[Biete] Goblin Slayer Lightnovel [Deutsch][Kapitel 128/128][Update 01.03.23][PDF: Gesamtausgabe v_0.11.140 ]

Edward Teach

Anime-Pirat
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Intermission XXV

Die Frage, wer der Spielmeister gewesen sein mochte.

»Majestääät! Wir sind daaaa!«​
Mit einem lauten Knall wurde die Tür aufgeschlagen und ein Wirbelsturm fegte in den Raum hinein. Es war ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Sie war eine junge Erwachsene, gerade alt genug, um eine Abenteurer-Anfängerin zu sein, aber ihre Ausrüstung verriet sofort, dass sie viel mehr als das war. Eine magische Rüstung, die auf Beweglichkeit ausgelegt war, und ein massives Schwert, das jedes andere zerschlagen würde.​
»Huch?«​
Das Mädchen schaute sich überrascht im Raum um. War die Sitzung etwa schon beendet? Es waren nur noch einige wenige Personen anwesend. Dort waren der Abenteurer auf Gold- Rang, der unbehaglich dreinschaute, und der Kardinal, der sich von seinem Platz erhob und sich verbeugte ...​
»Autsch?!«​
Das Mädchen hatte einen Schlag mit einem Stab auf seinen Kopf kassiert und obwohl es selbst die Flammen der Hölle überstanden hatte, tat ihm dieser Schlag ganz schön weh.​
»Das gehört sich nicht«, ermahnte sie die Weise in einer langen Robe.​
Sie hatte dem Mädchen den Schlag mit einem mit unzähligen Magien verstärkten Stab verpasst. Sie ignorierte das Geheule ihrer Kameradin und verbeugte sich tief vor dem König.​
»Du Angeberin.«​
Das Mädchen verzog die Lippen und schnalzte mit der Zunge.​
»Ist doch egal, oder? Wir sind Freunde vom König, nicht wa ... Arghs?!«​
Diesmal bekam sie einen Klaps auf den Hintern und schrie auf.​
»Du, der König und wir haben jeweils unsere Rollen! Reiß dich also zusammen!«, schimpfte die hochgewachsene Schwertkämpferin.​
Sie war in der ganzen Welt bekannt und hatte trotz ihres schlanken Körpers erschreckend muskulöse Hände.​
»Schämst du dich als Heldin etwa nicht dafür? Hm?«​
»Ich finde es eher peinlich, wenn man niemanden zum Heiraten findet!«​
»Ich werde niemanden heiraten, der schwächer als ich ist!« Während das Mädchen der Schwertheiligen fiese Dinge an den Kopf warf, erkannte es im Augenwinkel, wie die Weise mit ihrem Stab wedelte, und verbeugte sich aufgeregt so tief, dass ihre Haare wie der Schweif einer Sternschnuppe durch die Luft huschten.​
»Wie befohlen sind wir zu Euch geeilt, Majestät!«​
»Hm ... Das war sicher nicht leicht ...«​
Der König kniff grinsend die Augen zusammen, bevor er eine großzügige Armbewegung machte. Er erwartete von einem Mädchen, das mit fünfzehn aus einem Waisenhaus geflohen und so zur Heldin geworden war, keine gepflegten Umgangsformen. Solange es zumindest ein wenig Respekt zeigte, war das in Ordnung für ihn.​
Mit einem „Ich bin mal so frei“ setzte sich die Heldin auf einen Platz am Tisch. Die Schwertheilige und die Weise setzten sich neben sie.​
»Was ist passiert? Uns wurde nur gesagt, dass wir her eilen sollen ...«, fragte die Schwertheilige.​
»Nun ja.«​
Der König lachte und schüttelte den Kopf.​
»Wir haben einem komischen Abenteurer auf Silber- Rang einen Auftrag gegeben.«​
Die Schwertheilige blickte zum Abenteurer auf Gold-Rang und erkannte sein Unbehagen mit der ganzen Situation. Obwohl er ebenfalls für den Auftrag geeignet war, hatte ein niederrangiger Abenteurer diesen erhalten. Da jeder seine speziellen Stärken besaß, konnte das schon mal passieren, aber es schien ihn ganz schön zu wurmen.​
»Wird unsere Hilfe in dieser Angelegenheit nicht benötigt?«, fragte die Weise.​
»Ich weiß nicht, ob es damit im Zusammenhang steht«, erzählte der König, »aber ich habe eine andere Aufgabe für euch.«​
»Natürlich. Alles, was du möchtest, Majestät.«​
Weil die Heldin den König so locker ansprach, musste ein Minister gequält lächeln. Da sie aber so jung war, beschwerte er sich nicht und erklärte:​
»Auf dem Heiligen Berg im Norden ist ein Feuerstein vom Himmel gefallen. Seitdem scheint von dort eine mysteriöse Aura ausgestrahlt zu werden.«​
»Wir gehen es untersuchen und wenn da ein Bösewicht ist, machen wir ihn platt, ja? Alles klar!«​
Die Heldin schlug sich kräftig auf die Brust, weshalb der König einen erleichterten Seufzer ausstieß. Wenn sie sich darum kümmern würde, wäre sicher alles in Ordnung.​
»Ich kann für die Aufgabe aber nicht mehr als fünfzig Goldstücke und ein Schwert versprechen.«​
»Ach, schon gut. Nicht doch. Wir brauchen so was do ... Au?!«​
»Wir nehmen es dankbar an.«​
Die Heldin sprang mitten im Satz von ihrem Stuhl auf und hielt sich den Hintern fest. Die Schwertheilige, die sich gerade verneigte, hatte ihr wohl in den Hintern gekniffen.​
»Ts! Was denn? Wir kommen doch auch irgendwie ohne kl ...«​
»Es gehört sich nun mal, dass man eine Belohnung annimmt«, erklärte die Weise mit ruhiger Stimme.​
Sie wandte sich dem König zu.​
»Gibt es sonst noch etwas?«​
»Redet mit dem Kardinal und dem General. Ich habe ihnen gesagt, dass sie mit euch einen Plan aufstellen sollen.«​
»Herzlichen Dank.«​
»Dafür müsst ihr euch nicht bedanken«, sagte der Leibgardist, der nebenbei der General der Leibwache des Königs war, und lachte mit gefletschten Zähnen.​
»Wäre ich wie früher noch Abenteurer, hätte ich euch begleitet, aber das geht jetzt nicht mehr, weil ich als Truppenführer nicht selbst eingreifen soll.«​
»Bei mir ist es auch so. Sonst würde ich Ärger kriegen und gesagt bekommen, dass ich zu eigenwillig sei. Nicht wahr?«, warf der König ein.​
»Was wollt Ihr von mir hören«, meinte der Kardinal.​
»Ihr redet doch noch immer ständig davon, dass Ihr die Staatskassen wieder füllen wollt, indem Ihr einen Drachen besiegt.«​
»Ihn daran hindern zu wollen führt aber zu nichts«, mischte sich murmelnd die Dienerin an der Tür ein. Sie hatte silberne Haare und ihre tiefe, kühle Stimme ließ keinerlei Emotionen erahnen.​
»Er ist nun mal die wichtigste Person in diesem Königreich.«​
»So ist es. Ich bin hier der Wichtigste.«​
Auf dem schönen Gesicht der Dienerin zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. Die Beziehung der beiden ähnelten der zwischen Kameraden. Es war ein herzerwärmender Anblick. Die Weise verbeugte sich kurz und begann, sich mit dem Kardinal zu beraten. Die Schwertheilige mischte sich immer wieder ein, wenn es um Kampfstrategien ging, aber die Heldin schenkte dem Ganzen eher wenig Beachtung. Stattdessen schien ihr plötzlich wieder etwas einzufallen und sie ging zum Abenteurer auf Gold-Rang.​
»Onkel! Onkel! Erzähl mir die Geschichte von neulich weiter!«​
»Von neulich?«​
Er blinzelte.​
»Meinst du mein Duell gegen den Riesenvogel?«​
»Genau! Wir sind beim letzten Mal bei einer auftauchenden Dämonenhorde stehen geblieben!«​
Der Padfoot nahm einen Schluck aus einer Flasche mit Alkohol und begann, die Geschichte weiterzuerzählen. Die Weise und die Schwertheilige schauten kurz zu ihnen rüber, aber sie ließen ihre Kameradin einfach machen. So ist es gut, dachte der König, während er der Szene zusah.​
Eine Heldin brauchte mehr als einfach nur Stärke. Sie wurde von allen geliebt und konnte somit die Wurzel der Zwietracht ziehen. Er war sich sicher, dieses Mädchen könnte die Welt retten. Einst war er auch ein Abenteurer gewesen, aber dann hatte er seine Krone erhalten. Er vermisste die alten Zeiten. Er vermisste es, mit seinen Kameraden Pläne zu schmieden. Aber nein, wenn es noch immer so wäre, dann wäre er allein losgezogen, um alle Probleme des Königreichs zu lösen. Er hätte versucht, seine Schwester zu retten und das Unheil des Chaos zu bannen, und wäre irgendwann daran gescheitert. Der König bemerkte, wie sich seine Fingernägel ungewollt in die Armlehnen bohrten, bevor er sich wieder entspannte. Er war jetzt König. Er war kein Prinz, der eigenwillig für Ordnung kämpfte. Er musste für sein Reich sorgen. Seine Herausforderung war nicht einfach nur ein düsteres Labyrinth, sondern das ganze Spielbrett der Welt der Vier Himmelsrichtungen. Dieser Gedanke kommt mir zum ersten Mal, seitdem ich diese Stellung erhalten habe. Der König schaute kurz zur Tür, die aus dem Saal herausführte. Er dachte über die Erzbischöfin und die Händlerin nach, die zusammen mit den Abenteurern reisten. Ich kümmere mich um die Welt. Daher bitte ich euch: Kümmert euch um meine Schwester.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
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Kapitel 70

Im Zentrum des Strudels.


