Kapitel 75
Leichten Schrittes
Die Abenteurer brachen mit dem Morgengrauen auf und nach einer kleinen Rast erreichten sie die Berge, bevor es Mittag wurde.
»Uwaaah ... K ... Kalt!«, rief der Krieger-Lehrling gequält.
Er war auf die Bedingungen gefasst gewesen und es fehlte ihm auch nicht an Ausdauer, aber er hatte es hier nun einmal mit einem Schneesturm zu tun. Dieser fegte nicht mehr mit voller Stärke über die Berge, aber die Kälte, die er mitbrachte, war dennoch nicht zu verachten. Der Junge dachte, dass der Sturm dem Odem der Frostriesen oder Eisdrachen ähnelte, über die er Geschichten gehört hatte. Ein eher naiver Vergleich, aber aus Sicht des Krieger-Lehrlings angemessen - schließlich waren sowohl der Sturm als auch die Bestien für jemanden wie ihn außerordentlich gefährlich. Er bückte sich, klammerte seinen Umhang vor seinem Körper zusammen und machte sich dann daran, weiter dem Bergweg zu folgen. Seine Kameradin, die Heilige in Ausbildung, sah aus, als wäre sie schon am Ende ihrer Kräfte. Sie konnte nur weitergehen, weil der hünenhafte Echsenmensch vor ihr lief und sie wie ein Schild gegen die Elemente abschirmte.
»Deshalb habe ich euch gesagt, dass es kalt sein wird«, sagte die Elfe und streckte stolz ihre flache Brust raus.
Ihre langen Ohren wackelten dabei leicht im Wind, aber sie zitterten nicht, denn sie wurden von flauschigen Ohrenschützern gewärmt.
»Deswegen habe ich mir diese Ohrenschützer geholt! Hi hi hi hi!«
»Ihr Elfen könntet euch tatsächlich die Ohren abfrieren, oder?«, warf der Zwerg ein.
»Was soll das jetzt wieder?«, keifte die Elfe zurück und ging auf den Schamanen los.
Während ihre Kameraden sich mal wieder zockten, erkundigte sich die Priesterin vorsichtig beim Echsenmenschen nach seinem Befinden.
»Alles in Ordnung?«
»Hm ... Nun ja, es ist noch auszuhalten ...«
Der Mönch schüttelte sich und warf den Schnee ab, der sich auf ihm gesammelt hatte. Dann streckte er seine Hand aus und zeigte den anderen, dass er einen Ring trug. Es war ein Ring der Atmung. Ein magischer Gegenstand, der von derselben Art war wie der, den Goblin Slayer ihm einst geliehen hatte.
»Aber wenn ich diese Umstände überwinde, könnte es ein nächster Schritt in Richtung Weiterentwicklung sein. Es wird einfacher sein, als von Kiemen auf Lungenatmung zu wechseln.«
Der Echsenmensch lachte laut, als hätte er gerade einen Scherz gemacht, aber die Priesterin verstand ihn nicht. Sie dachte darüber nach, dass sie diesen Fußmarsch wohl auch nur so gut durchstehen konnte, weil sie bereits einiges erlebt hatte.
Ich habe mich also weiterentwickelt, oder?
Es ging nicht nur darum, dass man stärker wurde, sondern auch darum, Erfahrungen zu sammeln. Die Priesterin griff sich den Kragen ihres Umhangs und schaute sich den noch vor ihnen liegenden Weg an. Mithilfe ihres Stabs stemmte sie sich gegen den Wind und ging weiter. Die bleifarbenen Wolken im Himmel ließen fast keinen Sonnenschein durch und in der Dämmerung konnte man sich leicht verlaufen. Wäre einer von ihnen unachtsam, könnte er den Halt verlieren und wegrutschen. Ein langer Weg ...
Für einen Drachen, Riesen oder Vogel war es keine sonderlich weite Strecke, aber durch das Weiß des Schnees und das Grau der Felsen, die sich geradezu miteinander zu vermischen schienen, wirkte die Strecke unendlich weit. Die Priesterin schaute hoch zum Gipfel beziehungsweise zu den Wolken, die ihn verdeckten. Ob er wohl wirklich zu Fuß erreichbar war? Die Berge gehören wohl nicht zur Domäne der sprechenden Völker .., dachte die Priesterin und beobachtete die weiße Atemwolke, die aus ihrem Mund in Richtung Himmel stieg. Unbewusst zog sie ihren Stab fest an sich heran.
»Höchst barmherzige Erdmutter, danke, dass du auch diesen Ort geschaffen hast..«
Es war ein Gebet. Die Priesterin bat nicht um Schutz, sondern lobpreiste sie für ihre Schöpfung. Zusammen mit den anderen Göttern hatte sie eine Welt geschaffen, die so riesig war, dass ein Abenteurer mit ihrer Erkundung sein ganzes Leben verbringen konnte.
»Erhabener Gott ... War diese Eingebung ... nicht etwas viel ... für mich?!«, rief die Heilige in Ausbildung, weil sie für die anstrengende Besteigung des Berges keine Kraft mehr hatte.
Sie klammerte sich keuchend an ihr Waagenschwert. Dass sie jedoch nicht einfach aufgab und weiterkämpfte, ließ die Priesterin schmunzeln. Im Anschluss schaute sie zu ihren Kameraden. Diese schienen zu verstehen, worauf sie hinauswollte, und hatten nichts dagegen.
»Wollen wir eine kleine Pause einlegen?«
Die Gruppe wählte einen Felsen aus, der einst von einer Lawine an seinen jetzigen Standpunkt getragen worden sein musste. In seinem Schutz setzten sie sich in einem Kreis zusammen und der Zwerg platzierte in ihrer Mitte Feuersteine, die er aus seiner Tasche gezogen hatte.
»Tanz, Salamander! Ja, tanz! Teil das Feuer an deinem Schwanz!«
In Zeiten wie diesen war der Zauber Zündeln äußerst kostbar. Er schmolz den Schnee und entzündete die darunterliegenden Äste und Blätter.
»Ich werde etwas Wasser für uns vorbereiten.«
»Oh, bitte.«
Die Priesterin nahm den Platz des Zwerges am Feuer ein und hielt einen kleinen Topf voller Schnee über die Flammen. Nach einer Weile schmolz er zu Wasser. In diesem Moment war das Mädchen dankbar dafür, dass es hier Schnee gab.
