-Magier hatte die Antwort des Mönchs gehört und schrie erschrocken auf.​
»Ist irgendwas?«, fragte der Echsenmensch und wandte sich dem Jüngling zu.​
»N... Nein ... «​
»Na, dann ist ja gut. Oh, ich sehe, es gibt Käse.«​
Die schuppige Hand des Mönchs schoss nach vorne, griff sich einige Würfel Käse und warf sie in sein Maul.​
»Oh, ausgezeichnet! Ist das etwa der Käse jenes Hofs, werter Goblintöter?«​
»Kann gut sein.«​
»Fantastisch!«​
Der Junge konnte nicht fassen, dass der Echsenmensch nach solch einer Aussage so gelassen war, doch für jenen war der Tod etwas Selbstverständliches. Alle Lebewesen würden früher oder später wieder dem Kreislauf des Lebens zugeführt werden. Nachdem der Mönch sich noch einige weitere Käsewürfel gegönnt hatte, leckte er sich genüsslich über die Schnauze und sagte:​
»Wir sollten davon ausgehen, dass dort noch andere Wesen außer Goblins sind.«​
»Ja«, stimmte Goblin Slayer der Schlussfolgerung des Echsenmenschen zu. »Aber Schamanen scheint es dort nicht zu geben.«​
»Lass uns hoffen, dass sich dort nicht auch ein Paladin eingenistet hat.«​
»Da wäre mir tatsächlich ein Hob lieber.«​
»Oder ein anderes Wesen des Chaos.«​
»Auch auf Fallen sollten wir achtgeben.«​
»Zum Glück werden die meisten Mausoleen mithilfe von Steinen errichtet. Da werden sie zumindest nicht durch die Wände kommen.«​
»Ja, selbst mit den Werkzeugen sollte ihnen das nicht so einfach möglich sein. Ich würde schätzen, dass es ungefähr zwanzig sind.«​
»Glaubst du nicht, dass es noch weniger sein müssten? Die Gruppe vor uns wird doch sicher einige von ihnen getötet haben.«​
»Du hast recht. Aber wir sollten uns beeilen. Wenn sie genug mit ihren Opfern gespielt haben, werden sie sich rächen kommen.«​
»Dann sollten wir gleich los.«​
»Nein, das muss sie entscheiden.« »Ach ja, stimmt.«​
Der Anfänger lauschte den beiden Abenteurer-Veteranen gespannt bei ihrem blitzschnellen Austausch. Er hatte schon so einiges über das Volk der Echsenmenschen und über Goblin Slayer gehört, doch sie so hautnah zu beobachten, war noch einmal etwas ganz anderes, als nur die Geschichten über sie zu hören. Er blickte zur Elfe hinüber und sah sie gähnen.​
»Was denn? Musst du denn nichts machen?«​
»Jeder hat seine Aufgaben.«​
Die Elfe wischte sich Tränen aus den Augen und wackelte mit ihren langen Ohren.​
»Ich bin die Späherin und Waldläuferin dieser Gruppe und den Rest überlasse ich den anderen.«​
»Ganz genau, Bursche«, stimmte der Zwerg seiner Kameradin zu und schüttete sich Branntwein in sein Glas, das er direkt darauf leerte.​
»H... Hey ... Solltest du so viel trinken?«, fragte der junger Magier skeptisch.​
»Du Dummkopf, Zwerge funktionieren erst so richtig, wenn sie betrunken sind!«​
Er unterstrich seine Aussage mit einem kräftigen Rülpser.​
»Das Langohr hat ausnahmsweise mal recht! Jedes Mitglied einer Gruppe sollte wissen, was es zu tun hat!«​
»Was meinst du mit ausnahmsweise?«​
Die Elfe schnaufte wütend durch die Nase.​
»Meinen Mund verlassen nur die weisesten Aussagen.«​
»Ach, ist das so?«​
»Ja, so ist es!«​
Der Zwerg wollte zu einem dummen Spruch ansetzen, doch hielt sich zurück, als er den ungläubigen Blick des Anfängers bemerkte. Also wiederholte er:​
»Jeder sollte wissen, was er zu tun hat.«​
»Hm ...«, erhob der Junge misstrauisch seine Stimme.​
»Also gibt es mehr zu klären als Wer greift an? und Wer wirkt Magie? und so?«​
»Aber natürlich!«​
Der Zwerg wedelte mit der Hand.​
»Weil Bartschneider und der Schuppige meisterhafte Kämpfer sind, kümmern sie sich meistens um die Planung.«​
»Und das Mädchen kommt gut mit anderen klar, weshalb sie sich häufig um die Verhandlungen kümmert. Außerdem hat sie ein Auge fürs Detail, weshalb sie sich um die Vorbereitung unseres Gepäcks kümmert«, fügte die Elfe hinzu.​
»Du könntest dir ruhig mal eine Scheibe von der Kleinen abschneiden, Langohr.«​
»Wie bitte?!«​
Die Ohren der Elfe stellten sich vor Ärger auf, doch der Zwerg ignorierte das und legte seine Hand auf die Schulter des Anfängers.​
»Schau ihr zu und du kannst sicher etwas lernen.«​
Der junge Magier schob grob die Hand des Zwergs weg und entgegnete: »Sie ist doch anscheinend nichts weiter als euer Gepäckträger. Was soll ich von der denn lernen?«​
»Ha, er hasst dich!«​
Die Elfe brach in schallendes Gelächter aus und der Zwerg tat es ihr gleich. Die Priesterin beendete kurz darauf ihr Gespräch mit dem Vorarbeiter und die Gruppe setzte sich zusammen, um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Der Anfänger, der ein wenig abseits saß, murmelte, ohne dass es jemand mitbekam:​
»Solange man Goblins tötet, ist der Rest doch egal ·«​
***
Der Eingang des Mausoleums ragte aus dem Boden heraus. Es war nicht klar, ob es ursprünglich in einen Hügel gebaut worden war oder ob die unzähligen Jahre seines Bestehens die Landschaft drumherum so verändert hatten. Die Abenteurer erreichten den Eingang, kurz nachdem die Sonne ihren Zenit überschritten hatte.​
»Ich verstehe.«​
Die Elfe wackelte amüsiert mit den Ohren und lachte Goblin Slayer an.​
»Das sieht echt aus wie ein Ort, an dem Kinder spielen wollen.«​
»Ja, mir wurde das aber verboten.«​
»Und du bist trotzdem hergekommen?«​
Die Elfe hoffte, eine Geschichte aus Goblin Slayers Kindheit zu hören, doch für den Krieger war all dies eine weit entfernte Erinnerung. Es war schon über zehn Jahre her ... Nein, eigentlich waren es gerade mal zehn Jahre, aber er konnte sich nicht erinnern. War er hergekommen? Er konnte es sich nicht vorstellen, denn seine Schwester hatte es ihm verboten und er hatte ihr nie Sorgen bereiten wollen. Goblin Slayer schüttelte den Kopf und sagte:​
»Nein.«​
»Dann weißt du also nicht, wie es drinnen aussieht?«, entgegnete der Zwerg.​
»Meine Schwester meinte, dass es aus Gängen und Grabkammern besteht.«​
Weil es ihn so sehr interessiert hatte, war sie damals auf die Suche nach Informationen über das Mausoleum gegangen, und hatte alle möglichen Dinge herausgefunden. Darunter auch, wer darin beerdigt worden war und wie es innen aussah. Wahrscheinlich hatten diese Informationen ihn am Ende auch davon abgehalten, selbst zu der Ruine zu gehen. Er fragte sich, warum er sich an all diese Dinge nicht mehr richtig erinnern konnte. Alles aus der Zeit war undeutlich geworden, dabei war es erst zehn Jahre her, dass in der Nähe sein Heimatdorf gestanden hatte. Schnell schüttelte der Krieger diese Gedanken ab und wandte sich der Priesterin zu.​
»Wie sieht es aus?«​
»Hm ... Ich sehe keine Totems und auch keine Wachen ... Nur den typischen Müllhaufen.«​
»Egal, lasst uns schnell gehen! Wir müssen die anderen Abenteurer retten!«, rief der Junge mit feuriger Leidenschaft.​
Das Mädchen spürte einen Stich in ihrem Herzen. Vor gerade mal einem Jahr war sie wie er gewesen. Zusammen mit ihrer ersten Gruppe war sie voller Elan losgezogen, um Goblins zu erledigen, und das Abenteuer hatte in einem Desaster geendet. Selbst jetzt träumte sie manchmal noch davon. Doch war sie inzwischen anders als damals? Sie wusste es nicht ...​
»Immer mit der Ruhe.«​
Der Echsenmensch legte seine schuppige Hand auf die Schulter der Priesterin, die in ihren Sorgen zu versinken drohte.​
»Wer voreilig handelt, wird meist dafür bestraft. Das wird seit dem Altertum schon so überliefert.«​
»Ja ...«​
Die Priesterin nickte und sammelte sich. Sie ging alle nötigen Schritte noch einmal in ihrem Kopf durch. Zuerst kam eine letzte Kontrolle der Ausrüstung. Sie wandte sich an ihre Kameraden und fragte:​
»Alle miteinander, ist eure Ausrüstung in Ordnung?«​
Wie die anderen überprüfte sie ihre Sachen. Sie hatte ihren Stab bei sich und ihr Kettenhemd trug sie auch. In ihrer Tasche befanden sich Heiltränke und ihr Abenteurerset, außerdem ein Haken und ein Seil, Pflöcke, Hammer, Kreide, Kerzen und andere Kleinigkeiten. Goblin Slayer nickte als Erster. Die Elfe als Zweite, nachdem sie eine neue Sehne aus Spinnenfäden auf ihren Bogen gespannt hatte. Der Zwerg als Dritter, nachdem er seine Katalysatoren überprüft hatte, und dann nickte der Echsenmensch nach dem Durchzählen seiner Fangzähne. Der Junge, der den anderen zugeschaut hatte, folgte als Letzter.​
»Und was machen wir als Nächstes, werte Anführerin?«​
»Mann, Mönch ... Machst du dich etwa lustig über mich?«​
»Ha ha ha!«​
Die Priesterin blies beleidigt die Wangen auf, weshalb der Echsenmensch lachen musste. Nach einem kurzen Seufzen machte sich die Klerikerin Gedanken darüber, in welcher Formation sie in das Mausoleum eindringen sollten.​
»Je nach Breite der Gänge würde ich zwei Reihen mit drei Personen oder drei Reihen mit zwei Personen vorschlagen.«​
Die Elfe kniff ihre Augen zusammen und schaute in Richtung des Eingangs. Dann antwortete sie:​
»Wenn ich es richtig erkenne, ist der Gang genauso breit wie der Eingang. Drei Leute sollten also nebeneinander passen.«​
Die Priesterin klatschte in die Hände.​
»Dann lasst uns mit drei Reihen je zwei Personen anfangen und wenn nötig die Formation ändern.«​
Die Elfe grinste das Mädchen frech an und erwiderte:​
»Verstanden. Wenn unsere Anführerin es so will, werden wir es natürlich so machen.«​
»Jetzt fang du nicht auch noch damit an ...«​
Erneut blies die Priesterin kurz ihre Backen auf.​
»In der vorderen Reihe gehen Goblin Slayer und die Waldläuferin. In der Mitte der Magier und ich und der Mönch und der Schamane decken uns den Rücken. Bei einem Angriff von vorne tauschen der Mönch und die Waldläuferin und bei einem von hinten tauschen der Schamane und Goblin Slayer.«​
»Gehören Magiewirker nicht nach hinten?«, fragte der Anfänger.​
Das Mädchen schüttelte lächelnd den Kopf:​
»Es könnte sein, dass der Gegner nicht von vorne angreift. Außerdem ... « »Was denn?«​
»... sollten wir unseren Geruch verschleiern.«​
Der Junge legte mit einem „Hä?“ den Kopf schief. Die beiden Mädchen hatten Duftbeutel dabei, er jedoch nicht.​
»GROB?!«
»GROOROB!!«​
Bevor die Goblins in das Mausoleum eingedrungen waren, war dies eine stolze Grabstätte für Helden gewesen. Doch jetzt hatten die Bestien die Särge umgeworfen, die Opfergaben geklaut und den weißen Marmorstein mit Unrat und Dreck besudelt. Die neuen Bewohner der Ruine schreckten hoch, als plötzlich eine Gruppe Abenteurer in ihr Heim eindrang. Das Erste, was sie sahen, war ein Krieger in dreckiger Ausrüstung. In der einen Hand trug er eine Fackel, in der anderen ein mittellanges Schwert.​
»Goblins«, rief Goblin Slayer.​
»Insgesamt fünf.«​
Direkt nachdem er das verkündet hatte, warf der Krieger sein Schwert. Zielsicher bohrte es sich in die Kehle eines Goblins.​
»GORB?!«​
Der Goblin hatte sein Maul weit aufgerissen, aber anstelle eines Schreis kam nur schaumiges Blut heraus, das sich im Raum verteilte. Bei einem ordentlichen Hack and Slash zählte vor allem die Schnelligkeit.​
»Eins!«​
»GROOR!!«
»GROB! GOORB!!«​
Mit Geschrei warfen sich die vier anderen Goblins auf den Krieger. Ihre kleinen Schädel waren voller Hass und Groll, doch das brachte sie nicht weit.​
»Zwei!«​
Ein Pfeil schoss durch die Luft und nagelte eine der Bestien an die Wand. Das Geschoss hatte sich durch ihre Stirn gebohrt. Die Elfe, die den Pfeil abgeschossen hatte, sprang tänzelnd ein paar Schritte zurück, während sie in ihren Köcher griff.​
»GORO?!«​
Goblin Slayer ging wieder zum Angriff über und schlug mit seinem kleinen Schild einen Goblin aus der Luft, der sich auf ihn werfen wollte. Er griff nach dem Knüppel, den das Monster fallen ließ, und nutzte ihn sofort, um seinen Kopf einzuschlagen.​
»Drei.«​
Der Krieger ließ den mit Gehirnmasse verschmierten Knüppel fallen. Es blieben nur noch zwei Goblins übrig.​
»Verdammter Mist!«​
Der junge Magier wollte die Chance nutzen, um auch eins der Viecher zu töten, und riss seinen Stab in die Höhe.​
»Carbunculus ... Crescunt ... «​
»Noch keine Zauber!«, befahl die Priesterin ihm scharf und ignorierte seine Versuche, sich zu beschweren. Sie musste den Rest der Gruppe im Blick behalten, um zur Not Befehle zu erteilen. Der Verstand war eine Waffe, das hatte Goblin Slayer sie gelehrt. Die zwei übrig gebliebenen Goblins näherten sich langsam, während sie den Raum untersuchte. Er hatte drei Türen.​
»Türen!«​
»Jawohl!«, antwortete die Elfe und fing das Abenteurerset, das das Mädchen ihr zuwarf. Sie schnappte sich die Keile und steckte sie unter die Türen, damit sie nicht einfach geöffnet werden konnten.​
Damit sollten wir mit den restlichen zwei Goblins klarkommen, dachte sich die Priesterin. Der Zwerg konnte noch vier Zauber wirken und der Magier hatte seinen auch noch übrig.​
»Ich hoffe, dass meine Wenigkeit auch noch zum Einsatz kommt ... «, sagte der Echsenmensch und sprang nach vorne.​
»Es warten noch so einige Gegner auf uns«, gab der Krieger zurück.​
»Nun gut. Dann wollen wir hier keine Zeit verschwenden!«​
Mit diesen Worten breitete der Mönch seine Arme aus und warf sich auf die zwei übrigen Goblins, die er gnadenlos mit seinen Krallen und Fangzähnen zerfetzte. Damit waren fünf Goblins erledigt, doch das war noch keine bemerkenswerte Leistung. Es warteten noch weitere Gegner auf die Abenteurer.​
»Können wir die Sache wirklich so gemächlich angehen?«​
»Wenn wir die Ruine nicht vorsichtig Raum für Raum sichern, könnte uns das später teuer zu stehen kommen.«​
Die Gruppe hatte bereits drei Kammern des Mausoleums von Gefahren gesäubert, doch auch wenn der Aufbau der Ruine einfach war, war sie immer noch äußerst groß.​
Dem Jungen ging das alles zu langsam.​
»Aber die Gefangenen sind doch in Gefahr! Wir müssen uns beeilen!«​
Er hatte nicht unrecht. Auch die Priesterin machte sich Sorgen. Sie hatten bereits Blutspuren und Goblin Leichen gesehen, aber noch keine Anzeichen, ob jemand von der vorigen Gruppe noch am Leben war oder nicht. Das Mädchen hörte eine Stimme aus den Tiefen ihres Herzens, die ihr sagte, dass es bereits zu spät war, doch es wollte die Hoffnung nicht aufgeben.​
»Wie sieht es aus?«​
Es verbannte die bösen Gedanken aus ihrem Kopf und sprach die Elfe an.​
»Die Tür hier ist nicht abgeschlossen und ich höre auch keine Gegner.«​
Die Waldläuferin hatte eines ihrer langen Ohren an die Holztür gelegt.​
»Aber schau doch mal dort.«​
Mit einem schlanken Finger zeigte sie auf den oberen Rahmen der Tür, wo etwas Fadenartiges zu erkennen war.​
»Eine Falle.«​
»Bestimmt.«​
Goblin Slayer warf seine abgebrannte Fackel weg und entzündete eine neue. Dann zog er einen Speer aus einer Goblin Leiche und überprüfte dessen Spitze. Nachdem er den Speer wieder weggeworfen hatte, kniete er sich neben einen weiteren toten Goblin und nahm ihm seinen Dolch ab. Er war rostig, doch das sollte den Krieger beim Zustechen nicht stören. Zuletzt griff er sich eine Axt, die für den einhändigen Gebrauch gedacht, aber dafür immer noch recht schwer war. Er legte die Waffe auf seine Schulter und stellte sich zu der Waldläuferin. Diese hatte dem Krieger bei seinem Treiben zugeschaut und konnte es sich nicht verkneifen, ein​
»Unfassbar« zu murmeln.​
Die Priesterin hatte sich währenddessen in die Nähe der Tür gestellt und sich gestreckt, um die Falle genauer zu untersuchen. Der Faden war nicht besonders dick und sie vermutete, dass der Mechanismus auch nicht sonderlich kompliziert war, doch Vorsicht hatte oberste Priorität. Schließlich konnte selbst ein vergifteter Nagel gefährlich sein.​
Nachdenklich zog sie ihre Augenbrauen zusammen und dachte nach.​
»Sie sollen Werkzeuge gestohlen haben, oder?«​
»Ich will mir gar nicht erst vorstellen, was sie mit denen anfangen wollen«, antwortete der Zwerg brummelnd und inspizierte ebenfalls den Faden an der Tür.​
»Er scheint nicht stark belastet zu werden. Es wird also keine sonderlich große Falle sein.«​
»Wir können auch noch eine der anderen beiden Türen benutzen«, sagte der Echsenmensch und schlug seinen Schwanz auf den Boden.​
»Die restlichen Goblins im Nest scheinen uns noch nicht bemerkt zu haben.«​
»Hm ...« Die Gruppe sah zu, wie die Priesterin in ihrer Tasche nach einer Karte wühlte, welche sie mithilfe einer einfachen Schreibfeder auf Pergament gezeichnet hatte.​
»Ach, verdammt! Das nervt doch!«, rief der Anfänger. Unfähig, seine Frustration länger zu unterdrücken, zeigte er mit seinem Stab auf die Tür vor ihnen.​
»Was sollen Goblins denn bitte für Fallen bauen?!«​
»Hey! Nicht! Lass es!«​
»Aus dem Weg! Ich mach sie auf!«​
Die Elfe war zwar auf Silber- Rang, doch ihr zarter Körper schaffte es nicht, den Jungen aufzuhalten.​
»Ä ... Ähm ... Also ...!«​
Die Priesterin wusste, dass sie ihn stoppen musste, doch sie stolperte über ihre eigenen Worte. Bisher waren alle ihren Befehlen gefolgt, doch wie sollte sie jemanden aufhalten, der nicht auf sie hören wollte? Hoffnungsvoll richtete sie ihren Blick auf Goblin Slayer, doch der reagierte nicht. Das Mädchen fühlte sich von ihm im Stich gelassen. Das Gefühl erschütterte sie bis ins Mark. Wie ein Tornado wüteten ihre Gedanken in ihrem Kopf.​
Der Junge ließ sich davon nicht aufhalten und ging unbeirrt in Richtung Tür. Er öffnete sie und ...​
»Uwaaaaaah?!«​
. . . etwas fiel plumpsend vor ihm zu Boden. Der Schrei, der ihm über die Lippen ging, hallte im ganzen Mausoleum wider. Beim Versuch, einen Schritt nach hinten zu machen, fiel er auf seinen Hintern.​
»W... Was ... Was macht das hier?!«​
Brutal abgetrennte Arme und Beine baumelten über ihm. Es bestand kein Zweifel, dass sie einst einer Frau gehört haben mussten.​
»Ein Streich der Goblins.«​
Goblin Slayer schnalzte kurz mit der Zunge.​
»Um Eindringlinge zu erschrecken.«​
»U... Urgh ...«, keuchte die Priesterin.​
Sie spürte, wie ihr eine bittere Säure die Kehle hoch kroch, doch sie schluckte sie so schnell wie möglich wieder herunter. Davon würde sie sich nicht entmutigen lassen. Schließlich hatte sie schon häufiger solche Dinge gesehen. Entschlossen festigte sie ihren Griff um ihren Stab.​
»Wie schrecklich«, murmelte die Elfe und klopfte dem Mädchen unterstützend auf den Rücken. Ein Blick in ihr Gesicht verriet jedoch, dass ihr der Anblick der Gliedmaßen genauso übel zugesetzt hatte wie ihrer Kameradin. Um ihre zitternden Mundwinkel zu verstecken, hob sie ihren Umhang vors Gesicht. Dann sagte sie:​
»Glaubt ihr, der Schrei gerade hat sie alarmiert?«​
»Das war wohl ein weiterer Zweck dieses Streichs«, antwortete der Krieger seelenruhig. Er nahm die Axt von seiner Schulter.​
»Sie werden sicher bald hier sein.«​
»Keine Ahnung, aber ... «​
»Ah! Ngaaaaaaah!«​
Ein greller Frauenschrei unterbrach die Elfe. Wahrend der Rest der Gruppe erschrocken zusammenzuckte, stürmte der junge Magier einfach in den nächsten Raum und steuerte auf eine Tür zu.​
»Hier drüben!«, rief er und ignorierte dabei die Rufe seiner Kameraden.​
Er rammte seine Schulter gegen die Tür und öffnete sie ein Stück. Auf der Stelle schlug ihm ein stechender Gestank entgegen. Er schaute in den Raum und erblickte Unrat, Exkremente, Blut und auch Erbrochenes. Inmitten all dessen befand sich ein Goblin zusammen mit einer Frau. Die Frau war mit Draht an einen Stuhl gefesselt, welcher in ihre zarte weiße Haut schnitt. Ihre Augen waren voller Tränen und bis zum Anschlag aufgerissen. Der kleine Teufel vor ihr hielt eine rot-schwarz gefärbte, rostige Säge in seinen Händen, die er beim Anblick des Abenteurers anhob. Er hatte sie benutzt, um etwas von den Händen der Frau abzutrennen. Der Anfänger folgte der Spur aus Blut, die sich von den Armlehnen über die Stuhlbeine bis zum Boden zog, und erkannte die dünnen menschlichen Finger, die in all dem Unrat schwammen.​
»Waaaaaah!«​
Der Junge brüllte wie am Spieß und riss seinen Stab in Richtung des Goblins nach vorne. Dann schrie er Worte wahrer Macht:​
»Carbunculus ... Crescunt ... lacta!«​
Ein Feuerball schoss durch den Raum, schlug im Kopf des Goblins ein und ließ ebendiesen von einer Sekunde auf die andere förmlich schmelzen.​
»Hah... Hah ... Hah ...«​
Keuchend realisierte der Junge, dass er gerade ein Lebewesen getötet hatte. Es fühlte sich surreal an. Er war erschöpft, doch er konnte noch nicht aufgeben. Er wollte die Frau retten.​
»H... Hey! Lebst du noch?!«​
»Ah ... Ah ... Urgh ... «​
»Warte! Ich befreie dich!«​
Verzweifelt begann der Anfänger, an den Drähten herumzufummeln, doch er schaffte es nicht, sie zu lösen. Da seine komplette Aufmerksamkeit auf der Frau lag, bemerkte er nicht das Wesen, das sich von hinten an ihn anschlich.​
»U... Ugh ... Ah!«​
»?!«​
Erst im letzten Moment registrierte er, dass sich etwas hinter ihm befand, und rollte sich instinktiv zur Seite. Dort, wo er gerade noch gestanden hatte, sauste ein riesiger Knüppel herab. Der Junge schaute sich das Wesen an, das ihn angegriffen hatte, und von einem Moment auf den anderen verschwand die komplette Farbe aus seinem Gesicht.​
»OLRLLT ...?«​
Es war ein gewaltiges graues Biest, das am ganzen Körper mit wabbeligen Auswüchsen übersät war. Der Geruch, der von ihm ausging, war unerträglich und nur vereinzelte Haarstoppeln stießen aus seinem ansonsten kahlen Kopf hervor. Ein idiotisches Grinsen lag auf seinen Lippen und am Ende seiner baurnstammartigen Arme hielt es einen kruden Knüppel, in den unzählige Nägel hineingeschlagen worden waren. Es war ein Troll. Das Monster hob seine Waffe und wunderte sich, dass es den Magier verfehlt hatte.​
»N... Ngh ...!«​
Der Junge erkannte, dass noch Überreste eines nicht so glücklichen Abenteurers an der Waffe seines Gegenübers klebten. Um nicht mit den Zähnen zu klappern, biss er sie knirschend zusammen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte die Frau hinter sich retten, doch er hatte seinen Zauber schon aufgebraucht.​
»GRORB!«
»GRB! GROBRORO!!«​
Allerdings war der Troll nicht die einzige Gefahr für den jungen Abenteurer. Goblins hatten sich durch die vier Türen des Raums zu ihnen gesellt. Vermutlich hatte er sie mit seinem Schrei angelockt.​


Der Anfänger ärgerte sich, dass er nicht wie die Elfe vorhin die Türen mit Keilen versperrt hatte, aber jetzt war es zu spät. Er war den Goblins in die Falle gelaufen. Es gab nur noch eine Sache, die er tun konnte: Seine Kameraden warnen. Er leckte sich über seine trockenen Lippen und rief:​
»Kommt nicht her! Das hier ist eine Falle!«​
Der junge Magier schloss die Augen und bereitete sich seelisch auf sein Ende vor, als im nächsten Moment Pfeile und andere Waffen durch die Luft zischten.​
»GRBRR?!«​
Drei Goblins fielen tot zu Boden.​
»Insgesamt zwanzig. Bleiben noch siebzehn«, gab Goblin Slayer fast schon mechanisch von sich.​
Dann rammte er einem verwirrten Goblin einen Dolch in die Kehle.​
»Nein, sechzehn.«​
Die rostige Klinge brach ab, weshalb der Krieger die Waffe von sich warf und nach dem Schwert des sterbenden Goblins griff. Mit einem Tritt beförderte er ihn in den Dreck und zog gleichzeitig die Klinge aus ihrer Scheide. Er nahm Kampfhaltung ein und fragte den Anfänger emotionslos:​
»Lebst du noch?«​
»J... Ja!«​
Der Junge nickte mehrfach, doch Goblin Slayer schüttelte den Kopf. Der Echsenmensch schoss heran und stellte sich schützend vor den Jungen. Er erklärte:​
»Damit meinte er die junge Dame.«​
»Sie lebt noch! Das ist doch klar!«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayers Blick fixierte den Jungen vorwurfsvoll. Zumindest glaubte jener das, weshalb er ausweichend antwortete:​
»Ich dachte, ich müsste sie schnell retten ... «​
»In unserer Gruppe befinden sich auch Frauen.«​
Der Anfänger schaute zu der Priesterin, die zitternd ihren Stab umklammert hielt, und der Elfe, die fluchend Pfeile auf den Troll hageln ließ.​
»Aber ... «​
»Halt den Rand und trag sie mit dem Stuhl!«​
Der Junge wollte etwas entgegnen, doch der Zwerg kam trampelnd angelaufen und schrie ihn wutentbrannt an.​
»Wir haben keine Zeit!«​
»GROROB! GROB! GROORB!!«
»OOOORLLLLT!!«​
Der Schamane hatte recht.​
Die Abenteurer waren von Goblins und einem Troll umzingelt. Die Monster grinsten siegessicher und begannen, den Kreis um die Gruppe langsam enger zu ziehen. Schnell positionierten die erfahrenen Abenteurer sich so, dass sie die Jünglinge und die verletzte Frau beschützen konnten.​
»Ich soll sie tragen?!«, fragte der junge Magier verzweifelt und legte unbeholfen seine Hände an den Stuhl, was die Gefangene veranlasste, hilflose Laute von sich zu geben. Durch das ganze Blut auf dem Holz des Stuhls hatte der Anfänger Probleme, einen festen Griff zu bekommen, und er schaffte es nur mit Mühe, seinen Brechreiz zu überwinden.​
»Vergiss die Finger nicht. Vielleicht können sie noch geheilt werden«, warf der Echsenmensch dem Jungen zu.​
Mit einem „Ach!“ ging dieser hastig in die Knie und sammelte die abgeschnittenen Finger der Gefangenen in einem Tuch. Als er damit fertig war, wischte er sich kurz über seine verschwitzte Stirn und rief:​
»Ich habe sie eingesammelt!«​
»Gut! Nimm die Seite! Die Seite!«, befahl der Zwerg und hob mit dem Anfänger den Stuhl mitsamt der verletzten Gefangenen hoch.​
»Von hinten kommen noch mehr!«, verkündete die Elfe und warf der Priesterin einen Seitenblick zu.​
»Was machen wir?!« »Ahm, ah ...!«​
Das Mädchen wusste nicht, was sie antworten sollte. Sollen wir uns ihnen im Kampf stellen? Sollen wir versuchen durchzubrechen? Sie hatte ihren Kameraden befohlen, dem Jungen hinter herzueilen, und war damit schuld an der jetzigen Situation. Doch sie bereute es nicht. Es war selbstverständlich, dass man Mitgliedern seiner Gruppe half - nichtsdestotrotz wusste sie nicht, wie sie jetzt aus dem Ganzen wieder herauskommen sollten. Unwillkürlich schossen ihr Bilder von ihrem ersten Abenteuer durch den Kopf. Die Magierin, die vom Gift dahingerafft wurde.​
Der Schwertkämpfer, der von den Goblins zerfetzt wurde. Die Nahkämpferin, die willenlos geprügelt worden war und an der sich die Monster dann vergangen hatten.​
»Ä... Ähm ... Ähm ...«​
Sie schüttelte ihren Kopf und versuchte so, diesen Erinnerungen Einhalt zu gebieten. Der Troll und die Goblins waren bereits erheblich näher gekommen, doch sie schaffte es nicht, die nötigen Worte von sich zu geben. Stattdessen stiegen ihr Tränen in die Augen.​
»Werter Goblintöter!«, erhob der Echsenmensch schließlich die Stimme.​
»Darf ich jetzt?«, erwiderte der Krieger emotionslos.​
Die Priesterin antwortete mit einem kraftlosen Nicken.​
»Wir brauchen Heiliges Licht. Ihr brecht durch und überlasst das hier mir.« »Verstanden!«​
»... Ja!«​
Der Mönch und die Priesterin bestätigten die Anweisungen Goblin Slayers, während der junge Magier erschrocken seine Augen aufriss und rief:​
»Wie willst du allein gegen einen Troll an - kommen?!«​
»Du Dummerchen«, belehrte die Elfe den Anfänger.​
»In solchen Momenten muss man Orcbolg einfach machen lassen.«​
Der Echsenmensch lachte, während die Priesterin sich voll und ganz darauf konzentrierte, die ihr aufgetragene Aufgabe zu erledigen. Sie zog ihren Stab nah an sich heran und begann zu beten.​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht!«​
»GGRORRRROOB?!«
»TOOLR?! OORTT?!«​
Die Erdmutter erhörte die Worte ihrer treuen Dienerin und ließ grelles weißes Licht aus der Spitze ihres Stabs schießen. Sie blendete damit die Monster im Raum und rief ihren Kameraden keuchend zu:​
»Los!«​
Der Echsenmensch schritt voran und räumte mit seinen Krallen alle Goblins aus dem Weg, die zwischen ihm und dem Ausgang standen. Die Priesterin folgte ihm, mit dem Zwerg und dem Jungen, die die Verletzte auf dem Stuhl trugen, dicht auf ihren Fersen. Den Abschluss bildete die Elfe. Am Ende blieb nur Goblin Slayer im Raum zurück.​
»Ein Troll«, brummte dieser mit tiefer Stimme.​
»Also ist der kein Goblin?«​
»OOOORLLT!!«​
Mit Gebrüll ließ die Bestie ihren riesigen Knüppel auf den Boden krachen, doch da sich ihre Augen noch nicht von dem Lichtblitz erholt hatten, war es nichts weiter als ein wilder, zielloser Hieb. Goblin Slayer wich der Attacke in aller Seelenruhe aus und holte aus seiner Tasche eine kleine Flasche hervor, welche er nach seinem Gegenüber warf. Das Gefäß zerbrach an dem Troll und eine Flüssigkeit verteilte sich über ihm.​
»TOORL?! TOORRL?!«​
Es war Medeaöl, das auch als Petroleum oder Benzin bekannt war. Ohne zu zögern, warf Goblin Slayer anschließend seine Fackel nach dem Troll und rannte seinen Kameraden hinterher​
»TOOOOROOOOROOOOOORRR!?!?!«
»GROROOB?!«​
Das riesige Monster ging sofort in Flammen auf und mit ihm auch einige der Goblins. Sie schrien wie am Spieß, doch der Krieger ließ sich davon nicht beirren. Er schnappte sich beim Verlassen des Raums den Speer eines gefallenen Goblins und sprang mit einer drehenden Bewegung in die Luft. Er holte aus und beförderte die eben aufgehobene Waffe mit einem kräftigen Wurf in den Bauch eines Goblins, den das Feuer nicht erwischt hatte.​
»GGRORR?!«​
»
Damit wären wir bei fünfzehn.«​
Der Krieger rannte weiter seinen Kameraden hinterher. Er wusste, dass er sich nicht verlaufen konnte. Er musste nur den Goblin Leichen und den offenen Türen folgen.​
»GBGOR?!«
»GRORB! GORORRB?!«​
Auch wenn sie fast alle Goblins erledigt hatten, die zusammen mit dem Troll in dem Raum gewesen waren, tauchten noch mehr von den Biestern aus den Nebengängen des Mausoleums auf und versuchten, sich Goblin Slayer in den Weg zu stellen. Zum Glück des Kriegers zischten jedoch Pfeile heran und beendeten ihr Leben. Ohne Zögern trampelte er über die Leichen und kam so schließlich an die Seite der Waldläuferin, deren zusammengebundene Haare beim Laufen herum hüpften.​
»Hey, Orcbolg! Was war das gerade für ein Rumsen? Hast du etwa ... «​
»Es war ein Notfall!«​
»Dann gib wenigstens vorher Bescheid!«​
»Ich hab nicht daran gedacht.«​
Goblin Slayer wandte sich plötzlich um und schwang sein Schwert. Damit erledigte er kurzerhand einen Goblin, der versucht hatte, heimlich von der Seite heran zuspringen.​
»Wie sieht es vorne aus?«​
»Es ist wie immer! Der Mönch brüllt und wütet«, antwortete die Elfe und schoss ein paar Pfeile nach hinten ab, die drei weitere Goblins töteten.​
»Und, hast du einen Plan?«​
»Natürlich. Ich habe immer einen.«​
***
Die Flucht der Abenteurer führte sie eine Grabkammer, die nur eine Tür besaß. Der Junge, der glaubte, sie wären aus Versehen in eine Sackgasse gestolpert, rief verzweifelt:​
»Sie werden uns hier aufreiben!«​
»Das muss nicht so sein«, entgegnete der Echsenmensch kurzerhand und platzierte sich neben dem Eingang.​
»Wo sind Goblin Slayer und die Waldläuferin?«, fragte die Priesterin keuchend.​
Das Rennen und das Aufrechterhalten des Wunders hatten sie vollkommen erschöpft. Sie war erschreckend bleich im Gesicht.​
»Das Langohr und Bartschneider werden sicher bald zu uns aufschließen«, antwortete der Zwerg und wischte seine blutigen Hände an seiner Kleidung ab.​
Dann holte er ein Fläschchen aus seiner Tasche hervor und reichte es der Priesterin.​
»Hier.«​
»Tut mir leid ...«​
Das Mädchen nahm sich den Trank und leerte ihn in zwei hastigen Zügen. Direkt darauf spürte sie, wie etwas Wärme und Energie zurück in ihren Körper fuhren. Nachdem sie sich kurz gesammelt hatte, sagte sie:​
»Ich werde mich gleich um die Frau kümmern ... «​
»Ruh dich aus. Bei den Verletzungen wird sie nicht sofort sterben.«​
Der Zwerg drückte die kraftlose Priesterin zurück in Richtung Wand. Mit leiser Stimme gab sie ein „Entschuldigung“ von sich.​
»Ist schon okay.«​
Der Zwerg wusste, dass die Priesterin es eh nicht geschafft hätte, alle Wunden der Verletzten komplett zu heilen, weshalb es besser war, wenn sie ihr Wunder noch aufsparte.​
Er wandte sich dem Anfänger zu.​
»Junge, bist du in Ordnung?«​
»Ja, alles gut!«​
»Na dann ...«​
Es war klar, dass der Magier sich aufspielte.​
»Aber denk dran, wenn du mitten in einem Notfall plötzlich keine Kraft mehr hast, wird dir keiner helfen können.«​
»Ich bin nicht erschöpft ...«, setzte der Anfänger an, doch beendete seinen Satz in Gedanken. Kümmert euch lieber um die Frau ...
Er lehnte ebenfalls an einer Wand und schaute auf seine Hände herab. An ihnen klebte das getrocknete Blut der Verletzten. Er rieb seine Finger aneinander und dunkelrote Flocken rieselten in Richtung Boden.​
Ach? Dabei habe ich gehört, dass alle Priester Angsthasen sein sollen. Hä hä hä! Wenn sie Probleme haben, machen sie doch nichts weiter, als ihren Gott um Hilfe anzuflehen!
Der Junge kam sich unheimlich idiotisch dafür vor, so etwas gesagt zu haben. Er schielte hinüber zur Priesterin, die sich während des ganzen Spektakels als überaus mutig bewiesen hatte. Sie schwitzte und keuchte, doch sie würde auch für den nächsten Kampf bereit sein. Dessen war sich der Anfänger mittlerweile sicher. Er wollte etwas zu ihr sagen, doch seine Zunge fühlte sich unheimlich schwer an. Er öffnete und schloss mehrmals seinen Mund. Schließlich schluckte er und sammelte all seinen Mut, bevor er sagte:​
»Tut mir l. .. «​
»Da sind sie!«​
Ein warnender Ruf des Echsenmenschen unterbrach den Jungen, der sofort zur einzigen Tür des Raums schaute. In dem Gang, der dahinter lag, war das Licht einer herannahenden Fackel zu erkennen.​
»Nach all dem lebt das Ding noch?!«, erklang die Stimme der Waldläuferin.​
»Es ist überraschend zäh«, antwortete Goblin Slayer kühl.​
Die beiden Abenteurer rannten, so schnell sie konnten, den Gang entlang, denn hinter ihnen ...​
»OOOLRTTTTR!!«​
... war der Troll, der seinen vom Feuer rauchenden Knüppel herum schwang. Trotz seiner eigentlichen Trägheit hatte er es geschafft, zu den beiden aufzuschließen, und war drauf und dran, sie zu zerquetschen. Die Elfe schlitterte zuerst in den Raum hinein, in dem sich die anderen befanden. Fast quiekend schrie sie:​
»Ich will nicht mehr! Was ist das für ein Viech? Ich möchte lieber gegen edlere Monster kämpfen!«​
»Ein Drache wäre nicht schlecht, ja. Langohr, wenn du so rumheulen kannst, geht es dir wohl noch gut.«​
Der Zwerg seufzte und schaute zu dem Krieger hinüber, der als Zweiter in den Raum gerannt kam.​
»Und was machen wir nun, Bartschneider?«​
»Gib mir eine Sekunde«, gab er zurück und musterte seine Kameraden. Weil die Elfe und Priesterin einen besonders erschöpften Eindruck machten, griff er in seine Tasche und holte zwei Fläschchen hervor.​
»Trinkt.«​
»Ausdauertränke?«​
»Wie? Ach ...«​
Während das Mädchen noch nach Worten suchte, um sich zu bedanken, war die Waldläuferin schon dabei, sich den Trank in den Hals zu schütten. Eigentlich hatte jeder seine eigenen Tränke bei sich, aber Goblin Slayer sah gerade keine Notwendigkeit, geizig zu sein.​
»D... Dann bin ich so frei.«​
Als die Priesterin erkannt hatte, dass die Elfe bereits mit ihrem Trank fertig war, fing sie auch an zu trinken. Es war bereits ihr zweiter Ausdauertrank und er sorgte dafür, dass etwas Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte. Ihr Gesichtsausdruck jedoch war nach wie vor düster.​
»Gut.«​
Goblin Slayer nickte.​
»Ich hätte gerne Wasser. Können wir einen Zauber einsetzen?«​
Obwohl er den Jungen nicht gefragt hatte, stöhnte dieser auf.​
Er konnte nur einmal am Tag Feuerball wirken und dieses eine Mal hatte er schon aufgebraucht. Er murmelte:​
»So einen Zauber zu erlernen, ergibt doch keinen Sinn ... «​
»Ist das so?«​
»Wenn du Wasser brauchst, könnte ich es etwas regnen lassen, aber in einem Raum wie hier wird das eher schwach ausfallen«, antwortete der Zwerg auf die ursprüngliche Frage.​
»Das Ganze wird also nicht so aufregend wie deine Sturmflut im letzten Goblin Nest.«​
»Der Troll ist gleich da. Macht euch bereit«, warf der Echsenmensch in die Runde.​
»Das muss es nicht«, gab Goblin Slayer zum Zwerg zurück.​
»Der Troll muss nur nass werden.«​
»Das sollte kein Problem sein.«​
»Und dann brauchen wir noch einmal Heiliges Licht. Schaffst du das?«​
»Ich ... « Die Stimme der Priesterin zitterte.​
»Ich werde es schaffen!«​
»Gut. Dann ist es entschieden.«​
Als hätte der Krieger mit diesen Worten den Einsatz gegeben, kam der Troll in den Raum gestürmt.​
»OLTROOOR!!«​
Mit fürchterlichem Gebrüll schwang er seinen Knüppel umher. »Hjah?!«​
»Vorsi...«​
Die Priesterin reagierte nicht rechtzeitig, weshalb die Elfe heran sprang, um sie umzuwerfen. Die Nägel, die in die Waffe des Trolls geschlagen worden waren, verfehlten die Waldläuferin nur um wenige Millimeter, aber rissen ihr einige Haarsträhnen aus.​
»Alles in Ordnung?!«, fragte das Mädchen besorgt.​
»Schon gut! Das Wunder! Schnell!«​
»Ja! Höchst barmherzige Erdmutter. Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht!«​
Während sie das Gebet sprach, streckte die Priesterin ihren Stab in Richtung der Bestie und wie so häufig gewährte die Erdmutter ihrer treuen Dienerin das Wunder.​
»RRLLRTTOOR?!«​
Erneut wurde der Troll von dem grellen Lichtblitz von Heiliges Licht überrascht und wich geblendet zurück. Goblin Slayer erkannte die Chance und befahl:​
»Los! Wasser!«​
»Renn herum, Kelpie, und komm herbei! Von der Erde in die Wälder und Flüsse! Von dem Meer bis hoch in den Himmel!«​
Während der Zwerg die Zauberformel sprach, holte er eine kleine Pferdefigur aus seiner Tasche und zerdrückte sie. Augenblicklich fegte ein peitschender Windhauch durch den Raum, der wie ein Wiehern klang, und brachte einen schwachen Regenschauer mit sich. Es war der Zauber Regentanz.​
»Fertig, Bartschneider!«​
»Dann kommt jetzt das!«​
Goblin Slayer zog einen kleineren Lederbeutel aus seiner Tasche und warf ihn nach dem Troll. Als dieser getroffen wurde, schrie er entsetzlich auf.​
»ORLTLRRLR?!«​
Auf der grauen Haut des Biests zeigten sich mehrere schwarz verkohlte Stellen, die direkt danach aufrissen. Goblin Slayer hatte sich von einer Technik inspirieren lassen, die er vom Urbarmachen ländlicher Gebiete kannte. Wenn man große Steine beseitigen wollte, erhitzte man sie erst, um sie dann mit kaltem Wasser zu übergießen und zu zerschlagen. Da es hieß, dass Trolle aus Gestein geboren wurden und wieder zu Gestein wurden, wenn sie in die Sonne traten, hatte der Krieger vermutet, dass dies auch bei ihrem Gegner funktionieren könnte.​
»TLRORL?!«​
Der Riese konnte nicht verstehen, was gerade geschah. Er war nass geworden und dann war aus der Tasche, die der Abenteurer nach ihm geworfen hatte, irgendein Pulver gekommen. Wieso aber bildete sich jetzt Reif auf seiner Haut?​
»TTLLOOTTTTTL!«​
»Simpel und effektiv«, bewertete Goblin Slayer die neue Methode. Das Pulver, das sich in dem Lederbeutel befunden hatte, war ein Feuermittel gewesen - von Alchemisten auch Salpeter genannt. Es saugte wohl das Wasser und die Körperwärme des Trolls auf und führte so zu rapider Kühlung, doch der Krieger verstand das alles nicht wirklich. Ihn störte das aber nicht. Hauptsache, es funktionierte.​
»Wo hast du das gelernt?«, fragte die Elfe genervt.​
»Ach ...«, entfuhr es direkt darauf der Priesterin.​
Sie hatte sich daran erinnert, dass Goblin Slayer sich in der Stadt des Wassers bei einem Eisverkäufer darüber informiert hatte, wie Speiseeis hergestellt wurde.​
»ORLT?! TOORLRLOT?!«​
Verzweiflung war in den Schreien des Trolls zu hören, als er bemerkte, dass seine Wunden nicht heilten. Er wankte umher und schwang ziellos seinen Knüppel, doch schaffte es nicht, jemanden zu treffen. Das Maul des Echsenmenschen verzog sich bei dem Anblick zu einem wilden Grinsen.​
»Das hat er nun davon. Was machen wir jetzt mit ihm?«​
»Wir sollten ihm den Rest geben.«​
Goblin Slayer warf seine Waffe weg und zog aus dem Gerümpel, das die Goblins in dem Raum hinterlassen hatten, ein Schwert heraus.​
»Dann bringen wir die restlichen Goblins um.«​
Was danach mit den Monstern in der Ruine geschah, muss nicht weiter ausgeführt werden, doch der junge Magier, der dem Ganzen beiwohnte, verstand vollends, warum Goblin Slayer seinen Namen wirklich verdiente. Den Troll erledigte er wie ein lästiges Insekt, doch das Töten der Goblins schien er regelrecht zu genießen. Der Anfänger hatte realisiert, dass er noch viel zu lernen hatte, aber eins schwor er sich: Diesen Mann werde ich auf keinen Fall akzeptieren!​

***
»Komm schon. Wenn du in solchen Situationen keine Ansprache hältst, wofür haben wir dich dann, Zwerg?«​
»Na gut. Wir sind heil heimgekehrt und alle Monster sind tot! Auf das Wohl der geretteten Akolythin! Prost!«​
Mit freudigen Zurufen wurden die Krüge in die Höhe gerissen und krachend gegeneinander geschlagen. Abenteurer und Saufgelage gehörten zusammen, das wusste jeder. Bei ihnen wurde über all das diskutiert und geredet, was man erlebt hatte. Wer hatte den besten Angriff abgeliefert? Wer hatte die besten Schätze gefunden? Wer hatte sich einen Patzer geleistet? Und wer verdiente den größten Anteil der Belohnung? Es wurde entschieden, ob gefundene Ausrüstung verkauft oder behalten werden sollte, und natürlich wurde sich auch auf das nächste Abenteuer gefreut. Manchmal kam es vor, dass Abenteurer sich an solchen Abenden stritten, doch eigentlich war es ein Ereignis, um sich zu freuen und die Sau rauszulassen. Wenn während des nächsten Abenteuers etwas schiefgehen sollte, wollten die Abenteurer nicht das Gefühl haben, etwas bereuen zu müssen oder verpasst zu haben.​
Goblin Slayer und seine Kameraden hatten sich in der Schenke der Gilde eingefunden, um ihren Erfolg zu feiern.​
»Hey, Orcbolg. Warum schweigst du eigentlich in solchen Momenten immer?«, fragte die Elfe.​
»Ist das so?«, gab der Krieger emotionslos zurück.​
»Ja, ist es!«​
Die Waldläuferin war entgegen ihrer eigentlichen Art heute sehr zuvorkommend und sorgte dafür, dass ihre Kameraden ständig etwas zu trinken hatten. Wahrscheinlich war sie selbst schon etwas angeheitert. Goblin Slayer, der ihr gegenübersaß, trank schweigend vor sich hin.​
»Werte Kellnerin, könnten wir ein paar Würstchen bekommen?«​
»Aber natürlich, schuppiger Kunde! Die gleichen wie immer?«​
Die Padfoot Kellnerin kam freundlich lächelnd an die Seite des Echsenmenschen.​
»Soll auch etwas Käse drauf?«​
»Oh, das wäre ein Festschmaus!« Der Echsenmensch hob fröhlich seinen Krug, gönnte sich einen tiefen Schluck und wandte sich dann der Priesterin zu.​
»Komm, du auch! Trink! Trink!«​
»Ja ...« Das Mädchen war niedergeschlagen. Sie klang, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.​
»Ich, nun ja, heute..«​
Sie war traurig, weil sie in der Ruine versagt hatte. Auch wenn es ihre erste Erfahrung als Gruppenleiterin gewesen war, hatte sie sich mehr von sich selbst erhofft. Es war am Ende nur gut gegangen, weil erfahrenere Abenteurer ihr zur Seite gestanden hatten. Sie konnte sich einfach nicht verzeihen. Für die Elfe, die schon seit ungefähr 2.000 Jahren lebte, schien der Vorfall heute jedoch vollkommen normal zu sein. Ihre wackelnden Ohren zeigten, dass sie nicht verstand, weshalb die Priesterin so sauer auf sich selbst war.​
»Hey! Da wir alle noch leben, ist doch alles in Ordnung! Es ist doch vollkommen normal, dass beim ersten Mal nicht alles rund läuft. Selbst wir Elfen versagen häufig, wenn wir etwas zum ersten Mal machen. Ein Elf, der anfangs nicht versagt, ist kein richtiger Elf!«​
»Da hat das Langohr ausnahmsweise mal recht.«​
»Wie unhöflich! Ich habe immer recht!« Wutschnaubend streckte die Elfe ihre Brust heraus, schaute dann aber in Richtung des jungen Magiers.​
»Und was ist mit dir?«​
Der Junge hatte trotzig seinen Kopf auf eine Hand gestützt und stocherte lustlos in ein paar Würstchen herum. Genau wie die Priesterin war er verärgert über sein Verhalten während des Auftrags. Er hatte geglaubt, dass er mehr leisten könnte, doch im Endeffekt hatte er nichts richtig gemacht. Er hatte hitzköpfig gehandelt und, ohne groß nachzudenken, seinen einzigen Zauber verbraten. Obwohl die Elfe keine Antwort erhielt, konnte sie sich denken, was mit dem Jungen los war, weshalb sie nach einem Schluck Wein sagte:​
»Jetzt lass dich von heute nicht entmutigen. Du bist von deinem ersten Abenteuer heil zurückgekehrt. Darüber solltest du dich freuen.«​
Der Zwerg klatschte dem Anfänger auf den Rücken und gab hinzu:​
»So ist es. Außerdem, wer kann schon behaupten, dass er während seines ersten Abenteuers einem Troll begegnet ist?«​
»Hätte es den Troll nicht gegeben, hätte ich die paar Goblins ... «​
»Hör auf zu labern und gönne dir einfach einen Schluck!«​
Der Zwerg leerte seinen Krug und schüttete sich und dem Jungen etwas von seinem Alkohol ein. Letzterer schüttete das Getränk mit grimmiger Miene sofort herunter.​
»Ngh? Ah! Gwah!«​
»Na, da hast du es! Auch bei Alkohol ist es beim ersten Mal nicht einfach! Aber du gewöhnst dich schnell daran! Versprochen!«​
Wahrend der junge Magier wegen des äußerst hochprozentigen Getränks vor sich hin hustete, lachte der Zwerg zu gleichen Teilen aus Scherz und aus Mitleid. Der Anfänger wollte dem Druiden gerade eine freche Erwiderung an den Kopf werfen, als plötzlich ein Teller vor ihm abgestellt wurde.​
»Vertreib den Nachgeschmack mit einer meiner käse bedeckten Köstlichkeiten.« Sofort schob sich der Echsenmensch selbst ein Würstchen mit Käse in sein Maul. Knackend platzte die Haut der Wurst beim Kauen und das Fleischfett verband sich mit dem geschmolzenen Käse. Es war ein wirklich schmackhaftes Gericht und eine der Lieblingsspeisen des schuppigen Abenteurers. Er legte die Hände zusammen und formte so ein mysteriös wirkendes Symbol.​
»Oh, Nektar! Das solltest du dir wirklich nicht entgehen lassen! Und merk dir, ein leckeres Essen führt öfter zum Glück, als man glaubt!«​
»Ach, wirklich?«​
Die Aussage hatte das Interesse der Priesterin geweckt, die sich nach vorne beugte und mit ihrer Gabel eins der Würstchen schnappte. Sie biss ein Stück ab und sagte:​
»Ich wünschte mir, dass ich heute mehr geleistet hätte.«​
»Ha ha ha ha!«​
Das Mädchen schaute hoch zum lachenden Mönch. Er hatte sich entschieden zu stehen, weil auf den Stühlen der Schenke sein Schwanz immer im Weg war. Als er bemerkte, dass die Priesterin ihn schmollend anblickte, nickte er freundlich.​
»Das ist eine gute Einstellung. Wer zu nichts werden möchte, der wird auch zu nichts. Nur mit Zielen kommt man voran.«​
Er streckte einen seiner schuppigen Zeigefinger in die Höhe und begann, mit ihm Kreise in die Luft zu malen.​
»Mein Vorfahre, der fürchterliche Drache, schwamm auch erst durch die Sümpfe, bevor er auf vier Beinen an Land ging und schließlich zu einem Drachen wurde.«​
Auch wenn dies ein Mythos der Echsenmenschen war, hatte die Priesterin bereits von ihm gehört. Der Glaube des Volkes des Mönches drehte sich viel um Fortschritt und den Willen, sich zu bessern. Das Mädchen fand diese Ideen natürlich interessant, aber sie wusste nicht wirklich, wie diese ihr jetzt weiterhelfen sollten. Nichtsdestotrotz war sie froh, dass ihr Kamerad sie aufmuntern wollte.​
»Nebenbei ...«, meldete sich die Elfe zu Wort.​
Ihr war wohl, wie so häufig, wieder plötzlich etwas eingefallen.​
»Wie geht es eigentlich dieser Frau, die wir gerettet haben?«​
»Äh, ja.«​
Die Priesterin nickte schnell und wischte sich etwas Fett von ihren Lippen. »Ihre Finger konnten tatsächlich wieder mit ihrer Hand verbunden werden und wenn sie sich jetzt gut ausruht, wird sie schon bald über ihre Zukunft nachdenken können.«​
»Das ist schön. Ich habe gut reden, aber solange man überlebt, kann es wenigstens ein zweites Mal geben.«​
»Auch wenn sie überlebt, wird das nichts mehr werden«, antwortete der junger Magier.​
In seinen Augen brannte Wut. »Sie hat gegen Goblins verloren und ist von ihnen misshandelt worden. Wie soll sie da noch jemand ernst nehmen?«​
»W... Wie bitte?«, entgegnete die Waldläuferin überrumpelt.​
»Woher willst du das wissen?«​
»Weil es bei meiner großen Schwester genauso war!«​
Mit einem lauten Rumms ließ der Junge seine Faust auf den Tisch knallen, was nicht nur eine Flasche umwarf, sondern auch dafür sorgte, dass beinahe ein Teller zu Boden fiel. Tja, wenn man sich im jungen Alter betrinkt, kann so was gut passieren. Er soll es lieber rauslassen, bevor er es in sich anstaut, dachte der Zwerg, während er sich mit dem Echsenmenschen darum kümmerte, dass nichts auslief und nichts zu Bruch ging.​
»Sie alle sagten, dass sie gegen Goblins verloren habe!«​
»Eine ältere Schwester«, murmelte Goblin Slayer.​
Er hatte bisher geschwiegen, weshalb seine plötzlichen Worte dafür sorgten, dass ihn jetzt alle anstarrten.​
»Du hast eine Schwester?«​
»Ich hatte eine!«, schrie der Junge. Der Alkohol hatte ihm jegliche Zurückhaltung geraubt.​
»Es soll ein vergifteter Goblin Dolch gewesen sein!«​
»Wie ...«, murmelte die Priesterin leise. Ihr war ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf geschossen. Konnte es wirklich so sein? Ihre Hände begannen zu zittern. Sie schluckte und das Geräusch hörte sich für sie unfassbar laut an. Der Junge hatte rote Haare ... Seine Schwester vielleicht auch? Und dann ein giftiger Goblin Dolch?​
»Sie war unglaublich, doch diese miesen Biester mussten Gift benutzen!« Der Junge warf seinen Krug von sich, aber der Echsenmensch schaffte es, das Gefäß mit seinem Schwanz zu fangen.​
»Nichtsdestotrotz haben die Leute an der Akademie sich über sie lustig gemacht! Ich hoffe, die krepieren alle!«​
Mit diesen letzten Worten klappte der Junge vornüber auf dem Tisch zusammen. Es mochte Einbildung sein, aber für einen kurzen Moment war es so, als hätten die restlichen Abenteurer in der Schenke geschwiegen. Hatten sie etwa den Worten des Anfängers Gehör geschenkt? Nein, sein Schicksal war wie das vieler anderer und wie diese vielen anderen würde der junge Magier es selbst schultern müssen. Abenteurer waren für sich selbst verantwortlich, egal, welcher Klasse und welchem Volk sie angehörten. Reichtum, Ehre, Glaube, Rache oder einfach nur materielle Gelüste trieben sie an. Ob man nun Jagd auf Riesenratten machte oder gegen Drachen kämpfte, war dabei egal. Während alle anderen Gruppenmitglieder schwiegen, griff Goblin Slayer nach seinem Krug und leerte ihn mit einem Schluck. Dann stand er polternd von seinem Platz auf und sagte gewohnt emotionslos:​
»Ich werde gehen. Bringt ihn ... Ts!«​
Dem Krieger fiel ein, dass der Junge sich kein Zimmer gemietet hatte, und er schnalzte mit der Zunge. Er zog ein Goldstück aus seiner Tasche hervor und warf es auf den Tisch.​
»Mietet ihm bitte ein Zimmer.«​
»Alles klar«, antwortete der Zwerg nüchtern und hob das Geld auf.​
»Ach ...«, erhob die Priesterin ihre Stimme, als der Krieger an ihr vorbeilief. Sie wollte ihn anscheinend irgendetwas fragen, doch weil sie so erschöpft war, schaffte sie es nur, seinen Namen zu hauchen.​
»Goblin ... Slayer ... «​
»Ruh dich ein wenig aus.«​
Goblin Slayer legte kurz eine seiner behandschuhten Hände auf ihre Schulter und ging weiter in Richtung Ausgang.​
»Warte mal, Orcbolg!«, rief ihm die Elfe nach.​
»Was ist mit morgen? Gönnen wir uns eine Pause?!«​
Der Krieger antwortete kühl:​
»Ich weiß es nicht« und stieß die Tür des Gildengebäudes auf. Dort stand ein altbekanntes Gesicht.​
»Wenn das nicht Goblin Slayer ist.«​
Es war der Speerkämpfer.​
Weil er voller Dreck war und der Geruch von Blut an ihm klebte, war davon auszugehen, dass er gerade von einem Abenteuer zurückgekehrt war.​
»Du solltest aufpassen, wenn du so aus dem Gebäude schießt. Es könnte sich noch jemand ...«​
Der Speerkämpfer hielt mitten im Satz an. Irgendwie war sein Gegenüber anders als sonst.​
»Was ist? Ist etwas passiert?«​
»Nein, nichts.«​
Mit diesen Worten schob der Krieger den Speerkämpfer zur Seite und verschwand in der Dunkelheit. Der Lärm der feiernden Abenteurer drang aus der Schenke der Gilde hervor und hallte durch die dunklen Gassen der Stadt. In einer abgelegenen Nebengasse stand ein Abenteurer vornübergebeugt und würde selbst mit seiner äußersten billigen Rüstung niemandem ins Auge fallen.​
»Eine Schwester?«, flüsterte er.​
Er nahm seinen Helm vom Kopf und warf ihn von sich. Wofür hatte er bisher so hart gekämpft? Und hatte es überhaupt irgendetwas gebracht?​
»Ich Narr ...«​
Er knirschte mit den Zähnen und krallte seine Hände zu Fäusten zusammen, doch es änderte nichts an der überwältigenden Last, die er auf sich liegen fühlte. Seine Gefühle übermannten ihn und er musste sich übergeben.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Intermission XVIII
Über die Frauen