»GGRROROB!«
»GRBBR! GOORGGBG!«​
Tief brummend hallten die obszönen Flüche von den Wänden der Kammer wider. Die Prinzessin, die in ihrer zerfetzten Kleidung in dem Raum festgebunden war, musste alles mit anhören. Auch wenn sie versuchte, etwas zu sehen, war es durch den dunklen Strudel des Miasmas schwierig. Ihr Gesicht war eh geschwollen und ihre Sicht wurde durch Tränen getrübt. Ihre Nase und ihr Mund waren staubtrocken.​
Sie haben mich verprügelt ... , dachte das Mädchen.​
Bestimmt sah sie schrecklich aus und der Gedanke daran sorgte dafür, dass ihr erneut die Tränen in die Augen schossen. Ihr Wille, diese zurückzuhalten, war schon lange nicht mehr existent. Egal, was jetzt auf sie wartete, es würde bestimmt nicht besser sein als das, was schon geschehen war. Das Mädchen hatte fürchterliche Angst.​
»GOROGGBGO! GROG!«
»GGGOROGB!«​
Der besonders gekleidete Goblin schrie etwas. Er trug die Kleidung eines Magiers, aber sie sah an ihm lächerlich aus. Seine Haut war voller geometrischer Verzierungen, die aussahen wie eine Hand. Er war der Anführer der Goblins. Die Prinzessin hatte fürchterliche Angst vor diesem Wesen, das sie verprügeln, quälen und am Ende zerreißen könnte.​
»Hrgh ...«​
»GGBGOROGOBOG!«
»GOR! GBOGOGB!«​
Einige Goblins sahen zu ihr rüber und begannen schallend zu lachen. Sie taten dies nicht, weil sie wussten, dass sie die kleine Schwester des Königs war, sondern es machte sie einfach nur glücklich, dass sie sich so sehr vor ihnen fürchtete. Ob die Monster wohl härter mit ihr umgehen würden, wenn sie wüssten, wer sie war? Neid und Habgier waren Triebe, die Goblins niemals unterdrückten, und wenn sie diese erst einmal an ihr ausließen, würden ihre Qualen ins Unermessliche steigen. Dann wäre es ihr Ende und ihr würde alles genommen werden. Sie würde noch weiter beschämt werden, als sie es sowieso schon war, aber bestimmt wären sie selbst damit nicht zufrieden. Wie sehr sie sich auch entschuldigen oder heulen würde, selbst ihr Tod würde die Biester nicht befriedigen. Nur ein anderes Opfer würde dann wahrscheinlich ihre Aufmerksamkeit von ihr wegziehen.​
»Bu... Buhu ... Ah ...«​
Doch was auch immer sie mit ihm tun würden, das Mädchen hatte sich vorgenommen, nicht um Vergebung zu winseln. Nicht weil sie sich wehren wollte oder zu stolz war, sondern weil sie keine unnötige Energie mit etwas verschwenden wollte, was eh keinen Sinn hatte.​
»GGBGBG!«
»GRB!«​
Der Anführer der Goblins schwang seinen Stab - es war ein getrockneter Arm - wild herum und erteilte Befehle. Dann war das Klatschen von nackten Goblin Füßen auf dem Boden zu hören. Kurz gingen der Prinzessin Bilder ihrer Eltern durch den Kopf. Dann auch welche von ihrem Bruder. Er war sicher wütend und besorgt zugleich. Komischerweise wünschte die Prinzessin sich nicht, ihn wiederzusehen. Sie wollte einfach nur nach Hause. Aber dieser Wunsch würde ohne ein Wunder sicherlich nicht so schnell in Erfüllung gehen.​
***
»Ich habe Nachforschungen angestellt, aber die Markierungen auf ihren Körpern sind von einer Art, wie sie noch nicht bekannt ist«, erklärte Goblin Slayer.​
Der Aufzug, in dem sich die Abenteurer befanden, fuhr lautlos weiter nach unten. Hätte er nicht leicht geschaukelt, hätte niemand von ihnen gedacht, dass sich der Kasten, in dem sie sich gerade befanden, bewegte. Die Elfe wackelte mit den Ohren und verzog das Gesicht. Der Echsenmensch sagte zu ihr:​
»Du musst schlucken.«​
Die Waldläuferin schluckte laut und dadurch verschwand auf der Stelle das seltsame Gefühl in ihren Ohren.​
»Aber ich glaube, dass sie ohne jeden Zweifel einen Magiewirker bei sich haben«, setzte Goblin Slayer seine Erklärung fort.​
»Einen Goblin Schamanen also?«​
»Ich kann nichts Genaues dazu sagen.«​
Goblin Slayers Antwort sorgte dafür, dass das Gesicht der Priesterin blass wurde. Sie spürte die Angst in sich aufsteigen, aber drückte sie weg. Sie wussten noch nicht, womit sie es zu tun hatten, also galt es, den Gegner nicht zu unterschätzen. Sie festigte den Griff um ihren Stab und atmete mehrmals tief durch.​
»Alles in Ordnung?«, fragte die Elfe und klopfte ihr auf die Schulter.​
»Ja.«​
Die Priesterin lächelte tapfer.​
»Keine Sorge.«​
Sie schielte zur Seite, wo Goblin Slayer mit dem Zwerg und dem Echsenmenschen sprach. Wahrscheinlich gingen sie gerade die Strategie durch. Dass er wie immer war, beruhigte sie.​
»Sie scheinen vom gleichen Ursprung zu sein wie die Goblins, die in letzter Zeit ihr Unwesen treiben. Der Magier wird also ihr Anführer sein.«​
»Wenn feststeht, dass es ihn gibt, dann sollten wir ihn zuerst besiegen«, murmelte der Zwerg und fuhr sich durch den Bart.​
»Nein, das hängt von der Anzahl und der Ausrüstung der Gegner ab«, gab der Echsenmensch darauf zurück.​
Er gehörte einem der mächtigsten Kriegervölker dieser Welt an.​
»Außerdem könnten sie wie schon bei der Jagd vor dem Aufzug auf uns warten.«​
»Mit Fernkampfwaffen?«​
Goblin Slayer stieß ein tiefes Brummen aus.​
»Das wäre umständlich.«​
»Hey, Langohr«, fragte der Zwerg in schwerem Tonfall. »Hörst du denn nichts?«​
»Selbst als Elfe kann ich nicht alles hören, was in dieser Welt passiert!«, sagte die Elfe, aber spitzte trotzdem die Ohren.​
Die anderen Abenteurer hüllten sich deswegen in Schweigen.​
»Hm? Ich glaube, es sind ziemlich viele.«​
Die Elfe öffnete ihre Augen und klang dabei nicht gerade zuversichtlich.​
»Vielleicht über zehn? Es könnten sogar zwanzig sein. Ich höre trappelnde Schritte. Über die Ausrüstung kann ich aber nichts sagen.«​
»Hast du sonst noch was bemerkt?«, fragte Goblin Slayer.​
»Egal, was.«​
»Kein Geräusch.«​
Man konnte hören, wie die Elfe immer wieder tief durch ihre Nase einatmete. »Aber ein komischer Geruch liegt in der Luft. Er kommt von unten.«​
»Gift?«​
»Nein, es riecht nach etwas, was sie für ein Ritual verwenden würden«, mischte sich der Echsenmensch ein.​
»Es könnten irgendwelche Kräuter sein, die sie verbrennen.«​
»Aber vielleicht sollten wir das lieber nicht leichtfertig einatmen ...«​
Der Zwerg dachte nach und klatschte sich dann in die Hände, als ihm eine Idee kam.​
»Hey, Bartschneider. Was ist mit der Kohle im Tuch? Das haben wir doch schon mal gemacht!«​
»Das war nur notdürftig improvisiert. Wenn man Zeit hat, sollte man ein Tuch mit einem Gegengifttrank tränken«, antwortete der Krieger und zog Fläschchen aus seiner Tasche hervor.​
»Ich wollte möglichst wenig Tränke verbrauchen, aber wir haben keine Zeit.«​
»Ach ... Also ich könnte ...!«​
Mit Schwung hob die Priesterin ihren Arm in die Höhe, worauf sich die Blicke der gesamten Gruppe auf ihr sammelten. Vielleicht war sie es nicht gewohnt, das Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein, denn ihre Wangen röteten sich. »Ähm ... Also zuerst dachte ich, dass ich wie immer Heiliges Licht einsetzen könnte, aber ich kann ja Reinigung wirken ...«​
Goblin Slayer ging kurz im Kopf durch, wie viele Wunder sie brauchen würden. Eins gleich zu Beginn, wenn sie den Raum stürmten. Dann noch eins, falls die Entführte verletzt sein sollte. Es blieb also nur noch eins übrig. Sollte dies auch noch eingesetzt werden? Der Krieger steckte die Tränke zurück in seine Tasche.​
»Ich bitte dich.« »Ja!«​
Die Priesterin nickte mit strahlendem Gesicht.​
»Dann übernimmt die werte Priesterin also die erste Aktion und ich werde vorne mitkämpfen.«​
Der Echsenmensch wirkte über alle Maßen glücklich, während er die Hände mysteriös zusammenlegte.​
»Zum Glück habe ich Wunder aufbewahrt, die ich von meinen Vorfahren erbitten kann. Werter Magiewirker, was ist mit dir?«​
»Mal schauen ... Ich habe noch zwei ... nein, drei Zauber, aber ...«​
Der Zwerg wühlte in seiner Tasche mit Katalysatoren.​
»Bartschneider, was willst du denn haben?«​
»Eine Lichtquelle, den Rest überlasse ich dir.«​
»Geht klar, dann gehe ich so vor.«​
»Ich mach es dann wie immer.«​
Die Elfe prüfte die restlichen Pfeile in ihrem Köcher und spannte eine neue Sehne in ihren Bogen.​
»Ich spring herum und schieße und passe mich euch dabei an. Auch wenn der Zwerg hinfällt.«​
»Wir werden ja sehen, wer hinfällt!«​
Der Schamane starrte die Waldläuferin böse an.​
»Hauptsache, mir fällt nicht irgendein Amboss auf den Kopf!«​
»Wah!«​
Sofort brach ein Streit zwischen den beiden aus, aber weil es eine willkommene Abwechslung war, verdrehte der Echsenmensch lediglich vergnügt die Augen.​
»Danach müssen wir einfach flexibel bleiben und uns an die Umstände anpassen ... oder?«​
»Wäre das nicht ein wenig planlos?«​
»Nein.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»Goblins könnten das niemals.«​
***
»Höchst barmherzige Erdmutter, reinige uns mit deinen Händen.«​
Die Priesterin hatte die Erdmutter um Reinigung gebeten und diese wurde dem Mädchen gewährt. In dem verschmutzten Bereich breitete sich eine reine, heilige Luft aus.​
»Ich habe das Miasma vertrieben!«​
»Gut!«​
Die Abenteurer sprangen aus dem Aufzug in den Raum hinein. Das Warnsignal, das hier einst als Falle angebracht worden war, ertönte mit einem rostigen Klang.​
»GGOBOGOB?!«
»GORO?! GOBOGOR?!«​
Die Goblins begannen, ketzerische Dinge zu brüllen, während der Zwerg eine Handvoll Feuersteine aus seiner Tasche zog und rief:​
»Entzünde dich und leuchte, Irrwisch. Es ist Zeit für das Irrlicht aus dem Sumpf!«​
Der Schamane warf die Steine in die Luft, die dann mit bläulich weißem Licht entflammten. Er hatte Geisterkontrolle genutzt, um Naturgeister zu beschwören. Jetzt, wo der Raum erleuchtet war, erkannten die Abenteurer, dass sich hinten in ihm ein weiterer Aufzug befand, der noch weiter in die Tiefen des Labyrinths führte. Der Raum an sich zeigte Spuren von wiederholten heftigen Kämpfen zwischen Monstern und Abenteurern. Kaputte Rüstungen und Skelette in schwarzen Roben waren überall verstreut. Wäre dies eine normale Erkundung eines Dungeons gewesen, hätten die Abenteurer sicher ein Gefühl der Schwere verspürt, aber derzeit war dies einfach nur die Basis einiger Goblins. Das Herz des Labyrinths war von den Biestern vollkommen verschmutzt worden und einige ihrer Opfer hingen an den Wänden des Raums.​
»Wie schrecklich ..., sagte die Priesterin und hielt sich reflexartig eine Hand vor den Mund.​
Goblin Slayer stieß lediglich ein tiefes Brummen aus.​
Wie seltsame Früchte waren unzählige Leichen an Haken befestigt und schwangen hin und her. Da von ihnen kaum noch etwas zu erkennen war, mussten sie vorher unheimlich gequält worden sein.​
»GOROBG!«​
»Hn... U ... Ah ...«​
In diesem Moment war zwischen dem wilden Geschrei der Goblins ein schwaches Wimmern zu hören. Es war die Prinzessin, die auf einen Altar gefesselt worden war. Ein Goblin in auffälliger Kleidung - er musste der Anführer der Teufel sein - schnappte sie an den Haaren und riss sie hoch.​
Sie lebt!​
»Ein Stab, fünf Schwerter, fünf Knüppel, zwei Speere, sieben Bögen, kein Hob. Insgesamt zwanzig«, erfasste Goblin Slayer schnell die Lage und warf eine Fackel in den Raum.​
»Wie erwartet ist es ein Schamane.«​
»Nein!«, widersprach die Priesterin. Sie hatte sich einen kurzen Moment darüber gefreut, dass die Prinzessin noch lebte, aber nun riss sie die Augen weit auf. Sie starrte den Anführer der Goblins an. Hatte sie Angst? überkamen sie wieder ihre Erinnerungen? Nein! Ein Schmerz, der dafür sorgte, dass sich ihre Nackenhaare aufstellten, überkam sie. Es war eine Eingebung!​
»Das ist ein Priester! Ein Diener der finsteren Götter des Chaos! Ein ungläubiger Charakter!«​
»GBOB! GOROBGGRB! GOROBG!!«​
Als wolle er damit auf die Worte der Priesterin antworten, schallte das Gebet des kleinen Teufels durch die Grabkammer. Der Altar wurde von einem mysteriösen Licht umhüllt.​
»Du ...«​
Die Elfe feuerte siegessicher einen Pfeil auf den Anführer der Goblins ab, doch dieser prallte mit einem Pling von etwas ab.​
»Das ist nicht wahr! Schutzwall?!«​
Der Goblin Priester stand hinter der dünnen Lichtwand und grinste vulgär. Goblin Slayer, der sich schon oft genug auf Schutzwall verlassen hatte, wusste, wie hart dieses Schild war. Er würde nicht sagen, dass er überrascht war, schließlich waren die Erinnerungen an den Kampf mit dem Goblin Paladin dazu noch zu frisch, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Goblin ein Priester wurde, war fürchterlich gering. Schließlich war kaum ein Wesen so schlecht dafür geeignet wie einer der grünen Teufel.​
»Dann müssen wir es so machen!«​
Goblin Slayer zögerte nicht. Er wollte nicht den Vorteil des Überraschungsangriffs verschwenden. Er warf ein Wurfmesser, das sich kreuzförmig aufspaltete, auf einen Bogenschützen, der sich nicht innerhalb des gegnerischen Wunders befand.​
»GOBO?!«​
Mit einem Brummen, das an eine Biene erinnerte, flog das Messer auf den Goblin zu und trennte ihm den Schädel von den Schultern. Der abgeschlagene Kopf rollte in eine Ecke, wo er auch für die nächsten hundert Jahre liegen bleiben würde.​
»Eins! Erledigt die anderen Schützen!«​
»Ha ha ha. Verstanden!«​
Goblin Slayer zog das Wurfmesser mithilfe eines Bandes, das er daran befestigt hatte, zu sich zurück und der Echsenmensch sprang nach vorne. Noch im Sprung beschwor er seine Waffe.​
»Sichelschwinge des Velociraptors, flieg messerscharf empor und begib dich auf die Jagd!«​
Er nahm Kampfstellung ein und spie dampfenden Atem.​
»GOROBG!«
»GOROOBG?!«​
»Hejaaah!«​
Die Pfeile, die die Goblins auf ihn abschossen, wischte der Mönch mit seinem Schwanz aus der Luft.​
»Eure Geschosse sind nicht mehr als Nieselregen!«​
Dann stürzte sich der Mönch nach vorne und zerfetzte erst einen, dann einen zweiten Goblin mit Scharfkralle. Der zweite Goblin hatte eigentlich nach hinten flüchten wollen, doch er war von einem Artgenossen nach vorne geschubst worden. Niemand wollte sich so einem fürchterlichen Wesen wie dem Echsenmenschen freiwillig stellen.​
»GGBGR! GOROGOBOGOR!«​
Der Goblin Priester beschimpfte seine zurückweichenden Untergebenen und gab Befehle. Er wollte, dass sie weiter vorrückten und sich auf die Abenteurer in den hinteren Reihen konzentrierten, doch sie gehorchten nicht. Sie drängten zurück, um auch in den Schutzwall ihres Anführers zu gelangen.​
»GOROBG!«
»GOBOGOROB?!«​
Der wütende Goblin Priester trat einen seiner Leute zur Seite, der aus dem Schutzwall fiel und sofort einen Pfeil der Elfe in den Kopf bekam.​
»Ein Kinderspiel!«​
Die Waldläuferin wackelte stolz mit ihren Ohren, bevor sie loslief und das nächste Ziel ins Visier nahm. Auch wenn es ihr nicht gefiel, nutzte sie die vielen Leichen als Trittbretter. Während sie durch die Luft zu tanzen begann, schoss sie immer wieder Pfeile auf den Goblin Priester ab, doch das Schutzschild wurde nicht schwächer. Die Elfe verzog schmerzlich das Gesicht.​
»Ich gebe euch Deckung, also erledigt sie!«​
Goblin Slayer ging mit gehobenem Schild nach vorn und nutzte die Chance, dass der Mönch die Bogenschützen in der Nähe ablenkte, um sich ihnen zu nähern.​
»Vier tot. Bleiben sechzehn. Bogenschützen sind davon ...«​
»GGOBOGOG! GOBOROOBG!!«
»GOROB!«​
Der Goblin Priester bemerkte, was Goblin Slayer vorhatte, und ließ zwei seiner mit Speeren bewaffneten Untergebenen auf den Abenteurer los. Goblin Slayer zerschlug kurzerhand den Speer des ersten angreifenden Goblins mit dem Wurfmesser.​
»GOROBG?!«​
Während der kleine Teufel verwundert seine dreckigen Augen aufriss, wirbelte Goblin Slayer herum und rammte ihm die geschliffene Kante seines Schilds in den Schädel.​
»Fünf!«​
Dann hob der Krieger die abgebrochene Speerspitze auf.​
»Sechs!«​
»GOOBOGORO?!«​
Er rammte sie in den Hals des zweiten Goblins und drehte sie herum. Eine Blutfontäne signalisierte ihm, dass dieser Goblin tot war, und er zog sein Schwert.​
»Bleiben noch vierzehn!«​
»GOROBG!!«​
Der Goblin Priester wandte sich zähneknirschend seinen Untergebenen zu. Ein Bogenschütze schaute verwirrt hin und her und fragte sich, wen er jetzt angreifen sollte. Schließlich spannte er ungeschickt einen Pfeil und zielte auf die Abenteurer Priesterin.​
»GORG?!«​
Doch noch bevor er das Geschoss von der Sehne schnellen lassen konnte, erstickte er an seinem eigenen Blut. Sein Pfeil flog in irgendeine Ecke des Raums. Mit dieser Aktion hatte die Elfe mal wieder bewiesen, dass es nahezu unmöglich war, ihrem scharfen Blick zu entkommen.​
»Oho, gar nicht übel!«, sagte der Zwerg und stellte sich schützend vor die Priesterin.​
Während er in seiner Tasche nach Katalysatoren wühlte, schwang er seine Axt, um die Goblins daran zu hindern, näher zu kommen.​
»GGOROGB?!«
»GOOBG?!«​
Einer. Noch einer. Nach und nach töteten Goblin Slayer, der Echsenmensch, die Elfe und der Zwerg die grünen Biester. Und obwohl alles gut zu verlaufen schien, hatte die Priesterin das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.​
Da sie nicht direkt am Kampfgeschehen teilnahm, war sie die Einzige, die die Situation einigermaßen ruhig analysieren konnte, und genau deswegen war es ihre Aufgabe, zu verstehen, was hier los war.​
Der Goblin Priester schwang das handartige Objekt und erteilte wilde Befehle, die allerdings kaum als solche bezeichnet werden konnten. Zwischendurch trat er immer wieder nach der Prinzessin. Doch mit seinem Herzen war er nicht hier, sondern mit seinen Göttern verbunden. Aber wie kann er den Schutz so lange aufrechterhalten? Finstere Gottheiten waren nicht gerade für ihre endlose Barmherzigkeit bekannt. Was opferte der Goblin also für seinen Schutz, wenn er schon kein seelenaufreibendes Gebet sprach oder Katalysatoren nutzte? Der Blick der Priesterin fiel auf die vielen Blutlachen zu ihren Füßen und dann ging ihr ein Licht auf.​
»Das sind Opfer!«, rief sie und Goblin Slayer schaute sich, nachdem er die Kehle des Goblins vor sich durchschnitten hatte, im Raum um.​
Der Boden war mit Rillen versehen, durch die das Blut der Opfer floss und sich mit dem der toten Goblins vermischte. Um den Altar herum formten sie eine Art Muster. Er hatte etwas Ähnliches schon einmal bei den Arbeiten auf dem Hof gesehen.​
»Sie lassen sie ausbluten!«​
Der Goblin-Priester opferte das Blut seiner Kameraden und seiner Opfer im Austausch für die Kräfte finsterer Gottheiten.​
»GOROGBG! GOROBOGO!«​
Der Anführer der Goblins lachte dreckig. Die Priesterin spürte, wie ihre Augen rot wurden und etwas Heißes in ihr aufwallte. Sie konnte dem Goblin Priester nicht verzeihen. Sie musste an die Kameraden ihres ersten Abenteuers denken. Wie konnte jemandes Seele gerettet werden, wenn selbst nach seinem Tod noch so schreckliche Dinge mit ihm getan wurden?​
»Ich werde es tun!«, schrie sie.​
»Ich überlass es dir!«, entgegnete Goblin Slayer.​
»Es bleibt uns nichts anderes übrig!«, heulte der Echsenmensch.​
Er sprang mit einem kräftigen Satz nach vorne und landete auf einem der Goblin Bogenschützen.​
»Ha ha ha! Für euch gibt es kein Entkommen!«​
»GOROBOGO?!«
»GBBGOR!«​
Die letzten zwei Bogenschützen warfen ihre Waffen weg und wollten fliehen, doch auch wenn das eine kluge Entscheidung war, würde Goblin Slayer sie nicht ziehen lassen.​
»Dreizehn und vierzehn!«​
Es dauerte keine zwei Sekunden und die Schädel der Goblins waren aufgeschlagen und ihre Gehirne quollen heraus. Goblin Slayer schüttelte Hirnmasse von seinem Knüppel.​
»GOROBGOR?!«
»GRR!«​
Neben dem Goblin Priester waren jetzt noch fünf Nahkämpfer von ihnen übrig. Sie waren eng in der Mitte der Kammer versammelt. Plötzlich stürmten die fünf Nahkämpfer auf die Priesterin zu. Man hätte denken können, dass sie sie als Geisel nehmen wollten, doch das war nicht der Fall. Sie wollten sich einfach nur rächen. Sie wollten sie sich schnappen und ihr Leid antun. An mehr dachten sie nicht. Obwohl sich ihr Körper anspannte, schaute die Priesterin zu ihren Kameraden. Der Zwerg stellte sich mit gezückter Axt vor sie und die Elfe nahm die Goblins aus der Ferne ins Visier. Auch der Echsenmensch und Goblin Slayer hatten ein schützendes Auge auf sie. Sie musste also keine Angst haben. Sie holte so tief Luft, wie sie nur konnte, und schrie dann:​
»Höchst barmherzige Erdmutter, reinige uns mit deinen Händen!«​
Die Erdmutter erhörte erneut das Gebet ihrer treuen Dienerin und reichte ihr ihre heiligen Hände. Eine unsichtbare Welle streichelte über die Priesterin und breitete sich von ihr ausgehend im Raum aus. Die Blutlachen verwandelten sich dabei in klares, reines Wasser.​
Es ist nicht, um jemanden zu verletzen, sondern um jemanden zu beschützen!, erklärte die Priesterin in Gedanken der Erdmutter, um nicht wieder von ihr gescholten zu werden.​
»GGBOG?!«​
Die Stimme des Goblin Priesters überschlug sich verwundert, als er bemerkte, was die Priesterin getan hatte. Klares Wasser war als Opfergabe für finstere Götter vollkommen unbrauchbar und deshalb löste sich wenig später der Schutzwall auf.​
»GROBOGOG!«​
»Nei... Ah!«​
Verzweifelt griff sich der Goblin Priester die Prinzessin. Er wollte sie als Schild aus Fleisch missbrauchen. Mit emotionslosen Schritten trat Goblin Slayer an ihn heran.​
»Hrmpf.«​
Goblin Slayer schielte kurz nach hinten und prüfte, ob es all seinen Kameraden gut ging. Dann schaute er wieder zu dem Priester. Dieser versuchte, so gut es ging, die Priesterin vor sich zu halten, doch es gelang ihm nicht wirklich. Trotzdem war es, als würde er lächeln.​
»Zwanzig.«​
Der Krieger trat dem Priester in den Bauch und als dieser zusammenbrach, verpasste er ihm einen Schlag mit dem Knüppel. Damit war es vorbei. Kaum war der Kampf beendet, wurde es in der Kammer unheimlich still. Nur ein leichtes Keuchen und immer wieder das Klappern von Waffen waren zu hören. Die Elfe schaute sich noch einmal genau im Raum um und fragte dann:​
»Ist es vorbei?«​
»Es sieht so aus«, gab der Zwerg zurück.​
Als sie ihre zwei Kameraden erleichtert durchatmen sah, eilte die Priesterin mit trappelnden Schritten zum Altar. Was soll ich bloß zu ihr sagen? Trotz der kurzen Distanz sorgte diese Frage dafür, dass der Weg der Priesterin weit vorkam. Das Mädchen war jetzt in Sicherheit, aber sollte sie sich mit ihm darüber freuen oder es gleich ausschimpfen, weil es sie bestohlen hatte? Beides erschien ihr falsch und so kam sie bei der Prinzessin an, ohne zu wissen, was sie sagen sollte.​
»Ah ...«​
Die Priesterin sah ihr eigenes ratloses Spiegelbild in den Augen der Prinzessin. Man konnte zwar nicht wirklich sagen, dass sie Glück gehabt hatte, aber weil sie als Opfer ausgewählt worden war, war sie nicht mit Unrat besudelt worden. Allerdings trug sie nicht das Kettenhemd, nach dem sich die Priesterin so sehr gesehnt hatte. Sie schaute sich kurz um und erblickte es dann aber auf einem Haufen von Trophäen, die die Goblins einigen Abenteurern geraubt hatten. Die Priesterin griff danach und nahm es, genauso wie die Prinzessin, fest in den Arm.​
»Ich bin so froh ...«​
Ihr war, als sei sie von Fesseln befreit worden. Sie wusste nicht, ob sie damit ihre Freude über das Wohlergehen der Prinzessin oder über das Wiederfinden des Kettenhemds ausdrücken wollte, aber wahrscheinlich war es beides. Sie hätte sich weder über das eine noch das andere richtig freuen können, wenn nur eine der beiden Sachen zugetroffen hätte.​
»Bu... A ... Ah!«​
Nach kurzer Zeit erwiderte die Prinzessin die Umarmung und fing schniefend zu weinen an.​
»Es ist alles gut.«​
Die Prinzessin wiederholte immer wieder Sätze wie​
»Ich hatte solche Angst« und »Es tut mir leid«, während die Priesterin sie streichelte.​
Goblin Slayer beobachtete das Ganze und schnaufte.​
»Oje.«​
Der Echsenmensch verdrehte die Augen.​
»Anscheinend bist du erleichtert.«​
»...«​
Der Krieger dachte kurz nach, bevor er antwortete.​
»Ja.«​
»Die werte Priesterin schien kurz beunruhigt zu sein.«​
»Solange sie sich wieder beruhigen konnte, werde ich nicht nach dem Grund dafür fragen.«​
»Ich würde gerne wissen, was das hier ist ...«​
Der Echsenmensch fuhr mit einer Kralle über das Muster, das in den Boden geritzt war.​
»Hast du eine Idee?«​
»Nun ja, wahrscheinlich sollte dieser Ort genutzt werden, um eine finstere Gottheit wiederzuerwecken.«​
Die komplizierten geometrischen Linien waren offensichtlich ein magischer Katalysator. Hier im Herzen das Labyrinths sollte also neues Gefolge beschworen werden.​
»Sagt mal, können wir jetzt zurück? Unsere Aufgabe ist erledigt, oder?«, fragte die Elfe und ließ erschöpft ihre Ohren hängen.​
»Nein.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»In den Stockwerken über uns sind noch Goblins. Wir müssen sie alle töten.« »Argh ...!«​
»Vor dem Rückweg sollte man Angst haben!«, erwiderte der Echsenmensch lachend.​
»Wir haben wohl keine Wahl«, stöhnte der Zwerg.​
Die Priesterin sagte nichts, aber ihr war es gerade gelungen, die Prinzessin in ihren Armen zu beruhigen.​
»G...«​
Goblin Slayer hatte dem Goblin Priester den Schädel eingeschlagen, doch er hatte noch etwas Leben in sich. Er konnte bereits Teile seines Hirns vor sich auf dem Boden erkennen, doch er streckte seine Hand nach dem verfluchten Artefakt aus.​
»GOR... B.«​
Nachdem er so viel für seinen Gott getan hatte, konnte das Biest sich nicht vorstellen, dass dieser ihn im Stich lassen würde. Es war sein eigener egoistischer Gedanke, aber er konnte nicht anders.​
»GOROBOG?!«​
Es war unglaublich, aber kaum hatte der Goblin das handartige Objekt in die Hand genommen, platzte er auf. Er war wie eine keimende Saat im Frühling. Der Rücken des Goblins öffnete sich und eine Hand kam zum Vorschein.​
»Hm?!«​
»Was?!«​
Die Abenteurer konnten ihren Augen nicht trauen und mussten ihre geistige Stabilität kontrollieren. Ihnen fehlten die Worte, aber sie machten sich kampfbereit. Aus dem Rücken des Goblins hatte sich mittlerweile ein ganzer bläulich weißer Arm manifestiert. Er war dicker und größer als ein Baumstamm und suchte wie eine Schlange nach einem Opfer. Während sie die Prinzessin fest an sich drückte, murmelte die Priesterin mit zitternden Lippen:​
»Die Hand eines Erzdämons ...«​
Als dann ein plötzlicher Schneesturm über sie herfiel, schrie die Priesterin unter unerträglichen Schmerzen auf.​

Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 71

Die Hand des Goblins ist ein Zeichen der Zerstörung.