»Darf man Schnee nicht einfach in seinem Mund schmelzen lassen?«, fragte die Heilige in Ausbildung verwundert. Ihre Atmung hatte sich mittlerweile etwas beruhigt.
»Das zu tun ist nicht mit dem Trinken von Wasser gleichzusetzen«, erklärte die Priesterin.
»Ach so ... Ihr solltet eure Ausrüstung etwas lockern. Dadurch können sich eure Körper ein wenig entspannen.«
»O ... Okay ...«
»Du weißt wirklich viel.«
Wahrend die jungen Abenteurer ihre Anweisung befolgten, strich sich die Priesterin leicht über die Brust.
Eigentlich gebe ich gerade nur Wissen weiter, das ich von Goblin Slayer habe, dachte sie sich und sah zu ihren Gruppenmitgliedern.
Diese machten den Eindruck, dass sie ihre Gedanken erraten hatten, aber da sie sich in der Rolle der erfahreneren Abenteurerin gerade ganz gut machte, beließen sie es dabei. Der Priesterin war es irgendwie peinlich, aber sie war auch glücklich, dass ihre Kameraden ihr diese Position überließen, und musste deswegen grinsen.
»Na gut, jetzt fehlt nur noch Alkohol.«
Ganz selbstverständlich holte der Zwerg eine Flasche Branntwein hervor und schenkte dessen Inhalt in kleine Schalen. Zuerst reichte er dem Krieger-Lehrling eines der Gefäße.
»D... Danke!«, sagte dieser und führte aufgeregt die Schale zum Mund.
Nachdem er einen Schluck genommen hatte, musste er schrecklich husten.
»Ha ha ha! Merk dir das genau, Junge! Das ist richtiger Alkohol!«
»O ... Okay ...«
Breit grinsend hielt der Zwerg als Nächstes der Heiligen in Ausbildung eine Schale hin.
»Hier, gönne dir auch einen Schluck. Wenn dein Körper auskühlt, kannst du dich nicht ordentlich bewegen.«
»Ah ... Ähm, ich kann Alkohol aber ...«
Während die junge Heilige mit ihren Armen wedelte, stellte sich die Elfe schützend vor sie und schnaufte durch die Nase.
»Nur Zwerge haben Spaß daran, ihren eigenen Branntwein zu saufen!«, sagte sie und wühlte in ihrer Tasche. Mit einem „Tadah!“ zog sie dann ein Päckchen heraus, das in Blätter gewickelt war.
»In solchen Fällen braucht man den Zwieback der Elfen!«
Die Waldläuferin löste das Band, das die Blätter um deren Inhalt fixierte, und enthüllte harte Backwaren mit einem süßen Duft.
»Wah!«, machte die Priesterin freudig.
Sie hatte noch nicht allzu viele Chancen gehabt, diesen Zwieback zu essen, aber er war schon jetzt eine ihrer Lieblingsspeisen.
»Greift zu, greift zu. Den Alkohol sollen bitte nur die trinken, die es möchten.«
»V... Vielen Dank ... Hm?!«
Die Elfe verteilte voller Stolz Teile des Gebäcks und die Heilige in Ausbildung fing sofort an, wie ein Eichhörnchen daran zu knabbern. Während sie grinste, hielt die Priesterin ihr etwas von dem Wasser hin. Sie blickte dabei leicht neidisch auf den Zwieback und fragte:
»Lecker, oder?«
»Ja, nicht wahr? Ich bin stolz darauf! Sehr sogar!«, rief die Elfe.
»Ts!«
Der Zwerg schnalzte mit der Zunge.
»Mann, ohne Bartschneider fehlt mir echt jemand zum Bechern.«
»Ha ha ha, aber an der Situation lässt sich nichts ändern«, erwiderte der Echsenmensch und reichte dem Krieger-Lehrling etwas Wasser weiter.
»Jeder darf für sich selbst entscheiden, ob er es süß oder deftig mag. Ich esse lieber Fleisch als Pflanzen. Das Essverhalten verschiedener Rassen ist eine komplizierte Angelegenheit.«
Der Mönch kippte sich etwas Branntwein herunter, bevor er ein Stück Käse aus seiner Tasche zog und hinein biss. Der Klumpen war so groß, dass er ihn mit beiden Händen halten musste, aber er würde ihn sicherlich mit ein paar Bissen verschlingen können. Er stieß einen lauten Rülpser aus und die Elfe musste schmunzeln.
»Du bist wirklich ein Käsefanatiker, was?«
»Solange man sein Lieblingsessen hat, mangelt es einem an nichts.«
Fordernd streckte die Waldläuferin ihre Hand aus und der Echsenmensch reichte ihr ein Stück Käse. Die Elfe warf es sich in den Mund und bemerkte dann, dass die Heilige in Ausbildung und der Krieger-Lehrling sie verdutzt anschauten.
»Was habt ihr denn?«
Die beiden jungen Abenteurer kratzten sich verlegen über die Wangen.
»Nichts.«
»Nun ja ...«
»Wir hatten bisher noch nicht wirklich die Gelegenheit, mit so vielen Abenteurern unterwegs zu sein.«
»Eigentlich waren wir bisher immer nur zu zweit ...«
»Ach ...«
Die Priesterin verstand, wie die beiden sich fühlen mussten. Ihr war es am Anfang auch nicht anders ergangen, aber auf dem Weg zu dem Abenteuer mit dem Oger hatte sie sich daran gewöhnt. Der Grund dafür war simpel. »Aber es macht Spaß, oder?«
Der Junge und das Mädchen tauschten einen Blick, bevor sie gleichzeitig mit einem „Ja“ antworteten.
»Ich möchte irgendwann noch mehr Kameraden finden.«
»Ach, ich bin dir wohl nicht mehr genug?«
Die Heilige in Ausbildung blies schmollend ihre Backen auf. Die Priesterin hielt ihr einen Becher mit heißem Wasser hin.
»Vielen Dank.«
Sie nahm das Gefäß mit beiden Händen entgegen und pustete hinein, bevor sie einen Schluck trank.
»Aber es ist gar nicht so schlecht, wenn ein wenig mehr los ist.«
»Aber das heißt nicht, dass man unachtsam werden darf«, warf der Zwerg grinsend ein.