»Damit wären wir fertig.«​
Die leichte Wärme in ihrem Nacken verschwand zusammen mit dem weichen Gefühl in ihrem Rücken. Die adlige Fechterin zitterte leicht und öffnete ihre Augen. Ein leichter Wind, der vom Innenhof aus vorbei wehte, kitzelte ihre Haut. Sie befand sich im Tempel des Rechts in der Stadt des Wassers. Sie fasste sich in den Nacken und spürte dort noch immer eine Unebenheit ihrer Haut.​
»Es will nicht richtig verschwinden, oder?«​
»Leider ist es mit Bannzeichen nun mal so.«​
Die Antwort auf die Frage der Fechterin kam von einer Frau mit äußerst liebreizender Figur. In ihren Händen trug sie einen Stab, der wie eine Verbindung aus einer Waage und einem Schwert aussah, und ihre Augen wurden von einer Binde bedeckt.​
»Das alles ist nur passiert, weil es mir an Kraft fehlte ... «​
»Nein, Vorwürfe sind vollkommen unangebracht«, erwiderte die Erzbischöfin, die auch als Jungfrau des Schwertes bekannt war.​
»Nur wegen Euch bin ich noch am Leben und konnte zu meiner Familie zurückkehren, Erzbischöfin. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet.«​
»Nein, ich habe doch nichts getan.«​
Die Heilige kicherte.​
»Das war jemand anderes ...«​
»Etwa er?«​
»Ja.«​
Die Jungfrau des Schwertes seufzte tief.​
»Ich habe einfach nur den Mann, der Goblins tötet, darum gebeten.«​
»Ach ja ...«​
Ein Lächeln legte sich auf die Lippen der Adligen. Es stand ihr gut. Sie strich mit der rechten Hand über die Waffen, die ihr von den Goblins geraubt worden waren. Die Erlebnisse in den verschneiten Bergen waren jetzt schon einige Monate her und auch wenn sie Schreckliches erlebt hatte, wurde ihr warm ums Herz, wenn sie an die Abenteurer dachte, die sie gerettet hatten und die sie jetzt Freunde nannte. Sie hatte noch nicht viel mit ihren eigenen Kräften erreicht, doch mithilfe dieser Wärme wollte sie ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlagen.​
»Ich werde etwas erreichen ... «​
»Für die Allgemeinheit?«​
»Das kann ich nicht sagen«, antwortete die Fechterin.​
»Denn ich weiß nicht, ob meine Überzeugungen immer für alle das Richtige sein werden.«​
Die Erzbischöfin nickte. Es war gut, zum Wohl aller handeln zu wollen, doch man konnte sich nie sicher sein, ob das, was man tat, auch wirklich für alle richtig war. Der Weg der Gerechtigkeit war ein schmaler Grat und genau deswegen hatte der erhabene Gott des Rechts auch nur Gesetze als Richtlinien vorgegeben.​
»Aber ich werde mein Bestes geben. Auch um meine gefallenen Kameraden zu ehren.«​
»Gerne werde ich dich dabei unterstützen. Auch wenn ich nicht besonders viel Macht besitze.«​
Die bestärkenden Worte und das freundliche Lächeln der Erzbischöfin schenkten der Fechterin Sicherheit. Ihr Gegenüber hatte direkte Kontakte zum König und zu vielen anderen mächtigen Personen. Sie fand es komisch, dass sie sich selbst als machtlos bezeichnete, doch entschied sich, nicht weiter darauf einzugehen.​


»Übrigens ...«​
Die Jungfrau des Schwertes zappelte leicht nervös herum. »​
Was denkst du über diesen Mann?«​
»Wie?«​
Die adlige Fechterin blinzelte mehrfach verdutzt.​
»Was meint Ihr damit?«​
»Ich würde gern wissen, was du über ihn denkst.«​
»Er ist mein Wohltäter«, antwortete die Fechterin zögerlich.​
»Sowohl er als auch seine Gruppe sind es. In ihnen habe ich Freunde gefunden.«​
»Ach, wirklich ...«​
Es war, als würde ein wenig Freude in der Stimme der Jungfrau mitschwingen.​
»Dann war es also eine gesegnete Begegnung.«​
»Ja!«, antwortete die Fechterin freudig.​
Sie war auf nur Weniges in ihrem Leben stolz, doch auf ihre neu gewonnenen Freunde war sie es. Sie bedankte sich bei der Erzbischöfin für ihre Zeit und ging mit hallenden Schritten einen Gang hinunter. Dabei grübelte sie darüber nach, warum die Jungfrau des Schwertes am Ende ihrer Unterhaltung so fröhlich geklungen hatte - fast zu fröhlich.​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 52
Namenlose Männer

Auch wenn der Trainingsplatz noch nicht fertig war, trainierten bereits eine Woche später die ersten Abenteurer darauf. Die Sonne schien strahlend am Himmel und es wehte ein kühlendes Lüftchen. Es war herrliches Wetter.​
»Aua! Halt! Meine Arme kribbeln schon!«​
»Nimm deinen Schildarm nicht runter! Oder willst du, dass dir der Schädel gespalten wird?«​
»Uwah! Ah ... Aaaah!«​
Immer wieder knallte in dem kreisrunden Ring aus Sand Metall auf Metall. Der Kampfring war eines der wenigen Angebote der Trainingsanlage, das schon fertig war. Hier konnte man sich freier bewegen als auf dem Platz hinter der Gilde und sich gleichzeitig Waffen leihen, die die meisten Abenteurer sich nicht leisten konnten.​
Egal, ob deine Hand kribbelt oder was auch immer, nimm niemals den Schildarm runter! Du musst ihn beim Kämpfen immer hochhalten!«​
»Aber kannst du es nicht wenigstens etwas langsamer angehen?«​
Derzeit standen die Ritterin und das Rhea-Mädchen, eine Schwertkämpferin mit Lederrüstung, im Ring. Allerdings lieferten sie sich weniger ein Duell als dass die Ritterin vergnügt auf das Mädchen einprügelte, während dieses verzweifelt versuchte, die Schläge abzuwehren. Sie kämpften mit stumpfen Trainingsschwertern, aber ein ordentlicher Treffer tat dennoch weh.​


»Na komm! Ist das etwa alles? Die Krallen und Fangzähne eines Drachen sind noch ein ganz anderes Kaliber!«​
»Ich bin doch erst auf Porzellan-Rang! Wie soll ich da denn bitte an Drachen denken?!«​
»Kennst du etwa nicht das Training, bei dem man plötzlich auf einen Drachen trifft?! Jetzt kommt ein Fußfeger!«​
»Aaaaaah?!«​
Von einem Moment auf den anderen wurden die Beine des Mädchens zur Seite gerissen und es fiel in den Sand. Die Ritterin störte sich jedoch nicht daran, dass ihre Trainingspartnerin am Boden lag, und ließ fröhlich lachend weiter Schwerthiebe auf die Rhea einprasseln. Schließlich verpasste sie ihr einen Schlag mit dem Knauf und beendete damit das Duell.​
Die Ritterin war dafür bekannt, rücksichts- und erbarmungslos zu sein, und viele dachten sich, dass sie genau deswegen kein Mann ehelichen wollte.​
»Uwah ...«​
»Echt gemein ... «​
Der Krieger Lehrling und der rothaarige Magier hatten das Duell aus ihren Augenwinkeln beobachtet und verzogen jetzt ängstlich ihre Gesichter. Sie waren als Nächstes an der Reihe und wollten gar nicht erst daran denken, was die Ritterin mit ihnen anstellen würde. War das hier nicht vielleicht sogar schwerer, als sich an einem gefährlichen Riesenlabyrinth zu probieren?​
»Hey, ihr! Was träumt ihr hier rum?«, sagte der Speerkämpfer, der eigentlich damit beschäftigt gewesen war, den Jungen etwas beizubringen.​
Er trug heute zwar keine Ausrüstung, aber seinen Speer hatte er dabei und diesen nutzte er jetzt, um den beiden leicht auf den Kopf zu hauen.​
»Ich verstehe, dass eure Blicke immer zu den Frauen wandern, aber wenn ihr das hier nicht ernst nehmt, werdet ihr irgendwann sterben.«​
»Nein, wir haben gar nicht auf die Frauen geschaut.«​
»So ist es! Wir sind ja nicht wie du!«​
»Ihr kleinen ...«​
Das Gesicht des Speerkämpfers verzog sich.​
»Jetzt weiß ich, was ihr von mir haltet, aber solltet ihr euch nicht gegenüber jemandem, der euch etwas beibringen möchte, etwas freundlicher verhalten?«​
»Nun ja, aber es ist doch so. Du willst dich immer an die Gilden Angestellte ran schmeißen, aber blitzt jedes Mal ab.«​
»Das weiß sogar ich, dabei bin ich erst seit Kurzem in der Gegend.«​
Der Speerkämpfer setzte ein verkrampftes Lächeln auf. War es etwa so offensichtlich?​
»Gut, wenn wir schon so ehrlich sind, rede ich auch nicht lange um den heißen Brei herum.«​
Der erfahrene Abenteurer streckte seinen Zeigefinger sowie seinen Speer in die Luft.​
»Junger Magier, du bist während eines Abenteuers einfach losgestürmt und hast deinen Zauber verschwendet.«​
»Urgh ... «​
»Und du, Krieger, ziehst deine Kämpfe gegen Ratten unnötig in die Länge und musst deshalb ständig Ausdauertränke zu dir nehmen. Das ist verschwendetes Geld.«​
»Was?!«​
Der Speerkämpfer sagte die Wahrheit, doch wie hatte er davon erfahren? Eigentlich wussten nur ihre Gruppenmitglieder davon. Nein, da war noch jemand ...​
»Ngh ... Hast du es von der Gilden Angestellten?«​
»Ja, ich habe sie gebeten, mir eine Einschätzung eurer Kräfte zu geben.«​
Der Speerkämpfer gab ein tiefes Lachen von sich und ging in Kampfstellung.​
»Wir wollen jetzt ein bisschen Fangen spielen. Ihr lauft davon und ich werde euch jagen.«​
Die beiden Jungen wurden ganz bleich vor Angst.​
»W ... Wir haben ihn sauer gemacht!«​
»Mist! Lauf weg!«​
So schnell sie konnten, rannten die beiden los, während sie Entschuldigungen heraus brüllten. Dabei vergaßen sie glatt ihre Waffen.​
Die anderen anwesenden Abenteurer und Arbeiter schauten den dreien dabei zu, wie sie wild um den Platz rannten, und erkannten gleich, dass der Speerkämpfer es längst nicht so ernst meinte, wie die beiden Jungs es dachten. Denn wenn er es wirklich gewollt hätte, hätte er die beiden sicherlich schon eingeholt gehabt. Die ursprüngliche Idee des Trainingsplatzes war gewesen, dass hochrangige Abenteurer im Ruhestand hier die Anfänger lehrten, doch es gab keine Regel, die noch aktiven Abenteurern ebenjenes untersagte. Neben vielen anderen Abenteurern war auch Goblin Slayer hier. Er saß fernab im Gras der Ebene und arbeitete an etwas. Die Rhea-Druidin und die Heilige in Ausbildung standen in seiner Nähe und schauten dem Krieger bei seiner Arbeit zu.​
»Und das wäre auch schon alles.«​
Mit diesen Worten zeigte er den beiden Mädchen die einfache Steinschleuder, die er aus einem Lederriemen hergestellt hatte.​
»Mehr nicht?«​
»Das ist überraschend einfach.«​
»Ja.« Der Krieger nickte.​
»Einige Schäfer nutzen sie, um Wölfe zu verscheuchen.«​
»So eine sollten wir auch herstellen können.«​
»Solange man einen Lederriemen hat, kann man sich immer eine machen. Geschosse gibt es dann ja eigentlich überall zuhauf.«​
Die Mädchen hatten Goblin Slayer angesprochen, weil sie sich für seine Wurftechnik beim Erntefest interessiert hatten. Wahrscheinlich hatten sie nach einer weiteren Verteidigungsmöglichkeit neben Wundern und Zaubern gesucht.​
»Es wird häufig erzählt, dass das Schwert am besten zum Menschen passt, aber ich denke, dass das nicht stimmt. Wurfgeschosse passen besser.«​
Goblin Slayer stand auf und begann, die Schleuder kreiseln zu lassen. Er achtete dabei darauf, dass die Anfängerinnen seine Bewegungen gut sehen konnten.​
»Wegen unseres Körperbaus sind wir Menschen besser als andere Völker darin, Sachen wie Steine oder Speere zu werfen. Die Schleuder verstärkt diese Fähigkeit sogar noch.«​
Der Krieger visierte die Vogelscheuche, die er mit einem Helm und einer Rüstung - Gegenstände, die von der Schmiede aussortiert worden waren - ausgestattet hatte, an. Natürlich war sie einem Goblin nachempfunden.​
»Seht selbst.«​
Mit diesen Worten ließ Goblin Slayer den Stein fliegen. Er zischte durch die Luft und prallte mit einem dumpfen Klopfen gegen den Helm des Ziels, der darauf zu Boden fiel. Der Krieger ging hinüber, hob ihn auf und warf ihn den beiden Mädchen zu.​
»Uwah!«​
»Was?!«​
Erstaunt erkannten sie, dass der Stein die Außenwand des Helms durchschlagen hatte und jetzt in ihm herum klapperte. Keine der beiden wollte sich vorstellen, was passiert wäre, wenn die Vogelscheuche wirklich ein Lebewesen gewesen wäre. Der Krieger drehte sich der Druidin zu.​
»Auch du als Rhea solltest mit so einer Schleuder genügend Kraft entwickeln können, um einem nahen Feind zu schaden. So war es auf jeden Fall bei meinem Meister.«​
Während die Druidin sich wunderte, ob sie gerade richtig verstanden hatte, dass Goblin Slayers Meister ein Rhea gewesen war, nahm sich der Krieger den Helm und holte den Stein heraus. Es war ein spitzer Stein, einer Pfeilspitze nicht unähnlich.​
»Auch wenn ihr damit euren Gegner nicht tötet, sollte es euch genügend Zeit verschaffen, damit ein Kamerad euch zu Hilfe eilen kann.«​
»Sollte? Also kann es sein, dass es nicht reicht?«​
»Ja.«​
Gewöhnt emotionslos antwortete der Krieger auf die Nachfrage der Heiligen in Ausbildung.​
»Aber es ist besser als gar keine Chance auf ein überleben, oder? Wenn ihr wollt, könnt ihr es gerne hier üben.«​
»Goblin Slayer, kannst du solche Dinge nicht netter sagen? So langsam verstehe ich, warum die Priesterin immer so geschafft ist«, sagte die Druidin mit schmollendem Gesichtsausdruck.​
Während der Krieger fragend seinen Kopf neigte, fertigten die beiden Mädchen ihre eigenen Schleudern und legten jeweils einen Stein hinein, wobei sie sich gegenseitig aushalfen. Dann begannen sie, Steine auf die Vogelscheuche zu schleudern. Manchmal trafen sie und manchmal nicht. Manchmal flogen die Steine noch nicht einmal wirklich, sondern fielen einfach zu Boden. Goblin Slayer ließ die beiden machen. Er war sich sicher, dass sie ihn um Hilfe bitten würden, wenn sie sie bräuchten. Also setzte er sich hin und dachte an seinen Meister und wie er ihn behandelt hatte. Wer etwas nicht versucht, wird es auch niemals hinbekommen. Das war nur einer der vielen weisen Sätze, die er dem Krieger mitgegeben hatte, doch hatte er es mittlerweile hinbekommen? Er wusste es nicht. Ein resignierter Seufzer kam ihm über die Lippen, als ...​
»Ha ha ha, es sind alle eifrig dabei, nicht wahr?«​
... plötzlich die Gilden Angestellte neben ihm stand. Sie drehte spielerisch ihren Sonnenschirm, der sie vor dem starken Licht der Mittagssonne schützte.​
»Ja. Du bist also auch hier?«​
»So ist es. Ich bin hier, um den Platz zu inspizieren. Nein, ich würde eher sagen, dass es eine Besichtigung ist.«​
Mit diesen Worten ließ sie sich neben Goblin Slayer nieder. Sie trug die gleiche Uniform wie sonst auch und die sorgte dafür, dass ihr äußerst warm war. Auf ihrer Stirn hatte sich bereits Schweiß gebildet.​
»Ist Ihnen nicht heiß, Goblin Slayer?«​
»Nein.« Er schüttelte den Kopf.​
»Nicht besonders.«​
»Wirklich?«​
»Warum sollte ich lügen?«​
»Vergessen Sie, dass ich gefragt habe ...«​
Die Beamtin schnaubte kurz beleidigt aus.​
»Und wie schaut es mit den Anfängern aus?«​
»Mal überlegen ...«​
Goblin Slayer schaute zu den Mädchen. Leidenschaft und Entschlossenheit. Sie waren gute Mädchen. Aber das bedeutete natürlich nicht, dass sie überleben würden.​
»Ich weiß es nicht.«​
»Mensch.«​
Die Gilden Angestellte hob tadelnd den Zeigefinger.​
»Wieso passen Sie nicht ein wenig mehr auf, was sie sagen?«​
»Sollte ich das?«​
»Ja. Besonders wenn das, was sie sagen, niedergeschrieben​
wird.«​
»Ich werde es mir merken«, sagte Goblin Slayer und stand auf.​
»Alle miteinander! Wollen wir Mittag essen?!«​
»Wir haben etwas vom Hof mitgebracht!«​
Zwei Frauenstimmen erklangen zusammen mit dem Geräusch eines heran polternden Handwagens. Es waren die Priesterin und die Kuhhirtin. Sie waren nicht dazu aufgefordert worden, Essen zu bringen, was hieß, dass sie es aus Gutherzigkeit taten. Goblin Slayer war dankbar dafür, dass der Besitzer des Hofes dies erlaubte, aber er glaubte keine Sekunde daran, dass jener direkt etwas damit zu tun haben könnte. Während Goblin Slayer den beiden Frauen wortlos zuschaute, stand die Gilden Angestellte auf, klopfte sich etwas Gras vom Rock und sagte:​
»Nun gut. Ich werde den beiden helfen.«​
Dann eilte sie mit hüpfendem Zopf in Richtung des Handwagens, wobei sie sich noch einmal umdrehte und fragte:​
»Wie war es, bei der Arbeit besucht zu werden?«​
Der Krieger antwortete nicht, sondern drehte sich den beiden Anfängerinnen zu, die noch immer mit den Schleudern trainierten.​
»Wir machen Pause.«​
Sie sahen bereits etwas erschöpft aus, doch auf die Ansage von Goblin Slayer rannten sie in Richtung des Handwagens. Er hingegen drehte sich um und ging in Richtung der Vogelscheuche. Er bereute es bereits jetzt ein wenig, dass er eingewilligt hatte, die jungen Abenteurer zu trainieren.​
»Hey, Goblin Slayer«, rief der Speerkämpfer und kam zu ihm.​
Er schaute kurz der Gilden Angestellten hinterher, seufzte und richtete dann seinen Blick wieder auf den Krieger.​
»Weißt du, wo der Panzerkrieger ist?«​
»Er ist mit dem jungen Späher und dem Halbelf Schwertkämpfer losgezogen, um eine Höhle zu überprüfen.«​
Goblin Slayer schwieg kurz.​
»Wie ist es bei dir mit dem Jungen?«​
»Du meinst den frechen Magier?«​
Ein wildes Grinsen zeichnete sich auf dem Gesicht des Speerkämpfers ab. Der Junge war gerade beim Handwagen, wo er genüsslich aus einer Flasche mit kaltem Zitronenwasser trank. Er machte einen ziemlich erschöpften Eindruck.​
»Was seine Talente im Magie wirken angeht, kann ich nichts sagen, aber hartnäckig ist er.«​
»Ist das so?«​
»Aber ich muss schon sagen, dass ich erstaunt bin, Goblin Slayer. Ich hätte nie gedacht, dass du dich bereit erklären würdest, anderen etwas beizubringen. Sonst kümmerst du dich doch immer nur um die Priesterin.«​
»So ist es nicht.«​
Goblin Slayer wollte so schnell wie möglich weg und das merkte der Speerkämpfer jetzt. Er schien unruhig und schaute die ganze Zeit in den Himmel. Die Sonne stand genau über ihnen und brannte auf sie herab. Der Sommer würde dieses Jahr sicherlich wieder heiß werden.​
»Hast du heute Abend Zeit?«, fragte der Speerkämpfer.​
»Hmpf ...«​
Der Krieger warf einen Blick zu der Kuhhirtin, die genau in diesem Moment auch zu ihm herüberschaute. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, während sie sich die Hände an ihrer sowieso schon dreckigen Arbeitshose abwischte. Goblin Slayer wandte sich wieder seinem Kollegen zu und nickte. »Ja. Hätte ich.«​
»Dann lass uns was trinken gehen.«​
»Alkohol?«​
»Was denn sonst?«​
Goblin Slayer verstand nicht, warum der Speerkämpfer ihn zum Trinken einladen wollte.​
»Bist du dir sicher?«​
»Ja, klar. Den Panzerkrieger laden wir auch ein. Dann gehen wir drei Kerle unbefangen einen heben.«​
»Hm ... Ist das so?«​
»Jetzt komm! Sei doch ein wenig umgänglicher!«​
Goblin Slayer schaute wieder hoch in den Himmel. Seine Schwester hatte ihm beigebracht, wie man an diesem Ort anhand des Weges der Sonne die Jahreszeit erkennen konnte. Er würde es nie vergessen.​
»Verstanden.«​
»Gut.«​
Der Speerkämpfer schlug dem Krieger mit der Faust auf die Schulter.​
»Dann ist es abgemacht.«​
***
Mit dem blauen Himmel über ihm rollte sich der junge Magier im Gras hin und her. Er war verschwitzt und vollkommen außer Atem. Schnaufend holte er immer wieder Luft, um seinen Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Der Einsatz von Magie erforderte Körperkraft. Genauso wie der Fußmarsch, den Abenteurer zu ihrem Auftragsgebiet absolvieren mussten. Natürlich gab es die Möglichkeit, auf Pferden zu reisen, doch jene brauchten nicht nur Futter und Platz, sondern man musste sich auch um ihre Hufe und ihr generelles Wohlergehen kümmern. Deshalb reisten Abenteurer zwischen Städten meist mithilfe von Wagen und Kutschen und legten den Rest des Weges zu den entlegenen Bergen, Labyrinthen und Höhlen, die sie untersuchen mussten, zu Fuß zurück. Das alles wusste der Junge natürlich, weshalb er, wenn er ein ordentlicher Magier werden wollte, die Ausdauer eines Kriegers erlangen musste, aber ...​
»D ... Das ist einfach ... «​
»I. .. Ich bin im Eimer ... «​
Auf den erschöpften Ausruf des jungen Magiers antwortete das Rhea-Mädchen, das bis eben noch mit der Ritterin trainiert hatte. Sie hatte Schild, Schwert und ihre Rüstung von sich geworfen, um sich zu erholen und ein wenig abzukühlen. Für eine Rhea hatte sie einen sehr schlanken Körperbau, aber dennoch einen üppigen Busen, der sich beim Atmen auf und ab bewegte. Der Junge schielte zu ihr rüber und erkannte, dass ihre Unterwäsche durchschimmerte. Schnell schaute er zurück in den Himmel. Ihm war das eben Gesehene kurz peinlich, aber als er daran dachte, dass er gleich gegen die Ritterin antreten musste, wich die Scham einer leichten Panik. Er war jetzt schon ganz erschöpft, wie sollte er da noch dieser Silber-Rang-Abenteurerin irgendetwas entgegensetzen?​
»H ... Hast du denn etwas gelernt ... ? «, fragte der Junge die Rhea noch immer keuchend.​
»Ich weiß nicht recht ...«, antwortete diese.​
Im Grunde genommen hatte sie das Gefühl, dass sie einfach nur verprügelt worden war, obwohl es im Training um das Blocken mit einem Schild hatte gehen sollen. Der Magier wusste schon, dass die Trainer hart mit ihnen umsprangen - schließlich würde auch kein Wesen des Chaos Rücksicht auf ihre Befindlichkeiten nehmen. Trotzdem war ihm nicht klar, was er davon halten sollte. Er schaute rüber zum Krieger Lehrling, der sich mit dem Kopf auf den Schenkeln der Heiligen in Ausbildung ausruhte.​
»Wird einem da nicht heißer?«, fragte er.​
»Ich weiß nicht«, antwortete die Rhea, die sich wunderte, wo die Druidin abgeblieben war.​
»Vielleicht hätte ich auch lieber das mit der Schleuder lernen sollen ... «​
»Von dem Kerl kann man eh nichts lernen«, gab der junge Magier zurück und schnalzte mit der Zunge.​
»Aber er ist doch auf dem Silber-Rang, oder?«​
»Der kämpft gegen nichts weiter als Goblins und ist auch noch echt exzentrisch. Goblins hat man einfach mit einem Schlag zu töten, ich weiß nicht, warum er so ein großes Ding daraus macht.«​
»Meinst du, ich würde im Einzelkampf gegen einen Goblin gewinnen?«​
»Ganz sicher. Und dann dieser Name, Goblin Slayer.«​
»Den hat er nun mal, weil er Goblins tötet«, gab nicht die Rhea, sondern die Heilige in Ausbildung zurück.​
»Aber auch ich weiß noch nicht so richtig, was ich von ihm halten soll. Nichtsdestotrotz sollte man erst einmal etwas erreichen, bevor man sich anmaßt, über eine Person mit Erfolg zu meckern.«​
»... «​
»Ich habe gehört, dass du beim Vertreiben der Goblins versagt hast.«​
»Halt die Klappe.«​
Der Junge spuckte neben sich ins Gras.​
»Ich habe gehört, dass du es noch nicht einmal schaffst, Ratten zu besiegen.«​
»Das ist, weil wir einfach noch nicht stark genug sind«, erwiderte der Krieger Lehrling ächzend.​
Anders als die Rhea Schwertkämpferin trug er noch seine Rüstung, deren Sitz er lediglich ein wenig gelockert hatte.​
»Ich kann Riesenratten mittlerweile besiegen, aber wenn ich auf drei von ihnen gleichzeitig stoße, bekomme ich Probleme.«​
»Deren Bisse sind giftig, oder?«, fragte die Rhea.​
»Dann sind die doch gefährlich?«​
»Ja, deswegen muss man immer Gegengifte dabeihaben und das kostet Geld.«​
»Wenn ich im Rang aufsteige, werde ich meinen Gott um das Wunder Gegengift bitten, damit wir uns endlich bessere Ausrüstung kaufen können.«​
Die beiden hatten schon Pläne für die Zukunft. Der Junge wollte ein Schwert mit einer breiteren Klinge, eine Rüstung und ein Kettenhemd. Statt eines Helms wollte er aber lieber einen enganliegenden Kopfschutz, der seine Sicht nicht einschränkte.​
»Ts!«​
Der junge Magier schnalzte mit der Zunge, weshalb er einen misstrauischen Blick von der Rhea erntete. Er wandte sich ab und sagte:​
»Vergiss es ...«​
»Wie wäre es mit ein wenig Zitronenwasser?«​
Mit einem freundlichen Lächeln kam die Priesterin auf die Anfänger zugelaufen. Sie hatte einen großen Korb mit Flaschen und ein paar Broten dabei.​
»Es gäbe auch etwas zu essen.«​
Der Krieger Lehrling gab nichts weiter als ein »Ah« von sich und das Rhea-Mädchen murmelte:​
»Wenn ich jetzt etwas esse, muss ich mich übergeben.«​
Die Heilige in Ausbildung wollte wohl nicht allein essen und schüttelte wortlos den Kopf.​
Die Priesterin setzte einen besorgten Gesichtsausdruck auf.​
»Wenn ihr nicht esst, haltet ihr den Nachmittag nicht durch, oder?«​
Die Priesterin konnte sie nicht zum Essen zwingen, doch Sorgen machte sie sich trotzdem. Zu ihrer Freude streckte der junge Magier die Hand in die Höhe.​
»Ich esse was.«​
»Ach? Wirklich?«, fragte die Rhea überrascht.​
»Ja, wenn man sich während des Trainings nicht ordentlich ernährt, kriegt man keine Muskeln.«​
»Dann muss ich auch was essen!«​
»Ich auch ...«​
»Na gut, ich nehme auch was.«​
Die Anfänger griffen sich jeweils eins von den einfachen Broten. Diese waren nichts weiter als zwei frische Brotscheiben, zwischen denen sich etwas Salat, Käse und Schinken befand, doch in diesem Moment war das irgendwie genau das Richtige für sie. Die Priesterin sah ihnen beim Essen zu und konnte nicht anders, als die Kuhhirtin ein wenig zu bewundern. Sie musste wohl in all den Jahren mit Goblin Slayer gelernt haben, was ein Abenteurer nach einem anstrengenden Training gebrauchen konnte.​
Was ein Abenteurer brauchte ... Sie war unglaublich, doch diese miesen Biester mussten Gift benutzen! Die Priesterin seufzte und setzte sich zu den Anfängern auf den Boden.​
»Wie läuft es denn?«​
»Ich bin echt am Ende«, gab das Rhea-Mädchen zurück.​
»Mir geht es genauso«, stimmte der Krieger Lehrling zu.​
»Aber so langsam wird es«, ergänzte die Heilige in Ausbildung stolz.​
Nur der rothaarige Magier schwieg und konzentrierte sich auf sein Essen, dabei hatte die Priesterin sich am meisten für seine Antwort interessiert.​
»Ähm ... «​
Sie runzelte die Stirn, aber entschied sich dafür, das Thema zu wechseln. Anstatt sich davon lähmen zu lassen, dass man bei etwas nicht weiterwusste, sollte man sich erst mal um etwas anderes kümmern. So hatte Goblin Slayer es ihr beigebracht. Sie wandte sich der Rhea zu und fragte:​
»Wo sind denn eigentlich die anderen aus deiner Gruppe?«​
»Nun ja, unser Anführer ist der Zweitgeborene einer Adelsfamilie.«​
Die Schwertkämpferin biss ein Stück vom Brot ab und redete beim Kauen weiter:​
»Da der ältere Bruder plötzlich umgekippt ist, musste er überraschend heimkehren, weswegen wir unsere Gruppe auflösen mussten.«​
»Ach so ...«​
So etwas konnte schon vorkommen. Als Erstgeborener einer Adelsfamilie musste man häufig dafür sorgen, dass der Wohlstand und der Rang einer Familie aufrechterhalten wurden. Daher war man oft dazu verpflichtet, in den Militärdienst einzutreten, um sich den Rang eines Ritters zu verdienen - dies galt besonders für Familien mit Rittertradition - und Mitglieder einer anderen adligen Familie zu heiraten. Als Zweit- oder Drittgeborener hingegen war man meist von solchen Verpflichtungen befreit und konnte tun und lassen, was man wollte. Viele von jenen entschlossen sich, Abenteurer zu werden. Diese Abenteurer wurden im Volksmund immer wieder als „fahrende Ritter“ bezeichnet und im Gegensatz zu anderen Abenteurern zeichneten diese sich durch eine besonders hohe Überlebensrate aus. Sie konnten sich gute Ausrüstung leisten, waren gebildet und hatten meist von Kindesbeinen an den Umgang mit Waffen gelernt. Wenn dem Erstgeborenen aber etwas geschah, konnte es gut sein, dass die Familie einen ebensolchen fahrenden Ritter zurückbeorderte, um die Rolle des Oberhauptes zu übernehmen, und das war halt in diesem Fall passiert.​
»Nun ja, auch wenn er sich jetzt nicht davor fürchten muss, von einem Monster getötet zu werden, wird er sicher genug mit seinen Adelsproblemchen zu tun haben.«​
Die besserwisserische Aussage der Rhea sorgte dafür, dass die Priesterin leicht kichern musste. Gleichzeitig machte sie sich ein wenig Sorgen, was jetzt aus jener werden würde, wo sie ohne Gruppe dastand. Sie war zwar doppelt so alt wie die Priesterin Rhea wurden erst mit dreißig Jahren volljährig - aber das Mädchen konnte sich die nächste Frage nicht verkneifen:​
»Ist allein unterwegs zu sein nicht ganz schön hart?«​
»Einfach ist es auf jeden Fall nicht, aber ich habe 'Träume!«​
Die Rhea streckte stolz ihre Brust heraus.​
»Ich werde ganz groß rauskommen und allen beweisen, dass die Körpergröße egal ist!«​
»Mir geht es ähnlich.«​
Der Krieger Lehrling nickte und schob sich den Rest des Brotes in den Mund.​
»Ich bin in meinem Dorf ständig dafür ausgelacht worden, dass ich als Landei der Stärkste werden wollte.«​
Die Schwertkämpferin klatschte in die Hände:​
»Bei mir war es wegen meiner Größe auch so!«​
»Sie haben dich ausgelacht, aber die werden ganz schön doof dastehen, wenn du dann wirklich der Stärkste bist!«​
Der Stolz in den Worten der Heiligen in Ausbildung war unverkennbar.​
»Sei dankbar, dass ich dir erlaubt habe, mich auf meiner Reise zu begleiten!«​
»Was heißt erlaubt? Ich bin dabei, um dich zu beschützen.«​
»Du bist hier doch der, der beschützt werden muss.«​
»Wie bitte?«​
»Was? Willst du dich etwa darüber streiten?«​
Die Priesterin setzte ein freudiges Grinsen auf. Das Gezanke der beiden erinnerte sie an den Zwerg und die Elfe aus ihrer Gruppe.​
»Ihr versteht euch gut, was?«​
Die beiden hielten inne und machten Anstalten, der Priesterin zu widersprechen, doch im Endeffekt tat es keiner von den beiden. Stattdessen war nur der Wind, der raschelnd durch das Gras streichelte, zu hören.​
»Ich versteh euch nicht ..., gab der rothaarige Junge schließlich murmelnd von sich.​
»Ich will einfach nur Goblins töten und es damit den Kerlen zeigen, die über meine Schwester gelacht haben.«​
Die Priesterin überlegte für einige Momente, ob sie wirklich das sagen sollte, was ihr auf der Zunge lag. Sie war erst seit einem Jahr Abenteurerin und hatte noch nicht genügend Erfahrung mit solchen Momenten, doch sie entschloss sich trotzdem, ihre zitternde Stimme zu erheben.​
»Ich ... Ich kannte eine Magierin ... Sie meinte ... dass sie irgendwann einen Drachen bekämpfen und besiegen wollen würde.«​
»Einen Drachen?« Drachen gehörten zu den mächtigsten Wesen dieser Welt. Sie waren nicht mit den niederen Monstern, die man überall antreffen konnte, zu vergleichen. Sie besaßen ein unheimliches Ausmaß an Kraft, Ausdauer, Wissen und Magie.​
»Nur die Besten können doch zu Drachentöter werden.«​
»Ja, aber es war ihr Traum.«​
Die Priesterin lächelte.​
»Ihr habt ja auch eure Träume. Jeder sollte träumen dürfen.«​
Das Mädchen hatte mittlerweile verstanden, wie wichtig Träume waren, egal, ob sie realistisch waren oder nicht. Auch wenn ihre erste Gruppe gleich während des ersten Abenteuers aufgerieben worden war, waren die Träume der Mitglieder etwas, das selbst die Goblins nicht hatten zerstören können.​
»...«​
Der junge Magier schwieg und dachte darüber nach, was er dazu sagen könnte, als eine klare Stimme den Anfängern zurief:​
»Na, ihr scheint euch aber anzustrengen!«​
Die vier erkannten drei bekannte Gestalten, die sich ihnen näherten.​
»Ich, die fleißige Waldläuferin, werde heute Mittag so nett sein und euch in eine Höhle mitnehmen!«​
»Du und fleißig, Langohr?«​
Der Zwerg stieß der Elfe in die Seite.​
»Du hast doch bis zum Mittag außer Pennen nichts gemacht!«​
»Nein, ich habe bis kurz vor Mittag geschlafen und das gilt bei uns Elfen noch als morgens!«​
»Verarschen kann ich mich allein.«​
Wie gewohnt bekamen der Schamane und die Waldläuferin sich wieder in die Haare, weshalb die Priesterin grinsend zum Krieger Lehrling und der Heiligen in Ausbildung herüberschaute. Die beide schienen zu wissen, was sie ihnen sagen wollte, und wandten beschämt ihren Blick ab.​
»Wenn du Höhle sagst, geht es um Goblins, oder?«​
»Hey, hey, Priesterin! Du klingst schon fast wie Orcbolg!«​
Die Elfe wedelte mit der Hand.​
»Wir gehen uns nur ein ehemaliges Bärennest anschauen.«​
Das Mädchen nickte ihrem Gruppenmitglied zu. Es war wichtig, den Anfängern zu zeigen, dass man sich in den engen Gängen einer Höhle anders bewegen musste als in der Kanalisation oder auf freiem Feld. Ihnen das in einer Monster freien Höhle beizubringen, war eine gute Idee. Die dritte der aufgetauchten Gestalten, der Echsenmensch, mischte sich in die Unterhaltung ein:​
»Leider haben wir noch gar nichts zu Mittag gegessen. Könnten wir etwas bekommen?«​
»Ja, natürlich. Es sind aber nur belegte Brote«, antwortete die Priesterin und zog ein Brot aus ihrem Korb.​
»Mit Schinken, Salat und Käse.«​
»Käse! Welch Nektar!«​
»Es gibt auch welche nur mit Gurke und Käse. Traubenwein haben wir auch da.«​
»Juhu!«​
»Oho! Wie zuvorkommend! Vielen Dank!«​
Die Priesterin stellte den Korb ab und die drei stürzten sich auf ihn. Das Mädchen grinste. Sie schaute sich um, bis sie schließlich Goblin Slayer in der Ferne ausmachen konnte. Er unterhielt sich mit dem Speer ... nein, mit dem Panzerkrieger.​
»Hmpf ...«, imitierte sie sein typisches Verhalten.​
Sie hätte gern gesehen, dass er mit den anderen aß, aber es war auch gut, dass er seine Kontakte pflegte.​
»Gut. Ich bin dann mal weg«s, sagte Goblin Slayer zur Kuhhirtin, nachdem er seine Ausrüstung überprüft hatte.​
»Es könnte heute Abend später werden, deshalb werde ich kein Essen brauchen.«​
»Ja, okay«, antwortete das Mädchen dem Krieger, der aussah, als würde er auf ein Abenteuer gehen. Er war nach dem Training der Anfänger zum Hof gekommen, doch wollte gleich wieder los. Hatte er das gemacht, um Rücksicht auf sie zu nehmen?​
»Mein Onkel hat auch eine Verabredung. Von daher werde ich hier allein die Stellung halten.«​
»Vergiss nicht, ordentlich abzuschließen.«​
»Das werde ich. Mach dir nicht so viele Sorgen.«​
Die Kuhhirtin kicherte, doch dem Krieger war nicht zum Lachen zumute. Das Mädchen ließ sich davon allerdings nicht beirren und klopfte ein wenig Staub von der Rüstung ihres Kindheitsfreundes.​
Der gab ein brummelndes „Hmpf“ von sich und überprüfte den Sitz seines Helms.​
»Hast du alles dabei? Nicht, dass du nachher kein Geld zum Zahlen hast.«​
Goblin Slayer griff kurz in seine Tasche und überprüfte, ob er seinen Geldbeutel dabei hatte.​
»Kein Problem.«​
»Dann ist ja gut!«​
Die Kuhhirtin fasste ihm an die Schulter und drehte ihn um. Dann richtete sie das Büschel an seinem Helm.​
»Wenn du betrunken umkippst, komme ich dich holen, aber mach deinen Freunden keine Probleme, ja?«​
Als das Mädchen das Worte „Freunde“ sagte, legte der Krieger kurz seinen Kopf schief, aber erwiderte dann nur:​
»Das habe ich nicht vor.«​
Den Weg vom Hof bis zu den Toren der Stadt legte Goblin Slayer ohne Licht zurück. Er sah es als Teil seines Trainings. Kaum dass er das Tor durchquert hatte, traf er auf das abendliche Chaos der Stadt. Abenteurer, Reisende, Handwerker und Bewohner schoben sich durch die belebten Straßen und der Krieger ließ sich von der Menge treiben, bis er schließlich die Schenke sah, in der er sich mit den anderen treffen sollte. Sie trug den Namen​
»Zu meiner treuen Axt«.​
Mit einem „So ein Ärger ...“ kämpfte er sich bis zur Tür des Ladens durch und überprüfte, ob ihm auch nichts gestohlen worden war. Als er sich dessen sicher war, schaute er hoch zum Schild des Ladens. Es besaß die Form einer Axt, in die Zahlen eingeritzt worden waren. Der Krieger drückte die Schwingtür auf und eine ungeheure Geräuschkulisse schlug ihm entgegen. Der Laden war sehr weitläufig und wurde von den Lampen mit orangefarbenem Licht erhellt. Während hier im Erdgeschoss die Schenke war, befanden sich im Obergeschoss wohl Unterkünfte für Abenteurer. Ein Blick durch den Schankraum zeigte, dass alle Tische besetzt waren. Zu früheren Zeiten konnte man in Schenken noch Aufträge vermittelt bekommen, doch dieses System war mit der Zeit immer mehr aus der Mode gekommen, weshalb es mittlerweile auch Schenken gab, in denen noch nie ein Auftrag vermittelt worden war.​
»Oh, da bist du ja, Goblin Slayer!«, schallte dem Krieger eine kräftige Stimme entgegen.​
Er schwenkte seinen Helm in die Richtung des Rufenden und erkannte den äußerst gut aussehenden Speerkämpfer.​
»Hier. Hier drüben!«​
»Du bist spät dran. Wir haben schon angefangen«, sagte der Panzerkrieger zu Goblin Slayer, als dieser an den Tisch herantrat.​
»Tut mir leid.«​
Die Krüge des Speerkämpfers und Panzerkriegers waren schon halbleer und auch an dem Knabberzeug, das auf dem Tisch stand, hatten sie sich bereits vergriffen. Der Krieger schaute seinen beiden Kollegen in die geröteten Gesichter. Dann setzte er sich etwas unbeholfen zu ihnen an den Tisch. Er war der einzige der drei, der in voller Ausrüstung gekommen war. Die anderen beiden trugen jeweils nur ein Kurzschwert an ihrer Hüfte, was selbst in dieser Situation etwas übertrieben war. Die drei ernteten viele Blicke von den anderen Besuchern der Schenke. Es war ein seltener Anblick, dass drei der stärksten Abenteurer des Grenzlandes so zusammenkamen, um einen zu heben. »Warum treffen wir uns nicht in der Schenke der Gilde?«, fragte Goblin Slayer.​
»Weil ich nicht will, dass alle demnächst darüber reden, dass ich mich mit einem komischen Vogel wie dir abgebe«, gab der Speerkämpfer darauf scharf zurück.​
Der Panzerkrieger stieß dem Schönling in die Seite.​
»Der meint das nicht so.«​
»Ist das so?«​
»Ja, er will nur nicht, dass die Gilden Angestellte ihn mit dir sieht.«​
»Schnauze jetzt!«, rief der Speerkämpfer und zeigte auf die Getränkekarte an der Wand.​
»Bestell dir was, Goblin Slayer.«​
»Ja.« Der Krieger ging die Getränke durch. Von verschiedenen Sorten Bier bis hin zu Schnäpsen gab es alles Mögliche.​
»Hmpf...«​
»Mann ...« Der Speerkämpfer seufzte.​
»In solchen Momenten nimmt man einfach ein Ale.«​
»Dann nehme ich so eins.«​
»Hey, Kellnerin! Drei Ale!«​
»Na, da hat einer aber Durst!«​
Der Panzerkrieger musste laut loslachen, was dazu führte, dass der Speerkämpfer ihn meckernd anfuhr. Wenig später standen drei bis zum Rand gefüllte Krüge Ale auf dem Tisch.​
»Entschuldigt das Warten! Hier sind die drei Ale!«​
Die Kellnerin war eine junge Zentaurin und auch wenn sie genau genommen zum Volk der Padfoot gehörte, mochten diese stolzen Halbmenschen es nicht, wenn man sie so nannte. Das galt auch für die Minotauren, die sich ebenfalls den sprechenden Völkern angeschlossen hatten. Nur die Kuhmenschen sahen das Ganze etwas lockerer und störten sich nicht an solchen Belanglosigkeiten. Der gewaltige Vorbau der Kellnerin hatte beim Abstellen der Getränke mächtig gewackelt, bevor sie auf ihren vier Beinen zum nächsten Tisch ging. Trotz ihres vergleichsweise großen Körpers schwebte sie geradezu durch den Laden. Der Panzerkrieger schaute ihr hinterher und hatte seinen Blick dabei fest auf ihr durchtrainiertes Hinterteil gerichtet. »Busen sind toll, aber ein Hintern ist auch klasse.«​
»Und weil diese Ritterin auch auf Pferden reitet, magst du sie?«​
»Was hat sie denn jetzt damit zu tun? Nun ja, über so was können wir jedenfalls nicht in der Gilde reden. Gut. Lasst uns anstoßen.«​
»Auf was?«, fragte Goblin Slayer ruhig, während er ebenfalls einen Krug in die Hand nahm.​
»Hm... Auf das Übliche!«​
Die drei Abenteurer hoben ihre Krüge.​
»Auf unsere Stadt!«​
»Auf die Würfel der Götter!«​
»Auf uns Abenteurer!«​
Mit einem einheitlich „Prost“ schütteten sie sich das kühle Ale in den Hals. Auf den Vorschlag von einem der drei waren die Abenteurer nach draußen gegangen, um sich ein wenig die Füße zu vertreten und einen klaren Kopf zu bekommen. Die Straßen waren nach wie vor voller Leute, doch viele von ihnen hatten mittlerweile auch einiges an Alkohol zu sich genommen.​
Zusammen begaben sich der Krieger, der Speerkämpfer und der Panzerkrieger zum Fluss, der sich durch die Stadt zog. Ein angenehm kühler Nachtwind wehte vorbei und erfrischte zusammen mit dem Geräusch des plätschernden Wassers ein wenig die Gemüter der Abenteurer, die sich erlaubten, mit schiefen Stimmen ein Lied anzustimmen.​
Verdorbene Erde, verpestete Luft und aufgerissene See.
Und selbst wenn die Welt in ewige Dunkelheit stürzen sollte,
so schlummert doch ein Leuchten in diesem Kristall.
Die vier Lichter werden niemals erlöschen,
so haben wir Kameraden es uns geschworen.
Auf dieser Suche wandern wir gemeinsam.
Das Ende der Welt,
der Ursprung des Winds und weit übers Meer.
Selbst wenn alles nur eine Illusion sein sollte,
so schlummert doch ein Leuchten in diesem Kristall.
Die vier Lichter werden niemals verschwinden.
Wir werden sie auf keinen Fall vergessen.
Die gemeinsame Reise mit unseren Freunden.
Als sie damit fertig waren, schaute der Speerkämpfer zu Goblin Slayer und fragte:​
»Und was jetzt?! Was willst du machen?«​
»Was meinst du?«​
»Verstehst du es etwa nicht?«​
Meine Güte, ist der besoffen ... , dachte sich der Panzerkrieger und schaute hoch zum Himmel. Er überlegte kurz, ob er die Hexe holen sollte, doch entschied sich dann dagegen. Schließlich konnte er sie nicht wirklich einschätzen.​
»Ich rede von der Angestellten! Der Gilden Angestellten! Außerdem hast du auch noch das Mädchen vom Hof, die Elfe und die kleine Priesterin!«​
Goblin Slayer schwieg eine Weile, bevor er entgegnete:​
»Solange es Goblins gibt, geht das nicht.«​
Der Mund des Speerkämpfers schnappte auf, um zu protestieren, doch schloss sich direkt darauf wieder. Er konnte sich schon denken, was Goblin Slayer durchgemacht haben musste, um zu dem zu werden, der er jetzt war. Er seufzte tief und zuckte dann mit den Schultern.​
»Da haben wir's.«​
»Goblins?«​
»Nein!« Der Schönling schüttelte kurz verzweifelt den Kopf und antwortete dann:​
»Komischerweise kann ich dich schon verstehen.«​
»Wie dem auch sei!«​
Der Panzerkrieger bewegte seine Hand, als wolle er etwas Unsichtbares aus der Luft fangen.​
»Männer wollen doch alle die Herren eines Schlosses und eines Reichs werden, oder?«​
»Du meinst Könige?«​
Ein breites Grinsen legte sich auf das Gesicht der Speerkämpfers.​
»Nicht schlecht! Soll es nicht ein Söldner irgendwann mal geschafft haben, zum König eines Landes zu werden?«​
»Leider bin ich zu ungebildet, um ein König Zu werden.«​
»Dann lerne doch einfach«, entgegnete Goblin Slayer dem Panzerkrieger.​
»Du hast sicher genügend Geld, um einen Lehrer zu bezahlen, und auf den Kopf gefallen bist du bestimmt auch nicht.«​
»Leider habe ich nicht die Zeit dafür.«​
Der Panzerkrieger ließ die Schultern hängen.​
»Und wenn man erst mit dem Lernen anfängt, wenn man schon König ist, dann bereitet man seinem Volk sicher viele Sorgen.«​
»Das stimmt allerdings.«​
»Aber wenn ich jetzt einfach aufhöre, auf Abenteuer zu gehen, bereite ich meiner Gruppe Sorgen.«​
»Ich verstehe.«​
Goblin Slayer verschränkte die Arme und dachte kurz nach.​
»Das ist wirklich nicht einfach.«​
»Ja, so ist es«, gab der Panzerkrieger zurück.​
»Aber mir wird auch in der derzeitigen Situation nicht langweilig.«​
»Schließlich ist die Ritterin an deiner Seite, was?«​
»Ach, halt den Rand.«​
Der Panzerkrieger antwortete auf den Kommentar des Speerkämpfers mit einem Tritt und lehnte sich dann an das Geländer der Brücke, auf der sie sich gerade befanden. Goblin Slayer stellte sich direkt neben ihn.​
»Es ist alles nicht immer einfach.«​
»...«​
»Aber das ist nicht immer schlecht.«​
»Ja ...«​
Die Worte des Kriegers sorgten dafür, dass der Panzerkrieger leicht lächelte. »Mit ihr an meiner Seite ist es eigentlich ganz erträglich.«​
»Ts! Ihr miesen Typen habt es echt viel zu einfach mit den Frauen!«​
Der Speerkämpfer hatte sich von dem Tritt seines Kollegen erholt und lehnte sich jetzt mit dem Rücken an das Geländer. Er schaute hoch in den Himmel.​
»Du solltest dich einfach nur darauf konzentrieren, was du haben kannst«, gab der Panzerkrieger zurück.​
»Du Idiot! Ein Mann sollte immer danach streben, der Stärkste zu werden und die schönste Frau zu kriegen!«​
»Du klingt wie einer der Anfänger!«​
»Ja, und? Ich werde der Stärkste und dann ist für mich nichts mehr unmöglich!«​
Der Speerkämpfer setzte einen trotzigen Gesichtsausdruck auf.​
»Ich bin stark geworden, damit ich bei Frauen beliebt bin, mir gedankt wird und ich die Welt zu einem besseren Ort machen kann.«​
»Du bist beliebt?«​
»Natürlich bin ich das!«​
»Den Eindruck hab ich aber nicht.«​
»Halt die Klappe.«​
»Hmpf ...«​
Der Speerkämpfer schielte kurz zu Goblin Slayer. Er sah nichts weiter als einen Eisenhelm. Ob die Beamtin sich wohl vorstellen kann, was für einen Gesichtsausdruck er hat, wenn sie mit ihm redet? Und wie wäre es bei mir, wenn ich mir einen Helm aufsetzen würde? Er seufzte und fragte dann:​
»Wie war es denn bei dir, Goblin Slayer? Was für Träume hattest du als Kind?«​
»Ich?«​
»Ja, du.«​
Der Krieger schaute für einige Momente schweigend hinunter auf die Wasseroberfläche. Bis auf die Reflektionen der zwei Monde sah es fast so aus, als zöge sich ein Strom aus Tinte durch die Stadt. Er konnte sich erinnern, dass er seine Schwester einst gefragt hatte, woher der Strom kam und wohin er führte. Als er die Antwort von ihr erhalten hatte, wollte er unbedingt seine Quelle in den Bergen finden gehen, doch das war lange her.​
»Ich wollte Abenteurer werden ... «​
»Ach was!«​
Der Speerkämpfer stieß Goblin Slayer leicht in die Seite.​
»Dann ist dein Traum doch wahr geworden!«​
»Nein.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»Das würde ich nicht sagen.«​
»Ist das so?«​
»Ja«, erwiderte Goblin Slayer.​
»So ist es.«​
Mit einem Seufzer meldete sich der Panzerkrieger wieder zu Wort.​
»Was man machen will, was man machen muss und was man machen kann, sind jeweils unterschiedliche Dinge.«​
»Es ist zum Verrückt werden ... «​
Alle drei Abenteurer richteten schweigend ihren Blick in den Himmel, während der kühle Nachtwind an ihnen vorbei strich.​
Ich wollte etwas werden.
Ich wollte Abenteurer werden.
Ich wollte ein Held werden.
Ich wollte ein König werden.
Ich wollte zu einer Legende werden.
Ich wollte eine Waffe aus dem Zeitalter der Götter finden,
eine Prinzessin retten,
einen Drachen bekämpfen und die Welt retten.
Ich wollte eine versteckte Ruine entdecken,
die Geheimnisse der Welt erkunden und verstehen,
was es mit ihnen auf sich hat.
Ich wollte umringt von schönen Frauen sein,
niemals wieder jemandem unterliegen
und so in die Geschichte eingehen.
Ich wollte zum Vorbild all derer werden,
die nach mir kommen würden.
Die drei wussten nur zu gut, dass ihnen solch ein Schicksal verwehrt bleiben würde. Sie waren Silber-Rang-Abenteurer und hatten damit den höchsten Rang erreicht, den man als Abenteurer ohne offizielle Rolle erlangen konnte. Sie waren sich bewusst, dass das bereits eine Errungenschaft war, aber dennoch ...​
»Nun ja, solange ich tun und lassen kann, was ich will, reicht mir das.«​
Seine zwei Kollegen bekräftigten die Worte Goblin Slayers mit einem Nicken.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 53
Der Trainingsplatz außerhalb der Stadt