Gläubige beteten nicht immer selbstlos und ohne Hintergedanken. Es gehörte dazu, dass man Opfergaben nicht nur schenkte, um wütende Gottheiten zu beruhigen, sondern auch um persönlichen Erfolg zu bitten.​
»Hngh... Ah ...«​
Die Priesterin krümmte sich unter höllischen Qualen, die von der fürchterlichen Kälte noch verstärkt wurden. Der Raum im Labyrinth war plötzlich zu einer Eiskammer geworden. Doch sie weigerte sich zu fliehen. Sie schauderte, zitterte und stieß einen schwachen Schmerzensschrei aus, aber sie rannte nicht aus Furcht weg. Warum? Weil sie noch die Prinzessin in ihren Armen hielt. Sie drückte sie an sich, um sie mit ihrem eigenen Körper zu schützen.​
»Gah! Oooh ...«​
Der Echsenmensch schritt sofort zur Tat. Während sein Atem zu Dampfwolken wurde, sprang er heran und brüllte so laut, dass die ganze Kammer bebte.​
»Oh, Übersteher der weißen Vernichtung! Maniraptora! Sieh her, wie ich mich im Kampf bewege!«​
Er positionierte sich so vor der Dämonenhand, dass der Schneesturm seinen Kameraden nichts anhaben konnte. Reif bildete sich auf seinen Schuppen und seine Haut gefror.​
Die Priesterin sammelte all ihre Kräfte und rief:​
»I... Ich ... wirke ein Wunder!«​
»Das darfst ... du nicht!«, antwortete ihr der Mönch.​
»Ich kann nämlich nichts mehr wirken!«​
Magie und Wunder brauchten Kraft und da Kälte Echsenmenschen diese raubte, war der Mönch am Ende seiner Kräfte. Deshalb durfte die Priesterin ihr letztes Wunder nicht leichtfertig einsetzen. Das Mädchen wollte protestieren, aber hielt dann doch inne.​
»Schuppiger!«, rief der Zwerg verzweifelt.​
Goblin Slayer hingegen setzte sich sofort in Bewegung. Er ignorierte die warnenden Rufe der Waldläuferin und während er Schnee und Hagel von seinem Schild und Helm abprallen ließ, ging er zu dem Echsenmenschen.​
»Du lebst noch, oder?«​
»Tot bin ich noch nicht.«​
Goblin Slayer ging an das Limit seiner Kräfte und hievte sich seinen Kameraden auf den Rücken, um sich dann mit ihm auf den Weg zur Elfe und zum Zwerg zu machen. Der Mönch bedankte sich bei dem Krieger, der nur ein „Nicht doch“ zurückgab und seinen Blick dann auf den Zwerg richtete.​
»Erschaff ... eine Wand!«​
»Eine Wand?«​
Der gefrorene Bart des Schamanen klirrte bei jeder Bewegung.​
»Aus Schnee?!«​
Der Zwerg schlug eine Hand auf den Boden, während die Elfe neben ihm losrannte. Da sie als Waldbewohnerin mit der Natur vertraut war, lief sie selbst über die vereisten Steinplatten kaum anders als über normalen Boden.​
»Schnell hier drüben!«​
»Ja!«​
Die Priesterin stützte ihren Körper mit dem Stab und achtete dabei darauf, dass die Prinzessin immer geschützt war. Das tat sie, obwohl sie offensichtlich auch am Ende ihrer Kräfte war. Ihre Haut war blutleer und ihre Lippen waren lila. Sie klapperte laut mit den Zähnen. Auch die heraneilende Elfe hatte keinen Schutz gegen Kälte. Trotzdem gab sie ihr Bestes, um die beiden Mädchen beim Rückzug zu beschützen.​
»Orcbolg, Beeilung!«​
»J.. Ja!«​
Es war noch nicht einmal eine Minute vergangen und damit war die vergangene Zeit gleichzusetzen mit einem Zug auf einem Spielfeld, aber dennoch fühlte sich der Zeitraum für die Abenteurer befremdlich lang an.​
Nachdem die Gruppe sich hinter dem Zwerg versammelt hatte - die Anordnung sah sicherlich komisch aus - begann dieser, Worte wahrer Macht zu sprechen:​
»Oh, Eisprinzessin Atali, könntest du diesem Tanz eines einfachen Helden nicht bitte deine Aufmerksamkeit schenken?«​
Die Naturgeister des Eises, die durch den Zauber Geisterwand gerufen wurden, tanzten um die Abenteurer herum. Nach und nach stapelten sie den herumliegenden Schnee auf und verwandelten diesen dann in eine stabile Eiswand, hinter der sich die Gruppe versteckte. Schnee wurde mit Schnee abgewehrt und in diesem Fall isolierte er die Abenteurer sogar ein wenig gegen die Kälte.​
»Wie sieht es mit dem Schuppigen aus?«​
»Ähm ...«​
Die Priesterin legte ihre zitternden Hände auf den Körper des Echsenmenschen. Er keuchte unregelmäßig. Das Mädchen war keine Heilerin, aber als Klerikerin der Erdmutter besaß es ein Grundwissen darüber.​
»Einen Heil. .. nein, einen Ausdauertrank!«​
»Ja.«​
Goblin Slayer zog zwei Fläschchen aus seiner Tasche und warf sie der Priesterin zu.​
»Trink du auch einen und gib dem Mädchen was davon ab.«​
»Jawohl!«​
Die Priesterin zog mit ihren eisigen Fingern den Stöpsel aus dem Fläschchen und tröpfelte dessen Inhalt auf ein Tuch, das sie in den Mund des Echsenmenschen steckte. Wegen der Erstickungsgefahr in seinem aktuellen Zustand wollte sie ihm den Inhalt der Flasche nicht direkt in den Hals kippen. Nachdem sie Gewissheit hatte, dass der Mönch den Trank aus dem Tuch sog, machte sie sich daran, ein wenig aus dem anderen Fläschchen zu trinken. Der Trank brannte in ihrem Hals, aber weil sie merkte, wie sich dadurch eine angenehme Hitze in ihrem Bauch ausbreitete, atmete sie erleichtert auf.​
»Bartschneider, Langohr, ihr solltet auch etwas trinken!«, sagte der Zwerg und gönnte sich einen tiefen Schluck aus seiner Flasche mit Alkohol. Dann warf er seinen Kameraden die Flasche zu.​
Goblin Slayer kippte sich ein paar Schlucke durch das Visier hindurch in den Mund und reichte das Gefäß weiter.​
»Trink. Es wird dich wärmen.«​
»Ich mag das Zeug nicht. Aber darüber sollte ich mich jetzt nicht beschweren.«​
Die Elfe verzog angewidert das Gesicht und nippte an der Flasche. Dann hob sie kurz ihren Kopf über die Mauer aus Eis, um zu schauen, was die Dämonenhand gerade trieb. Sie befand sich noch immer mit ausgestreckten Fingern auf dem Altar und die Muskelsehnen, die sie mit ihrem Nährboden, dem leblosen Körper des Goblin Priesters verbanden, zuckten und verkrampften sich. Es war kein angenehmer Anblick.​
»Die Hand kann uns hier anscheinend nicht erreichen.«​
»Sie hat ihr Ziel erreicht«, sagte Goblin Slayer.​
»Was ist mit dem Mädchen?«​
»Ihr Körper ist geschwächt«, erklärte die Priesterin, während sie ihr träufelnd den Trank verabreichte.​
»Wir können hier nicht viel länger bleiben.«​
»Was denkst du?«, fragte Goblin Slayer und wandte sich dem Echsenmenschen zu, doch wurde dann daran erinnert, dass dieser gerade nicht in der Lage war, sich mit ihm zu unterhalten. Er schnalzte mit der Zunge und sagte:​
»Nun ja ... Entweder angreifen oder Rückzug. Was anderes bleibt uns nicht übrig.«​
Der Krieger seufzte und musterte seine Kameraden. Der Zwerg hatte noch einen Zauber übrig, die Priesterin keine Wunder. Der Echsenmensch hatte längst seine Grenzen erreicht.​
Die Goblins hier waren tot und das Mädchen gerettet, aber weiter oben gab es weitere Goblins. Hier hingegen wurde der Schneesturm immer stärker. Der Gegner war eine Hand des Chaos, aber ... »Es besteht nicht die Notwendigkeit, dass wir sie töten.«​
»Stimmt wohl«, entgegnete die Elfe. »Deine Begründung dafür ist sicherlich, dass die Hand kein Gobl. ..«​
Die Waldläuferin konnte ihren Satz nicht beenden, denn mit einem Donnern zerbrach die Eismauer und sie wurde durch die Luft geschleudert.​
»A... Argh ... Hrrgh?!«​
Mit einem Krack klatschte sie gegen die Wand und Blut schoss ihr aus dem Mund. Was war geschehen? Die Antwort war einfach. Die dämonische Hand hatte sich mithilfe ihrer tauartigen Muskelstränge durch die Luft geschleudert und die Mauer zerschmettert. Die Abenteurer wurden von den Eisbrocken getroffen und unter ihnen begraben. Nur die Elfe hatte einen direkten Treffer einstecken müssen. Die Priesterin schrie panisch nach ihrer Kameradin, die kraftlos auf dem Boden zusammengesackt war.​
»A... Alles ... gut ...«​
Ihre Stimme war leise und stockend. Sie schaute zu Goblin Slayer und nickte mit Tränen in den Augen. Der Krieger atmete tief aus. Der Treffer war nicht tödlich gewesen. So etwas hätte sie nicht verheimlichen können.​
»Das Ding kann sich bewegen?«​
Goblin Slayer stand auf und schüttelte den Schnee ab, um dann zur Hand zu schauen, die sich wie der Kopf einer Schlange bewegte. Ob sie wohl auch sehen kann?​
Der Krieger konnte es sich nicht erklären, aber dieses dämonische Wesen musste irgendeine Form von übersinnlicher Wahrnehmung besitzen. Er erinnerte sich an eine der Grundregeln einer Reh Jagd im Winter. Man steckte sich Schnee in den Mund und wurde eins mit der Umgebung. Dann schlug man zu.​
»Was machen wir nun, Bartschneider?«​
Der Zwerg hatte den gewaltigen Körper des Echsenmenschen auf die Schulter genommen, der ihn fast komplett verdeckte. Die Priesterin stützte die Prinzessin, während sie zusammen mit ihr zur Elfe eilte. Goblin Slayer hatte nicht sofort eine Antwort parat. Die Hand war kein Goblin, was sollte er also tun? Es war auch ganz anders als das Ungetüm in der Kanalisation, der Dunkelelf oder die Meeresschlange. Er dachte nach und durchforstete seine Erinnerung nach Dingen, die sein Meister zu ihm gesagt hatte:​
»Du kannst nur nachdenken. Du hast kein Können. Du hast kein Wissen. Du hast keine Technik. Du hast nur Mumm. Also denk nach. Was habe ich in meiner Tasche? Darin ist ...«​
»Eine Hand.«​
Der Krieger hatte endlich seine Worte wiedergefunden.​
»Los geht's.«​
»Jawohl!«, antwortete eine Stimme ohne einen Augenblick des Zögerns.​
Es war die der Priesterin, die sich mit steif gefrorenen Fingern an den Priesterstab klammerte. Gestärkt durch ihren Glauben war sie bereit zum Kampf. Die Dämonenhand war ausgehungert und ausgetrocknet, denn sie hatte keine weitere Nahrung als die Leiche des Goblin Priesters.​
Abenteurer!
Sie musste diese Abenteurer, diese gläubigen Charaktere, unbedingt töten! Sie waren sicher schon auf ihren Tod gefasst! Die Hand gierte nach ihren Leben! Ihren Seelen! Ihrer Verzweiflung! Fast liebevoll strich die Hand durch die Luft.​
Da sind sie!
Der Verstand und die Gedanken eines Dämons unterschieden sich so stark von denen eines Menschen, dass sie diese niemals verstehen könnten. Deshalb blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Vorstellungskraft zu nutzen, um zu erahnen, was dieser Dämon sich wohl dachte. Der Zwerg war gerade dabei, sich zurückzuziehen und dabei den Echsenmenschen, die Elfe und die Prinzessin mitzuschleppen. Der Dämon bemerkte dies und spannte seine Muskeln an, um sich auf ihn zu stürzen, doch dann kam ein Kieselstein angeflogen und traf ihn mit einem Klatschen.​
»Hier drüben ... Hier bin ich!«​
Es war nichts weiter als ein Stein gewesen, den die Priesterin mit ihrem dünnen Arm geworfen hatte. Er hatte keinen Schaden angerichtet und obwohl sie vor Furcht und Kälte zitterte, präsentierte sie sich dem Dämon als Ziel. Die Hand drehte sich um und ließ sich auf den Boden fallen. Sie sah jetzt aus wie eine Spinne.​
»Uwah …?!«​
Weil die Hand sich raschelnd und mit äußerst gruseligen Bewegungen auf sie zubewegte, schrie die Priesterin laut auf. Auch wenn der Dämon nicht sonderlich schnell war, würde sie es nicht schaffen, rechtzeitig zu reagieren. Die Hand würde sie schnappen, sie zerquetschen und ihren Körper auswringen. Fleisch und Knochen würden zerbersten und ihre Körperflüssigkeiten aus ihr herausspritzen.​
»Das lasse ich nicht zu!«​
Das Mädchen hatte bis zum Schluss die Augen offen gehalten, aber bevor es gepackt werden konnte, rutschte die Hand zur Seite. Lag es an dem eisigen Boden? Nein. War es Magie? Ebenfalls nein.​
»Es wird Medeaöl oder Petroleum genannt. Es ist Brennstoff«, sagte Goblin Slayer, der Mann mit einer Ausrüstung, die so schäbig war, dass selbst die meisten Anfänger besser ausgestattet waren als er. Er hatte ein kleines Fläschchen zu Boden geworfen und die darin enthaltene Flüssigkeit hatte sich weitläufig verteilt.​
Die Hand rutschte mit ihren Beinen, oder eher Fingern, aus und kippte zur Seite weg.​
»Goblin Slayer, Feuer!«, rief die Priesterin.​
»Es ist zu kalt! Das können wir nicht nutzen!«, antwortete er. »Zurück! Los!«​
»Jawohl!«​
Die Klerikerin passte auf, dass sie nicht ausrutschte, und lief los. Goblin Slayer deckte ihr dabei den Rücken und holte etwas aus seiner Tasche hervor. Es war der Kletterhaken mit Seil aus dem Abenteurerset.​
»Bei einem Abenteuer darf man es nie vergessen, oder?«, sagte der Krieger und klang dabei ein wenig, als würde er die Priesterin nachahmen.​
Er schmiss den Haken nach der Hand und dieser bohrte sich in das Fleisch. Dies verursachte nicht sonderlich viel Schaden, aber dennoch reichte es, um die Chancen des Abenteurers gegen das Biest ein wenig zu verbessern.​
»Hrmpf!«​
Der Krieger zog kräftig am Seil und sorgte damit dafür, dass der Dämon weiterhin auf dem Rücken liegen blieb. Doch das war nicht genug, um ihn zu besiegen, weswegen Goblin Slayer auch weiterhin nicht nachgab.​
»Komm!«​
Der Krieger rief der Hand wie einem Rind zu, das nicht hören wollte. Er hatte sich das Seil um den Arm gewickelt und zog daran herum. Während er das tat, dachte er darüber nach, wie er wohl damit umgehen sollte, wenn er selbst einmal in Öl stand. Sollte er vielleicht irgendeine Art von Stacheln unter seinen Schuhen befestigen? Oder sie vielleicht mit Fell einwickeln? Nun ja, wenn er hier nicht überlebte, wäre das eh alles egal.​
»...!«​
Der Dämon bemerkte, dass sein Gezappel ihn nicht weiterbrachte, und begann mit den Fingern zu wedeln, als würde er eine lästige Fliege vertreiben wollen.​
»Hn... Oh?!«​
Goblin Slayer wurde von seinen Beinen gerissen und knallte wie ein Katzenspielzeug an einem Faden gegen die Wand.​
»Argh?!«​
Die Rüstung machte ein knackendes Geräusch, aber er ließ das Seil nicht los. Er krachte ungebremst auf den Boden, aber alles war in Ordnung. Der Abenteurer hatte nicht das Gefühl, dass etwas gebrochen war.​
»Goblin Slayer? Goblin Slayer!«​
Die Priesterin, die auf dem Weg in den hinteren Teil der Kammer war, drehte sich um. Ihre Stimme klang, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen.​
»Kein ... Problem ...«, ächzte der Krieger und stand wieder auf. Genau. Ich kann es noch schaffen. Es ist gefährlich, aber es ist nicht unmöglich. Goblin Slayer ging es noch immer wesentlich besser als damals, als er einen Treffer von dem Monster in den Tiefen der Ruine hatte einstecken müssen. Vielleicht war das Monster damals viel ranghöher gewesen, als er eigentlich geglaubt hatte, oder vielleicht war er selbst einfach stärker geworden. Auf jeden Fall bestand zwischen ihm und der Hand kein hoffnungsloser Kräfteunterschied. Aufgrund seiner leicht überheblichen Gedanken musste der Krieger kurz lachen.​
»Wie sieht es bei dir aus?«​
»J Ja!«​
Die Priesterin wandte sich aufgeregt ihrem Ziel zu.​
»Ich bin gleich da.«​
Als sie den Aufzug, der weiter in die Tiefen des Labyrinths führte, erreicht hatte, hielt sie ein Objekt gegen seine Türen. Es war die blaue Schleife, die Goblin Slayer von der Jungfrau des Schwertes erhalten hatte.​
Ein blaues Licht erschien zwischen den Türen des Aufzugs und mehrere Symbole leuchteten auf. Im Schein der Lichtstrahlen biss sich die Priesterin auf die Lippen.​
Also doch ... Dies ist also wirklich der Schlüssel ...​
Die Priesterin legte sich kurz eine Hand auf die Brust und machte sich dann bereit, bevor sie Goblin Slayer zurief: »Es kann losgehen!«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayer nutzte seine letzten Kraftreserven und zog erneut am Seil. Die Hand versuchte, so gut es ging, Halt zu finden und so kam es zu einem direkten Kräftemessen zwischen dem Dämon und dem Abenteurer.​
»Hm?!«​
Goblin Slayer spürte überrascht, dass die Hand sich nicht mehr wehrte, und sah, wie sie einen Finger hob.​
»Hah?!«​
Die Priesterin schrie reflexartig auf, als sie spürte, dass die Temperatur in der Kammer erneut sank. Die Luft rund um die dämonische Hand begann zu knirschen und es bildete sich ein magischer Strudel.​
Noch ein Schneesturm?, fragte sich die Priesterin in Gedanken und erschrak, als sie sich plötzlich an den Kampf mit dem Oger erinnerte. Er hatte ebenfalls den Arm in die Höhe gerissen und darauf war ein Feuer gefolgt. Was sollte sie jetzt tun?!​
»Goblin Slayer!«​
»Orcbolg!«, schrie überraschenderweise die Elfe. Sie kniete auf dem Boden und während sie mit einer Hand den Bogen festhielt, spannte sie seine Sehne mit ihren Zähnen. Es war ein seltsamer, aber dennoch edler Anblick.​
»Sichelschwinge des Velociraptors, flieg messerscharf empor und begib dich auf die Jagd!«​
Der Echsenmensch war wieder ein wenig zu Kräften gekommen und beschwor eine Scharfkralle für die Elfe als Geschoss, da sie keine Pfeile mehr besaß.​
»Du wirst uns nicht zerstören! Wenn du das willst, musst du schon auf einem Feuerstein reiten, der vom Himmel fällt!«​
Obwohl der Mönch fürchterlich zitterte, brannte die Flamme seines Lebensfeuers mit voller Macht. Dass er noch bei Sinnen war, hatte er der Kraft seiner Vorfahren zu verdanken und auch seinen Kameraden, denn der Zwerg hatte unter Aufwendung seiner letzten Kräfte noch einmal Zündeln gewirkt und damit für etwas Wärme gesorgt. Jetzt lag er im Aufzug und trank dort genüsslich Branntwein.​
»Mach schon, Langohr!«, schimpfte er.​
»Hejaaah!«​
Begleitet von einem Schrei, der überhaupt nicht zur Elfe passte, schnellte das unübliche Geschoss von ihrer Sehne, durch den Raum und bohrte sich in die Dämonenhand.​
»...?!«​
Doch selbst das reichte nicht, um ihr wirklichen Schaden zuzufügen. Egal, wie kunstvoll die Elfe auch mit ihrem Bogen umzugehen wusste, sie war nicht bei vollen Kräften und bei ihrem Gegner handelte es sich um die Hand eines höheren Dämons. So gesehen war es schon beeindruckend, dass es ihr überhaupt gelungen war, die Haut zu durchbohren. Nichtsdestotrotz war es genug gewesen, um die Hand beim Wirken des Zaubers zu unterbrechen. Sie bäumte sich erschrocken auf. Der Magiestrudel zerfiel und das knirschende Geräusch verschwand. Goblin Slayer nutzte die Chance und schleuderte den Dämon in Richtung Tür, die sich nach einem Knopfdruck der Priesterin nahezu lautlos öffnete. Anstelle einer Kabine war nichts außer einem tiefen Schacht zu sehen.​
»...!«​
In dem Wissen, dass sie den Sturz höchstwahrscheinlich nicht überleben würde, krallte sich die Hand am unteren Rand des Türrahmens fest. Wenn sie schon sterben musste, dann wollte sie zumindest die Priesterin mit sich in den Tod reißen. Doch weil diese das erwartet hatte ...​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde.«​
Die Erdmutter erhörte die Bitte ihrer Dienerin und gewährte ihr das Wunder. Ein unsichtbarer Schutzwall baute sich im Schacht auf, um die Dienerin zu beschützen.​
»U... Urgh!«​
Die Hand hämmerte immer wieder gegen den Schutzwall und saugte damit an den geistigen Kräften des Mädchens, aber es hielt durch und wenig später stürzte der Dämon in die Tiefe. Die Elfe stellte ihre Ohren auf, doch sie hörte nichts mehr.​
»Ge...schafft?«​
Sie konnte es selbst nicht glauben. Die Lage war gefühlt so ernst wie noch nie gewesen. Die Priesterin aber war noch nicht so optimistisch gestimmt wie die Elfe. Das unangenehme Gefühl, das sie vorhin gewarnt hatte, war noch nicht verschwunden.​
»...!«​
Plötzlich hallte ein tiefes Rumms durch die Kammer. Die Hand hatte all ihre Muskeln benutzt, um sich von irgendwo noch einmal hochzuschleudern und als Faust gegen den Schutzwall zu knallen. Ein leichtes Knistern wie bei brechendem Glas war zu hören.​
»U... Ah?!«​
Die Priesterin stöhnte schmerzvoll auf, als wäre sie direkt getroffen worden. Ungewollt fiel sie auf die Knie. Dann folgte ein weiterer Schlag.​
»Hng ... Urgh ...«​
Die Sicht des Mädchens verschwamm. Ihr war, als hätte ihr jemand in die Magengrube geschlagen. Sie bekam keine Luft und sackte vornüber. Ein dritter Schlag folgte.​
»Hngh ... Uargh ...«​
Die Priesterin fühlte sich, als hätte es ihre Eingeweide zerfetzt.​
Sie bäumte sich auf, um sich zu übergeben, aber ...​
Noch ... noch nicht ... ! Nein ... noch nicht!​
... sie schluckte die Galle herunter und dachte daran, dass sie nicht aufgeben durfte. Sie durfte nicht besiegt werden. Die Goblins. Das gestohlene Kettenhemd. Das gerettete Mädchen. Sie selbst. Die Jungfrau des Schwertes. Ihre Kameraden. Ihre Gedanken waren wie ein Strudel oder ein Kaleidoskop, aber nein! Sie konnte jetzt nicht über andere Dinge nachdenken!​
Go ... blin ... Slayer!​
»Ich komme!«​
Die Worte des Kriegers klangen wie eine heilige Offenbarung für das Mädchen. Sie zog sich an ihrem Stab hoch und blickte in den Schacht, um zu erkennen, dass etwas die Hand gegen den Schutzwall presste. Der Priesterin fiel es wie Schuppen von den Augen. Ein gequältes und gleichzeitig auch furchtloses Lächeln legte sich auf ihre Lippen.​
»Dies ... ist ein ... Fahrstuhl!«​
Der eiserne Kasten, der sich aus der Tiefe erhob, schob sich erbarmungslos immer weiter nach oben und zerquetschte die Hand dabei zu einem Klumpen Fleisch.​
»... ! ... !!!!!«​
Mit einem grässlichen Knacken brach der Fluch und die Hand zerfiel. Gleichzeitig löste sich der Schutzwall auf und der Aufzug verkündete mit einem unpassend fröhlichen Geräusch seine Ankunft. Am Türrahmen des Aufzugs tropfte eine schwarze Flüssigkeit herunter, die fürchterlich stank.​
Die Abenteurer keuchten eine Weile ungleichmäßig vor sich hin und schwiegen, bis die Priesterin schließlich das Wort ergriff.​
»Ein Hammer und ... ein Amboss ...«​
Erschöpft klammerte sie sich an ihren Stab und legte eine Hand auf ihren Magen, in dem sie weiterhin einen dumpfen Schmerz verspürte. Sie hatte ihre Grenzen erreicht. Ihre Beine gaben unter ihr nach und sie fiel nach vorne, nur um in den groben Handschuhen von Goblin Slayer zu landen.​
»Genau«, sagte Goblin Slayer.​
»Du hast es dir gut eingeprägt.«​
»Aber nur ...«, die Priesterin hatte ein breites Lächeln auf dem schweißnassen Gesicht,»... weil du es mir beigebracht hast.«​
»Ist das so?«​
»Ja.«​
Danach schwieg Goblin Slayer und ging los. Dabei stützte er seine Kameradin an seiner Schulter. Ein Schritt. Noch einer. Öl, Eis, Blut und Leichenteile verschmutzten den Boden. Aber die beiden gingen weiter. Ihre Kameraden waren so nah und doch so weit entfernt. Sie warteten vor dem anderen Aufzug.​
Ein anderes Mal war es genau andersherum ...
Als sie kurz daran denken musste, kniff die Priesterin leicht die Augen zusammen. Eigentlich hätte Goblin Slayer sich nicht so um sie kümmern müssen, doch sie war über den langsamen Gang glücklich. Sie bemerkte etwas. Es war eine Kleinigkeit und eigentlich wirklich keine große Sache.​
Es ist das erste Mal, dass er mich beim Gehen so stützt ...
Sie merkte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg, und schaute zu Boden. Seine Stiefel und ihre Beine gingen dort nebeneinander. Etwas zum ersten Mal zu tun musste also nicht immer etwas Schlechtes sein. Diesen Gedanken hatte sie hier im Labyrinth des Todes zum ersten Mal. Selbstverständlich war nun aber noch nicht alles vorbei.​
»S... Sie kommen von dort!«​
»Ach, Mann!«​
Als die Gruppe mit dem Aufzug die erste Ebene erreichte, warteten dort erneut Goblins auf sie.​
»GROORB! GBOOROGB!!«
»GBBOROOROB!!«​
Es waren weniger als zuvor und entweder handelte es sich bei ihnen um Überreste der vorigen Truppe oder um welche, die aus den unteren Ebenen hochgekommen waren.​
»GOOBOGB!!«​
»I... Ihr...«​
Die Priesterin schwang tapfer ihren Stab hin und her, um die widerlich dreinschauenden kleinen Teufel auf Abstand zu halten. Die Elfe unterstützte sie, indem sie immer wieder Pfeile abschoss, allerdings waren ihre Bewegungen schwerfälliger als sonst und erinnerten eher an die einer Porzellan-Rang-Abenteurerin. Darüber hinaus hatte sie keine Pfeile mit Knospen Spitzen mehr, sondern nutzte notgedrungen Goblin Pfeile.​
»A... Au ... Autsch ...«​
»GOOBOG?!«​
Aber sie reichten noch immer aus, um die kleinen grünen Teufel zu töten. Einem Goblin steckte ein Pfeil in der Augenhöhle und er kippte nach hinten um.​
»Fünf!«, sagte Goblin Slayer und stürzte sich auf einen weiteren Goblin.​
»GBBOOGB?!«​
Dieser versuchte, den Abenteurer mit einem Knüppel anzugreifen, doch der wehrte den Angriff mit seinem Rundschild ab und ging in die Offensive. Er rammte ihm eine Klinge in die Kehle und drehte sie herum. Der Goblin erstickte an seinem eigenen Blut.​
»GOO?! GROGB...?!«​
»Sechs.«​
Als Goblin Slayer dies sagte, schauten er, die Priesterin und die Elfe sich keuchend an. In der Kammer lagen zahlreiche Goblin Leichen. Der Krieger gab jeder von ihnen einen Tritt, um zu überprüfen, ob sie wirklich tot waren.​
»Wie sieht es in der Umgebung aus?«​
»Es sollte keine Probleme mehr geben.«​
Die Waldbewohnerin wackelte mit ihren langen Ohren.​
»Ich bin mir aber nicht ganz sicher.« In der Stimme der Waldläuferin war klar ihre Erschöpfung zu hören. Da ihr rechter Arm schlaff herunterhing, lehnte sie sich mit der rechten Schulter an eine Wand.​
»Dann gehe ich ihn holen«, sagte die Priesterin und setzte sich in Bewegung. Sie schlurfte mit ihren müden Beinen zu einer Tür, die sie anschließend stöhnend öffnete.​
»Die Luft ist rein.«​
»Tut mir leid ...«, antwortete der Zwerg, der mit mürrischem Gesicht hinter der Tür gewartet hatte. Auf seinem kleinen Rücken trug er nicht nur den massigen Echsenmenschen, sondern auch die schlanke Prinzessin.​
»Entschuldigt ... Mein Körper will mir nicht gehorchen«.., murmelte der Echsenmensch.​
Zwar war seine Kraft ein wenig zurückgekehrt, aber sie reichte noch immer nicht aus, damit er sich wieder selbst bewegen konnte.​
»Ich wünschte, ich wäre ein wenig stärker, dann ...«, entgegnete die Priesterin und schüttelte den Kopf. Sie spielte damit nicht auf ihre Körperkraft, sondern die Kraft ihres Glaubens an. Wenn sie doch nur mittlerweile ein Wunder von ihrer Göttin erhalten hätte, mit dem sie effektiver Wunden heilen konnte. Und wieso konnte sie nur so wenige Wunder wirken?​
Als Antwort auf die Aussage des Mädchens grinste der Zwerg müde und sagte: »Du könntest doch sowieso keinen der beiden tragen.«​
»Aber ...«​
»Menschen und Zwerge sind da halt unterschiedlich. Belasse es einfach dabei.«​
Jeder erfüllte hier seine Aufgabe und das war gut so, doch nichtsdestotrotz schmerzte es die Priesterin, dass sie so machtlos war. Sie presste ihre Lippen fest zusammen, bevor sie die Körper des Echsenmenschen und der Prinzessin überprüfte. Der Echsenmensch mit seiner starken Lebenskraft schwebte in keiner größeren Gefahr, aber bei der Prinzessin sah es anders aus. Die Priesterin berührte sanft ihre Wange und hörte, wie sie leise Worte murmelte wie „Danke“ und „Entschuldigung“. Dazu kamen noch weitere Begriffe wie „Bruder“, „Vater“ und „Mutter“.​
Die Prinzessin schien ein wenig jünger als die Priesterin zu sein und diese Erkenntnis ließ erneut die Gefühle in ihr hochkochen. Vor nicht allzu langer Zeit war sie so wie sie gewesen. Naiv, machtlos und vor allem töricht.​
Die Priesterin schloss die verletzte Prinzessin fest in ihre Arme. Was habe ich seitdem erreicht? Hätte ich mehr helfen können?​
War ich vielleicht ...​
»Man hat, was man halt hat.«​
Als sie plötzlich eine tiefe Stimme hörte, schaute sie schnell hoch und sah Goblin Slayer, der die Umgebung im Blick behielt, aber sich dabei an eine Wand gelehnt hatte. Es war ein seltener Anblick.​
»Und man kann Dinge nur mit der Ausrüstung angehen, die man hat.«​
»Er will wohl sagen, dass du dir keinen großen Kopf machen sollst, aber halt auf seine eigene Art.«​
Das bleiche Gesicht der Elfe war verschwitzt und dreckig, aber sie hatte noch genügend Energie, um Goblin Slayer wie üblich zu tadeln. In unregelmäßigen Abständen verkrampfte sich ihr Körper und sie legte eine Hand an ihre Seite. Eine Prellung wäre das eine, aber sollte dort etwas gebrochen sein ...​
»Seid ihr beiden«, fragte die Priesterin und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, »wirklich in Ordnung?«​
»Ja.«, Goblin Slayer nickte. »Ich kann weiter.«​
»Schon gut«, antwortete die Elfe und schloss kurz die Augen. Die beiden sagten nicht, dass es ihnen gut ging, aber das konnte man in diesem Moment auch nicht verlangen. Deswegen gab die Priesterin nur ein kurzes „Okay“ zurück und schwieg. Dann setzten die Abenteurer sich wieder in Bewegung.​
Keiner von ihnen sagte etwas, aber alle wussten, was sie noch erwarten würde. Vorsichtig gingen sie die Gänge hinab, um zur Treppe zu gelangen, die sie aus dem Labyrinth bringen würde. Beim Eindringen hatten sie den Weg recht schnell zurückgelegt, doch jetzt fühlte es sich an, als bräuchten sie eine oder vielleicht sogar zwei Stunden. Als sie dann bei der Treppe angekommen waren und sie erklommen hatten, erwarteten sie oben ...​
»GOOROGB...!«
»GOOBOGR! GBOG!«
»GRROOR!«
»GBBG GROORGB!!«​
... Goblins. Die Priesterin setzte einen Gesichtsausdruck auf, der gleichzeitig Furcht, Resignation und Gefasstheit ausdrückte. Gefühlt war der gesamte Bereich vor dem Labyrinth voller Goblins, die dreckig grinsten. Sie waren schon dabei, sich vorzustellen, was sie alles mit den Abenteurern anstellen könnten. Sie alle trugen unterschiedliche Waffen und es konnten dreißig, vierzig oder vielleicht sogar fünfzig sein.​
»So endet es also«, sagte der Zwerg ernst.​
»Beim Kampf mit diesem Dämon waren wir ziemlich laut. Ohne den hätten sie uns vielleicht nicht bemerkt.«​
»Die Rollen sind vertauscht.«​
Die Elfe lachte trocken. Sie hatte den gleichen Blick wie damals, als sie von der Goblin Horde in der Kanalisation in die Enge getrieben worden waren. »Diesmal sind wir auf der Seite, die vertrieben werden soll ...«​
»Im Labyrinth lebt der Drache und in der Höhle der Riese. Abenteurer aber ... leben ständig am Abgrund ... Ha ha ha ...«, sagte der Echsenmensch und sammelte all seine Kraft, um auf eigenen Beinen zu stehen.​
»Geht es, Schuppiger?«​
»Selbstverständlich. Ich habe schon vor langer Zeit entschieden, dass ich dem Tod aufrecht entgegengehe.«​
Mit diesen Worten fletschte der Mönch seine Reißzähne. Wie für sein Volk üblich, war der Echsenmensch jederzeit bereit zu sterben und heute war ein genauso guter Tag dafür wie jeder andere.​
»Oder hast du vielleicht eine Idee, werter Goblintöter?«​
Die Goblins kamen den Abenteurern langsam näher. Sie schienen den Moment fürchterlich zu genießen. Sie fanden es lustig, dass ihre Feinde verzweifelt nach einem Ausweg suchten. Schließlich waren sie es doch sonst immer, die von Abenteurern in die Zange genommen wurden. Sie würden sie nicht sofort töten, sondern vorher ihren Spaß mit ihnen haben. Einer von ihnen hatte auch schon eine Idee. Man könnte einige von ihnen eingraben und testen, wer ihre Köpfe am besten mit einer Axt einschlagen konnte.​
»GOOBGBOG!«
»GRROOR! GRBB!«
»GGGROORGB!!«​
Die Goblins kamen mit ihren dreckigen Fratzen immer näher, doch Goblin Slayer sagte nichts.​
»Goblin ... Slayer?«​
Die Priesterin trat nah an ihn heran und schaute hoch. Sie überlegte, was sie sagen sollte, aber die richtigen Worte kamen ihr einfach nicht in den Sinn. Dabei gab es eigentlich so vieles, das sie ihm zu sagen hatte, aber sie wollte nicht, dass alles wahllos aus ihr heraussprudelte. Deswegen starrte sie einfach schweigend zu seinem Helm hoch. Dem billigen Eisenhelm, der sein Gesicht versteckte ...​
»Wegen dieses einen Falls wird das Königreich nicht das Militär entsenden«, sagte er nüchtern.​
»Ja ...«, antwortete die Elfe und so als wäre es ein Startsignal, suchte Goblin Slayer nach der richtigen Position. Er kontrollierte die Breite des Eingangs zum Labyrinth, nahm Kampfhaltung ein und zog seine Waffe.​
»Es gibt sicher auch viele, die gar nicht wissen wollen, dass ein Familienmitglied von Goblins entführt wurde.«​
Der Krieger schaute zur Prinzessin.​
»Ja«, antwortete die Priesterin und nickte leicht. Dann war ein klackerndes Geräusch zu hören. Man hätte denken können, dass es von den Schellen an ihrem Stab kam, doch in Wahrheit waren es ihre Zähne.​
»Go... Goblin ... Slayer ...«​
Die Priesterin wusste, dass es lächerlich war, aber sie konnte nicht anders. Sie streckte ihre kleine Hand nach seinem groben Handschuh aus und legte sie darauf. Er wischte sie nicht weg, sondern sagte nur:​
»Das bedeutet es nun mal, Goblins zu jagen.«​
Die Goblins kamen näher und die Elfe spannte einen ihrer letzten Pfeile in den Bogen. Die Goblins kamen näher und der Zwerg setzte die Prinzessin vorsichtig ab und zog seine Axt. Die Goblins kamen näher und der Echsenmensch nahm Kampfhaltung ein. Die Goblins kamen näher und die Priesterin biss sich auf die Unterlippe und hielt mit zitternden Armen ihren Stab. Die Goblins kamen näher ...​
Ein billiger Eisenhelm und eine dreckige Lederrüstung. Um den Arm war ein Rundschild gebunden und in der Hand hielt dieser Abenteurer ein mittellanges Schwert. Er sagte:​
»Denn wenn es nicht so wäre ...«​
»Richtender Herrscher, Fürst der Klinge, Meister des Rechts, entfalte deine alles umfassende Macht!«​
»GOOROGB!«
»GBB?! OROG!«​
[/JUSTIFY]Ein violetter Blitzschlag raste vom Himmel herab und zerteilte die Goblins wie eine richtende Klinge. Der wolkenverhangene Himmel war plötzlich taghell, während ein Blitzdrache ein tiefes Brüllen ausstieß, das in den Ohren der Abenteurer aber lediglich wie ein leichtes Brummen klang.
»Wa...« »Schau mal an ...«
Die Elfe riss die Augen weit auf, während der Zwerg erleichtert aufatmete.
»In der Tat. Hammer und Amboss«, rief der Echsenmensch
überrascht. »So ist es also!«[/JUSTIFY]
»GOOROGB!«
»GBBOOG?!«​
Die Goblins wollten fliehen, doch sie wurden nacheinander von Blitzen getroffen und hauchten ihr Leben aus. Die Priesterin schenkte diesem Spektakel allerdings keinerlei Aufmerksamkeit, denn ihr Blick war bereits ganz woanders. Bei ihr ...​
»Hört! Diese Gegner sind keine Goblins!«, rief eine Frau, die auf der Festungsmauer stand. Im Rücken hatte sie das erste Licht des Morgengrauens.​
»Sie sind Handlanger der finsteren Gottheiten, die dafür sorgen wollen, dass unsere Welt von Dämonen überfallen wird!«​
Die Frau war wunderschön und neben ihr stand ein weißer Alligator. Eine heilige Bestie. Der kurvige Körper der Frau war von nichts weiter als einem weißen Tuch bedeckt und ihr blondes Haar schimmerte in den ersten Strahlen des Sonnenlichts. In ihren Händen trug sie das Waagenschwert, ein Symbol der Gerechtigkeit. Wenn der erhabene Gott weibliche Gestalt annahm, dann würde er wahrscheinlich wie diese Schönheit aussehen, deren mysteriöse Aura durch eine Augenbinde verstärkt wurde.​
»Ein gewisser Abenteurer hat mich über die Aktivitäten dieser dunklen Gestalten informiert!«​
Die Frau presste eine Notiz mit grob geschriebenen Schriftzeichen wie eine heilige Schrift an ihre Brust. Und ihre sinnlichen Lippen bebten, während sie lautstark Befehle erteilte.​
»Lasst keinen einzigen von ihnen entkommen!«​
Eine große Gruppe von Kampfnonnen begann, sich mit Kampfgeschrei aus der Richtung des Festungstors auf die Goblins zu werfen.​
»Kriegsgöttin! Schenke uns den Sieg!«​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde.«​
»Richtender Herrscher, Meister des Rechts, Fürst der Klinge, schenke uns Licht!«​
»Oh, mein Gott, der du zu einem wandernden Wind wirst, bitte schenke uns Glück auf unserer Reise!«​
»Wächter der Kerze, auch wenn wir durch Finsternis wandeln, schenke uns ein leitendes Licht! Möge die Dunkelheit auf ewig weichen!«​
Es waren weder Abenteurer noch die Armee, die Goblin Slayer und seinen Kameraden hier zu Hilfe kamen, sondern es handelte sich um eine Gruppe, die nur auf den Befehl der höchsten Klerikerin des Landes hörte. Wie der Kampf ausgehen würde, stand bereits fest. Eine Heldin, die einst einen Dämonenfürsten bezwungen hatte, war mit fähigen Kampfnonnen ausgerückt, um Goblins das Handwerk zu legen, und dem würden die grünen Bestien nichts entgegensetzen können. Einige von ihnen rannten schreiend in Richtung des Labyrinths, doch da wartete bereits er auf sie. Mit gezückter Waffe sagte er zu der Priesterin:​
»Ich habe ihr nichts weiter gesagt, als dass der Rest an ihr liegt.«​
In diesem Moment erkannte die Priesterin etwas, dass sie eigentlich nicht hätte sehen sollen. Die Jungfrau des Schwertes schien zu zittern und lehnte sich an den weißen Alligator neben ihr. Nichtsdestotrotz stand sie dort und wirkte mit der Morgensonne im Rücken wie eine Göttin. Eine Göttin, die ihre Furcht überwunden hatte, um sich den Goblins entgegenzustellen. Jetzt jedoch ruhte ihr Blick auf Goblin Slayer.​
Die Priesterin bemerkte, dass sie noch immer ihre Hand auf der des Kriegers hatte, und wurde knallrot im Gesicht. Sie wollte ihre Hand wegnehmen, doch konnte nicht widerstehen, noch einmal sanft über seinen Handschuh zu fahren. Sie kam sich dabei lächerlich vor, aber dennoch ...​
Für diesen Mann ... Ich will ihm helfen ..., sprach sie still ein Gebet.​