Er gönnte sich noch etwas Branntwein und kratzte sich ein wenig Eis aus dem Bart.
»Wenn die Naturgeister des Schnees so wild herumtanzen, kann man schnell von der Tochter des Eisgottes gefressen werden.«
»Was soll das denn heißen?«, fragte die Elfe neugierig.
»Ein Gott? Aus dem Himmel?«
»Also wirklich, als alte, erhabene Elfe solltest du doch ein paar Geschichten kennen!«
»Es gibt Dinge, an die ich mich erinnere, und Dinge, die ich vergessen habe.«
Der Zwerg warf seiner Kameradin einen bösen Blick zu, doch sie schien das nicht zu jucken, weshalb der Schamane seufzen musste.
»Nein, es geht um keinen Gott, der aus dem Himmel Anweisungen erteilt, sondern eher um einen Riesen des Ursprungs oder so was.«
»Ein Riese ...«
Die Priesterin pustete in ihren Becher und trank etwas Wasser, bevor sie begann an ihrem Zwieback zu knabbern. Sie dachte an das Erntefest im vorigen Jahr. Hatte der Dunkelelf nicht versucht, einen Riesen des Altertums zu beschwören? Sie selbst hatte tatsächlich erst nach dem Vorfall erfahren, was es bedeutet hätte, wenn der Dunkelelf erfolgreich gewesen wäre.
Ah!
In diesem Moment erinnerte sie sich an ihre damalige Kleidung, die ihren Körper kaum bedeckt hatte. Um die Röte zu verstecken, die ihr ins Gesicht stieg, beugte sie sich nach vorne und starrte in ihren Becher.
»Die Schlachten der Götter sind längst vorbei, aber einige von ihnen weilen noch in dieser Welt«, erklärte der Zwerg. „Sind sie stark?“, fragte der Echsenmensch.
»Ja, natürlich.«
Der Krieger-Lehrling und die Heilige in Ausbildung dachten darüber nach, was ein Silber-Abenteurer wohl unter stark verstand, und rückten ängstlich ein wenig näher zusammen.
»Nun ja, und einige Riesen sind als Götter des Eises bekannt. Es heißt, sie fressen alle, die sich in ihr Gebiet begeben.«
»Ist die Tochter, die du erwähnt hast, denn etwas freundlicher?«
Der Zwerg gönnte sich einen weiteren Schluck Alkohol, bevor er antwortete.
»Sie soll eine hervorragende Köchin sein.«
»,..«
Die Priesterin kratzte sich verlegen an der Wange und die Elfe schaute drein, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Ich weiß nicht, ob an ihnen etwas dran ist, aber es gibt Gerüchte, dass sie in diesen Bergen lebt«, fügte der Schamane zu seinen Erklärungen hinzu.
»Das hättest du uns früher verraten sollen, meinst du nicht?!«, meckerte die Elfe.
»Wenn ich das früher gesagt hätte, hätten die Kleinen sich nur in die Hose gemacht.«
»Ach, mein Gott ...«, rief die Heilige in Ausbildung und hatte dabei Tränen in den Augen.
Der Krieger-Lehrling setzte währenddessen einen Gesichtsausdruck auf, als wäre das Abenteuer gerade fehlgeschlagen.
»Könntest du ihnen bitte nicht solche Angst machen?«, sagte die Priesterin und wirkte dabei wie die große Schwester der beiden.
»Oh!«, lachte der Zwerg amüsiert.
»Ha ha ha, tut mir leid, das war vielleicht etwas zu ernst. Ich wollte damit nur sagen, dass wir vorsichtig sein sollten.«
»Ja! Aber keine Angst, meistens ist alles, was der Zwerg erzählt, Schwachsinn!«, erklärte die Elfe.
»Was erzählst du alter Amboss denn da wieder?!«
Die Waldläuferin sprang auf und griff sich selbstbewusst ihren Bogen. Sie spannte eine neue Sehne auf und prüfte, wie sie sich anfühlte. Dann nickte sie zufrieden, zwinkerte etwas ungeschickt dem Krieger-Lehrling und der Heiligen in Ausbildung zu und sagte:
»Falls sich jemand mit euch anlegen sollte, werde ich ihn einfach mit meinen Pfeilen durchbohren. Okay?«
»So einfach ist das nicht«, ertönte plötzlich eine fremde Stimme. Die Elfe legte blitzschnell einen Pfeil an, der Zwerg fuhr mit seiner Hand in die Tasche mit Katalysatoren, der Echsenmensch fletschte seine Zähne und die Priesterin griff sich den Topf mit dem heißen Wasser.
»Wie? Was?«
Der Krieger-Lehrling und die Heilige in Ausbildung schauten ratlos umher, als neben ihnen zwei lange weiße Ohren auftauchten, die leicht wackelten.
»Deshalb stecken wir in großen Schwierigkeiten«, sagte das Wesen und stand auf.
Es war ein Hasenmensch. Er trug ein Jagdmesser im Gürtel und seine Nase zuckte.
»Könnte ich vielleicht auch so einen leckeren Zwieback haben? Ich habe nämlich schrecklichen Hunger.«
***
»Nach nur einem Tag ohne Nahrung sterben wir«, erklärte der Jäger der Hasenmenschen gut gelaunt, während er an einem Zwieback nagte.
Dabei folgte er leichtfüßig einem Weg mit unheimlicher Steigung.
»Ach ... ist ... das so?«
Die Priesterin versuchte keuchend, ihm zu folgen, aber kam nicht richtig hinterher. Die Luft begann langsam dünner zu werden. Laut der amüsierten Erklärung der Elfe passierte dies, weil die Luftgeister hier oben am Himmel so weit verstreut waren.
»Nun ja, solange wir Nahrung haben, können wir uns bewegen, aber der Winter ist dieses Jahr wirklich hart.«
»In der Tat ... Dieser Winter ist recht lang, oder?«
Die Priesterin stützte sich beim Gehen immer wieder auf den Stab, während der Krieger-Lehrling sich weiterhin stark gab und tapfer voranschritt. Die Heilige in Ausbildung hingegen ließ sich schon längst vom Echsenmenschen tragen.
»Alles ... in Ordnung?«, fragte die Priesterin den Mönch.