»Was?«​
Es war ein wenig früh fürs Mittagessen, weshalb die Mahlzeit, die der Zwerg sich gerade in der Schenke gönnte, wohl eher als spätes Frühstück bezeichnet werden konnte.​
»Etwa ich?«​
»Ja.«​
Ihm gegenüber saß Goblin Slayer und nippte an einem Glas Wasser. Er schien Kopfschmerzen zu haben.​
»Könnte ich dich darum bitten?«​
»Das kriege ich schon hin!«​
Der Schamane stopfte sich einen Löffel Kartoffelbrei in den Mund. Zwerge waren nicht sonderlich wählerisch, was das Essen anging. Hauptsache, es gab viel davon und dazu ein starkes alkoholisches Getränk. Für Elfen war dieses Verhalten geschmacklos, doch das juckte die Zwerge relativ wenig. Der Schamane gönnte sich gerade eine riesige Schüssel Kartoffelbrei mit nichts weiter als ein wenig Salz und es schien ihm zu schmecken.​
»Kartoffeln?«​
»Ja, mir war danach.«​
Der Zwerg rülpste herzhaft.​
»Willst du nichts essen?«​
»Nein, ich gehe gleich Goblins vertreiben.«​
»Na dann ...«​
Als hätte er Goblin Slayers Worte nicht gehört, schnappte der Schamane sich dessen Krug und goss ihn randvoll mit Traubenwein.​
»Trink. Leiste mir etwas Gesellschaft.«​
»Hm ...«​
Der Krieger schüttete sich den Traubenwein in seinen Mund.​
»Der Junge und ich unterscheiden uns in der Art unserer Magie, nicht wahr?« »Ich kenne mich nicht allzu gut damit aus, aber ich denke schon.«​
»Wäre es nicht besser, jemanden um Hilfe zu bitten, der mit seiner Art von Magie vertraut ist?«​
»Nein.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»Unter meinen Bekannten bist du eindeutig der fähigste Magiewirker.«​
»...«​
Der Schamane hielt inne. Der Löffel, der bis gerade unaufhörlich zwischen Schüssel und Mund hin und hergewandert war, schwebte jetzt in der Luft.​
»Sollte das jetzt dein Totschlagargument sein? Wieso probierst du es nicht mal an der Hexenbraut aus?«​
»Das könnte ich nicht zu ihr sagen ...«, murmelte der Krieger.​
Der Zwerg wusste nur zu gut, warum sein Kamerad so reagiert hatte, weshalb er antwortete:​
»Tut mir leid ... Ich versteh schon.«​
»Wenn es nicht geht, dann kannst du auch ablehnen.«​
»Quatsch! Zwerge lehnen Arbeit nur ab, wenn sie den Auftraggeber nicht leiden können!«, entgegnete der Zwerg und fing wieder an sich Kartoffelbrei in seinen Mund zu stopfen.​
Obwohl immer wieder etwas davon in seinem Bart hängen blieb, aß er einfach weiter. Erst nachdem die Schüssel leer war und er sich noch ein paar Becher Wein gegönnt hatte, lehnte er sich entspannt zurück. »Verrat mir eins, Bartschneider.«​
»Was denn?«​
»Wieso machst du das alles?«​
Goblin Slayer verstand die Frage zuerst nicht. Der Junge war Magier und er hatte keine Ahnung von Magie. Deshalb hatte er den Zwerg gefragt. Als er jedoch in dessen Gesicht schaute, merkte er, dass das nicht die eigentliche Frage gewesen war.​
»Ich bin Goblin Slayer.«​
Der Krieger trank einen Schluck Wein.​
»Er ist Anfänger.«​
»Na dann ...«​
Der Zwerg schnaufte durch die Nase, während der Stuhl unter seinem Gewicht knarzte. »​
Wenn die Elfe davon hört, wird sie sich garantiert beschweren.«​
»Ist das so?«​
»Ja, ganz sicher.«​
»Ach so.«​
Der Schamane schob die Schüssel vor sich zu den anderen Schüsseln, die er bereits geleert hatte. Es waren insgesamt sechs. Die Padfoot Kellnerin kam herbeigeeilt und stellte das leere Geschirr spielerisch auf ihr Tablett, um damit in die Küche zu zischen.​
»Gut, Bartschneider. Ich kümmere mich darum, aber ich brauch noch etwas Zeit, bevor ich loslegen kann.«​
»Kein Problem. Ich habe ihm gesagt, dass er nachmittags hier sein soll«, sagte Goblin Slayer und goss etwas Wasser in seinen Krug.​
Er schwenkte ihn und beobachtete, wie das Wasser tanzte.​
»Glaubst du, dass er kommen wird?«​
»Wie wäre es, wenn wir darauf wetten?« Der Schamane rieb mit einem breiten Grinsen seine Hände aneinander. Er sah aus wie ein Taschenspieler, der seinen nächsten Trick vorbereitete. Dann klopfte er sich auf den Bauch und sagte:​
»Ich werde noch zwei Portionen essen, schließlich heißt es, acht seien genau richtig. Anschließend mache ich einen kleinen Spaziergang.«​
Goblin Slayer sagte nichts dazu und stellte einfach seinen leeren Krug auf den Tisch.​
Der junge Magier saß im Gras in der Nähe des noch immer nicht fertiggestellten Trainingsplatzes. Ihm war genau anzusehen, dass er eigentlich nicht hier sein wollte. Trotzig blickte er den Mann an, der ihn hergeschleppt hatte.​
»Musst du denn keine Goblins vertreiben?«​
»Doch. Sobald ich mich um dich gekümmert habe, gehe ich los.«​
»Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich dich darum gebeten hätte.«​
»Ist das so?«​
»Ja.«​
»Dann tut es mir leid.«​
Diese ruhige Art von Goblin Slayer trieb den Jungen in den Wahnsinn. Er konnte gar nicht verstehen, wie jemand mit diesem Typen in einer Gruppe sein wollte. Wie kamen die Priesterin, die Elfe, der Echsenmensch und ...​
»Oh, da ist er ja. Dann können wir loslegen.«​
... auch der Zwerg, der gerade angelaufen kam, mit ihm klar? Der Schamane lächelte erfreut über irgendetwas und gönnte sich einen ausgiebigen Schluck aus einer der Flaschen, die er immer dabei hatte. Der Junge knirschte mit den Zähnen. Der sollte ihm etwas beibringen?​
»Gut. Kann ich dich darum bitten?«​
»Klar doch. Und pass du bei der Goblin Jagd auf. Du bist heute schließlich ohne Magiewirker unterwegs.«​
»Werde ich.«​
»Und gib mir demnächst mal wieder einen aus.«​
»Das werde ich auch.«​
Damit hatten der Zwerg und Goblin Slayer sich verständigt.​
Der Krieger überprüfte seine Ausrüstung und wandte sich dann dem Anfänger zu:​
»Mach keinen Ärger und hör gut zu, was er dir sagt.«​
Es klang ein wenig, als würde Goblin Slayer mit seinem kleinen Bruder reden, was dem jungen Magier gar nicht gefiel. Wütend schnaubte er durch die Nase. Der Krieger ignorierte dies jedoch und stapfte davon.​
»Ah, hey!«​
»Komm schon. Ich kümmere mich heute um dich.«​
Der Junge wollte protestieren und stand auf, aber der Zwerg hielt ihn mit seinen starken, rauen Händen fest.​
»Setz dich. Da lernt es sich besser.«​
»Na gut ...«​
Der Anfänger ließ sich wieder im Gras nieder. Aus der Ferne hörte man vereinzelt Schreie und das Aufeinandertreffen von Metall und Metall. Hinzu kamen die Geräusche der fleißigen Arbeiter, die ihr Bestes gaben, um den Trainingsplatz fertigzustellen. Der Zwerg setzte sich im Schneidersitz vor den Jungen.​
»Nun gut. Mein Fachgebiet ist ein anderes als deines, aber wie viele Zauber beherrschst du und wie oft kannst du sie einsetzen?«​
Der Schamane stellte gleich eine Frage, die der Junge eigentlich nicht beantworten wollte. Beschämt antwortete er:​
»Feuerball ... Und nur einmal ... Aber das weißt du doch ... «​
»Du Einfaltspinsel!«​
Der Zwerg ließ seine Faust auf den Kopf vom Magier niedersausen.​
»Das stimmt doch überhaupt nicht!«​
»Argh!«​
Der Schädel des Jungen pochte schmerzhaft. War das wirklich die Faust eines Magiewirkers gewesen? Nein, die Faust eines Zwergen Magiewirkers. Man sollte niemals die Kraft eines Zwerges unterschätzen.​
»Urgh ... Aua! Willst du mir etwa den Kopf einschlagen?«​
»Magier sollten nicht so dickköpfig sein wie du. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn ich deinen Schädel ein wenig weicher klopfen würde.«​
»Sind Zwerge nicht normalerweise Krieger?«​
»Wir Zwerge sind schlau und haben einen starken Willen. Deswegen gibt es uns auch als Mönche.«​
»Stimmt. Ich habe auch schon von den großen Zwergen Weisen gehört.«​
»Die wiederum gibt es nur in Geschichten.«​
Der Schamane seufzte.​
»Hör mir gut zu. Du beherrschst mehr als nur einen Zauber.«​
»Was?«​
Von einem Moment auf den anderen hatte der Junge vergessen, dass sein Schädel brummte.​
»Du wirkst Feuerball mit den Worten “Carbunculus, Crescunt“ und „acta“, oder?«​
»Ja, aber ...«​
Dem Jungen dämmerte, worauf der Zwerg hinauswollte.​
Feuerball wirkte er, indem er drei Worte der Macht miteinander kombinierte, doch die einzelnen Worte selbst konnten auch schon magische Effekte hervorrufen. Er schämte sich, dass er nicht von selbst darauf gekommen war.​
Als der Zwerg merkte, was im Kopf des Jungen vor sich ging, grinste er breit. »Gut. Anscheinend hat der erste Schlag schon etwas gebracht. Verrate mir, was diese drei Worte der Macht bedeuten.«​
»Feuer erzeugen. Vergrößern. Werfen.«​
»Siehst du. Also hast du schon mal vier Möglichkeiten.«​
»Vier?«​
»Du kannst Feuer erzeugen, etwas vergrößern, etwas werfen und alles miteinander kombinieren und einen Feuerball werfen. Das sind insgesamt vier Dinge, die du mithilfe von Magie machen kannst.«​
»Ahm ...«​
»Ja?«​
»Ist das Ganze wirklich so einfach?«​
»Muss es denn schwierig sein? Es ist doch eigentlich nichts anderes, als die Karten in seinem Blatt zu überprüfen, oder?«​
Mit diesen Worten zog der Zwerg plötzlich einige Spielkarten hervor. Fast wie bei einem Taschenspielertrick mischte er die Karten in unheimlicher Geschwindigkeit und breitete sie anschließend fächerförmig aus. »Es ist wichtig, dass man weiß, was man wirklich beherrscht und was nicht. Sei es noch die allerkleinste Fähigkeit.«​
»Ist das wirklich so?«​
»Ja, so ist es.«​
Genauso schnell, wie er die Karten raus geholt hatte, ließ er sie wieder verschwinden. Ohne auch nur daran zu denken, dem Jungen diesen Trick zu erklären, beugte er sich nach vorne und flüsterte:​
»Du erinnerst dich an die hübsche Hexe, oder?«​
»Ach ...«​
Der Junge rief sie sich zurück ins Gedächtnis und wurde bei der Erinnerung an ihren wundervollen Körper ganz rot im Gesicht.​
»Ja, tue ich ... «​
»Sie nutzt „Inflamarae“, um ihre Pfeife anzuzünden.«​
»Waaas?«​
Es war dem jungen Magier nicht zu verdenken, dass er plötzlich aufschreien musste. Wenn jemand so etwas in der Akademie gewagt hätte, wäre man sicher übel ausgeschimpft worden. Magie war dazu fähig, die Regeln der Welt umzuschreiben, und deswegen war es überhaupt nicht gern gesehen, wenn man sie leichtfertig einsetzte.​
»Tja, ich weiß, dass man nicht so locker mit Zaubern umgehen sollte, aber nun ja ...«​
Der Zwerg verschränkte die Arme.​
»Ein Feuer mithilfe von Magie zu erzeugen, wenn es regnet und der Feuerstein feucht ist, ist für mich eine akzeptable Option.«​
»Ja, stimmt ...«​
»Nichtsdestotrotz, wenn man weiß, was man tut, kann man auch viele wunderbare Dinge ohne Zauber erledigen. Eine perfekt trainierte Technik ist nur schwer von Magie zu unterscheiden. Im Falle eines Feuers bei Regen muss man halt schauen, ob man trockenes Holz in der Erde findet und dass man Hitze mithilfe von Reibung entstehen lässt. Es ist wichtig, dass man sein Köpfchen benutzt und die Abläufe der Dinge überdenkt.« Unterschiedliche Abläufe ergeben unterschiedliche Möglichkeiten, die wiederum ...​
»Das sind also die Karten in meinem Blatt ... «​
»So ist es.« Während der Junge nachdenklich nickte, trank der Zwerg noch einen Schluck aus seiner Flasche. Der Geruch von Branntwein hing in der Luft.​
»Aber Junge, weißt du, die Aufgabe eines Magiewirkers ist es nicht, Zauber zu sprechen, sondern Zauber einzusetzen.«​
Der junge Magier schaute den Zwerg skeptisch an.​
»Und was ist bitte der Unterschied?«​
»Das musst du selbst herausfinden.«​
Das Leben eines Magiewirkers war voller Rätsel, dessen Wert sich erst erkennen ließ, wenn man die Wahrheit dahinter kannte.​
Der Anfänger wusste das nur zu gut, weshalb er antwortete:​
»Vielleicht ist es so, aber vielleicht auch nicht. Nur Idioten glauben, dass Magier nichts weiter machen, als mit Feuerbällen und Blitzen um sich zu werfen.«​
Ein breites Grinsen legte sich auf das Gesicht des Schamanen.​
***
Goblin Slayer schlug klackend Feuersteine aneinander und entzündete so eine Fackel. Der Geruch von Schimmel und Unrat lag in der Luft. Der Krieger hatte sich schon immer gewundert, warum die Goblins mit ihren guten Nasen keine Fackeln riechen konnten. Eigentlich müsste der Geruch sie doch warnen, dass Abenteurer in ihr Nest eindrangen. Anstatt dessen reagierten sie aber eher auf den Geruch von Frauen, Kindern oder Elfen.​
»Oh Mann ... Das ist echt unfair ...«​
Die Elfe stöhnte darüber, dass sie ihre Kleidung wieder mit Dreck hatte einreiben müssen, um ihren Geruch zu verstecken.​
»Warum muss denn nur ich eingerieben werden?«​
»Weil nur dein Geruch die Goblins erregt.«​
Die direkte und sachliche Art, in der Goblin Slayer diesen Satz von sich gab, sorgte dafür, dass es der Elfe kalt den Rücken runter lief. Während ihrer Zeit mit dem verschrobenen Krieger hatte sie schon so einige Opfer der erregten Goblins gesehen und sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken, wie es wäre, wenn sie ihnen zum Opfer fiel. Sie schmierte sich lieber mit noch etwas mehr Dreck ein.​
»Was ist mit den Duftbeuteln, die ihr sonst immer verwendet?«, fragte Goblin Slayer skeptisch.​
»Mein Geld«, die Waldläuferin schaute beschämt zur Seite; »ist mir ausgegangen.«​
Das erklärte auch, warum sie sich, obwohl sie Goblins wie die Pest hasste, von selbst bereit erklärt hatte, heute mitzukommen.​
»Es ist wie mit Pfeilen«, gab Goblin Slayer zurück.​
»Wichtig ist, dass man seine Ressourcen im Griff hat.«​
»Ich kann Geld nicht ausstehen!«​
»Ist das so?«​
»Wenn man es benutzt, ist es weg!«​
»Das stimmt.«​
»Aber es wächst nicht auf Bäumen.«​
»Das stimmt auch.«​
»Das ist wirklich bescheiden!«​
»Ist das so?«​
Wütend wackelte die Elfe mit ihren Ohren, um ihren Aussagen Nachdruck zu verleihen, doch Goblin Slayer ging nicht darauf ein. Er konzentrierte sich lieber auf die Wandbilder, die die Goblins gemalt hatten. Er verglich sie mit dem Brandzeichen des Goblin Paladins, doch konnte keine Ähnlichkeiten erkennen.​
»Nichts weiter als Totems.«​
Goblin Slayer wischte über eins der Zeichen. Es war mit Blut gemalt worden, dessen getrocknete Reste jetzt an dem Handschuh des Kriegers klebten.​
»Es gibt einen Schamanen.«​
»Hmpf ...«​
Die Waldläuferin war von dieser Nachricht alles andere als begeistert. Sie nahm ihren Bogen vom Rücken und zog einen Pfeil aus ihrem Köcher.​
»Und wie viele normale Goblins?«​
»Nicht mehr als zwanzig. Kommst du damit klar?«​
»Ja, sicher.«​
Die Elfe streckte ihre Brust heraus.​
»Nur weil wir zu zweit unterwegs sind, sollen die uns bloß nicht unterschätzen!«​
Eigentlich war es keine besonders schlaue Idee, zu zweit gegen zwanzig Goblins kämpfen zu wollen, doch der Zwerg war damit beschäftigt, den Jungen zu unterrichten, und der Echsenmensch und die Priesterin hatten ihre eigenen Pläne. Weil Goblin Slayer nun mal Goblin Slayer war, hatte er den Auftrag dennoch angenommen. Dieser war äußerst simpel:​
»Tötet die Goblins in der Nähe eines Dorfes. Sie haben den Bewohnern Lebensmittel gestohlen und eine Kräutersammlerin entführt. Die Belohnung besteht aus einigen alten Münzen, die vor mehreren Generationen geprägt wurden.«​
»Orcbolg, du bist ganz schön pflichtbewusst, oder? Sofern du vielleicht noch jemanden retten kannst, verwendest du kein Gift oder eine andere deiner wilden Methoden. Erst wenn du weißt, dass es zu spät ist, legst du richtig los. Hier, iss das. Ohne etwas im Magen kämpft es sich schlecht, oder?«​
Mit einem leichten Kichern warf die Waldläuferin dem Krieger etwas zu. Es war ein Gebäck, das zu den geheimen Spezialitäten der Elfen gehörte. Die Elfe knabberte schon eifrig an einem der Kekse.​
»Wenn du ... «​
»Was ist mit mir, Orcbolg?«​
»Wenn du dabei bist, ist es immer lebendig.«​
»Sollte das ein Lob sein?«​
Sie fixierte den Krieger mit ihrem Blick und hüpfte wie ein Vögelchen um ihn herum.​
»Willst du damit etwa sagen, dass ich nervig bin?«​
»Ich meine das so, wie ich es gesagt habe.«​
»Ach so ...«, antwortete sie zuerst gleichgültig und drehte Goblin Slayer den Rücken zu.​
Dann kicherte sie aber und wackelte mit den Ohren, was unmissverständlich zeigte, dass sie sich über die Worte ihres Kameraden freute. Fast so, als würde er beweisen wollen, dass er keineswegs unaufmerksam geworden war, verspeiste der Krieger schnell sein Gebäck und zog sein Schwert. Die feinen Ohren der Elfe zuckten kurz - sie hatte etwas gehört.​
»Das ging schnell.«​
Goblin Slayer nahm Kampfhaltung ein.​
»Ich habe aber nicht das Gefühl, dass sie uns beobachtet haben.«​
Die Elfe hielt ihren Bogen bereit.​
»Vielleicht haben sie sich schon gedacht, dass Abenteurer kommen würden?«​
Schon seit Anbeginn der Zeit kämpften Goblins gegen Abenteurer und in all den unzähligen Jahren hatten sie natürlich die ein oder andere Sache gelernt. Wenn sie etwas anstellten, kamen früher oder später immer Abenteurer. Sie würden versuchen, sie zu töten und ihnen ihre Sachen wegzunehmen.​
»Woher kommen sie?«​
»Von rechts.«​
Die Elfe schloss kurz die Augen und wackelte mit den Ohren.​
»Fünf oder sechs? Sie sind bewaffnet.«​
»Und von vorne?«​
»Ich kann noch nichts hören.«​
»Hmpf ...«​
Goblin Slayer drehte das Schwert in seiner Hand, sodass die Klinge auf den Boden zeigte.​
»Sie denken, dass nur sie die Fähigkeit besitzen, andere zu überfallen.«​
Im nächsten Augenblick rammte er seine Waffe mit voller Wucht durch die Wand rechts von ihm.​
»GROOOORB?!«​
Eine dünne Erdschicht fiel in sich zusammen und deckte einen Nebentunnel auf. Die Goblins dahinter schrien erschrocken auf. Sie hatten die Abenteurer überraschen wollen, doch jetzt war es genau andersherum gekommen. Bevor der Erste von ihnen reagieren konnte, hatte der Krieger ihm schon seine Klinge in den Kopf gerammt.​
»Einer. Es geht los.«​
»Vorsicht in dem engen Nebentunnel! Ich kann hier nur schwer schießen!«​
Trotz ihrer Warnung hatte die Elfe im nächsten Moment bereits drei Pfeile abgeschossen, die drei der kleinen Teufel durchbohrten.​
»GROR?!«
»GOOBBR?!«​
Zwei wurden in den Augen getroffen und der dritte in der Kehle, weswegen ihr Ende nur noch eine Frage der Zeit war. Goblin Slayer trat sie grob zur Seite.​
»Vier.«​
Der Krieger ließ sein Schwert in dem toten Goblin stecken und schnappte sich stattdessen den Spaten der Bestie. Damit wehrte er die Spitzhacke des nächsten angreifenden Goblins ab und rammte ihm seine Fackel ins Gesicht.​
»Fünf.«​
»GROORRORBRO?!«​
Der Gestank von verbranntem Fleisch lag in der Luft, während Goblin Slayers Opfer fürchterlich vor Schmerzen schrie. Der Krieger beendete das Leiden der Bestie mit einem gezielten Hieb.​
CENTER]»GROORB!!«[/CENTER]​
Der letzte überlebende Goblin der Gruppe schmiss seine Säge weg und warf sich zu Boden. Elendig bettelnd kam er an Goblin Slayer heran gekrochen.​
Etwa ein Überbleibsel aus dem Mausoleum?, fragte sich dieser und warf die durch den Hieb gebrochene Fackel weg. Er entzündete eine neue und griff sich die Säge.​
»Nun gut.«​
»GOR?!«​
Er verpasste dem wimmernden Goblin einen Tritt und ließ ihn so auf den Hosenboden fallen. Handelte es sich bei ihm um ein besonders kluges oder besonders dummes Exemplar? Da er kleiner als die anderen war, lag die Vermutung nahe, dass es sich bei ihm um ein Kind handelte.​
»Orcbolg ...«​
»Ja.«​
Der Blick der Waldläuferin war wohl auch auf die Kette gefallen, die der Goblin um den Hals trug. Sie bestand aus einem Draht und den frisch abgesägten Fingern einer jungen Frau.. Wahrend das Biest heimlich versuchte, einen vergifteten Dolch zu ziehen, sagte der Krieger vollkommen emotionslos:​
»Wir werden sie alle abschlachten.«​
***
»Stimmt eigentlich.«​
»Hm?«​
»Ist es nicht das erste Mal, dass wir allein unterwegs sind?«​
»Oh, in der Tat scheint es so zu sein«, sagte der Echsenmensch und wackelte mit dem Schwanz.​
Die Sonne hatte gerade erst ihren Zenit überschritten, als die Priesterin und der Echsenmensch zusammen beim Trainingsplatz ankamen. Viele Abenteurer und Arbeiter waren gerade dabei, ihr Mittagessen zu sich zu nehmen.​
»Es ist wichtig, zu rasten und zu essen. Selbst mit den Kräften meiner Vorfahren kann ich keinen leeren Magen heilen.«​
»Die Wunder Wasser erzeugen und Essen erzeugen sind dazu imstande, aber leider wurden sie mir noch nicht gewährt.«​
»Oho! Unterschiedliche Götter gewähren einem unterschiedliche Segen! Wie interessant!«​
»Ja, aber heute werde ich mich nicht sehr intensiv meinem eigenen Training widmen können.«​
Das Mädchen und der Echsenmensch waren heute zum Trainingsplatz gekommen, um als Heiler zu fungieren. Mehr noch als die trainierenden Abenteurer begaben sich hier die Bauarbeiter immer wieder in brenzlige Situationen und schwere Verletzungen konnten zu Verzögerungen der Baumaßnahmen führen, weshalb der Mönch und die Priesterin anwesend waren, um im Fall der Fälle einzugreifen. Bevor sie jedoch ihren Dienst begannen, suchten die beiden sich einen Platz, an dem sie ihr Mittagessen zu sich nehmen konnten. Die Priesterin öffnete ihr Essenspaket. Es bestand aus nichts weiter als einem Stück Brot, etwas Käse, ein wenig verdünntem Traubenwein und getrockneten Früchten.​
»Oje.« Der Echsenmensch begutachtete die Mahlzeit seiner Kameradin. »Reicht dir das denn?«​
»Nun ja, also ...«​
Das Mädchen schaute verlegen zur Seite.​
»Seit ich als Abenteurerin angefangen habe, habe ich etwas zugenommen.«​
»Ha ha ha ha ha, liegt das nicht an den Muskeln?«​
Während der Mönch amüsiert lachte, kratzte die Priesterin sich an der Wange.​
»Das Essen in der Stadt ist nun mal so schmackhaft ... «​
»Ach was, du bist so dürr, da können ein paar Kilo mehr dir nur guttun.«​
»Das hat die Oberpriesterin auch gesagt ... «​
Der Echsenmensch wusste nicht, wieso sich das Mädchen solche Gedanken über diesen Punkt machte. Es mochte daran liegen, dass es in ihrem Umfeld so viele liebreizende Frauen gab. Ohne weiter darüber nachzudenken, faltete er seine Hände mysteriös zusammen und dankte seinen Vorfahren für sein Essen. Die Priesterin tat es ihm mit einem Gebet an die Erdmutter gleich.​
»Ach ...«, sagte die Priesterin, als sie sah, was ihr Kamerad dabei hatte. »Etwa Brote?«​
»Ha ha ha!«​
Voller Stolz zeigte der Mönch dem Mädchen sein Mittagessen. Es waren mehrere Brote mit viel Butter, Rindfleisch und noch mehr Käse. »Es gibt keine freiere Mahlzeit als zwei Scheiben Brot. Man kann zwischen sie klemmen, was man will!«​
»Ja, ist es nicht toll, wenn man essen kann, was man möchte?«​
»Ja, wenn das Essen Kultur ist, dann ist dies ein Ausdruck der Zivilisation«, sagte der Echsenmensch und verschlang mit wenigen Bissen sein erstes Brot.​
»Oh, welch Nektar! Was für ein Festschmaus!«​
»Hi hi, du magst Käse wirklich sehr, oder?«​
»Ja. Allein wegen der Entdeckung dieser Kostbarkeit bin ich dankbar, dass ich mich unter die Menschen begeben habe.«​
Der Mönch schlug mehrfach gut gelaunt mit dem Schwanz auf den Boden, während die Priesterin mit ihrer eigenen Mahlzeit begann. Sie biss von ihrem Brot ab und spülte mit ein wenig Traubenwein nach.​
»Was für Essen gibt es denn in deiner Heimat?«, fragte sie.​
»Wir ernähren uns zum Großteil von wilden Tieren.« Der Echsenmensch nahm sich ein zweites Brot.​
»Die jungen Krieger und Veteranen essen mit ihresgleichen und unsere Vorgesetzten speisen auch lieber unter sich, aber wir alle sitzen dabei auf dem Boden.«​
»Also essen nicht alle gemeinsam?«​
»Ein Anführer kann sich nicht entspannen, wenn er von seinen Untergebenen umgeben ist, oder?«​
»Ach, so ist das ... «​
»Die einzige Ausnahme dabei sind Feste. Nach einer erfolgreichen Schlacht sitzen wir alle gemeinsam um ein großes Lagerfeuer.«​
Die Priesterin versuchte sich vorzustellen, wie es wohl in den Ländern der Echsenmenschen war. In einem Urwald unter einem Dach aus riesigen Bäumen saßen viele der schuppigen Wesen um ein großes Feuer und rissen freudig ihre Krüge in die Luft. Sie brieten gewaltige Wildtiere und fraßen wild das Fleisch. Nur einer von ihnen knabberte an einem großen Laib Käse.​
Sie musste kichern und sagte:​
»Das klingt sehr lebendig.«​
»Das ist es auch.« Der Echsenmensch war voller Stolz.​
»Manche von uns sammeln aber auch Hirse oder Erdäpfel ... «​
»Ach! Käse passt auch gut zu Kartoffeln!«​
»Oho!«​
Schnell beugte der Echsenmensch sich nach vorne. Seine Augen leuchteten und er öffnete leicht den Mund. Die Priesterin wich leicht erschrocken zurück, doch der Mönch dachte sich nichts dabei.​
»Darüber würde ich gerne noch mehr erfahren!«​
»Ä... Ähm ... Ich habe im Tempel mal solch eine Mahlzeit gekocht.«​
Es waren geschnittene Kartoffelscheiben in einer Soße aus Milch und Mehl gewesen, über die sie Käse gestreut und sie dann im Ofen gebraten hatte. Gerichte wie diese gab es immer wieder an Festtagen.​
»Wir haben sie dann zusammen in der großen Halle gegessen.«​
»Das klingt nach einem vorzüglichen Erlebnis! Mit jemandem eine Mahlzeit zu teilen, festigt die Bande!«​
»Ja.«​
Die Priesterin nickte mit einem Lächeln.​
»Wenn du möchtest, können wir dieses Gericht gerne einmal zusammen kochen.«​
»Sehr gerne!«​
»Das sieht aber lecker aus!« Eine helle Stimme unterbrach die beiden. Als die Priesterin sich in die Richtung drehte, aus der diese gekommen war, fielen ihr zuerst die nackten Füße auf. Zu ihnen gehörten kurze, aber durchtrainierte Beine. Es war die Rhea-Schwertkämpferin, die sich immer wieder am Kragen zog, weil ihr heiß war.​
»Dürfte ich einen Bissen von deinem Brot haben?«​
Mit einem „Hmpf“ warf sich der Echsenmensch den Rest seiner Mahlzeit ins Maul.​
»In meiner Lehre wurde ich nicht dazu erzogen, mein Essen zu teilen.«​
»Hä? Na ja, egal. Ich habe ja auch selbst was zu essen dabei. Darf ich mich denn zu euch setzen?«, fragte sie und zeigte ihr Essenspaket.​
Es war in ein rotes Tuch eingewickelt und von erstaunlicher Größe. Die Priesterin schluckte eine getrocknete Aprikose herunter​
und antwortete:​
»Ah, ja. Mich soll es nicht stören.«​
»Mich stört es auch nicht«, fügte der Echsenmensch hinzu.​
»Dann bin ich so frei!«​
Die Rhea ließ sich plumpsend auf ihren Hintern fallen und machte sich daran, ihr Mittagessen auszupacken. Es waren fünf fluffige, goldbraune Pfannkuchen, von denen jeder mindestens so groß war wie der Kopf eines Menschen. Sie wurden verfeinert mit einem kleinen Fläschchen Honig, das die Schwertkämpferin über ihnen ausleerte. Die Priesterin konnte ihren Augen nicht glauben. Dies war eine Mahlzeit, die selbst den unglaublichen Hunger des Zwergs stillen könnte, und dabei war die Rhea noch kleiner als er. Erstaunt sagte sie:​
»Du bist aber eine gute Esserin.«​
»Eigentlich isst mein Volk fünf- oder sechsmal am Tag, aber auf einem Abenteuer geht das natürlich nicht«, entgegnete die Schwertkämpferin und leckte sich etwas Honig von den Fingern.​
»Mir bleibt also nur die Option, mehr zu essen.«​
»Ha ha ha ...«​
Die Priesterin lachte beschämt. Sie hatte für einen Moment gedacht, dass ihr Gegenüber fünfmal am Tag solch eine Menge zu sich nahm.​
»Du bist gerade allein unterwegs, oder nicht?«​
»Ja, das stimmt. Weil es so viele Krieger und Schwertkämpfer gibt, finde ich einfach keine neue Gruppe.«​
Das Mädchen lachte leicht traurig. Die Priesterin konnte sich gut vorstellen, wie schwierig es als Anfänger, der keine Gruppe hatte, sein musste. Sie selbst wollte sich gar nicht erst vorstellen, wo sie jetzt wäre, wenn Goblin Slayer sie nicht in seine Gruppe aufgenommen hätte.​
»Ähm ...«​
Die Worte platzen einfach so aus ihr heraus. »Wenn du möchtest, können wir gerne mal gemeinsam auf ein Abenteuer gehen.«​
»Ein Abenteuer?«, entgegnete die Schwertkämpferin verwundert.​
»Etwa mit diesem Goblin Slayer? Heute ist er nicht hier, oder?«​
»Also ... Ähm ... «​
Weil die Priesterin mit den Worten rang, übernahm der Echsenmensch das Wort.​
»Eigentlich ist es so: Die werte Priesterin soll für einen Rangaufstieg ihre eigene Stärke beweisen und sucht daher Abenteurer, mit denen sie sich kurzzeitig verbünden kann.«​
»Wahrscheinlich wird es aber nur bei dem einen Mal bleiben ...«, fügte die Priesterin in entschuldigendem Ton hinzu.​
»Hm ...«​
Die Rhea blickte mit verschränkten Armen in die Ferne. Sie war durchtrainiert, aber aufgrund ihres Körperbaus waren Menschen und Zwerge den Rhea in puncto Muskelkraft überlegen.​
»Nur als Warnung. Ich bin nichts Besonderes. Weder bin ich extrem stark noch besitze ich besondere Ausrüstung.«​
Sie trug eine dünne Lederrüstung, ein kleines Schwert und einen kleinen Schild.​
»Dafür hast du«, der Echsenmensch nickte kräftig, »aber Glück.«​
»Glück...«​
»Oder sollte ich es eher Schicksal nennen?«​
»Ja!«, antwortete die Priesterin sofort.​
»Du hast uns in der Gilde aufmerksam wegen der Tränke gefragt, nicht wahr? Das ist der Grund, warum ich dich jetzt frage.«​
»Ach, daran erinnerst du dich? Na gut, dann werde ich dich gern begleiten. Aber nur mit uns beiden wird es sicher schwer, oder? Sollten wir nicht noch jemanden einladen?«​
Die Rhea hielt kurz inne und riss dann ihre beiden Fäuste in die Höhe. »Überlass das mir! Ich habe schon eine Idee!«​
»Warte! Ich begleite dich!«​
Da die Schwertkämpferin sofort aufgesprungen und losgelaufen war, eilte die Priesterin ihr jetzt hinterher, aber nicht, ohne sich noch einmal vor dem Echsenmenschen zu verbeugen. Der Mönch winkte ihr freundlich hinterher.​
»Hey, wir müssen uns beeilen. Wenn sie alle aufgegessen haben, fangen sie wieder mit dem Training an!«​
»Äh, ja! Entschuldigung. Und vielen Dank!«​
Nachdem sie der Priesterin erklärt hatte, warum sie sich so beeilte, kam das erste Ziel der Rhea in Sicht. Es war der Magier Anfänger mit den roten Haaren. Sie verpasste ihm im Vorbeilaufen einen Tritt und überließ ihrer Kameradin die Erklärungen, was der Zwergen-Schamane mit einem tiefen Lachen kommentierte. Währenddessen lief die Schwertkämpferin weiter zum Krieger Lehrling und der Heiligen in Ausbildung. Letztere beschwerte sich, dass sie doch gerade beim Mittagessen seien, und wollte das Rhea-Mädchen abweisen, als die Priesterin zusammen mit dem Magier-Anfänger angelaufen kam und ihr erklärte, was Sache war.​
»Nein, das Schicksal ist eine Tugend und die Tugend ist wiederum Schicksal«, kommentierte der Mönch das Geschehen, während er sich ein weiteres Brot griff.​
Er kannte die Priesterin jetzt schon seit einem Jahr und wusste, was für ein gutherziger Mensch sie war. Doch was ist die Tugend unseres werten Goblintöters?​
»Mhm ... Mhmmm ...?«​
Das Zwitschern des Kanarienvogels weckte die Kuhhirtin aus ihrem Schlaf. Sie rieb sich die Augenwinkel und blinzelte mehrfach. Dann streckte sie sich und stand auf. Sie hatte sich in der Küche des Hofs auf dem Tisch ausgestreckt und war eingenickt. Die Sonne war bereits untergegangen und nur das Licht der zwei Monde fiel noch durch die Fenster hinein. Auf dem Tisch stand eine Tasse mit längst kaltem schwarzem Tee. Sie musste eingeschlafen sein, während sie ihn hatte ziehen lassen.​
»Hm? Hoffentlich habe ich keinen Abdruck im Gesicht ...«​
Während sie ihre Wangen abtastete, spürte sie, wie ihr eine Wolldecke von den Schultern rutschte. Ihr Onkel musste sie über sie gelegt haben. Die Kuhhirtin hob die Decke wieder auf und wickelte sich hinein. In diesem Moment begann der Kanarienvogel, wie wild im Käfig umherzuflattern. Die Kuhhirtin zündete eine Kerze an und näherte sich ihm.​
»Was hast du denn? Ist dir etwa kalt? Oder hast du vielleicht Hunger?«​
Sie redete mit ihm wie mit einem Kleinkind. Der Kanarienvogel legte seinen Kopf schief und blickte in ihre Richtung. Das nur mit einem Nachthemd bekleidete Bild der Kuhhirtin spiegelte sich im Fenster wider. Sie dachte sich:​
Ich sollte jetzt wohl besser weiterschlafen, aber irgendwie fühle ich mich nicht danach ... Am liebsten würde ich ihn begleiten ...
Sie ging rüber zum Fenster und legte ihr Kinn auf der Fensterbank ab. Sie wusste, dass das nicht ging, aber die Idee ließ sie nicht los. Vielleicht würde sie sich sogar ganz gut schlagen. Schließlich war ihr Körper durch die Arbeit am Hof wirklich durchtrainiert. Doch wenn sie hier weggehen würde, wohin sollte er dann zurückkehren?​
»Oje ... Meine Fantasie brennt wohl mit mir durch ... «, murmelte die Kuhhirtin und kicherte.​
Plötzlich gab es ein Poltern und die Tür öffnete sich. Mit der Nachtluft kam ein seltsamer Gestank in den Raum. Dreck, Schweiß, Staub und Blut. Er war zurückgekehrt.​
»Willkommen zurück.«​
»Ich bin wieder da«, antwortete er emotionslos und schloss äußerst vorsichtig die Tür, doch das Klacken war trotzdem im ganzen Haus zu hören.​
Er musterte die Kuhhirtin und fragte:​
»Wieso bist du noch wach?«​
»Ich bin gerade aufgewacht.«​
»Wegen mir?«​
»Nein, nein. Es war jemand anders.« Sie zeigte mit dem Finger auf den Kanarienvogel, der zu zwitschern anfing. »Er wusste, dass du nach Hause kommen würdest.«​
»Hmpf...«​
Er gab einen tiefen Ton von sich, zog einen Stuhl zurück und setzte sich darauf. Während sie sich dachte, dass er ruhig mal die Waffen und seinen Schild ablegen könnte, zog die Kuhhirtin sich eine Schürze über.​
»Hast du Hunger?«​
»Ach so«, sagte er mit tiefer, aber leiser Stimme.​
»Ich nehme etwas. Es ist egal, was.«​
»Es gibt Eintopf. Ich habe ihn schon vorbereitet.«​
»Ist das so?«, antwortete er nach einer kurzen Pause und nickte. Es dauerte eine Weile, bis der Ofen angezündet und das Essen aufgewärmt war.​
»Willst du dir nicht ein wenig den Dreck von deiner Rüstung​
wischen?«​
»Wäre das besser?«​
»Ja, ich habe hier einen Lappen.«​
»Ja ...«​
Er begann mit der Reinigung seines Helms und seiner Rüstung. Natürlich konnte er beides nicht perfekt säubern, doch das Mädchen schien fürs Erste zufrieden und stellte einen Teller Eintopf vor ihm auf den Tisch. Er begann zu essen. Dass Eintopf eigentlich kein passendes Gericht für diese Jahreszeit war, schien ihn nicht zu interessieren.​
»In letzter Zeit ist es ständig so.«​
Die Kuhhirtin hatte sich zu ihm an den Tisch gesetzt und schaute ihm beim Essen zu.​
»Was denn?«​
»Du gehst oft aus.«​
Sie nahm sich den Lappen und lehnte sich über den Tisch, um etwas Suppe von seinem Helm abzuwischen.​
»Nicht nur wegen Goblins. Du bist auch oft beim Trainingsplatz.«​
»Ja.«​
»Hast du viel zu tun?«​
»Nein ...«​
Er dachte kurz nach.​
»Oder vielleicht doch?«​
»Hm ...«​
Die Kuhhirtin setzte sich wieder normal hin und schaute ihn mit auf den Händen aufgestütztem Gesicht an.​
»Hast du ein Problem damit, dass dort etwas gebaut wird?«​
Sein Löffel blieb in der Luft stehen.​
»Nein, ich würde nicht sagen, dass ich ein Problem damit habe ... «​
Ihr kam es vor, als würde er sich absichtlich nachdenklich geben. Er wollte sicher von irgendetwas ablenken.​
»Bestimmt bist du etwas einsam, oder?«​
»...«​
»Außerdem machst du dir Sorgen um ihn, nicht wahr?«​
».....«​
»Du machst dir Sorgen, aber dir fallen keine guten Mittel ein, wie du ihm helfen kannst.«​
».......«​
»Und währenddessen scheinen die Goblins allerlei Dinge zu treiben.«​
».........«​
»Deshalb bist du nervös.«​
Er ließ seinen Löffel fallen und seufzte.​
»Du verstehst mich gut.«​
»Wir kennen uns jetzt ja auch schon so viele Jahre.«​
Sie zwinkerte ihm mit einem strahlenden Lächeln zu, doch sie konnte wie immer nicht erkennen, was er in seinem Helm für ein Gesicht machte.​
»Wie findest du es denn, dass da etwas gebaut wird?«​
Sie wusste nicht wirklich, was sie darauf antworten sollte. Nur noch er und sie waren aus dem kleinen Dorf am Leben.​
»Natürlich empfinde ich dabei etwas.«​
»...«​
»Ich habe damals in dem See gebadet und so viele andere Dinge erlebt.«​
Sie erinnerte sich genau. An die Stimmen ihrer Eltern, die in dem kleinen Haus aus Backstein auf sie gewartet hatten. An die Wärme der Steinmauer, die von der Sonne aufgeheizt worden war. An den Wind, der an ihr vorbei pfiff, als sie den kleinen Weg durch das Dorf entlanglief. An die Geräusche der Spaten und Pflüge der Arbeiter auf dem Feld. An das kalte Wasser des Brunnens, dessen Holz immer so geknirscht hatte, wenn man den Bottich hochhalte. An den Baum oben auf dem Hügel und an das Herzklopfen, als sie in einer Baumhöhle einen Schatz versteckt hatten. An die Emotionen, als sie gemeinsam zugesehen hatten, wie weit in der Ferne am Ende der Felder die rote Abendsonne untergegangen war. An das Kribbeln vom Gras am Rücken, als sie spät in der Nacht auf der Wiese gelegen und die zwei Monde und Sterne betrachtet hatten. An die Schmerzen, als ihr Vater ihr wütend eine Backpfeife verpasst hatte, weil sie zu weit fortgegangen war. An die Einsamkeit, als sie sich erbost auf dem Dachboden eingeschlossen hatte. Und an den Geruch des Frühstücks ihrer Mutter, der von der Küche hoch zum Dachboden kroch, nachdem sie dort eingenickt war.Sie erinnerte sich an all das, doch es waren Dinge, die nur noch in ihrem und in seinem Herz existierten.​
»Aber es lässt sich ja nicht ändern. Die Welt dreht sich weiter und die Sonne geht morgens auf und abends wieder unter.«​
Sie stellte einen Finger auf und malte mit ihm Kreise in die Luft. Seitdem waren elf Jahre vergangen und die Zeit hatte sich manchmal schneller, manchmal langsamer angefühlt. Aus Kindern wurden Erwachsene und die Welt veränderte sich. Die Stadt, die Welt, die Wesen in ihr. Alles Erdenkliche wurde vom Strom der Zeit mitgerissen. Dies galt auch für Emotionen und Erinnerungen. Es gab nichts, was sich ihm widersetzen konnte.​
»Und deswegen muss man Veränderungen nun mal akzeptieren.«​
»Ist das so?«​
»So ist es.«​
Die Kuhhirtin nickte.​
»Genau so ist es. Ganz sicher.«​
»Ach so.«​
Innerlich stimmte er ihr zu. Es war viel in den elf Jahren passiert. Selbst in dem einen Jahr, seit er der Priesterin begegnet war. Er hatte mit ihr, der Elfe, dem Zwerg und dem Echsenmenschen eine Gruppe gegründet, gegen ein Biest gekämpft, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte, und eine Armee aus Goblins beim Hof besiegt. Außerdem war er in die Stadt des Wassers gereist, um sie von einer Goblin Plage zu befreien, und hatte während des Erntefests gelernt, wie viele Bekannte er inzwischen hatte. Zuletzt hatte er in den verschneiten Bergen gegen einen Goblin Paladin gekämpft. In all der Zeit hatte er sich verändert und war zu dem Menschen geworden, der er jetzt war, doch welchen Weg würde sein Leben von nun an einschlagen? Aber vorher musste er noch ...​
Sie war unglaublich, doch diese miesen Biester mussten Gift benutzen!
»Noch ist es nicht vorbei ...«, sagte Goblin Slayer leise.​
»Ja.«​
Die Kuhhirtin nickte traurig.​
»Ich habe keine Beweise, aber es sind wieder Goblins in der Gegend aktiv geworden.« Sie hatten Werkzeug gestohlen. Sie hatten im Umkreis des Trainingsplatzes für Aufregung gesorgt. Hatten die Bauarbeiten etwa ihr Interesse geweckt? Nein. Sie waren Vorboten. Vorboten von etwas Größerem. Vielleicht war er nur paranoid, doch in seinem Kopf passte alles perfekt zusammen. Es war nicht klar, ob es nun Schicksal oder einfach nur Zufall war, aber er würde weiter gegen Goblins kämpfen müssen.​
»Ich werde mich um sie kümmern.«​
»Ja, das verstehe ich ... «​
Ihr Blick zitterte, während seiner gerade nach vorne gerichtet war. Sie machte mehrfach den Mund auf und wieder zu, bevor sie sagte:​
»Ich werde auf dich warten.«​
»Ja.«​
Mit diesem einen Wort stand Goblin Slayer auf und ließ einen leer gegessenen Teller zurück. Mit einem Klicken schloss er die Tür hinter sich und sie blieb allein in der Küche zurück. Sie wandte ihr Gesicht von der flackernden Kerze ab und legte ihren Kopf auf die kühle Tischplatte. Selbst das leise Zwitschern des Kanarienvogels konnte ihr keinen Trost spenden.​
***
Die folgenden drei Tage passierte nichts. Abenteurer gingen auf Abenteuer, trainierten oder pflegten ihre Freundschaften. Es war eine bedeutsame Zeit, doch selbst die Götter konnten das Ergebnis eines geworfenen Würfels nicht mehr ändern und so kam es, dass tatsächlich Goblins auftauchten. War es nun Schicksal oder einfach nur Zufall? Es passierte zur Zeit der Abenddämmerung.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 54
Verschiedene Kämpfe

»Meine Güte, sind wir endlich fertig?«​
Mit einem Spaten auf der Schulter schaute ein Handwerker der Abendsonne dabei zu, wie sie am Horizont verschwand, und seufzte. Er war ein unbedeutender Mann, der keine Lust hatte, der Bedienstete eines Händlers zu sein, aber auch kein Geld, um sich lebenslang zu amüsieren. Deshalb hatte er sich entschieden, Handwerker zu werden, und war damit eigentlich auch zufrieden. Diese Abenteurerinnen sind wirklich nicht von schlechten Eltern. Es war nicht so, dass sie besonders schick gekleidet waren, aber hin und wieder erwies sich ihre Ausrüstung als sehr freizügig oder auch sehr körperbetont. Sie waren dabei natürlich nicht so stark geschminkt oder parfümiert wie die Prostituierten, aber auf jeden Fall nett anzusehen. Auf den männlichen Gegenpart der Abenteurerinnen, die mit ihnen auf Reisen gehen konnten, war der Handwerker ein wenig neidisch. Sie konnten leben, wie sie wollten, und auch genau so sterben. Es war ganz einfach.​
»Die haben es gut. Durch Hack and Slash machen sie die große Kohle.«​
Eigentlich wusste der Mann, dass es in Wahrheit nicht so simpel war, aber wie viele andere hatte er in Momenten des Neids nur den Blick auf die Dinge gerichtet, die andere hatten und er nicht. Er spielte mit dem Gedanken, ein Abenteurer zu werden. Er wollte dabei kein großer Held sein, sondern einfach nur ein, zwei Dörfer retten und von jungen Dorfbewohnerinnen mit Dank überschüttet werden. Es wäre auch nicht schlecht, wenn er ein versklavtes Mädchen, das einst eine Adlige gewesen war, retten und sich anschließend um sie kümmern könnte. Auf seinen Abenteuern würde er gern von einer hübschen Magierin begleitet werden und mit der Zeit neue Kameraden finden. Selbstverständlich sollten sie alle umwerfende Frauen sein. Er würde unbekannte Orte erkunden, eine seiner Kameradinnen heiraten und wenn der Haussegen schief hing, wäre es einfach wieder Zeit für ein neues Abenteuer.​
Er erfreute sich an seiner Fantasie und träumte vor sich hin. Auch wenn ihm die Vorstellung äußerst gut gefiel, würde er niemandem davon erzählen, damit man ihn nicht auslachte.​
»Hm?«​
Plötzlich bemerkte er etwas. In der Nähe des Zauns des Trainingsplatzes befand sich ein Haufen Erde, den er noch nie gesehen hatte.​
»Wer hat denn hier wieder gefaulenzt?«​
Er hatte eigentlich keine Lust, die Arbeit anderer zu Ende zu bringen, doch er hatte sowieso schon einen Spaten bei sich und auch wenn es ihn nervte, würde er sich schnell darum kümmern. Er wollte lieber mit einem guten Gewissen aufwachen, als mit einem schlechten Gewissen zu Bett gehen. Er näherte sich dem Haufen, aber zuckte plötzlich zurück. Er hatte eine Gestalt in der Größe eines Kindes erkannt.​
„Ein Goblin?!“​
Anstatt die Flucht zu ergreifen, ging der Handwerker in die Hocke und schlich sich an die Bestie heran. Dann riss er seinen Spaten in die Höhe und ließ ihn mit voller Wucht auf den Schädel des Goblins herunterrasen.​
»GROB?!«​
Als wäre sie eine Streitaxt, spaltete die spitze Kante des Werkzeugs den Schädel des kleinen Teufels. Schwarzes Blut und Gehirnmasse verteilten sich auf dem Boden, nachdem der Mann den schlaff gewordenen Goblin Körper mit einem festen Tritt von seinem Spaten befreit hatte.​
»Ha ha! Das hast du Mistvieh davon!«​
Der Handwerker schaute kurz angeekelt auf sein blutverschmiertes Werkzeug. Um es morgen wieder benutzen zu können, würde er es wohl oder übel reinigen müssen.​
»Aber woher kam er wohl?«​
Der Mann schüttelte etwas Blut von dem Spaten, schaute sich den Haufen genauer an und erkannte, dass sich in dessen Mitte ein Loch befand. Dies war ein grober Schacht, der unter die Erde führte. Er war so tief, dass der Handwerker den Boden nicht sehen konnte. Der Mann zitterte am ganzen Körper und ein bisher unbekannter Schauer lief ihm über den Rücken.​
»Nein, nein. Um so etwas sollten sich lieber die Abenteurer hier kümmern.« Er drehte sich um, um schnell Bericht erstatten zu gehen, als es passierte.​
»Ah …?!«​
Ein stechender Schmerz durchfuhr sein rechtes Bein und sofort fing die Welt sich zu drehen an. Er schaute an sich herunter und sah, wie Blut aus seiner Wade quoll.​
»GROB! GROORB!!«​
Ein Goblin hatte einen dreckigen Dolch in sein Bein gerammt und grinste ihn zusammen mit seinen Kameraden hämisch an. Sie hatten die Schatten der heran kriechenden Dunkelheit genutzt, um sich zu nähern.​
»..Der Handwerker machte mehrmals seinen Mund auf und zu, doch seine Zunge wollte nicht so wie er. Währenddessen breitete sich ein kribbelnder Schmerz in seinem Körper aus. Zuerst wurde seine Kehle staubtrocken und dann schmeckte er Blut. Als Nächstes konnte er nicht mehr atmen. Und dann war er tot. Er würde heute nicht das einzige Opfer der Biester bleiben.

***
»Heute Abend gehen wir acht Arten durch, wie man lautlos Goblins töten ka ... «​
Goblin Slayer war gerade dabei, den Anfängern etwas zu erklären, als ihn ein Schrei unterbrach. Es war bereits dunkel, doch da Abenteuer auch immer wieder nachts stattfanden, sah der Krieger kein Problem darin, im Dunkeln zu trainieren. Der junge Magier, das Rhea-Mädchen, der Krieger Lehrling und die Heilige in Ausbildung störte dies ebenfalls nicht. Neben ihnen trieben sich noch einige andere Abenteurer und Arbeiter auf dem Platz herum.​
»W... Was war das?!«​
»Das war ein Schrei ... oder?«​
Ängstlich fingen die Anfänger zu tuscheln an, während Goblin Slayer seine Waffe zog. Er versuchte, die Quelle Schreis ausfindig zu machen, aber dann ertönten auch schon weitere.​
»Hey, was ist denn hier los?!«, fragte der junge Magier, doch der Krieger brachte ihn mit einem knappen „Sei still“ zum Schweigen.​
»Sorgt dafür, dass die Magiewirker sich an eine Wand stellen, und formt einen Halbkreis um sie. Beschützt sie.«​
»Alles klar«, antwortete der Krieger Lehrling und stellte sich sofort vor die Heilige in Ausbildung.​
»Das hier ist keine Übung, oder?«​
»Selbst wenn es eine ist, sollten wir aufs Schlimmste eingestellt sein.«​
»Uh . . . Ich weiß nicht, ob ich jetzt Angst haben soll oder nicht!«, sagte das Rhea-Mädchen, zog mit einem nervösen Lachen ihr Schwert und nahm Kampfposition ein.​
Ihr angespannter Gesichtsausdruck verdeutlichte die Mischung aus Angst und Aufregung, die sie in ihren Bann nahm. Ihre spitzen Ohren wackelten leicht.​
»Ts!«​
Der rothaarige Junge schnalzte genervt mit der Zunge und wandte sich an die anderen Anfänger.​
»Hey, habt ihr ihn nicht gehört?! Steht nicht so dumm herum und setzt euch in Bewegung!​
»O ... Okay ... «​
»Schon gut. Alles klar ... «​
Sie begannen, wie von Goblin Slayer befohlen, einen Halbkreis an einer Wand zu bilden.​
»Hey, du. Hebe den ordentlich Schild hoch! Beschütze die neben und hinter dir!«​
Die Heilige in Ausbildung erteilte kleinere Befehle, sodass selbst die, die noch nicht allzu viel Kampferfahrung besaßen, wussten, was sie tun sollten. Sie hatte bisher zwar auch nur gegen Ratten gekämpft, aber das war noch immer besser als nichts.​
»Hm ...«​
Goblin Slayer beobachtete das Geschehen und stieß ein tiefes Brummen aus. Er dachte darüber nach, ob er die Anfänger allein lassen konnte, um der Sache auf den Grund zu gehen, oder ob er hierbleiben sollte. Eigentlich will ich sie nicht im Stich lassen ... Nein! Was für ein idiotischer Gedanke! Der Krieger wunderte sich, wie er überhaupt auf so etwas kam. Wenn er jetzt nicht herausfand, was los war, könnte es später alle das Leben kosten. Sowieso war zu langes Nachdenken nichts weiter als Zeitverschwendung. Es galt, zu handeln.​
»Haltet hier die Stellung, sagte Goblin Slayer zu den Anfängern.​
»Wenn ich innerhalb von fünfzehn Minuten nicht zurück bin, geht allein los.«​
»Allein ... «​
»Wenn ich tot oder schwer verletzt bin, macht es keinen Sinn, auf mich zu warten. Am besten wäre es, wenn ihr euch bis zur Stadt durchschlagt, aber wenn das nicht möglich ist, müsst ihr hier bis zum Morgen durchhalten.«​
Ohne auf die Widerworte der Anfänger zu achten, stürmte der Krieger los. Immer mehr Schreie waren mittlerweile zu hören und dazu mischten sich Kampfgeräusche. Wildes Gebrüll, immer wieder unterbrochen von dem Geräusch von Waffen. Es war schwer, sich innerhalb der gesamten Geräuschkulisse zu orientieren, doch plötzlich erkannte Goblin Slayer einen Schatten hinter einem halbfertigen Haus. Er hatte diese Art von Schatten schon häufig genug gesehen.​
»Einer.«​
Fast schon mechanisch schleuderte der Krieger sein Schwert nach der Gestalt und wurde direkt darauf mit einem Todesschrei belohnt. Er ging auf sein Opfer zu und fand die Leiche eines Goblins, dessen Bauch er mit seiner Klinge durchbohrt hatte.​
Goblin Slayer zog seine Waffe aus dem schlaffen Körper der Bestie und murmelte:​
»Also doch Goblins.«​
Es war schwer zu deuten, was genau er alles mit diesen Worten sagen wollte, doch der Krieger wusste ganz genau, dass noch weitere der Viecher in der Dunkelheit auf ihn warten würden. Er untersuchte die Gegend und fand den noch leicht zuckenden Körper einer tödlich verletzten jungen Abenteurerin. Weil ihr mit einem scharfen Gegenstand die vordere Gesichtshälfte abgetrennt worden war, war nicht zu erkennen, um wen es sich handelte.​
»GOROROB!«
»GROOOORORB!!«​
Zwei Goblins nutzten den Moment und stürzten sich auf Goblin Slayer. Der Abenteurer wehrte die Spitzhacke des einen Goblins mit seinem Schwert ab und wollte sie dem kleinen Biest entreißen, doch der andere Goblin hinderte ihn mit einem Angriff seiner Spitzhacke daran.​
»GROB!!«​
Der Krieger riss seinen Schild hoch und die Spitze des Werkzeugs bohrte sich in ihn hinein. Goblin Slayer nutzte dies und zog blitzschnell seinen linken Arm, um den das Schild gebunden war, nach hinten, wodurch er das Biest entwaffnete. Gleichzeitig verpasste er dem anderen Goblin einen kräftigen Tritt zwischen die Beine.​
»GROOOROROROBB??!«​
Goblin Slayer spürte, wie etwas unter seinem Fuß zerquetscht wurde, und der Goblin fiel auf den Boden, wo er sich vor Schmerzen krümmte. Der Krieger nahm sein Schwert, rammte es in den Kopf des kleinen Teufels und drehte es herum. Der andere Goblin versuchte wegzurennen, doch das würde er nicht zulassen.​
»GOROORB?!«​
Er warf seine Waffe nach ihm, die sich in seinen Rücken bohrte und ihn zu Fall brachte. Goblin Slayer trat an ihn heran und zertrümmerte seinen Kopf mit einem kräftigen Tritt. Es fühlte sich an, als hätte er fauliges Obst zertreten, doch während jeder andere Abenteurer sich wahrscheinlich vor Ekel geschüttelt hätte, kümmerte der Krieger sich nicht darum.​
»Das wären drei.«​
Goblin Slayer schnappte sich die Spitzhacke, die weiterhin in seinem Schild steckte, und zog sie heraus. An ihrer Spitze klebte noch immer ein wenig Erde, weshalb der Abenteurer beschloss, dass sie sich irgendwo durch gegraben haben mussten, um diesen Ort anzugreifen. Aber was war ihre Motivation? Wollten sie einfach nur alle Anwesenden töten?​
Goblins.
Goblins.
Goblins.​
Das Ganze gefiel Goblin Slayer gar nicht. Er schaute sich um. Vier Leichen. Drei Goblins. Eine Abenteurerin. Es war wie in der Nacht vor elf Jahren. Er musste sie erledigen. Schließlich war er Goblin Slayer.​
»Wer ist da?« Eine zitternde Stimme riss den Krieger aus seinen Gedanken. Der Schatten einer Abenteurerin näherte sich ihm. Der Blutgeruch jagte ihr sicher Angst ein. Als sie aber erkannte, wer da vor ihr stand, musste sie lächeln. »Goblin Slayer!«​
»Bist du in Ordnung?«​
»Ja!«​
Die Priesterin nickte und lockerte den Griff um ihren Stab ein wenig.​
»Ich bin heute als Heilerin hier, aber weil ich all meine Wunder schon aufgebraucht hatte, habe ich mich ein wenig ausgeruht, allerdings ... «​
Ihr Blick wanderte zuerst über die Goblin Leichen und blieb dann an dem Körper der Abenteurerin hängen. Als sie erkannte, dass dieser noch zuckte, fiel sie sofort auf die Knie und griff sich eine Hand der Schwerverletzten.​
»Schon wieder Goblins ..«​
»Ja.«​
Goblin Slayer zog sein Schwert aus einem der toten Goblins und schüttelte das Blut von der Klinge.​
»Kannst du wieder Wunder wirken?«​
»Da ich mich ordentlich ausgeruht habe, sollte ich drei Stück wirken können.«​
»Sind unsere«,​
Goblin Slayer zögerte kurz, das Wort auszusprechen,​
»Kameraden auch hier?«​
»Das kann gut sein ... «​
»Okay.«​
Goblin Slayer schaute die Priesterin an und sie erwiderte seinen Blick. Das Mondlicht spiegelte sich in ihren blauen Augen, die auf den Krieger wie durchsichtige Murmeln wirkten.​
»Wollen wir?«​
»Ja.« Sie biss sich fest auf die Lippe. Ihre Stimme zitterte, doch ihr Blick war entschlossen.​
»Lass uns gehen!«​
»Dann lass uns alle Goblins abschlachten.«​
***
Nicht viel später erreichten die beiden ein Gebäude, das später das Büro des Trainingsplatzes werden sollte. Es stand im Zentrum des Geländes und wirkte im unfertigen Zustand ein wenig wie eine Ruine.​
»Oh, hey! Ist das etwa Goblin Slayer?! Alles in Ordnung?!«, sagte der Speerkämpfer, der den Eingang des Gebäudes bewachte. Es war überraschend, dass er hier war, denn sonst schmiss er sich immer sofort ins Kampfgetümmel, um allen seine Stärke zu beweisen.​
»Ja.«​
Goblin Slayer nickte langsam. Nachdem er kurz nachgedacht hatte, fügte er hinzu: »Den Anfängern, um die ich mich gekümmert habe, sollte es auch gut gehen.«​
»Ja, zum Glück waren die meisten schon heimgekehrt.«​
»Weil ... es ... schon ... dunkel ... wurde ... «​
Neben dem Speerkämpfer stand die Hexe. Über ihrem Kopf schwebte eine kleine leuchtende Kugel. Ein Irrlicht ... Nein, es war kein Geist. Es war der Zauber „Licht“. Sie hatte darauf verzichtet, ein Feuer zu erzeugen, um die noch im Aufbau befindlichen Gebäude nicht zu gefährden.​
»Seid ihr in Ordnung?«, fragte die Priesterin erleichtert, als sie die Gesichter der beiden sah.​
»Wir sind auch da!«​
Jemand verpasste dem Mädchen einen kleinen Schubs von hinten und als es den Verursacher erkannte, grinste es fröhlich.​
»Ihr alle!«​
»Meine Güte, dieser Ort existiert, um das Kämpfen zu trainieren, aber wer hätte gedacht, dass es hier zu einem echten Kampf kommen würde.«​
»Wegen dem Kram verpasse ich jetzt das Abendessen ... «​
Während der Echsenmensch sich genervt am Kopf kratzte, strich der Zwerg sich unbekümmert über den Bauch. Die Priesterin stürmte auf die Elfe zu und nahm sie in den Arm. Dabei fragte sie:​
»Bist du in Ordnung? Haben die Goblins etwas mit dir angestellt?«​
»Ja, alles in Ordnung. Ich bin froh, dass es euch allen gut geht.«​
Vor Freude wischte sich die Priesterin ein paar Tränen aus den Augen. Sie hatte sich Sorgen gemacht, dass sie erneut ihre Truppe verlieren würde. Goblin Slayer beobachtete seine Kameraden für einige Sekunden, bevor er mit seiner Analyse der Lage anfing. Das Gebäude, vor dem sie standen, war noch instabil und sie würden sich darin nicht allzu lange verschanzen können. Sie brauchten Kampfkraft und die ängstlichen Anfänger würden ihnen sicherlich nicht großartig helfen können. Von daher ...​
»Geht es dir gut, Goblin Slayer?«​
Ein hünenhafter Mann näherte sich dem Krieger und hob seinen Arm. Es war der Panzerkrieger und der leichte Blutgeruch, der an ihm hing, zeugte davon, dass er schon einigen Feinden begegnet war.​
»Bist du heute allein?«​
»Als Frau hat sie immer wieder damit zu kämpfen, dass ihr Körper nicht so will wie sie. Unsere Kleinen kümmern sich in der Herberge um sie.«​
Die Metallplatten des Panzerkriegers klapperten, während er dies mit ernstem Gesichtsausdruck erklärte.​
»Als Anführer gehört es zu meinen Aufgaben, dafür zu sorgen, dass sich meine Kameraden gut ausruhen.«​
Goblin Slayer dachte darüber nach, ob man diesen Umstand als glücklich bezeichnen konnte. Weil er auf die körperliche Verfassung seiner Kameraden Rücksicht genommen hatte, war seine Gruppe nicht in diese unglückliche Situation mit hineingezogen worden.​
»Aber«, der Panzerkrieger grinste wie ein wilder Hai, »die drei Stärksten des Grenzlandes sind hier. Das könnte lustig werden.«​
Der Schrei eines Abenteurers, der den Bestien nicht hatte entkommen können, ertönte aus der Dunkelheit. Es folgte das grässliche Grölen von einigen Goblins. Normalerweise agierten die Abenteurer in der Rolle der Angreifer, weshalb sie es nicht gewohnt waren, die Verteidigenden zu sein. Natürlich nahmen sie immer wieder Aufträge als Leibwächter an, doch das war etwas anderes, als von Wesen des Chaos angegriffen zu werden. Aber sie würden nicht fliehen. Das stand außer Frage. Sie würden die Goblins auslöschen oder sterben.​
»Ich habe keine Lust, mich hier zu verschanzen und ins Gras zu beißen«, warf der Speerkämpfer in die Runde.​
»Zuerst ... sollten wir ... dafür sorgen ... dass wir ... alle beisammen sind ... oder ... ? «, schlug die Hexe vor.​
»Ja.«​
Goblin Slayer nickte.​
»Die Anfänger, die bei mir waren, stehen auf dem Platz bereit.«​
»Dann sollten sie so schnell wie möglich herkommen«, sagte der Panzerkrieger.​
»Ich werde gehen!«, meldete sich die Elfe sofort.​
»Ich habe hier von allen die schnellsten Beine!«​
»Gut. Ich bitte dich darum.«​
»Überlasst das mir!«​
Und damit rannte die Elfe los und verschwand in der Finsternis der Nacht. Der Panzerkrieger schaute ihr kurz hinterher und wandte sich dann den restlichen Anwesenden zu. Goblin Slayers Gruppe, der Speerkämpfer, die Hexe und er selbst. Alles hing davon ab, wie viele von den Anfängern zum Kämpfen bereit waren, doch derzeit würde er ihre Kampfstärke auf ungefähr zehn Mann schätzen. Es kauerten noch einige andere verängstigte Abenteurer-Anfänger vor dem Gebäude, doch sie würden zu nichts zu gebrauchen sein.​
»Und, Goblin Slayer? Hast du eine Ahnung, wer die Goblins anführt?«​
»Wahrscheinlich auch ein Goblin. Es wird eine weiterentwickelte Art sein, aber kein Lord. Wohl eher ein verschlagener Schamane.«​
»Wieso glaubst du das?«​
»Wenn jemand anderes als ein Goblin sie anführen würde, wären die Goblins nicht die Hauptstreitkraft, sondern lediglich die Vorhut. Außerdem würde niemand sonst auf die Idee kommen, Löcher bis zu diesem Platz zu graben, nur um ihn anzugreifen.«​
»Gut, also müssen wir einfach nur die Viecher erledigen und ihren Anführer töten. Aber wo finden wir den?«​
»Wenn ich es richtig erkannt habe, kommen sie nicht nur aus einem Loch«, meldete sich der Echsenmensch zu Wort.​
Er schlug mit dem Schwanz auf den Boden und stellte einen seiner schuppigen Finger auf.​
»Es müssten insgesamt vier sein. Jeweils eins in jeder Himmelsrichtung. Wir könnten die Gänge zurückverfolgen und dort finden wir sicher ihren Anführer.«​
»Aber«, mischte sich der Speerkämpfer ein, »sollen wir alle vier Löcher überprüfen? Dafür haben wir doch keine Zeit.«​
»Wahrscheinlich sind die Tunnel miteinander verbunden«, sagte der Zwerg.​
Kein Volk kannte sich besser mit unterirdischen Dingen aus als seines. Er gönnte sich einige Schlucke seines Branntweins und stieß einen herzhaften Rülpser aus, bevor er fortfuhr.​
»Wenn ich so eine Attacke planen würde, hätte ich einen Haupttunnel gegraben, von dem dann vier Nebentunnel abgehen.«​
»Gut, also dringen wir in das nächstbeste Loch ein und sehen nach. In Ordnung, Goblin Slayer?«​
»Meinetwegen.«​
»Das einzige Problem ... wären dann ... die verängstigten Kinder ... «​
Die Hexe nickte zu den zitternden Anfängern.​
»Was machen wir ... mit ihnen ...?«​
»Zurücklassen, mitnehmen oder weglaufen lassen ... «​
Der Speerkämpfer setzte ein hämisches Grinsen auf und schlug dem Panzerkrieger leicht auf die Schulter.​
»Sag mal, in einem Tunnel bringt dein dickes Schwert eh nichts, oder?«​
»Pass auf, was du sagst!« Der Panzerkrieger verzog bei diesem Verweis auf einen alten Fehlschlag wild das Gesicht.​
»Aber du hast recht. Ich bin eh lieber über als unter der Erde. Kümmert ihr euch mal um die Löcher, ich pass auf die Gören auf.«​
»Okay«, bestätigte der Speerkämpfer den Plan.​
»Kein Problem«, stimmte auch Goblin Slayer zu.​
Damit stand die Vorgehensweise fest. Obwohl sie erfahrener war als die Anfänger, beschloss die Priesterin, sich nicht einzumischen. Wahrscheinlich hätte die Elfe, wenn sie da gewesen wäre, noch irgendetwas dazwischengeworfen, doch sie konnte das nicht. Stattdessen schielte sie nach draußen und passte auf, dass sich keiner ihrer Gegner näherte.​
Dennoch ... Irgendetwas störte sie. Unsicherheit hielt ihr Herz gefangen. War es vielleicht eine Art Eingebung? Sie dachte so angestrengt nach, wie sie nur konnte.​
»Ach!«​
Dann fiel ihr etwas ein. Augenblicklich richteten sich die Blicke der Anwesenden auf sie.​
Der Erste, der sie ansprach, war Goblin Slayer.​
»Hast du etwa Goblins gesehen?«​
»N ... Nein ... Ähm ...«​
Ihre Stimme überschlug sich und am liebsten wäre sie vor Scham sofort weggelaufen, doch sie fasste sich ein Herz und fragte:​
»Die anderen Anfänger sind schon alle heimgekehrt, oder?«​
»Ja«, antwortete der Speerkämpfer.​
»Alle bis auf die, die noch den Nachtkampfüben wollten, sind bereits aufgebrochen.«​
»Was glaubt ihr, wo sie jetzt ungefähr sind?«​
»Wieso fragst du?«, entgegnete der Panzerkrieger.​
Sie fühlte sich, als würde sein Blick sie förmlich durchbohren, doch es war nicht im Geringsten seine Absicht, sie einzuschüchtern. Er wollte einfach nur sichergehen, dass er keinerlei Informationen übersah.​
»Ahm, also ...«, druckste die Priesterin.​
»Sag es«, sagte Goblin Slayer in fast schon befehlendem Ton und verpasste ihr damit einen Ruck.​
»Zielen die Goblins nicht vielleicht auch darauf ab, die gerade heimkehrenden Anfänger anzugreifen?«​
»Wie bitte?!«, schrie der Panzerkrieger auf und sorgte dafür, dass das Mädchen kurz zusammenzuckte.​
Aber sie hatte noch mehr zu sagen:​
»Goblins sind doch feige, hinterhältige Kreaturen. Wieso also sollten sie einen Ort angreifen, an dem sich noch so viele starke Abenteurer aufhalten?«​
Goblin Slayer hatte ihr beigebracht, wie ein Goblin zu denken, und das tat sie in diesem Moment. Im Vergleich zu ihren Kameraden fehlte es ihr noch an Erfahrung, aber es war nicht so, dass sie in ihrer Zeit als Abenteurerin nichts gelernt hatte.​
»Wahrscheinlich ist das ihr Hauptziel und die paar Goblins hier sollen uns nur ablenken«, brummte Goblin Slayer.​
»Daran habe ich nicht gedacht.«​
»Ich hätte allerdings einen Vorschlag ...«​
Auch wenn die Worte nur zögerlich aus ihr hervorkamen, hatte sie sie gut durchdacht.​
»Ich könnte gehen ... Ich würde die Schwertkämpferin, den Krieger, die Heilige und den Magier mitnehmen ... Sie sind Anfänger, aber wenn wir zusammenarbeiten, könnten wir es schaffen.«​
Die Silber-Rang-Abenteurer warfen sich gegenseitig Blicke zu.​
»Es bleibt ... nicht viel Zeit ... oder ... ?«, ergriff die Hexe zuerst das Wort.​
»Ich kenne die Stärke dieses Mädchens nicht. Daher kein Kommentar«, erwiderte der Speerkämpfer und warf die Arme in die Luft.​
»Stimmt ... «, bestätigte der Panzerkrieger.​
Er musterte die Priesterin.​
»Wenn wir uns aufteilen, könnten wir natürlich mehr erreichen, aber glaubst du wirklich, dass du das schaffst?«​
»Ich persönlich halte es für eine gute Idee.«​
Der Echsenmensch zwinkerte der Priesterin mit einem selbstbewussten Grinsen zu.​
»Wir müssen das Hauptlager der Gegner treffen, aber dürfen die jungen Abenteurer nicht im Stich lassen.«​
»Und es wäre die ideale Möglichkeit für das Mädchen, um genügend Stärke für den Rangaufstieg zu beweisen.«​
Der Zwerg lachte und strich sich durch seinen langen weißen Bart.​
»Nicht wahr, Bartschneider? Darf das Küken ein wenig das Nest verlassen?«​
Die Entscheidung lag damit bei dem Krieger, weshalb die Priesterin ihn mit ihrem entschlossenen Blick fixierte. Sie war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde, doch sie war bereit, es zu probieren. Drei ihrer Kameraden glaubten an sie und jetzt war die Frage, ob der vierte es auch tat. Wenn dem nicht so war, würde sie es akzeptieren, aber ...​
»Wirst du es schaffen?«​
»Ich ... «​
Seine Frage war kurz und emotionslos gewesen, doch die Priesterin hatte auch Sorge herausgehört. Sie wollte seine Erwartungen erfüllen. Sie wollte den Anfängern helfen. Deshalb platzten die folgenden Worte geradezu aus ihr heraus:​
»Ich werde es schaffen!«​
Goblin Slayers Blick lag fest auf ihr. Dann nickte er.​
»Damit ist es entschieden.«​
***
»Hajah!«