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Edward Teach

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Intermission XXVII

Eine Geschichte, die wohl besser ist als eine, in der ein Drache bezwungen wird.


»Nein, aber ... Was für ein toller Einfall.«​
»Nicht doch. Ich bin darin nicht so gut wie du.«​
Es geschah auf dem Anwesen eines Adligen. Es lag an einem Fluss in der Nähe von der Hauptstadt. Es war eine äußerst finstere Nacht, in der selbst die Zwillingsmonde verhüllt waren. In einem Empfangszimmer, das ihrer Stellung würdig war, saßen sich zwei Männer an einem Tisch mit Krügen voller alkoholischer Getränke gegenüber.​
Der eine von ihnen war ein Adliger des Landes, der Kleidung trug, die an seine üppigen Körperformen angepasst war. Der andere war Mitglied eines finsteren Kults. Um seinen Hals hing ein Anhänger, der aussah wie ein Auge.​
Es war eine Zusammenkunft von Bösewichten, wie sie es schon seit Beginn dieser Welt gab.​
»Wenn wir diesen Dämon mit dem Wesen, das aus den Sternen kommt, kreuzen, könnten wir eine böse Gottheit in diese Welt beschwören.«​
»Sie könnte die Prinzessin nachahmen oder in sie einfahren und so das Königshaus unter ihre Kontrolle bringen.«​
Als der Adlige dies sagte, wackelte sein Bauch und er begann zu lachen. Er schien keinerlei Zweifel zu haben, dass er solch ein fürchterliches Wesen kontrollieren könnte.​
»Wenn uns das gelingt, wäre das ein großer Erfolg. Aber selbst wenn alles schiefläuft, können wir mit Recht herumerzählen, dass die Prinzessin besudelt wurde.«​
Damit würde niemand mehr die Prinzessin heiraten wollen und die Blutlinie des derzeitigen Königs wäre geschwächt. Dies wiederum würde die Macht des Königs am Hof ins Wanken bringen.​
»Nur weil so ein lächerlicher Jüngling und Abenteurer-Versager etwas königliches Blut in den Adern hat, hätte man ihm niemals den Thron geben sollen!«​
Der Adlige schüttelte betrübt seinen Kopf. In dieser Geste spiegelte sich wider, dass er sonst in der Öffentlichkeit so tat, als würde ihm etwas an Recht und Ordnung liegen, doch in Wahrheit wollte er nur mehr Macht und sah nur sich selbst als würdig genug, um über das Land herrschen zu können.​
»Unserer Organisation würde es reichen, wenn wir in der Regierungszeit seiner Majestät mehr Anhänger gewinnen.«​
»Der Gott der Erleuchtung.«​
Der Adlige lächelte zufrieden.​
»Seine Weisheit ist für mich ein großer Gewinn.«​
»Aber was machen wir wegen der Heldin?«​
»Was denn? Dieses Mädchen auf Platin-Rang ist so vom Heldendasein begeistert, dass wir es leicht missbrauchen werden können.«​
Der Adlige gönnte sich etwas von dem Wein, den das Sektenmitglied ihm eingeschenkt hatte, und wischte sich dann über den Mund.​
»Wenn sie sich brav verhält, dann ist alles gut. Ansonsten werden wir sie einfach irgendwie entsorgen.«​
»Du scheinst mit ihrer Art nicht klarzukommen.«​
»Das gilt doch auch für dich, oder? Ich würde zu gerne sehen, wie sie erbärmlich um ihr Leben bettelt.«​
Der Adlige stellte sich die Szene vor und ein zufriedenes Grinsen legte sich auf sein dickes Gesicht. Das Sektenmitglied grinste ebenfalls und schenkte dem Adligen nach. Eigentlich war ihm egal, was mit der Heldin und ihren Leuten passierte, aber wenn sein Sprössling deren Kraft erhalten könnte, würde er nicht Nein sagen. Wissen war Macht und Macht regierte die Welt. Es gab nur wenige, die wirklich verstanden, wie süß wahre Macht war.​
»Aber was ist eigentlich mit diesem Störenfried? Wir haben schon länger nichts mehr von ihm gehört!«​
»Hä hä hä! Glaubst du die Gerüchte etwa immer noch? Lächerlich! Die sind doch nichts weiter als Ammenmärchen des einfachen Volks!«​
In diesem Moment geschah es. Ein Donnern? Ein Sturm? Ein Blitz? Das Flüstern des Flusses draußen hatte sich plötzlich in wildes Getose verwandelt. Und von einem Moment auf den anderen stieß ein Fährschiff durch die Wand des Empfangszimmers.​
»W... Was ist hier los?!«​
»Lange nichts gehört, meine Herren!«, rief eine weibliche Gestalt, die das Schiff gerudert hatte. War es eine Spionin?​
Neben ihr stand ein Mann, der sich würdevoll in Pose begab und damit ein wenig fehl am Platz wirkte.​
»Genau! Es ist lang her! Na, was ist? Ihr habt mich sicher vermisst, oder? Ja, schaut her, wie sehr meine Rüstung glänzt!«​
Selbst in der Dunkelheit strahlten Rüstung, Schild, Helm, Panzerschuhe und Schwert des Mannes. Sie waren gesegnet und beschützten ihn damit vor Verwirrung, Frost, Feuer und Wind. Er war ein Ritter, auch bekannt als der Diamantene Ritter! Viele Leute redeten über ihn, doch nur die wenigsten hatten ihn bisher gesehen, weshalb er in der Hauptstadt als Legende behandelt wurde. Mit verhülltem Gesicht legte er den Bösen das Handwerk und war ein Held des Volkes. Der Adlige hatte allerdings nie an seine Existenz geglaubt. Wieso sollte jemand damit durchkommen, dass er skrupellose Händler, Adlige und Sektenführer umbrachte? Der war doch nichts anderes als ein Mörder. Der junge König hatte sich absolute Gerechtigkeit auf die Fahne geschrieben und würde so jemanden niemals frei herumlaufen lassen. Aber wer war dann jetzt die Person vor ihm? Der muss ein Betrüger sein! Mit diesem Gedanken beruhigte sich der Adlige. Er erinnerte sich daran, wer er war, und in dem Glauben, dass sein Gegenüber ein Nichtsnutz war, sagte er:​
»Unverschämter Halunke! Weißt du überhaupt, wessen Anwesen das hier ist? Nimm den Helm ab! Den Helm!«​
»Oho. Ich soll also mein Gesicht zeigen?«, fragte der Diamantene Ritter mit amüsierter Stimme und begann lautstark zu lachen.​
»Meinetwegen. Aber du wirst diesen Wunsch sicher bereuen!«​
Der Ritter griff mit seinen glänzenden Handschuhen das Visier seines Helms und schob es hoch. Dem Adligen blieben sofort die Worte im Hals stecken.​
»Was?!«​
»Ni... Nicht etwa ...«​
Und auch dem Sektenmitglied hatte es die Sprache verschlagen. Es war unglaublich. Diese Person dürfte nicht hier sein. Ihre Knie wurden weich und sie gerieten in Panik.​
»Kommt her. Kommt her!«, riefen sie. Die Privatsoldaten des Adligen kamen ins Zimmer gestürmt und schienen erst einmal äußerst verwirrt darüber, was hier los war. Das Sektenmitglied nutzte die Zeit, um den Raum zu beeinflussen und Dämonen und bösartige Geister erscheinen zu lassen. Dass sich die Privatsoldaten darüber nicht wunderten, bewies, dass sie wussten, was ihr Herr trieb, und damit auch schuldig waren.​
»Meine Güte«, seufzte der Diamantene Ritter. Er wollte möglichst viele Personen und ihre Lebensweisen akzeptieren, aber das war natürlich kein Grund, über ihre Verdorbenheit hinwegzusehen. Weil dieser Fall ihn auch persönlich berührte, musste er zur Tat schreiten. Die Frau, die hinter dem Diamantene Ritter wartete, schüttelte resigniert den Kopf, aber ihn störte das nicht. Er lachte erneut und sagte:​
»Es sieht so aus, als würden Worte bei euch nichts mehr bringen! Aber das soll mich nicht stören!«​
Er senkte sein Visier und zog sein Schwert. Allein der Windstoß, den er dabei erzeugte, war so messerscharf, dass er Köpfe hätte abschlagen können. Dann machte der Ritter sich ans Werk.​
»Im Namen des Himmels werde ich euch aufschlitzen!«​
Für Barmherzigkeit war hier längst kein Platz mehr.​

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Edward Teach

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Kapitel 72

Ob diese Gebete wohl den Himmel erreichen.


»Und dann hat er am Ende nur einen Teil der Belohnung angenommen?«​
»Ganz genau.« Die Elfe schlug mit einem Rumms auf den Tisch.​
»Das ist unglaublich, oder?!«​
Obwohl sie ernsthaft verletzt worden war, hatte die Waldläuferin nur ein paar Tage ausgiebig schlafen müssen und die Verletzungen waren verheilt. Die Gilden Angestellte schaute verlegen drein, aber verlor dabei nicht das Lächeln auf ihren Lippen. Die Hexe schaute uninteressiert drein und trank anmutig ihren Traubenwein. Die Priesterin schaute genauso drein wie die Hexe. Die anderen Abenteurer im Umkreis belustigten sich währenddessen an dem Schauspiel. Schließlich waren sie bereits an die Gefühlsausbrüche der Elfe gewöhnt. Die Gruppe war ins Grenzland zurückgekehrt und befand sich jetzt in der Schenke des Gildengebäudes. Hier tranken Abenteurer Alkohol, lachten und brachen zu Abenteuern auf.​
»Ja, aber ein bisschen hat er doch angenommen«, sagte die Priesterin zur Elfe.​
»Nur den Teil für das Vertreiben der Goblins!«​
Die Elfe wackelte unzufrieden mit den Ohren. Man hätte denken können, dass sie bereits betrunken war, aber in ihrem Glas befand sich nur Traubensaft.​
»Aber so ist er nun mal«, meinte die Gilden Angestellte und stützte fast ein wenig resignierend die Ellbogen auf dem Tisch ab.​
Dann legte sie ihr Kinn in eine ihrer Hände.​
»Er mag dabei die Tochter einer Adligen gerettet haben, aber für ihn war es ein Auftrag wie jeder andere.«​
Die Priesterin war sich sicher, dass es so war, aber sie sagte nichts weite als »Das mag sein«.​
Sie verneinte nichts und log damit auch nicht.​
»In der Hauptstadt war aber auch ganz schön viel los. Sie sollen die Basis einer finsteren Sekte ausgehoben haben. Ich habe gehört, der Diamantene Ritter soll etwas damit zu tun gehabt haben. Was für eine Person mag er wohl sein?«, murmelte die Gilden Angestellte und legte leicht den Kopf schief.​
Die Priesterin antwortete nicht. Sie war in Gedanken noch bei Goblin Slayer. Für ihn war der Auftrag nur ein weiterer Goblin Auftrag gewesen, doch wieso hatte er keine größere Belohnung angenommen ? Selbst wenn es nur um Goblins ging, hatte er doch die Schwester des Königs gerettet? Eine ordentliche Belohnung war da doch mehr als angemessen.​
In Märchengeschichten erhielten Helden die Hand der Prinzessin oder konnten in einem Teil des Landes selbst wie ein König leben, aber so was wäre übertrieben gewesen. Waffen um effektiver gegen Goblins kämpfen zu können, oder einen Aufstieg auf den Gold-Rang hätte er aber doch erbitten können. Sollte er nicht sein Blickfeld etwas erweitern ... ? Waren des vernünftige Gedanken? Die Priesterin meinte schon, doch Goblin Slayer hatte auf ihre Frage lediglich geantwortet:​
»Ich habe Goblins vertrieben.«​
Oh Mann Goblin Slayer ...
»Hach ...«​
»Oje ... Ein Seufzer? ...«, fragte die Hexe und kicherte.​
»Dabei . . . hast du doch . . . gesagt . . . dass du heute nicht nach ... Hause möchtest ... oder?«​
Was plagte die Priesterin wohl? Die Hexe schaute sie besorgt an, während die Klerikerin der Erdmutter den Blickkontakt vermied und zu Boden schaute. »Nein, also ...«...​
Darum geht es gerade gar nicht. Das Mädchen schüttelte den Kopf und fragte sich still: Wie kann ich wohl wie sie werden?
Sie würde diese Frage niemals stellen können, auch wenn sie so eine stattliche Frau wie die Hexe werden wollte. Schön, stark, selbstlos, immer gut gelaunt, allwissend, anmutig und vor allem ... erwachsen. Und wenn sie nicht wie die Hexe sein konnte, dann wollte sie wie die Erzbischöfin sein. Nachdem die Jungfrau des Schwertes sie gerettet hatte, hatten Goblin Slayer und sie sich voneinander getrennt, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Die Erzbischöfin hatte sich um die Organisation kümmern müssen und Goblin Slayer hatte sich schnell zurückgezogen.​
Ob das so in Ordnung war?​
Irgendwie hatte sie es sich anders vorgestellt. Auch wenn Goblin Slayer und die Jungfrau des Schwertes sich ohne Worte verstanden, war es für die Priesterin anders. Das Abenteuer hatte mit der Erzbischöfin begonnen und hätte auch mit ihr enden sollen, aber dem war nicht so gewesen. Sie fühlte sich, als wäre der Auftrag noch nicht wirklich abgeschlossen.​
Was hatte sie geleistet? Nein, was konnte sie überhaupt leisten?
Die Priesterin strich über den Stoff ihrer Kleidung und fühlte dabei das Kettenhemd, das sie unter ihrem Gewand trug.​
Ich will ihm eine Hilfe sein ...
Auch wenn sie dieses Gebet gesprochen hatte, war es nicht so, als würde es sofort etwas ändern. Sie war jetzt zwar schon einige Zeit Abenteurerin, aber im Vergleich noch eine Anfängerin. Als sie sich umschaute, sah sie den Krieger-Anfänger und die Heilige in Ausbildung, die etwas feierten. Gegenüber saß die Gruppe des Panzerkriegers, bei der die Ritterin eine große Ansprache hielt. Hier und dort konnte sie strahlende Gestalten unter den Abenteurern sehen.​
Aber was ist mit mir?​
»Es ist wirklich nicht einfach ...«, sagte sie seufzend.​
»Hm?«​
Die Elfe ließ ihren Zeigefinger in der Luft kreisen.​
»Was ist? Erzähl es ruhig deiner großen Schwester.«​
»Sollte man es stärker werden nennen?«​
Die Klerikerin legte einen Finger an ihre Lippen und dachte nach, bevor sie sagte:​
»Oder sollte man es Wachstum nennen? Wie man es auch nennt. Es ist nicht einfach, oder?«​
»Da hast du wohl recht«, erwiderte die Elfe leicht gleichgültig.​
»Selbst Bäume werden nicht von einem Augenblick auf den anderen größer. Wenn sie das könnten, wäre das echt überraschend.«​
Ihre Worte waren voller Weisheit der Elfen, aber ihr Tonfall war einer Elfe nicht angemessen. Die Gilden Angestellte fand diese Differenz fürchterlich ermunternd, weshalb sie laut lachen musste. Dann erklärte sie:​
»Nun ja, es bringt nichts, wenn man Dinge zu aufgeregt angeht.«​
»Ja ...«​
»Und es ist auch nicht besonders glaubwürdig, wenn jemand erzählt: Ich war allein auf Trainingsreise und bin jetzt außergewöhnlich stark geworden!«​
Wahrscheinlich hatte die Gilden Angestellte schon so manchen Anfänger mit diesen Worten beruhigt, aber sie waren so freundlich, dass der Priesterin fast die Tränen kamen.​
»Stimmt ja ... Ich habe eine gute Botschaft. Zumindest für Sie.«​
Die Gilden Angestellte klatschte in die Hände und zwinkerte mit einem Auge.​
»Eine gute Nachricht?«, fragte die Priesterin.​
»Die Prinzessin ist zum Glauben der Erdmutter konvertiert. Aber sie wird nicht ins Kloster gehen.«​
»Das ...«​
Was sollte die Priesterin darauf erwidern? Sie schaute zur Elfe, die nur mit den Schultern zuckte. Wahrscheinlich wüssten nur die wenigsten, was sie in solch einem Moment sagen sollten. Ungewollt musste die Priesterin an die vielen Abenteurerinnen denken, die nach ihren ersten Abenteuern in Klöster geschickt wurden, um sich dort von ihren seelischen Wunden zu erholen. Die Priesterin wusste nur zu gut, wie leicht das Herz zerbrochen und damit ein übles Spiel getrieben werden konnte.​
Auch dieses Mal ist jemand ein Opfer dieses Spiels geworden ... Die Priesterin spürte ein Kribbeln in der Nase und atmete keuchend aus. Sie bekam kaum Luft.​
»Anscheinend war der Auslöser für ihren Sinneswandel wohl ein Zusammentreffen mit einer gewissen Priesterin der Erdmutter.«​
»Wie?«​
Die Priesterin hatte mit diesen Worten nicht gerechnet. Während sie überrascht dreinschaute, guckte die Gilden Angestellte so, als würde sie einem kleinen Kind ein Geheimnis verraten.​
»Anscheinend meinte sie: Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber ich möchte so wie jene Person werden.«​
Jetzt war die Priesterin vollkommen sprachlos.​
Sie will so wie jene Person werden? Ich? Sie will wie ich werden?
»Hu... Huch?«​
Auf einen Schlag war die Sicht der Priesterin undeutlich und verschwommen. Sie blinzelte mehrfach und rieb sich die Augen, aber es wurde nicht besser. Sie wollte sich beruhigen, doch sie konnte es nicht. Wenn die Prinzessin erfuhr, wie sie wirklich war, würde sie sicher enttäuscht sein.​
»Das ist doch schön, oder? Eine fantastische Nachricht«, sprach die Elfe dem Mädchen Zuversicht zu und die Hexe streichelte ihm über den Rücken.​
Die Gilden Angestellte blieb still. Auch wenn sie sich gerade lächerlich fühlte, war sie überglücklich. Sie versuchte mit aller Kraft etwas zu sagen, doch bekam nichts heraus. Erneut öffnete sich die Tür der Schenke und die Padfoot Kellnerin lief am Tisch vorbei. Die Nacht in der Schenke ging gerade erst richtig los.​
***
»
Die Zwillingsmonde leuchteten kalt am Himmel. Die ausgeatmete Luft verwandelte sich zu weißem Dampf, der im Mondlicht nach unten schwebte. Goblin Slayer marschierte wortlos die Straße entlang und verließ die Stadt. Es hatte sich nichts geändert. Er hatte einen Auftrag angenommen, hatte sich an den Ort begeben, Goblins getötet, die Gefangene gerettet und kehrte nun heim. Es war alles wie immer. Die Blätter knisterten unter seinen Füßen und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern. Er würde seinen Weg einfach weitergehen.​
»Man muss nur auf das achten, was man vor den Augen hat.«​
Er wusste nicht mehr, wann die Elfe diese Worte zu ihm gesagt hatte, aber sie schossen ihm jetzt in den Sinn. Sein Meister hatte einmal etwas Ähnliches gesagt:​
»Du bist nun mal ein Idiot. Konzentriere dich auf das, was vor deinen Augen ist. Erledige es und wende dich dann dem nächsten Punkt zu. Schau nach vorne und beweg deine Beine. Steh auf und geh weiter. So kann man alle Probleme der Welt lösen. Und solange man nichts unternimmt, ändert sich auch nichts.«​
Ich werde niemals so wie diese Frauen sein können.
Er würde sich nicht wie die Jungfrau des Schwertes wieder aufrappeln können, er würde nicht wie die adlige Fechterin auf andere Art weiterkämpfen können und nicht wie die Priesterin seinen eigenen Weg finden können. Goblin Slayer glaubte an keinen Gott und hatte nie ein ordentliches Gebet gesprochen. Er sah keinen Sinn darin, aber bewunderte auf der anderen Seite die umso mehr, die glauben konnten. Das galt auch für den Echsenmenschen und den Zwerg. Bei dem Speerkämpfer war er sich nicht sicher, aber der Panzerkrieger glaubte bestimmt auch an etwas. Alle, aber auch alle ... Goblin Slayer schaute hoch in den Himmel. Dort waren zwei Monde und mehr Sterne, als man zählen könnte. Der Krieger stöhnte und schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, wie er es besser machen sollte, aber er wusste, was zu tun war. Etwas anderes gab es nicht. Er dachte immer nur an den Weg und nie daran, was er tun würde, wenn er irgendwann einmal ankam.​
»Oh, willkommen zurück«, sprach ihn eine Stimme an.​
Goblin Slayer hob gedankenverloren seinen Kopf. Nicht weit von ihm entfernt war ein warmes Licht. Kam die Stimme aus dem Fenster dort hinten? Ja, da war sie. Ihr rotes Haar wehte im Nachtwind.​
»Es ist doch schon spät. Du solltest beim Laufen nicht vor dich hin träumen.«​
Die Kuhhirtin lächelte den Krieger an und bedeutete ihm, zu ihr zu kommen. Im Wind lag der süßliche Geruch ihres Eintopfs.​
»Ja«, presste er heraus.​
»Ich bin zurück.«​
»Das Essen ist fertig. Komm schnell rein.«​
»Verstanden...«​
Es war alles wie immer. Er ging auf Abenteuer und tötete Goblins. So war er nun mal. Er hatte entschieden, dass es so war. Ohne noch mehr Zeit mit Nachdenken zu verschwenden, öffnete er die Tür und ging ins Haus. Mit einem Knall schloss sich die Tür hinter ihm und brachte kalte Luft hinein. Der Winter war nicht mehr weit entfernt.​