»Wenn mein Körper kalt wird, bekomme ich Probleme. Da helfen Bewegung und die Wärme eines Menschen«, antwortete dieser mit einem Lachen. Dabei wirkte seine Stimme allerdings kraftloser als sonst.
»Vielleicht solltest du auch Ohrenschützer tragen? Wobei ... Das würde wahrscheinlich kaum was ändern«, sagte die Waldläuferin und kicherte.
Als Elfe lebte sie eigentlich auf den Bäumen, doch auch hier in den Bergen waren ihre Bewegungen fließend wie immer. Sie hatte keine Probleme, dem Hasenmenschen zu folgen, und fragte ihn:
»Aber wie ist es mit dir? Brauchst du keine Ohrenschützer? Frieren deine Ohren nicht?«
»Unsere Ohren sind mit Fell überzogen.«
»Ach... so ...«
Die Waldläuferin schaute enttäuscht drein und sorgte so dafür, dass der Zwerg am Ende der Gruppe laut seufzte und zum Hasenmenschen sagte:
»Ignoriere sie bitte einfach. Sind wir denn bald da?«
Die Ausdauer des Schamanen war kein Problem, aber seine kurzen Arme und Beine erschwerten ihm den Aufstieg. Zwerge und Berge waren nahezu untrennbar, aber sein Volk lebte in der Regel nicht auf Bergen, sondern in ihnen.
»Es dauert noch ein wenig, aber es ist nicht mehr allzu weit«, sagte der Hasenmensch und hüpfte über einen Stein.
»Meine Güte ... An all dem Ärger ist die Eishexe schuld ... Ohne sie könnten wir hier in Frieden leben. Als mein Ururgroßvater jung war, wurde das Dorf am Fuß des Berges vernichtet. Seitdem ist unser Kontakt mit den Menschen abgebrochen.«
»So lange ist das her?«
Die Priesterin blinzelte.
»Ein Ururgroßvater? Das muss also schon fast hundert Jahre her sein.«
»Nein, nein.«
Der Hasenmensch wackelte mit seinen Ohren.
»Für uns mag es lange her sein, aber es sind bestimmt noch keine hundert Jahre vergangen.«
Er sprang auf einen Felsen und wieder von ihm herunter. Dann zeigte er fast beiläufig auf einen Platz am Boden und sagte:
»Ach, darunter ist es hohl. Passt bitte auf.«
»Uwah?!«
Die Warnung des Hasenmenschen kam zu spät und der Krieger-Lehrling versank im Schnee. Hinter einem Kamm oder in einem Spalt konnte sich Schnee ansammeln und verhärten. Es war eine Art von natürlicher Fallgrube, die durchaus tödlich sein konnte. Wenn man nicht direkt beim Absturz starb, dann starb man, weil man nicht wieder hochkam.
»Uwawawah...«
Würde das Abenteuer des jungen Kriegers bereits hier zu Ende sein? Nein, der Zwerg streckte seine Hand nach ihm aus und zog ihn mit einem Ruck wieder hoch. Der Krieger-Lehrling sackte schlapp neben ihm zusammen. Fast hätte er seinen Knüppel verloren, doch das Band, mit dem er ihn gesichert hatte, hatte das verhindert.
»D... Das war knapp ...«
»Was machst du denn?!«, rief die Heilige in Ausbildung vom Rücken des Echsenmenschen.
»Nerv nicht!«, keifte der Junge zurück.
»Menschen bemerken so was nicht, oder?«, murmelte die Elfe, nachdem sie die Sorge in der Stimme der Heiligen erkannt hatte.
Dann hüpfte sie über die Fallgrube, als sei sie nichts weiter als eine Pfütze. »Nun ja, Hauptsache, er ist in Ordnung. Hey, Hasenmensch. Was meintest du gerade mit der Eishexe?«
»Nun ja, in der Regel beschweren wir uns nicht, wenn mal einer von uns von einem Alpenschneehuhn oder einem Sasquatch gefressen wird.«
Der Hasenmensch schüttelte erschöpft den Kopf.
»Aber dieses Jahr ist es wirklich schlimm.«
»Aber ist es nicht immer schlimm, wenn jemand stirbt?«
Die Aussage der Elfe ließ den Echsenmenschen mit seinen Augen rollen.
»Die Starken fressen die Schwachen. Das ist eine der Grundregeln dieser Welt.«
»Aber dass die Sasquatchs uns jeden Tag jagen, um das Zeitalter des Winters zu feiern, ist einfach zu grausam. Wir könnten ihnen anderes Essen bringen, aber dann würden wir verhungern ...«
Die einzige Hoffnung könnte dann darin bestehen, dass ein Gleichgewicht zwischen der restlichen Nahrung und den überlebenden entstand, aber das sprach in dem Moment keiner aus.
»Nach nur einem Tag ohne Nahrung sterben wir«, wiederholte der Hasenmensch und schaute zu Boden.
»Das Zeitalter des Winters?«
Die Priesterin interessierte sich für diesen Ausdruck und auch wenn der Hasenmensch nicht sonderlich traurig klang, war sie sich sicher, dass es eine äußerst bedrohliche Situation war. Die Sasquatchs, angeführt von der Eishexe, stellten eine ernst zu nehmende Gefahr für das Dorf der Hasenmenschen dar. Dies war eine Aufgabe für Abenteurer oder vielleicht sogar für die Truppen des Königs, aber weil die Hasenmenschen keinen Kontakt zu den Menschen hatten, zahlten sie keine Steuern und waren somit auch nicht wirklich Teil des Königreichs. Hieß das im Umkehrschluss vielleicht sogar, dass es keine Rettung für sie gab?
»Erhabener Gott ...«
Die Heilige in Ausbildung festigte ihren den Griff um das Waagenschwert. War diese Begegnung Teil ihrer Aufgabe? War sie deswegen hier auf den Berg geführt worden?
Die Priesterin blickte zu dem Mädchen hinüber und nickte. Die Heilige trug ein einfaches Lächeln auf ihren Lippen, aber ihre Gedanken schienen sehr viel komplizierter.
Und ich?, fragte sich die Priesterin. Würde sie auch wieder solche Eingebungen von der Erdmutter erhalten? Wanderte sie noch immer auf dem von ihrer Göttin vorgegebenen Pfad? Sie wusste, dass man nie an den Göttern zweifeln sollte, aber . . . Was ist mit Goblin Slayer?