»GROBR?!«​
Der mit Magie verstärkte Mithril Speer des Speerkämpfers wirbelte durch die Luft und ließ überall kleine Blutfontänen in die Luft schießen. Ein Schlag, ein Toter. Fünf Schläge, fünf Tote. Auch wenn die Goblins sich Schilde aus Holzbrettern gebaut hatten, konnten sie dem Silber-Rang-Abenteurer nichts entgegensetzen. Viele Anfänger dachten, dass man Speere nicht in engen Räumen einsetzen könne, doch die Techniken des schönen Mannes bewiesen das Gegenteil. Stechen, schlagen, wegfegen und zustoßen. Stoßen, stoßen, ziehen, stoßen. Die Waffe des Kämpfers färbte die Wände des Tunnels mit dem Blut und den Gehirnresten von Goblins.​
»Ich lass euch nicht an mir vorbei!«​
»Dahinten sind sechs!«, rief die Elfe und feuerte in unglaublichem Tempo drei Pfeile ab, die sich weiter hinten im Tunnel in die Augen dreier Gegner bohrten.​
»Nein, drei!«​
»GORRB?!«
»GROB! GROORB!!«​
»Eins!«​
Mit diesem Wort schritt Goblin Slayer zur Tat und warf sein Schwert direkt in die Kehle eines kleinen Teufels.​
»GRRRO?!«​
Der getroffene Goblin zappelte am Boden, doch der Krieger ignorierte ihn und schnappte sich den Dolch eines bereits getöteten Biests. Diesen nutzte er, um einem weiteren Gegner die Kehle zu durchtrennen. Wahrend mit einem Pfeifen Blut aus dessen Wunde schoss, schlug Goblin Slayer ihn mit seinem Schild zur Seite und warf den Dolch auf einen weiteren Goblin, traf ihn aber nur an der Schulter.​
»GORB!!«​
Der Krieger ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und schnappte sich die krude Axt eines getöteten Goblins, um diese mit Schwung in den Schädel des nur verwundeten Goblins zu rammen.​
Damit hatte die erfahrene Gruppe aus Abenteurern vierzehn Goblins in kürzester Zeit vernichtet. Der Speerkämpfer, der Goblin Slayer genau beobachtet hatte, schüttelte seinen Kopf und sagte resigniert:​
»Du bist echt unmöglich. Du solltest deine Waffen nicht immer gleich werfen. Das ist doch Verschwendung.«​
»Waffen sind Gebrauchsgegenstände.«​
»Vielleicht sollten wir dir einen magischen Wurfdolch besorgen, der einfach wieder in deine Hände zurückkehrt.«​
»Es wäre gefährlich, wenn Goblins den in ihre Hände kriegen.«​
»Wir haben dafür jetzt keine Zeit! Hilf mir, die Pfeile einzusammeln!«, meckerte die Elfe den Speerkämpfer an, der mit einem genervten Gesichtsausdruck antwortete, während Goblin Slayer den toten Goblins ihre Waffen abnahm.​
Obwohl die drei sich sehr gelassen gaben, waren sie zu keinem Zeitpunkt unkonzentriert und behielten stets ihre Umgebung im Blick.​
»Echt angenehm.«​
Der Echsenmensch schaute der Vorhut ihrer Gruppe beim Treiben zu.​
»Mit zwei Kämpfern vorne fühlt man sich gleich viel sicherer.«​
»Dabei mischst du doch sonst immer vorne mit.«​
»Ja ...«, sagte die Hexe leicht säuselnd.​
»Unsere Gruppen ... haben jeweils ... nur einen Krieger ... oder ...?«​
Normalerweise bestanden die beiden Gruppen aus jeweils fünf und zwei Mitgliedern, aber jetzt waren sie zu sechst unterwegs. Die Spitze der Gruppe hatten Goblin Slayer und der Speerkämpfer übernommen, dicht gefolgt von der Elfe. Darauf folgten die drei Magiewirker.​
»Ich habe sie raus gezogen«, sagte Goblin Slayer und reichte der Elfe die Pfeile, die er aus den Goblin Leichen entfernt hatte.​
»Ach, verdammt. Die Spitzen sind ab«, antwortete diese und schnalzte mit der Zunge. »Orcbolg? Gab es irgendwelche guten Waffen?«​
»Nein.«​
»Wieso habt ihr eigentlich beschlossen, das Mädchen gehen zu lassen, als ich nicht da war?«​
»Stört es dich?«​
»Darum geht es doch nicht.« Die Waldläuferin wandte den Blick ab.​
»Macht ihr euch denn keine Sorgen?«​
»Wenn es ihr dabei hilft, erfolgreich zu sein, mache ich sie mir gerne.«​
»Mensch ...«, seufzte die Elfe, aber zuckte dann mit den Ohren.​
»Sie kommen.«​
»Aus welcher Richtung und wie viele?«, fragte der Krieger und zog einen schweren Lederbeutel aus seiner Tasche. Es war sein mit Blumen bestickter Geldbeutel.​
»Ich weiß es nicht ... Das Echo ist so laut!«​
»Wir haben jetzt keine Zeit, verwirrt zu sein!«, bellte der Speerkämpfer und schüttelte Blut von seinem Speer.​
»Wir müssen sie hier aufhalten!«​
»Na, dann lasst uns mal ans Werk gehen.«​
Der Zwerg steckte die Hand in seine Tasche mit Katalysatoren, während die Hexe ihr Bewusstsein steigerte. Der Echsenmensch legte seine Hände zu einer seltsamen Form zusammen.​
»Meine Güte. Das Vertreiben von Goblins ist nicht nur nervig, sondern auch ganz schön anstrengend.«​
»Nicht ... wahr?«​
Die Hexe kicherte kurz und begann dann, wahre Worte der Macht zu sprechen.​
»Sagitta ... Sinus ... Offero!«​
Ein Schutzfilm legte sich um die Gruppe, als die Elfe und der Speerkämpfer schrien:​
»Sie kommen! Aus den Wänden!«​
»Zurück!«​
Gerade noch rechtzeitig wichen die Abenteurer zurück, um nicht von der Horde Goblins überrollt zu werden, die mit einer Menge Erde in den Tunnel fiel. Ein normaler Abenteurer begegnete in seinem Leben vielleicht zehn oder zwanzig Goblins, aber das hier waren weitaus mehr.​
»GRORB!! GROOROOBB!!«
»GROOBRR!«​
Die Biester brüllten, so laut sie konnten, und es war nicht schwer, sich auszumalen, was sie damit sagen wollten. Sie wollten die Abenteurer töten, ihnen alles nehmen und es ihnen damit heimzahlen. Während sie die Männer in Stücke schlagen würden, wollten sie den Frauen ihren Stolz rauben, bevor sie ihnen brutal das Leben nahmen. Die Hexe wollten sie als Gebärbeutel missbrauchen und die Elfe genüsslich bei lebendigem Leib fressen. Ihr Gewinsel würde für sie wie Musik sein. Zu ihrem Pech machte ihnen der Zwerg jedoch einen Strich durch die Rechnung, als er begann, eine Formel aufzusagen und Alkohol in die Luft zu spucken:​
»Trinke und singe, Geist des Weins. Singe, tanze und schlafe ein. Zeige mir die Träume eines Betrunkenen.«​
Es war der Zauber Trunkenheit und er sorgte umgehend dafür, dass die ersten Reihen der Goblins vorn überfielen und ihre Artgenossen so dazu brachten, über sie zu stolpern. Ein heilloses Durcheinander brach aus, das bereits die ersten Viecher das Leben kostete.​
»Narren.«​
Umgehend holte Goblin Slayer mit seinem Geldbeutel aus und ließ ihn mit voller Wucht auf den Kopf einer der Bestien krachen. Der Schädel des Goblins platzte auf. Dass die Münzen von Goblin geplagten Dorfbewohnern jetzt eines der Viecher töteten, könnte man wohl als Karma bezeichnen.​
»GRB?!«
»GRORB?!«​
Während bei dem einen Goblin die Augäpfel aus ihren Höhlen hervorgesprungen waren und das Gehirn aus seinem Schädel quoll, zertrümmerte Goblin Slayer dem nächsten Biest die Schläfe.​
»Hmpf!«​
Ein weiterer Goblin sprang mit einem giftigen Dolch heran, um den Krieger zu erledigen, doch dieser wischte den kleinen Teufel mit seinem Schild aus der Luft und nahm gleichzeitig einem der toten Goblins sein Schwert ab. Einige Goblin Pfeile flogen heran, prallten aber am Schutzzauber der Hexe ab.​
»Ich lasse welche zu dir durch!«​
»Jaja, mach mir nur das Leben schwer!«​
Obwohl er meckerte, schritt der Speerkämpfer sofort zur Tat. Mit einem kräftigen Stoß seines Speers tötete er gleich zwei Gegner gleichzeitig, um dann mit einem Schlag nach hinten den Goblin zu erledigen, den der Krieger aus der Luft geschlagen hatte.​
»Wir halten sie zusammen auf!«​
»Das war mein Plan.«​
Die beiden Nahkämpfer standen Rücken an Rücken, während eine Flut von Goblins über sie hereinbrach. Was Wildheit und Stärke anging, überstiegen die Fähigkeiten des Speerkämpfers deutlich die von Goblin Slayer. Nahezu problemlos mähte er ihre Gegner nieder, während der Krieger sich darauf konzentrierte, ihm den Rücken freizuhalten. Dabei wurden die beiden durch die Magie der Hexe vor feindlichen Projektilen geschützt. Doch leider war das noch nicht alles, was die Goblins zu bieten hatten.​
»Schamane!«, brüllte die Elfe, als sie hinter der Wand aus Goblins ein Wesen mit Stab erkannte.​
Es sprach eine Formel und beschwor damit ein Licht, das an der Spitze seines Stabs erschien und dann auf die Abenteurer zuschoss. Es war ein einfacher Angriffszauber namens „Magisches Geschoss“. Die Durchschlagskraft dieser Attacke war nicht sonderlich stark, doch sie war stark genug, um einen Abenteurer zu verletzen. Der Schamane hatte erkannt, dass die Magie der Hexe keine magischen Attacken abwehren konnte, aber das würde nicht genug sein, um diese Gruppe von mächtigen Abenteurern in die Knie zu zwingen.​
»Den überlass ich dir!«, rief der Speerkämpfer der Hexe grinsend zu.​
»Magna ... Remora ... Restinguitur!«​
Diese antwortete mit einem bezaubernden Lächeln und wirkte den Zauber Gegenmagie. Im nächsten Moment verpuffte der Angriff des Goblin Schamanen in der Luft.​
»Wie... war das ... mit das ... Leben schwer machen...?«​
»Ach komm! Magie ist doch dein Job!«, gab der Speerkämpfer locker zurück. Er wischte sich etwas Blut von der Wange und warf sich auf den nächsten Goblin.​
»Meine Güte! Dabei sind wir doch mit Pfeilen überlegen!«​
Die Elfe hielt sich nicht mit der Meckerei, aber auch nicht mit den Pfeilen zurück. Sie spannte eins der Projektile in ihren Bogen, zielte genau und ließ die Sehne singen. Direkt darauf fiel der Schamane tot um.​
»Ha ha!«​
»Ist niemand verletzt?«​
Der Echsenmensch schlug hibbelig mit seinem Schwanz auf den Boden und schrie. Obwohl er sonst immer vorne mitkämpfte, war ihm diesmal die Rolle des Heilers zugekommen, was nicht zu seinem wilden Charakter passte.​
»Kein Problem«, antwortete Goblin Slayer ihm knapp, nachdem er kurz an sich herabgeschaut hatte. Seine Rüstung sah sehr mitgenommen aus und er blutete auch an einigen Stellen, aber außer ein paar Schmerzen war alles in Ordnung.​
Schmerzen sind ein Beweis dafür, dass ich noch lebe, dachte der Krieger und fuhr mit einer Hand in seine Tasche. Er griff ein Fläschchen, überprüfte die Knoten an ihm und zog es dann hervor. Es war ein Heiltrank, den er in einem Rutsch leerte und dessen Gefäß er anschließend einem heranstürmenden Goblin an den Kopf warf.​
»GROORB!!«​
Das Biest hielt erschrocken inne und gab Goblin Slayer damit die Chance, ihm sein Schwert in die Kehle zu rammen. Mit einem „Stirb!“ riss er die Klinge wieder heraus und beförderte die Leiche mit einem Tritt davon.​
»Habt ihr noch Zauber übrig?«, fragte er die Magiewirker.​
»Ja... dank ... euch ...«, erwiderte die Hexe etwas erschöpft.​
»Ich habe auch noch welche«, fügte der Zwerg hinzu.​
»Soll ich vielleicht einen Drachenzahnkrieger rufen?«, erkundigte sich der Mönch.​
»Nein.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf und schaute hoch zur Decke des Tunnels.​
»Orcbolg ... Du hast wieder eine ganz schlechte Idee, oder?«​
»Ja«, antwortete der Krieger auf die Frage der Waldläuferin.​
»Zumindest schlecht für die Goblins.«​
Als die Kampfgeräusche immer leiser wurden, atmeten die Anfänger im halbfertigen Bürogebäude erleichtert auf.​
»War es das?«​
»Anscheinend schon.«​
Der Panzerkrieger, der zurückgeblieben war, um auf die Anfänger aufzupassen, musste laut seufzen. Die Jünglinge hatten gegen ihre Angst verloren und damit auch jeglichen Kampfeswillen. Es war nicht so, dass er ihre Gefühle nicht nachvollziehen konnte, doch er hatte gelernt, dass Gefahren zum Leben eines Abenteurers gehörten, und selbst wenn man patzte, musste man alles geben, um zu überleben, denn sonst war es vorbei. Wer dazu nicht bereit war, der sollte seiner Meinung nach kein Abenteurer sein.​
Wumms.
Plötzlich bebte die Erde und die Anfänger zuckten wimmernd zusammen. Sie hielten ängstlich die Luft an. Der Panzerkrieger erkannte vor dem Gebäude einen schwarzen Schatten, der einen gewaltigen Knüppel hinter sich herzog.​
»Da bist du ja endlich ... «​
Der Panzerkrieger wusste sofort, mit was er es zu tun hatte. Es war ein Hobgoblin, eine weiterentwickelte Form eines Goblins, die zwar nicht intelligenter, aber wesentlich stärker war. Auch wenn sie bisweilen eine Goblin Horde anführten, waren sie häufiger der Leibwächter eines Goblin Anführers.​
»Hey, ihr Gören! Ich weiß nicht, was ihr schon gelernt habt, aber ich habe eine wichtige Lektion für euch!«​
Mit diesen Worten spuckte sich der Panzerkrieger in die Hände und griff nach seinem riesigen Schwert. Dann trat er vor das Gebäude, wo der Hob ihn mit einem ohrenbetäubenden Schrei begrüßte.​
»HHOOOORRB!!«​
Unbeeindruckt bewegte der Silber-Rang-Abenteurer sich weiter auf die Bestie zu. Er wusste, dass ein Treffer von ihr reichen könnte, um ihn zu töten, doch das würde er nicht zulassen. Langsam holte er mit seiner Waffe aus und sagte dabei:​
»Egal, was euch gegenübersteht - solange es blutet ...«​
Er schwang seine mächtige Klinge nach dem Biest und benutzte dabei seine ganze Körperkraft.​
»... könnt ihr es töten!«​
Goblins waren hinterlistige Wesen, so stand es auch in den Märchen, doch wer ihnen noch nie begegnet war, der konnte sich nicht ausmalen, von welchem Ausmaß ihre Hinterlist war.​
»GROB! GROORB!!«
»GORROOR!!«​
Wie hatte es nur so weit kommen können? Dieser Gedanke quälte den Anfänger, während er um sein Leben rannte. Sein Schwert hatte er bereits verloren und die leere Scheide klatschte mit jedem Schritt gegen seinen Oberschenkel. Das Geräusch war für den Jungen wie ein Beweis dafür, was für ein Idiot er war, doch es wurde noch übertönt von dem hämischen Kichern der Goblins, das überall zu sein schien. Er konnte sie nicht sehen, doch er wusste, dass sie da waren. Es war wie in einem Albtraum, aus dem er nicht aufwachen konnte. Den anderen Anfängern musste es genauso gehen, denn sie waren alle gleichermaßen verzweifelt. Bevor sie mit ihrem Training angefangen hatten, hatten sie davon geträumt, wie sie schwierigen Situationen entkommen würden, doch dass gleich eine von solchem Ausmaß auf sie warten würde, hätten sie niemals gedacht.​
»Ver... Verdammt!«​
»Schnell, hier entlang!«​
Auf den Zuruf von einem aus ihrer Truppe begannen sie, in Richtung des Walds zu rennen. Vielleicht war er auf die Idee gekommen, dass sie sich dort besser verstecken könnten als auf dem offenen Feld.​
Der Albtraum hatte kurz nach Beginn ihres Rückmarschs in die Stadt begonnen. Sie hatten sich fröhlich darüber unterhalten, was morgen auf ihrem Trainingsplan stand und was für Abenteuer sie am liebsten erleben würden, als es passierte. Eine Gruppe von Goblins schmiss sich auf ein Mädchen aus ihrer Truppe und begrub es unter sich. Sie schrie aus voller Kraft nach ihrer Mama, doch kurz darauf verstummte sie.​
Der Junge war heran gesprungen, um sie unter den Bestien herauszuziehen, aber was er so zum Vorschein brachte, war nicht mehr das Mädchen, das er kannte. Einzig ein zerfetztes Kleidungsstück und ein verstümmelter Klumpen aus Knochen und Fleisch waren von ihr übrig geblieben.​
»Goblins!«​
Der Rest der Anfänger-Truppe verfiel in Chaos und rannte davon. Nur ein einziger von ihnen versuchte, sich den Biestern zu stellen, aber was mit ihm passierte, konnte sich jeder denken. Obwohl sie so schnell rannten, wie sie konnten, erwischten die Goblins immer wieder einen von ihnen, bis schließlich nur noch fünf oder sechs übrig waren.​
»Ich dachte, dass Goblins sich eigentlich in Höhlen aufhalten!«​
»Ja, aber jetzt sind sie hier! Wir müssen zurück in die Stadt u ... «​
Der Junge hatte sich verzweifelt an den Krieger neben ihm gewandt, der seinen Helm abgezogen hatte, um besser Luft zu kriegen. Das wurde ihm jedoch zum Verhängnis, denn während er antwortete, schlug ihm ein von oben herabfallender Stein den Schädel ein.​
»Ah?!«, schrie der Junge panisch und wischte sich die Spritzer von Blut und Gehirn aus dem Gesicht, die ihn getroffen hatten.​
Dann richtete er seinen Blick nach oben und erkannte sie, die fies leuchtenden Augen von Goblins.​
»Was machen sie in den Bäumen?!«​
Der Junge war der Stärkste in seinem Dorf gewesen und deshalb mit fünfzehn Jahren von zu Hause abgehauen, um Abenteurer zu werden. Hier im Grenzland hatte er dann gelernt, wie man ein Lager aufschlug, nach Dingen suchte und auch ein wenig, wie man mit einem Schwert umging. Er hatte gehofft, dass aus ihm ein guter Abenteurer werden könnte, aber von dieser Hoffnung war jetzt nichts mehr übrig. Er glaubte wie die vier anderen Anfänger fest daran, dass er hier sterben würde. Sie alle zitterten so heftig vor Angst, dass sie keine Waffen halten, Zauber wirken oder Gebete sprechen konnten. Die Goblins rochen die Furcht ihrer Opfer und freuten sich mit ihrem dreckigen Geschrei.​
»GOORORB!!«
»GROORB! GRORB!!«​
Langsam näherten sich die Biester den Jünglingen und es war ein Glück, dass jene nicht verstanden, worüber die Goblins redeten, denn sonst hätten sie vor Angst ihr Bewusstsein verloren.​
Ein Arm = zwei Punkte.​
Ein Bein = drei Punkte.​
Ein Kopf = zehn Punkte.​
Der Rumpf= fünf Punkte.​
Die Monster hatten sich bereits ein grausames Spiel ausgedacht, das sie mit den Anfängern spielen wollten. Freudig ließen sie ihre Waffen rasseln, bevor sie sich bereit machten, um sich auf ihre Opfer zu stürzen.​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht!«​
Ohne Vorwarnung wurde die Dunkelheit von einem gleißenden Licht erhellt, welches den Goblins die Sicht nahm.​
»GROOROROB?!«
»GORRRB?!«​
Diese Chance nutzten die Rhea-Schwertkämpferin und der​
Krieger Lehrling und sprangen heran.​
»Hajah!«​
»Nehmt daaaas!«​
Mit ihrem Kurzschwert und seinem Knüppel begannen sie,​
wie ein Wirbelsturm auf die Goblins einzuprügeln.​
»GORB?!«
»GOROORB?!«​
Weder die Rhea noch der Krieger Lehrling konnten wie ihre erfahreneren Kollegen ihre Gegner mit einem Schlag töten, doch auch sie brachen Knochen und schlitzten Bäuche auf, was am Ende aufs Gleiche hinauslief. Schließlich musste man bei Goblins keinen kritischen Treffer landen, um sie zu besiegen.​
»Urgh! An das Gefühl kann ich mich einfach nicht gewöhnen!«, meckerte die Schwertkämpferin.​
»Es kommen noch mehr!«, gab der Krieger Lehrling zurück.​
Sie beide hielten sich an das, was sie von Goblin Slayer und dem Speerkämpfer gelernt hatten, auch wenn sie ihre Waffen behielten und nicht so tänzerisch und schnell vorgingen wie ihre Lehrer. Der Gedanke daran, wie viel stärker die beiden im Vergleich zu ihm waren, motivierte den Krieger Lehrling jedoch, sodass er schrie:​
»Euch werde ich es zeigen!«​
»Hey! Pass auf deine Waffe auf! Wenn du die verlierst, gibt es kein Taschengeld, bis du eine neue gekauft hast!«, schrie die Heilige in Ausbildung ihren Kameraden an, bevor sie zu den Anfängern lief. Dabei zog sie ihren Rock hoch, um schneller rennen zu können.​
»Hey, ist jemand verletzt? Wunder gibt es aber nur für Schwerverletzte!«​
Die Anfänger versammelten sich bei ihr und auf den ersten Blick schien es, als sei keiner kritisch verletzt oder vergiftet. Allerdings entspannte sie sich deswegen noch nicht. Sie hatte auf dem Weg hierher einige Leichen gesehen und wollte verhindern, dass noch mehr von ihnen starben.​
»Wa... Was macht ihr hier ...«, rief einer der Anfänger.​
»Wir kommen ... euch retten!«, antwortete die Priesterin mit fester Stimme und hielt ihren Stab hoch, um Heiliges Licht weiter aufrechtzuerhalten. Sie war sichtlich erschöpft, doch sie dachte gar nicht erst ans Aufgeben.​
»Wir müssen aus dem Wald raus und zurück auf den Weg! Hier sind wir den Goblins vollkommen ausgeliefert!«​
»A... Aber dort werden sie uns doch umzingeln!«​
»Ich werde uns mit Schutzwall beschützen! Beeilt euch!«​
Die Priesterin hatte sich schon überlegt, wie sie ihre Wunder einsetzen würde. Ein weiteres, um aus dem Wald zu kommen, und ein drittes, wenn sie den Weg erreicht hatten. Hoffentlich würde das reichen. Da sie nur drei Wunder wirken konnte, würde sie keinem der Anfänger mit Heilung helfen können.​
Der rothaarige Magier, der auch mitgekommen war, war ungewöhnlich still. Er beobachtete das Geschehen und hielt dabei seinen Stab so fest in den Händen, dass seine Fingerknöchel ganz weiß wurden. Er hatte sich vorgenommen, seinen Fehler vom letzten Mal nicht zu wiederholen und seine Magie unbedacht einzusetzen.​
Sie kämpften gegen mehr als zehn Gegner und er würde nicht alle von ihnen mit einem Feuerball treffen können. Wahrend er über seine Optionen nachdachte, kam ihm auch die Möglichkeit in den Sinn, dass ihnen allen dasselbe passieren könnte wie seiner Schwester. Sofort entbrannte ein Feuer in ihm, das er nur mit Mühe und Not ersticken konnte. Er durfte sich jetzt nicht seiner Wut hingeben, denn sonst würde er nie gegen Goblin Slayer gewinnen können. Diesen komischen Krieger, der immer ruhig und still war. Der würde sicherlich nichts sagen, falls der Junge patzte, doch er selbst würde sich nicht verzeihen können. Aber was mache ich dann? Magier warfen nicht einfach nur Feuerkugeln oder Blitze. Aber was machen sie denn dann?​
Plötzlich hatte der Magier eine Idee.​
»Haltet eure Ohren zu!«​
»H... Hey, wir sind doch gerade mitten im Kampf!«​
»Jetzt macht einfach!«​
»Ach, verdammt!«​
Der rothaarige Junge schaute zur Priesterin, die ihm zunickte.​
»Ich überlass ... es dir!«​
Genauso wie Goblin Slayer ihr immer wieder vertraut hatte, vertraute sie jetzt ihm. Der Magier spürte diese Verantwortung, doch ließ sich von ihr nicht abschrecken, als er seinen Stab in die Höhe hielt.​
»Hey, ihr auch! Haltet euch die Ohren zu! Schnell!«, rief er den Anfängern zu, worauf der junge Krieger und das Rhea-Mädchen schnell die Goblins vor sich erschlugen und auf Abstand gingen. Mit voll gesteigertem Bewusstsein sprach er drei Worte der Macht:​
»Crescunt ... Crescunt ... Crescunt!«​
Ein Wirbelsturm magischer Energie bildete sich vor dem Jungen, in den er hineinschrie:​
»Waaaaaaaah!!«​
Die Luft begann zu beben.​
***
Mit nur einem Schwertstreich, der sowohl den Knüppel als auch den Körper des Hobs durchtrennt hatte, beendete der Panzerkrieger seinen Kampf. Schwarzes Blut spritzte wie eine Fontäne aus dem durchtrennten Körper des entwickelten Goblins hervor. Die Anfänger kamen nicht mehr aus dem Staunen heraus, während der Silber-Rang-Abenteurer das Blut von seiner Waffe schüttelte und sie schulterte.​
Im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubender Schrei aus der Ferne, aber anstatt erschrocken zu sein, grinste der Panzerkrieger einfach nur frech. Er schaute in den Himmel und sagte: »Da ist aber jemand motiviert.«​
Als Tropfen von der Decke des Tunnels fielen, fällte Goblin Slayer eine Entscheidung. Er rammte einen Kurzspeer in die Kehle eines Goblins, griff sich das Beil an seinem Gürtel und rief: »Nach oben. Macht ein Loch nach oben auf!«​
Der Zwerg, der solche Anweisungen von seinem Kameraden gewöhnt war, griff in seine Tasche mit Katalysatoren und antwortete entspannt:​
»Schon wieder? Na gut.«​
»Ein Loch? Warum brauchst du denn ein Loch?«, fragte der Speerkämpfer skeptisch, während er unablässig Goblin für Goblin niedermähte.​
Mittlerweile war sein Körper von kleinen Schrammen übersät und bewies damit, dass selbst ein Kämpfer seines Niveaus nicht unbesiegbar war.​
»Ich habe einen Plan«, entgegnete der Krieger kurz und versuchte, mit der scharfen Kannte seines Schilds den Schädel eines Goblins zu spalten.​
Da das allerdings nicht funktionierte, half er mit dem Beil nach.​
»Aber bevor du das Loch öffnest, müssen wir die Goblins tiefer ins Innere treiben.«​
»Ich kann nicht gleichzeitig Tunnel und Furcht wirken!«, beschwerte sich der Schamane, der sich auf seine Tasche gestellt hatte, um ein Muster an die Decke des Tunnels malen zu können.​
»Wenn es nur das ist, werter Goblintöter, kann ich behilflich sein.«​
Der Echsenmensch freute sich, dass er endlich etwas tun konnte. Er legte seine Hände zu einem mysteriösen Zeichen zusammen und atmete tief ein. Sein Anblick glich dem eines Drachens, der kurz davor war, Feuer zu speien. »Oh, ehrfürchtiger Tyrannosaurus, Herrscher der Kreidezeit! Leih mir bitte deinen Einfluss!«​
Der Mönch hatte „Drachenbrüllen“ gewirkt und ließ damit den engen Tunnel beben. Sofort waren die Herzen der sowieso feigen Goblins von Furcht erfüllt und sie begannen, wild zu schreien.​
»GORRRBB! GBROOB!!«
»GROB! GGROB!!«​
Sie warfen ihre Waffen weg und flohen tiefer in den Tunnel hinein. Um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie verfolgt wurden, warf die Hexe ihnen noch den Zauber Licht hinterher. Stolz schnaufte der Echsenmensch aus, aber warnte seine Kameraden dann:​
»Sie werden bald wieder zurückkehren. Selbst die Kraft eines Drachen hält nicht ewig.«​
»Das ist egal«, erwiderte Goblin Slayer und kniete sich hin. Die Elfe kam heran und klopfte ihm auf die Schulter.​
»Orcbolg, du willst nicht wieder eine Schriftrolle verwenden, oder?«​
»Ich habe gerade keine mehr.«​
»Das beruhigt mich keineswegs.«​
»Über uns ist ein See.«​
***
Der durch Magie verstärkte Schrei des Jungen ließ die Luft beben und war in der ganzen Gegend zu hören. Es war ein äußerst einfacher magischer Trick, doch er war effektiv. Die Goblins, die in nächster Nähe gestanden hatten, waren bewusstlos geworden, während die anderen flohen oder wie angewurzelt stehen blieben.​
»GOOROB?!«
»GROOB?! GRRO?!«​
Der Anblick der fliehenden Biester erzürnte den Jungen. Er schämte sich, dass er seine Schwester, die Akolythin und die heute getöteten Abenteurer nicht rächen konnte. Wie wunderbar wäre es gewesen, die Furcht in ihren Augen zu sehen, bevor er sie tötete ...​
»Wir ziehen uns zurück!«​
Die bestimmten Worte der Priesterin holten den Jungen zurück in die Realität. Sie hielt noch immer ihren Stab in die Höhe, um ihr Wunder aufrechtzuerhalten, und zeigte gleichzeitig in die Richtung, in die sie gehen mussten.​
»Wir verlassen den Wald und gehen direkt zur Stadt!«​
»Jawohl!«​
Der Kriegerlehrling reagierte zuerst, aber nicht ohne vorher noch einem bewusstlosen Goblin sein Schwert in die Kehle zu rammen.​
»Das Wichtigste ist jetzt, dass wir heimkehren!«​
»Lass ihn die Führung übernehmen, während ich hier Ausschau halte! Pass du bitte hinten auf!«, sagte die Heilige in Ausbildung zu der Rhea, die die Anweisung mit einem einfachen „Ja!“ bestätigte.​
Die Schwertkämpferin besaß noch relativ viel Energie, was von der Ausdauer ihres Volkes zeugte.​
Sie begab sich ans Ende der Gruppe und sagte im Vorbeigehen mit einem breiten Lächeln zu dem rothaarigen Magier:​
»Gut gemacht. Das eben war toll.«​
Der Junge nickte ihr zögernd zu und während die anderen losliefen, warf er einen Blick nach hinten. Seine Magie hatte heute nicht getötet, sondern gerettet. Damit hatte sie ihren Zweck erfüllt. Er und die anderen waren nicht hergekommen, um die Goblins zu vernichten, sondern um die anderen Anfänger zu beschützen und das war ihnen gelungen. Jetzt mussten sie es nur noch zurück zur Stadt schaffen. Er hätte gerne alle Goblins getötet, doch ... Ich bin nun mal nicht Goblin Slayer.​
Der Magier schaute nach vorne und rannte den anderen hinterher. Er drehte sich kein zweites Mal um.​
***
Die Goblins, die zuerst wie eine Flut über Goblin Slayer und die anderen Abenteurer hergefallen waren, wurden jetzt von den Fluten, die den Tunnel herab schossen, ertränkt. Es strömte durch das Loch in der Decke hinab in die Tiefe und verwandelte den Boden in eine schlammige Masse, die keinerlei Halt bot und den Biestern damit jegliche Möglichkeit zur Flucht raubte. Sie hatten Pech gehabt, dass sie ihre Tunnel abschüssig gegraben hatten.​
»GORRBB?!«
»GBBOR?! GOBBG?!«​
Die Abenteurer, die sicher im Trockenen waren, schauten den Goblins beim Ertrinken zu.​
»Hey, Goblin Slayer«, sagte der Speerkämpfer und tippte mit seiner Waffe auf den Kopf eines ertrinkenden Goblins.​
»Wie wollen wir so nachschauen gehen, ob es noch Überlebende gibt?«​
»Sobald Tunnel aufhört zu wirken, verwendet einfach einen Eis-Zauber. Wenn das Eis wieder schmilzt, fällt das gesamte Tunnel-System in sich zusammen. Dann werden sie so nicht mehr angreifen können.«​
»Ja, in ... Ordnung ...«, antwortete die Hexe.​
»Es bleibt also nur noch, das Nest zu finden und dort die restlichen Goblins zu erledigen. Es wird nicht weit von hier sein.«​
»Das könnt ihr dann ruhig allein übernehmen. Ich bin müde.«​
Der Speerkämpfer ließ sich ein wenig theatralisch an seinem Speer zu Boden sinken.​
»Lade mich das nächste Mal auf ein Gruppendate ein und nicht auf eine Goblin Jagd.«​
»Verstanden.«​
Die Abenteurer waren voller Dreck und nach den vielen Stunden des Kampfes erschöpft, weshalb es nicht verwunderlich war, dass sie sich nach etwas Ruhe sehnten. Vor allem die Elfe sah vollkommen ausgelaugt aus.​
»Ich bin im Eimer ...«, murmelte sie kraftlos.​
»Komm. Lass dich hier nicht hängen. Er hat doch gesagt, dass wir noch ein Nest auslöschen müssen«, warf der Zwerg ihr an den Kopf.​
»Das weiß ich doch«, entgegnete sie und schmollte.​
Sie lehnte sich an die Tunnelwand und murmelte:​
»Deswegen hasse ich es, Goblins zu vertreiben.«​
Die meisten Abenteurer hätten ihrer Aussage zugestimmt, doch Goblin Slayer hatte sie entweder nicht gehört oder ignorierte sie vollkommen. Stattdessen starrte er auf einige Blasen im Wasser, die sich an der Oberfläche auflösten. Er fragte sich, ob sie von dem Todesschrei eines Goblins kamen.​
»Werter Goblintöter, wieso wusstest du, dass wir unter einem See sind? Kennst du diese Gegend gut?«, fragte der Echsenmensch den Krieger.​
»Ja«, antwortete dieser vollkommen emotionslos.​
»Es ist lange her, aber ich kenne sie.«​
An diesem Tag ließen viele Abenteurer ihr Leben, aber es starben noch mehr Goblins. Trotzdem war ein Ende ihrer Existenz noch nicht in Sicht.​
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Intermission XIX
Über die heimgekehrte Heldin.


»Hah!«​
Mit einem ohrenbetäubenden Kampfschrei schnitt die Heldin mit ihrem heiligen Schwert durch einen Spalt in den Dimensionen und sorgte dafür, dass nichts von den unzähligen namenlosen Dämonen übrig blieb. Da sie so auch ihre Seelen zerstörte, würden sie nie zurückkehren können. Weil diese Aufgabe nun erledigt war, legte die Heldin sich entspannt ihr Schwert auf die Schulter und sprang aus dem Riss in Raum und Zeit heraus.​
»Da wären wir!«​
Sie landete auf einem weiten Feld, das sich unter einem strahlend blauen Himmel erstreckte. Es roch angenehm nach Frühsommer.​
»Meine Güte ... Das hat echt lange gedauert.«​
»Man muss vorsichtig sein, wenn man durch Dimensionen reist.«​
»Das war wirklich anstrengend. Ich bin ganz geschafft.«​
Nachdem ihre Kameraden ebenfalls in diese Dimension zurückgekehrt waren, streckte sich die Heldin genüsslich in der Sonne aus. Nach ihrem Sieg über Hekatoncheir waren sie noch ein wenig unterwegs gewesen, um vielen anderen mächtigen Wesen des Chaos den Garaus zu machen. Sie hätten auch früher heimkehren können, doch irgendwie war es dann doch zu aufregend gewesen. Es gab riesige Monster und Völker, die tyrannisiert wurden, und als Ritter, die Stürme in dreitausend Welten überstanden hatten, hatten sie über das alles dann doch nicht hinwegsehen können.​
»Aber es hat Spaß gemacht!«, sagte die Heldin grinsend.​
»Bitte sag nicht nur, dass es Spaß gemacht hat«, gab die Schwertmeisterin zurück und haute ihr leicht auf den Kopf.​
»Autsch!«​
»Weil wir so lange weg waren, sollten wir herausfinden, was in dieser Welt passiert ist. Ich mache mir Sorgen«, warf die Weise in die Runde.​
Die Heldin nickte. In ihrer Abwesenheit hatte die Zeit sicher nicht stillgestanden.​
»Wir sollten auch mal beim König vorbeischauen und gucken, ob bei ihm alles okay ist.«​
»Aber wo sind wir hier eigentlich? Im westlichen Grenzland?«​
Die drei schauten sich um und sahen, dass in nicht allzu weiter Ferne etwas errichtet wurde. Männer und Frauen, Jungen und Mädchen arbeiteten zusammen und errichteten neue Gebäude. Sie wirkten erschöpft, aber glücklich. Weil die Heldin solch eine Erfahrung nie gemacht hatte, dachte sie kurz darüber nach, wie ihr Leben wohl verliefe, wenn sie eine einfache Dorfbewohnerin oder vielleicht eine Abenteurerin wäre. Sie würde sich Aufträge bei der Gilde besorgen, wäre anderen Kameraden begegnet und hätte frei ihre Tage verlebt, bis sie irgendwo gestorben wäre. Es war eine interessante Vorstellung für sie, doch mit einem Kopfschütteln vertrieb sie sie wieder aus ihrem Kopf. Sie war die Heldin und musste sich deshalb um Dinge kümmern, die andere nicht bewältigen konnten.​
»Dann lasst uns doch die Dorfbewohner dort fragen, was in letzter Zeit so los war!«​
Ohne auf die Antwort ihrer Kameradinnen zu warten, stürmte sie mit winkenden Armen los.​
Die Weise und die Schwertmeisterin waren dieses Verhalten schon gewöhnt, weshalb sie sich einfach grinsend zunickten und ihrer Anführerin folgten. Ein Jüngling, der die Besucher zuerst bemerkte, wischte sich den Schweiß von der Stirn und begrüßte sie mit einem Lächeln.​
»Willkommen! Dies ist der Trainingsplatz für Abenteurer!«​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 55
Auf ins Abenteuer.


»Gut, damit wäre das Gespräch beendet.«​
Mit diesen Worten setzte die Gilden Angestellte ihren Stempel unter das vor ihr liegende Schriftstück.​
»Puh ...«​
Die Priesterin atmete erleichtert auf. Obwohl sie sowohl die Gilden Angestellte als auch die Inspektorin bereits kannte, war sie äußerst aufgeregt gewesen. Vielleicht war es, weil letztere das Wunder Lügen erkennen gewirkt hatte.​
»Keine Sorge, ich weiß doch, dass Sie nicht gelogen haben.«​
»J ... Ja ... Aber trotzdem hat mein Herz wie wild geklopft.«​
»Es fallen eher die durch, die kein Herzklopfen haben.«​
Während die Inspektorin mit der Hand in der Luft wedelte, legte sich ein freundliches und ehrliches Lächeln auf die Lippen der Gilden Angestellten.​
»Wer keine Anspannung verspürt, wenn er Vorgesetzten oder Monstern begegnet, der wird als Abenteurer nicht sehr weit kommen. Deswegen ist es nicht schlimm, wenn man nervös ist.«​
Mit diesen Worten holte sie aus einem Kästchen ein kleines metallenes Schildchen hervor, auf das sie die Daten der Priesterin schrieb. Ein Jahr war das Mädchen jetzt schon Abenteurerin. Es hatte damit begonnen, dass sie von Goblin Slayer gerettet worden war. Dann traf sie zusammen mit ihm auf neue Kameraden und sie besiegten einen Oger, der sich in einer Ruine aus alten Zeiten versteckt hatte. Als Nächstes erledigten sie einen Goblin Lord und seine Armee, um dann gegen einen Goblin Champion unter der Stadt des Wassers zu kämpfen. Fast wäre sie gestorben, doch am Ende siegten die Abenteurer trotzdem. Während des Erntefests hatte sie in ihrer feierlichen Kleidung zusammen mit den anderen einem Dunkelelfen das Handwerk gelegt und dann waren sie in die Berge im Norden gezogen, um einen Goblin Paladin zu beseitigen. Es war bereits so viel passiert.​


Sie schloss die Augen und es überkamen sie all die Erinnerungen und Gefühle der eigentlich so kurzen Zeit. Es war für sie schon überwältigend gewesen, vom Porzellan-Rang auf Obsidian aufzusteigen, aber jetzt schon wieder zu Stahl aufzusteigen, war unglaublich. War sie überhaupt bereit dafür? War sie stark genug?​
»Es wird alles gut, sagte die Gilden Angestellte zur Priesterin, deren Hände sich unbewusst zu Fäusten geballt hatten.​
»Wir haben Ihre Fähigkeiten bewertet und sie für ausreichend befunden. Den Rest entscheiden die Würfel der Götter.«​
Die Gilden Angestellte pustete leicht über das Metallplättchen und hielt es der Priesterin hin. Es war der Beweis dafür, dass sie nun auf dem dritten Abenteurer-Rang war. Das Mädchen nahm es entgegen, zog eine Kette hindurch und hängte es sich um den Hals.​
»Ja, das stimmt.«​
Die Priesterin schloss ihre Augen und legte eine Hand auf ihre Brust.​
»Ich bin mir noch nicht sicher, aber ich werde mich anstrengen, dass ich stark genug werde.«​
»Ja, das ist eine gute Einstellung!«​
Auf die aufmunternden Worte der Gilden Angestellten nickte die Priesterin kurz. Sie wusste nicht, ob sie stark genug war, aber andere glaubten wohl an sie und das gab ihr Kraft. Die Priesterin verließ die Gilde und wurde von einer strahlenden Sonne und blauem Himmel begrüßt. Das Mädchen streckte eine Hand hoch in den Himmel. Was sollte sie nun machen? Eigentlich müsste sie zuerst in den Tempel und dort Bericht erstatten, jedoch ... Ihr Blick traf auf den der Elfe, die auf dem Bordstein saß. Sie wackelte mit den Ohren und sprang auf.​
»Hey, wie ist es gelaufen?«​
»Ich habe den Rangaufstieg geschafft.«​
Die Priesterin zog an der Kette um ihren Hals und zeigte ihrer Kameradin das neue Abzeichen. Die Elfe musterte es kurz und kniff dann freundlich grinsend ihre Augen zusammen.​
»Super! Das ist schon dein dritter Rang, oder? Du bist eine echte Priesterin!«​
Die Waldläuferin schnappte sich die Hand der Priesterin und schüttelte sie wild auf und ab. Diese war etwas verwirrt, aber musste dann wegen der stark wackelnden Ohren ihrer Kameradin lachen. Dann verdunkelte sich ihr Gesichtsausdruck wieder.​
»Ja, aber ...«​
»Was denn? Bist du unzufrieden?«​
»Ach, nein. Gar nicht.«​
Die Priesterin wedelte mit ihrer Hand.​
»Ich, nun ja ... habe die Goblins ... «​
Sie hatte die Goblins entkommen lassen. Sie war ausgezogen, um die Anfänger zu retten, aber nichtsdestotrotz beschäftigte es sie, dass sie nicht alle Biester erledigt hatte.​
»Also wirklich.«​
»Uwah?!«​
Die Elfe schnippte dem Mädchen leicht vor die Nase.​
»Du bist nicht Orcbolg. Da geht das in Ordnung.«​
»Ja ...«​
Die Priesterin hielt sich ihre kribbelnde Nase.​
»Sowieso ist er ein wenig seltsam, oder?«​
Die Waldläuferin ließ einen Finger durch die Luft kreisen und schnaubte dabei einmal tief aus.​
»Er hat mir letztens erklärt, warum Goblins keine Brände legen. Er glaubt, dass es daran liegt, dass sie den militärischen Nutzen von Feuer noch nicht erkannt haben. Weißt du, er verbrennt sie, vergiftet sie, begräbt sie unter Ruinen und ertränkt sie. Er ist wirklich unfassbar. Er denkt an nichts anderes als an Goblins, aber dass wir alle unterschiedliche Gedanken haben und deshalb unterschiedlich handeln, macht diese Welt so interessant. Ich bin ich. Du bist du. Er ist er. Das Leben an sich ist schon ein Abenteuer.«​
Während die Priesterin der Elfe beim Reden zuhörte, beobachtete sie, wie deren Ohren leicht im Wind wackelten. Mithilfe der Worte ihrer Freundin verstand sie, dass der Rangaufstieg ihr nicht gewährt worden war, weil sie Goblins vertrieben hatte, sondern weil es ihr gelungen war, die Anfänger zu retten. Es war, als würde sich ein Knoten lösen, der ihr Herz gefangen gehalten hatte. Bestimmt werde ich auch in Zukunft weiterhin diesem Mann folgen, aber das ist okay für mich ... Eine leichte Brise wehte die Straße hinunter und wuschelte durch die Haare der Priesterin, die diese festzuhalten versuchte. Die Elfe nickte.​
»In Ordnung. Lass uns das ordentlich feiern! Ich lade dich zum Mittag ein. Was möchtest du essen?«​
»W... Wirklich? Ahm ...«​
Sie freute sich sehr über das Angebot der Waldläuferin. Weil dies eine besondere Gelegenheit war, würde die Erdmutter sicher nicht wütend sein, wenn sie sich etwas gönnte.​
»Stimmt eigentlich. Was ist denn mit Orcbolg?«, warf die Elfe ein.​
»Ach ja.«​
Die Priesterin lächelte und sagte etwas, was die Waldläuferin wohl nicht verstehen würde: »Letztes Jahr musste sie sich zurücknehmen . . . Deshalb sollten wir ihn heute nicht einladen.«​
***«​
Ein komisches Paar Abenteurer verließ die Stadt im Grenzland durch das Stadttor. Es waren Goblin Slayer und der rothaarige Magier. Während der Krieger aussah wie sonst auch, hatte der Junge sein Reisegepäck bei sich.​
»Ich möchte mehr von der Welt sehen und meine Fähigkeiten verbessern.«​
»Ist das so? Willst du vielleicht auch zur Akademie der Weisen zurückkehren?«​
»Nun ja ... Ich würde es gerne denen heimzahlen, die sich über meine Schwester lustig gemacht haben, aber ...«​
Der Junge kratzte sich nervös über die Wange.​
»Ich werde ihre Meinung eh nicht ändern können, von daher ist das egal.«​
»... «​
»Sollen sie doch machen, was sie wollen.«​
»Ja ...«​
Goblin Slayers Tonfall war wie immer emotionslos. Der Junge blieb stehen und schaute hoch zu dessen Helm. Der Anblick des Kriegers war schäbig und furchteinflößend zugleich und für den Anfänger wäre es komisch gewesen, ihn als richtigen Abenteurer zu bezeichnen.​
»Ich glaube, dass ich dich noch immer nicht leiden kann.«​
»Ist das so?«​
Obwohl er den Krieger gerade beleidigt hatte, war dessen Antwort gewohnt emotionslos, weshalb der Anfänger kurz lachen musste. Dieser Mann war unglaublich. Er war geradlinig und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen.​
»Ich habe nachgedacht. Über die Vergangenheit und das, was ich in Zukunft machen will. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich dir nicht auf deinem Pfad folgen will. Das würde nur zu Problemen führen. Deshalb werde ich zum Dragon Slayer.«​
Jeder andere hätte sich mit schallendem Gelächter auf die Worte des Jungen geantwortet, doch von Goblin Slayer kam nur ein „Ist das so?“.​
»Na gut. Dann werde ich dich dabei begleiten!«, unterbrach die beiden eine helle Stimme und ein Mädchen kam heran gesprungen. Es war die Rhea-Schwertkämpferin, welche auch schon ihr Reisegepäck dabei hatte.​
»W... Wie bitte?!«, fragte der junge Magier erschrocken.​
»Für einen einzelnen Magiewirker auf Porzellan-Rang ist so eine Reise doch viel zu gefährlich!«​
»Du bist doch auf dem gleichen Rang wie ich!«​


»Ganz genau, deswegen wäre es für mich allein auch zu gefährlich.«​
»Ich wollte aber allein auf Reisen gehen!«​
»Ach was, ich eigentlich auch.«​
Sie führte ihn an der Nase herum und was er auch sagte, sie ließ nicht locker.​
Nach einigem Hin und Her gab der Junge schließlich mit einem „Ihr verdammten Rhea!“ auf. Ein leises Geräusch von Goblin Slayer war zu hören.​
Die beiden Anfänger drehten sich neugierig zu dem Krieger um und erkannten, dass es ein Lachen war. Kein gewöhnliches Lachen, sondern eines, das klang, als wäre es für lange Jahre unterdrückt gewesen.​
»Falls ihr einen Rhea namens Schleicher trefft, nennt meinen Namen. Vielleicht wird er sich ein wenig um euch kümmern.«​
»Ja, ich versuch, dran zu denken.«​
Mit einem Grinsen drehte der Junge sich der Rhea zu.​
»Na gut. Wollen wir los?«​
»Ja«, antwortete sie fröhlich.«​
»Lebe wohl, Goblin Slayer!«​
»Ja.«​
Die beiden Anfänger winkten dem Krieger zum Abschied zu und gingen dann ihres Weges. Sie lachten und stupsten sich gegenseitig an. Anscheinend genossen sie die Gesellschaft des anderen. Goblin Slayer blickte ihnen nach und hoffte, dass alles gut für sie verlaufen würde, denn dies war erst der Anfang ihrer Reise. Vielleicht würde sein ehemaliger Meister den beiden ja doch irgendwann begegnen und ihnen helfen können. Mit diesem Gedanken drehte der Krieger sich um und stapfte in Richtung des Bauernhofes. Auch nach alledem, was diesmal passiert war, würde er weitermachen wie bisher. Er würde Goblins töten. Tag für Tag. Bis keiner von ihnen mehr übrig war.​
»Ist es vorbei?«, fragte die Kuhhirtin, die sich beim Scheideweg zum Hof unter einem Baum ausruhte.​
»Ja.«​
Die Kindheitsfreundin Goblin Slayers stand auf und kam zu ihm. Sie musste ihm nicht sagen, dass sie ihn bis zum Hof begleiten würde. Das verstand er auch so. Zusammen liefen sie langsam den Weg hinab.​
»Die beiden sind zu einer Reise aufgebrochen.«​
»Ach ja?«​
»Ja.«​
»Ist der See jetzt eigentlich ausgetrocknet?«​
»Ja«, sagte er und fügte murmelnd hinzu:​
»Tut mir leid.«​
Danach liefen sie schweigend eine Weile nebeneinander her. Sie redeten weder darüber, dass der Trainingsplatz mittlerweile fertiggestellt worden war, noch darüber, wie viele Goblins der Krieger getötet hatte. Auch das Thema, dass der Boden in der Nähe des Sees vollkommen aufgeweicht worden und damit für die nächste Zeit nicht mehr bebaubar war, ließen sie unberührt. Die Sonne schien auf sie herab und die grünen Blätter der Bäume raschelten im leichten Wind. Der Weg zum Hof war zu kurz, um über alles zu reden, was einem auf dem Herzen lag, doch er war lang genug, um das Herz eines Kindheitsfreundes zu lesen.​
»Sag mal ...«​
Die Kuhhirtin beschleunigte plötzlich ihren Schritt und stellte sich vor Goblin Slayer. Sie beugte sich nach vorne und fragte:​
»Irgendwie bist du glücklich, oder?«​
»Hmpf ...«​
Er stieß ein tiefes Brummen aus,​
»Komme ich etwa so rüber?«​
»Ja, tust du.«​
»Ist das so?«​
»Wenn jemand dich versteht, dann ich, oder?«​
Mit einem Lachen hatte sie sich diesen selbstgefälligen Satz erlaubt. Manchmal verhielt sie sich wie zu der Zeit, als die beiden noch als lachende Kinder über die Wiesen gerannt waren.​
»Ist irgendwas Gutes passiert?«​
»Ja ...«​
Goblin Slayer nickte und drehte sich um. Er schaute in die Ferne und meinte, die beiden Anfänger noch erkennen zu können. Irgendwann würden vielleicht Heldengeschichten von einem rothaarigen Magier erzählt werden, der als »Dragon Slayer« bekannt war. Es wäre einfach gewesen, den Traum des Jungen als einen ebensolchen abzutun, doch Goblin Slayer wollte an der Hoffnung festhalten, dass er vielleicht wahr werden könnte.​
»Etwas sehr Gutes.«​
»Ach so«, antwortete die Kuhhirtin und die beiden setzten ihren Weg zum Hof fort.​
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Prelude VI

Die Liebe ist der Plan. Der Plan ist der Tod. Auch wenn die Maid auf den Ritter wartet, stürzt er irgendwann in die Schlucht des Todes. Selbst ein Prinz, der mit einem Drachen befreundet ist, findet irgendwann den Tod und lässt seine Geliebte zurück. Auch ein Söldner, der die Heilige in seinen Träumen begehrt, wird den Tod auf dem Schlachtfeld finden. Sogar ein König, der sich in die Dienerin eines Schreins verliebt, wird sich irgendwann von ihr verabschieden müssen. Doch der Vorhang der Geschichte eines Helden fällt nicht mit seinem Tod, nur sein Leben findet dort ein Ende. Zuneigung, Liebe, Leben und Tod - vor all diesen Dingen kann man nicht fliehen. Doch sollte man sich vor ihnen fürchten? Die Liebe ist der Plan. Der Plan ist der Tod.​




 
Zuletzt bearbeitet:

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 56
Eine Einladung für das Mädchen
»Dann ist es wohl an der Zeit zu heiraten«, sagte die Elfe und wackelte mit ihren Ohren.​
Das Sonnenlicht, das durch die Fenster in das Gebäude der Gilde eindrang, brachte drückende Temperaturen mit sich. Es war Sommer. Die meisten Abenteurer würden in dieser Jahreszeit lieber andere Dinge tun, als auf Abenteuer zu gehen, doch ihnen blieb nichts anderes übrig. Schließlich mussten sie über die Runden kommen. So kam es, dass es in der Gilde wieder nur so vor Abenteurern wimmelte und auch die Schenke des Gebäudes wieder gut besucht war. Verschiedenste Gestalten nippten hier an ihren viel zu schnell lauwarm werdenden Getränken, um der drückenden Hitze wenigstens etwas entgegenzuwirken. Während die Abenteurer versuchten, sich so wenig wie möglich zu bewegen, war einer ihrer Kollegen vollkommen verschwitzt und vollbeladen mit Gepäck in die Gilde hereingekommen. Er hatte gerufen:​
»Die Post ist da!«​
Dass ein Abenteurer Post transportierte, war nichts Seltsames. Es war gang und gäbe, eilige Sendungen Abenteurern zu überlassen, und dieser hatte, nachdem er eine Unterschrift an der Anmeldung erhalten hatte, begonnen, geschäftig im Gebäude hin und her zu huschen und Schriftstücke und Päckchen zu verteilen.​
»Argh, eine Pfändung?! Oh nein!«​
»Was kaufst du auch Ausrüstung auf Pump, du Trottel?«​
»Oh ... Meine Schwester hat ein Kind bekommen. Ich sollte sie nach unserem nächsten Abenteuer besuchen gehen.«​
»Uff, sag das nicht. Solche Sprüche vor einem Abenteuer bringen einem nur Pech.«​
»Ach was, ein Auftrag für mich aus der Hauptstadt. Gar nicht übel.«​
»Dann können wir ... endlich mal wieder auf ein Date gehen ... «​
Der Abenteurer hatte mit den verschiedenen Sendungen die unterschiedlichsten Emotionen hervorgerufen, die auf viele Arten Ausdruck gefunden hatten. Vielleicht war das auch der Grund, warum zuerst niemand auf die Aussage der Elfe reagiert hatte.​
»Dann ist es wohl an der Zeit zu heiraten«, sagte sie erneut und fand damit Gehör.​
Mit einem „Pfft“ schaffte der Zwerg es gerade noch, den Schluck Branntwein, den er sich gerade gegönnt hatte, nicht über den ganzen Tisch zu prusten. Der Echsenmensch gab ein tiefgründiges „Oho“ von sich und streckte seine Zunge heraus. Der Gilden Angestellten und der Inspektorin entglitten gleichzeitig ein „Wie?“ und ein „Wow“. Die Ritterin sprang auf und rief:​
»Was hast du gesagt?«.​
Der Panzerkrieger versuchte, sie mit einem „Hey“ dazu zu bringen, sich wieder zu setzen. Der Krieger-Anfänger und die Heilige in Ausbildung taten, als wollten sie sich abwenden, doch ihre Ohren waren lauschend gespitzt. Die Priesterin murmelte: „Oje, Oje“, und hielt sich mit roten Wangen und glitzernden Augen eine Hand vor den Mund.​
»Ist das so?«​
Obwohl die anderen Bekannten der Elfe überrascht reagiert hatten, blieb Goblin Slayer gewöhnt ruhig.​
»Für wen denn?«