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Edward Teach

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Prelude VIII

Der weiße Schnee wurde mit einer dunklen Flüssigkeit bespritzt.​
»GOROBOGO?!«​
Es folgte ein dumpfer Schmerzensschrei, aber er stammte nicht von einem Menschen. Die Stimme gehörte einem kleinen buckeligen Teufel mit abartiger Fratze. Bevor er von der Klinge erwischt wurde, hatte er noch mit seinen Armen gewedelt. Jetzt herrschte Stille, doch hinter einem Vorhang aus Schnee und Eis bewegte sich ein Schatten. Es war ein Abenteurer. Er trug einen billigen Eisenhelm und eine verschmutzte Lederrüstung. Um seinen Arm war ein kleiner Rundschild gebunden und in der Hand hielt er ein mittellanges Schwert. Seine Rüstung war vom Schnee und dem Blut der Gegner weiß-rot gefärbt. Obwohl dieser Abenteurer gerade ein Leben beendet hatte, sagte er ruhig:​
»Fünf.«​
Die in dem tobenden Sturm tanzenden schönen Schneeflocken hatten die Überreste des getöteten Teufels längst verdeckt. Für die junge Frau waren sie nicht schön, weil sie reinweiß waren, sondern weil sie die Welt überschrieben. Ihn aber interessierte das nicht. Der Goblin war tot und das war alles, was er wissen musste.​
»Wir gehen«, sagte der Abenteurer und bewegte sich lautlos durch den Schnee.​
»J... Ja ...«, antwortete die Frau.​
Ihre Stimme war dünn und zitterte. Sie hatte rote Haare und besaß einen kurvigen Körper. Mit blassem Gesicht versuchte sie verzweifelt, dem Abenteurer zu folgen, und ihr Zittern war nicht allein auf die Kälte zurückzuführen.​
»A... Alles in Ordnung?«, fragte sie den Abenteurer.​
»Kein Problem.«​
Er dachte einen Moment nach. Dann ergänzte er:​
»Weder mit mir noch in der Umgebung.«​
»A... Ach so ... «​
»Ist bei dir denn alles in Ordnung?«​
Natürlich war in dieser Situation nicht alles in Ordnung, aber ihre Gesichtszüge entspannten sich ein wenig und sie begann leicht zu lächeln. Ihr Lächeln erinnerte ein wenig an das, welches sie sonst im Alltag auf den Lippen trug, aber es war dennoch anders.​
»Ja ... Ich komm schon klar ·.«​
Der Abenteurer nickte und ging forsch weiter. Sie folgte ihm mit kleinen Schritten. An der Art, wie sie sich hektisch umschaute, war klar zu erkennen, dass sie Angst hatte. Als sie auf ein Stück Holz trat und es knackend brach, zuckte sie zusammen. Hier hatte einst ein Dorf gestanden. Vor langer, langer Zeit. Natürlich war es nicht das Dorf gewesen, in dem er mit ihr gelebt hatte. Die Gegend jenes Dorfs war zuerst zu Brachland verkommen, bevor dort ein Trainingsplatz für Abenteurer gebaut worden war. Es kam häufig vor, dass Dörfer zerstört wurden. Mal durch Goblins, mal durch eine Seuche oder manchmal auch durch einen Drachen. Dies war ihr genauso bewusst wie ihm. Aber während er sich bereits damit abgefunden hatte, tat sie sich damit immer noch schwer. In das Heulen des Schneesturms mischten sich immer wieder die Schreie der kleinen Teufel. Sie verstand nun endlich, was es bedeutete, das Gebiet von Goblins zu betreten.​