Die Gedanken der Priesterin drifteten zu dem sonderbaren Krieger. Wo hielt er sich wohl gerade auf? War er schon in die Stadt zurückgekehrt? Was würde er wohl dazu sagen, dass sie jetzt so unterwegs war? Würde er ihre Abwesenheit überhaupt bemerken oder würde er einfach wieder losziehen, um auf Goblin Jagd zu gehen? Aus irgendeinem Grund verspürte die Priesterin ein Kribbeln in der Brust. Sie wollte Goblin Slayer so schnell wie möglich wiedersehen.
Meine Güte ... Dabei bin ich doch kein Kind mehr ...
»Hey! Hey! Schaut doch! Es ist dort hinten!«
Obwohl die Priesterin bereits in die Richtung schaute, in die der Hasenmensch zeigte, brauchte sie einen Moment, um zu realisieren, was sie da gerade sah.
»W... Wow ...«
In einem Tal zwischen zwei Bergkämmen befanden sich zahlreiche Nestlöcher. Sie waren mit hübsch verzierten Türen verschlossen. Von den Eingängen aus verliefen kleine Wege durch das Tal. Das war also eine Siedlung der Hasenmenschen. Im Gegensatz zu ihrem idyllisch aussehenden Dorf wirkten die herumlaufenden Einwohner alle sehr erschöpft. Das war vor allem an ihren herabhängenden Ohren zu erkennen.
»Oh...«, rief die Heilige in Ausbildung.
»Was denn?«, fragte die Priesterin.
»S... Schau doch ... Dort ... Das da!« »Das da?«
»In der Mitte vom Dorf!«
»Hm?«
Die Priesterin sah genau hin und musste schlucken.
»Ja ...«, murmelte die Elfe aufgeregt.
»Es ist schwer, einen Ort zu finden, an dem noch nie jemand war.«
In der Mitte der Siedlung steckte ein alter metallener Stab im Boden. Er ähnelte dem Waagenschwert der Heiligen in Ausbildung.
***
»Mutter, ich habe die Diener des Erhabenen Gottes mitgebracht!«
»Oh ja!« Im Inneren des Nestlochs klatschte ein rundlicher Hasenmensch in die Hände. Es handelte sich offensichtlich um die Herrin des Hauses.
»Dann lasst uns essen!«
Sie begrüßte die Gruppe wie alte Freunde. Nachdem die Abenteurer sich durch den kleinen Eingang des Baus gedrängt hatten, fanden sie sich in einem Wohnzimmer wieder, das sogar groß genug für den Echsenmenschen war. Die Decke war zwar etwas niedriger als in menschlichen Gebäuden, aber der Bodenbelag aus sommerlichen Gräsern wirkte sehr einladend. Die Mutter des Hasenmensch-Jägers hatte anscheinend mit Besuch gerechnet, denn sie hatte bereits eine Suppe aus roten Mangold Wurzeln gekocht, die sie jetzt auftischte. Sie hatte einen ungewöhnlichen Geschmack, aber schon nach dem ersten Löffel begann sie die Körper der Abenteurer aufzuwärmen.
»Ach, meine Wenigkeit verzichtet«, sagte der Echsenmensch entschuldigend, während die anderen bereits aßen.
»Pflanzen schmecken mir einfach nicht.«
»Das tut mir leid. Mein Mann weilt leider nicht mehr unter uns.«
»Was ist denn passiert?«, fragte die Priesterin.
»Er wurde zu einem leckeren Kuchen verarbeitet«, antwortete der Hasenmensch Jäger und zog ein Radieschen aus seiner Suppenschüssel, um daran herum zu knabbern.
»M ... Mein Beileid ...«
Die Priesterin senkte überrascht den Kopf, doch die Hasenmensch-Mutter wedelte mit den Händen und sagte:
»Mach dir keine Sorgen, wenn jemand tot ist, dann ist er tot.«
»Ähm ... Ist es überhaupt in Ordnung, wenn wir das essen?«
Die Elfe wechselte das Thema.
»Ihr habt doch Probleme mit der Beschaffung von Nahrungsmitteln.«
»Friss nicht so viel!«, murmelte die Heilige in Ausbildung dem Krieger-Lehrling zu und verpasste ihm einen Stoß in die Seite.
Dieser war gerade dabei, seine dritte Schale Suppe zu verschlingen.
»Was denn?«, knurrte er zurück und machte ein grimmiges Gesicht.
»Ach, das geht in Ordnung«, sagte die Mutter mit einem Lächeln.
»Wenn wir unsere Gäste nicht gut bewirten, sind wir keine ordentlichen Hasenmenschen.«
»Na dann«, der Zwerg gönnte sich wieder einige Schlucke seines Schnapses, »stimmen die Geschichten wohl, dass ihr euch für Gäste selbst ins Feuer werfen würdet.«
»Die Götter haben unsere Gutherzigkeit erkannt und uns dafür beigebracht, wie man zu ihnen betet.«
»Also dürfen wir ... essen?«
»Was sie sagen will«, erklärte der Echsenmensch, »ist, dass die Echsenmenschen, die Elfen und die Hasenmenschen ihre eigenen Mythen haben.«
»Und genau deswegen ist es unhöflich, die Gastfreundschaft eines Hasenmenschen abzulehnen. Los, iss«, fügte der Zwerg hinzu.
»Wieso muss ich mir so was von dir sagen lassen?«, gab die Elfe zurück.
»Weil er die Wahrheit sagt«, meldete sich die Hasenmensch Mutter wieder zu Wort und kniff leicht die Augen zusammen.
»Bitte esst, so viel ihr möchtet.«
Als ihr der wieder aufgefüllte Teller gereicht wurde, gab die Waldläuferin klein bei. Wer konnte schon widerstehen, wenn ihm eine mit Liebe gekochte warme Mahlzeit aufgetischt wurde?
»D... Dann würde ich auch gerne noch ein wenig ...«
Auch die Priesterin erlag der Versuchung, aber rechtfertigte es heimlich damit, dass es daran lag, dass das Geschirr der Hasenmenschen so klein war.
»Und ähm ... wegen dieser Eishexe ...«
Als nach dem Essen Tee gereicht wurde, sprach die Priesterin dieses Thema mit einem Räuspern an. Sie tranken Amla Tee, der etwas bitter schmeckte und nach Kräutern roch, aber er sorgte für ein Frischegefühl im Mund, wofür die Priesterin dankbar war.