»Meinen Cousin«, antwortete die Elfe und wedelte lächelnd mit der Hand. »Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Der Typ ist ein echter Spießer.«​
»Hm ...«​
Goblin Slayer nickte.​
»Und ...«​
»Herzlichen Glückwunsch!«​
Die Priesterin grinste strahlend und legte ihre Hände zusammen, als würde sie ihrer Kollegin ihren Segen geben.​
»Haltet ihr Elfen auch Hochzeitszeremonien ab? Ich würde zu gerne mal einer beiwohnen.«​
»Aber sicher. Es handelt sich um den Clan des Anführers. Es wird wild werden, also kommt doch mit.«​
»Meine Güte ...,«sagte der Zwerg, während er zu den beiden Frauen seiner Gruppe herüberschaue.​
Er wischte sich Alkohol aus dem Bart und nahm einen weiteren Schluck, bevor er sagte:​
»Wenn das Langohr zu der Sippe des Anführers gehört, ist das Ende aller Elfen bald absehbar«​
»Ha ha ha ha ha!«​
Vergnügt schlug der Echsenmensch seinen Schwanz auf den Boden.​
»So denken die Älteren immer über die Jugend.«​
»Schuppiger, vergiss bitte nicht, dass ich jünger als das Langohr bin. Aber wo wir schon beim Thema Alter sind, ist eine Heirat im Alter von 2.000 Jahren früh oder spät für eine Elfe?«​
Während der Zwerg vor sich hin brummelte, kaute der Echsenmensch auf einem Stück Käse herum. Dabei sah er aus, als würde er die Bogenschützin bereits vermissen. Mit einem Seufzer sagte er:​
»Das heißt also, dass wir uns von der werten Waldläuferin verabschieden müssen. Das ist wahrlich traurig.«​
»Hm? Warum müsst ihr euch von mir verabschieden?«, fragte die Elfe verwundert.​
»Heißt bei euch Elfen eine Heirat nicht, dass man sich um die Familie kümmern muss?«​
»Nein, das mit dem Kinderkriegen geht im Normalfall erst 200 oder 300 Jahre nach der Heirat los. Gleich nach 10 oder 20 Jahren loszulegen wäre unanständig.«​
»Was für unheimliche Zeitspannen«, murmelte der Mönch.​
»Ihr Elfen habt wahrlich zu viel Zeit.«​
»Nun ja, nicht umsonst heißt es, dass wir nahezu endlos leben. Wie ist es denn bei euch Echsenmenschen?«​
»Nur eines der Eier wird zum Prinzen, aber wir vermehren uns, leben, kämpfen und sterben dann irgendwann.«​
»Der Kreislauf ist schließlich wichtig ...«​
Mit dem Zeigefinger malte die Elfe Kreise in die Luft.​
Auch wenn die einen ein langlebiges und friedliebendes Volk waren und die anderen das genaue Gegenteil, waren Elfen und Echsenmenschen sich darüber einig, wie wichtig der Kreislauf der Dinge war.​
»Hach ...«, seufzte die Priesterin.​
In ihrem Glauben fuhren die Seelen der Verstorbenen in den Himmel und kehrten nur in den wenigsten Fällen auf das Spielbrett dieser Welt zurück. Mit einem Kopfschütteln konzentrierte sie sich wieder auf das ursprüngliche Thema und fragte:​
»Aber was wird der Bräutigam davon halten, wenn seine Frau nach der Heirat noch in der Welt herumzieht?«​
»Mein Cousin wird solch ein Verhalten sicher nicht dulden.«​
Die Elfe lachte.​
»Ihr werdet es auf den ersten Blick erkennen, aber der ist echt verknallt und das obwohl er so gar nicht der Typ dafür ist. Wobei, vielleicht ist er gerade so verknallt, weil er ein Sturkopf ist ... «​
»Hm?«​
Die Priesterin hatte das Gefühl, dass irgendetwas nicht passte. Lag hier etwa ein Missverständnis vor?​
»Und wen heiratet dein Cousin?«, stellte Goblin Slayer die Frage, die er gerade schon hatte einwerfen wollen.​
»Hä? Meine Schwester natürlich.«​
»Und das sagst du erst jetzt, du alte Ambossbrust?!«, rief der Zwerg.​
»Waaas?«​
Die Elfe schaute kurz verblüfft, bevor sie mit wütend aufgestellten Ohren aufsprang. Der Zwerg nutzte die Chance und gab ihr einen kräftigen Klaps auf den Hintern, der die Waldläuferin nur noch wütender machte.​
»Hey, was soll das?!«​
»So ein Amboss muss den ein oder anderen Klaps aushalten können!«​
»Du mieser ... ! Wegen solchem Verhalten kann ich euch Zwerge nicht ausstehen! Du fette Tonne!«​
»Ich hab es dir schon mehrere Male erklärt. Das nennt man einen kräftigen Körperbau und der gehört so!«​
Wie so häufig brach ein wilder Streit zwischen den beiden aus, doch der Rest der Gruppe war daran schon gewöhnt. Die Priesterin griff ruhig nach ihrem Glas mit Zitronenwasser und gönnte sich einen Schluck. Natürlich war es längst warm geworden. Sie setzte das Glas wieder ab und sagte:​
»Wenn wir auch zu der Hochzeit gehen, sollten wir zumindest ein Geschenk dabeihaben.«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayer nickte langsam und stieß mit verschränkten Armen ein tiefes Brummen aus. Dann sagte er in nachdenklichem Ton:​
»Ich ...«​
»Nein«, warf die Klerikerin ein und brachte den Krieger mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Schweigen.​
»Wir wurden zu dieser Feierlichkeit eingeladen und es wäre jetzt unhöflich, abzusagen.«​
»Aber ...«​
Goblin Slayer rang mit seinen Worten.​
»Das mag sein, aber ... «​
»Wir werden die Gilden Angestellte bitten, die Goblin Aufträge den anderen Abenteurern zu überlassen.«​
»Hmpf ...«​
Es war fast, als hätte die Priesterin Schutzwall gewirkt. Kombiniert mit einem Lächeln hatte sie Goblin Slayers Widerworte abgewehrt und eine Barriere errichtet, die er nicht durchdringen konnte. Der Echsenmensch verdrehte amüsiert die Augen und dachte sich: Das Mädchen scheint einiges von der Gilden Angestellten und der Kuhhirtin gelernt zu haben.​
»Ha ha ha, gut. Dann wollen der Zwerg und ich uns um ein passendes Geschenk kümmern.«​
Der Mönch legte seine Hände zusammen und tat dabei sehr bedeutsam. »Außerdem ist es äußerst interessant zu sehen, dass die Priesterin gelernt hat, sich durchzusetzen.«​
»Hi hi! Selbstverständlich!« Stolz streckte die Priesterin ihre Brust nach vorne. »​
Schließlich bin ich in der Ausbildung bei Goblin Slayer!«​
***
Nun gut. Als Angestellte der Gilde muss man immer Ruhe bewahren! Das war eine der Regeln für Gilden Angestellte und das Mädchen hatte sie nun schon allzu oft gehört. Schließlich war es eine der Ersten, die mit den meistens sehr auf gewühlten Auftraggebern reden und die Informationen dann an die Abenteurer weitergeben mussten. Sie sorgte dafür, dass ihre Kleidung immer gebügelt war, und trug Ihre Haare stets ordentlich gekämmt. Schließlich war sie eine Vertreterin des Staates und wollte sich dementsprechend präsentieren.​
»Heute ist es wirklich heiß, oder?«, fragte die Gilden Angestellte und goss Goblin Slayer, der Elfe und der Priesterin etwas Tee ein.​
»Und eine Hochzeit? Wie wundervoll!«​
»Ja, das stimmt.«​
Die Elfe nickte mit ernstem Gesichtsausdruck.​
»Ich bin wirklich froh, dass sie noch rechtzeitig heiraten wird.«​
»Wie alt ist sie denn?«​
»Ähm ...«​
Die Waldläuferin fing an, mit ihren Fingern zu zählen, und schüttelte dann leicht den Kopf.​
»8.000 und ein bisschen.«​
Die Gilden Angestellte lächelte leicht gequält, weil das bisschen, von dem die Elfe sprach, sicher noch dreistellig war. Sie seufzte und sagte:​
»Mit Elfen über das Alter zu reden, führt einem vor Augen, wie lächerlich es ist, sich darüber Sorgen zu machen.«​
»Ähm ... Also ...«, erhob die Priesterin ihre zarte Stimme.​
»Sie sind doch so hübsch, dass Sie sich um Ihr Alter wirklich keine Gedanken machen müssen.«​
»Ha ha, vielen Dank«, antwortete die Beamtin und schenkte der jungen Abenteurerin ein Lächeln.​
Die Elfe trank ihren Tee in einem Zug aus, um dann hinzuzufügen:​
»Ja, genau. Ihr solltet nicht darüber nachdenken. Drachen und Elefanten vergleichen ihr Alter doch auch nicht mit dem von Mäusen.«​
»Elefanten?«​
Goblin Slayer neigte seinen Kopf zur Seite.​
»Was?«​
»Du weißt nicht, was ein Elefant ist?«​
Die Waldläuferin kicherte und wackelte mit ihren Ohren. Dann begann sie, mit beiden Armen die Umrisse eines Lebewesens in die Luft zu malen.​
»Elefanten sind gewaltige Bestien. Ihre Beine sind wie Steinsäulen, sie haben einen Schwanz, der ist wie ein Seil, ihre Ohren sind wie Fächer und ihre Haut hat die Farbe von Gips. Ihre Stoßzähne sind wie Speere, ihr Rücken ist wie ein Thron und ihre lange Nase wie ein Schlauch.«​
»Ich kann mir so eine Bestie überhaupt nicht vorstellen ..., brummte Goblin Slayer und schüttete sich den Tee in den Hals.​
Die Gilden Angestellte musste kurz kichern, bevor sie sagte: »Ich könnte Ihnen einen Elefanten im Monsterhandbuch zeigen, aber wahrscheinlich sind Sie gerade hier, um dafür zu sorgen, dass ich in Ihrer Abwesenheit die Goblin Aufträge an andere Abenteurer verteile, nicht wahr?«​
»Ja, das wäre großartig. Wir möchten Goblin Slayer nämlich mitnehmen«, antwortete die Priesterin lächelnd.​
»Versteht mich nicht falsch, ich möchte schon mit«, der Krieger stellte mit einem Poltern sein leeres Glas auf den Tresen, »aber ich darf die Goblins nicht einfach gewähren lassen.«​
»Da haben Sie recht ... «, gab die Beamtin zurück.​
Sie wusste, dass Goblin Slayer von vielen als komischer Kauz angesehen wurde, aber für sie war er ein Abenteurer, auf den man sich verlassen konnte.​
»Besonders wenn der Frühling zum Sommer wird, sind die Goblins aggressiv.«​
»Gibt es eine Jahreszeit, in der die Viecher nicht aggressiv sind?«​
»Hmpf ... «​
Goblin Slayer hatte versucht, seinen Standpunkt zu unterstreichen, doch die Elfe hatte ihm mit ihrem Einwand einen Strich durch die Rechnung gemacht.​
»Es stimmt jedoch, dass es im Sommer besonders viele Goblin Aufträge gibt«, warf die Gilden Angestellte in die Runde.​
»Ist das wirklich so?«, hakte die Priesterin nach.​
»Ja«, gab die Beamtin zurück, doch ging nicht weiter darauf ein.​
Sie wollte nicht über das Leid anderer reden, wenn die Gruppe zu solch einem wunderbaren Event eingeladen war.​
Der Sommer war für die Goblins vor allem die Zeit vor der Ernte, weshalb es ihnen nichts brachte, Dörfer zu überfallen. Stattdessen richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf Reisende wie umherziehende Viehhirten oder Kräutersammler. Und weil der viele Regen und die Hitze der Jahreszeit für eine besondere Schwüle in ihren Nestern sorgten, waren sie unheimlich aggressiv. Sie gingen mit ihren Opfern noch brutaler um als sonst und fraßen sie in den meisten Fällen sogar auf. Letzteres taten sie, weil sie nicht die geringste Ahnung davon hatten, wie sie Nahrung bei so hohen Temperaturen haltbar machen sollten. Doch nicht nur Goblins sorgten im Sommer dafür, dass Reisende verschwanden. Es gab viele Gefahren in der Welt der Vier Himmelsrichtungen und viele beschwerten sich darüber, dass die Regierung angeblich nichts tat, aber die Gilden Angestellte wusste, dass es noch nie ein vollkommenes Zeitalter des Friedens gegeben hatte. Soweit sie es beurteilen konnte, leisteten der König und die ihm unterstellten Organisationen gute Arbeit. Er vermied unnötige Kriege und beschützte das Land. Meiner Meinung nach leben wir gerade eigentlich in recht friedlichen Zeiten ... Ob man die gegenwärtige Situation als Frieden bezeichnen wollte oder nicht, war sicher diskussionswürdig, doch wie erwähnt hatte in dieser Welt noch nie vollkommener Frieden geherrscht. So oder so reagierte die Gilde nur, wenn jemand ihr eine Aufgabe übertrug, und es kam viel zu häufig vor, dass ein Reisender verschwand und sich niemand darum kümmerte.​
»Egal, ob Sommer oder nicht. Jemand muss den Goblins Einhalt gebieten«, sagte Goblin Slayer und riss die Gilden Angestellte aus ihren Gedanken.​
»Aber«, gab die Priesterin sofort zurück, »das heißt nicht, dass du alles allein erledigen musst.«​
Goblin Slayer schwieg und die Gilden Angestellte, die wusste, dass er einfach nur keine Antwort parat hatte, dachte sich: Eigentlich ist er echt leicht zu durchschauen. Sie kicherte und sorgte so dafür, dass Goblin Slayer sich ihr zuwandte. Schnell machte sie eine abwinkende Handbewegung und sagte:​
»Ich kann Ihnen auch nicht alles allein überlassen.«​
»Da hast du es!«​
Die Priesterin drehte sich der Beamtin zu.​
»Könnten Sie sich also darum kümmern, dass die Goblin Aufträge in der Zeit von anderen Abenteurern übernommen werden?«​
»Ja, selbstverständlich. Sonst würde er sich nie eine Pause gönnen.«​
»Du hast gut reden.«​
Die Gilden Angestellte kassierte einen Klaps auf den Hinterkopf und gab ein erschrockenes „Autsch“ von sich. Sie drehte sich um und sah die Inspektorin mit einem Stapel Dokumente hinter ihr stehen.​
»Wie lange ist es bitte her, dass du angemessen freigemacht hast?«​
»I... Ich nehme doch ordentlich Urlaub ...«, widersprach die Gilden Angestellte und hielt sich ihren Kopf.​
Die Inspektorin seufzte, bevor sie erneut ihre Stimme erhob.​
»Du gehst also auch zu dieser Hochzeitsfeier? Die wollen dich doch sicher dabeihaben.«​
Ohne zu antworten, drehte sich die Gilden Angestellte der Elfe zu, die unmittelbar entgegnete:​
»Natürlich wollen wir das! Schließlich ist sie eine Freundin!«​
Die Gilden Angestellte kratzte sich kurz über die Wange und fing an, mit ihren Zöpfen zu spielen. Dann antwortete sie:​
»N... Nun ja ... Das ist lieb gemeint, aber ... «​
Sie wollte die Einladung zuerst ablehnen, doch dann dachte sie darüber nach, ob sie damit nicht nur der Elfe, sondern auch dem Rest von Goblin Slayers Gruppe gegenüber unhöflich wäre. Die Beamtin schielte kurz zu dem Krieger hinüber, doch natürlich konnte sie wegen seines Helms seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen.​
»Jetzt nimm dir einfach Urlaub ... «​
»Aua«, rief die Gilden Angestellte, als sie erneut vom Papierstapel der Inspektorin getroffen wurde. Die eine Beamtin kniff die Augen vor Schmerzen zusammen, während die andere breit grinste.​
»Aber, ähm, Goblin Slayer?«​
»Was denn?«​
Die Gilden Angestellte beugte sich über ihre Unterlagen, doch die Inspektorin war schneller und nahm sie ihrer Kollegin weg. Sie blätterte sie durch und fand, wie befürchtet, einige Aufträge zum Vertreiben von Goblins.​
»Aber bevor ihr gehen könnt, müsst ihr wohl noch etwas erledigen ...«​
Die Inspektorin rollte die Aufträge zusammen und reichte sie Goblin Slayer. »Sie würden meiner Kollegin sicher auch ein wenig beruhigen, wenn Sie noch ein, zwei Goblin Nester auslöschen.«​
»Selbstverständlich.«​
Ohne zu zögern, nahm der Krieger die Aufträge an. Wortlos las er sich die Schriftstücke durch und achtete dabei nicht auf die Belohnung, sondern nur auf die enthaltenen Goblin Informationen. Als er sie fertig studiert hatte, drehte er sich der Elfe zu und fragte:​
»In Ordnung?«​
Die Waldläuferin verzog sofort ihr Gesicht und ließ die Ohren hängen.​
»Keine Ahnung, was die andere sagen werden, aber ich kann jetzt schlecht ablehnen, oder?«​
»Mir egal, ob du mitkommst.«​
»Ähm, Goblin Slayer?«​
Die Priesterin runzelte ihre Stirn, als sie einschritt.​
»Ich habe es dir doch schon mehrfach gesagt: Wenn du anderen keine Wahl lässt, dann ist das keine Besprechung.«​
***
»Ngh ... A ... Aaaaah!«​
Durch eine Kapelle, die vom Sonnenuntergang blutrot gefärbt wurde, hallte der Schmerzensschrei einer Frau. Auch wenn die Goblins klein waren, gab es eine Grenze, wie viele von ihnen sich gleichzeitig an ihr vergehen konnten. Man würde denken, das Limit dafür läge bei fünf oder sechs von ihnen, jedoch wurde die auf dem Altar festgebundene Frau von weit mehr als zehn von ihnen bedrängt. Die Biester hatten ihr ihre Keuschheit geraubt und ließen nun ihre wilde Lust an ihr aus. Die Hände, die Haare, der Mund und kein anderer Teil ihres Körpers blieb unverschont.​
Die Frau trug die Überreste ihrer Reisekleidung und ihre Arme und Beine, die immer wieder aus der Gruppe von Goblins herausschauten, waren braun gebrannt und durchtrainiert. Sie hatte in einem kleinen Schriftenlager dieser Kapelle übernachten wollen, doch was das endgültige Ziel der Frau gewesen war, würde man von ihr wahrscheinlich nicht mehr erfahren können. Auch das Schriftenlager, in dem einst das Wissen der Jungfrauen, die diesen heiligen Ort als Zuflucht genutzt hatten, geruht hatte, war vollkommen verunstaltet worden. Die Goblins hatten all seine wertvollen Schätze zerstört und nutzten es jetzt als Lagerraum für die Nonnen, die durch die Folter der Bestien ihren Verstand verloren hatten. Die Reisende hatte erst viel zu spät verstanden, was an diesem Ort passiert war, und hatte versucht, sich gegen die Goblins zu wehren, doch das war ihr Ende gewesen. Die Goblins waren sich sicher, dass sie sich hatte freikämpfen wollen, doch eigentlich war es ihre Absicht gewesen, die Nonnen zu beschützen. Aber das war jetzt egal. Die Viecher hatten sie umringt, sie mit einem Schlag in die Magengrube kampfunfähig gemacht und ihr dann die Arme gebrochen. Die letzten Tage hatten die Goblins dann genutzt, um ihre Reihen mithilfe der Nonnen wieder aufzufüllen und die Reisende bei ihren grausamen Taten zuschauen zu lassen, bis sie schließlich an der Reihe gewesen war. Nie hatten sie daran gedacht, dass die Reisende weglaufen würde. Schließlich tendierten die Biester dazu, sich zu überschätzen. Im schlimmsten Fall würde vielleicht jemand ihr Treiben stören, doch um den würden sie sich dann schon kümmern.​
»GOORRIRRROG!!«
»Hrrgh! Argh ... Ga ... Ne ... Neiiin?!«​
Die Goblins glaubten fest daran, dass die Frauen dieser Kapelle vollkommene Dummköpfe waren, denn sie hatten nichts weiter als langweilige Dinge gesammelt. Sie verstanden nicht den Wert des Wissens und den Grund, warum ebenjenes hier fernab jeglicher Straßen in einem Wald versteckt worden war. Das Gebäude wurde zwar durch steinerne Verteidigungsmauern beschützt, doch die vielen Jahre hatten sie abgeschliffen und so dafür gesorgt, dass in ihnen ein Loch entstanden war.​
Dies hatten die Goblins genutzt und waren in die Anlage eingedrungen. Warum sie das getan hatten, wusste höchstwahrscheinlich selbst der Gott der Weisheit nicht, denn die Biester waren wie eine Naturgewalt und tauchten wie aus dem Nichts auf.​
»Uaaaaaargh?!«​
Während weiterhin die Schmerzensschreie der Frau durch die Kapelle hallten, saß ein Goblin gelangweilt in einer Ecke. Er hatte noch nicht mit der Frau spielen können und er fürchtete, dass er das auch nicht mehr würde tun können, wenn seine Kameraden weiter so mit ihr umsprangen. Natürlich konnte man auch noch mit einem toten Menschen Spaß haben oder ihn essen, aber es gab einige Dinge, die waren einfach besser, wenn das Opfer noch lebte.​
»Hraaaaaaaaaaagh?!«​
Einer der Goblins hatte es übertrieben und der Frau mit einem Beil einen Arm abgeschlagen.​
»GROB! GOOROORB!!«
»GOORROB!«​
Seine Kameraden verpassten ihm einen Stoß, worauf er sich entschuldigte, doch die anderen waren bereits dabei, sich über die sich vor Schmerzen windende Frau lustig zu machen. Der Goblin in der Ecke wurde nervös. Er dachte so stark nach, wie es ihm sein kleines Hirn erlaubte. Er wollte sich unbedingt vordrängeln, damit er noch drankam, bevor die Frau ihr Leben aushauchte. Als Goblin interessierte er sich zuerst für sein eigenes Wohlergehen und dann erst für das seiner Horde. Wenn ein oder zwei seiner Art sterben mussten, damit er an sein Ziel kam, war ihm das egal.​
»GROOROB!«
»GRO! GOORB!!«​
Der Goblin suchte sich wahllos einen seiner Artgenossen aus und begann, ihn anzuschreien. Er beschwerte sich, dass er die ganze Zeit Wache gehalten hatte und jetzt jemand anders an der Reihe war. Auch er wollte seinen Spaß haben. Er griff sich die Schulter eines anderen Goblins, schubste ihn weg und machte sich ans Werk.​
»Ngh ... Ah ... N ... Nein! Ich st ... er ... «
»GROB! GOOROBB!«​
Das Biest interessierte sich nicht im Geringsten für den Widerstand der Frau und seiner Kameraden. Es muss nicht erwähnt werden, was für grausame Dinge der Goblin mit der Frau vorhatte. Wichtig war nur, dass das Verhalten des Biests dafür sorgte, dass seine Kameraden abgelenkt waren.​
»GRRRRR...«​
Aus der Dunkelheit streckte sich ein Arm nach dem zurückgestoßenen Goblin aus. Er griff sich das Biest und riss seinen Kopf nach hinten.​
»B...?!«​
Noch bevor es einen Laut von sich geben konnte, war seine Kehle durchschnitten. Blubbernd quoll Blut aus der Wunde hervor, die der Goblin verzweifelt zu zupressen versuchte, doch es dauerte nicht lange, bis er an seinem eigenen Blut erstickte. Der Besitzer des Arms räumte die Leiche des Goblins weg und gab ein Handzeichen in die Dunkelheit. Er trug eine dreckige Lederrüstung und einen billigen Eisenhelm. An der Hüfte hing ein mittellanges Schwert und um seinen Arm war ein Rundschild gebunden. Es war Goblin Slayer. Auf das Zeichen des Kriegers kam als Erstes der Echsenmensch aus den Schatten hervor, gefolgt von der Elfe, der Priesterin und dem Zwerg. Sie alle bewegten sich nahezu lautlos. Der Grund dafür war, dass die Priesterin das Wunder Stille gewirkt hatte. Die Robe des Mädchens zeigte, dass die Gruppe bereits einige Goblins erledigt haben musste, denn sie war voller rot schwarzer Flecken. Es störte sich daran aber nicht und konzentrierte sich voll und ganz darauf, das Wunder aufrecht zu halten. Die Elfe sah das Ganze jedoch anders. Sie störte sich unheimlich an dem Dreck auf der Kleidung und rümpfte immer wieder angewidert ihre Nase. Warum können die Götter Geräusche vertreiben, aber nicht den Geruch und den Dreck? Die Waldläuferin warf einer Götterstatue in der Kapelle vorwurfsvolle Blicke zu. Es war ein Abbild des Gottes der Weisheit, der hoch in die Sterne schaute und dabei etwas aufschrieb. Natürlich antwortete er nicht auf die kindischen Anfragen der Elfe. Wenn wir schon deine Gläubigen für dich retten, könntest du uns wenigstens diesen Gefallen tun, dachte sich die Elfe anmaßend und spannte einen Pfeil in ihren Bogen. Die Abenteurer waren relativ problemlos bis in die Kapelle vorgedrungen. Vor ihnen befanden sich vielleicht etwas mehr als zwanzig Goblins, die gerade dabei waren, sich zu amüsieren. Diese Chance durfte nicht ungenutzt bleiben. Goblin Slayer gab schnell einige Handzeichen, welche seine Kameraden mit einem Nicken bestätigten. Als Erstes handelte der Zwerg. Er nahm einen tiefen Schluck Branntwein und prustete die Flüssigkeit in die Luft. Die Tröpfchen verteilten sich wie ein feiner Nebel.​
»Trinke und singe, Geist des Weins! Singe, tanze und schlafe ein. Zeige mir die Träume eines Betrunkenen.«​
Es war das Wunder „Trunkenheit“ und sobald die Goblins begannen, ins Taumeln zu geraten, sprang Goblin Slayer nach vorn. Rennend durchquerte er den Raum, zog dabei sein Schwert aus der Scheide und warf es. Die Klinge verließ den Wirkungsbereich von Stille und gab ein pfeifendes Geräusch von sich.​
»GOOROB! GOROOOB!!«
»GRRORB!!«​
Auch wenn die Goblins dadurch bemerkten, dass sie angegriffen wurden, war es zumindest für einen von ihnen zu spät. Er hatte bis gerade noch seine Hüfte geschwungen, doch jetzt hatte sich kalter Stahl durch seinen Schädel gebohrt. Seine dreckigen gelben Augen verdrehten sich in seinen letzten Momenten auf seltsamste Weise.​
»GOOROOROOOB?!«​
»Einer.«​
Goblin Slayer schlug mit seinem Schild einen Goblin zur Seite und griff sich ein Wiegemesser von der Hüfte des Toten. Dies rammte er gleich einem weiteren Goblin in die Kehle.​
»Zwei.«​
Der Krieger schützte sich mit seinem Schild vor dem spritzenden Blut und befreite sein Schwert aus dem Schädel der Goblin Leiche, die daraufhin auf der auf dem Altar festgebundenen Frau zusammensackte.​
»Sie lebt also noch ...«, stellte Goblin Slayer fest, als er sah, dass die Frau noch unter der Goblin Leiche zuckte.​
Sie war schwer verletzt und würde nicht mehr lange durchhalten. Der Gruppe blieb also keine Zeit. Sie mussten die restlichen Goblins schnell genug erledigen und dabei verhindern, dass jene die Frau als Schutzschild nutzten. »Beeilung!«​
»Dann werde ich jetzt loslegen!«​
»J... Ja!«​
Der Echsenmensch hob die Priesterin in die Höhe und stürmte vor. Dabei beugte er sich nach vorne, wie es für einen Menschen niemals möglich wäre, doch der Mönch konnte dank seines Schwanzes sein Gleichgewicht halten.​
»GOROOOB! GROBB!«
»GGOOORB!«​
Auch wenn die Goblins benommen waren und schwankten,​
weckte die junge Priesterin ihre Aufmerksamkeit.​
»Hajah!«​
»GOOROB?!«​
Doch der Echsenmensch würde die Biester niemals an seine Kameradin heranlassen. Er hatte zwar beide Hände voll, doch er war noch immer dazu imstande, zu zutreten und mit seinem Schwanz zuzuschlagen.​
»GROOB?!«
»GOBORB!«​
Der Mönch warf die Goblins auf den Boden und trampelte über sie hinüber und auch wenn er sie damit nicht tötete, hielt er sie so davon ab, sich an seiner Kameradin zu vergreifen. Er lieferte das Mädchen beim Altar ab und fragte dann den Krieger:​
»Soll ich dir im Nahkampf beistehen?«​
»Ja, bitte«, antwortete Goblin Slayer und vergrub das Wiegemesser in dem Schädel eines weiteren Goblins, wobei er sich gleichzeitig dessen Knüppel schnappte.​
Er würde reichen, um dem ein oder anderen Goblin den Kopf einzuschlagen.​
»Nun gut, werte Priesterin. Dann überlasse ich dir das hier«, sagte der Echsenmensch und legte seine Hände zu einem seltsamen Muster zusammen.​
»Ja, vielen Dank!«, gab das Mädchen zurück, während der Mönch bereits begonnen hatte, ein Gebet zu sprechen.​
»Sichelschwinge des Velociraptors, flieg messerscharf empor und begib dich auf die Jagd!«​
Der Reißzahn in der Hand des Echsenmenschen verwandelte sich in ein Schwert namens Scharfkralle, das dieser direkt darauf wild zu schwingen begann.​
»Hajah!«​
»GOORBGG?!!«​
Der Mönch, der genauer gesagt ein Kampfmönch war, hätte je nach Volk auch als eine Art Paladin bezeichnet werden können und im Gegensatz zu Goblin Slayer, der mit kurzen präzisen Schlägen angriff, wütete er wie ein Wirbelwind und tötete gleich mehrere Goblins.​
»Gut!«, sagte die Priesterin und fasste sich damit ein Herz.​
Sie wandte sich der festgebundenen Frau zu, die schwer keuchend auf dem Altar lag. Sie bot einen schrecklichen Anblick, doch die junge Abenteurerin behielt ihre Fassung. Egal, wie oft ich so was sehe, ich kann mich nicht daran gewöhnen. Ich will mich gar nicht daran gewöhnen, dachte sie sich und begann dann, ein Gebet zu sprechen.​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte lege deine Hände auf die Wunden dieser Person!«​
Die Götter erhörten die Bitte ihrer treuen Dienerin und gewährten ihr das Wunder Heilen. Schwaches Licht - Wasserblasen nicht unähnlich entstand und legte sich auf die Wunden der Frau. Es stoppte die Blutungen und verschloss Wunden, doch abgetrennte Körperteile konnte es nicht heilen, genauso wenig wie seelische Wunden. Nichtsdestotrotz sorgte Heilen dafür, dass die Frau fürs Erste überleben würde.​
»Goblin Slayer, ich habe sie verarztet!«​
»Okay.«​
Sofort zog der Krieger ein Ei aus seiner Tasche an der Hüfte und warf es in Richtung der noch lebenden Goblins.​
»GOOROOROB?!«
»GOOOROBOROOB??!«​
Ein unangenehmer Rauch breitete sich zwischen den Biestern aus und sie begannen zu schreien. Sie warfen sich vor Schmerzen auf den Boden und krümmten sich. In dem Ei hatte sich von Goblin Slayer angefertigtes Nervengas befunden.​
»Acht und neun!«, rief der Krieger, nachdem er einen Goblin mit dem Knüppel und einen weiteren mit einem rostigen Schwert erledigt hatte.​
»GBBB...!«
»GORBG! GGOOBBG!«​
Da innerhalb von kürzester Zeit ungefähr die Hälfte ihrer Gruppe ausgelöscht worden war, begannen die noch lebenden Goblins, panisch zu werden. Dennoch wollten sie ihre Beute nicht so einfach aufgeben. Außerdem waren da noch die Elfe und die junge Priesterin. Doch wie sollten sie den Krieger und den Mönch besiegen?​
»GROOB!«
»GORB!«​
Einige der Goblins warfen ihre Waffen weg und rannten los. Wollten sie sich neu sammeln oder vielleicht sogar fliehen? Nein. »Sie gehen sich Schilde holen!«, rief Goblin Slayer seinen Kameraden zu. Er hatte die Lage schnell durchschaut. Die Goblins rannten zu einer Steinplatte, die sie anheben wollten. Darunter befand sich das Lager, in dem sie die gebrochenen Nonnen aufbewahrten, welche sie jetzt als Schilde aus Fleisch missbrauchen wollten.​
»Verdammt! Das werde ich nicht zulassen, ihr abartigen Viecher! Klar?!«​
Die Elfe hatte jedoch keinerlei Interesse daran, die Biester gewähren zu lassen, und schoss ihnen in die Beine.​
»GROB! GROOORB?!«
»GOOROB?!«​
Fast gleichzeitig fielen die Goblins schreiend zu Boden. Normalerweise wäre es für die Elfe auch ein Leichtes gewesen, die Goblins sofort zu töten, doch sie hatte sichergehen wollen, dass sie nicht doch noch an ihre »Schilde« kamen. Da das jetzt aber kein Problem mehr war, nahm sie sich die nötige Zeit zum Zielen und erledigte sie.​
»Orcbolg! Du musst dir um mich keine Sorgen machen!«, rief die Waldläuferin.​
»Na gut. Dann werde ich die Treppe sichern«, entgegnete der Zwerg statt dem Krieger.​
Da er als Magiewirker schon seine Aufgabe erledigt hatte, war er bei der Elfe geblieben, um sie zu beschützen, doch wenn sie keine Unterstützung brauchte, würde er schauen, dass die Goblin nirgendwohin mehr flüchten konnten. Er zog seine Axt und rannte in Richtung einer Treppe. Dabei war er flinker, als sein plumper Körper vermuten ließ.​
»GOOROOB!«
»GRRRRORB!«​
Die Goblins saßen komplett in der Falle. Sie waren wie Abenteurerneulinge, die sonst so gerne von ihnen in die Zange genommen wurden. Einst war auch Goblin Slayer von ihnen in Bedrängnis gebracht worden, doch er würde nicht zulassen, dass es erneut so kam.​
»Vierzehn und fünfzehn!«​
Goblin Slayer spaltete mit einem Knüppel den Schädel eines Gegners, schnappte sich dessen Kurzspeer und rammte diesen in die Kehle eines weiteren. Der Echsenmensch tobte währenddessen wie ein Sturm durch die Biester. Ungefähr zwanzig Goblins gegen vier Silber-Rang- und einen Stahl-Rang-Abenteurer. Die Wesen des Chaos hatten von Anfang an keine Chance gehabt. Die Frage war nur gewesen, ob die Abenteurer die Geiseln würden retten können.​
***
»Dreiundzwanzig, oder?«​
Wenig später war der Kampf vorbei. Die Sonne war untergegangen und die Kapelle war äußerst dunkel. Nur hier und da spendeten einzelne Kerzen auf Kronleuchtern etwas Licht. Goblin Slayer war gerade dabei, zu überprüfen, ob alle Goblins wirklich tot waren. In jeden von ihnen stieß er noch einmal eine Waffe hinein, um zu schauen, ob sie sich nicht nur tot stellten. Nachdem er damit fertig war, stapelte er sie auf. Das Blut, die Gedärme, der Unrat und der Gestank, der mit all dem einherging - all dies war unerträglich und hatte diesem einst geweihten Ort jegliche Heiligkeit geraubt. Von den einst mehr als zwanzig Nonnen waren nur noch zehn am Leben, die der Echsenmensch jetzt nach und nach in die Kapelle trug. Die restlichen Nonnen schwammen nur noch in Einzelteilen in einem widerwärtigen Topf herum.​
»Haltet durch. Sobald der Morgen anbricht, bringen wir euch an einen sicheren Ort.«​
»Vielen Dank ... Wirklich ... «​
»Wir mögen andere Götter anbeten, aber Affen waren vielleicht auch mal Echsen. Wir sind also so etwas wie weit entfernte Geschwister.«​
»Ha ha ... Echsenmensch ... Du erzählst lustige Dinge ... «​
Sie konnten nicht verbergen, was ihnen passiert war, doch in Lumpen gehüllt fühlten sich die Nonnen gleich etwas sicherer. Die Priesterin, die sich um die Nonnen kümmerte, musste sich jedoch auf die Lippen beißen, als sie bemerkte, dass ihnen die Sehnen durchtrennt worden waren.​
»Es wird jetzt alles gut. Wir werden euch in eine Stadt bringen ... «, sagte das Mädchen, um die Nonnen aufzumuntern.​
»D... Dan ...«, wollte eine von ihnen antworten, doch die Priesterin unterbrach sie.​
»Nicht sprechen. Ihr müsst euch eure Energie aufsparen.«​
Anschließend zischte die junge Abenteurerin eifrig zwischen den Bänken hin und her und verarztete die Verletzten, so gut sie konnte. Es sind viele, dachte Goblin Slayer. Er hatte mit weniger überlebenden gerechnet. Man könnte sagen, dass die Leute dieser Kapelle Glück hatten. Entgegen der Gedanken des Kriegers war es weniger Glück gewesen, das den Nonnen das Leben gerettet hatte, sondern der Einsatz der Reisenden. Während sie verzweifelt gegen die Goblins gekämpft hatte, war eine Nonne von einer Aufgabe zurückgekehrt und hatte mitbekommen, was in der Kapelle vor sich gegangen war. Sie war geflohen und hatte sich an die Gilde der Abenteurer gewandt, die dann einen Auftrag ausgeschrieben hatte. Normalerweise dauerte es dann mehrere Tage, bis Abenteurer aufbrachen, aber Goblin Slayer und seine Leute hatten relativ schnell reagiert. So hatte noch Schlimmeres verhindert werden können.​
»Dreiundzwanzig, was ...«, sagte Goblin Slayer und warf einen blutverschmierten Kurzspeer von sich.​
Die Waffe rollte über den Boden und knallte laut gegen den Topf, in dem die Goblins ihr grausames Mahl gekocht hatten. Der Krieger griff sich ein Schwert von einer Goblin Leiche und verstaute es in der Scheide an seinem Gürtel. Dann setzte er sich polternd auf eine Bank. Er seufzte und murmelte:​
»Ohne die Geiseln und die Schriftstücke hätte ich das Gebäude einfach anzünden können.«​
»Mensch ... Wie kannst du gerade jetzt so etwas sagen?«, rief die Priesterin und kam trappelnd herbeigeeilt.​
Sie war gerade damit fertig geworden, die Verletzten notdürftig zu versorgen. Ihre Wangen waren blutverschmiert, doch sie lächelte tapfer. Da sie zwei Wunder gewirkt hatte, war sie erschöpft, doch sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.​
»Und sowieso! Feuer ist doch verboten! Das war so abgemacht!«​
Die junge Abenteurerin legte ihre Zeigefinger hinter die Ohren und tat so, als wäre sie die Elfe. Sie wollte damit wohl die Situation auflockern. Goblin Slayer, der sich nicht sicher war, ob sie ihm etwas vorspielte, musterte sie kurz und erwiderte nichts weiter als ein „Ja“. Dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Er hatte nicht vor, sich hier lange auszuruhen, er wollte sich einfach nur kurz sammeln.​
»Es war mal wieder nicht leicht ... «​
»Nun ja ...«​
Die Priesterin suchte kurz nach den passenden Worten.​
»So sind die Dinge nun mal.«​
»Ist das so?«​
»Selbst die Götter stoßen immer wieder an ihre Grenzen«, erwiderte das Mädchen und setzte sich neben seinen Kameraden, der ohne seine Lederrüstung sicherlich die Körperwärme seiner Kameradin verspürt hätte.​
»Was ist mit dieser Reisenden?«​
»Sie ist endlich eingeschlafen, aber sie hat wirklich viel Blut verloren ... Wir könnten versuchen, gleich mit ihr aufzubrechen, aber ... «​
»Dann eben morgen.«​
Sie würden also die Nacht an diesem Ort verbringen und erst am nächsten Tag aufbrechen. Vorher mussten sie aber noch einen Pferde- oder Lastenwagen besorgen, um die Frauen, die nicht gehen konnten, zu transportieren. Das waren die Gedanken, die der Priesterin als Konsequenz von Goblin Slayers Aussage durch den Kopf schossen. Der Krieger riss sie jedoch aus ihren Gedanken, indem er sagte:​
,»Ruh dich ein wenig aus.«​
»Jawohl ... «​
Die Priesterin nickte und schloss die Augen. Sie dachte nicht, dass sie wirklich würde schlafen können, aber allein die Augen zu schließen, würde ihr etwas Ruhe geben. Als Goblin Slayer spürte, dass sich ihr geringes Gewicht gegen seine Schulter lehnte, wehrte er sich nicht. Er schaute hoch und sah, dass der Echsenmensch sich ihm so leise wie möglich näherte. Als er nah genug herangekommen war, flüsterte er:​
»Diese Goblins wirkten für ihre Art sehr gewitzt.«​
»Ja, das Gefühl hatte ich auch.«​
»Wir sind seit der Geschichte mit dem Goblin Paladin nicht mehr auf welche wie sie gestoßen.«​
»Ja, das stimmt.« Der Krieger nickte.​
»Woher haben sie ihr Wissen?«​
Goblin Slayer hatte bisher immer sichergestellt, dass er alle Goblins tötete, damit sie nicht schlauer werden konnten. Aber waren genau diese vielleicht nichts weiter als das Ende ihrer Nahrungskette gewesen? Der Krieger schüttelte gedankenversunken den Kopf. Nein, das konnte nicht sein.​
»Dann muss ich mir eben auch mehr Mittel einfallen lassen ... «​
»Diese miesen Goblins haben echt keine Ahnung, was wertvoll ist ...«, meckerte der Zwerg und näherte sich seinen Kameraden.​
Er hatte ein Lager durchwühlt und war jetzt voller Staub.​
»Gab es noch unbeschadete Schriften?«, fragte der Echsenmensch höchst interessiert.​
»Ja, anscheinend war für sie nicht alles Müll.«​
Polternd stellte der Zwerg eine schwere Platte auf einer Bank ab. Sie war aus Lehm und damit sehr viel schwerer und sperriger, aber auch länger haltbar als Schriften aus Papier.​
»Wahrscheinlich konnten die Goblins sie kaum von den Bodenplatten unterscheiden«, sagte der Echsenmensch und streckte einen Finger aus. Er fuhr mit Bedacht über die Platte, doch er konnte die sehr alte Inschrift darauf nicht entziffern.​
»Kannst du sie auch nicht lesen, Schuppiger? Wie sollen wir dann herauszufinden, ob sie wirklich wertvolle Informationen erhält oder nicht?«​
»Das werden wir erst wissen, wenn sie in Ruhe untersucht wurde. Aber das ist jetzt nicht das Wichtigste.«​
»Du hast recht.«​
Goblin Slayer nickte.​
»Wie ist die Lage draußen?«​
»Das Langohr sieht sich draußen um. Da sie nachts sehen kann und sehr flink auf den Beinen ist, ist sie ideal dafür geeignet. Falls es noch weitere Goblins gibt, wird sie diese sicher entdecken«, sagte der Zwerg und reichte dem Krieger seine Flasche.​
Goblin Slayer nahm sie entgegen und schüttete sich, ohne zu zögern, einen Schluck in den Hals. Der Alkohol brannte auf dem Weg in seinen Magen und erweckte den erschöpften Geist des Kriegers wieder zum Leben. Dann schlug er seinen Kameraden vor:​
»Ihr solltet euch auch ausruhen. Schließlich habt ihr Zauber gewirkt.«​
»Das solltest du eigentlich auch, aber leider fehlt es uns an Nahkämpfern ...«, erwiderte der Zwerg, schnappte sich seine Flasche aus Goblin Slayers Händen und gönnte sich selbst einen Schluck, bevor er sie an den Echsenmenschen weitergab.​
»Oho!«​
Freudig nahm der Echsenmensch einen tiefen Schluck aus der Flasche, leckte sich mit seiner langen Zunge über die Schnauze und rülpste genüsslich.​
»Da bekommt man richtig Lust auf Käse.«​
»Aber erst wenn wir zurück sind, Schuppiger. Wir haben noch einen beschwerlichen Rückweg hinter uns zu bringen.«​
»Es sieht aber so aus, als hätten wir eine ruhige Nacht vor uns«, hallte eine Stimme durch die Kapelle. Es war die Elfe, die gerade durch die Tür hereingeschlüpft war.​
»Ich habe die Umgebung untersucht und keine frischen Spuren von Goblins gefunden.«​
»Bist du dir sicher?«, hakte Goblin Slayer nach.​
»Ja, bin ich.«​
Die Elfe kratze sich an der Wange und merkte, dass getrocknetes Blut herabfiel. Mit angewidertem Gesichtsausdruck sagte sie:​
»Wenn uns keine andere Horde auf dem Heimweg angreift, war es das für dieses Mal mit Goblins.«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayer schaute zu dem Stapel Goblin Leichen und dann zu den geretteten Frauen. Dann schüttelte er die Priesterin sanft an der Schulter. »Wach auf. Sie ist zurück.«​
»Hm ...? J... Ja!«​
Die junge Abenteurerin zitterte kurz und sprang dann auf. Sie rieb sich die Augen und versuchte dabei, ihren Verstand wieder auf Touren zu bringen. »Dann werde ich uns jetzt reinigen. Wir sind alle ziemlich ... «​
Das Mädchen verschluckte das Wort „dreckig“ und eilte stattdessen lieber mit seinem Priesterstab zu all den Frauen, die auf Bänken schliefen. Nachdem die Elfe ebenfalls dazugestoßen war, kniete es sich auf den Boden und zog den Priesterstab fest an sich heran. Dann begann es zu beten.​
»Höchst barmherzige Erdmutter, reinige uns mit deinen Händen.«​
Die Götter erhörten das Gebet des Mädchens und eine unsichtbare Hand kam aus dem Himmel herab und strich über die Haut der Frauen. Es war, als würden Federn oder Seide über ihre Körper streichen, weshalb es leicht kitzelig war, aber der Schmutz verschwand in Windeseile. Ein entspannter Gesichtsausdruck legte sich auf die Gesichter der geretteten Frauen.​
»Mhm!«​
Die Elfe streckte sich genüsslich und kniff die Augen zusammen.​
»Ich fühle mich wie frisch gebadet. Dieses Wunder hast du neu erhalten, oder? Ich muss mich für mein Gemecker wohl bei den Göttern entschuldigen.«​
»Ja. Als ich der Oberpriesterin von meinem Aufstieg zum Stahl Rang erzählte, wurde für mich eine Zeremonie abgehalten ... «​
»Aber ist das dafür nicht ein ziemlich einfaches Wunder? Gab es nichts Beeindruckenderes?«​
»Ich habe mich einfach nach den Bedürfnissen gerichtet ... «, entgegnete die Priesterin und wandte ihren Blick von der Elfe ab.​
Eigentlich bestimmten die Götter, welche Wunder ihre Anhänger erhielten, aber manchmal wurden auch die Bitten ebenjener erhört. Die Priesterin hatte sich das Wunder »Reinigung« gewünscht. Es tat nicht viel mehr, als Wesen zu reinigen, aber für Abenteurer, die ständig unterwegs waren und sich bisweilen nicht auf normale Art waschen konnten, war es ein wahrer Segen.​
Die junge Abenteurerin atmete einmal tief durch und legte die Hand auf die Brust. Sie begann darüber nachzudenken, dass sie doch irgendwie angefangen hatte, sich an Geschehnisse wie das heutige zu gewöhnen. Obwohl sie gesehen hatte, was die Goblins mit den Frauen gemacht hatten, war sie dazu imstande gewesen, den ein oder anderen Spruch zu klopfen. Natürlich ließen die Umstände das Mädchen nicht kalt, doch noch vor einem Jahr hätte es in einer Situation wie der heutigen sicherlich nicht gefasst bleiben können.​
»Es ist ein gutes Wunder«, ertönte eine tiefe Stimme, gefolgt von einer groben Hand, die sich auf die Schulter der Priesterin legte. »Wir werden es sicherlich gebrauchen können.«​
Das Gesicht der Priesterin verzog sich bei dem Gedanken, was Goblin Slayer wieder alles mit ihrer neuen Fähigkeit vorhaben könnte.​
***​
Die rote Abendsonne war dabei, am Horizont zu verschwinden, und der Westwind brachte etwas frische Luft. Die Gräser der Felder tanzten in den Windstößen und sahen dabei aus wie ein grünes Meer aus Wellen. Die Kuhhirtin genoss für kurze Zeit die frische Luft, die ihr über die Wangen strich, bevor sie sagte:​
»Na, dann kommt. Lasst uns nach Hause.«​
Die Kühe, die nach Lust und Laune auf der Wiese gegrast hatten, hoben auf den Zuruf des Mädchens ihre Köpfe und setzten sich langsam in Bewegung. Sie steuerten von selbst auf den Hof zu, weshalb die Kuhhirtin einfach nur darauf achten musste, dass es keine Ausreißer gab und dass wirklich alle von ihnen sicher ankamen. Goblin Slayer überprüfte jeden Morgen die Zäune, doch nach wie vor konnte es zu Problemen kommen. Füchse und Wölfe waren nur zwei der möglichen Angreifer, auf die sie achtgeben musste.​
»Hm ... Anscheinend sind alle da«, sagte sie, nachdem sie die Kühe durchgezählt hatte.​
Anschließend versorgte sie sie mit Futter. Ihr Kindheitsfreund war jetzt schon zwei Tage weg, doch das war nichts Besonderes. Schließlich war er Abenteurer und deshalb kam es häufiger vor, dass er mehrere Tage lang nicht nach Hause kam. Die Gefahr, dass er irgendwann gar nicht mehr zurückkehren würde, war ihr ständiger Begleiter und jedes Mal, wenn der Gedanke daran ihr durch den Kopf schoss, bekam sie schlechte Laune.​
»Deswegen ist Arbeit so wichtig. Sie ist so wichtig ... «​
Ein Windstoß wehte vorbei und brachte nicht nur den Geruch der Gräser, sondern auch den des Rauchs der Schornsteine der Stadt mit sich.​
»Hm ...«​
Doch da war noch ein weiterer Geruch. Der von rostigem Eisen. Die Kuhhirtin hatte sich über Jahre an ebenjenen gewöhnt, weshalb sie sich erwartungsvoll umdrehte. Sie sah in der Ferne einen Abenteurer in schäbiger Ausrüstung den Weg zum Hof herablaufen. Als er nahe genug gekommen war, lächelte das Mädchen und sagte: »Willkommen zurück. Bist du müde?« »Ja«, erwiderte er.​
»Ich bin wieder da.«​
Die Kuhhirtin trat näher an Goblin Slayer heran und musterte ihn genau. Er machte nicht den Anschein, verletzt worden zu sein. Erleichtert atmete sie aus.​
»Dir geht es gut, oder? Das ist schön.«​
»Ja.«​
Der Krieger nickte und setzte seinen Weg in Richtung Hof fort. Das Mädchen folgte ihm und verzog plötzlich das Gesicht.​
»Hm ...«​
Die Kuhhirtin machte sich Sorgen, ob ihr Kindheitsfreund ihren Schweiß riechen konnte. Schließlich hatte sie den ganzen Tag gearbeitet. Unauffällig roch sie an ihrer Kleidung, doch sie war sich noch immer unsicher, also fragte sie: »Sag mal: Was machen Abenteurer eigentlich, wenn sie schmutzig sind?«​
»Wenn sie Zeit haben, ziehen sie sich um und wischen sich den Körper ab. Einige verwenden aber auch Zauber und Wunder.«​
»Hm ...«​
»Da Goblins Abenteurer bisweilen auch schon nur wegen ihres Körpergeruchs entdecken, muss man immer wissen, von wo der Wind gerade weht.«​
»Ich verstehe ...«, antwortete die Kuhhirtin und schlüpfte schnell auf die andere Seite des Abenteurers.​
»Was soll das denn?«​
»Ach, gar nichts!«​
Die Kuhhirtin wedelte mit der Hand in der Luft.​
»Was ist mit dem Abendessen? Hast du ordentlich gegessen?«​
»Nein.«​
»Dann lass uns zusammen essen. Ist Eintopf in Ordnung?«​
»Ja.«​
Obwohl die Antwort Goblin Slayers gewohnt kurz gewesen war, war der Kuhhirtin nicht entgangen, dass seine Stimme sich bei dem Wort „Eintopf" ein wenig aufgehellt hatte. Sie freute sich, denn sie hatte schon alles dafür vorbereitet. Ihr schoss kurz der Gedanke durch den Kopf, dass sie ganz schön einfach gestrickt war, aber das störte sie nicht. Sie mochte es, wie es war.​
»Du bist sicher erschöpft, oder?«, erkundigte sie sich, doch erhielt keine Antwort.​
Das Mädchen störte dies jedoch nicht, denn es wusste, was das bedeutete. Nämlich, dass er verlegen war. Die junge Frau beugte sich kichernd nach vorne, um von unten einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen, doch es funktionierte nicht. Sie konnte sich jedoch vorstellen, welche Miene ihr Kindheitsfreund gerade verzog.​
»War es anstrengend?«​
»Meine Arbeit ist nie einfach ... «​
»Da hast du wohl recht.«​
Die Schatten der beiden wurden durch das Licht der Abendsonne immer länger. Die Kuhhirtin dachte daran, wie häufig die beiden schon gemeinsam diesen Weg zum Haus gegangen waren und was sich in der ganzen Zeit verändert hatte. Neben einigen Kleinigkeiten musste sie vor allem daran denken, dass sein Schatten im Vergleich zu ihrem immer länger geworden war.​
»Ach ja ..«​
»Hm?«, antwortete das Mädchen und versuchte dabei, seinen Schritt so zu verändern, dass die Schatten sich überdeckten.​
Das Ganze hatte keinen großen Sinn und sie machte es nur, weil sie sich daran erinnerte, dies als Kind häufig getan zu haben.​
»Es wird wohl eine Hochzeitsfeier stattfinden.«​
»Eine Hochzeitsfeier?«​
Plötzlich genoss Goblin Slayer wieder die volle Aufmerksamkeit der Kuhhirtin. Das Wort „Hochzeitsfeier“ kam ihr in dem Moment fast wie ein Wort aus einer fremden Sprache vor. Hochzeit, ein Ereignis, bei dem eine Person einer anderen verspricht, den Rest des Lebens mit ihr zu verbringen.​
»Wurdest du eingeladen?«, fragte sie.​
»Ja. In meiner ... «, Goblin Slayer zögerte ein wenig, bevor er das nächste Wort aussprach,»... Gruppe gibt es doch eine Elfe.«​
»Ja.«​
Die Kuhhirtin kniff leicht die Augen zusammen. Er redete von dieser meist gut gelaunten Waldläuferin.​
»Ich weiß.«​
»Ihre Schwester und ihr Cousin.«​
»Ach so.«​
»Sie meinte, dass ich dich auch einladen soll.«​
»Was denkst du?«​
»Das ist deine Entscheidung.«​
»Hm ...«​
Die Kuhhirtin war sich nicht sicher, ob sie einfach so ihre Arbeit und den Hof für den paar Tage vernachlässigen durfte. Wie zu jeder anderen Jahreszeit gab es viel zu tun, aber ... aber ... !​
Eine Hochzeitsfeier der Elfen!​
Allein bei dem Gedanken an solch eine Veranstaltung machte das Herz des Mädchens einen Sprung. Nie hätte es gedacht, dass es zu so etwas eingeladen werden würde. Dort würden Naturgeister herumtanzen. Es würde hübsche Kleider zu sehen und mysteriöse Musik zu hören geben. Und dann die wunderschöne Braut und der Bräutigam. Es würde sicher wie in einem Märchen sein. Seitdem sie auf dem Hof ihres Onkels lebte, hatte sich die Kuhhirtin nie allzu weit von hier entfernt. An das Gefühl der Vorfreude, irgendwohin zu reisen, konnte sie sich schon lange nicht mehr erinnern.​
»Ob es wohl in Ordnung ist ... ? «, murmelte das Mädchen, als würde es an etwas Verbotenes denken.​
»Soll ich versuchen, mit deinem Onkel zu reden?«​
»Ja ...«​
Hatte er gerade auf seine Art nett sein wollen, weil sie mit sich selbst haderte? Sie entschied sich, dass es so war, und freute sich darüber. Dann bemerkte sie, dass sich die Schatten der beiden, während sie geredet hatten, von selbst übereinandergelegt hatten. Vorsichtig veränderte sie ihre Position so, dass sich nur noch die Schatten ihrer Hände überdeckten.​
»Eine Hochzeit ...«​
Das Haupthaus des Hofs war mittlerweile nah, doch sie wollte noch etwas fragen.​
»Hast du schon mal an so etwas gedacht?«​
Der Krieger schwieg eine Weile, bevor er antwortete:​
»Das wäre schwierig.«​
»Ach so«, erwiderte die Kuhhirtin und schaute ihren Schatten dabei zu, wie sie Händchen hielten.​
»Aber was, wenn du mir als Kind versprochen hast, dass du mich heiraten wirst?«​
Aus dem Helm Goblin Slayers war ein leichtes Seufzen zu hören, bevor er antwortete:​
»An so ein Versprechen erinnere ich mich nicht.«​
»Ups ... Da bin ich wohl aufgeflogen, was?«​
Das Mädchen begann zu lachen, doch dachte sich dabei, dass sie es sich als Kinder hätten versprechen sollen. Die Schatten der beiden ließen sich gegenseitig los. Die Kuhhirtin hatte das Gefühl, dass der rote Abendhimmel sich für immer in ihr Gedächtnis einbrennen würde.​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Intermission XX
Weil die Frauen nur träge reagiert haben
.

»Ha ... ha ... ha ... Ah!«​
Schnaufend und taumelnd rannte sie durch eine grüne Hölle. Ihre Arme und Beine, die aus kurzer Kleidung hervorschauten, waren durch das dichte Gebüsch und Gewächs verletzt worden und an ihnen lief Blut herab. Es herrschte eine schwüle Hitze und durch das viele Laufen war sie fürchterlich durstig geworden, doch sie wusste nicht, wo sie trinkbares Wasser herbekommen sollte. Ähnlich war es mit der Nahrung. Sie kannte sich hier nicht aus und wusste nicht, was sie essen konnte und was nicht. Doch wo wir schon darüber reden, was sie nicht wusste: Sie wusste auch nicht, in welche Richtung sie laufen sollte. Sie war der Meinung, dass sie gerade nicht in Richtung Norden rannte, doch sicher war sie sich nicht. Schließlich blockierten die Baumkronen fast das gesamte Licht der Sonne. Das Rauschen der Bäume, das Rascheln von Gebüschen und die Schreie von Tieren vermischten sich zu einer wahren Flut von Lauten und sie wusste nicht, wie ihr geschah. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich auch zur Waldläuferin ausbilden lassen! Sie versuchte, sich etwas Schweiß von ihrer Stirn zu wischen, doch bereute es sofort, denn die Wunden an ihrer Hand begannen zu brennen. Wie konnte es nur so weit kommen? Sie konnte sich diese Frage stellen, so viel sie wollte, doch niemand würde ihr darauf eine Antwort geben können. Schließlich war sie von den anderen getrennt worden. Andere würden wahrscheinlich darüber lachen, was ihnen passiert war, doch ihr war natürlich nicht danach zumute.​
»Wenn ich wenigstens eine Waffe hätte.«​
Das Floß ihrer Gruppe war umgeworfen worden und als sie am Flussufer angekommen war, waren nicht nur ihre Ausrüstung, sondern auch ihre Freundinnen weg gewesen. Sie war verzweifelt, aber nicht bereit aufzugeben. Abenteurer meckerten über ihre Lage, doch sie gaben nicht auf, denn wenn sie aufgaben, war das ihr Ende. Sie hegte noch immer die Hoffnung, irgendwie ihre Freunde wiederzufinden und damit auch ihre Schwester, die die Anführerin ihrer Gruppe war. Sie war Druidin und genoss das Vertrauen aller. Außerdem wusste sie aufgrund ihrer Ausbildung, wie man mit der Natur im Einklang leben konnte. Genau, sie hatte die Natur auf ihrer Seite. Während die Frau sich dies einredete, rannte sie weiter tapfer durch den Wald. Sie fasste den Entschluss, zurück zum Fluss zu gehen und ihm zu folgen. So würden ihre Verfolger sie vielleicht einfacher finden können, doch die Chancen, ihre Freundinnen wiederzufinden, wären höher.​
»Hngh?!«​
Nachdem sie anhand des Rauschens des Wassers den Fluss wieder ausfindig gemacht hatte, musste sie einen ungewollten Schrei unterdrücken. Sie fand sich etwas unsagbar Schrecklichem gegenüber. Jemand hatte eine ganze Reihe von Personen aufgespießt. Die Pfähle waren ihnen durch den Hintern gerammt worden und schauten aus ihrem Mund wieder heraus. Es sah aus wie ein bizarres Puppenspiel.​
»Wa... Ua ... Uääärgh ...«
Die Frau konnte nicht anders, als sich zu übergeben. Der Fisch, den sie zuletzt gegessen hatte, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack, als er ihren Magen wieder verließ. Sie hätte nicht zum Fluss kommen sollen und das wurde ihr jetzt bewusst, doch es war zu spät. Längst war sie von ihnen umzingelt worden. Sie waren dabei nicht besonders geschickt vorgegangen, aber sie hatte es einfach nicht bemerkt.​

»Hil... Nei... Ah!«​
Als sie verzweifelt loszurennen versuchte, sprangen unzählige kleine Schatten in ihre Richtung. Sie wurde umgeworfen und landete mit dem Gesicht im Schlamm. Aus Angst zu ertrinken, begann sie zu zappeln, doch es hatte keinen Sinn. Gegen die Überzahl von ihnen hatte sie keine Chance. Unter wilden Beschimpfungen packten die Angreifer ihre Beine und rissen sie auseinander. Dann spürte sie, wie wild ein gebogener Holzstab in sie hineingerammt wurde. Schmerzerfüllt schrie sie auf.​
»Ar... Argh! Nein! B ... Bitte nicht! N ... Nicht so! Ich will so nicht sterben! Aaaaah!«​
Sie wusste nicht, wie es so weit hatte kommen können. Sie wusste auch nicht, dass eines der aufgespießten Wesen vor ihr einst ihre Schwester gewesen war. Es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen.​
Es wäre einfach, sich über die Frau lustig zu machen, wenn sie töricht gewesen wäre, aber sie hatte einfach nur Pech gehabt. Genau wie ihre Freundinnen und ihre Schwester.​

 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 57
Bartschneider begibt sich zum Fluss im Süden.