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Edward Teach

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Kapitel 73

Die Vorboten des Untergang


»Es schneit.«​
Vor den Fenstern der Gilde begann sich der herabfallende Schnee zu sammeln und für die Elfe sah es aus, als würden die Töchter des Eises und des Schnees einen Tanz aufführen. Die Waldläuferin stützte ihren Kopf auf einer Handfläche ab und schaute grinsend nach draußen.​
»Ja, so muss der Winter sein. Kalt und frostig mit brausendem Wind.«​
»Meiner Wenigkeit frieren bei dieser Kälte allerdings die Adern ein«, antwortete der Echsenmensch, der sich direkt neben der Feuerstelle aufhielt und sich von dort nicht entfernen wollte.​
Mit seiner hünenhaften Gestalt war der Mönch eine imposante Erscheinung. Weil mittlerweile das zweite Jahr angebrochen war, in dem er sich in der Stadt im Grenzland aufhielt, schenkten ihm die anderen Abenteurer kaum noch Aufmerksamkeit, aber Neuankömmlinge rissen immer die Augen weit auf, wenn sie ihn zum ersten Mal sahen.​
»Was ist denn mit dir? Dir fehlt es wohl an Training!«, rief die fröhlich grinsende Ritterin, die gerade durch die Tür hineinkam. Ihr folgten genervt der Panzerkrieger, der junge Späher und der Halbelf. Sie waren komplett mit Schnee bedeckt. Wahrscheinlich hatten sie mit der Ritterin trainieren müssen. Die junge Druidin brachte ihren Kameraden warmen Traubenwein, den die Ritterin begehrlich entgegennahm.​
»Dabei soll es in der Welt doch sogar Diamantendrachen geben!«​
»Die göttlichen Sphären sind für mich noch fern.«​
Der Echsenmensch seufzte tief und wagte sich noch näher an den Kamin heran.​
»Wärmst ... du ... dich ... auf?«, fragte die Hexe und beschwor eine kleine Feuerkugel herauf.​
Sie schwang locker ihren Arm und warf die Kugel in den Kamin, dessen Feuer daraufhin an Kraft gewann.​
»Oh, ich bin dir zutiefst verbunden!«, sagte der Mönch und legte seine Hände mysteriös zusammen.​
Er wirkte dabei wie bei einem Gebet, weshalb die Hexe kichern musste. Sie machte eine einladende Handbewegung und der Speerkämpfer setzte sich mit einem Rumpeln zu ihnen.​
»Die Unterschiede zwischen uns Völkern sind groß und machen so einiges komplizierter. Hier«, sagte er und reichte dem Echsenmenschen einen Krug voll Met.​
»Hm ...«, erwiderte der Mönch und nahm das Gefäß an sich.​
»Es ist zwar kein Käse, aber für ein Nektar! reicht es vielleicht dennoch.«​
»Hm ...« Der Echsenmensch schüttete sich das Getränk in einem Rutsch in den Hals.​
»Der Geschmack gefällt mir eher weniger ... «​
»Deine Zunge ist überraschend launisch. Aber es ist nicht gut, wenn man zu wählerisch ist.«​
»Ha ha ha, aber als Fleischfresser esse ich nun mal keine Blätter.«​
Da der Mönch schon wieder scherzen konnte, schien sein Körper etwas aufgewärmter zu sein.​
»Ach was?«​
Die Elfe verpasste ihrem Kameraden lachend einen Stupser.​
»Was ist dann mit meinem Volk?«​
»Ihr fresst doch sogar Löwenzahn! Richtig abartig ist das. Ihr habt keinen Geschmack«, rief der Zwerg, der gerade seinen Kopf aus der Küche herausstreckte.​
»Nö!«​
Die Ohren der Waldläuferin stellten sich auf.​
»Hey, Zwerg, das ist Diskriminierung!«​
»Wenn es dich so stört, dann iss einfach ein wenig Fleisch! Vielleicht verhilft es dir nach einigen Hunderten Jahren Lebenszeit auch endlich zu einem ordentlichen Vorbau.«​
»Mach dich nicht über mich lustig!«​
Die Elfe fuhr sich mit der Hand über den Oberkörper. »Außerdem bin ich schon zweitausend Jahre alt!«​
»Und darauf bist du stolz?«​
Resigniert fuhr sich der Zwerg durch den Bart, bevor er einen Topf zu seinen Kameraden trug und ihn auf einen Tisch stellte. Er war mit einem Eintopf aus Kohl, Kartoffeln, Wurst und Schinken gefüllt.​
»Das ist meine Spezialität!«, rief die Padfoot Kellnerin aus der Küche den Abenteurern zu.​
»Von einer Padfoot gekocht und von einem Rhea verfeinert!«​
»Und zwar mit den Gewürzen der Zwerge. Los. Esst.«​
Hungrig und frierend näherten sich der Krieger-Anfänger und die Heilige in Ausbildung. Der Essensgeruch hatte sie angelockt. Sie mussten sich ihren Lebensunterhalt nicht mehr mit der Jagd auf Riesenratten verdienen, aber sie hatten trotzdem Schwierigkeiten, mit ihren Einnahmen über die Runden zu kommen.​
»Dürfen wir auch?«​
»Ja, warum denn nicht?«​
Die beiden hatten ängstlich nachgefragt, doch der Zwerg antwortete ihnen, ohne zu zögern, und hielt ihnen jeweils eine mit Eintopf gefüllte Schüssel hin. Die jungen Abenteurer tauschten einen kurzen Blick aus und fielen dann über das Essen her.​
»Genau. Esst ordentlich. Esst reichlich.«​
"Puh..."​
In diesem Moment betrat eine schlanke Gestalt die Gilde. Sie schüttelte ihren Körper und warf ihre schneebedeckte Kapuze zurück. Es war die Priesterin. Sie pustete in ihre steif gefrorenen Hände, um sie aufzuwärmen, und atmete dann erleichtert auf.​
»Ich bin wieder da.«​
»Willkommen zurück.«​
Die Elfe winkte ihr zu.​
»Wie war es beim Tempel?«​
»Der Winter ist wirklich sehr kalt und es geht eine schlimme Erkältung um ... «, antwortete die Priesterin mit gerunzelter Stirn.​
Der Winter war wahrlich kalt und wenn die Naturgeister des Eises und des Schnees aktiver als sonst waren, war es nichts weiter als ein natürliches Phänomen. Als Dienerin der Erdmutter musste die Priesterin die Umstände akzeptieren und durfte deswegen nicht sauer werden. Sie konnte daran sowieso nichts ändern. Weil aber viele wegen der Kälte krank wurden, war sie, die eigentlich schon den Tempel verlassen hatte, zurückgerufen worden, um zu helfen.​
»Hoffentlich ist es nicht die Pest oder die Krankheit des Westens«, meinte der Zwerg und reichte der Priesterin eine Schüssel mit Eintopf.​
»Hier.«​
Die Gesichtszüge des Mädchens entspannten sich beim Anblick des Essens. Sie nahm die Schüssel entgegen und probierte das Gericht.​
»Vielen lieben Dank. Lecker ... «​
Sie sagte zu dem Geschmack des Gerichts nur dieses eine Wort, doch es drückte ihre wahre Meinung aus. Die Wärme, die bis in ihre Körpermitte drang, war für sie eine große Freude.​
Liegt es etwa an dem Pfeffer?
Die Priesterin nickte aufgeregt und führte einen weiteren Löffel zum Mund. Erst danach schaute sie sich in der Schenke um.​
»Ahm, was ist denn mit Goblin Slayer?«​
»Du machst dir also sofort wieder Sorgen um Orcbolg?«​
Die Elfe antwortete resigniert mit einer Gegenfrage und sorgte so dafür, dass die Priesterin verschämt ihr gerötetes Gesicht senkte.​
»Goblin Slayer ist heute nicht hier.«​
Diese Antwort kam nicht von einem ihrer Kameraden, sondern aus dem Büro der Gilde. Dort stand die Gildenangestellte, die in ihren teuren Mantel geschlüpft war, um gehen.​
»Wegen eines Auftrags?«​
»Ja. Daher kann ich heute auch früh Schluss machen.«​
Der Speerkämpfer machte Anstalten aufzustehen, doch die Hexe sorgte dafür, dass er sitzen blieb. Die Gildenangestellte merkte das und musste kichern.​
»Einige Dörfer haben bei diesem Wetter Probleme, sich zu versorgen, und er ist losgezogen, um ihnen notwendige Dinge zu liefern.«​
»Etwa ... mit jemandem vom Hof?«​
Die Priesterin musste sofort an die junge Frau denken, mit der Goblin Slayer vor der Stadt zusammenwohnte. Die Klerikerin bewunderte die Hexe und die Jungfrau des Schwertes, aber sie empfand auch etwas Ähnliches für die Kuhhirtin. Sich selbst immer so treu zu sein wie sie, konnte nicht einfach sein.​
»Ja. Da es sich um etwas entfernte Dörfer handelt, wird er einige Tage lang nicht heimkehren«, erklärte die Gildenangestellte und klang dabei etwas traurig.​
»Ach wirklich?«​
Die Priesterin nickte und schaute aus dem Fenster. Der Schneefall wurde immer stärker und irgendwo da draußen, hinter diesem weißen Schleier, war Goblin Slayer unterwegs. Und dass sie hier war, wo er sie nicht sehen konnte, sorgte dafür, dass ...​
Nein, ich muss mich zusammenreißen.
Unsicherheit und Einsamkeit stiegen in ihr hoch, doch sie versuchte, diese Gefühle sofort abzuschütteln. Sie konnte heute nicht mehr in den Tempel zurückkehren und das Wetter erlaubte ihr auch nicht, draußen mit der Schleuder zu trainieren.​
Dann muss ich eben tun, was ich tun kann ...
»Ähm ...«, sprach sie die Gildenangestellte an.​
»Ich würde mir gerne noch einmal das Monsterhandbuch ausleihen.«​
»Oje, das nenne ich mal pflichtbewusst.«​
Die Beamtin musste lächeln.​
»Bitte warten Sie einen Moment.«​
Als die Priesterin der forteilenden Gilden Angestellten hinterherschaute, atmete sie erleichtert aus. Dann blickte sie zur Elfe, die sie angrinste.​
»W... Was ist denn?«​
»Du bist aber fleißig.«​
»Das stimmt doch gar nicht ... «​
»Ich könnte das nicht. Ich würde mir nur die interessanten Seiten über Drachen, Riesen, Vampire und so durchlesen und den Rest ignorieren.«​
Von den Monstern, die die Elfe aufzählte, hatte die Priesterin schon gehört, doch sie sagte nichts weiter dazu und wartete geduldig auf die Rückkehr der Gilden Angestellten. Wie würden ihre Kameraden wohl reagieren, wenn sie wüssten, dass sie beim Lesen immer mit der Seite über Goblins begann? Nein, sie wollte nicht, dass sie davon erfuhren, weshalb sie das Buch, als sie es erhielt, heimlich in der Mitte aufschlug.​
***
»Ach, Mensch. Das geht nicht!«​
»Deswegen habe ich gesagt, dass du dich so nicht anziehen sollst«, entgegnete der Hofbesitzer seiner Nichte, die gerade ins Haus gestürmt kam.​
»Aber ...«, wollte sich die Kuhhirtin kraftlos beschweren.​
Anders als sonst sah sie aus, als müsste sie gleich weinen. Doch nicht nur ihr Gesichtsausdruck war für sie ungewöhnlich. Auch ihre Kleidung war anders als sonst. Sie trug ein Oberteil mit Rüschen, aus dem ihre Schultern herausschauten, und ein Korsett sorgte für eine schmale Taille und stützte ihre Brust. Dazu trug sie einen Faltenrock. Sie sah so aus, als wolle sie ausgehen, weshalb der Hofbesitzer mit ihr geschimpft hatte.​
»Es ist Winter. Außerdem schneit es doch gerade.«​
»A... Aber ich habe mir doch extra was Neues gekauft ... «​
Die Kuhhirtin biss sich auf die Unterlippe. Sie war in ihrem Aufzug voller Tatendrang aus dem Haus gestürmt, nur um kurz darauf mit zitternden Schultern und hochgezogenem Rock zurückzukehren ... Es war kalt und der Rock war alles andere als praktisch. Außerdem hätte ihre neue Kleidung durch Schnee und Dreck leicht schmutzig werden können.​
»Deshalb wollte ich ... die Sachen gerne tragen.«​
Der Hofbesitzer seufzte und antwortete:​
»Aber was hast du davon? Am Ende erkältest du dich nur.«​
Ob sie wohl ein Interesse für das andere Geschlecht entwickelt hat?, schoss ihm kurz durch den Kopf, doch selbst wenn, konnte er sie dafür nicht tadeln. Nie hatte sie sich bisher hübsch gemacht, war ausgegangen und hatte andere Dinge getan, die ihrem Alter entsprachen. Eigentlich hätte er diese Wandlung also sogar begrüßt, wäre da nicht dieses eine Problem gewesen. Das Objekt ihrer Begierde ...Der Hofbesitzer seufzte erneut. Dann sagte er:​
»Zieh dir statt des Rocks lieber eine Reiterhose an. Und vergiss den Mantel nicht.«​
"Und..."​
Niedergeschlagen zog seine Nichte sich in ihr Zimmer zurück. Er schloss währenddessen die Tür mit einem Knall und schaute durch ein Fenster nach draußen. Dort sah er eine in eine Rüstung gekleidete Gestalt stehen. Er musste ein weiteres Mal seufzen. Goblin Slayer beobachtete den rieselnden Schnee. Er stand neben einem bereits beladenen Wagen, vor den ausnahmsweise Pferde gespannt waren.​
»...«​
Sein Atem stieg als weiße Wolke zum bleifarbenen Himmel hinauf. Er dachte kurz darüber nach, ob er besondere Erinnerungen an Schnee hatte. Sein Meister hatte ihn auf verschneiten Bergen trainiert, aber auch wenn die Erinnerungen daran besonders waren, waren sie nicht sonderlich gut. Dann dachte er an die bevorstehende Reise. Der Schnee und Angriffe durch Goblins konnten sie schnell gefährlich machen. Er musste die Fracht, die Pferde und natürlich sie beschützen. Wie sollte er also vorgehen?​
Sollte ich meine Kameraden um Hilfe bitten?
Das seltsame Gefühl, das ihn noch vor einiger Zeit überkommen hatte, wenn er die Leute seiner Gruppe als Kameraden bezeichnet hatte, war mittlerweile viel schwächer, aber bei dieser Angelegenheit handelte es sich um einen inoffiziellen Auftrag oder vielmehr eine persönliche Bitte.​
Dann lieber nicht.
»Danke fürs Warten!«​
Eine Stimme schwebte dem Abenteurer durch den Schnee entgegen und die Kuhhirtin kam keuchend zu ihm gelaufen. Ihr Atem stieg in kleinen Wölkchen nach oben und die aus ihrem Oberteil heraus schauenden Schultern waren leicht rötlich. Im Gegensatz zu vorher trug sie jetzt aber einen Mantel mit einer Kapuze. Sie drehte sich vor dem Krieger.​
»Was meinst du?«​
»Solange es dir nicht zu kalt ist, sollte es gehen.« »Ach ja?«​
»Und untenrum? Geht das so in Ordnung?«​
»Ach, die Hose? Ja ...«, antwortete die Kuhhirtin.​
»Hat dir der Rock besser gefallen?«​
»Das ist mir egal.«​
»Der Rock«, murmelte die Kuhhirtin und spielte nachdenklich mit ihren Fingern, »war ziemlich schwer. Außerdem war mir damit etwas kühl an den Beinen.«​
»Deswegen die Hose.«​
» Aber sah der Rock nicht besser aus?«​
»Von so was versteh ich nichts.«​
Goblin Slayer setzte sich mit geübten Bewegungen auf den Fahrerbock. Er nahm die Zügel in die rechte Hand und streckte die freie linke der Kuhhirtin entgegen. »Steig auf.«​
"Oh ja."​
Die Kuhhirtin umfasste mit ihrer für eine Frau relativ großen Hand den Lederhandschuh des Abenteurers, der sie dann zu sich auf den Bock zog. Nachdem sie sich plumpsend neben ihn gesetzt hatte, musste sie lachen.​
»Hi hi hi ... Hast du den Proviant dabei?«​
»Das, was du zubereitet hast?«​
Sie nickte.​
»Ja, genau.«​
»Das habe ich bereits eingepackt.«​
»Dann ist ja gut.«​
Die Kuhhirtin klopfte dem Abenteurer leicht auf den Arm. Dieser nickte und ließ die Zügel knallen. Die Pferde wieherten und setzten sich in Bewegung. Die Räder des Wagens zogen eine Spur durch den Schnee. Bis zu den Dörfern, denen sie die Nahrungsmittel bringen wollten, würden sie einige Tage brauchen. Es war nichts weiter als eine Lieferung, aber weil diese Welt voller Monster und anderer böser Gestalten war, würde die Reise keine sichere sein. Aber wann war es nicht so? Goblin Slayer bereitete sich innerlich vor:​
Das ist kein Abenteuer. Es ist eine Lieferung.
***
[/JUSTIFY]Der Schnee fiel beständig weiter und es war nichts außer dem Poltern eines Wagens zu hören. Auf seinem Fahrerbock saßen zwei Gestalten. Goblin Slayer, der die Zügel hielt, und die Kuhhirtin, die neben ihm schwieg.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll .
Sie dachte darüber nach, dass sie zum ersten Mal allein mit ihm reiste. Als sie mit ihm im Wald der Elfen gewesen war, waren seine Kameraden dabei gewesen, und die Lieferungen, die sie bisher mit ihm erledigt hatte, hatten nie mehrere Tage gedauert.
Es ist komisch, oder?
Die Kuhhirtin veränderte ihre Sitzposition. Sie zog ihre Knie an sich heran und umschlang sie. Dann seufzte sie. Die Situation war eigentlich nicht anders als an solchen Tagen, an denen sie zusammen in der Stadt unterwegs waren. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und beobachtete ihn von daher nur schweigend von der Seite. Dabei fragte sie sich mal wieder, was für ein Gesicht er wohl gerade machte.
»Hey.«
»Hä?!«
Die Kuhhirtin zuckte kurz zusammen, als die Stimme von Goblin Slayer sie aus den Gedanken riss.
»W... Was ist denn?«
»Ist dir nicht kalt?«
»A... Ach ... N ... Nein ... Schon gut.«
»Ist das so?«
Das Mädchen nickte und damit war dieses Thema dann auch beendet. Danach war wieder ausschließlich das Knirschen der Räder zu hören. Das Mädchen zappelte ein wenig und spielte mit den Fingern vor seinem üppigen Busen. Sie atmete tief ein und wieder aus. Wenn sie diese Chance verstreichen ließ, würde sich nichts ändern.
»Al... Auch.«
»Was denn?«
Seine Stimme klang kurzsilbig und tief. Sie war nicht anders als sonst, aber das Mädchen fühlte sich kurz von ihr überwältigt.
»Ähm ... «
Ihr steckten die Worte im Hals fest. Sie öffnete und schloss den Mund mehrere Male.
»Wo... Worüber redet ihr normalerweise so?«
»Normalerweise?«
»Wenn du auf einem Abenteuer bist. Mit den anderen ...?«
Goblin Slayer stieß ein tiefes Brummen aus. Wahrscheinlich suchte er nach den passenden Worten.
»Nichts Besonderes ...«, sagte er schließlich.
»Ach so«, gab die Kuhhirtin flüsternd zurück und schaute nach unten.
Auf ihrer Kapuze hatte sich Schnee gesammelt und die Kälte stach wie Nadeln in ihren Körper.
»Also ich ...«
»Wie?«
Als sie die gemurmelten Worte ihres Reisebegleiters hörte, musste sie mehrfach blinzeln.
» Also ich bin nicht gut darin, Dinge zu erzählen.«
"Ja ..."
Die Kuhhirtin nickte. Sie wusste nicht mehr, wie es früher gewesen war, aber jetzt war es eben, wie es war.
»Deswegen ... höre ich den Geschichten der anderen zu und antworte darauf.«
»Ach so ...«
Sie wandte kurz den Blick von ihm ab und schaute nach oben. Aus dem verhangenen Himmel mit seinen bleifarbenen Wolken fielen weiter Schneeflocken in Richtung Boden. Die ausgeatmete Luft wurde zu weißem Nebel, der sich dampfend mit dem Schnee vermischte und dann verschwand.
»Aber dann ...«
"Und?"
Sie blickte wieder zu ihm herüber.
»Darf ich dir denn einfach erzählen ... was ich will?«
"Und."
Der Krieger hatte dem Mädchen zwei Mal mit dem gleichen Wort geantwortet, doch es strahlte trotzdem.
»D... Dann, ähm ... Neulich, an dem freien Tag!«
"Und."
»Ich habe mich zusammen mit der Gilden Angestellten und den anderen amüsiert. Ähm, wir haben ein Brettspiel gespielt ... «
Die Stimme der Kuhhirtin klang ein wenig wie die eines Kindes, das vor anderen Kindern angab. Sie begann Dinge zu erzählen, die weder besonders aufregend waren noch einen Zusammenhang besaßen. Sie redete von guten und von schlechten Würfelergebnissen. Vom Wetter, von den Felderzeugnissen und dem Vieh. Von Dingen, die in seiner Abwesenheit in der Stadt vorgefallen waren. Davon, wie es anderen Abenteurern ging. Während sie sprach, vermischte sich ihre Stimme mit dem Poltern der Räder und auch wenn es noch immer so kalt war wie vorher, schien sie sich nicht mehr daran zu stören. Bis zu dem Dorf war es nicht mehr besonders weit und dort warteten Leute auf sie. Deshalb durften sie sich nicht grundlos verspäten, aber dennoch ... Ich würde gerne noch länger so bleiben ... , dachte sich die Kuhhirtin, aber schüttelte schnell ihren Kopf.
» Ach, stimmt. Es ist bald Mittag. Wenn wir unseren Proviant essen möchten, sollten wir kurz Pau ... «
Mit einem Knarren hielt der Wagen an.
»Hä? Willst du etwa hier essen?«
Der Krieger antwortete nicht. Stattdessen hielt er den Atem an und starrte nach vorne. Als Nächstes wanderte sein Blick von rechts nach links. Die Kuhhirtin fragte sich kurz, ob er zu ihr geschaut hatte, aber nein. Er hatte den Schneehaufen hinter ihr betrachtet.
»Ä... Ahm ...«
»Das ist gar nicht gut.«
Es passierte direkt darauf. Schneeflocken tanzten durch die Luft und etwas stach aus dem Boden hervor.[/JUSTIFY]
» Wah?! «​
Die Kuhhirtin verdrehte die Augen, als ihr Körper zur Seite umgeworfen wurde. Einen Augenblick später bohrte sich etwas dort in die Bank, wo sie eben noch gesessen hatte.​
Ein Speer?!​
Sie stürzte auf den Schneeboden, aber wunderte sich, warum sie keinen Aufprall spürte. Die Antwort war simpel. Als sie merkte, dass sie sich in seinen Armen befand, verspannte sich ihr Körper.​
»Wie? Was? Warum?«​
» GROORBB !! «
» GBB! GOROB! «
» GROBR! «​
Diese Schreie sagten mehr als tausend Worte. Nacheinander standen Figuren aus dem Schnee auf und warfen Decken von sich. Sie hatten abartige Fratzen, die sofort die dahintersteckende Gier preisgaben. Sie waren mit kruden Waffen bewaffnet und hatten den Körperbau von Kindern. Es waren die schwächsten der ungläubigen Charaktere dieser Welt.​
»G... Goblins?!«​
»Hier entlang!«​
Goblin Slayer griff die Hand der Kuhhirtin und rannte los.​
»W... Was ist mit den Pferden und der Fracht?!«​
»Da können wir nichts machen.«​