»Nun ja, die Sasquatchs sind seit jeher ein Problem für uns«, erklärte der Hasenmensch-Jäger. Er hielt den Becher mit Tee in seinen Händen und baumelte mit seinen Beinen.
»Aber weil dieser Winter besonders lang und hart ist ...«
Plötzlich ließ etwas rumsend die Erde erzittern. Es waren stampfende Schritte und sie wurden von dem Geräusch von Trommeln begleitet. Dieses war bis in die Magengrube zu spüren, weshalb die Elfe und die Priesterin zitterten.
»Der Winter. Ja, der Winter. Unsere Jahreszeit ist gekommen. Also spielt eure magischen Karten ruhig aus. Sprecht eure Zauber und erhebt eure Stimme. Kein Grund, aufs Würfelergebnis zu schauen. Wissen und Kraft sind unsere Waffen. Los. Ein Duell. Lasst uns kämpfen. Die Hexe des Eises hat doch gesagt, dass der Berg keine Schwächlinge braucht. Der Sommer der Toten ist vorüber. Auf dem Berg blüht nun der schwarze Lotos. Der Winter. Ja, der Winter ist da. Unsere Jahreszeit ist gekommen!«
Im Anschluss war auch donnernder Gesang zu hören.
»W... Was ist das?!«
Aufgeregt zog die Elfe ihre Ohrenschützer ab und verdrehte die Augen.
»Sie sind gekommen ...«
Mit düsterer Miene sprang der Hasenmensch-Jäger auf.
»Mutter, versteck dich schnell in der Vorratskammer.«
»Ja, schon gut.«
»Und kümmer dich um Bruder, Schwester, Bruder, Bruder, Schwester, Bruder und Schwester!«
»Die werden sicher schnell heim gehoppelt kommen.«
Während der Jäger aufgeregt war, reagierte die Mutter entspannt.
Die Abenteurer, außer die beiden Anfänger, stürmten ans Fenster und der Zwerg und der nach vorne gebeugte Echsenmensch mussten ihre Gesichter aneinander drücken, um rauszuschauen.
»Kannst du etwas sehen?«
»So gut wie nichts, was ist mit dir, Langohr?«
»Nein, nichts.«
Die Ohren der Elfe zuckten.
»Aber von den Stimmen und den Schritten ausgehend sind es drei Gestalten.«
»Ja ...«
Der Hasenmensch-Jäger steckte sein Messer zurück in den Gürtel.
»Es sind meistens drei. Heute werde ich ihnen die Köpfe abschlagen.«
Die Priesterin legte einen Zeigefinger an ihre Lippen und dachte nach. Die Angreifer mussten zurückgeschlagen werden, daran bestand kein Zweifel.
Was würde Goblin Slayer wohl jetzt tun? Auf jeden Fall nicht zögern! Lieder, Sasquatchs und eine Hexe ...
»Wir sollten ihn unterstützen!«, sagte die Priesterin mit entschiedener Stimme.
»Deswegen sind wir hier!«
Die Abenteurer, auch der Krieger-Lehrling und die Heilige in Ausbildung - nickten sich entschlossen zu. Jetzt war nicht die Zeit, um zu zögern.
***
»Los, wer tritt heute gegen uns an?«
»Ich!«
Auf die donnernde Aufforderung, die durch das Tal hallte, sprang mutig ein junger Hasenmensch aus seinem Bau hervor. Die massiven, muskulösen Sasquatchs besaßen eine seltsame humanoide Form und ihre Körper waren von weißem Fell überzogen. Verglichen mit ihren Vorfahren, den Riesen des Ursprungs, waren sie degenerierte Wesen und wirkten wie riesige Affen. Mit ihrer Körpergröße von über drei Metern ragten sie wie Giganten über den eher kleinen Hasenmenschen auf.
»Du also?«
»Was machen wir wohl mit dir?«
»Kräfte technisch wirst du nicht gegen uns ankommen.«
Sie grinsten und vermittelten dabei den Eindruck, dass sie nicht allzu klug waren. Das waren also die drei Sasquatchs, die zum Schrecken der Bewohner hier geworden waren. Sie waren sicherlich dazu imstande, diese Siedlung zu verwüsten. Es würde für sie nicht schwieriger sein, als einen Ast zu zerbrechen, aber das hätte ja keinen Spaß gemacht. Deshalb hatten sie sich etwas anderes überlegt. Jedes Mal, wenn sie in das Dorf kamen, würden sie sich mit einem der Hasenmenschen duellieren. Wenn der Hasenmensch gewann, würden sie ihn überleben lassen, wenn er aber verlor, durften sie mit ihm machen, was sie wollten. Natürlich war den Bewohnern des Dorfes nichts anderes übrig geblieben, als sich wie gewünscht zu verhalten, denn sonst wäre das gesamte Dorf ausgelöscht worden.
»Gut, dann machen wir ein Wettrennen«, sagte einer der Sasquatchs und deutete auf ein Gebüsch mit Preiselbeeren außerhalb des Dorfes.
»Wer zuerst eine der Früchte in der Hand hat, hat gewonnen. Alles klar?«
»Okay!«
Der junge Hasenmensch machte sich bereit und rannte sofort los, als einer der Sasquatchs das Startsignal gab. Er war nicht der Schnellste im ganzen Dorf, aber dennoch flink auf den Beinen. Außerdem kannte er den Ort wie seine eigene Westentasche, war geschickt und hatte eine rasche Auffassungsgabe. Auch wenn er nicht sicher sagen konnte, dass er gewinnen würde, hatte er nicht vor zu verlieren. Seine Motivation wurde jedoch - genau wie sein Körper - mit dem ersten Schritt des Sasquatch zerschmettert. Die Dorfbewohner, die das Geschehen aus ihren Bauten heraus beobachteten, schrien laut auf.
»...?!«
Der zweite Schritt des Sasquatch verkürzte die Distanz zum Gebüsch erheblich und mit dem dritten hatte er es dann auch schon in der Hand.