Die Gruppe kam unter der Plane des Pferdewagens hervor und wurde gleichzeitig von einer unheimlichen Hitze und einer Wand aus verschiedenen Lauten getroffen. Passanten, die sich unterhielten, das Rauschen der Kanäle und das Wehen des Windes. Die Kuhhirtin hatte kurz das Gefühl, auf einem Fest zu sein.​
»W... Wow ... «​
»Alles in Ordnung?«​
Das Mädchen vom Hof kam kurz ins Schwanken, doch eine weiche Hand gab ihm Halt.​
»J... Ja ...«, antwortete es und nickte der Gestalt zu, mit der es sich vor knapp einem Jahr angefreundet hatte.​
Es war die stets gut gekleidete Gilden Angestellte. Die adrette weiße Sommerkleidung, die sie heute trug, ließ sie äußerst nobel erscheinen.​
»Hier war einfach nur mehr los als erwartet.«​
»In der Hauptstadt sind sogar noch mehr Leute. Das hier ist gerade einmal der Anfang.«​
»Wie können Sie das? Mir bleibt da einfach die Luft weg ...«​
Die Beamtin antwortete mit einem Kichern und sprang vom Wagen herab. Sie sah dabei wie eine richtige Dame aus der Stadt aus. Ganz anders als ich ..., dachte sich die Kuhhirtin und seufzte.​
Sie war ein Landei und daran ließ sich nun mal nichts ändern. Sie trug zwar andere Kleidung als sonst, doch das versteckte nicht, wer sie wirklich war. Da es ihr zu peinlich gewesen wäre, erneut das Kleid ihrer Mutter anzuziehen, hatte sie sich für ein anderes Outfit entschieden.​
Gedankenversunken schritt die Kuhhirtin um den Wagen herum, um ihr Gepäck vom Wagen zu holen, doch dann ...​
»Ich mach das schon.«​
... schob sich ein Mann mit Panzerhandschuhen an ihr vorbei, griff sich die Holzkiste und hob sie vom Wagen. Es war Goblin Slayer.​
»Ruh dich etwas aus«, schob der Krieger nach.​
»Kein Problem«, entgegnete seine Kindheitsfreundin.​
»Ich bin es gewohnt, auf Pferden zu reiten, und lange Reisen mit dem Wagen kann ich auch gut ab!«​
»Gut, aber die Fracht hier ist unsere Arbeit.«​
»Hrmpf ... «, brummte die Kuhhirtin.​
»Dann lade ich halt nur meine Sachen ab.«​
»Ja.«​
Die Art, wie Goblin Slayer nickte, sorgte dafür, dass das Mädchen grinsten musste, während es seine Tasche vom Wagen zog. Es durfte zum ersten Mal beobachten, wie Goblin Slayer arbeitete, und auch wenn es nicht um das Vertreiben von Goblins ging, war es aufregend. Damit die Kuhhirtin ihm nicht in den Weg kam, ging sie an den Rand des Halteplatzes, wo sich die Gilden Angestellte zu ihr gesellte.​
»Sie sehen ihn auch so gut wie nie bei der Arbeit, oder?«​
»Normalerweise bin ich ja die ganze Zeit mit der Büroarbeit in der Gilde beschäftigt ... «​
»Ach ja ...«​
»Wobei, ein einziges Mal durfte ich ihn bereits bei seiner Arbeit beobachten. Ich dachte, mein Herz würde stehen bleiben ... «​
»Hrmpf ...«​
Während die Kuhhirtin schmollend der Gilden Angestellten zuhörte, kamen die Abenteurer mit ihren Arbeiten gut voran.​
»Meine Güte, das Ganze ist jetzt schon ein Jahr her, aber hier hat sich überhaupt nichts verändert. Als wäre nichts geschehen«, sagte der Zwerg, während er problemlos die Kisten annahm, die Goblin Slayer ihm vom Wagen reichte. Zwerge waren klein, aber dafür robust und kräftig und der Schamane war keine Ausnahme.​
»Dazu kommt, dass zwei Frauen bereits für genügend Krach sorgen, aber diesmal haben wir vier dabei. Was soll bloß aus uns werden?«​
»Ha ha ha, werter Zwerg! Es ist doch nett, von Schönheiten umgeben zu sein!«, antwortete der Echsenmensch, dessen Aufgabe es war, die Kisten auf einen Handwagen zu laden. Da er als Echsenmensch größere körperliche Stärke besaß als seine Kameraden, lud er die Kisten schneller auf, als die anderen beiden sie abladen konnten.​
»Außerdem solltest du die Organisationsfähigkeiten von Frauen nicht unterschätzen. Nicht wahr, werte Priesterin?«​
»Nein, nein. Ich habe doch nichts ... «​
»Jetzt sag doch nicht so was! Wenn du die Tafeln nicht so ordentlich eingepackt hättest, wären sie längst zerbrochen.«​
Verschämt darüber, dass sie gelobt wurde, kratzte die Priesterin sich über die Wange und entgegnete:​
»Es ist doch wirklich nichts Besonderes. Ich habe sie nur mit etwas Stroh und Sägemehl eingepackt«​
Bei der Fracht handelte es sich um die Lehmplatten, die sie vor einigen Tagen in der Kapelle gefunden hatten. Die geretteten Nonnen hatten gesagt, dass sie durch ein Wunder ausgegraben und noch nicht entschlüsselt worden waren. Da Letzteres keiner in der Grenzstadt konnte, sollten sie jetzt in die Hände von Profis kommen. Auf ihnen könnten sich Prophezeiungen, geheime Techniken oder vieles anderes befinden und weil Schriften wie diese bisweilen auch Unheil heraufbeschwören konnten, waren sie im Tempel der Stadt des Wassers besser aufgehoben.​
»Hey! Hör auf, dich zu beschweren, und arbeite ordentlich, Zwerg!«, rief die Elfe und sprang vom Wagen herunter.​
»Ich gehe jetzt ein Geschenk für meine Schwester kaufen.«​
»Ja, verdammt. Wenn es nicht auf eine Feier gehen würde, hätte ich dir längst den Hintern versohlt!«​
»Hey!«​
Schnell bedeckte die Elfe ihren Hintern und machte einen Satz zur Seite. Dann starrte sie den Zwerg wütend an. Die beiden konnten hier nur so herum scherzen, weil sie sich in der Sicherheit der Stadt des Wassers befanden. Vor einem Jahr jedoch war die Stadt alles andere als ein gefahrloser Ort gewesen. Die Priesterin kniff leicht ihre Augen zusammen. Die Erinnerungen an den Kampf gegen die Goblins unter der Stadt waren noch immer frisch. Beinahe wären sie alle gestorben. Goblin Slayer, der damals besonders schwer verletzt worden war, schaute sich ruhig um. Dann sagte er:​
»Keine Anzeichen von Goblins.«​
Es war kein schlechtes Gefühl, das positive Ergebnis seiner eigenen Taten erleben zu können. Es war ein Jahr vergangen, seitdem sie das letzte Mal hier gewesen waren, und für die Bewohner der Stadt war es ein friedliches Jahr gewesen. Reisende und Händler gingen in der Stadt ein und aus, Diener der Götter eilten umher und Familien gingen zusammen spazieren. Ritter und Magier boten ihre Dienste als Leibwächter an und Händler feilschten mit ihren Kunden. Der Kies knirschte, während junge Damen vorbeiliefen, doch nirgends waren Goblins zu sehen.​
Und dennoch bin ich hier, dachte Goblin Slayer.​
Selbst wenn er Interesse an anderen Aufträgen als dem Jagen von Goblins gehabt hatte, war er diesen bisher nie nachgegangen. Schließlich hatte er nie Zeit dafür gehabt. Diesmal jedoch hatte seine Gruppe einen einfachen Lieferauftrag angenommen, weil sie damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnten, denn von der Stadt des Wassers kam man nicht nur einfacher zum Wald der Elfen, sondern sie hatten auch einen Pferdewagen der Gilde nehmen können, um überhaupt erst die Stadt zu erreichen. Die Belohnung, die sie für den Auftrag erhalten würden, wollten sie nutzen, um einen Teil ihrer Reisekosten zu decken. Weil die vorigen Gründe aber nicht genügt hatten, um Goblin Slayer zu überreden, hatte die Gruppe noch zu bedenken gegeben, dass Goblins es vielleicht auf die Platten abgesehen haben könnten, was dann seinen Zweck erfüllt hatte.​
»Na gut. Ich werde mich bei der hiesigen Gilde vorstellen und über den erfolgreichen Abschluss des Auftrags berichten.«​
Die Gilden Angestellte hatte auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um schnell mit einem Lächeln die Führung zu übernehmen. Als Beamtin lag es ihr im Blut, Dinge zu regeln. Diesmal ging es ja nicht nur darum, einen Ort zu suchen, die Monster zu besiegen und dann wieder heimzukehren.​
»Jetzt muss noch die Fracht ausgeliefert, eine Unterkunft und ein Schiff organisiert und ein Geschenk besorgt werden. Was mag die Braut denn?«​
»Da fragst du am besten das Langohr, oder?«​
»Das stimmt wohl.«​
Die Elfe nickte dem Zwerg zuversichtlich zu und wackelte mit den Ohren. »Weil ich seit Langem mal wieder heimkehre, brauche ich auch noch etwas für meine Sippe.«​
»A... Ach, ich würde dich gerne begleiten ...«​
Schüchtern hob die Kuhhirtin ihren Arm.​
»Ich komme nur selten an solche Orte. Ich würde gerne ein wenig einkaufen gehen.«​
»Alles klar! Verlass dich auf mich!« Mit einem Rumms schlug die Elfe sich auf die Brust.​
»Ich war schon mal hier und kann dich ein wenig herumführen!«​
»Na gut. Sobald wir alles für eine Unterkunft und ein Boot geregelt haben, gesellen wir uns zu euch.«​
Der Zwerg schaute die Elfe misstrauisch an und fuhr sich dabei durch seinen Bart. »Wer weiß, was das Ambossmädchen treibt, wenn man es einfach machen lässt.«​
»Wie bitte?!«​
Mit hochgezogenen Augenbrauen ging die Elfe auf den Zwerg los, der ihr fröhlich Widerworte gab. Sie zofften sich so laut, als wollten sie gegen den Lärm der Stadt des Wassers ankämpfen. Als er merkte, wie die Passanten verwundert herüberschauten, verdrehte der Echsenmensch vergnügt die Augen. Dann sagte er zu der Elfe und der Kuhhirtin:​
»Ihr könnt mich als euren Lastenträger ansehen. Kraft habe ich mehr als genug.«​
»Es tut mir leid, dass ich euch nichts als Schwierigkeiten bereite ...«​
»Nicht doch, nicht doch«, entgegnete der Mönch dem Mädchen vom Hof.​
»Das ist doch nur ein kleiner Dank dafür, dass ich täglich diesen leckeren Käse essen darf. Mach dir also keine Gedanken.«​
»Hi hi hi, dann werde mich auch zu euch gesellen, sobald ich die Formalitäten erledigt habe.«​
Es war nicht klar, wann sie sich hinter sie gestellt hatte, aber die Gilden Angestellte legte eine Hand auf die Schulter der Kuhhirtin. Von ihr ging ein wundervoller Duft aus. Es war der Geruch eines süßen Parfüms. Dieser war nur ganz schwach, aber er bezauberte die Kuhhirtin.​
Wie schön ..., dachte sie einen Moment lang und ließ sich ihre Emotionen kurz im Gesicht ansehen.​
»Als Mädchen möchte man sich schick machen, oder?«, fragte die Gilden Angestellte mit einem frechen Grinsen.​
»Ha... ha ha ... Ja ...«, antwortete das Mädchen vom Hof und hob resignierend seine Arme.​
»Dann werde ich Ihnen beim Aussuchen helfen!«​
Die Beamtin nickte und ihr Blick wanderte weiter zur Priesterin.​
»Möchten Sie auch mitkommen? Die Kleidung beim Fest war wirklich sehr niedlich.«​
»Was?! Äh ... Nein ... So modische Kleider würden mir nicht stehen!«​
Während die Priesterin nervös versuchte, die richtigen Worte zu finden, war die Kuhhirtin schon um sie herumgelaufen und drückte die Priesterin fest an ihren üppigen Busen.​
»Nein, nein! Ich weiß doch auch nicht, ob mir so modische Kleidung steht. Du kannst dich also nicht raus reden.«​
»Ähm ... Aber bitte seid vorsichtig mit mir ... «​
Das zitternde Betteln der Priesterin erinnerte die Kuhhirtin an ein kleines Tier. Sie wollte ihr natürlich so gut es ging bei dem ganzen Vorhaben helfen, aber was modische Ratschläge anging, war sie ja selbst auf den Rat der Gilden Angestellten angewiesen. Goblin Slayer schaute den Mädchen schweigend dabei zu, wie sie sich vergnügten. Er atmete tief und entspannt aus und sagte:​
»Mit Geschenken und Kleidung kenne ich mich nicht aus.« Dann packte er den Griff des Handwagens.​
»Oho!«, rief der Echsenmensch überrascht und wedelte mit dem Schwanz. »Du willst das selbst ausliefern? Das kann doch ruhig jemand anders machen.«​
»Sollten die Platten nicht schnell überbracht werden, wenn die Goblins es auf sie abgesehen haben?«, fragte Goblin Slayer.​
»Aber ist das okay für dich?«​
»Ja.«​
Er nickte mit dem Eisenhelm.​
»Natürlich ist das okay.«​
»Hm ...«, sagte der Echsenmensch nachdenklich und stieß ein Zischen aus.​
Dann schüttelte er den Kopf.​
»Na gut. Wenn wir uns für eine Unterkunft entschieden haben, schicken wir jemanden zum Tempel.«​
»Ja, bitte«, erwiderte Goblin Slayer und ging mit dem Handwagen los.​
Als das Knarren der Räder des Karrens an die Ohren der Priesterin drang, sah sie nur noch seinen Rücken, der in der Ferne verschwand. Dem Wasserrauschen der Kanäle folgend, zog er den Handwagen die Straße entlang. Die Passanten, die an ihm vorbeiliefen, warfen dem Abenteurer skeptische Blicke zu, denn er sah wirklich schäbig aus. Wegen seiner dreckigen und billigen Ausrüstung wurde er wahrscheinlich für einen Anfänger gehalten. Und in keinem Fall würde ein Abenteurer-Veteran einen Handwagen durch die Gegend ziehen. Seine Gestalt passte nicht zu dieser schönen Stadt mit ihren Flüssen, Schiffen und den prächtigen Gebäuden.​
Goblin Slayer konnte hören, wie einige heimlich über ihn lachten, doch das spielte für ihn alles keine Rolle. Er folgte einfach weiter dem Weg, den er sich gemerkt hatte. Nach einiger Zeit erreichte er den prächtigen Tempel, den er bereits vor einem Jahr besucht hatte. Priester mit Gesetzesbüchern unter den Armen gingen beschäftigt ein und aus. Sie alle waren hier, um beim erhabenen Gott etwas zur Anklage zu bringen. Vor dem Haupteingang befand sich die Statue eines Objekts, das wie eine Mischung aus einer Waage und einem Schwert aussah, und sie glitzerte im Licht der Sonne, die längst ihren Zenit überschritten hatte. Dieser Tempel war wahrscheinlich der sicherste Ort im Grenzgebiet, doch Goblin Slayer schaute sich dennoch vorsichtig um, während er mit dem Handwagen ins Innere stapfte. Die Leute, die in der Eingangshalle auf einen Termin warteten, starrten ihn komisch an, doch Goblin Slayer ließ sich davon nicht stören. Er ging einfach tiefer in den Tempel hinein.​
»Entschuldigung, warten Sie bitte!«​
Ein junger Priester in Sandalen kam herangeeilt und versuchte, den Krieger zu stoppen. Mit einem „Hmpf“ blieb dieser stehen und sah, dass der junge Mann irgendein Gebet sprach. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Wunder wie Lügen erkennen oder Ähnliches. Schließlich waren dies gefährliche Zeiten. Der Handwagen quietschte, als Goblin Slayer anhielt.​
»Ich bin hier, um einen Auftrag zu erledigen.«​
»Was?«​
»Einen Auftrag«, wiederholte der Krieger und holte sein Gilden Abzeichen hervor. Es glitzerte in dem Licht, das durch die Fenster hereinfiel. Es war silbern und damit der Beweis für den dritthöchsten Rang.​
»Wenn du sagst, dass ich Goblin Slayer bin, dann sollte alles klar sein.«​
Leider verstand der junge Mann aber nicht sofort.​
»Warten Sie bitte einen kleinen Moment«, antwortete er und lief aufgeregt ins Innere, wobei er den Abenteurer zurückließ. Goblin Slayer beschloss, einfach zu warten. Er verschränkte die Arme und dachte darüber nach, ob alle jungen Kleriker sich immer so aufgeregt verhielten.​
Sie hat sich auch häufig so benommen ...
Nach einiger Zeit kam der junge Priester mit einer älteren Frau wieder, der Goblin Slayer das Gleiche sagte, was er auch schon dem Jungen gesagt hatte:​
»Ich bin gekommen, um einen Auftrag zu erledigen. Ich bringe Schriftstücke.«​
»Vielen Dank.«​
Die Frau lächelte und nickte mehrfach.​
»Die Erzbischöfin erwartet Sie bereits. Bitte kommen Sie.«​
»Ja.«​
Goblin Slayer setzte sich erneut in Bewegung, während der junge Priester sich bei ihm entschuldigte. Der Krieger quittierte dies nur mit einem Kopfschütteln.​
Die Frau war eine Akolythin. Sie bewegte sich anmutig, wie es sich für eine Dienerin des hiesigen Gottes gehörte. Gott regierte über das Recht, doch es wurde von den sprechenden Völkern gesprochen. So wurde es den Kindern hier beigebracht und es war an den Dienern, sich dementsprechend zu verhalten. Goblin Slayer dachte darüber nach, wie hart sie dies wohl trainierten, doch da er nicht fragen wollte, verwarf er den Gedanken wieder.​
»Sie hätten nicht warten müssen, sondern einfach durch die Hintertür kommen können«, sagte die Frau und wollte damit wohl ausdrücken, dass er als Freund der Erzbischöfin angesehen wurde.​
»Das habe ich nicht gewusst«, antwortete er in nüchternem Ton.​
»Ich entschuldige mich für die Umstände.«​
»Nein, das müssen Sie nicht. Die Erzbischöfin wird sich sicher über Ihren Besuch freuen.«​
Die Akolythin lächelte Goblin Slayer freundlich an. Dieser wiederum legte seinen Kopf schief und sagte:​
»Ich erinnere mich, dass wir uns schon mal gesehen haben.«​
»Ja, beim letzten Mal, als Sie hier waren. Sie haben der Erzbischöfin wirklich sehr geholfen.«​
»Ich habe nur einige Goblins beseitigt.«​
Die Frau war also eine direkte Gehilfin der Jungfrau des Schwertes und arbeitete als ihre Kammerdienerin. Die Erinnerungen in seinem Kopf passten folglich zusammen. Brummend fragte der Krieger:​
»Schläft sie ordentlich?«​
»Ja. Sie schläft seitdem sehr ruhig«, erklärte die Akolythin und lächelte, als würde sie über ihre eigene Tochter sprechen.​
»Aber reden Sie am besten nicht mit ihr darüber. Vielleicht ist sie sonst eingeschnappt.«​
»Okay. Aber dann ist ja alles gut.«​
Der Abenteurer und die Akolythin gingen an Gerichtssälen und Schriftlagern vorbei, bis sie schließlich im Innersten einen ruhigen Ort erreichten, der von Marmorsäulen umgeben war. Der Krieger erinnerte sich an diesen Ort. Die Sonne schien in satten Strahlen herein und es befanden sich eine Statue des erhabenen Gottes und ein Altar in dem Raum. Vor dem Altar kniete eine bildhübsche Frau im Gebet. Sie hatte einen Stab bei sich, der wie eine Mischung aus einer Waage und einem Schwert anmutete.​
»Oh ...«, rief sie freudig.​
»Du bist gekommen?«​
Die Kleidung der Erzbischöfin raschelte, als sie sich erhob. Der Verband um ihre Augen unterstrich ihre mysteriöse Schönheit und ihre Lippen glänzten im Licht. Einige hätten ihre Anziehungskraft vielleicht als verrucht beschrieben, doch es war die makellose Reinheit einer Heiligen.​
»Ihr habt keine Probleme hier?«​
»Ja, das habe ich dir zu verdanken.«​
Die Gesichtszüge der Erzbischöfin verwandelten sich zu einem entspannten Lächeln. Sie machte eine fast tänzerische Armbewegung und sagte der Akolythin damit, dass jene sie beide allein lassen sollte. Dann wandte sie sich dem Krieger zu.​
»Auch das mit der adligen Tochter.«​
»Kein Problem.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»Das alles gehört zu meiner Arbeit.«​
Die Erinnerung daran, wie der Krieger mit seiner Gruppe in die verschneiten Berge gezogen war, um dort ein Mädchen zu retten und Goblins zu bekämpfen, war noch immer frisch. Er wusste aber nicht, was danach mit dem Mädchen geschehen war. Die Priesterin und die Elfe hielten zwar Briefkontakt mit ihm, aber Goblin Slayer war nie in den Sinn gekommen, sich nach seinem Schicksal zu erkundigen.​
»Leider hat sie sich noch nicht vollständig erholt. Die Wunden sind tief und äußerst schmerzvoll ...«, antwortete die Erzbischöfin, ohne dass der Abenteurer eine Frage gestellt hatte.​
»Aber sie wird wieder auf die Beine kommen. Und das aus eigener Kraft.«​
»Ist das so?«​
»Und hast du dir Sorgen um mich gemacht?«​
»Hmpf, mir wurde bereits erzählt, dass es dir besser geht.«​
Goblin Slayer ließ den Griff des Handwagens los, sodass dieser lautstark auf dem Boden aufschlug.​
»Ich habe alte Schriften mitgebracht.«​
»Ja, das wurde mir bereits berichtet.«​
Die Erzbischöfin war enttäuscht, dass er sie nicht nach ihrem Befinden gefragt hatte, aber auch froh, dass er sich trotzdem irgendwie Gedanken um sie zu machen schien. Sie glitt über den marmornen Boden zum Handwagen hinüber und streckte ihre Hand aus, um eine der darauf liegenden Holzkisten zu berühren.​
»Könntest du sie mir öffnen?«​
»Ja.«​
Goblin Slayer zog sein Schwert, steckte die Spitze in den Spalt zwischen Deckel und Körper der Kiste und stemmte sie auf. Für die meisten Abenteurer wäre ihre Waffe für so etwas wohl zu schade gewesen, doch er war nun mal Goblin Slayer. Die Erzbischöfin, die den Krieger jetzt schon besser kannte, war deshalb auch nicht von seinem Vorgehen überrascht. Das Holz knackte und gab dann den Blick auf die in Sägespänen vergrabenen Lehmtafeln frei. Die Jungfrau des Schwertes streichelte fast liebevoll darüber.​
»Das sind sehr alte Schriftzeichen ... Es könnten Wörter voller Magie sein ...«​
Normalerweise wäre es bewundernswert gewesen, dass jemand diese Zeichen lesen konnte, doch für die Erzbischöfin mit dem Wunder „Identifikation“ war das kein Problem.​
»Steht dort auch etwas über Goblins?«​
»Wer weiß? Dafür müsste ich sie alle genauer lesen«, entgegnete die Jungfrau des Schwertes und legte dabei ihren Kopf leicht schief.​
»Ist das so? Dann habe ich kein Interesse. Behalte sie.«​
»Wir werden sie hier sicher aufbewahren.«​
Die Jungfrau des Schwertes legte eine Hand auf ihren wohlgeformten Busen und verbeugte sich tief. Sie wusste, dass es sich für die Erzbischöfin eigentlich nicht gehörte, sich vor einem normalen Abenteurer zu verbeugen, doch sie tat es trotzdem. Nachdem sie sich erhoben hatte, schaute sie auf die Lehmtafeln, als wären sie ein Geschenk.​
»Ich werde sie später ins Schriftenlager bringen.«​
»Du selbst?«​
»Sie wurden mir anvertraut und ich darf dieses Vertrauen nicht betrügen.«​
Bevor Goblin Slayer etwas entgegen konnte, trat sie nah an ihn heran und fragte:​
»Sag mal, kommst du bald wieder?«​
»Nein, wir brechen in Kürze nach Süden auf.«​
»Ach so ...«​
Nachdem sie kurz ihren Stab fester umklammert hatte, wich jetzt die Kraft aus ihren Händen. Sie verzog ihre Lippen und murmelte:​
»Du gemeiner Kerl ... Es geht aber nicht um Goblins, oder?«​
»Eine Kameradin ...«, sagte Goblin Slayer.​
»Eine Kameradin hat mich eingeladen. Ich kann nicht ablehnen.«​
»Wie gutmütig ..., entgegnete die Erzbischöfin in etwas spitzem Ton.​
»Aber man weiß nie, wo Goblins als Nächstes auftauchen werden.«​
»Das stimmt wohl.« Mit einem glockenhellen Kichern nahm die Jungfrau des Schwertes wieder etwas Abstand vom Krieger und richtete ihre Kleidung. »Seid bitte vorsichtig, wenn ihr ein Boot nehmt.«​
»Etwa Goblins?«​
»Mich haben mehrere Berichte erreicht, dass Boote auf dem Weg nach Süden gesunken sind.«​
Nachdem sie ein heiliges Symbol mit ihren Fingern geformt und ihm damit viel Glück im Kampf gewünscht hatte, nickte Goblin Slayer und stapfte fort. Er drehte sich nicht noch einmal um. Schließlich hätte sie das sicherlich nicht gewollt.​

***

»Ich habe mir das jetzt gekauft, aber kann man so etwas wirklich anziehen?«​
»Ich bin überrascht. Menschen denken sich die interessantesten Dinge aus.«​
»Das ist in der Hauptstadt gerade der letzte Schrei. Erst seit kurzer Zeit darf man dort so viel Haut zeigen.«​
»Ist meiner nicht etwas zu klein?«​
Neben dem Platschen des Wassers war die lautstarke Unterhaltung der Frauen zu hören. Goblin Slayers und die anderen waren am nächsten Tag mit einem Floß aufgebrochen. Es hatte ein weißes Segel und bewegte sich dank des Windes langsam den Strom hinauf. Zwischen der Siedlung der Elfen und der Stadt des Wassers gab es keine ordentlichen Handelsrouten. Das lag daran, dass die Waldbewohner keinerlei Interesse an den Münzen und den Waren der Menschen hatten. Daher zielten die meisten Schiffe, die stromaufwärts reisten, die Dörfer am Flussufer an, in denen daran gearbeitet wurde, den Boden dort urbar zu machen.​
»Ich hätte echt nicht gedacht, dass es am Ende ein Floß werden würde.«​
»Das konnten wir uns halt ausleihen und es tut seinen Zweck.«​
Die Gruppe hatte mit ihrem Floß schon mehrere Siedlungen passiert und die Sonne überschritt langsam ihren Zenit. Die Beschwerde gerade war vom Zwerg gekommen, der sich im letzten Dorf Brot von den Bauern gekauft hatte. Die Antwort hatte ihm Goblin Slayer gegeben, der jetzt eine mit Butter beschmierte Brotscheibe entgegennahm.​
»Bartschneider, du hast irgendwie selten etwas an der Lage auszusetzen, oder?«​
»Ist das so?«​
»Ja, ich finde schon. Hier, Schuppiger.«​
»Vielen Dank.«​
Der Echsenmensch steuerte das Floß mit einer langen Stange.​
Gerade hatte er es geschickt in einem Schleusentor zum Stehen gebracht. Da es zwischen Kanälen und Flüssen zu Höhenunterschieden kommen konnte, wurden zum Ausgleich Mechanismen wie Schleusentore eingebaut. Wenn man flussabwärts reiste, musste der Wasserstand in der Schleuse gesenkt werden. Wenn man jedoch flussaufwärts fuhr, musste der Strom mit einem Tor aufgehalten werden, um so den Wasserstand zu erhöhen. Der Echsenmensch kaute auf dem Brot herum, verdrehte die Augen und sagte:​
»Mhm ... Meine Zunge vermisst den Geschmack der Produkte jenes Bauernhofes.«​
»Ha ha ha, Schuppiger! Du hast eine verwöhnte Zunge! Wie schmeckt es dir, Bartschneider?«​
»Solange man es essen kann, reicht es mir.«​
Er blickte zu der Kuhhirtin und steckte sich durch das Visier ein Stück Brot in den Mund. Da sie ebenfalls gerade zu ihm hinüberschaute, trafen sich ihre Blicke. Der Krieger wandte seine Augen wieder ab und schaute auf seine Hände.​
»Mehr kann ich dazu nicht sagen.«​
Er machte sich wieder an die Arbeit. Bis gerade hatte er einen Ast so ausgehöhlt, dass eine tiefe Rille darin entstanden war, in der Geschosse platziert werden konnten. Jetzt machte er sich daran, diese ebenfalls selbst zu schnitzen. Immer wieder stopfte er sich dabei gelangweilt Brot in den Helm.​
»Hey, das sind doch keine Manieren«, beschwerte sich die Kuhhirtin.​
»Iss gefälligst ordentlich.«​
»Tut mir leid ... «​
Goblin Slayer schaute kurz in die Richtung seiner Kindheitsfreundin und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu. Worauf das Mädchen nur murmelte:​
»Also wirklich ...«​
Der Schamane belächelte das Verhalten der beiden und hob eines der von Goblin Slayer gefertigten Geschosse auf. Er fragte:​
»Sollen das Speere sein?«​
»Ich kann mit meinen Fähigkeiten keine Pfeile durchs Wasser schießen und Kieselsteine für meine Schleuder kann ich hier auf dem Wasser auch nicht finden.«​
Goblin Slayer hielt einen der längeren Stäbe in die Sonne und überprüfte dessen Spitze. Anscheinend war diese noch nicht zufriedenstellend, denn er begann erneut damit, an ihr herumzuschnitzen.​
»Ich muss vorbereitet sein.«​
Goblin Slayer hielt kurz inne.​
»Noch mehr als sonst.«​
»Ach ... Ich habe auch davon gehört ...«​
Mit finsterer Miene legte der Zwerg den Speer zur Seite und setzte sich im Schneidersitz hin. Er holte eine Flasche hervor, zog den Stöpsel heraus und schenkte etwas Branntwein in eine Schale, die er Goblin Slayer hinhielt. Da dieser jedoch seine Hand ablehnend durch die Luft wedelte, schüttelte der Schamane sich den Hochprozentigen selbst in den Hals.​
»Es sollen einige Schiffe untergegangen sein. Glaubst du nicht, dass es Unfälle waren?«​
»Davon gehen die meisten wahrscheinlich aus.«​
Nur die wenigsten Schiffe hier reisten stromaufwärts. Abenteurer, vereinzelte Händler, Jäger, Kräutersammler oder vielleicht Forscher wagten die Reise. Wenn die Elfen nicht den Menschen davon berichtet hätten, dass sie Reste ihrer Boote und Flöße gefunden hatten, wäre das Verschwinden dieser Menschen wahrscheinlich nie jemandem aufgefallen. Die Elfen selbst hatten dies jedoch nicht aus Gutwilligkeit berichtet. Sie hatten nur verhindern wollen, dass es nachher hieß, sie hätten die Schiffe versenkt.​
»Aber es könnten auch Goblins sein.«​
Der Krieger schielte zur Elfe hinüber, die gerade dabei war, nicht besonders würdevoll ein Stück Brot zu verspeisen.​
»Mhm! An einem Ort zu essen, an dem man noch nie war, ist echt klasse!«​
Mit einem Happs steckte sich die Elfe den Rest von ihrem Brot in den Mund und weil sie dabei aussah wie ein Eichhörnchen, musste die Priesterin kichern. Im Anschluss sagte sie:​
»Ja, da hast du recht. Weil ich so lange im Tempel gelebt habe, kann ich das gut nachvollziehen.«​
»Ich war zwar schon mal hier, aber da bin ich am Ufer entlanggelaufen und saß nicht in einem Boot. Deshalb ist es für mich doch irgendwie ein neuer Ort.«​
Die Priesterin kaute ihr Stück Brot und schluckte es herunter, bevor sie antwortete:​
»Ist das hier jener Damm?«​
»Ja, das ist er.«​
Es war schon über ein halbes Jahr vergangen, seitdem die beiden in der heißen Quelle gesessen und zusammen in den Sternenhimmel geschaut hatten.​
»Oh? Worüber redet ihr?«, fragte die Gilden Angestellte neugierig.​
Die Priesterin und die Elfe lächelten sich zu, bevor sie antworteten.​
»Wovon reden wir wohl?«​
»Ja, wovon wohl?«​
Die Geschichte war ein Geheimnis der beiden. Es war nichts Besonderes passiert, aber dieser Umstand machte sie umso bedeutender für sie. Während die Ohren der Elfe amüsiert zitterten, schaute die Gilden Angestellte sie mit grummeligem Gesichtsausdruck an.​
»Dann werde ich mich darüber wohl beim nächsten Beratungsgespräch mit euch informieren.«​
»Hey! Das ist Amtsmissbrauch, oder?«​
»Ich kümmere mich so gut um euch Abenteurer, aber immer wieder haltet ihr Dinge vor mir geheim!«​
Die Beamtin gab nicht klein bei. Sie hatte schon mit unzähligen Abenteurern über alle möglichen Dinge diskutiert und war deshalb mit allen Wassern gewaschen. Die Elfe konnte damit selbstverständlich nicht mithalten.​
»Ach, ich würde die Geschichte auch zu gerne hören!«, sagte die Kuhhirtin und klatschte ihre Hände lächelnd zusammen.​
»Ich möchte ganz viel über das Leben hier lernen!«​
»Na gut, mir bleibt wohl keine andere Wahl ... Es war, noch bevor ich Orcbolg traf ... «​
Die Elfe gab sich geschlagen und begann, die Geschichte zu erzählen. Goblin Slayer beobachtete währenddessen, wie die Frauen sich unterhielten. Die Elfe gestikulierte weitschweifig beim Reden, die Gilden Angestellte plapperte Geheimnisse der Abenteurer aus und wiederholte dabei immer wieder, dass die anderen diese nicht weitererzählen durften, und die Priesterin und die Kuhhirtin machten große Augen. Der Krieger sammelte die geschnitzten Holzspeere ein und steckte das Messer, mit dem er die Waffen geschnitzt hatte, zurück in seine Tasche. Dann sagte er:​
»Wenn sich das Schleusentor öffnet, können wir tauschen.«​
»In Ordnung«, antwortete der Echsenmensch und schlug mit dem Schwanz kräftig auf das Floß, was dieses zum Wackeln brachte. Die Frauen schrien kurz erschrocken auf.​
Kurz darauf öffnete sich die Schleuse und gab den Blick auf eine Schlucht frei, durch die der Fluss verlief.​
»W... Wow ·.•​
Wie viele Jahre hatte die Natur wohl gebraucht, um diese Landschaft zu formen? Der Fluss war wie eine Narbe der Zeit, die sich in einen Berg gefressen und so diese Schlucht geformt hatte. Dem Berg selbst wurde nachgesagt, dass er schon seit dem Zeitalter der Götter existierte. Seitdem hatte der Fluss sich immer tiefer in ihn hineingegraben. Nur wenig Sonnenlicht kam am Grund der Schlucht an, deren Wände das Plätschern des Wassers lautstark wiedergaben. Die Siedlung der Elfen wurde auch Geisterreich oder Königreich der Schatten genannt und bei diesem Anblick konnte man den Grund dafür erahnen. Dies war längst kein Gebiet der Normalsterblichen mehr.​
»Wie wundervoll!«, erhob die Kuhhirtin beeindruckt ihre Stimme und es war ihr nicht zu verübeln.​
Schließlich merkte sie, dass es viel mehr Dinge in dieser Welt gab, als sie es sich jemals hätte ausmalen können.​
»Nicht mehr lang und dann erreichen wir meine Heimat!«​
Obwohl das Floß in den Fluten schwankte, stand die Elfe auf und streckte stolz ihre flache Brust heraus.​
»Ha ha ha! Was denkt ihr? Selbst Zwerge könnten so etwas nicht erbauen, oder?«​
»Das ist das Werk der Götter, nicht das der Elfen, oder? Wir Zwerge könnten so etwas nur mit Hammer und Meißel erreichen«, antwortete der Schamane grummelig.​
»Ngh!«​
Die Ohren der Elfe stellten sich steil auf und wie immer ging sie auf den Zwerg los. Die anderen waren dieses Verhalten schon gewohnt, weshalb sie sich seelenruhig die Landschaft anschauten.​
»Oooh...«, staunte die Priesterin.​
»Das ist wirklich umwerfend.«​
»Ich habe darüber mal in den Aufzeichnungen der Gilde gelesen, doch so prächtig habe ich es mir nicht ausgemalt«, stimmte die Beamtin zu.​
»Allerdings! Das ist wahrlich beeindruckend, oder?«, fragte die Kuhhirtin und drehte sich ihrem Kindheitsfreund zu, der keinerlei Anstalten machte, zu antworten, sondern einfach nur in die Schlucht starrte.​
»Was denkst du?«, fragte er stattdessen den Echsenmenschen, während er das Floß mit dem langen Stab steuerte.​
Der Mönch legte seine Hände mysteriös zusammen und schaute sich noch einmal genau um, bevor er antwortete:​
»Hm ... Von oben oder unten.«​
»Ja.«​
»Im Gegensatz zum Meer gibt es in Flüssen zumindest keine Kraken.«​
»»Kraken? Was soll das sein?«​
»Also, höchstwahrscheinlich sind sie oben.«​
»Alles klar.«​
Die Kuhhirtin hatte Goblin Slayer noch nie wie jetzt gesehen.​
Äußerlich wirkte er wie immer, aber irgendwas war anders. Das Mädchen hielt sich die Arme vor die Brust, um sein Herzklopfen zu unterdrücken. Es machte mehrmals den Mund auf, um etwas zu sagen, doch die Elfe kam ihm zuvor. Sie rief:​
»Wartet!«​
Die Waldläuferin hatte bereits einen Pfeil in ihren Bogen gespannt, als ihre Kameraden sich in Bewegung setzten. Die Priesterin festigte ihren Griff um ihren Stab, während der Zwerg seine Hand in die Tasche mit den Katalysatoren steckte. Der Echsenmensch holte einige Fangzähne hervor und Goblin Slayer senkte seinen Körperschwerpunkt, während er weiterhin seinen langen Stab festhielt.​
»Wir sollten das Segel einholen! Hilf mir mal kurz!«​
»Äh, ja! Natürlich!«​
Auf die Aufforderung des Zwerges, der mit halb zugekniffenen Augen zur Sonne hochschaute, kam die Priesterin schnell heran gelaufen und griff zusammen mit dem Schamanen nach dem Segel. Goblin Slayer wandte sich währenddessen den beiden Frauen zu.​
»Legt euch hin und wickelt euch etwas um den Kopf.«​
»J... Ja! In Ordnung!«, antwortete die Kuhhirtin aufgeregt und zog eine Decke aus dem Gepäck hervor.​
»Hier drüben ... Beeilung!«, rief die Gilden Angestellte und nahm sich ebenfalls eine Decke.​
Die beiden Frauen rückten nah zusammen, während sie sich in ihre Decken einhüllten, und konnten das leichte Zittern der jeweils anderen spüren. Oder war es vielleicht doch nur ihr eigenes? Sie wussten es nicht und genau deshalb hielten sie sich fest an den Händen. Als würde er die beiden abschirmen wollen, baute sich der Echsenmensch würdevoll vor ihnen auf.​
»Sie sind auf den Vorsprüngen!«​
»Sie kommen! Es sind viele!«​
Die Elfe zog die Sehne ihres Bogens zurück. Um kein Geräusch zu verpassen, zuckten ihre Ohren immer wieder. Im nächsten Moment erfüllte Wolfsgeheul die Schlucht.​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde!«​
Die Priesterin sprach ein Gebet und weil die Erdmutter niemals eine fromme Gläubige wie sie im Stich lassen würde, entstand ein unsichtbares Kraftfeld über dem Floß. Die herabstürzenden Steine und Hölzer prallten daran ab und fielen ins Wasser.​
»W... Wenn es so weitergeht, werden wir ...«, murmelte die Priesterin.​
Direkt darauf zischte ein Pfeil vorbei und ließ sie zusammenzucken.​
Was sich dort auf den Felsvorsprüngen befand, verfügte offensichtlich über Intelligenz, allerdings waren derzeit nur schwarze Schatten zu erkennen. Die Elfe kniete sich hin und schaute konzentriert in die Höhe. Sie vernahm das Heulen von Tieren. Ein Ächzen. Schritte, aber kein Hufgetrappel. Sie hatte solche Laute schon mal gehört. Sie wusste, womit sie es zu tun hatten.​
»Goblin Reiter?!«​
Obwohl sie nur einen flüchtigen Blick auf eine der bösartigen Fratzen hatte werfen können, schrie die Elfe plötzlich auf.​
»Ich dachte, das hier ist deine Heimat!«, brüllte der Zwerg zurück.​
»Davon wusste ich nichts!«​
»Also doch Goblins«, sagte Goblin Slayer emotionslos und warf dem Echsenmenschen den langen Stab zu.​
»Übernimm du das Lenken des Floßes.«​
»Verstanden!«​
Weil er nichts besaß, womit er Gegner aus der Ferne bekämpfen konnte, hatte Goblin Slayer sich entschieden, dass der Mönch das Steuer übernehmen sollte. Der Echsenmensch stieß den Stab mit ganzer Kraft auf den Grund des Flusses.​
»Diese miesen ...«​
Obwohl das Floß durch das kraftvolle Voran stoßen des Mönches wackelte, blieb die Elfe in eleganter Haltung stehen, zog die Sehne zurück und feuerte einen Pfeil ab. Er flog durch das Wunder der Priesterin hindurch und hoch in die Luft, um dann herabfallend hinter dem Felsvorsprung zu verschwinden.​
»GORRB?!«​
Einen kurzen Augenblick später fiel ein Goblin von seinem Reittier und in die Schlucht hinab. Er schlug zweimal gegen die Felswand, bevor er mit einem klatschenden Geräusch auf dem Floß der Gruppe landete.​
»Ah?!«
»Uwah?!«​
Die Gilden Angestellte und die Kuhhirtin schrien unter ihren Decken. Aus dem aufgeplatzten Schädel des mittlerweile toten Goblins floss dunkelrotes Blut heraus. Die beiden mochten noch so viel Spaß mit den Heldengeschichten haben, die ihnen ständig erzählt wurden, aber direkt mit dem Tod konfrontiert zu werden, war immer etwas anderes, als nur darüber zu hören.​
»Was ist?«, fragte Goblin Slayer und zog den Pfeil aus dem Kadaver heraus. Danach trat er ihn ins Wasser, wo er mit einem Blubbern versank.​
Die Kuhhirtin hielt die Hand der Gilden Angestellten fest umklammert, während sie antwortete:​
»A... Alles in Ordnung!«​
»Dann ist ja gut.«​
Der Krieger warf der Elfe den herausgezogenen Pfeil zu.​
»Ich weiß nicht, ob wir sie alle erledigt kriegen. Lockere einige der Pfeilspitzen.«​
»Das ist mal wieder echt hinterlistig von dir ...«, antwortete die Waldläuferin, während sie an der Spitze des Pfeils zu drehen begann.​
Eine abgebrochene Pfeilspitze konnte für Entzündungen und Krankheiten bei dem getroffenen Goblin sorgen, die sich dann auf die anderen Goblins übertrugen. Es war einer von Goblin Slayers Tricks, die die Elfe alle nicht sonderlich mochte.​
»Dann wollen wir mal!«​
Die Elfe schoss in schneller Abfolge drei Pfeile ab, die in hohem Bogen hinter dem Felsvorsprung verschwanden. Es ertönten drei Schreie, doch keiner der Goblins fiel herunter. Die Elfe schnalzte enttäuscht mit der Zunge, während der Krieger zu einem der Speere griff und ihn in dem ausgehöhlten Ast platzierte.​
»Oho«, rief der Echsenmensch.​
»Ist das etwa eine Speerschleuder?«​
»Du weißt, was das ist?«​
»In meiner Heimat wird so etwas häufig von Kriegern eingesetzt.«​
Echsenmenschen bevorzugten den Nahkampf und das Werfen war eher etwas, was die Menschen gut beherrschten. Die Rhea waren auch nicht schlecht darin, doch ihr Volk gehörte nicht zu denen, die besonders gerne Schlachten austrugen. Zwerge setzten in der Gruppe zwar immer wieder Schleudern ein, doch ihre Vorlieben waren die Magie und ihre kleinen Äxte.​
»Wirst du sie damit erreichen?«, fragte der Zwerg skeptisch.​
»Ohne Probleme«, antwortete Goblin Slayer emotionslos.​
»Na dann ...«​
Der Zwerg zog aus der Tasche mit Katalysatoren ein Fläschchen mit einem Pfirsichfarbenen Trank hervor und trank es in einem Zug aus. Dann begann er, einen Zauber zu wirken.​
»Es ist Zeit für ein Fest, Undine. Komm und tanz nach Belieben umher!«​
Augenblicklich entstand in der Gischt des Flusswassers eine Gestalt in der Form einer Frau, die den Strom des Flusses umkehrte und somit das Floß beschleunigte. Es war der Zauber „Geisterkontrolle“.​
»Ich beherrsche diesen Zauber nur begrenzt«, rief der Zwerg und starrte auf die Wasseroberfläche.​
»Ich kann uns damit nur ein wenig beschleunigen.«​
»Das reicht schon«, sagte Goblin Slayer und schleuderte einen Speer in die Höhe.​
Wie schon der Pfeil der Elfe stieg er in die Luft, um dann herabzufallen. Ein Schrei ertönte. Dieser stammte jedoch von keinem Goblin, sondern von einem ihrer Wölfe.​
»Das passiert, wenn man sich auf sein Glück verlässt«, sagte Goblin Slayer in fast angewidertem Ton und legte den nächsten Speer in seine Apparatur.​
»Wir wissen nicht, mit wie vielen Goblins wir es zu tun haben, und können sie wahrscheinlich nicht alle töten.«​
»Werter Goblintöter, wollen wir uns nicht erst einmal darauf konzentrieren, zu entkommen, anstatt uns vorzunehmen, alle Goblins zu töten?«, fragte der Echsenmensch.​
»Das gefällt mir gar nicht«, entgegnete der Krieger und schleuderte den nächsten Speer.​
Er verschwand hinter dem Vorsprung und ein weiterer Schrei ertönte.​
»GOOORARB...Platsch!«​
Ein Goblin stürzte die Schlucht hinab und starb, als er flach auf dem Wasser aufschlug.​
»Was unser Ziel ist, können wir besprechen, wenn wir hier raus sind.«​
Das waren zwei. Goblin Slayer griff sich den nächsten Speer.​
»Wie sieht es mit unserer Verteidigung aus?«​
»Das ... Wunder ... hält noch!«, antwortete die Priesterin, während sie tapfer den Stab in die Höhe hielt.​
Das Mädchen war in diesem Moment für die Verteidigung der ganzen Gruppe verantwortlich. Götter schenkten einem Wunder, doch sie hielten nur so lange, wie der Betende Kraft hatte. Die Goblins schmissen unaufhörlich Dinge auf die Gruppe herab, weshalb das Mädchen keuchte und wacklige Knie bekam, doch da es inzwischen drei Wunder an einem Tag wirken konnte, bestand kein Zweifel an seiner außerordentlichen Begabung.​
»Hah ... Hah ...!«​
Dennoch würde sie Schutzwall nicht mehr allzu lang aufrechterhalten können. Als sie ungewollt tief ausatmete, merkte sie, wie sich der heilige Schutz langsam aufzulösen begann. Sie versuchte, ihr Keuchen unter Kontrolle zu bekommen, und rief:​
»Ich werde es noch einmal wirken! Ich brauche etwas Zeit!«​
»Bitte.«​
Goblin Slayer begann damit, einzelne Geschosse der Gegner, die durch Löcher des Wunders hereingeflogen kamen, abzuwehren. Es waren Zweige, Steine und hin und wieder auch Pfeile. Immer wieder traf eines der Geschosse mit voller Wucht das Floß und ließ es noch mehr wackeln, als es das eh schon tat.​
»Hm!«​
Der Echsenmensch gab sein Bestes, um das Floß jedes Mal schnell wieder unter Kontrolle zu bringen, aber dennoch schwappte immer wieder Wasser über das Gefährt.​
»Uwa ... Pf!«
»Ngh!«​
Die Kuhhirtin und die Gilden Angestellte schrien auf, als sie von einem Schwall Wasser erwischt wurden. Wenn sie sich nicht aneinander festgehalten hätten, wären sie sicher vor Schreck in den Fluss gefallen. Weil Goblin Slayer zu ihnen herüberblickte, gab die Beamtin ihm ein Handzeichen, dass alles in Ordnung war.​
Im nächsten Moment merkte sie, dass Gerümpel auf dem Floß lag, das die Goblins nicht herabgeworfen hatten. Sie schaute sich​
um und sah, dass alle möglichen Dinge im Fluss auf sie zutrieben, darunter auch Holzreste und einige unbeschadete Fässer.​
»Hm?!«​
Der Echsenmensch versuchte, den heran schwimmenden Gegenständen bestmöglich auszuweichen, doch konnte trotzdem nicht verhindern, dass sie mit einigen von ihnen zusammenstießen. So kam es erneut dazu, dass Wasser über das Floß schoss und die Abenteurer pitschnass machte.​
»Ah ...«​
Plötzlich sah die Gilden Angestellte etwas Fürchterliches. Im Wasser schwamm etwas Weißes vorbei - ein menschlicher Schädel. Mit zitternden Fingern fasste sie nach ihm, doch bevor sie ihn greifen konnte, war er schon verschwunden. Geistesabwesend schaute sie ihm hinterher, doch bemerkte dann, dass sie auf ein Bündel aus Gerümpel zutrieben, das mit einem Seil verbunden war. Mit zitternder Stimme rief sie:​
»Das könnte gefährlich werden. Sie wollen unser Floß versenken!«​
»GRRROB! GOORRB!«
»GROBR!! GOOORRRB!!«​
Das keckernde Gelächter der Goblins wurde von den Felswänden der Schlucht reflektiert und hüllte die Gruppe ein. Warum sollten die Biester gegen die Abenteurer kämpfen, wenn es auch reichte, das Floß umzukippen oder zu versenken? Dann könnten sie einfach zuschauen, wie einige von ihnen ertranken, und die überlebenden anschließend aus dem Wasser fischen, um mit ihnen zu spielen und sie dann umzubringen. So hatten sie es schließlich auch schon mit den vorigen Booten gemacht.​
»Ach, verdammt! Haltet euer Maul! Ihr nervt!«​
Wütend trat die Elfe Trümmer vom Boot. Der Zwerg war ebenfalls alles andere als erfreut über den Verlauf der Dinge. Er formte komplizierte Symbole mit seinen Fingern und rief:​
»Ich werde mich mit Undine um die Sachen auf dem Deck kümmern, also schieß du mit deinem Bogen oder so, Langohr!«​
»Was meinst du mit oder so? Ich habe meinen Bogen! Sonst nichts!«​
Plantschend tanzte die schöne Undine auf dem Deck des Floßes und wischte mit einer fließenden Bewegung alles ins Wasser, was die Goblins auf das Gefährt geworfen hatten. Dadurch wurden alle aus der Gruppe nur noch nasser, aber zumindest war das Floß so wieder leichter zu kontrollieren. Nichtsdestotrotz war es zu früh, um durchzuatmen. Sie steuerten noch immer auf zahlreiche Hindernisse im Wasser zu und die würden das Floß leicht umstoßen können.​
»Haben sie durch die Schleuse vielleicht was gelernt?«, murmelte Goblin Slayer und schleuderte den dritten Speer.​
Da es keinen Schrei zu hören gab, schaute er gar nicht erst, ob etwas zu ihnen herabfiel. Sie waren inmitten einer Schlucht auf einem Floß. Es gab keine Decke, aber dennoch fühlte Goblin Slayer sich, als seien sie mitten in ein Goblin Nest hinein gestolpert. Der Krieger stieß ein tiefes Stöhnen aus, während er die Pfeile, die in seinem Schild steckten, mit seinem Holzspeer abbrach.​
»Höchst barmherzige Erdmutter ... «​
Die Priesterin war sich der Gefährlichkeit der Situation genauso bewusst wie ihr Kamerad. Sie zitterte und ihr wackelten die Knie. Ihre Sicht war verschwommen, ihr war schwindelig und sie musste sich fürchterlich anstrengen, um nicht den Priesterstab fallen zu lassen. Dennoch fragte sie sich, ob sie nicht noch etwas anderes tun konnte, als einfach nur Schutzwall zu wirken. Ihre Zähne klapperten, weshalb sie sie fest zusammenbiss. Erinnerungen kamen in ihr hoch. Sie schloss die Augen und schüttelte ihren Kopf, um sie zu vertreiben.​
»Ah!«​
In diesem Moment hatte sie eine Eingebung. Die Priesterin öffnete die Augen und sprach mit zitternden Lippen ein Gebet.​
»Höchst barmherzige Erdmutter, reinige uns mit deinen Händen.«​
Die Erdmutter streckte ihre Arme aus dem Himmel herab, strich mit ihnen durch den Fluss und reinigte ihn. Aller Schmutz und Dreck verschwand und mit ihnen auch die Objekte, die die Goblins ins Wasser geworfen hatten.​
»Wow...«​
Die Ohren der Elfe zitterten, während sie mehrfach blinzelte. Sie hätte nicht gedacht, dass das Wunder zu so etwas fähig wäre.​
»Manchmal machst du echt beeindruckende Dinge.«​
»Das war nicht ich, sondern die Erdmutter, aber ich bin trotzdem etwas erschöpft ...«​
Die Priesterin schwankte. Sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen.​
»Bitte ... macht jetzt schnell!«​
»GRRR?!«
»GOORB?!«​
Die Goblins waren in Aufruhr. Die Falle, die sie vorbereitet hatten, war plötzlich verschwunden. Ihre verwirrten Schreie halten durch die Schlucht. Goblin Slayer würde sich diese Chance natürlich nicht entgehen lassen. Ein Goblin, der neugierig seinen Kopf herausstreckte, wurde sofort von einem Speer des Kriegers getötet. Die Leiche fiel in den Fluss und verschwand durch die Kraft der Erdmutter.​
»Wir werden sie irgendwann in ihrem Nest aufspüren und auslöschen müssen«, kündigte Goblin Slayer an.​
»Aber jetzt bist du dran, Mönch.«​
»Verstanden!« Während er weiterhin das Floß so schnell wie möglich vorantrieb, riss der Echsenmensch sein Maul auf und holte tief Luft. Dann brüllte er:​
»Oh, ehrfürchtiger Tyrannosaurus, Herrscher der Kreidezeit! Leih mir bitte deinen Einfluss!«​
Der Mönch hatte Drachenbrüllen gewirkt und seine mächtigen Schreie hallten von den Wänden der Schlucht wider.​
»GOORBGROB?!«
»GRORB!!«​
Die Goblins versuchten verzweifelt, ihre Reittiere zu beruhigen, doch diese hatten viel zu viel Angst vor dem Gebrüll des Nachfahren der Drachen. Sie rannten wild los und stifteten damit Chaos in den Reihen der kleinen Biester, die direkt darauf auch Reißaus nahmen. Die Abenteurer hielten einen Moment den Atem an und schauten hoch zu den Felsvorsprüngen, doch außer dem Plätschern des Flusses war nun nichts mehr zu hören. Je weiter sich das Floß durch die Schlucht schob, desto wärmer wurde der Wind, der der Gruppe entgegenwehte, bis sie schließlich die Schlucht hinter sich ließen und die Felswände riesigen uralten Bäumen wichen. Die Priesterin sprach ein Totengebet. Endlich hatten sie das Gebiet der Elfen erreicht.​
***
Knisternd erhoben sich die Feuerfunken des Lagerfeuers in den tiefroten Himmel. Es war kurz nach ihrer Durchquerung der Schlucht. Die Sonne hatte längst den Zenit überschritten und war dabei, weit hinter den Bäumen unterzugehen. Die Gruppe hatte sich auf Rat der Elfe dazu entschlossen, die Nacht hier zu verbringen, anstatt die Siedlung der Elfen in einem Gewaltmarsch anzusteuern.​
»Ich hätte nicht erwartet, dass wir sie jetzt anziehen würden.«​
»Hätte ich gewusst, dass wir so nass werden, hätten wir das gleich tun sollen.«​
»Hi hi hi, aber ohne solch eine Gelegenheit würde man sie ja nie tragen. Ach ... Wisst ihr, wie man sie anzieht?«​
»Ja, alles gut. Kein Problem. Ich weiß zwar nicht, was der Sinn dahinter sein soll, aber na gut.«​
Die Frauen waren gerade dabei, sich hinter Decken, die zwischen den Bäumen aufgespannt waren, umzuziehen, wobei sie sich ungewöhnlich laut verhielten. Nach einer Weile wurden die Decken heruntergelassen und dahinter kamen die vier jungen Frauen in Badeanzügen zum Vorschein.​
»Ich kann nicht verstehen, wieso man beim Baden Kleidung tragen sollte. Darf ich das wieder ausziehen?«, fragte die Elfe und spielte dabei mit ihren Haaren.​
Als er die Frauen sah, verdrehte der Echsenmensch seine Augen und erhob die Stimme:​
»Ich verstehe den Reiz von Haut ohne Schuppen nicht, aber diese Kleidung finde ich nicht übel.«​
»Ist das so? Na dann ...«, antwortete die Waldläuferin und nickte leicht.​
Der Zwerg, der normalerweise immer dumme Sprüche klopfte, schnaufte nur durch die Nase und sagte:​
»Ich muss wohl nicht extra erwähnen, was ich vom Aussehen der Elfe halte.«​
»Ja, oder? Ich bin etwas neidisch auf sie ...«, sagte die Gilden Angestellte .​
Sie legte eine Hand an die Wange und seufzte. Sie kam aus einer guten Familie und war deshalb dazu erzogen worden, nicht unnötig Haut zu zeigen, doch es war ihr in diesem Moment nicht peinlich, angesehen zu werden. Bei der Priesterin, die sich hinter ihr versteckte, war es jedoch ganz anders.​
»Äh...«​
Auch wenn ihr Badeanzug sich nicht sonderlich von dem Outfit unterschied, das sie während des Erntefests getragen hatte, schämte sie sich unheimlich. Vielleicht lag es daran, dass sie ihren Körper mit dem der anderen Frauen verglich. Zumindest war die Hexe nicht hier, die sie heimlich bewunderte. Sie wünschte sich, irgendwann wie sie sein zu können.​
»Keine Angst. Alles gut«, sagte die Kuhhirtin und klopfte der Priesterin lachend auf die Schulter.​
Auf sie wirkte der zarte Körper der jungen Abenteurerin, die für sie wie eine kleine Schwester war, äußerst niedlich. Sie selbst erledigte aber den ganzen Tag lang körperliche Arbeit, weshalb sie das Gefühl hatte, dass ihr Körper zu muskulös war. Sie schaute an sich herunter und fragte:​
»Wie steht es mir?«​
»Ich habe von so etwas keine Ahnung, erwiderte Goblin Slayer und steckte seine restlichen Speere in den Boden.​
»Aber ich finde, dass es dir gut steht.«​
»Meine Güte ...«, seufzte das Mädchen vom Hof.​
Obwohl es lächelte, musste es seinen Kindheitsfreund belehren.​
»Du solltest dir zumindest ein wenig Mühe geben, die Gefühle von uns Frauen zu verstehen.«​
»Ist das so?«​
»Ich finde, dass Goblin Slayer so bleiben kann, wie er ist«, meldete sich die Gilden Angestellte zu Wort. Auch wenn er ihr ruhig mehr Aufmerksamkeit schenken könnte, sorgte er so schon immer wieder dafür, dass ihr Herz Sprünge machte. Dieses Verhalten passt zu ihm. Es wäre komisch, wenn er jetzt einfach freundlich wäre.​
»A... Aber ist es nicht peinlich, wenn jemand einen anstarrt?«, fragte die Priesterin und dachte sich, dass es deshalb gut war, dass Goblin Slayer so wenig Interesse zeigte.​
»Wollen wir vielleicht ein paar Fische im Fluss fangen?«, fragte die Elfe mit dem Hintergedanken, die Priesterin ein wenig auf andere Gedanken zu bringen.​
»Ja.«​
»Ich werde sie zwar nicht essen, aber dann machen wir das wohl.«​
Die Elfe lief ins Wasser und fing an, mit ihren Füßen die anderen Frauen mit Wasser zu bespritzen, wobei sie fröhlich mit den Ohren wackelte. Der Echsenmensch schaute seinen weiblichen Reisebegleitern dabei zu, wie sie sich quietschend amüsierten, und nickte. Dann wandte er sich ab und sagte:​
»Ich denke, dass diese ausreichen werden.«​
Er trug einen Haufen aus großen Blättern in seinen Armen.​
»Wir sollten schnell alles vorbereiten, bald wird die Nacht anbrechen.«​
»Verstanden«, erwiderte Goblin Slayer und stand auf.​
»Wir sollten mit dem Boden beginnen.«​
Die Arbeit war simpel: Goblin Slayer hatte bereits Pfeiler in den Boden gerammt, um sie für einen erhöhten Unterschlupf zu nutzen. Sie würden Querhölzer zwischen ihnen hindurch stecken und diese dann befestigen. Anschließend würden sie darüber ein Dach aus Stöcken und Blättern bauen. Es würde nichts Besonderes werden, aber es wäre äußerst töricht gewesen, in einem Gebiet wie diesem auf dem Boden zu schlafen.​
»Dennoch ...«, murmelte der Zwerg, während er zu den Frauen herüberschaute, die freudig im Wasser herum quiekten.​
Da es ihm an Größe gefehlt hatte, war ihm überlassen worden, sich um ein Feuer zum Kochen zu kümmern, und auch wenn es niemanden gab, der sich so gut mit Feuer auskannte wie die Zwerge, kam er nicht gegen den Schutz der hiesigen Naturgeister an. Deshalb zog er einen flachen Stein aus seiner Brusttasche und wirkte einen Zauber.​
»Tanz, Salamander! Ja, tanz! Teil das Feuer an deinem Schwanz!«​
Der Stein in seiner Hand begann zu glühen.​
»Ist es nicht etwas unachtsam, die Mädchen einfach spielen zu lassen?«​
»Es reicht, wenn ich wachsam bleibe«, sagte Goblin Slayer, nachdem er die Querhölzer für den Unterschlupf der Männer fertig hatte, und sich denen des Unterschlupfs der Frauen zuwandte.​
»Und ich möchte, dass sie sich etwas entspannen.«​
Während er seiner Arbeit nachging, ließ er seinen Blick über die Frauen schweifen. Da waren die Kuhhirtin, die Gilden Angestellte , die Priesterin und die Elfe. Sie alle jagten aufgeregt nach Fischen. Der Krieger stieß ein tiefes Brummen aus.​
»Das hier ist schließlich die Heimat der Elfe.«​
»Ha ha ha, bis gerade ging es ja noch wild her. Ich werde mir von nun an mehr Mühe geben, sie ordentlich zu beschützen!« Der Echsenmensch lachte und fletschte dabei die Reißzähne.​
»Werter Goblintöter, irgendwie erinnerst du mich an den Maiasaura.«​
»Was?«​
»Damit will ich sagen, dass du nicht so aussiehst, aber sehr auf andere Rücksicht nimmst.«​
»Und?« Goblin Slayer seufzte.​
»Ist das so besonders?«​
»Wie Mithril scheinst du deinen eigenen Wert nicht zu erkennen«, sagte der Zwerg, während er schnell einige Zweige über den heißen Stein legte.​
Sofort fingen sie Feuer. Der Schamane griff sich einen brennenden Zweig und zeigte damit grinsend auf die Elfe.​
»Schau dir sie doch mal an.«​
Die Waldläuferin steckte gerade beide Arme ins Wasser, um einen Fisch zu fangen. Sie riss sie wieder hoch und spritzte dabei die Priesterin komplett nass. Weil das Mädchen laut aufschrie, musste die Kuhhirtin lachen, was die Gilden Angestellte nutzte, um ihrerseits das Mädchen vom Hof abzuspritzen.​
»Sie vergisst glaube ich immer wieder, dass sie eine Hochelfe ist.«​
»Da wir uns hier im Gebiet der Elfen befinden«, sagte der Echsenmensch und setzte sich im Schneidersitz neben den Zwerg, »werden die kleinen Teufel uns sicher nicht so einfach angreifen.«​
»Meinst du?«​
Goblin Slayer setzte sich zu den anderen beiden ans Feuer. Er klopfte sich den Dreck von den Händen. »Das habe ich bis vorhin auch gedacht.«​
»Ach wirklich?«​
Der Zwerg schaute ihn mit halb zugekniffenen Augen an und zuckte mit den Schultern. Dann holte er seine Flasche hervor und schüttete etwas Alkohol in ein Schälchen, das er dem Krieger hinhielt.​
»Gönne dir erst einmal einen Schluck, aber pass auf, dass du nicht betrunken wirst.«​
Goblin Slayer schaute erst die Trinkschale und dann den Zwerg an. Dann richtete er seinen Blick auf die Frauen. Die Kuhhirtin bemerkte das und winkte ihm zu. Als er das sah, nickte er.​
»Ja.«​
»Wir haben genug!«, rief die Elfe ein wenig später und die Frauen gesellten sich freudig zu den Männern.​
Sie hatten insgesamt sieben Fische gefangen, die der Zwerg aufspießte und übers Feuer hängte. Zusammen wartete die Gruppe darauf, dass sie sie essen konnten, wobei die Frauen lediglich in Decken gehüllt waren. Das lag nicht nur daran, dass sie sich an die Badeanzüge gewöhnt hatten, sondern auch daran, dass ihre Kleidung noch nicht getrocknet war und sie sich ihre Ersatzkleidung aufheben wollten. Deshalb hatten sie nur ihre Körper abgetrocknet und sich das Wasser aus den Haaren gewrungen, bevor sie sich gesetzt hatten.​
»Hauptsache, es geht allen gut, sagte der Zwerg und holte mehrere kleine Behältnisse aus seiner Tasche mit Katalysatoren.​
Er öffnete sie, roch kurz an ihnen und verteilte kleine Prisen von deren Inhalt über den Fischen. Kurz darauf begann das Fett, knisternd aus ihnen herauszutropfen. Mit den Worten​
»Ich glaube, es ist so weit« verteilte der Zwerg die Fische.​
Die Elfe nahm einen der Fische entgegen und roch an ihm.​
Auch wenn ihr der Geruch gefiel, sagte sie:​
»Ich kann das nicht essen.«​
»Das ist für die gute Stimmung. Behalte ihn einfach, bis ihn jemand anderes isst.«​
»Hm ...«​
Die Waldläuferin ließ die Ohren hängen und schaute in die weißen leblosen Augen des Fisches, bevor sie ihn schnell der Priesterin zuwarf.​
»W... Was?! Ich kann doch keine zwei essen!«​
Die Priesterin starrte überrascht die beiden Fische an, worauf die Elfe leicht die Augen zusammenkniff.​
»Warum denn nicht? Ab morgen wirst du verwöhnt werden. Gewöhne dich schon mal daran. Ich esse lieber ein paar getrocknete Bohnen.«​
»Ist das nicht ein Grund, warum ich lieber nicht so viel essen sollte?«​
Die Bogenschützin ignorierte den Einwurf ihrer Kameradin einfach, weshalb das Mädchen sich schließlich doch ans Essen machte. Es pustete einen der beiden Fische kurz an, bevor es anfing, in kleinen Bissen davon abzubeißen. Zusammen mit einem leicht bitteren Beigeschmack breitete sich ein salziges Aroma in seinem Mund aus. Die Gesichtszüge der Priesterin entspannten sich, bevor sie fragte:​
»Sind wir eigentlich schon in der Nähe der Siedlung?«​
»Ja«, antwortete die Elfe und warf sich ein paar getrocknete Bohnen in den Mund.​
»Wir haben die Hälfte der Waldstrecke hinter uns. Es sollte gar nicht mehr allzu lang dauern, bis wir die Siedlung sehen können.«​
»Die Braut ist deine Schwester, richtig?«, fragte die Kuhhirtin und biss ein Stück von ihrem Fisch ab. Dann hielt sie sich eine Hand an die Wange und sagte:​
»Wie schön. Eine Braut der Elfen sieht sicher bezaubernd aus.«​
»Ha ha ha! Selbstverständlich!«​
Als wäre sie gerade selbst gelobt worden, streckte die Elfe stolz ihre Brust heraus und breitete beide Arme aus.​
»Schließlich ist sie eine Hochelfe!«​
»Das bist du doch auch«, warf der Zwerg schmatzend als Beleidigung in die Runde, doch die Elfe ging nicht darauf ein.​
»Ha ha ha! Ich hoffe, dass sie sich nicht daran stören werden, dass ich als Echsenmensch mitkomme!«​
Der Mönch verschlang den Fisch in einem Rutsch und gab dann einen herzhaften Rülpser von sich. Danach zog er ein großes Stück Käse aus seinem Gepäck und steckte etwas davon auf einen Spieß, den er dann übers Feuer hielt. Freudig rieb der Echsenmensch seine Hände aneinander.​
»Sie lieben Käse wirklich, oder?«, fragte die Gilden Angestellte , während sie gesittet ihren Fisch aß.​
»Nach dem, was ich hören konnte, haben Sie im vorigen Kampf gut zusammengearbeitet ... «​
»Ja, darin sind wir gut. Im Gegensatz zu dir wissen wir aber nicht viel über Verwaltungsarbeit.«​
»Es gibt Dinge, über die man nicht viel wissen muss. Es ist ein Aufgabenfeld voller Probleme und man muss sich ständig den Kopf zerbrechen.«​
Die Beamtin lächelte mehrdeutig. Anscheinend hatte sie schon viel durchmachen müssen und obwohl sie viel mit Abenteurern zu tun hatte, verstand sie noch immer nicht deren Probleme. Das war ihr heute klar geworden.​
»Diese Reise wird für mich eine gute Erfahrung sein. Auch wenn es eben etwas gruselig war.«​
»Das tut mir leid. Wenn wir angekommen sind, werde ich mich ordentlich beschweren.«​
Die Elfe ließ entschuldigend die Ohren hängen.​
»Ich werde ihnen sagen, dass sie vernünftig Wache halten sollen!«​
»Ich werde mich aber gleichzeitig bei Ihrer Familie dafür bedanken müssen, dass Sie uns so eine unheimliche Hilfe sind.«​
Die Bogenschützin lächelte verlegen, bevor sie antwortete: »Meine Schwester wird sich freuen, aber mein Bruder ... «​
»Du hast einen Bruder?«, fragte Goblin Slayer, während er den Fisch mühsam durchs Visier quetschte.​
»Mein Cousin«, erwiderte die Elfe kurz und ließ ihren Zeigefinger durch die Luft kreisen.​
»Ahm, wie würden Menschen ihn nennen? Den Brautmann?«​
»Bräutigam?«​
»Ja, genau.«​
Sie nickte und warf eine weitere getrocknete Bohne in ihren Mund, bevor sie in den Himmel schaute. Zwischen den dichten Baumkronen waren nur ein paar Sterne zu erkennen. Die Waldläuferin erklärte in singendem Tonfall, dass die Elfen diesen Moment auch als den Eingang des Regens bezeichneten, bevor sie weiterredete.​
»Mein Bruder ist schon lange in meine Schwester verliebt, aber er ist viel zu stolz.«​
»Sind nicht alle Elfen stolz?«​
»Das mag sein«, stimmte die Elfe dem Zwerg zu, »aber er ist es besonders.«​
Die Priesterin legte den Zeigefinger ans Kinn und dachte nach. Dann sagte sie:​
»Aber wenn deine Schwester ihn heiratet, dann wird sie verstanden haben, dass er sehr stolz ist, oder?«​
»Dass er das ist, war schon immer offensichtlich. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was meine Schwester an ihm findet.«​
Die Elfe musste kurz lachen.​
»Wisst ihr eigentlich, dass Elfen singen, wenn sie um jemandes Liebe werben? Mein Bruder, also jetzt noch Cousin, hat von seinen kriegerischen Heldentaten gesungen, doch die stellten sich als falsch heraus und er wurde verprügelt.«​
»Oho.«​
Der Echsenmensch verdrehte vergnügt die Augen.​
»Etwa von dir, werte Waldläuferin?«​
»Nein. Von meiner Schwester.«​
Die gesamte Gruppe musste grinsen. Da sie diese beim Fest nicht erzählen können würde, begann die Elfe, alle möglichen Geschichten zum Besten zu geben. Wie ihr Cousin ihrer Schwester ein Geschenk hatte machen wollen, aber er dabei versagt hatte, ein Reh zu erledigen. Wie ihre Schwester sich um ihren Cousin gekümmert hatte, als er krank gewesen war, und sich selbst angesteckt hatte. Wie ihr Cousin den Kuchen gegessen hatte, den ihre Schwester vollkommen versaut hatte. Wie ihre Schwester ihr alles Mögliche über Heilkräuter und ihr Cousin ihr den Umgang mit dem Bogen und das Erkunden beigebracht hatte. Wie ihre Schwester dagegen gewesen war, dass sie das Dorf verlassen wollte, und ihr Cousin sie ermutigt hatte ...​
Die Waldläuferin hatte 2.000 Jahre im Wald verbracht und dabei allerlei Erinnerungen gesammelt. Da die Erzählungen sich in die Länge zogen, unterbrach Goblin Slayer sie und warf ein:​
»Es ist halt deine Heimat.«​
»Ganz genau.«​
»Das ist doch gut.«​
»Natürlich.«​
Die Elfe kniff lächelnd die Augen zusammen.​
»Es ist also ein Ort, der dir am Herzen liegt. Und in dessen Nähe treiben sich Goblins herum.«​
Die Kuhhirtin blickte zu ihrem Kindheitsfreund. Der Zorn in seiner Stimme war für sie nicht zu überhören gewesen.​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 58
Der Wald des Elfenkönigs.