Ich habe versagt, dachte sich der Krieger. Eigentlich hätte er die Pferde sofort los galoppieren lassen sollen, um die Goblins abzuschütteln, aber ... Nein ... Er wusste, warum er so gehandelt hatte. Die Antwort lag auf der Hand.​
»Eins!«​
» GGOORBG ?! «​
Goblin Slayer rammte sein Schwert in einen der Goblins, die sie gerade zu umzingeln versuchten. Dabei bohrte sich die Klinge des Kriegers in die Magengrube der Bestie. Sie war sofort tot. Goblin Slayer trat die Leiche um, zog seine Waffe aus ihr und lief weiter.​
» GOR! GOBG! «
» GBBGR! «​
»Ah?!«​
Fliegende Kieselsteine, schreiende Goblins, Speere und Leichen. Die Kuhhirtin wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte, und schrie. Dies führte dazu, dass Goblin Slayer ihre Hand noch fester umschloss, aber so konnte er seinen Schild nicht nutzen. Er musste wachsam bleiben und durch ihre Reihen stoßen. Er musste effizient vorgehen. Er meinte kurz, das Klackern von Würfeln zu hören, doch Schicksal und Zufall konnten ihm gestohlen bleiben. Es waren die Todesschreie der Pferde zu hören, die von den Goblins abgeschlachtet wurden. Goblin Slayer schaute hinter sich und sah das Gesicht der Kuhhirtin. Sie war den Tränen nah, aber sie konnten nicht stehen bleiben. Es gab keinen anderen Ausweg als zu laufen.​
»H... Hörst du? Die Pferde ...«​
Ihre Stimme zitterte.​
»Sie sterben, oder?«​
Goblin Slayer schwieg und rannte weiter. Es war nicht so, dass er nichts sagen wollte, aber er konnte es nicht. Er konnte sie nicht ansehen und ihr erzählen, dass die Goblins sich gerade über die Pferde hermachten. Was für ein Gesicht sollte er dabei machen? Obwohl er einen Eisenhelm trug, machte er sich solche Gedanken.​
» GOOROBG!! «​
Der Krieger ließ seinen Zorn an dem kleinen Teufel vor ihm aus. Der Goblin hatte seine Position für vorteilhaft gehalten, dabei bedeutete sie sein Ende. Goblin Slayer warf seine Klinge nach ihm.​
»?!«​
Direkt darauf steckte sie im Kopf des kleinen Teufels, der tot auf den Rücken fiel.​
»Zwei!«​
Goblin Slayer lief weiter und schnappte sich die Waffe des gerade getöteten Goblins. Es war ein Knüppel, der aus einem Knochen hergestellt worden war. Wahrscheinlich war es einst der Oberschenkelknochen eines Menschen gewesen.​
»U... Ur. .. Urgh!«​
Die Kuhhirtin schaffte es, ihren Würgereflex zu stoppen. Sie hatte jetzt keine Zeit, um sich zu übergeben. Sie blickte nach vorne und überlegte sich, was wohl passieren würde, falls er ihre Hand losließ. Sie wusste, dass er das nicht tun würde, aber ... Sie begann zu zittern.​
»W... Was machen wir jetzt?«, rief die Kuhhirtin.​
»Die Stadt liegt ... in dieser Richtung ... oder?«​
»Wir können nicht einfach zurück«, sagte er emotionslos.​
»Sie werden uns auflauern.«​
»Aber dann ...«​
»In der Nähe gab es ein Dorf«, sagte er.​
»Zumindest früher.«​
Die Kuhhirtin schluckte und fragte sich, ob das Dorf wohl noch existierte, wenn hier so viele Goblins waren. Sie sprach diese Frage lieber nicht aus, denn er würde sie sicherlich nicht beantworten können. Und dann war da noch der Schnee. Er würde in ihm überleben können, aber was war mit ihr?​
Was würde das Mädchen wohl machen?
Die Kuhhirtin musste an die Priesterin denken, die immer mit ihm unterwegs war. Sie selbst hatte nie Ambitionen gehabt, Abenteurerin zu werden, aber in diesem Augenblick bereute sie, keine geworden zu sein. Denn wenn sie jetzt eine gewesen wäre ...​
»Sie kommen!«​
"J ... Ja!"​
Die junge Frau schüttelte die Gedanken ab und wandte sich wieder der Realität zu. Direkt darauf ertönten zwei Goblin Schreie.​
» GOROGB! «
» GBG! GOOBG! «​
Sie verfolgten einen Abenteurer und eine junge Frau. Die Biester dachten bestimmt, dass sie bereits gewonnen hatten. Während sie sich ihren vermeintlichen Opfern näherten, stand ihnen die Gier ins Gesicht geschrieben. Die Kuhhirtin hätte bei ihrem Anblick am liebsten laut aufgeschrien, doch stattdessen spürte sie, wie sich eine feuchte Wärme an ihrem Unterleib ausbreitete. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Goblin Slayer hingegen ...​
»Drei!«​
Während er die junge Frau hinter sich herzog, machte er einen Ausfallschritt nach vorne und schlug in hohem Bogen mit dem Knüppel zu.​
»?!«​
Der Goblin konnte nicht ausweichen und der Knüppel erwischte ihn am Kopf. Dieser platzte auf und die Gehirnfetzen der Bestie verteilten sich in der Umgebung. Der leblose Körper des Goblins sackte in sich zusammen und wurde umgehend vom Schnee verschluckt. Im Austausch für das Leben des Goblins war der Knüppel in Goblin Slayers Hand gebrochen.​
» GGBBGRO! "​
Als ein anderer Goblin dies erkannte, grinste er breit. Der Gegner war unbewaffnet. Jetzt würde er ihn einfach erledigen können. Er würde ihn töten ... Nein, vorher würde er die Frau vor seinen Augen ...​
»??!«​
Aber die Träume des Goblins würden unerfüllt bleiben. Goblin Slayer zögerte keine Sekunde und rammte dem Goblin die Spitze des abgebrochenen Knochen-Knüppels in die Augenhöhle. Das Auge der Bestie zerplatzte und die Spitze drang in das Hirn vor. Der Goblin war sofort tot, doch sein Körper zuckte noch eine Weile. Goblin Slayer ließ sich davon nicht beirren und stampfte auf die Hand der Leiche, um ihren Griff um ein Schwert zu lockern, das er sich dann schnappte.​
»Kannst du weiter?«​
»Ja ... Ich meine schon ... «​
Die Kuhhirtin konnte die Lage nicht genau einschätzen und wusste nur, dass sie sich elendig fühlte und wahrscheinlich auch so aussah.​
»Dann gehen wir.«​
Obwohl ihm ihre Gefühle sehr wahrscheinlich bewusst waren, sagte er dazu nichts. Vermutlich aus Rücksicht.​
»Ja«, entgegnete die Kuhhirtin mit leiser Stimme und umfasste seine Hand erneut.​
Sie wollte sie auf keinen Fall loslassen. So wie früher schon.​
» GOROBG! "​
Ein fürchterlicher Schrei ertönte und Goblin Slayer zog an ihrem Arm und ging weiter. Er schwang sein Schwert seitwärts in Richtung einer Gestalt, die aus dem Schnee herangeeilt kam. Der weiße Schnee wurde mit einer dunklen Flüssigkeit bespritzt.​
GOROBOGO?! "​
Es folgte ein dumpfer Schmerzensschrei, aber er stammte nicht von einem Menschen. Die Stimme gehörte einem kleinen buckeligen Teufel mit abartiger Fratze. Bevor er von der Klinge erwischt wurde, hatte er noch mit seinen Armen gewedelt.​
Jetzt herrschte Stille, doch hinter einem Vorhang aus Schnee und Eis bewegte sich ein Schatten. Es war ein Abenteurer. Er trug einen billigen Eisenhelm und eine verschmutzte Lederrüstung. Um seinen Arm war ein kleiner Rundschild gebunden und in der Hand hielt er ein mittellanges Schwert. Seine Rüstung war vom Schnee und dem Blut der Gegner weiß-rot gefärbt. Obwohl dieser Abenteurer gerade ein Leben beendet hatte, sagte er ruhig:​
»Fünf.«​
Die in dem tobenden Sturm tanzenden schönen Schneeflocken hatten die Überreste des getöteten Teufels längst verdeckt. Für die junge Frau waren sie nicht schön, weil sie reinweiß waren, sondern weil sie die Welt überschrieben. Ihn aber interessierte das nicht. Der Goblin war tot und das war alles, was er wissen musste.​
»Wir gehen«, sagte der Abenteurer und bewegte sich lautlos durch den Schnee.​
»J ... Ja ...«, antwortete die Frau.​
Ihre Stimme war dünn und zitterte. Sie hatte rote Haare und besaß einen kurvigen Körper. Mit blassem Gesicht versuchte sie verzweifelt, dem Abenteurer zu folgen, aber ihr Zittern war nicht allein auf die Kälte zurückzuführen.​
»A... Alles in Ordnung?«, fragte sie den Abenteurer.​
»Kein Problem.«​
Er dachte einen Moment nach. Dann ergänzte er:​
»Weder mit mir noch in der Umgebung.«​
»A... Ach so ... «​
»Ist bei dir denn alles in Ordnung?«​
Natürlich war in dieser Situation nicht alles in Ordnung, aber ihre Gesichtszüge entspannten sich ein wenig und sie begann leicht zu lächeln. Ihr Lächeln erinnerte ein wenig an das, welches sie sonst im Alltag auf den Lippen trug, aber es war dennoch anders.​
»Ja ... Ich komm schon klar ... «​
Der Abenteurer nickte und ging forsch weiter. Sie folgte ihm mit kleinen Schritten. An der Art, wie sie sich hektisch umschaute, war klar zu erkennen, dass sie Angst hatte. Als sie auf ein Stück Holz trat und es knackend brach, zuckte sie zusammen.​
Hier hatte einst ein Dorf gestanden. Vor langer, langer Zeit. Natürlich war es nicht das Dorf gewesen, in dem er mit ihr gelebt hatte. Die Gegend jenes Dorfs war zuerst zu Brachland verkommen, bevor dort ein Trainingsplatz für Abenteurer gebaut worden war. Es kam häufig vor, dass Dörfer zerstört wurden. Mal durch Goblins, mal durch eine Seuche oder manchmal auch durch einen Drachen. Dies war ihr genauso bewusst wie ihm. Aber während er sich bereits damit abgefunden hatte, tat sie sich damit immer noch schwer.​
In das Heulen des Schneesturms mischten sich immer wieder die Schreie der kleinen Teufel. Sie verstand nun endlich, was es bedeutete, das Gebiet von Goblins zu betreten.​
***
»Ach, Mann. Gibt es denn gar nichts zu tun?«​
Durch die Schenke hallte die trotzige Stimme der Elfe. Sie lag flach ausgestreckt auf einem Tisch und zappelte mit Armen und Beinen. Sie wirkte dabei wie ein Kind.​
»Bist du wirklich zweitausend Jahre alt?«​
»Ja, was soll die unhöfliche Frage?«​
»Man könnte dich auch für dreizehn halten.«​
Der Zwerg seufzte tief und schüttete sich sein Getränk in den Hals. Die Sonne war bereits untergegangen, und viele der anwesenden Abenteurer waren inzwischen betrunken und hingen lustlos herum. Draußen fiel viel Schnee, es war windig und kalt. Bei so einem Wetter nahmen nur die Abenteurer Aufträge an, die dringend Geld brauchten oder einen anderen triftigen Grund hatten.​
»Goblin Slayer hat wohl auch zu viel Freizeit!«​
Solche und andere Dinge hatte die Ritterin von sich gegeben, bevor der getrunkene Alkohol sie vollkommen übermannt hatte. Während sie jetzt betrunken vor sich hin sabberte, verpasste der Panzerkrieger ihr einen leichten Schubs.​
»Du bist echt unmöglich. Du benimmst dich wie ein Kleinkind.«​
Er hob sie hoch und legte sie über seine Schulter. Nachdem er überprüft hatte, dass die jüngeren Mitglieder seiner Gruppe bereits im Bett waren, verabschiedete er sich.​
»Wir gehen dann mal. übertreibt es nicht, sonst wacht ihr morgen mit einem Kater auf.«​
»Du Halunke ... Wenn du eine Frau ins Bett bringst, dann trag sie gefälligst wie eine Prinzessin ...«, beschwerte sich die Ritterin plötzlich.​
»Du willst eine Prinzessin sein?«, gab der Panzerkrieger zurück und machte sich auf den Weg zu den Zimmern.​
»Jaja«, rief der Speerkämpfer ihm hinterher und schaute dann zur Priesterin: »Sag mal, willst du nicht auch bald schlafen gehen? Du hast heute auch wieder im Tempel geschuftet, oder?«​
"Und."​
Das Mädchen blinzelte mit schweren Augenlidern.​
»Aber was, wenn etwas passiert?«​
»Du kannst echt nicht loslassen, oder?«​
Der Speerkämpfer gähnte gelangweilt.​
»Du kannst die ganze Nacht warten, aber er wird sicher nicht zurückkommen.«​
» Darum geht es ... « ... doch gar nicht.
Die Priesterin sprach den Satz nur halb aus und kratzte sich dann verlegen an der Wange. Die Hexe kicherte und sorgte so dafür, dass das Mädchen sich noch mehr schämte.​
»E ... Einfach nur zu warten, obwohl nichts passiert ... ist irgendwie ·.«​
Die Elfe zuckte mit den Schultern und antwortete auf die ausweichenden Worte der Priesterin:​
»Wie wäre es mit einem Brettspiel?«​
Dann schaute sie zur Anmeldung. Die Gildenangestellte war bereits nach Hause gegangen und auch die Inspektorin war nicht mehr da. Nur die Nachtschicht war noch anwesend und diese war gerade damit beschäftigt, Tee zu trinken und ein paar Dokumente durchzugehen.​
»Nun ja ... Aber es fehlen uns Mitspieler ... «​
»Wenn das so ist«, meldete sich der Echsenmensch, der noch immer in der Nähe des Kamins saß, zu Wort, »könnten wir doch auf ein richtiges Abenteuer gehen.«​
»Dafür sind wir doch auch nicht genug.«​
Es fehlte ihnen jemand, der in der vordersten Reihe kämpfte. Sie hatten drei Magiewirker, aber nur einen reinen Nahkämpfer in ihrer Gruppe. Die Priesterin schielte zum Echsenmenschen, der sich im Nahkampf auch immer wieder als verlässlich erwiesen hatte.​
»Wenn Goblin Slayer nicht hier ist, ist es irgendwie einsam.«​
»Ich weiß aber nicht, ob ich diesen komischen Kauz als richtigen Krieger bezeichnen würde«, gab die Elfe auf die Aussage der Priesterin zurück und lachte.​
»Ja ...«, antwortete diese verunsichert. Sie legte nachdenklich einen Finger an die Lippen und wandte sich dem Speerkämpfer und der Hexe zu.​
» Wie lange seid ihr schon in einer Gruppe?«​
"Hm?"​
Der Speerkämpfer zog eine Augenbraue hoch.​
»Fünf, sechs Jahre müssten es sein ... Oder?«​
»Ja, ungefähr ...«, antwortete die Hexe und kniff leicht die Augen zusammen. Ein bezauberndes Lächeln lag auf ihren Lippen.​
»Interessiert ... es dich ...etwa?«​
»Ä ... Ähm, nun ja ...«​
Weil die Hexe sie mit ihren schönen Augen anschaute, wurde die Priesterin etwas verlegen.​
»E... Ein wenig?«​
»Hallo hallo ...«​
Amüsiert zog die Hexe eine Pfeife aus ihrem Ausschnitt hervor, bevor sie etwas murmelte und ihre Fingerspitzen gegeneinander schlug. So entzündete sie ihre Pfeife und ihr Körper bebte verführerisch, als sie einen tiefen Zug nahm. So als würde sie jemanden küssen wollen, öffnete sie sinnlich ihren Mund und blies einen Ring aus Rauch in die Luft.​
»Alles . .. zu .. . seiner Zeit .. . Auch für .. . dich ... wird es ... irgendwann ... schon werden ... ja?«​
"Ja ..."​
Die Priesterin nickte und schaute hinunter zu dem Becher mit Milch, die längst nicht mehr warm war. Wie lange würde es wohl dauern, bis ihre Zeit kommen würde? Wann würde sie eine Abenteurerin auf Silber-Rang sein? Wann würde sie endlich aufhören, sich unsicher zu fühlen, wenn sie allein zurückgelassen wurde? Und wann würde sie sich nicht mehr so minderwertig fühlen? Weil sie das Gefühl hatte, dass die anderen Abenteurer sie durchschauten, führte sie peinlich berührt ihren Becher zum Mund.​
»Ahm, sag mal?«​
»??!«​
Genau in diesem Moment wurde sie angesprochen. Die Priesterin verschluckte sich leicht und hustete. Neben ihr standen zwei vertraute Gestalten. Die Heilige in Ausbildung und der Krieger-Anfänger. Sie hatten zur gleichen Zeit wie sie angefangen und wirkten so, als würden sie bald nicht mehr als Frischlinge gelten. Er trug eine abgenutzte Lederrüstung und einen Knüppel, zu dem die Bezeichnung langer, dünner Stock besser gepasst hätte. An der Hüfte befand sich ein Schwert und über der Schulter hing der abgenommene Stirnschutz. Die Heilige war in ihrem Verhalten viel ruhiger geworden.​
Was wollten die zwei wohl von der Priesterin? Sie lächelte die beiden an, um ihre Unsicherheit zu verstecken.​
»Was ist denn?«​
»Es wurde inoffiziell beschlossen, dass wir im Rang aufsteigen werden ...«, erzählte der Krieger-Anfänger und kratzte sich an der Wange.​
»Meine Güte.«​
Die Priesterin klatschte in die Hände.​
»Das ist doch ein Grund zu feiern!«​
»Nun ja, wir steigen ja nur von Porzellan zu Obsidian auf.«​
Vom zehnten auf den neunten Rang. Sie hatte diesen Aufstieg machen können, weil sie vorher gegen einen Oger ... Nein ... Sie war so schnell aufgestiegen, weil sie mit den anderen in einer Gruppe war. Ohne sie wäre die Priesterin jetzt dort, wo auch die beiden vor ihr sich gerade befanden. Nichtsdestotrotz hatte sie sich damals unheimlich über den Rangaufstieg gefreut, aber die Abenteurer vor ihr ...​
»Warum die betrübten Gesichter? Ist irgendwas passiert?«​
»Ähm ... «​
Die Heilige in Ausbildung runzelte die Stirn.​
»Als ich dem Tempel Bericht erstattete, erreichte mich eine göttliche Botschaft ... «​
Göttliche Botschaften waren eine Art von Eingebung und sie enthielten meist Nachrichten der Götter an ihre Gläubigen. Es waren Prophezeiungen oder manchmal auch Befehle. Zwar zwangen sie den Empfänger zu nichts, aber nur selten konnte man sie einfach ignorieren. Zumindest wenn man nicht besessen vom Töten von Goblins war. Die Priesterin verstand sofort.​
»Die Prüfungen des Erhabenen Gottes sollen sehr schwierig ausfallen ... «​
"Und."​
Die Heilige in Ausbildung nickte. Sie wirkte wie ein Kind, das sich bei Anbruch der Dunkelheit verirrt hatte.​
»Ich soll mich zum Gipfel im Norden begeben, aber ... «​
» Wir haben uns bisher nur in der Umgebung der Stadt bewegt und waren noch nie auf einem verschneiten Berg. Wenn wir jetzt also einfach losgehen, werden wir sicher sterben«, erklärte der Krieger-Anfänger mit todernstem Gesicht. Die Priesterin dachte kurz nach. Im letzten Winter hatte sie ein verschneites Gebirge besucht und dort gekämpft. Dies war eine entscheidende Erfahrung für sie gewesen, aber ohne ihre erfahrenen Kameraden wäre ihr sicher großes Leid zuteilgeworden.​
Eigentlich hatte sie gedacht, dass sie im Tempel auf die Rückkehr von Goblin Slayer warten würde, aber ...​
»Kobolde?«​
"Hm?"​
»Ach, nichts ...«​
Die Priesterin musste verlegen lächeln und schüttelte den Kopf. Sie hatte gedankenverloren dieses Wort gesagt, doch obwohl es keinen tieferen Sinn hatte, gab es ihr einen Ruck. Sie trank entschlossen ihre Milch aus und griff nach ihrem Stab. Sie bemerkte, dass die Hexe ihr zunickte, und erwiderte die Geste.​
»Gerne würde ich euch auf dieses Abenteuer begleiten.« Die Stimme der Priesterin überschlug sich leicht.​
»Freunde, würdet ihr bitte auch mitkommen?«​
»Ein Abenteuer!«​
Die Elfe sprang voller Kraft von ihrem Platz auf. Ihre Arme und Ohren zeigten dabei in Richtung Himmel.​
»Ich bin dabei! Ich werde später vor Orcbolg damit prahlen, dass wir ohne ihn auf einem Abenteuer waren!«​
»Das kannst du gerne machen, aber ich glaube nicht, dass es ihn interessieren wird ... «, meinte der Zwerg, während er den​
Tisch festhielt, den die Elfe beinahe umgerissen hatte.​
Dann schnappte er sich einen Bissen von dem Essen vom Tisch und spülte es mit etwas Branntwein herunter.​
»Was meinst du denn, Schuppiger?«​
»Man sollte dankbar sein, wenn Leute sich auf einen verlassen. So etwas passiert nur selten«, antwortete der Mönch.​
»Ich kann also nicht ablehnen. Und überhaupt wird Essen nicht gleich schlecht, weil es abkühlt. Lang lebe die Kultur.«​
In dem Wissen, dass der Echsenmensch fast alles tat, solange er Käse dafür erhielt, zuckte die Elfe mit den Schultern.​
»Und? Was ist jetzt, Zwerg? So fett, wie du bist, macht dir das bisschen Kälte doch nichts aus, oder?«​
»Dir müsste man echt mal den Hintern versohlen.«​
Der Zwerg wischte sich einige Essensreste aus dem Bart und stand auf.​
»Ich würde annehmen, aber ... «​
»Was denn?«​
Die Elfe wackelte genervt mit ihren langen Ohren.​
» ... was ist mit der Belohnung?«​
»Ach ...«​
Das überraschte Geräusch kam von niemand anderem als der Priesterin. Sie hatte über diesen Punkt gar nicht nachgedacht. Ihr eben noch vorhandener Mut war auf einen Schlag verpufft. Auch dem Jungen und dem Mädchen stiegen die Tränen in die Augen. Schließlich hatten sie kein Geld.​
»Halbe-halbe ... oder?«​
Die Rettung kam in Form von Worten der Hexe. Sie hatte die Augen frech zusammengekniffen.​
»So machen ... es Freunde ... nicht wahr?«​
»Stimmt...«​
Der Speerkämpfer seufzte.​
»Bei solchen Erkundungen gehört es sich, dass das Erbeutete aufgeteilt wird.«​
»Ach, da ... dann machen wir das so!«, rief der Krieger-Anfänger mit strahlendem Gesicht.​
Hastig verpasste die Heilige in Ausbildung ihm einen Stoß in die Seite und rief:​
»Aber der benötigte Gegenstand ist ausgeschlossen ... Mein Gott möchte, dass ich ihm diesen bringe!« Der Zwerg nickte zufrieden und antwortete:​
»Einverstanden.«​
Die Priesterin schwieg. Sie setzte sich plumpsend wieder hin und sah auf den Krug in ihren Händen. Er war leer. Unter der Leitung der Elfe begann die Gruppe damit, sich vorzubereiten, und das freute die Priesterin. Schließlich hatten ihre Kameraden ihren Vorschlag angenommen, aber ...​
»Wenn morgen der Schnee etwas nachlässt, brechen wir auf.«​
Die Nacht war noch lang und der Schneefall wurde immer stärker.​