»Ha ha. Ich habe gewonnen.«
»A... Öh... Hrgh ...«
Zuerst verstand der junge Hasenmensch nicht, was mit ihm passiert war. Sein Körper wollte nicht mehr auf ihn hören und er bekam keine Luft. Dann setzte der Schmerz ein. Blitzschnell verdoppelte und verzehnfachte er sich. Er blendete ihn förmlich und deshalb bekam er auch nicht mit, dass er an den Ohren in die Luft gerissen und in einem Stück verspeist wurde.
»Mhm... An so einem Häschen sind zu viele Knochen und zu wenig Fleisch ...«
»Was soll das denn jetzt? Du frisst doch sowieso alles, also spiel jetzt nicht den Feinschmecker.«
»Ja, aber es ist doch schade, dass da nicht mehr Fleisch dran ist.«
»Sollten wir sie nicht lebend fangen?«
»Das merkt doch keiner, wenn ich schnell einen nasche.«
Mit den Zähnen knirschend und schmatzend unterhielt sich der Sasquatch mit seinen Artgenossen, als die Priesterin und ihre Kameraden ankamen.
»Zu spät!«, murmelte sie und biss die Zähne fest zusammen. Sie spürte sofort, wie das Gefühl von Hilflosigkeit zusammen mit dem Gedanken, dass sie dem Hasenmenschen eh nicht hätte helfen können, in ihr aufstieg. Sie schüttelte es aber so schnell wie möglich wieder ab und ging dazu über, die Sasquatchs aus dem Schatten zu beobachten. Sie hasste Gefühle und Gedanken dieser Art. Sie wollte nie sagen, dass die Handlungen ihrer Kameraden damals, als sie in das Goblin Nest eingedrungen waren, falsch gewesen waren. Sie durfte so etwas nicht sagen.
»Wa... Was machen wir jetzt?«, fragte die Heilige in Ausbildung, der man ihre Verwirrung deutlich ansah.
»Selbstverständlich werde ich mich ihnen im Duell stellen!«, rief der Hasenmensch-Jäger.
»Bist du blöd?!«, sagte der Krieger-Lehrling und hielt den Jäger fest.
»Lass das! Du siehst doch, wie groß die sind!«
»Loslassen!«, erwiderte der Hasenmensch und zappelte, aber weil der Krieger-Lehrling stärker war, konnte er sich nicht losreißen.
Die Priesterin nutzte die Chance und analysierte weiter die Lage. Es waren drei Gegner. Sie waren unheimlich stark. Ihre Bewegungen waren langsam, aber das machten sie durch ihre Größe wieder wett. Und ihre Intelligenz? Ja, was war eigentlich damit?
Goblin Slayer würde jetzt sicher ...
Die Priesterin fragte sich mal wieder, was er wohl jetzt machen
würde. Als es ihr einfiel, wandte sie sich dem Echsenmenschen zu.
»Was ... denkst du?«
»Mal überlegen ...«
Der Echsenmensch verdrehte amüsiert die Augen und weil die Priesterin sich ein wenig erwischt fühlte, schaute sie nervös zu Boden.
»Was sagt man noch über Hünen und ihre Intelligenz?«, erklärte der Mönch und tippte sich mit einer Kralle an den Kopf.
»Es gibt Ausnahmen, aber entscheidend ist das Verhältnis zwischen Körpergröße und Hirn.«
»Hm ... Verglichen mit Menschen scheinen ihre Köpfe im Verhältnis klein zu sein. Sind sie also ungefähr so schlau wie Affen?«, mutmaßte die Elfe.
»Das hier ist aber kein guter Ort, um gegen sie zu kämpfen.«
Der Zwerg verzog angewidert das Gesicht und gönnte sich einen Schluck seines Schnapses.
»Wir sind mitten im Dorf. Da kommt es nur zu unnötigen Schäden.«
»Und wenn wir ganz direkt das Duell mit ihnen suchen?«, fragte der Echsenmensch und wandte sich wie der Rest der Gruppe der Priesterin zu.
Auch der Blick des Hasenmensch Jägers legte sich auf sie.
»Hm ...«
Sie hatten keine Zeit. Ihre Mittel waren begrenzt. Sie musste einen Weg finden.
Ob er sich wohl auch immer so fühlt wie ich gerade?
Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie entspannte sich ein wenig.
»Ich habe eine Idee.«
***
»Ich werde eure nächste Gegnerin sein!«
Als sie diesen Ausruf einer würdevollen Stimme vernahmen, mussten die Sasquatchs mehrmals blinzeln. Ein kleines, mageres Mädchen trat aus dem Schatten eines Gebäudes hervor. Sie trug Priesterkleidung und hielt einen Stab in ihren Händen. Es war eine Abenteurerin. Die Sasquatchs schauten sich gegenseitig an und grinsten dreckig.
»Wer ist das denn? Hm? Fängt man beim Essen am besten mit ihrem Kopf an?«
»Aber sollten wir nicht vorher ein wenig mit ihr spielen?«
»Nee, lass das lieber. Wir reißen ihr den Magen und alle anderen Eingeweide raus.«
Sie lachten laut los und auch wenn sie es wahrscheinlich nicht so empfanden, klang ihr Gelächter äußerst dreckig. Der Körper der jungen Frau verspannte sich sofort. Diese Reaktion fanden die Sasquatchs wiederum so lustig, dass sie noch lauter lachten.
»I... Ich ...«
»Ihr Name lautet Niemand.«
Eine weitere Stimme ertönte. Sie gehörte einem Echsenmenschen, der sich hinter dem Mädchen positionierte.
»Im Namen ihrer Vorfahren fordert sie euch zum Duell heraus!
Das Mädchen drehte sich um, um sich vor dem Echsenmenschen zu verbeugen. Die Sasquatchs schauten verwirrt. War dieser Echsenmensch vielleicht ein Diener des Chaos? Sie wussten es nicht, aber es spielte auch keine Rolle. Sie würden ihn eh bald auffressen. Oder doch nicht? Was, wenn er ein Freund der Eishexe war? Sie wollten keinen Ärger bekommen und er sah eh nicht so lecker aus. Dann lieber das Mädchen. Das wirkte schmackhafter.
»Gut. In Ordnung.«
Ein Sasquatch nickte und wirkte dabei fast ein wenig erhaben.