Es ist wirklich komisch ..., dachte Goblin Slayer.​
Die Sonne ging gerade erst auf und der Himmel, der zwischen den Baumkronen hervorlugte, war noch düster und dunkelblau. Der Krieger kramte in seiner Tasche herum. In seinem Rücken, hinter einem Tuch zur Abwehr der Insekten, war tiefes Schnarchen zu hören. Es waren der Mönch und der Schamane, die beide noch schliefen. Zwerge waren dafür bekannt, dass sie meist erst zum Frühstück aufstanden, und Echsenmenschen, sobald es hell wurde. Während die Priesterin sich schon im Unterschlupf im Gebet befand, schlummerten die Gilden Angestellte , die Kuhhirtin und die Elfe noch. Während es nicht mehr lange dauern würde, bis die ersten beiden aufwachten, würde die Elfe erst ihre Augen aufschlagen, wenn jemand sie weckte. Deswegen hatte die Gruppe ihr auch die erste Wachschicht überlassen.​
Da die Magiewirker sich ausruhen mussten, um ihre Wunder und Zauber wieder aufzustocken, hatten Goblin Slayer und die Waldläuferin die Nacht unter sich aufgeteilt. Er konnte nachts trotz Müdigkeit sowieso nicht durchschlafen, also hatte der Krieger die späte Schicht übernommen. Früher hatte er, wenn er unterwegs war, überhaupt nicht schlafen können, doch dass er das mittlerweile zumindest ein wenig konnte und sich dabei auf andere verließ, war für ihn fast schon ...​
»Luxus, was?«​
Goblin Slayer schob sich ein Kräuterblatt in seinen Mund und kaute darauf herum. Der bittere Geschmack weckte seinen Geist. Wie schon die ganze Zeit kehrten seine Gedanken zu den Goblins zurück, die sie angegriffen hatten. Es ist komisch. Wieso haben sie tagsüber angegriffen? Und dann auch noch uns Abenteurer? Natürlich waren sie im Vorteil gewesen, doch trotzdem war so etwas eigentlich undenkbar. Dazu kamen auch noch diese Wölfe. Goblins waren schlimm genug, aber dann auch noch Reiter?! Wie versorgten die Goblins diese Wölfe? Dafür benötigten sie doch auch Nahrung. Und wo kam die her? Außerdem mussten sie irgendwo einen Unterschlupf haben, sich irgendwoher Ausrüstung besorgen und natürlich dürstete es sie auch nach Unterhaltung. Ja, Unterhaltung. War das vielleicht der Grund gewesen, warum sie am helllichten Tag angegriffen hatten? Aber die Siedlung der Elfen befand sich doch in direkter Nähe. Was hatten sie vor? Was planten sie? Goblin Slayer kaute weiter auf dem Blatt herum. Zusammenhanglos kamen ihm alle möglichen Gedanken in den Sinn und verschwanden wieder, als plötzlich ...​
»Aufwachen! Wisst ihr etwa nicht, wo ihr euch hier gerade befindet?!«, schallte eine anmutige Stimme über das Lager der Gruppe.​
Sofort sprang Goblin Slayer mit einer Hand am Schwert auf, doch da sah er schon, dass eine Klinge aus Obsidian auf ihn gerichtet war. Genervt starrte er den Besitzer der Waffe an. Selbst mit der Sonne im Rücken der Gestalt konnte der Krieger sofort erkennen, um was es sich handelte.​
»Ein Elf.«​
»So ist es. Ihr befindet euch auf unserem Gebiet«, sagte ein junger und äußerst hübscher Krieger der Elfen. Er trug eine Lederrüstung, hatte einen Langbogen in der Hand und an seiner Hüfte befand sich ein Köcher voller Pfeile mit Knospen als Pfeilspitzen. Seinen Kopf schützte ein glänzender Helm aus Mithril. Er musterte Goblin Slayer misstrauisch und fragte dann: »Gegen was willst du bitte mit solch einem Schwert kämpfen?«​
»Gegen Goblins«, erwiderte der Krieger seelenruhig.​
Der Elf schob den Insektenschutz des Unterschlupfs der Männer zur Seite. Dann murmelte er: »Hm ... Ein Krieger der Barbaren, ein Zwerg ... «​
»... und ich bin ein Echsenmensch.«​
Der Mönch erhob sich langsam und legte seine Hände auf seltsame Weise zusammen. Neben ihm setzte sich der Schamane auf. Es war offensichtlich, dass er schlecht gelaunt war. Als Zwerg gefiel es ihm natürlich gar nicht, von einem Elf geweckt worden zu sein. Der Krieger der Elfen ließ sich davon aber nicht aus der Fassung bringen. Er musterte die drei und sagte dann: »Abenteurer ...«​
»So ist es.«​
»Ach, dann seid ihr die, die gestern gegen die Goblins gekämpft haben.«​
Goblin Slayer nickte.​
»Die Goblins, die ihr übrig gelassen habt, haben wir danach erledigt.«​
Auf die Worte des Elfenkriegers antwortete Goblin Slayer mit einem tiefen Brummen. Sein Plan mit der Pfeilspitze war also​
überflüssig gewesen. Doch die Goblins waren tot, das sollte ihm genügen.​
Die stille Art des Menschenkriegers schien dem Elfen jedoch nicht zu gefallen, denn sein Ton wurde wesentlich härter, als er sagte:​
»Ihr werdet mir jetzt etwas beantworten.«​
»Was denn?«​
»In einem Goblin steckte ein Elfenpfeil.«​
Als würde er damit seine Aussage unterstreichen wollen, warf der Elf Goblin Slayer einen Pfeil vor die Füße. Er hatte eine Knospe als Pfeilspitze, die durch das Blut eines Goblins dunkelrot gefärbt war und nur locker auf dem Schaft steckte.​
»Niemand von uns würde jemals so einen Pfeil verschießen.«​
»...«​
»Von wem kommt dieser Pfeil und was habt ihr mit ihm angestellt? Je nach Antwort werde ich...«​
Goblin Slayer schwieg. Der Echsenmensch und der Zwerg schauten sich kurz an und zuckten mit den Schultern.​
»Das ist also der Kerl, der anstatt einen Liebesbrief zu schreiben lieber mit falschen Heldentaten geprahlt hat?«​
»Vergiss nicht, dass seine Geliebte ihm deshalb seine langen Ohren noch länger gezogen hat.«​
»Was?!«​
Die edle weiße Haut des Hochelfen wurde auf einen Schlag rot und er begann vor Wut zu zittern. Dann festigte er den Griff um sein Schwert, als würde er im nächsten Moment zuschlagen.​
»I... Ihr Halunken! Woher wisst ihr das?«​
»Von dem Mädchen«, sagte Goblin Slayer und seufzte.​
»Es schläft dort drüben.«​
»Hmpf! Tochter des Sternenwindes, bist du hier?!«​
Locker sprang der Elf zum zweiten Unterschlupf und zog, ohne zu zögern, den Insektenschutz zur Seite.​
»Hä?«​
»Was?«​
»Ah ...«​
Das Gesicht des Elfen verspannte sich schlagartig, denn er fand sich drei erschrockenen jungen Frauen gegenüber. Sie waren nicht so töricht gewesen, sich hier in der Wildnis in Schlafsachen zu kleiden, doch es war ihnen trotzdem alles andere als genehm, so geweckt zu werden. Neben den drei Frauen erblickte der Elf ein Knäuel in einer Wolldecke, das sich langsam zu bewegen begann.​
»Was ist denn los? Es ist doch noch so früh am Morgen ... «​
Mit einem ausgiebigen Gähnen streckte sich die Elfe lang aus der Wolldecke heraus. Sie rieb sich die Augen und kratzte sich mehrfach übers Gesicht, während sie sich verwirrt umschaute.​
»Huch, Bruder? Bist du mich abholen gekommen?«​
Die Priesterin schaute, als wäre sie den Tränen nahe, das Gesicht der Kuhhirtin war wie versteinert und die Gilden Angestellte lächelte nervös. Der Elf mit dem glänzenden Helm schluckte. Nervös machte er einen Satz zurück und räusperte sich. Dann sagte er:​
»Vielen Dank ... Ihr habt meine Schwägerin heil heim gebracht. Ihr sollt belohnt werden. Viel Erfolg bei eurer Rückreise.«​
»Das sind meine Kameraden, Bruder.«​
Die Waldläuferin streckte ihren Kopf aus dem Unterschlupf hervor und starrte den Elfenkrieger an, der anmutig mit den Schultern zuckte.​
»Und deswegen kann ich Elfen ...«, fing der Zwerg an, aber selbst er merkte, dass er jetzt nicht heraus posaunen sollte, dass er die Waldbewohner nicht ausstehen konnte.​
»Tut mir leid, dass wir dich zurückgerufen haben, obwohl du gerade erst aufgebrochen bist.«​
»Hm? Es sind doch schon ein paar Jahre vergangen.«​
»Dein Geruch hat sich dem Gestank der Menschen ganz schön angepasst.«​
Der Elf machte ein besorgtes Gesicht, während er neben seiner fröhlich hüpfenden Cousine durch den Wald lief. Es mochte an der Art seiner Verwandten liegen oder an den Blicken, die ihm die drei Frauen von hinten zuwarfen.​
»Es ist sehr beeindruckend«, sagte der Echsenmensch und streckte seine Zunge heraus.​
»Meine Heimat ist auch nicht schlecht, aber dieser Wald ist wirklich umwerfend.«​
»Die Bäume hier wachsen seit dem Zeitalter der Götter. Sterbliche mögen sich hierher verirren, aber von selbst können sie diesem Wald nie entkommen«, verkündete der Elf voller Stolz.​
Der Wald, durch den die Gruppe sich gerade bewegte, konnte am besten als grünes Labyrinth beschrieben werden: dicht durcheinander wachsendes Gehölz, gewaltige Bäume, die weit in die Höhe ragten, und Pfade, die einen denken ließen, dass selbst Tiere sie nicht passieren konnten. Man konnte überall stolpern und stürzen und die Gruppe konnte sich glücklich schätzen, dass ihnen die Gastfreundschaft der Elfen zuteilwurde, denn sonst hätten sie einen wahrlich beschwerlichen Weg vor sich gehabt. Das war auch der Grund, warum die Frauen sich nicht beschwerten, sondern sich mit wütenden Blicken zufrieden gaben.​
»Aber«, sagte der Elf und wandte sich misstrauisch nach hinten, »ich hätte nicht gedacht, dass der berühmte Orcbolg so ein Typ ist.«​
»Ich weiß nicht, wie andere Leute sich mich vorstellen«, entgegnete der Krieger emotionslos.​
»Hmpf! Mir gefällt nicht, wie du mit mir redest.«​
»Erzähl mir lieber, was mit den Goblins ist.«​
»Was soll mit ihnen sein? So ein paar Goblins sind doch keine Seltenheit. Mal sind es weniger, mal sind es mehr. Weil es hier aber in letzter Zeit heiß gewesen ist, sind es aktuell eher mehr.«​
»In letzter Zeit?«​
»Damit meine ich ungefähr die letzten zehn Jahre. Neulich war doch auch das mit dem Dämonenfürsten.«​
»Neulich ... «​
»Solange niemand hier eine Festung errichtet, gibt es keinen Grund zur Sorge. Vor allem nicht bei Goblins.«​
»Spiel dich nicht so auf und gib doch einfach zu, dass ihr wegen der Hochzeit keine richtige Zeit habt, euch um so etwas zu kümmern«, warf die Waldläuferin ein.​
»Kinder sollten lieber mal den Mund halten«, gab ihr Cousin scharf zurück.​
»Ich bin kein Kind mehr«, entgegnete sie und verzog die Lippen, aber ihre wackelnden Ohren verrieten, dass sie gute Laune hatte.​
»Es scheint, als ob die Elfen Goblins auch nicht wirklich leiden können«, murmelte die Priesterin am Ende der Prozession.​
»Das gilt für Sie doch auch«, antwortete die Gilden Angestellte .​
»Wenn Ihre Gedanken sofort zu Goblins schießen, sollten Sie sich Gedanken machen, wie sehr Sie von ihm beeinflusst wurden.«​
»Nein, also ... Ha ha ha ... «​
Verschämt kratzte sich die Priesterin an der Wange. Die Beamtin kommentierte das mit einem Seufzer und sagte dann:​
»Tatsächlich gibt es derzeit viele Elfen, die aus den Wäldern kommen und so über Goblins denken. Sie sehen sie zwar als Bedrohung, aber sie haben gewisse Standards. Sie wollen sich eher um größere und gefährlichere Monster kümmern als um Goblins. Es liegt wahrscheinlich daran, was für Geschichten sie von ihren Ältesten erzählt bekommen.«​
»Was für Geschichten?«​
»Na, welche über die Kämpfe der Götter.«​
»Oh ...!«, stieß die Priesterin überrascht aus und hielt sich schnell die Hände vor den Mund.​
Sie hatte nie darüber nachgedacht, doch es war bei einigen der Ältesten der Elfen gut möglich, dass sie die Kämpfe des Zeitalters der Götter miterlebt hatten. Diese waren noch nicht durch das Würfelglück bestimmt und nur bruchstückhaft in Göttersagen überliefert worden, doch es war bekannt, dass Dämonen, Drachen, finstere Gottheiten, Dämonenfürsten und viele weitere Gefahren die Welt bedroht hatten. Im Vergleich zu ebenjenen waren die Goblins natürlich nicht viel mehr als störendes Ungeziefer.​
»Wenn man es so betrachtet, sind Goblins wirklich keine besonders große Sache.«​
»Ach so ...«, murmelte die Kuhhirtin.​
»Ja«, erwiderte die Gilden Angestellte .​
Die Priesterin schaute betrübt zu Boden. Goblins waren keine große Sache. Wenn sie auftauchten, war es nicht besonders erwähnenswert.​
»Das mag sein.«​
Murmelnd blickte das Mädchen zu Goblin Slayer. Es wollte an seine Seite eilen und ihm irgendwas sagen, aber es zögerte. Währenddessen sagte der Elf an der Spitze der Gruppe:​
»Aber es gibt noch etwas, was mich mehr als die Hochzeitszeremonie beschäftigt.«​
»Oh, was hast du gerade gesagt? Das werde ich später meiner Schwester erzählen!«, antwortete die Elfe in stichelndem Ton.​
Der Zwerg warf ihr einen Blick zu, der besagte, dass sie sich benehmen sollte, doch sie machte eine abwehrende Armbewegung.​
»Die, die den Fluss im Zaum hält, kommt in letzter Zeit immer näher an das Dorf heran.«​
»Was soll das denn sein?«, fragte Goblin Slayer.​
»Ein altes Wesen, das tief im Dschungel wohnt. Ich warne dich, lege dich lieber nicht mit ihm an«, erklärte der Elf dem Krieger.​
»Oho«, staunte der Echsenmensch.​
»Auf welche Art hat das Wesen denn so lange überlebt?«​
»Dazu kann ich nichts sagen ... Es wurde aber schon zu meiner Kindheit so genannt.«​
»Dann stammt es vielleicht aus der Trias-, Jura- oder Kreidezeit«, murmelte der Mönch und nickte bedeutsam.​
»Hm ... Das ist sehr interessant.«​
»Da es eigentlich in einem anderen Gebiet lebt als wir, treffen wir nur selten auf es, aber...«​
»Ich habe es noch nie gesehen, aber ich habe schon von ihm gehört.«​
Mit wackelnden Ohren dachte die Elfe nach und lief um ihren Cousin herum. »Existiert es wirklich, Bruder?«​
»Ich habe schon oft seine Fußspuren gesehen. Mein Großvater hat es in jungen Jahren aber wirklich zu Gesicht bekommen.«​
»Ha ha ha, wann soll das gewesen sein?«​
Als die Elfe über ihren Cousin lachte, kamen sie an. Ein frischer Wind, der den Duft von Gräsern und Pflanzen mit sich brachte, wehte der Gruppe entgegen. Sie standen in einem offenen Gebiet mitten im dichten Wald. Es war wie eine Höhle, die sich vom Boden bis hin zu den Baumkronen streckte. War es eine Stadt in der Form eines Waldes oder sollte man es besser einen Wald in der Form einer Stadt nennen? Die Gruppe befand sich auf einer Lichtung, auf der in verschiedenen Höhen in den Bäumen Häuser errichtet worden waren. Diese waren in der Luft durch Brücken miteinander verbunden, die aus Ästen und Reben geflochten waren. Über diese Brücken gingen tänzelnd wunderschöne Elfen umher. Sie trugen äußerst elegante Kleidung. Die Rinden der Bäume waren mit feinen Mustern geschmückt und das Rascheln ihrer Blätter klang wie ein prunkvolles Lied.​
»Wo... Wow ... «​
Die Augen der Kuhhirtin leuchteten, als sie ihrer Verwunderung Ausdruck verlieh. Sie hatte noch nie so etwas wie diese Siedlung gesehen und hätte auch nie gedacht, es je zu Gesicht zu bekommen. Sie ging einige Schritte nach vorne, um sich neben Goblin Slayer zu stellen. Vor ihnen befand sich ein Weg, der sich spiralförmig in die Höhe schraubte. Wie verzaubert wollte sie ihm folgen, doch ihr Kindheitsfreund hinderte sie daran.​
»Vorsicht, du stürzt noch.«​
»Aber schau doch mal, wie toll es hier ist!«, entgegnete das Mädchen.​
»Ja.«​
»Hmpf!«​
Das Mädchen vom Hof machte unzufrieden dicke Backen, doch hörte direkt wieder auf. Dafür hatte es jetzt keine Zeit. Es musste sich den wundervollen Anblick dieser Siedlung einprägen.​
»Gar nicht übel«, murmelte währenddessen der Zwerg und fuhr sich durch den Bart.​
»Nicht wahr? Meine Heimat ist einem dichten Wald ebenfalls nicht unähnlich, doch sie hat nichts von dieser Eleganz«, stimmte der Echsenmensch seinem Kameraden zu.​
Der Schamane wandte sich dem Cousin der Waldläuferin zu und fragte:​
»Ihr selbst habt aber nicht allzu viel gemacht, oder?«​
»Selbstverständlich waren das die Naturgeister, Zwerg.«​
»Pah, also habt ihr euch noch nicht einmal die Hände schmutzig gemacht!«​
Die hämische Aussage des Zwergs ignorierend, streckte die Elfe stolz die Brust raus und gab der Priesterin einen kurzen Stoß in die Seite.​
»Toll, oder?«​
»Ja, sehr toll!«, antwortete das Mädchen aufgeregt.​
»Ich hätte nicht gedacht, dass es so einen schönen Ort auf der Welt gibt.«​
»Ha ha ha ... Natürlich hast du das nicht.«​
Wahrend die Gilden Angestellte die Elfe beobachtete, musste sie kurz kichern. Dann sagte sie:​
»Die königliche Hauptstadt ist aber auch ganz schön beeindruckend.«​
Die Hauptstadt der Menschen war tatsächlich prächtig, doch sie war auf ganz andere Weise entstanden als diese Siedlung. Dieser Ort war nicht von den Elfen, sondern von den Göttern selbst erschaffen worden. Die Waldläuferin stellte sich vor ihre Freunde.​
»Guter Tag und lange Nacht. Im Schein der einen Sonne und der zwei Monde. Von der Tochter des Sternenwindes zu ihren Kameraden!«​
Sie breitete die Arme weit aus und drehte sich um. Ihr Zopf zog wie ein Komet einen Schweif hinter sich her.​
»Willkommen in meiner Heimat!«​
Ihr Lächeln war wie eine Blume in voller Blüte.​
Nachdem sie einem Weg in die Höhe gefolgt waren, der aus einem Geflecht aus Ästen bestand, kamen sie in der Baumhöhle einer gewaltigen Zelkove an. Es war ein Gästebereich. Hinter einer Tür aus Ranken befand sich ein großes Wohnzimmer. Seinen Boden bedeckte ein Teppich aus hochgewachsenem Moos und Knoten aus Holz dienten als Stühle und Tische. Vor den Fenstern hingen dünne, fast durchsichtige Blätter, durch die das Licht der Nachmittagssonne sanft und warm hindurch schien. Hinter Vorhängen aus Ranken befanden sich Schlafstätten.​
Das einzige künstliche Objekt in dem Raum war ein von den Elfen aus Himmelstau gewebter Wandteppich. Auf diesem wurde in zarten und eleganten Mustern eine Geschichte aus der Zeit der Götter erzählt. Es war keine Legende wie bei den Menschen, sondern beschrieb ein tatsächliches Erlebnis der Elfen. Der Raum besaß keinen Kamin, aber der Wind und die Wärme des Baums sorgten für ein angenehmes Klima. Zudem lag ein herrlicher Naturgeruch in der Luft. Die Kuhhirtin atmete ihn tief in die Lunge ein und dann wieder aus.​
»Es ist so großartig hier! Von so etwas habe ich bisher nur in Geschichten gehört!«​
Sie bekam fast ein schlechtes Gewissen, dass sie diesen Ort mit ihren Schuhen aus grobem Kuhleder betreten hatte. Als würde sie schleichen, bewegte sie sich langsam durch den Raum. Bei einem Stuhl angekommen, auf dem Pilzschirme als Polster wuchsen, setzte sie sich. Die Pilze waren unglaublich weich. Ungewollt musste sie seufzen.​
»Einfach unglaublich ...«​
»I... Ich möchte auch ... !«, sagte die Priesterin und ließ sich ebenfalls auf einem der Stühle nieder.​
Die Pilze federten ihr leichtes Gewicht angenehm ab.​
»Wow!«​
Die Gilden Angestellte musste beim Anblick der jungen Abenteurerin kichern. Obwohl sie die Jüngste war, hielt sie sich immer sehr zurück. Es war schön zu sehen, dass sie sich wenigstens ein bisschen entspannte.​
»Ich habe zwar einige Bekannte unter den Abenteurern, die Elfen sind, aber ich wurde noch nie von ihnen eingeladen.«​
Die Beamtin nahm mit großem Interesse das Zimmer in Augenschein. Vorsichtig strich sie über den Teppich an der Wand. Ein Held der Halbelfen kämpfte mit Kameraden um eine Drachenlanze. Es musste eine Szene aus einem Kriegsepos sein.​
»Wie wird so etwas hergestellt? Ist das auch ein Werk der Naturgeister?«​
»Ich weiß nicht, ob das Wort hergestellt hier zutrifft«, antwortete der Cousin der Waldläuferin freundlich.​
»Alles wird nach dem Willen des Waldes geformt.«​
»Man sagt, dass man Zwergen stabile Anwesen, Rhea einladende Häuser und Echsenmenschen Festungen überlassen soll.«​
Interessiert stapfte der Echsenmensch über den Moos Teppich und wackelte dabei mit dem Schwanz. Er seufzte erleichtert, als er bemerkte, dass er keine bleibenden Spuren hinterließ.​
»Die Behausungen der Elfen sind dennoch äußerst interessant.«​
»Es freut mich, so etwas von einem Kind der Drachen zu hören«, antwortete der Elf und machte eine elegante Verbeugung. Auch wenn Elfen und Echsenmenschen in ihrer Natur vollkommen unterschiedlich waren, schätzten beide Völker den Lauf der Natur.​
»Leider mussten diese Räumlichkeiten für die Feierlichkeiten überhastet entstehen, weshalb sie nicht so schön sind wie die anderen, aber ... «​
Der Elf wurde mitten im Satz von einem Ellenbogenstoß seiner Cousine unterbrochen.​
»Bruder, willst du sie etwa ärgern?«​
»Hm ...«​
»Du nennst es überhastet, aber es hat doch trotzdem mehrere Monate gedauert, nicht wahr?«​
Die Elfe schnaufte durch die Nase und hüpfte zu einem Stuhl neben dem Fenster. Ohne zu zögern, fläzte sie sich hinauf. Der Elf verzog bei dem Anblick sein Gesicht.​
»Wie unanständig! Wenn meine Frau dich so sehen würde, wäre dir eine Standpauke sicher!«​
»Habt ihr das gehört? Er hat meine Schwester gerade als seine Frau bezeichnet! Er benimmt sich, als hätte die Heirat schon stattgefunden!«​
Obwohl die Elfe laut und grell lachte, schien ihm das egal zu sein. Nachdem die Waldläuferin sich wieder beruhigt hatte, fragte sie:​
»Und was nun?«​
»Hm ... Sicher sind alle von der langen Reise erschöpft. Daher habe ich ein Bad und Essen vorbereiten lassen.«​
Obwohl er sich die Augenbrauen rieb, als müsste er einen Kopfschmerz unterdrücken, verhielt der Bräutigam sich noch immer eines Elfen würdig. Wahrscheinlich war er das wilde Verhalten seiner Schwägerin gewohnt. Schließlich hatten sie schon so einige Zeit miteinander verbracht.​
»Was machst du?«, fragte er, als er bemerkte, dass Goblin Slayer sich in Bewegung gesetzt hatte.​
»Ich kümmere mich um das Gepäck. Vielleicht kommen Goblins.«​
Wie die Kameraden des Abenteurers reagierten, muss nicht extra beschrieben werden, doch der Elf riss vor Überraschung die Augen weit auf.​
»Ich werde auch hierbleiben. Vielleicht kommt ja meine Schwester«, erklärte die Elfe und wedelte resignierend mit der Hand.​
»Dann werden wir essen gehen, während die Damen im Bad sind«, sagte darauf der Zwerg.​
»Das klingt doch gut«, stimmte der Echsenmensch zu.​
»Ahm, ist das wirklich in Ordnung?«​
Die Gilden Angestellte blinzelte. Sie war es gewohnt, dass sie sich um die Belange von Abenteurern kümmerte, aber nicht, dass jene Rücksicht auf sie nahmen,​
»Sie könnten doch vor uns ... «​
»Das könnt ihr doch auch. Geht ihr ruhig zuerst.«​
»Dann bedanke ich mich dafür. Wir werden uns den Schweiß und den Staub abwaschen.«​
Die Beamtin verbeugte sich entschuldigend. Die Priesterin hüpfte vom Pilzstuhl herunter und lief mit trappelnden Schritten zu Goblin Slayer.​
»Was ist?«, fragte der Krieger, als er bemerkte, dass die Priesterin ihm einen ihrer weißen Finger entgegenstreckte.​
»Du musst auch ordentlich essen und baden.«​
»Ja«, antwortete er genervt.​
»Gut!«​
Die Priesterin streckte ihre kleine Brust heraus und nickte kräftig.​
Die Kuhhirtin schaute dem Geschehen lächelnd zu und schüttelte ihren Kopf. Dann sagte sie:​
»Ach, fasse das Gepäck von uns Frauen und vor allem unsere Wechselkleidung nicht einfach an.«​
»Um welche Taschen geht es?«​
»Wir werden uns jetzt Kleidung für nach dem Bad nehmen. Merk dir einfach die Taschen.«​
»In Ordnung.«​
»Aber nicht reinschauen!«​
»Sollte sich nicht vielleicht doch jemand anderes um das Gepäck kümmern?«​
Die Ohren der Elfe stellten sich auf, als sie die Frage von Goblin Slayer hörte. Da sie sich das Ganze viel lustiger vorstellte, wenn der Krieger es übernahm, wollte sie nicht, dass ihm die Aufgabe abgenommen wurde.​
»Da sich dein Charakter in den ersten 2.000 Jahren nicht geändert hat, wird das jetzt wohl auch nicht passieren, was?«​
Der Cousin der Waldläuferin stieß einen tiefen Seufzer aus, als er einen Klaps auf seinem Rücken verspürte. Er drehte sich um und blickte in das bärtige Gesicht des Zwerges. Er schaute, als könnte er ihn nur zu gut verstehen.​
»Dann zeigt uns bitte den Weg, Herr Bräutigam. Die Damen möchten bestimmt schnell ihr Bad nehmen.«​
Der Zwerg gab dem Elfen einen weiteren Schlag auf den Rücken. Dann stieß er ein tiefes Lachen aus.​
»Im Gegensatz zu euch Elfen haben wir nicht ewig Zeit, über jede Kleinigkeit nachzudenken.«​
***
»Der Grund, warum wir Elfen kein Fleisch essen?«​
»Ja, genau. Warum werden uns denn nur Gräser und Früchte als Essen angeboten?«​
»Das ist eine Frage der Ausgeglichenheit, mein Freund von unter der Erde.«​
»Geht es etwa darum, wie viele Tiere im Wald leben und so?​
Oh, diese Banane ist lecker.«​
»Wie wäre es mit diesem Getränk, werter Mönch mit Schuppen? Bei seiner Herstellung wird Tapioka verwendet.«​
»Oho, die Maniokwurzel. Bei uns wird sie gedämpft verzehrt, ist das etwa auch das Geheimnis dieser gegrillten Süßigkeit?«​
»Nun gut. Ein Tier braucht mehrere Jahre, um auszuwachsen.​
Ein Baum jedoch trägt jedes Jahr sehr viele Früchte.«​
»Interessant ... Na ja, es ist nicht schlecht, wenn man sich nicht darum sorgen muss, ob man Essen übrig lässt.«​
»Deswegen essen wir keine Tiere und entfernen uns nicht aus dem Wald.«​
»Ihr glaubt also, dass der Kreislauf des Lebens zusammenbrechen würde, wenn ihr täglich Tiere jagen würdet. Ha ha ha, in der Tat, in der Tat.«​
»Ja, deswegen begnügen wir uns mit Blättern, Gräsern, Früchten und Nüssen. Hast du das verstanden, Zwerg?«​
»Dennoch ...«​
Genervt stützte der Zwerg seinen Arm auf dem Pilztisch ab und legte seinen Kopf darauf. Der Echsenmensch und er befanden sich in einem Freiraum, der sich unter den Wurzeln eines großen Baumes befand und als Speisesaal verwendet wurde. Statt Lampen waren dort Knospen aufgehängt, in denen Leuchtkäfer eingesperrt waren.​
Auf den Tischen standen prächtige Speisen. Trauben, Bananen und Salate mit mehrfarbigen Kräutern und Blättern. Dazu Traubenwein und Getränke mit Tapioka. Eigentlich hätte es für den Zwerg nichts zu meckern geben sollen, aber dennoch ...​
»... habe ich kein Interesse daran, Insekten zu essen.«​
»Sie vermehren sich schnell, sind zahlreich und sie schmecken.«​
Auf einem großen Teller vor dem Schamanen lag ein regelrechter Berg aus gekochten und geschälten großen Käfern. Er zupfte von einem von ihnen ein Bein ab, tunkte es in Soße, warf es sich in den Mund und spürte, wie es dort herumzappelte. Zu seiner Überraschung schmeckte es aber. Für Zwerge war Essen nach Geld und Edelsteinen das Wichtigste auf der Welt und eigentlich würde keiner von ihnen schweigen, wenn ihm etwas mundete, aber ...​
»Sind das wirklich Insekten?«​
»Ich finde sie äußerst köstlich, werter Schamane.«​
»Du bist ja auch im Dschungel aufgewachsen, Schuppiger ... «​
Der Zwerg wandte sich seinem Kameraden zu, der knuspernd auf einem ungeschälten Insekt herumkaute und dabei schmatzte. Er hätte es bevorzugt, wenn die Insekten nicht mehr ihre ursprüngliche Form besessen hätten, denn so verging ihm, auch wenn sie ihm geschmacklich zusagten, der Appetit.​
»Verdammt. Dann esse ich eben dieses Küchlein.«​
»Ach, willst du das nicht mehr? Dann nehme ich eins der Beine ... «​
»Du Narr. Ein Zwerg teilt nie das Essen, das auf seinem Teller liegt.«​
Der Zwerg schlug die ausgestreckte schuppige Hand seine Kameraden weg und stopfte sich ein Küchlein in den Mund. Es war mit einer dickflüssigen süßen Masse gefüllt. Fröhlich kaute der Schamane darauf herum, bis er plötzlich etwas bemerkte.​
»Befinden sich in diesem Küchlein etwa auch Insekten?«​
»Das überlasse ich deiner Vorstellung.«​
Schlagartig verzog sich das Gesicht des Zwerges. Er musterte das angeknabberte Küchlein in seiner Hand und zuckte dann mit den Schultern, warf es sich in den Mund und schluckte es laut herunter. Der Echsenmensch beobachtete dies und schleckte sich mit der Zunge über die Nasenspitze.​
»Ist das hier eigentlich ein Schloss? Oder wie würden die Elfen diesen Ort bezeichnen?«​
»Diese Siedlung ist nicht für kriegerische Zwecke errichtet worden, aber wenn du darauf hinauswillst, dass sich der Anführer hier aufhält, dann würde das schon stimmen.«​
»Ich würde mich ihm gerne vorstellen.«​
Die Mundwinkel des Elfen zogen sich leicht zu einem Lächeln hoch.​
»In gewisser Weise hast du das schon getan. Schließlich treten alle Besucher des Waldes vor unseren Anführer.«​
»Oh ...«​
Der Echsenmensch kniff die Augen zusammen und schaute in die Höhe. Die Decke des Raums glitzerte im Licht der Leuchtkäfer. Man konnte das Rascheln der Blätter im Wind hören und auch das Wasser, welches durch die Stämme der Bäume floss. Sofern sie nicht getötet wurden, starben Elfen nie. Aber was, wenn sie sich den Tod wünschten?​
»Ich verstehe.«​
Alles im Wald befand sich in einem Kreislauf. Man drang ein, wurde ein Teil von ihm und löste sich in ihm auf. Der Anführer war ein Teil des Waldes und damit war der Wald gleichzeitig auch der Anführer. Der Echsenmensch legte seine Hände in einer mysteriösen Bewegung zusammen.​
»Vielen Dank, dass ich die Macht eures Herrn so erleben darf.«​
»Wir nehmen den Dank an. Es ist eine unerwartete Freude, dass jemand, der nicht. aus dem Wald stammt, diesen Sachverhalt versteht«, erwiderte der Elf, während er zum Zwerg herüber schielte.​
»Gibt es etwas, dass du sagen wolltest, Schamane?«​
»Irgendwie sehen alle in diesem Schloss sehr beschäftigt aus.«​
Der Zwerg hatte beobachtet, wie einige Elfen fleißig dabei waren, den Raum mit farbigen Stoffen zu schmücken. Außerdem wurden Harfen mit Saiten aus Spinnenfäden aufgestellt.​
»Bereiten sich etwa alle auf die Feierlichkeiten vor?«​
»Es gibt noch andere Dinge zu tun.«​
Der Elf führte einen Becher mit dem Tapioka Getränk zum Mund und nahm einen tiefen Schluck. Das Trinkgefäß war aus dem Geweih eines Hirsches hergestellt worden. Es wirkte wie ein Kunstobjekt.​
»Einige von uns sind als Kundschafter unterwegs, weil es im Wald in letzter Zeit etwas unruhig ist.«​
»Wegen der, die den Fluss im Zaum hält?«, fragte der Zwerg mit einem abschätzigen Lächeln.​
»Lass mich dir eine Gegenfrage stellen, Zwerg«, sagte der Cousin der Waldläuferin, ohne sein Grinsen auf den Lippen zu verlieren.​
»Kennt dein Volk etwa alle Dinge, die unter der Erde schlafen?«​
»Nein ...«​
Der Zwerg stieß ein tiefes Brummen aus. ,​
»Da muss ich klein beigeben.«​
»Ha ha ha, wäre der werte Goblintöter hier, würde er bestimmt sagen, dass Goblins dahinterstecken.«​
Vergnügt machte der Echsenmensch glucksende Geräusche und führte ein weiteres Käferbein zum Mund. Dann murmelte er:​
»Wenn es jetzt noch Käse gäbe, wäre ich wunschlos glücklich.«​
»Dazu hätte ich eine Frage«, meldete sich der Elf zu Wort.​
»Hm? Man nimmt dafür Milch von Kühen oder Ziegen und fermentiert sie dann oder so ... «​
»Nein, das meine ich nicht. Ist er wirklich jener Orcbolg? Der beste Goblintöter im ganzen Grenzgebiet?«​
»Ja, das ist er.«​
»So sieht er aber nicht aus.«​
Der Echsenmensch verdrehte die Augen und entgegnete:​
»Ja, er sieht wirklich etwas schäbig aus, aber warum sagst du so was?«​
»Meine Schwägerin scheint Gefallen an ihm gefunden zu haben.«​
Er lächelte gequält. Dabei wirkte er wie ein großer Bruder, der sich Sorgen um seine Schwester machte.​
»Er ähnelt jemandem ... Nein, ich muss es nicht verheimlichen. Sein verschrobener Charakter ähnelt mir.«​
»Ähm ... Herr Bräutigam ...«, meinte der Zwerg sichtlich erheitert und gönnte sich einen Schluck Traubenwein.​
Dessen Alkoholgehalt war nicht sonderlich hoch, aber Alkohol war Alkohol. »Kann man bei diesem wilden Langohr etwa wirklich nichts mehr machen?«​
»Sie wurde in den Künsten der Frauen unterrichtet: Weben, Musik, Gesang und noch einiges mehr.«​
»Das alles?«​
»Ja, aber es hat 2.000 Jahre gedauert ... «​
»Oh ...«​
Als wollten sie sich sagen​
»Und mehr ist dabei nicht raus gekommen«, schauten die drei sich an.​
»Aber nun ja ... Sie ist kein schlechtes Mädel ... «​
»Ja, das weiß ich«, antwortete der Zwerg und riss eines der Käferbeine ab.​
Während er darauf herumkaute, verlangte er nach Salz, aber natürlich gab es keines. Soße und Fleischsaft spritzten durch die Gegend. Er stieß einen Rülpser aus und gönnte sich einen weiteren Schluck Wein.​
»Aber mir gefällt ihre Art nicht. Sie sollte sich mehr ihrem Alter entsprechend verhalten.«​
Der Echsenmensch kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Dem Zwerg gefiel das nicht und er schnaufte durch die Nase.​
»Solange sie uns nicht behindert, werden wir uns um sie kümmern, Herr Bräutigam.«​
***
Wusch. Wusch. Wusch. Wusch. Laut fiel das Wasser herab und erzeugte dabei weiße Blasen. Es war wie ein Wasserfall. Durch die Wurzeln des Baums wurde das Wasser aus einem unterirdischen Strom hoch in den Himmel getragen, von wo es herabfiel. Der Strom hatte eine Tropfsteinhöhle in den Kalkstein gefressen, in dem Stalagmiten aus dem Boden und Stalaktiten von der Decke wuchsen. Hier befand sich auch ein See, der leicht smaragdfarben leuchtete. Der Grund dafür war das Moos, das auf dem Boden des Sees wuchs.​
»Oh ...« ,​
Der Anblick war atemberaubend. Es war ein Ort, wie die Kuhhirtin ihn nur aus Träumen kannte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und zitterte am ganzen Körper. Derzeit trug sie nichts weiter als ein Handtuch, weshalb sie den kühlen Wind, der vorbei wehte, ganz genau spürte. Sie warf einen Blick über ihre Schulter und sah, wie sich die Kammerdienerinnen, die die abgelegte Kleidung an sich nahmen, zurückzogen. Dann schaute sie zur Gilden Angestellten, die neben ihr stand.​
»I. .. Ist es wirklich okay, wenn wir reingehen?«​
»Da es als Bad bezeichnet wurde, ist bestimmt alles in Ordnung.«​
Die Beamtin schien so etwas eher gewöhnt zu sein, denn sie zögerte nicht einen Moment, ihren gepflegten, schönen Körper zu zeigen. Während sie sich umschaute, tauchte sie eine Fingerspitze ins Wasser. Die Kälte des Quellwassers war ein wenig beißend. Die Gilden Angestellte stöhnte kurz auf, weshalb die Priesterin kichern musste.​
Sie sagte:​
»Es ist noch immer wärmer als das Wasser, das wir genutzt haben, um uns im Tempel zu waschen.«​
Im Anschluss schlüpfte sie mit ihren dünnen Beinen flink ins Wasser und schloss die Augen.​
»Kleriker sind wirklich gut in so etwas ...«, murmelte die Gilden Angestellte etwas neidisch und tauchte ihren Körper langsam ins Wasser.​
Die Kuhhirtin wollte nicht als Einzige zurückbleiben und stürzte sich deshalb förmlich ins Bad.​
»U... Wa ... Wa ... «​
Unter ihren Füßen spürte sie das weiche Moos. Erst dachte sie, dass sie darauf ausrutschen würde, aber stattdessen bot es ihr Halt. In der Tat fühlte sich das Wasser zuerst kalt an, aber sie gewöhnte sich schnell daran. Es war angenehm und sie tauchte bis zu den Schultern hinein.​
»Puh ...«, entwich es ihr ungewollt und sie wurde rot im Gesicht.​
Sie schielte zu den anderen beiden hinüber, aber da diese sich ähnlich verhielten, atmete sie auf.​
»Es ist wärmer als Brunnenwasser. Warum wohl?«​
»Ich habe mal Geschichten gehört, dass unter der Erde Ströme aus Feuer fließen. Vielleicht liegt es daran«, erklärte die Priesterin und legte nachdenklich den Kopf schief.​
»Als Abenteurer hat man es wirklich aufregend. Besucht ihr immer solche Orte?«​
»Nein.«​
Die Priesterin lächelte zweideutig und dachte darüber nach, wo sie bisher gewesen waren.​
Höhle, Ruine, Ruine, Ruine, Höhle, Höhle, Ruine, Höhle und die meisten von ihnen waren angezündet, gesprengt, geflutet oder auf andere Weise unbrauchbar gemacht worden. Heimlich schwor sich die Priesterin, Goblin Slayer zu bitten, etwas vorsichtiger vorzugehen.​
»Es ist eher selten, dass wir Orte dieser Art besuchen.«​
»Es gibt nicht wenige Abenteurer, die diesen Beruf wählen, um geheime Orte oder Schätze zu finden.«​
Die Gilden Angestellte hielt ihre Haare hoch, damit sie nicht zu nass wurden. »Solchen Abenteurern ist eher zu trauen als irgendwelchen umher wandernden Ruinenjägern.«​
»Das mit dem Vertrauen kann ich nachvollziehen.«​
Die Kuhhirtin nickte so stark, dass kleine Wassertropfen durch die Luft flogen. »Bisweilen kommen Leute zum Hof und fragen nach Essen, aber wenn es einfache Reisende sind, bekomme ich etwas Angst. Wenn sie übernachten wollen, lehne ich sofort ab. Auch bei Abenteurern auf Porzellan - Rang bin ich noch sehr vorsichtig. Ach, aber bei reisenden Priestern ist es nicht so schlimm.«​
»Da ich schon auf dem Stahl-Rang bin, musst du bei mir überhaupt keine Angst haben!«​
In den Worten der Priesterin schwang etwas Stolz mit, der der Gilden Angestellten nicht entging. Dem Mädchen war erst vor wenigen Tagen der Aufstieg gelungen.​
»Abenteurer ... Als Kind habe ich oft über sie nachgedacht ..« murmelte die Kuhhirtin.​
»Bewundern Sie Abenteurer?«, fragte die Gilden Angestellte . Mit einem Plopp fiel etwas Wasser von einem Tropfstein in den See und erzeugte neue Wellen auf seiner Oberfläche.​
»Nein, nun ja, schau mal ... Ich ... ähm ... wollte keine Abenteurerin werden.«​
»Ach!«​
Die Beamtin nickte verständnisvoll.​
»Vielleicht eine Prinzessin?«​
»Bitte nicht.«​
»Oder vielleicht eine Braut?«​
»Bitte zwingt mich nicht, es auszusprechen.«​
Die Kuhhirtin tauchte bis zur Nasenspitze ins Wasser, um ihre rot angelaufenen Wangen zu verstecken. Blubbernde Blasen stiegen an die Wasseroberfläche. Für eine Weile war nichts weiter als das Rauschen des Wassers zu hören. Die Träume des Mädchens vom Hofwaren nicht ungewöhnlich. Während Jungen Helden, Ritter und Abenteurer, die Drachen bezwangen, bewunderten, hatten Mädchen ihre eigenen Fantasien. Sie wollten Prinzessinnen, Schrein Mädchen oder Bräute werden und Ausflüge ins Reich der Feen unternehmen. Doch am Ende wurden nur die wenigsten dieser Träume war.​
»Aber«, sagte die Priesterin und ihre Worte hallten in der Höhle wider, »eine Braut zu sein, ist sicherlich wunderbar, oder?«​
***
»Machst du einen Laden auf?«, fragte Goblin Slayer, nachdem er das Gepäck in die getrennten Zimmer getragen hatte.​
»Hä?«, rief die Elfe überrascht.​
Sie hatte sich zwischen mehrfarbige Tücher gesetzt und staunend die Stoffstücke betrachtet.​
»Tut mir leid. Ich habe noch nicht aufgeräumt.«​
»Mir wurde gesagt, dass ich sie nicht anfassen soll.«​
Wie versprochen hatte Goblin Slayer sich nur auf das Gepäck der Männer konzentriert. Eigentlich hatte die Elfe ihm alles aufdrücken wollen, doch dann war ihr etwas eingefallen. Nachdem sie dann dem Krieger ihre Hilfe angeboten hatte, war das, was sich jetzt vor ihm befand, das Ergebnis gewesen.​
»Räum das auf, bevor die anderen zurückkommen.«​
»Ja ... Das weiß ich doch.«​
Obwohl sie es gewesen war, die die Unterwäsche verteilt hatte, begann die Waldläuferin jetzt nur widerwillig damit, sie zu falten.​
»Aber das hier ist ziemlich groß, oder? Da passt mein Kopf rein!«​
»Zeig es mir nicht und leg es einfach zusammen!«​
»Ja ja ... «, sagte sie, aber sprang dann mit einer lockeren Bewegung auf.​
»Was ist?«​
»Ich will was zu trinken.«​
»Ist das so?«​
Die Elfe hatte die typische Antwort des Kriegers wohl als Zustimmung verstanden, denn sie lief direkt in die Küche. Dort durchwühlte sie eine Baumhöhle, die als Regal diente.​
»Hm ... Sag mal, Orcbolg. Willst du auch mal einen Tee von hier probieren?«​
»Wenn du mir einen machst, trinke ich ihn.«​
»Hmpf«, schnaufte die Waldläuferin unzufrieden.​
Er hatte wohl nicht verstanden, wie nervös sie war. Zuerst suchte sie sich einige duftende Kräuter und Heilkräuter aus, die sie dann mit einem Messer aus Obsidian klein schnitt. Diese tat sie dann in Becher, die aus einer großen Eichel hergestellt worden waren, bevor sie zuletzt etwas Wasser einfüllte. Die Wasserkanne war aus Mithril hergestellt und sorgte somit dafür, dass das Wasser seine Kälte behielt. Da Elfen keine Schmiedetechniken beherrschten, war die Kanne ein natürliches Produkt, das genau so in einem Erdklumpen gefunden worden war. Der Cousin der Elfe hätte es wahrscheinlich damit erklärt, dass das Mithril von selbst diese Form angenommen hatte.​
Normalerweise dauerte es natürlich eine Weile, bis ein Tee durchgezogen war, aber an diesem Ort war es ein wenig anders. Elfen besaßen die Fähigkeit, mit ihren Wünschen Dinge anzupassen. Deshalb konnte die Waldläuferin jetzt auch einfach ihren Finger in die Höhe strecken und ihn kreisen lassen und so dafür sorgen, dass sich die Farbe des Wassers veränderte. Nachdem das geschehen war, streckte die Waldläuferin dem Krieger, der sich auf den Boden gesetzt hatte, einen der Becher hin.​
»Ich kann nicht garantieren, dass er gut schmeckt.«​
»Ja«, erwiderte er und kippte sich den Tee einfach durchs Visier.​
»Solange er nicht giftig ist, soll es mich nicht stören.«​
»Das ist aber nicht gerade ein Lob.«​
»Das war wortwörtlich gemeint«, sagte der Krieger emotionslos.​
»Das sollte kein Lob sein.«​
Die Elfe schnaubte und ließ sich dann auf einem Stuhl nieder. Sie begann, mit den Beinen zu baumeln, und schlürfte ihren Tee. Sie blinzelte mehrfach und hatte dann ein breites katzenartiges Grinsen auf dem Gesicht.​
»Oh, wie lecker! Was machst du da, Orcbolg?«​
Goblin Slayer saß auf dem Boden und widmete sich irgendeiner Lederarbeit. Er flocht drei Schnüre aus Kuhleder zusammen und stellte so ein Tau her. Die Elfe stieg vom Stuhl und lehnte sich über seine Schulter, um ihm genauer bei der Arbeit zuzuschauen. Sie hibbelte hin und her, während er der komplizierten Handarbeit nachging.​
»Erinnerst du dich an den Goblin Champion?«​
»Ja ...«​
Die Waldläuferin verzog ihr Gesicht. Sie wollte sich eigentlich nicht an diesen Gegner erinnern. Fast hätte er ihre Gruppe ausgelöscht.​
»Das war doch der Gegner vor einem Jahr. Natürlich habe ich das nicht vergessen. Ich werde mich noch mindestens 200 Jahre daran erinnern.«​
»Für Gegner wie ihn und die Goblin Reiter habe ich mir einen Trick überlegt.«​
»Hm ... Du nennst es einen Trick, aber ist das nicht nur ein Tau?«​
»An einer Seite wird ein schwerer Stein befestigt.«​
Das Tau würde ungewöhnlich lang werden. Fertiggestellt würde es bestimmt mehrere Dutzend Meter messen. Ein normaler Abenteurer hätte mit so etwas sicherlich nichts anfangen können, doch so einer war Goblin Slayer ja bekannterweise nicht.​
»Aber interessant, dass du so etwas Sperriges herstellst.«​
»Ich will es ja auch nicht verkaufen.«​
»Du weißt schon, dass ich das nicht meine ...«​
Die Waldläuferin seufzte.​
»Ich würde eher ... «​
Die Elfe schnappte sich einen Lederriemen und holte dann aus dem Gepäck des Zwergs zwei runde Steine hervor. Mit ein paar schnellen Handgriffen hatte sie an jedem Ende des Riemens einen Stein befestigt.​
»Hier, schau!«​
»Was soll das sein?«​
Anstatt zu antworten, griff sie den Riemen in der Mitte und schwang ihn herum. Die Steine wirbelten durch die Luft und prallten immer wieder laut gegeneinander.​
»Schau mal. So gibt es ein klackendes Geräusch.«​
»Und was soll der Krach bringen?«​
»Er macht Spaß!«​
»Hmpf ...«​
Goblin Slayer wandte den Kopf ab und befestigte am Ende des Ledertaues einen schweren Stein. Von dem Knoten strich er mit der Hand langsam und fest am Tau entlang, bevor er die Verfassung des Steins überprüfte. Scheinbar zufrieden mit dem Ergebnis wickelte er anschließend das Tau mit dem Stein in der Mitte auf.​
»Ich werde mehrere hiervon herstellen. Ich habe schon mal von etwas Ähnlichem gehört.«​
»Klasse. Dann nehme ich auch eins!«​
»Du kannst das fertige haben.«​
»Nein, ein anderes!«​
»Dann eben nicht.«​
Vielleicht war die Elfe aufgeregt oder es lag daran, dass sie sich nach der Rückkehr in ihre Heimat entspannt hatte, aber es passierte etwas, was normalerweise undenkbar für sie gewesen wäre: Jemand hatte sich nähern können, ohne dass sie es bemerkt hatte.​
»Ahem ... Was ist denn hier los?«​
Die Stimme klang verärgert, aber sie sprach in einer Art Singsang. Sie kam von einer Person mit Ohren wie Bambusgras. Ihre Haare erinnerten an die Milchstraße mit ihren unzähligen Sternen und ihre Augen schimmerten silbern. Sie war eine Elfe und es bedurfte keines zweiten Blickes, um zu erkennen, dass sie zur gehobenen Art gehörte. Sie besaß einen dünnen, hochgewachsenen Körper, der trotzdem kurvig war. Es war schwer, sie zu beschreiben, nicht weil es einem an Fähigkeiten fehlte, sondern weil sie jegliche Vorstellungskraft überstieg. Sie trug eine Blume aus Kronen im Haar. Als die Elfe sie erblickte, sprang sie sofort auf.​
»W... W ... Was? S ... Schwester?! Wieso?«​
»Warum wohl? Weil du extra für die Feier angereist bist, wollte ich dich begrüßen!«​
»D... Das ... alles hier ist nicht meins!«​
»Was soll diese lüsterne Unterwäsche?!«​
»Sie weiß also, was Unterwäsche ist ...«, murmelte die Waldläuferin, aber ihre Schwester hörte das natürlich.​
»Was hast du damit vor?«​
»W... Wie gesagt, die gehört meinen Freunden!«​
»Willst du mir damit etwa sagen, dass du das Gepäck anderer durchwühlst?«​
»Ahm ...«​
»Sowieso, wie siehst du eigentlich aus? Raue Haut und dann diese wilden Haare! Lebst du enthaltsam und kümmerst dich um dich? Und was ist mit diesen Abenteurern? Sind die überhaupt etwas für jemand Unachtsamen wie dich? Nimmst du alle Aufträge an oder suchst du sie dir ordentlich aus? Gegen die Intrigen der Menschen kommen selbst die Dämonen nicht an. Ich habe dir doch gesagt, dass du nachdenken sollst, bevor du irgendwas unternimmst.«​
Nachdem sie ihre Predigt, während der sie perfekt anmutig geblieben war, beendet hatte, positionierte die Waldprinzessin sich vor ihrer Schwester.​
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung.«​
»...«​
Goblin Slayer richtete seinen Eisenhelm in Richtung der anmutigen Elfe und schwieg. Erst nachdem einige Momente vergangen waren, schüttelte er den Kopf und sagte:​
»Nein.«​
Als die Waldläuferin anfing, widerwillig die Unterwäsche wegzuräumen, atmete die Waldprinzessin auf. Ihre Gesichtszüge entspannte sich zu einem Lächeln.​
»Und du bist also Orcbolg?« »​
So werde ich zumindest von deiner Schwester genannt.«​
»Ach, also doch.«​
Sie klatschte in die Hände.​
»Du siehst anders aus, als die Lieder dich beschreiben.«​
»Lieder sind Lieder. Ich bin ich.«​
»Oje ...«​
Sie kicherte. Das Lachen erinnerte an ein über den Boden rollendes Glöckchen. Es war dem der Waldläuferin sehr ähnlich.​
»Vielen Dank, dass du dich um meine Schwester kümmerst. Bestimmt macht sie dir nichts als Ärger, oder?«​
Goblin Slayer brummte und schaute zu seiner Kameradin.​
Ihre Ohren hingen traurig herunter.​
»Nein. Sie ist mir eine große Hilfe.«​
Die Ohren seiner Kameradin richteten sich wieder auf.​
»Wenn es einen fähigeren Waldläufer, Jäger und Späher gibt, schmeiß sie einfach aus deiner Gruppe.«​
»Es ist nicht nur eine Frage der Fähigkeiten ...«, fing Goblin Slayer mit dem Erklären an, aber hielt dann inne.​
»Hm?«​
Die Waldläuferin legte stutzend ihren Kopf schräg. Ein solches Verhalten war sie von dem Krieger nicht gewöhnt.​
»Was hast du, Orcbolg?«​
»Ach, nichts.«​
»Hm?«​
Die Elfe brummte und schaute in die Richtung, in die Goblin Slayers Helm zeigte. Dort kniete eine Kammerdienerin und wartete. Die Hälfte ihres Körpers versteckte sie im Schatten.​
»Ach, sie ist ...«, druckste die Waldprinzessin herum, als würde sie es nicht aussprechen können.​
»Ich weiß.«​
Aufgrund seiner emotionslosen Worte zitterten die Schultern der Elfendienerin. Goblin Slayer stand auf und ging stapfend in ihre Richtung.​
»Orcbolg, warte!«​
Die Kameradin des Kriegers wollte ihn aufhalten, doch er ging einfach weiter. Als er sich vor der Kammerdienerin befand, kniete er sich hin. Er schaute ihr ins Gesicht.​
»Ich habe sie getötet.«​
Die Frau schaute ihn mit einem unsicheren Blick an, weshalb Goblin Slayer nickte.​
»Ich habe sie allesamt getötet.«​
Aus ihrem linken Auge quoll eine Träne hervor. Sie schüttelte ihren Kopf und ihre rechte Gesichtshälfte, die bis gerade noch im Schatten versteckt gewesen war, kam zum Vorschein. Von den Schwellungen von damals war nichts mehr zu erkennen. Sie war die Elfenabenteurerin aus der Ruine mit dem Oger.​
***
»Er hat sie also gerettet.«​
Ein leichter Windstoß strich der Waldläuferin durchs Haar. Sie atmete tief durch, bevor sie ihrer Schwester antwortete:​
»Orcbolg war das nicht allein.«​
»Ja, das weiß ich doch.«​
Sie befanden sich auf dem Balkon des Gästezimmers. Er bestand aus Ästen und Ranken, die miteinander verwoben worden waren, um so einen Platz zum Stehen zu kreieren. Von hier aus hatte man eine wundervolle Aussicht auf die Siedlung der Elfen. Man konnte alles überblicken. Während Goblin Slayer bei der Kammerdienerin blieb, bis sie mit dem Weinen aufhörte, war dies ein idealer Ort zum Warten.​
Die Schwester der Waldläuferin hielt ihre Haare fest und sagte:​
»Du hast sie zusammen mit deinen Kameraden gerettet.«​
»Ich musste schließlich zeigen, dass ich etwas drauf habe.«​
Die Waldprinzessin lehnte sich auf das Geländer aus Efeu.​
»Ja, aber jetzt kannst du damit auch aufhören, oder?«​
»Womit?«​
»Cutchucahathari.«​
Das Wort bedeutete »Abenteurer« in der Sprache der Elfen. Die Ohren der Waldläuferin wackelten.​
»Im Austausch für all die Gefahren, denen du dich aussetzt, erhältst du doch nur wenig Geld, oder?«​
»Das stimmt zwar ... «​
Die jüngere Schwester der Prinzessin hatte keine Ausrede parat. Auch wenn der König der Menschen für die Abenteurer bürgte, war es ein eher zwielichtiger Beruf. Mit Waffen in den Händen drang man in Höhlen ein, beschmutzte sich mit Blut und Dreck, tötete Monster und raubte Schätze. Es war wortwörtlich ein Hack and Slash. Eine Aufgabe, bei der man ständig mit dem Tod flirtete.​
»Bei einem Echsenmenschen würde ich noch ein Auge zudrücken, aber mit einem Zwerg auf Reisen zu gehen ... das gehört sich wirklich nicht.«​
Die Waldläuferin verstand sofort, dass ihre Schwester mit ihrer Aussage auch darauf anspielte, dass sie doch die Tochter des Anführers der Elfen war. Obwohl sie eine Elfenprinzessin war, arbeitete sie als Laufbursche der Menschen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, war sie auch noch mit einem Zwerg unterwegs.​
»Es gibt sogar schon unaussprechliche Gerüchte ... «​
»Ha ha ha! Nein, nein. Auf keinen Fall!«​
Jetzt musste die Elfe einfach lachen. Es gab Lieder über Beziehungen zwischen Elfen und Zwergen, aber die Waldläuferin konnte sich das überhaupt nicht vorstellen. Die Waldprinzessin atmete müde aus, während ihre Schwester wild abwinkte. Dann fragte sie:​
»Und er?«​
»Orcbolg?«​
»Genau.«​
Die Waldprinzessin nickte und schaute in die Ferne.​
Von hier sah es aus, als wäre der Wald unendlich. Der Wind ließ die Blätter der zahllosen Bäume rascheln und Vögel erhoben sich flatternd in die Luft. Ein Schwarm hellrosafarbener Flamingos war gerade dabei, im Wald zu verschwinden.​
»Anhand der Lieder dachte ich eigentlich, dass er ein Held wäre.«​
»Ein kritischer Treffer und schon flog das Haupt des Goblin Königs hoch durch die Luft. Oh, schaut, diese blau leuchtende Klinge. Aus echtem Silber geschmiedet, wird sie ihren Herrn nicht betrügen. Damit endeten die Ambitionen des Herrschers jäh zu früh und der Held erhielt die Prinzessin für seine Müh. Doch er war der Goblin Slayer. Und so war er ewig verdammt, allein zu ziehen durch unser Land. Ohne sich nur einmal umzuwenden, zog er von dannen.«​
Begleitet vom Rauschen des Windes, sagte die Elfe ein Gedicht auf. Es war die Heldengeschichte eines einzelnen Mannes, der gegen Goblins kämpfte. Es war der Goblintöter: Goblin Slayer. Obwohl es eigentlich ein raues Gedicht war, klang es im Zusammenspiel mit dem Wind äußerst traurig. Die Waldprinzessin wackelte mit den Ohren, als wollte sie die Worte wegwischen.​
»So sieht er aber nicht aus ... «​
»Es ist schließlich ein Gedicht.«​
Die Abenteurerin hatte einen Finger ausgestreckt und malte mit ihm Kreise in die Luft.​
»Er würde auch nie ein Schwert aus Silber benutzen.«​
Während ihre Schwester kicherte, verdrehte die Waldprinzessin die Augen. Wäre ein Mann dort gewesen, wäre er der Waldläuferin in diesem Moment sicher verfallen.​
»Warum umgibst du dich mit so einem Mann?«​
»Warum? Nun ja ·.«​
Die Abenteurerin begann nachzudenken und setzte sich auf das Geländer des Balkons. Während ihre Beine in der Luft baumelten, riss ihre Schwester die Augen auf. Da sie nun aber schon seit 2.000 Jahren so war, würde sie sich jetzt wohl auch nicht mehr ändern - zumindest nicht so einfach.​
Warum wohl? Was ist der Grund? Zu Beginn hatten sie und die anderen Hilfe beim Beseitigen von Goblins gebraucht. Weil er sich dann als anders als alle anderen Menschen erwiesen hatte, hatte er ihr Interesse geweckt.​
»Weil er immer nur Goblins vertreiben geht, wollte ich ihn ein richtiges Abenteuer erleben lassen.«​
Ja, das war es. Sie hatte ihm beim Vertreiben von Goblins geholfen und mittlerweile hatten sie schon mehr als zehn Aufträge gemeinsam erledigt. Sie kannten sich inzwischen seit über einem Jahr.​
»Ich konnte ihn einfach nicht allein lassen ... Ich habe noch nicht genug von ihm ... Das ist wohl alles.«​
»Und aus diesem Grund gehst du weiterhin Goblins bekämpfen?« »Manchmal. Wirklich nur manchmal.«​
Plötzlich verlor die Waldläuferin das Gleichgewicht. Sie fiel nach hinten weg und schaffte es gerade noch, sich mit den Beinen am Geländer festzuhalten. Ihre Schwester schaute sie tadelnd an, während sie grinste.​
»Dafür übernimmt er bei allen Abenteuern vorne die Verteidigung.«​
»Du weißt doch«, die Stimme der Waldprinzessin zitterte, während sie ihren Blick auf die Dienerin im Gästezimmer richtete, »wie es am Ende ausgehen wird, oder?«​
Die Waldläuferin lächelte weiter. Sie sagte nichts. Es musste nicht ausgesprochen werden, dass für viele Elfen das Leben irgendwann zur Plage wurde.​
»Also dann ... «​
»Man lebt nur einmal, Schwester.«​
Die Abenteurerin kletterte wieder auf den Balkon. Mit beiden Händen klopfte sie den Staub von ihrer Kleidung, ließ ihren Zopf im Wind tanzen und nickte leicht.​
»Das gilt für Elfen und Menschen genauso wie für Zwerge und Echsenmenschen. In diesem Punkt sind wir gleich. Nicht wahr?«​
»Sag mal, bist du etwa ... «​
Die Waldprinzessin wurde von einem bebenden Brüllen unterbrochen. Fast zeitgleich mit diesem donnerartigen Schrei flog ein großer Schwarm von Flamingos davon. Direkt darauf war das Knacken und Krachen von umkippenden Bäumen zu hören.​
»Schwester, in Deckung!«​
»Was?!«​
Die Bogenschützin sprang sofort schützend vor ihre Schwester. Instinktiv griff sie nach ihrem Bogen, doch der befand sich im Zimmer. Sie schnalzte mit der Zunge, aber ihr Mund verzog sich zu einem Grinsen. Sie riss ihren rechten Arm hoch und augenblicklich flog der Bogen in ihre Hand.​
»Könntest du bitte nicht meine Waffe durch die Gegend schmeißen?«​
Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer ihr den Bogen zugeworfen hatte. Ein billiger Eisenhelm, eine dreckige Lederrüstung, ein mittellanges Schwert am Gürtel und am Arm ein kleiner Rundschild.​
»Goblins?«​
»Das weiß ich nicht.«​
Nachdem der Krieger der Elfe auch ihren Köcher zugeworfen hatte, trat er zu ihr heraus auf den Balkon. Sie zuckte mehrfach mit den Ohren.​
»Es kommt aus der Richtung. Pass auf meine Schwester auf.«​
»Ja.«​
Goblin Slayer zog einen Stein aus seiner Tasche und lud ihn in die Schleuder. Dann hob er sein Schild über den Kopf der Prinzessin, die am Boden kniete. »Bleib so und krieche zurück ins Zimmer.«​
»I... Ich soll über den Boden kriechen?!«​
»Goblins benutzen auch Bögen.«​
Die Waldläuferin musste leicht grinsen, während sie ihre erschrockene Schwester beobachtete. Sie sprang auf das Geländer des Balkons und stabilisierte ihren Stand. Dann hüpfte sie auf einen breiten Ast. Dass dabei kein einziges Blatt herabfiel, zeugte von ihrer Leichtfüßigkeit.​
»Hm?!«​
Der Blick der Abenteurerin fiel auf etwas Unglaubliches. Es war eine gewaltige Bestie. Ihre säulenartigen Beine zertrampelten alles unter ihnen und der tauartige Schwanz schnitt pfeifend durch die Luft. Auf ihrem Rücken befanden sich Platten, die wie Fächer anmuteten, und der mauerartige Torso war von einer dicken Haut umhüllt. Ihre speerartigen Hörner zerrissen Bäume und sie war locker über fünfzehn Meter groß. Sie bewegte ihren Hals wie eine riesige Ranke und ihr Maul war voller scharf er Zähne.​
»MOOOKKEEEEELLL!!«​
»Interessant«, sagte Goblin Slayer, während er vom Balkon auf die gewaltige Bestie schaute.​
»Das ist also ein Elefant?«​
»Nein!«, schrie die Elfe gequält zurück. Es war das erste Mal, dass sie diese Bestie sah, doch sie kannte ihren Namen:​
»Emera Sontuca, Mubiel Mubiel Mubiel, Sogma Monene!«​
Es war die Vernichterin der Wasserbestien, Trägerin der Rückenplatten, Gottheit der Schlangen. Kurz gesagt:​
»MokeleMbembe!«​
Die, die den Fluss im Zaum hielt.​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 59
Kampf mit der Bestie


Während Goblin Slayer und die Elfe den Baum herabstiegen, kamen ihre Kameraden ihnen automatisch entgegen und die Gruppe fand sich wie von selbst vor dem Schloss der Elfen zusammen.​
»Was ist denn hier los?!«, rief der Zwerg.​
»Ein Monster mit irgend so einem Namen wütet herum«, antwortete der Krieger und schaute sich um,​
»Was ist mit den beiden?«​
»Ich habe ihnen gesagt, sie sollen auf ihr Zimmer zurückgehen und dort warten«, antwortete die Priesterin, deren Haare und Haut noch ein wenig feucht waren. Sie war eilig aus dem Bad gestürzt und hielt sich jetzt eine Hand vor die Brust, um ihre Atmung und ihren Herzschlag zu beruhigen. »Dort sind sie bestimmt sicher.«​
»Dann haben wir uns wohl auf dem Weg verpasst.«​
Kurzerhand entschied Goblin Slayer, dass es gut so war. Es sollte hier keinen sichereren Ort geben als das Schloss der Elfen. Es störte ihn ein wenig, dass er sie nicht im Blick hatte, aber es hätte ihm auch nichts gebracht, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen.​
»MBEEEEEEENEEII!!«​
Wegen des ohrenbetäubenden Gebrülls der Bestie waren die Rufe der Krieger - oder vielleicht Jäger - der Elfen nicht zu hören. Mit Köchern auf ihren Rücken sprangen sie über die Zweige der Bäume nach oben.​
»Sie sind wohl unsicher, wie sie sich wehren wollen«, sagte der Echsenmensch unbekümmert und strich sich übers Maul.​
»Ich weiß zwar nicht, ob Elfen besonders gut oder schlecht in Schlachten sind, aber viele von ihnen werden wohl Kampferfahrung haben.«​
Seit dem Zeitalter der Götter hatte es immer wieder Kriege in der Welt der Vier Himmelsrichtungen gegeben und auch wenn Elfen sich nichts weiter als Frieden und Harmonie wünschten, hatten sie sich nicht jedem Kampf entziehen können. Aus diesem Grund hatten die meisten Elfen ihren Bogen bereits im Kampf gegen die Mächte des Chaos eingesetzt.​
»Ist das die, die den Fluss im Zaum hält? Gerät der Fluss denn außer Kontrolle, wenn man sie tötet?«​
Die Elfe kannte keine Antwort auf diese Frage und auch wenn schon ein Pfeil in ihrem Bogen lag, zögerte sie in ihren Bewegungen. Immer wieder zuckten ihre Ohren, um die Geräusche in der Umgebung zu hören.​
»Bei den Menschen wird sie „Die Lernäische Hydra“ genannt.«​
Die Priesterin schaute verwirrt drein und antwortete:​
»Sollte eine Hydra nicht mehr Köpfe haben?«​
»Auch wenn sie schon lange vor meiner Geburt lebte, ist sie noch jung«, erzählte die Elfe mit finsterer Stimme.​
»Sie ist ein kostbares Lebewesen, gegen das wir sowieso keine Chance haben. Wir werden sie auf keinen Fall besiegen können.«​
»Also müssen wir ihr Vordringen aufhalten und sie zurück in den Wald schicken, oder?«​
Der Priesterin kam diese Aufgabe fast unmöglich vor, doch sie hielt tapfer ihren Stab fest und sagte entschlossen: »Wir müssen unser Bestes geben!«​
Irgendjemand lachte, als hätte sich gerade eine gewaltige Anspannung in der Luft aufgelöst. Der Echsenmensch schaute in die Ferne zur gewaltigen Bestie und rief vergnügt:​
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich hier die Chance erhalten würde, einen Nachfahren des fürchterlichen Drachen zu verspeisen. Ach, welch Glück!«​
»Du darfst sie nicht fressen!«, schimpfte die Elfe, unsicher, ob ihr Kamerad es ernst meinte oder nicht.​
»Werte Waldläuferin, wir sollten sofort den langen Hals hoch laufen und ein paar Pfeile in die Augen schießen!«​
»Wir dürfen sie nicht töten!«​
»Dann vielleicht ein paar Pfeile in die Beine und Sehnen?«, murmelte der Zwerg.​
»Manchmal sterben Lebewesen aber schon durch den Schock, angeschossen zu werden.«​
»Ich glaube, dass das Biest etwas tapferer als ein Floh ist.«​
»Dennoch«, erhob Goblin Slayer die Stimme, während er fest in die Richtung des Monstrums schaute, das sich immer weiter näherte, »scheint wirklich jemand hinaufzusteigen und Pfeile schießen zu müssen.«​
Die riesige Gestalt näherte sich immer weiter und riss dabei mit ihrem Körper immer wieder Bäume um. Sie ähnelte einem Drachen und war dennoch keiner. Sie ähnelte einem Reptil und war dennoch keins. Der Echsenmensch konnte seine Bewunderung für dieses Wesen nicht unterdrücken.​
»Oh, ein Brachio-, ein Bronto- oder gar ein Alamosaurier!«​
Tief berührt sprach er ein Gebet zu dem fürchterlichen Drachen und stieß ein vogelartiges Geräusch aus.​
»Ich hätte nie erwartet, in diesem Land einen zu Gesicht zu bekommen!«​
»Schaut auf den Rücken«, wies Goblin Slayer ruhig seine Kameraden an.​
»Hmpf!«, brummte einer von ihnen zurück.​
Auf dem Rücken von Mokele Mbembe befanden sich flossen artige Platten, die beim Wüten der Bestie schwankten und Geräusche machten. Zwischen den Platten bewegten sich unsicher schaukelnde schwarze Gestalten. Sie hielten sich an etwas fest, während sie wild mit den Armen fuchtelten.​
»Ist das ... ein Sattel?«​
Die Elfe blinzelte, als könnte sie ihren Augen nicht glauben.​
»Sind das Goblins?!«​
Die Waldläuferin hatte es richtig erkannt. An den Rückenflossen von Mokele Mbembe hingen Goblins. Es war eine besondere Art der Biester, gegen die sie bereits auf dem Hof und auch gestern gekämpft hatten.​
»Goblin Reiter ...«, murmelte die Priesterin mit zitternder Stimme.​
Sie konnte verstehen, dass die grünen Plagen Wölfe, Pferde oder vielleicht auch Esel reiten würden, aber solch ein Biest?​
»Sollte man sie ... als Goblin Drachenritter bezeichnen ...?«​
»Es sieht nicht so aus, als würden sie Zügel halten«, stellte Goblin Slayer komplett emotionslos fest.​
»In der Tat. In der Tat«, stimmte der Echsenmensch zu.​
»Aber selbst jemand, der nicht reiten kann, kann einem Pferd die Sporen geben. Nicht wahr?«​
»Was denkst du?«​
»Die Reiter scheinen keine besonders große Gefahr zu sein.« Der Echsenmensch legte eine Hand aufs Maul und verdrehte die Augen. Tief in Gedanken beobachtete er Mokele Mbembe.​
»Wer das Pferd will, der muss erst den Reiter beseitigen. Das wäre wohl die beste Taktik.«​
»Darauf bin ich vorbereitet.« Goblin Slayer schaute hoch zu dem Gästezimmer.​
»Auf jeden Fall sollen diese Goblins sterben. Es gibt keinen Grund, sie am Leben zu lassen.«​
»Überlass das mir!«, meldete sich die Elfe zu Wort.​
Sie starrte auf die Goblins auf Mokele Mbembes Rücken.​
»Diese Viecher gehen mir auf die Nerven. Nicht nur gestern, sondern auch heute. Dabei ist das hier mein Zuhause!«​
Der Krieger nickte und klopfte der Waldläuferin auf die Schulter. Ihre langen Ohren zuckten stark. Dann sagte er:​
»Dieses Ding, egal wie es auch heißen mag, werden wir aufhalten.«​
»Ich bin dabei.«​
»Natürlich. Natürlich.«​
Wahrend die Elfe noch von Goblin Slayers Schulterklopfen überrascht war, reagierten der Echsenmensch und der Zwerg wie immer. Goblin Slayer hatte seinen Kameraden schon oft bewiesen, dass er ihr Vertrauen verdient hatte, und deshalb überließen sie ihm auch diesmal die Führung.​
»Äh, ich ...«​
»Bereite dich darauf vor, Wunden zu heilen«, wies Goblin Slayer die Priesterin an.​
»Wenn wir es nicht umbringen dürfen, sollten wir vorsichtig vorgehen.«​
Damit war entschieden, wie sie vorgehen würden. Die Elfe hielt den Bogen bereit, um auf eine Angriffsmöglichkeit zu warten. Der Zwerg steckte seine Hände in die Tasche mit Katalysatoren. Der Echsenmensch fletschte die Zähne und sprach ein Gebet. Die Priesterin zog ihren Stab fest an sich, um ein paar Worte zur Erdmutter zu sprechen. Goblin Slayer bereitete seine Ausrüstung vor, als ...​
»Hey! Was macht ihr da?!«​
. . . eine strenge Stimme wie ein Pfeil angeschossen kam.​
Wahrscheinlich hatte er gerade Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht. Es war der Cousin der Waldläuferin und seine Stirn war vor Aufregung und Anspannung schweißnass.​
»Ach, Bruder. Es ist alles gut. Mach dir mal keine Sorgen.«​
Die Elfe lächelte vollkommen entspannt.​
»Wir sind doch an so etwas gewöhnt.«​
»Dennoch ...«​
»Das ist meine Arbeit.«​
Der Krieger zog sein Schwert. Die Gegner waren Goblins und für ihn war klar, was er zu tun hatte.​
»Es ist meine Aufgabe, die Goblins zu töten.«​
***
Weitere Bäume wurden umgerissen und Gebrüll ertönte. Die Bestie fletschte ihre Reißzähne, um alles in ihrem Blickfeld auszulöschen. Die kleinen Bestien auf ihrem Rücken gefielen ihr gar nicht. Wenn sie sich nur zur Aufgabe gemacht hatten, dem Tier die Sporen zu geben, dann hatten die Goblins ihr Ziel erreicht. Allerdings hofften sie, Mokele Mbembe kontrollieren zu können. Das würde nicht so einfach für sie sein.​
»GOO! GRRB!!«
»MBEEEEMMMBE!!«​
Doch egal, ob sie die Bestie kontrollierten oder nicht, aktuell war diese eine Bedrohung für die Siedlung der Elfen. Weil die langohrigen Waldbewohner sie aber nicht einfach umbringen konnten, versuchten sie gerade, Mokele Mbembe mithilfe der Naturgeister alle möglichen Hindernisse in den Weg zu legen. Diese trat sie zwar einfach aus dem Weg, aber es war besser als nichts. Nur eine Elfe wagte es, mit Pfeilen in Richtung der heiligen Bestie zu schießen.​
»Und hepp!«​
Sie tanzte über Äste und verschoss dabei in eleganter Bewegung einen Pfeil. Er flog zischend durch die Luft, doch prallte dann mit einem Klacken an einer von Mokele Mbembes Rückenplatten ab.​
»Hmpf...«​
Als sie bemerkten, was die Waldläuferin trieb, schrien die älteren Elfen sie an, doch sie ließ sich davon nicht beirren. Sie leckte sich schnell über die Lippen, stieß sich ab und sprang noch schneller zwischen den Bäumen hin und her. Rasant passierte sie die aschgraue Bestie und hielt sich hoch an einem Baum am Moos fest.​
»Das ist zwar ein wenig unmanierlich, aber ... Hepp!«​
Während sie sich mit einem Arm und einem Bein am Baum festhielt, legte sie mit ihrem Mund einen Pfeil an, zog die Sehne zurück und ließ sie los schnellen. Direkt darauf ertönte ein Schrei.​
»GOORB?!«​
Der Pfeil hatte sich durch die Rückenplatten hindurch geschlängelt und sich perfekt in die Augenhöhle eines Goblins gebohrt. Dieser versuchte verzweifelt, ihn mit seinen letzten Atemzügen herauszuziehen, fiel dann aber vom Rücken der Bestie und wurde von ihr zertrampelt. Es blieb nichts weiter als ein wenig Unrat zurück.​
»Sie kommt in deine Richtung!«​
»Hmpf!«​
Der Echsenmensch antwortete seiner Kameradin mit einem Schnaufen und stellte sich Mokele Mbembe mit breiten Beinen in den Weg. Obwohl eine wütende Bestie aus den Tiefen des Waldes auf ihn zukam, bewegte sich der Mönch nicht von der Stelle.​
»Ein würdiger Gegner und ein würdiger Ort für einen Kampf!«​
Das Maul des Echsenmenschen verformte sich zu einem wilden Grinsen. Ein Sieg würde ihm Ruhm einbringen und selbst wenn er hier starb, hätte er seinen Kameraden wenigstens etwas Zeit verschafft. Da ihm beides recht war, stellte er sich ohne Angst seinem Gegner. Ach, welch Glück! Dass ich hier einem Nachfahren des fürchterlichen Drachen gegenübertreten darf!​
Er holte tief Luft und dachte heiter an den Tod. Alle in seinem Volk waren der Überzeugung, dass es keine größere Ehre gab, als in einer Schlacht zu sterben. Sie hofften darauf, dass ihre tapferen Seelen irgendwann die Sphären eines Drachen erreichen würden.​
»Hajaaaaaah!«​
Der Echsenmensch schrie, so laut er konnte. Die heiße Luft aus seinen Lungen ließ die Umgebung erzittern.​
»MOOOOOBMMBE!!«​
Mokele Mbembe antwortete dem Mönch mit einem eigenen Schrei und riss dann ihre Vorderbeine in die Höhe. Als hohes Lebewesen hatte sie wahrscheinlich keine Angst vor einem winzigen Etwas wie einem Echsenmenschen, aber zumindest war es ihm gelungen, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie ließ ihre Vorderbeine wie übermächtige Kriegshämmer auf ihn herabrasen.​
»Trinke und singe, Geist des Weins! Singe, tanze und schlafe ein. Zeige mir die Träume eines Betrunkenen.«​
Doch plötzlich begann ihr massiver Körper zu taumeln. Mit einem dumpfen Rumpeln verfehlten die Vorderbeine den Echsenmenschen und schleuderten Schlamm durch die Gegend.​
»Hoppla. Hm. Wie sollen wir das werten?«, fragte sich der Mönch.​
»Als ein Unentschieden. Belassen wir es beim Unentschieden«, antwortete ihm der Zwerg. Er hatte den Zauber Trunkenheit gewirkt. Obwohl er sich hier im Dorf und Gebiet der Elfen befand, war der Geist des Alkohols fest mit dem des Schamanen verbunden.​
»MOKEEEEEKEKELE ...«​
Vom Alkoholdunst umhüllt schwankte Mokele Mbembe und schüttelte verwirrt den Kopf.​
»Leg los, Bartschneider!«​
»Gut.«​
Auf den Zuruf des Zwergs setzte Goblin Slayer sich in Bewegung. Er hatte zwischen den Baumwurzeln auf den richtigen Moment gewartet. Er zog einen eiförmigen Gegenstand aus seiner Tasche und warf ihn nach vorne.​
»MOLLLLKEEEEEL?!?!?!«​
Ein Pulver Dunst stieg Mokele Mbembe ins Gesicht und blendete sie nicht nur, sondern sorgte auch für höllische Schmerzen. Wild warf sie sich hin und her.​
»Und was machen wir nun?«, fragte die Priesterin, die neben dem Krieger gewartet hatte und nur zu gut wusste, dass man sich dem Biest jetzt nicht nähern sollte.​
Wahrscheinlich war sie aufgeregt, doch Goblin Slayer kümmerte sich nicht darum.​
»Wir haben dem Gegner das Urteilsvermögen genommen«, erklärte er.​
Dann schaute er hoch und machte eine Handbewegung.​
»Lasst es fallen.«​
»Ähm ... Wirklich? Geht das in Ordnung?«​
Hoch oben auf dem Balkon des Gästeraums streckte die Kuhhirtin zögernd den Kopf über das Geländer hervor.​
»Kein Problem.«​
»In Ordnung.«​
Das Mädchen griff das sperrige Objekt, das auf dem Boden bereitlag. Obwohl es körperlich anstrengende Arbeit gewöhnt war, war der Gegenstand wirklich schwer. Zu seinem Glück half ihm die Gilden Angestellte dabei.​
»Ich nehme diese Seite ... «​
»Dann ich die hier ... Also auf drei ...«, antwortete die Beamtin keuchend.​
»Gut ... Eins, zwei, drei!«​
Was die beiden Frauen hochhoben und anschließend herunterwarfen, ließ sich am ehesten als ein Tauknäuel beschreiben. Es war das Objekt, das Goblin Slayer hergestellt hatte. Als es auf dem Boden aufschlug, machte die Priesterin einen Sprung zurück, doch Goblin Slayer schnappte sich sofort ein Ende des Taus. Er befahl seiner jungen Kameradin:​
»Du bleibst da in Stellung.«​
»Alles in Ordnung?«, schallte von oben eine Stimme herunter, auf die der Krieger nur mit einem Winken antwortete und sich das Tau über die Schulter legte.​
Der Echsenmensch hob interessiert das andere Ende des Taus​
hoch und fragte:​
»Was wird das?«​
»Das«, erklärte Goblin Slayer, »werfen wir um die Beine.«​
»Nichts weiter?«​
»Wenn es nicht funktioniert, lasse ich mir etwas anderes einfallen.«​
»Jawohl, verstanden.«​
Die beiden Abenteurer nahmen voneinander Abstand und liefen los. Der Zwerg machte mit einem „Oh“ einen Satz nach hinten, während der Elfe oben im Baum ein bewunderndes „Wow“ herausrutschte. Als sie sich Mokele Mbembe näherten, warf Goblin Slayer das Tau mit mechanischen Bewegungen nach vorne. Die Bestie riss die Beine hoch und begann, auf dem Tau, das unter ihm gelandet war, herumzutrampeln, aber genau das sorgte dafür, dass sich die eine Seite um ihre Beine wickelte, während sich die andere in den Bäumen verfing.​
»Oho!«​
Der Echsenmensch verdrehte die Augen.​
»Das ist wirklich ein großartiges Mittel.«​
»Das weiß ich noch nicht.«​
»Aber man muss es nur werfen und dann verfängt es sich, oder?«​
Die Bestie versuchte, sich gegen das Tau zu wehren, doch mit jeder Bewegung wurde es hochgerissen und verhakte sich stärker in Bäumen, Ästen oder Dickicht.​
»MBEMBEMBEMBE?!?!«​
Schließlich waren alle vier Beine von Mokele Mbembe fest umwickelt und der gewaltige Körper fing an, sich zu neigen. Kurz darauf fiel die Bestie mit einem Beben auf die Seite.​
»S... Sie ist umgefallen?«​
»Im wahrsten Sinne des Wortes.«​
Wahrend der aufgewirbelte Staub noch in der Luft hing, konnte man das schwache Heulen der Bestie hören. Die Priesterin stand staunend da, aber als Goblin Slayer sich ihr zuwandte, nickte sie schnell. Sie sprach ein Gebet. Es war für die toten Seelen der Goblins.​
»In Ordnung?«, fragte Goblin Slayer im Anschluss.​
»Ja. Ich werde sofort mit der Heilung beginnen!«​
»Bitte.«​
»Ich werde dich begleiten.«​
Während er den Alkohol in seiner Flasche herum schwappen ließ, klopfte sich der Zwerg auf den Bauch.​
»Sollte das Biest noch einmal wild werden, werde ich es mit Trunkenheit einschläfern.«​
»Danke. Ich bitte darum!«​
Trappelnd lief die Priesterin los und der Zwerg folgte ihr mit stapfenden Schritten. Und obwohl Mokele Mbembe ein beunruhigendes Brummen ausstieß ...​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte lege deine Hände auf die Wunden dieser Person ... «​
... bat die Priesterin die ehrwürdige Erdmutter um Heilung, worauf sich die Wunden der Bestie zu schließen begannen. Es war der Wille der Götter. Unter anderem auch, weil die Bestie auf gewisse Art zu ihnen gehörte. Als sich das Monstrum etwas beruhigt hatte, näherte sich Goblin Slayer ihm mit stapfenden Schritten. Er begab sich zu den Leichen der Goblins, die auf der Bestie herum getreten hatten und deshalb kein Mitleid verdienten.​
»Hmpf...«​
Von den Viechern war nicht viel mehr als ein Brei aus Fleisch, Blut, Eingeweiden und Knochen übrig, doch der Krieger fand auch Reste von Lederrüstungen und Waffen. Dabei fiel ihm besonders auf, dass letztere aus Metall waren.​
»Woher kennst du diese Falle? Das ist eine alte Technik, um große Tiere zu fangen.«​
Wie ein Windstoß tauchte der Cousin der Waldläuferin plötzlich neben Goblin Slayer auf. Auf seinem Rücken befand sich ein Langbogen und in den Armen trug er ein Tau aus Weinreben.​
»Wenn man das Tau wirft, verfängt sich die Beute von selbst darin. Wir hatten auch schon eins vorbereitet.«​
»Weil ich von einem Elefanten gehört habe.«​
»Was?«​
Goblin Slayer ignorierte die Verwunderung des Elfen und fragte:​
»Gibt es im Wald noch weitere Siedlungen? Sie müssen nicht von Elfen sein.«​
»Nein. Kräutersammler aus der Stadt übernachten am Rand des Walds. In letzter Zeit sind es allerdings weniger geworden.«​
Nachdenklich legte der Cousin der Waldläuferin eine Hand an sein Kinn. »Manchmal dringen Abenteurer in den Wald ein, um Zutaten für besondere Heilmittel zu suchen oder Tierfelle zu erbeuten, aber nun ja ... Die meisten von ihnen kommen nicht zurück.«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayer nickte. Er griff sich ein eisernes Kurzschwert von einem Goblin.​
»Aber du hast mir noch nicht geantwortet.«​
»Mein Vater war Jäger.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»Mehr gibt es nicht zu erzählen.«​
Wenig später verschwand das Licht der untergehenden Sonne am Horizont und das Licht der beiden Monde schien auf den Wald herab. Die Besprechung zog sich. Da Elfen sich um den Verlauf der Zeit nicht sonderlich viele Gedanken machten, gab es für sie auch keinen Grund, solche Angelegenheiten schnell über die Bühne bringen zu wollen. Im Schein der Leuchtkäfer diskutierten sie darüber, wie die Zukunft der Siedlung aussehen sollte. Sie redeten über das Wüten von Mokele Mbembe, das Auftauchen von Goblins, die Angriffe auf Abenteurer und Händler, das Reiten der Goblins auf der Götterbestie und viele weitere Themen. Immer wieder gab es gegensätzliche Meinungen und Ideen und die Vorschläge häuften sich. Das sollte natürlich nicht heißen, dass Elfen dumm waren. Nein, genau das Gegenteil war der Fall. Gerade weil das Volk der Waldbewohner äußerst klug war, liebten sie es, alle möglichen Optionen in Betracht zu ziehen, bevor sie eine Entscheidung trafen. Sie wussten nur zu genau, dass es töricht war, vorschnell ein Urteil zu fällen. Einige meinten, dass man sich aufgrund der List der kleinen Teufel Sorgen machen sollte, während andere eher unbekümmert waren. Eine große Frage für alle war aber, wie die Goblins an ihre Ausrüstung gekommen waren. Steckte dahinter ein ungläubiger Charakter oder hatten sie die Waren einfach von Menschen gestohlen? Während Menschen höchstens zehn Jahre vorausschauten, dachten die Waldbewohner an das, was in hundert oder gar tausend Jahren geschehen würde. Deshalb wäre es hochmütig von Menschen, die Elfen als zögerlich oder ängstlich zu beschimpfen. Die Waldläuferin allerdings hatte schnell genug von all den Diskussionen ihrer Artgenossen gehabt und war davongeschlichen. Nun saß sie auf dem Ast eines großen Baums, den sie mithilfe eines Sprungs vom Balkon! des Gästezimmers erreicht hatte. Sie genoss das Flüstern der Blätter und dachte darüber nach, was sich wohl hinter den vorbeiziehenden Wolken versteckte. Sie wusste, dass dies ein idealer Ort war, um das Leben zu genießen, aber trotzdem fielen ihre Gedanken zurück zu der Besprechung. Diese war eigentlich sinnlos, denn Orcbolg würde tun, was er immer tat: Sich um die Goblins kümmern. Und sie als Elfe, die aus dem Wald geflohen war und einen Pfeil auf die Götterbestie abgefeuert hatte, musste auch nicht auf die Entscheidung der Ältesten hören.​
Bestimmt nicht. Wahrscheinlich nicht. Vielleicht nicht, dachte sie mit einem Lächeln, während sich ein Vogel zu ihr gesellte. »Atana ...« (Du... )​
Eine singende Stimme drang an das Ohr der Waldläuferin, die nun aufgeregt den Vogel verscheuchte. Dieser flatterte wild mit den Flügeln und verschwand in dem Saal, der als Besprechungszimmer genutzt wurde.​
»Eth Poninoko Tanno Katam? Ianatschisaf!« (Bist du schon wieder hier hochgeklettert? Wie unanständig!)​
»Ara, lana Yujretto Boneth Tadasen.« (Ach, du bist doch auch hier, Schwester.)​
Die Elfe schaute nach unten und sah, dass ihre Schwester sich ihr lautlos über die Äste genähert hatte.​
»Onih, Ekkane Digjak?« (Musst du nicht an der Sitzung teilnehmen?)​
»Awatchi Sesakamo Inata Gama Shidjo.« (Das überlasse ich den Ältesten.)​
Mit betrübtem Gesicht schüttelte die Waldprinzessin ihren Kopf. Auch sie hatte sich aus der Besprechung fortgestohlen. Obwohl sie die Tochter des Anführers und eine Prinzessin der Elfen war, war sie noch nicht alt genug, um dort etwas sagen zu dürfen, denn für die Waldbewohner war das Recht der Ältesten absolut.​
»Iro Mutski?« (Wirst du gehen?)​
»Oisedia Nekwetzo?« (Ich kann es doch nicht einfach dabei belassen, oder?)​
Es war nicht klar, ob diese Aussage auf die Goblins oder auf Goblin Slayer bezogen war.​
»Onrieth Takau?« (Du weißt es doch, oder?)​
Die Waldprinzessin hakte nach, denn sie verstand nicht, was ihre Schwester dachte. Selbst als Hochelfe konnte man nicht die Gedanken anderer durschauen.​
»Hjitonjo Numuhuja, Ojonia Kijim.« (Ein Menschenleben ist sehr kurz.)​
Sie schritt den Ast entlang. Dabei wirkte sie wie eine blühende Blüte des Baumes.​
»Vami Setik, Inuoyu Katata Magisov.« (Wie das Glitzern der Sterne verschwinden sie.)​
Sie streckte ihre Hand in Richtung des Sternen gefüllten Himmels aus. Das strahlende Glitzern der Himmelskörper war unerreichbar weit weg. Der Ursprung des Regens und des brennenden Winds. Während sie ihre Schwester dabei beobachtete, wie sie nach etwas Unerreichbarem greifen wollte, musste die Waldläuferin lachen und streckte ebenfalls ihre Hand aus.​
»Ojonrieth Takau, Amasehn.« (Ich weiß es, Schwester.)​
Die Abenteurerin ließ ihren Finger in der Luft kreisen. Sie begann, in leicht singendem Tonfall in der Sprache der Menschen zu sprechen.​
»Sein Leben wird vielleicht nur fünfzig, sechzig oder siebzig Jahre andauern. Vielleicht endet es auch schon morgen. Gerade weil es nur so kurz sein wird, möchte ich jetzt an seiner Seite sein.«​
Für die unsterblichen Hochelfen war das Leben eines Sterblichen wie ein Edelstein, der an einen funkelnden Stern erinnerte. Man konnte die Hand ausstrecken, aber es nie fassen. Und sollte man dennoch zugreifen, würde man sich an der Hitze verbrennen.​
»Die Trennung wird hart sein.«​
Die Waldprinzessin schaute zu ihrer lächelnden Schwester und schüttelte die Hand.​
»Das wird schon«, meinte die Bogenschützin und wandte leicht den Blick ab, »nicht so schlimm sein.«​
Nachdem sie das fast belanglos gesagt hatte, ließ die Waldläuferin sich von ihrem Ast fallen. Noch in der Luft sagte sie:​
»Der Zwerg hat mir mal erzählt, dass auch der Kater am nächsten Tag zum Trinken dazugehört«, und griff nach einem Ast, von dem aus sie sich auf den dicken Zweig schwang, auf dem ihre Schwester stand.​
»Hach ... Dann kann ich wohl sagen, was ich will ...«​
Wie eine Nachtigall den Mond schaute sie mit leicht zugekniffenen Augen ihre geliebte Schwester an.​
»Du warst schon früher so. Nie hast du auf einen gehört.«​
»Bei dir war es doch genauso! Wie ich schleichst du dich aus der Besprechung!«​
Die Abenteurerin lachte und schaute ihrer Schwester ins Gesicht.​
»Ich habe überhaupt keine Ahnung, was an so einem engstirnigen, todernsten Elfen toll sein soll.«​
»Von dir muss ich mir so etwas nicht sagen lassen ...«​
Die Waldprinzessin verzog die Lippen und flickte ihrer Schwester den Finger vor die Stirn. Sie hatte das schon immer gemacht, auch als die beiden Kinder gewesen waren. Die Waldläuferin gab ein übertriebenes „Autsch“ von sich. Dann begann sie nachzudenken. Seit wann war sie eigentlich genauso groß wie ihre Schwester? Seit wann wusste sie von den Gefühlen zwischen ihrer Schwester und ihrem Cousin? Seit wann wollte ihre Schwester nicht nur eine Schwester, sondern auch eine richtige Elfe sein? Jetzt würde sie heiraten und nicht nur eine Ehefrau, sondern auch eine Herrscherin werden. Obwohl es noch nicht allzu lang her war, dass sie dem Blatt hinterhergelaufen und zur Abenteurerin geworden war, kamen ihr in diesem Moment die Ereignisse viel weiter entfernt vor als ihre Kindheitserinnerungen.​
»Komm heil wieder zurück ... Wir warten hier auf dich.«​
»Ja...«​
»Und was genau soll das hier werden?«​
Mit einer Haltung, die deutlich seine schlechte Laune zum Ausdruck brachte, setzte der Cousin der Waldläuferin sich elegant hin. Er wischte seine Haare, die im Nachtwind wehten und ihm lästig waren, zur Seite, doch auch diese Bewegung wirkte graziös. Vor ihm auf dem Balkon standen mehrere Flaschen Alkohol und gekochte Kartoffeln auf Tellern.​
»Was meinst du?«, fragte der Zwerg und strich sich durch den Bart.​
Er war eine von mehreren dort im Kreis sitzenden Personen.​
»Es ist doch normal, dass man als Bräutigam seinen Junggesellenabschied mit jeder Menge Alkohol verbringt, oder?«​
»Die Hochzeitszeremonie ist erst in einigen Tagen und wir befinden uns mitten in einer Besprechung.«​
»Für euch Elfen sind ein paar Tage doch nichts und die Sitzung wird eh nicht so schnell enden, egal, ob du da bist oder nicht.«​
»Ihr Zwerge seht die Dinge viel zu locker.«​
»Und ihr Elfen seid viel zu kleinkariert. Das verschwendet kostbare Lebenszeit.«​
Die lockere Aussage des Schamanen beschämte den Elfen und man konnte ihm sein Unbehagen genau ansehen. Der Echsenmensch verdrehte deshalb die Augen und sagte:​
»Vor einer Schlacht trinkt man doch auch mit seinen Kameraden. Betrachte es vielleicht auch als eine Art Abschiedsfeier von uns. Oder gibt es den Brauch bei euch Elfen nicht?«​
»Doch, den gibt es. Deswegen habe ich nicht abgelehnt, aber geht ihr wirklich?«​
»Selbstverständlich«, antwortete Goblin Slayer, ohne zu zögern.​
»Es geht um Goblins. Sie müssen alle getötet werden.«​
»Aber wie wollt ihr sie angreifen?«, fragte der Elf interessiert und leckte sich über die Lippen.​
»Das Nest der Goblins befindet sich tief im Wald.«​
»Hm ... Entweder über den Land- oder den Wasserweg.«​
Goblin Slayer verschränkte die Arme.​
»Was denkst du?«​
»Der Wasserweg wäre wohl besser. Die werte Waldläuferin wird keine Probleme mit dem Wald haben, aber ich will die werte Priesterin nicht dieser Hitze aussetzen«, antwortete der Echsenmensch.​
»An Land sind die Gegner im Vorteil. Anstatt ungeschickt durchs Dickicht zu brechen, sollten wir schauen, was in Richtung des Flusses liegt.«​
»Das Problem ist aber das Floß«, entgegnete Goblin Slayer und dachte an ihr erstes Gefecht gegen die Goblins im Wald.​
»Es hat keine Schilde gegen Geschosse. Es ist zu leicht zu versenken.« »Leider haben wir keine Zeit, um es umzubauen.«​
»Die Goblins wissen, dass wir hier sind. Wenn sie sich einen Plan ausdenken, könnte es unangenehm werden.«​
»Selbst ein schneller Plan kann eine lang ausgetüftelte Strategie besiegen.«​
Wie so häufig begannen Goblin Slayer und der Echsenmensch damit, kurzfristig einen Plan zu entwickeln.​
»Hm ...«, brummte der Mönch und wandte sich dem Zwerg zu.​
»Werter Schamane, hast du nicht ein Mittel?«​
»Ganz sicher.« Der Zwerg leckte seine Finger ab, weil er gerade eine Kartoffel gegessen hatte, und steckte seine Hand dann in die Tasche mit Katalysatoren. Auf den ersten Blick sah es wie eine Menge Gerümpel aus, aber es waren in der Tat Fetische. Nachdem er eine Weile gewühlt hatte, nickte der Schamane.​
»Ein Weg wäre, mit einem Windgeist die Pfeile abzuhalten, aber ich bin nicht sehr gut im Umgang mit ihm.«​
Zum Schmieden benötigte man die vier großen Elemente Erde, Wasser, Feuer und Wind, aber den Wind allein zu nutzen war eine ganz andere Angelegenheit.​
»Wenn es nur das ist, könnte ich Sylphen um Hilfe bitten«, bot der Cousin der Waldläuferin an.​
»Oho. Dafür wäre ich dankbar.«​
Der Zwerg klopfte sich auf den dicken Bauch. Währenddessen drehte sich der Elf Goblin Slayer zu.​
»Ich versteh es nicht. Ehrlich gesagt kann ich es kaum glauben.«​
»Was denn? Meinst du, dass sich Goblins in der Nähe eurer Siedlung eingenistet haben?«​
Weil der Elf sich entschieden hatte, am Gelage teilzunehmen, füllte er sich zuerst einen Becher mit Schnaps, bevor er antwortete:​
»Ja! Und dann ihr Vorgehen! Ich hätte nie gedacht, dass Goblins so waghalsig vorgehen würden!«​
»Ja, mich hat es auch verwundert.«​
»Hm ...«​
»Goblins sind dumm, aber nicht töricht. Außerdem sind sie verschlagen. Jedoch ... «​
»Hier!«​
Der Zwerg füllte einen Becher mit Schnaps und reichte ihn Goblin Slayer. Dieser schüttete sich dessen Inhalt direkt in den Hals.​
»Glaubst du, die Goblins sind schlau genug, Elfen als Bedrohung anzusehen?«​
Goblins dachten nicht sonderlich über ihre Zukunft nach. Sie verbrauchten nur das, was ihnen zur Verfügung stand, und wenn sie angegriffen wurden, wehrten sie sich oder flohen, wenn sie erkannten, dass es hoffnungslos war. Wenn die Elfen das Nest im Wald jetzt aber in Ruhe lassen würden, konnte es nur eine Konsequenz geben: Sie würden die Gier der Biester erwecken. Die Goblins würden bemerken, dass die Elfen ein unbeschwertes Leben verbrachten. Dies würden sie ihnen nicht gönnen. Sie würden ihnen alles rauben wollen, sowie sie vergewaltigen und töten.​
»Nester entstehen meist unbemerkt. Der Untergang beginnt damit, dass die Goblins Vieh, Ernte und Werkzeuge rauben. Dann vergreifen sie sich an Einwohnern und am Ende reißen sie das Dorf an sich.«​
»Natürlich habe ich keinerlei Absicht, Goblins zu loben ...«, fing der Echsenmensch an, während er aus seiner Tasche ein mitgebrachtes Stück Käse herauszog und genüsslich darauf herumkaute. Er schmatzte lautstark und spülte dann alles mit einem Schluck Traubenwein herunter. »... aber ihre Tatkraft und ihre Gier sind beeindruckend.«​
»Du lobst ihre Gier?«, fragte der Elf.​
»Natürlich. Natürlich.«​
Der Echsenmensch nickte eifrig. Er saß im Lotossitz und breitete die Arme weit aus, als würde er eine Predigt halten.​
»Was genau ist denn Verlangen?«​
Der Zwerg antwortete:​
»Natürlich leckeres Essen, eine Frau im Bett und Geld.«​
»Ja. Gier nach Essen, nach Freundschaft, nach Liebe und nach Träumen. Ob diese gut oder schlecht ist, spielt erst einmal keine Rolle. Die Starken fressen die Schwachen? Alles Leben ist vergänglich? Das Überleben des Stärkeren? Das alles zählt nicht.«​
Der Echsenmensch grinste breit.​
»Der Akt des Lebens bedeutet gleichsam, sich nach Dingen zu verzehren. Dies gilt selbst für Gräser und Insekten.«​
Nach einer Weile des Schweigens atmete der Elf bewundernd aus. Dann sagte er:​
»Diese Eigenschaft fehlt dem Volk der Elfen wohl.«​
»Wieso das? Seid ihr zu träge? Seid ihr etwa dick und langsam? Seid ihr etwa Zwerge?«​
»Sterbliche überstürzen die Dinge immer zu sehr.«​
»Und deswegen braucht ihr Jahrhunderte, um um die Hand einer Frau zu bitten?«​
»Hmpf ... Sag so was nicht ·.«​
Weil der Elf so genervt geantwortet hatte, streckte der Echsenmensch amüsiert seine Zunge heraus und schenkte ihm Schnaps nach.​
»Komm, trink.«​
»Ich bin so frei.« +In einem Zug kippte der Elf das Getränk herunter. Seine Wangen waren längst rot. +»Ihr kennt alle meine Schwägerin, oder?«​
»Ja«, erwiderte Goblin Slayer mit einem Nicken.​
»Ein Jahr ... nein, eineinhalb Jahre schon.«​
»Sie ist ihre Schwester, wisst ihr?«​
Der Elf streckte genervt seine Hand nach einer Kartoffel aus und steckte sie in den Mund. Er verzog das Gesicht.​
»Die sind viel zu salzig ... «​
»Ich mag es so würzig«, antwortete der Echsenmensch und verschlang eine Kartoffel.​
Der Elf entspannte sich und stützte seinen Ellenbogen auf dem Knie ab, um dann seinen Kopf auf der Handfläche ruhen zu lassen.​
»Die Ältere ist eben die Ältere und die Jüngere ist die Jüngere.​
Ich hatte mit ihr nichts als Ärger ... Ich glaube nicht, dass sie mich sonderlich mag ... «​
»Ha ha ha! Werter Goblintöter, hast du denn eine Idee, wie man am besten mit Geschwistern umgeht?«​
»Oho!«​
Der Elf begann zu grinsen.​
»Hast du etwa Geschwister?« »​
Ich meine, dass er eine ältere Schwester hatte.«​
»Ich hab keine Ahnung, antwortete Goblin Slayer auf die ursprüngliche Frage und kippte sich einen weiteren Becher Schnaps in den Hals.​
»Ich habe meiner Schwester nur Arger gemacht.«​
»Es ist normal für ein jüngeres Kind, den Älteren Ärger zu machen.«​
Der Zwerg sorgte dafür, dass der Krieger Nachschub hatte.​
»Mach dir deswegen mal keinen Kopf.«​
»So leicht ist es leider nicht.«​
Goblin Slayer schüttelte leicht den Kopf.​
»Meine Schwester wäre in die Stadt gegangen, wenn es mich nicht gegeben hätte, und dort wäre es ihr wahrscheinlich besser ergangen.«​
Wieder trank der Krieger seinen Becher in einem Schluck aus, erneut füllte der Zwerg nach und wieder schüttete sein Kamerad sich, ohne zu zögern, das Getränk in den Hals.​
»Ich war es, der meine Schwester im Dorf gefangen gehalten hat.«​
»So ein Unsinn.«​
Der Elf schnaufte resignierend.​
»Fragt man nach dem Wert einer Blume, die in einem Jahr verwelkt? Haben Samen, die in die Wüste fallen, irgendeinen Sinn? Kann man das Leben einer Maus mit dem eines Drachen aufwiegen?«​
»Was soll das denn heißen?«​
»Das sind Sprichwörter der Elfen«, antwortete der Waldbewohner dem Zwerg.​
Er fing an, mit eleganten Bewegungen Kreise in die Luft zu malen.​
»Egal, wie man lebt und stirbt. Alles ist kostbar. Alle Dinge dieser Welt haben nur ein Leben. Allerdings ist das, was man als Glückseligkeit bezeichnet, abhängig davon, wo man ist.«​
»Ist das so?«, erwiderte Goblin Slayer.​
»So ist es«, antwortete der Elf und atmete tief ein, bis seine Lungen mit frischer Nachtluft gefüllt waren.​
»Die Liebe ist der Plan. Der Plan ist der Tod. Auch wenn die Maid auf den Ritter wartet, stürzt er irgendwann in die Schlucht des Todes. Selbst ein Prinz, der mit einem Drachen befreundet ist, findet irgendwann den Tod und lässt seine Geliebte zurück. Auch ein Söldner, der die Heilige in seinen Träumen begehrt, wird den Tod auf dem Schlachtfeld finden. Sogar ein König, der sich in die Dienerin eines Schreins verliebt, wird sich irgendwann von ihr verabschieden müssen. Doch der Vorhang der Geschichte eines Helden fällt nicht mit seinem Tod, nur sein Leben findet dort ein Ende. Zuneigung, Liebe, Leben und Tod - vor all diesen Dingen kann man nicht fliehen. Doch sollte man sich vor ihnen fürchten? Die Liebe ist der Plan. Der Plan ist der Tod.«​
»Oh!«​
Der Zwerg klatschte in die Hände und der Echsenmensch verdrehte amüsiert die Augen, während der Elf etwas verschämt den Inhalt seines Bechers leerte. Dann sagte er:​
»Deshalb heirate ich.«​
»Aber weil ich meiner Schwester Ärger bereitet habe«, entgegnete Goblin Slayer emotionslos, »konnte sie nicht heiraten.«​
»Dann ehre wenigstens ihr Opfer.«​
»Ja.«​
Der Echsenmensch klopfte Goblin Slayer auf die Schulter und jener nickte. Es gab viele Dinge, über die er noch nachdenken, und noch viel mehr Dinge, die er erledigen musste.​
»Genau das habe ich vor.«​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Intermission XXI
Wie in der Bibliothek eine Spur aufgenommen wird.


Meine Güte, eigentlich wäre diese Arbeit eher für einen Priester des Gottes des Wissens geeignet. Im Schriftenlager im Tempel des Rechts seufzte eine Akolythin betrübt. Anders als in einer normalen Bibliothek waren hier Schriftstücke ganz besonderer Art gelagert. Versiegelte Geheimschriften, magische Bücher und Texte über verbotene Techniken ruhten in Regalen, die mit Ketten gesichert waren. Viele der Bücher zierten Schriften, die nicht zu entziffern waren. Zudem waren die meisten unheimlich schwer. Vor allem der letzte Punkt störte die Akolythin. Immer und immer wieder musste sie die schweren Wälzer aus den Regalen ziehen, an den Leseplatz tragen und sie zurückbringen, wenn sie mit ihnen fertig war. Ihrer Meinung nach hätten die Priester des Gottes des Wissens diese körperliche Arbeit übernehmen sollen.​
Aber in diesem Fall kann man wohl nichts daran ändern ... Neulich war ein Schriftenlager des Gottes des Wissens überfallen worden und sie wollte den Frauen, die darunter gelitten hatten, mit ihrem Gemecker keine Probleme bereiten. Und außerdem ...​
»Es tut mir sehr leid, dass du wegen mir mehr arbeiten musst ... «​
»Nein, überhaupt nicht! Ich werde tun, was ich kann!«​
Obwohl ihre Vorgesetzte, die auf einem Stuhl saß, es nicht sehen konnte, lächelte die Akolythin sie an. Wenn die Erzbischöfin extra dafür zu mir gekommen ist, muss ich mein Bestes geben! Die Jungfrau des Schwertes, die den Tempel des Rechts leitete, hatte sich im letzten Jahr stark verändert. Bisher hatte sie sich vielen Dingen gegenüber gleichgültig verhalten, doch die Akolythin hatte gewusst, dass ihr etwas Probleme bereitet hatte. Immer wieder hatte sie beobachtet, wie die Erzbischöfin sich aus ihren Schlafgemächern geschlichen hatte, um flehend in der Gebetshalle zu beten.​
»Konnte ich Ihnen denn helfen, etwas zu verstehen?«​
»Um es mit den Worten einer Adligen zu sagen«, die Erzbischöfin musste kichern, »kein bisschen.«​
Jetzt jedoch hatte die Jungfrau des Schwertes häufig sogar gute Laune. Außerdem hatte die Akolythin sie kein einziges Mal nachts beten sehen. Wenn es wirklich an diesem sonderbaren Abenteurer lag, war die Geistliche ihm außerordentlich dankbar. Aber mir gefällt noch immer nicht, dass sie manchmal wie ein kleines Kind schmollt ...​
»Hm ...«​
Während die Akolythin bekümmert lächelte, fuhr die Jungfrau des Schwertes mit dem Entziffern fort. Mit der rechten Hand strich sie über die Lehmplatte, während sie mit der linken über das Schriftstück auf dem Lesepult wischte.​
Sie hatte erzählt, dass sie die Tinte auf dem Papier spüren und sie so lesen konnte. Das allein war schon verwunderlich genug, doch wirklich erstaunt war die Akolythin darüber, dass ihre Vorgesetzte die sonderlichen Schriftzeichen auf den Platten verstand. Viele Geistliche hatten Angst, die alten Schriftzeichen zu lernen, weil sie fürchteten, dass ihr Verstand durch den Kontakt mit den Zeichen verflucht werden würde oder noch schlimmere Dinge passieren konnten. Aber konnte man sich so eine Denkweise erlauben, wenn man alles über seinen Gegner wissen musste? Die Akolythin dachte dabei weniger an Goblins, sondern eher an fürchterliche Magier oder finstere Sekten.​
»Ach, daran ... erinnere ich mich.«​
Das Murmeln der Jungfrau des Schwertes riss die Akolythin aus ihren Gedanken.​
»Haben Sie etwas verstanden?«​
»Ja, ha ha ... Was würde er wohl über dieses Wissen denken? Es könnte ihm sicher hilfreich sein, auch wenn er wahrscheinlich nicht zuhören wollen würde.«​
Die Erzbischöfin schloss seufzend das schwere Buch.​
»Entschuldige, aber bring mir bitte Papier und Feder. Und bereite eine Taube vor.«​
»Es ist hoffentlich nicht wieder ein Liebesbrief.«​
Die Jungfrau des Schwertes blies kurz beleidigt ihre Wangen auf, bevor sie antwortete:​
»Es ist ein Brief an seine Majestät und an den Anführer der Elfen! Ich kann Arbeit und Beruf schon voneinander trennen!«​
»Na, wenn das so ist ...«, erwiderte die Akolythin.​
Sie öffnete eine Schublade und zog Pergamentpapier und eine Feder hervor, bevor sie mit der Vorbereitung des Siegels begann. Eine Taube würde den Brief ans Ziel bringen, sobald er fertig war. Aber worum ging es wohl in dem Schriftstück? Wenn die Jungfrau des Schwertes so redete, dann hatte es zweifelsohne mit dem Fortbestand der ganzen Welt zu tun.​
»Offensichtlich sind alle Gefahren für diese Welt noch nicht gebannt worden und es müssen noch viele Abenteuer überstanden werden ... «​
»Ja, ein mächtiger Gegner könnte auftauchen ... Ein wirklich fürchterlicher ... Die Welt könnte wegen ihm zugrunde gehen ·..«, säuselte die Jungfrau des Schwertes.​
Sie legte einen Finger an die Wange und begann zu lächeln.​
»Aber wenn er einzelne Leute rettet, dann müssen wir eben den Rest der Welt retten.«​


Nach Oben
 
Oben