»Und was für ein Duell soll es sein?«
»Ähm, nun ja ...«
Die Sasquatchs amüsierten sich prächtig darüber, wie sich das Mädchen in der Gegend umschaute und nachdachte, denn sie waren sich sicher, dass sie , egal, was es sich ausdachte, das Duell gewinnen würden. Hochmut war unter den Dienern des Chaos eine oft gesehene Charaktereigenschaft.
»Der Baum dort.«
Das Mädchen zeigte auf einen Baum etwas abseits vom Dorf.
»Wer zuerst Blätter von dem Baum fallen lässt, gewinnt. Wäre das in Ordnung?«
»Soll mir recht sein.«
»Aber ...«, die Stimme des Mädchens zitterte.
»Aber man darf den anderen dabei nicht anfassen.«
»In Ordnung. Abgemacht.«
Ein Sasquatch nickte und grinste breit.
»Aber wenn du verlierst, dann nehmen wir dich mit. Klar?«
»Ja, wie ihr wünscht.«
»Na gut. Dann los!«
Der Sasquatch stürmte los und fragte sich gar nicht erst, ob er gewinnen würde. Er dachte nur daran, was er mit der Priesterin machen würde. Weil er es satthatte, rohes Fleisch zu essen, würde er sie ein wenig zubereiten. Vielleicht sollte er Hack aus ihr machen und es dann braten ...
Wenn ich sie hochhebe, ohne ihren Kopf zu zerquetschen, zappelt sie dann wild wie ein Insekt? Und wird sie schön heulen, wenn ich ihr die Brust eindrücke? Die Arme und Beine kann ich ihr dann im Anschluss abreißen. Wie wird sie wohl reagieren, wenn sie realisiert, dass ich bis zu ihrem Tode so mit ihr spielen werde? Und sie danach noch zu Hack verarbeite?
Weil er so mit seinen Gedanken beschäftigt war, merkte der Sasquatch nicht, was das Mädchen machte. Sie hatte einen Stein in eine Schleuder gewickelt und daraus abgeschossen. Der Stein flog jetzt durch die Luft und knallte dann gegen den Stamm des Zielbaums, von dem direkt darauf ein paar Blätter herabrieselten.
»Geschafft!«
»Waaas?!«
Der Sasquatch heulte auf und drehte sich um. Er wollte sagen, dass das Mädchen gemogelt hatte, aber im nächsten Moment merkte er, dass ein Stein auf ihn zugeflogen kam. Das dumpfe Knacken, als dieser auf seine Stirn schlug, war das letzte Geräusch, das er in seinem Leben hörte. Schon seit langer Zeit waren die Schleudern der Menschen effektiv gegen Riesen ...
»Treffer!«, rief die Priesterin und zeigte mit dem Finger auf den Sasquatch, der krachend umfiel.
»Ich habe gew ... Ähm ... Jetzt bin ich im Recht!«
»Ja«, antwortete der Echsenmensch und nickte, aber natürlich waren die Sasquatchs nicht bereit, sich zu unterwerfen. Wütend trommelten sie sich auf die Brust und heulten wild auf.
»Bruder! Unser Bruder wurde erledigt! Niemand hat ihn getötet!«
Einer der Sasquatchs stürmte auf die Priesterin zu. Auch er konnte an nichts anderes denken, als sie zu zerquetschen.
»Gnom. Undine. Erzeugt ein wunderbares Kissen!«
Deswegen bemerkte er auch nicht, was der Zwerg trieb. Augenblicklich wurde der verschneite Boden unter ihm zu Schlamm, in dem er ausrutschte ...
»Ua... Argh?!«
... und dann über das Seil stolperte, das die Elfe heimlich gespannt hatte.
»Ach, Mann! Warum muss ich in letzter Zeit immer all die Knochenarbeit machen?«, beschwerte die Waldläuferin sich.
Mit einem Donnern schlug der Sasquatch auf dem Boden auf und stieß sich dabei so hart den Kopf, dass er sofort tot war. Eine Mischung aus Schnee und Dreck flog durch die Luft.
»Das Duell ist entschieden!«, schrie der Echsenmensch und sprang nach vorne, um sicherzustellen, dass der von der Priesterin gefällte Sasquatch wirklich tot war. Blutüberströmt verkündete er:
»Auch um dich, letzter Sasquatch, werde ich mich kümmern! Ich werde dir den Kopf abschlagen und dein Herz opfern!«
»U... Uuuuh ...«
Selbst dem Sasquatch schien bewusst zu sein, dass ein Echsenmensch zu seinem Wort stand, und er schreckte zurück. Er erwies sich als klüger als seine Brüder, schnappte sich deren Leichen und rief:
»Niemand! Niemand hat meine Brüder erledigt!«
Dann ergriff er die Flucht. Während sich seine Schritte immer weiter entfernten, fragte der Echsenmensch die Priesterin gut gelaunt:
»Hat dir diese Vorführung gefallen?«
»Ja ... Vielen Dank.«
Die Priesterin legte sich eine Hand auf die Brust und atmete tief aus. Ihr Herz hatte wie verrückt geschlagen und sie war wirklich froh, dass alles nach Plan verlaufen war. Es gefällt mir nicht, dass ich mich aufs Glück verlassen musste.
»T ... Toll!«
»Du hast ihn besiegt!«
Die Priesterin wurde von zwei Stimmen, deren Besitzer nur für den Fall der Fälle bereitgestanden hatten, aus ihren Gedanken gerissen. Es waren die Heilige in Ausbildung und der Krieger Lehrling. Die beiden schauten sie mit großen Augen an.
»Das war nur Zufall ... und Glück ...«
Peinlich berührt grinste die Priesterin.
»Goblin Slayer hätte es noch viel besser gemacht ... Ganz sicher.«
Die beiden Anfänger wussten nicht, was sie darauf sagen sollten, und der Hasenmensch-Jäger nutzte die Chance, um die Stimme zu erheben.
»Ähm, ich will mich nicht beschweren, aber du bist doch eine Priesterin, oder?«
Der Jäger wackelte mit den Ohren.
»War dies nicht ein heimtückischer Angriff? Darfst du das überhaupt?«
»Hä?«
Die Priesterin reagierte überrascht.
»Aber ich habe ihn doch gar nicht berührt. Ich habe mich an die Regeln gehalten.«
Als die Elfe zu den anderen stieß und diese Worte hörte, schaute sie in Richtung Himmel. Für diese Situation hatte sie keine passenden Worte.
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