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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 74

Der Goblintöter wandert umher.

»Erledige es ordentlich«, sagte er. »Sonst kriegst du noch Frostbeulen.«​
»J... Ja ... «​
Vorsichtig betastete sie ihre Kleidung und ließ dabei ihren Blick durch das verfallene Haus schweifen. Wobei . . . Konnte man das hier noch ein Haus nennen? Der Begriff Ruine wäre wohl passender, aber zumindest boten das Dach und die stehen gebliebenen Wände einen Schutz vor Wind und Schnee.​
»Zum Glück schneit es.«​
Goblin Slayer spähte durch ein Loch in der Wand nach draußen. In der dunklen Nacht tanzte ein weißer Schleier und verhüllte die Sicht. Dennoch war hier und dort das Glimmern von Goblin Augen zu sehen. Selbst in dieser Kälte trieben sie sich herum, aber ihre Bewegungen wirkten lebloser als sonst. Goblins waren von Natur aus äußerst faule Wesen und dass sie gerade keine Lust hatten, in dieser Kälte herum zu stapfen, war klar zu erkennen.​
»Du musst deinen Geruch verstecken.«​
Die Kuhhirtin verstand sofort, worauf der Krieger hinauswollte, und wurde rot im Gesicht.​
»S... Schau aber nicht her, ja?«​
»Ja.«​
Goblin Slayer hörte das Klacken eines Gürtels hinter sich und widmete sich der Durchsuchung der Überreste dieses Hauses. Es wirkte, als ob es bereits geplündert worden war, aber vielleicht war hier trotzdem noch etwas zu finden.​
»Sag mal ...«, sagte die Kuhhirtin leise.​
Das Rascheln ihrer Kleidung war zu hören.​
»Wirst du später über mich lachen ... oder denken, dass ich erbärmlich bin ...?«​
»Das werde ich nicht«, antwortete er, während er lautlos eine verrottete Kommode durchwühlte. Aber anscheinend dachte er, dass das nicht ausreichen würde, weswegen er nach einem Seufzen hinzufügte:​
»Ich habe es von meinem Meister gelernt.«​
»Deinem ... Meister?«​
»Ja.«​
Goblin Slayer nickte. Sein Lehrmeister war beeindruckend gewesen.​
»In einer gefährlichen Situation muss man bereit sein, alle scheiß schweren Dinge wegzuwerfen und wegzurennen.«​
»Scheiß schwer?!«​
»Mein Meister hat es so ausgedrückt. Anscheinend ist diese Handlung ein Beweis dafür, dass man nicht aufgegeben hat.«​
Mit diesen Worten zog der Krieger ein von Insekten zerfressenes Stoffstück aus der Kommode und warf es hinter sich in Richtung der Kuhhirtin. Sie hatte ihren Umhang auf der Flucht verloren, weshalb dieser Fetzen jetzt für sie so nützlich war wie ein magischer Mantel.​
»Das Herz ist das eine, aber der Körper ... «​
»...«​
»Solange der Körper noch nicht aufgegeben hat, ist es nur eine Frage der Motivation.«​
Der Kuhhirtin fehlten die Worte. Sie antwortete mit ein oder zwei leisen „Hm“ und kümmerte sich um den Schweiß auf ihrer Haut und die feuchten Spuren ihres Missgeschicks. Goblin Slayer inspizierte als Nächstes eine Ecke des Zimmers. Er zückte seinen Dolch.​
»Wer über so etwas lacht, ist ein Trottel. Wer unnötig an Dingen festhält, ist ein Narr.«​
»Und wenn man dabei stirbt?«​
Der Krieger rammte den Dolch in den Boden und stieß direkt darauf auf etwas Hartes. Er grub mehrere Töpfe aus, die nicht mit Deckeln, sondern mit Brettern verschlossen waren. Goblin Slayer untersuchte ihren Inhalt und fand etwas Trockenfleisch, das man essen könnte, wenn man den Schimmel abkratzte.​
»Der ist ein Dummkopf.«​
»Ach so ...«​
Der Krieger meinte zu hören, wie die Kuhhirtin „Jetzt ist gut“ sagte, und drehte sich langsam um. Seine Kameradin hatte ihren Körper notdürftig gereinigt und sich Unterwäsche und Hemd neu angezogen. Sie hatte ihre Hose über ein Stück Holz gehängt und hielt das Tuch in der Hand. Goblin Slayer setzte sich neben sie und reichte ihr ein Stück Trockenfleisch, das er vom Schimmel befreit hatte.​
»Iss. Es ist besser als nichts.«​
»Ja ...«​
Die Kuhhirtin nickte langsam und ließ sich plumpsend neben dem Krieger nieder. Sie schmiegte sich an ihn und legte das Tuch über ihn und sich selbst. Dann schaute sie mit gerötetem Gesicht zu Boden.​
»Sag mal ... Rieche ich unangenehm ...?«​
»Mich stört das nicht.«​
»Also tue ich es?«​
Die Kuhhirtin stieß einen tiefen Seufzer aus, der zu einer weißen Wolke wurde. Die Kälte war für sie kaum auszuhalten. Sie zitterte immer wieder.​
»Bist du in Ordnung?«​
»Ja ...«, antwortete die Kuhhirtin kraftlos.​
Während Goblin Slayer auf etwas Trockenfleisch kaute, durchwühlte er seine Tasche. Er wusste, dass er kein Feuer machen konnte, aber das war kein Grund, die Lage einfach so hinzunehmen. Die Kälte kam nicht nur durch den Schnee, weshalb die Ringe der Atmung hier wenig Sinn gemacht hätten, aber ...​
»Trink das.«​
Der Krieger reichte der Kuhhirtin einen Ausdauertrank. Sie blinzelte mehrfach beim Anblick der dickflüssigen Substanz.​
»Darf ich? Ist so ein Trank ... nicht teuer?«​
»Ich habe ihn gekauft, damit er in dringenden Fällen getrunken wird.«​
»Danke ... «​
Sie nahm mit beiden Händen das Fläschchen entgegen und nachdem sie mit Mühe den Stöpsel gezogen hatte, führte sie es sich vorsichtig an den Mund. Sie trank ein paar Schlucke, bevor sie erleichtert aufatmete.​
»Hm ... Davon wird mir ganz warm ... «​
Vielleicht versuchte sie, sich stark zu geben, aber sie hatte beim Nicken ein Lächeln auf dem Gesicht. Sie gab das Fläschchen an den Krieger zurück, der es in einem Zug austrank.​
»Du kannst ruhig schlafen. Bei dieser Kälte stirbt man noch nicht.«​
»Und diese Aussage sollte mich jetzt beruhigen?«​
»Das war ein Scherz.«​
Die Kuhhirtin setzte einen gequälten Blick auf, doch Goblin Slayer ignorierte das und spähte wieder nach draußen. Sollten sie fliehen oder auf Rettung hoffen? Einige Tage sollten wir schaffen können. Sie waren wegen des Schneefalls hier etwas abgeschnitten, doch es sollte kein Problem sein, der Suche der Goblins zu entkommen. Dafür gab es genügend Verstecke. Aber es muss getan werden ... Immer wieder spürte der Krieger, wie die Kuhhirtin neben ihm ihren weichen, warmen Körper bewegte, und hörte ihren Atem. Draußen kreischten die Goblins, doch das fühlte sich weit entfernt an. Langsam begannen sich die Augenlider der Kuhhirtin zu senken und auch Goblin Slayer spürte, wie sich sein angespannter Körper immer mehr beruhigte. Doch dann war ein Rumsen zu hören, das die beiden sofort wieder wach werden ließ.​
»Uwah?!«​
Während die junge Frau noch zu verstehen versuchte, was hier vor sich ging, war Goblin Slayer längst in Kampfbereitschaft. Er hatte mit gezückter Waffe und gesenkter Hüfte Kampfposition eingenommen. Da draußen war etwas. Die Kuhhirtin konnte es auch erkennen. Ein riesiger dunkelblauer Körper, dem Hörner aus der Stirn wuchsen. In seiner Hand hielt er einen gewaltigen Kriegshammer und aus seinem Maul kam fauliger Atem.​
Geschockt riss die Kuhhirtin die Augen weit auf und fragte stammelnd: »Was... ist ... das?«​
»Ich weiß nicht«, antwortete Goblin Slayer.​
»Es scheint zumindest kein Goblin zu sein.«​
Jeder Schritt des Wesens ließ die Erde beben und nach einiger Zeit kam ein Goblin, um ihm etwas zu präsentieren. War es vielleicht ihr Anführer?​
»Ich habe so ein Monster schon mal gesehen«, erklärte Goblin Slayer und studierte die Bewegungen des Biestes.​
»Hey, habt ihr den Abenteurer immer noch nicht gefunden?!«, rief das Wesen plötzlich mit tiefer Stimme und trat den Goblin vor sich zur Seite.​
»Deswegen seid ihr zu nichts zu gebrauchen!«​
»GOBG?!«, sagte der Goblin, der zur Seite getreten worden war, und bettelte um Verzeihung.​
Als würde es sich auf eine Art Thron setzen, ließ sich das Biest auf einem Pferdewagen nieder und rammte den Kriegshammer neben sich in den Boden.​
»Nun ja, egal. Ich könnte euch dies oder das sagen, aber ihr würdet es eh nicht verstehen.«​
»GBOR...«​
»Egal, findet ihn. Die Gruppe, die ihn findet, kann mit der Frau machen, was sie möchte.«​
»GROGB! GOBOGR!«​
»Wenn ihr das verstanden habt, dann strengt euch gefälligst an.«​
Der Goblin rannte zu seinen Artgenossen und teilte ihnen die Befehle ihres Anführers mit. Die versprochene Belohnung ließ in ihnen erneuten Tatendrang erwachen. Das große Wesen schien zu wissen, wie man mit den kleinen Teufeln umzugehen hatte. Man musste ihnen Furcht einjagen und gleichzeitig die Gier in ihnen wecken. Mit dem Auftauchen des Wesens hatte sich die Lage geändert und Goblin Slayer schätzte diese jetzt als äußerst gefährlich ein.​
»Ä... Ähm ... «​
Der Krieger spürte, dass das Mädchen neben ihm jetzt wieder viel stärker zitterte. Goblin Slayer streckte seine Hand aus, formte eine Faust und senkte sie dann wieder.​
»Schlaf ..., sagte er und hielt kurz inne.​
Dann erhob er wieder die Stimme.​
»Schlaf ... Der morgige Tag wird hart werden.«​
»Ja ...«​
Die Kuhhirtin nickte und schloss die Augen. Sie wusste, dass sie vielleicht würde dösen können, aber sicherlich nicht schlafen. Goblin Slayer tat es ihr gleich, aber behielt ein Auge offen. Schließlich hatte er keine andere Wahl.​
»Vor dir liegt eine geliebte Person im Sterben, aber die Goblins laufen davon und entkommen dir. Was machst du?«​
»Ich weiß es nicht.«​
Als Reaktion auf seine Antwort schlug sein Meister ihm mit einem Eisklumpen auf den Kopf. Sie befanden sich in einer dunklen Höhle und der Junge konnte schon lange nicht mehr das Kälte- und das Schmerzgefühl voneinander unterscheiden. Er versuchte, seinen Meister in der Dunkelheit zu erkennen, doch fand ihn nicht.​
»Was für eine Schande! Dein geliebter Mensch stirbt und die Goblins sind weggelaufen! Das ist das Ende!«​
Sein Meister befand sich irgendwo in dieser Dunkelheit und kaute mit widerlichen Geräuschen auf Früchten, die der Junge draußen im Schnee gesammelt hatte, herum. Er hatte gelernt, dass selbst in den kalten Bergen, wo es eigentlich außer Eis und Schnee nichts gab, überraschend viel Essen gefunden werden konnte.​
»Was denn? Ich gebe dir nichts ab! Wenn du selbst was willst, dann geh noch mehr sammeln!«​
»Ja.«​
Der Junge nickte. Er war an die fiesen Tricks seines Meisters gewöhnt, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass dieser sich an seiner Nahrung vergreifen würde. Schließlich hatte er ihm stets eingeimpft, dass man rechtschaffen sein sollte.​
»Tja ...« Der Meister rülpste.​
»Deine Antwort war noch immer besser, als beides zu probieren.«​
»Geht das etwa nicht?«​
»Natürlich nicht!«​
Etwas Nasses klatschte gegen das Gesicht des Jungen. Es war die Schale von etwas, die sein Meister ausgespuckt hatte. Der Junge wischte sich über das Gesicht, er wollte nicht, dass sie an seinem Gesicht festfror.​
»Du verstehst noch nicht einmal den Sinn der Frage. Wer die Realität nicht akzeptieren kann, der stirbt auf der Stelle! Du bist nicht zu retten!«​
Der Meister spuckte ein weiteres Stück Schale aus, das neben dem Jungen landete.​
» Aber ...«​
Der Meister hielt inne. Obwohl der Junge ihn nicht sehen konnte, wusste er, dass er ein dreckiges Grinsen auf den Lippen trug.​
».. . in der Frage versteckt sich bereits ein Teil der Antwort.«​
»Ein Teil?«​
»Nur ein Idiot würde es erst so weit kommen lassen.«​
Ein schreckliches Kichern, das nicht aus dieser Welt zu kommen schien, hallte von den Wänden der eisigen Höhle wider. Danach wurde aus dem Schmatzen ein knirschendes Beißen. Wahrscheinlich aß sein Meister nun die Pilze.​
»Aber was soll ich denn machen, wenn es erst so weit gekommen ist?«​
»Was du machen sollst?«​
Im nächsten Augenblick zischte ein hellblau glimmender Gegenstand an seinem Gesicht vorbei. Es war ein Dolch, der seine Wange leicht angeritzt hatte. Direkt darauf erkannte er die Rhea-Augen seines Meisters, der erneut zu kichern begann.​
»Für eine geliebte Person sollte man alles tun!«​
***
»Mhm ... Hm ... «​
Sie war nur in einen leichten Schlaf gesunken und deshalb war es nicht sonderlich angenehm, nun zu erwachen. Die Nacht war lang gewesen, aber die Träume kurz. Direkt nachdem sie die Augen aufgeschlagen hatte, spürte sie, wie sich etwas neben ihr bewegte.​
»Bist du wach?«​
»Uwah!«​
Die Kuhhirtin sprang überrascht auf, aber passte dabei auf, dass ihr Unterleib von dem Stoff verdeckt wurde. Es dauerte kurz, bis sie verstand, wo sie war und dass sie ihren Unterleib gar nicht verstecken musste.​
»Mhm ... Guten Morgen.«​
»Guten Morgen.«​
Das Mädchen nickte langsam. Sie befanden sich noch immer inmitten der Ruine. Am ganzen Körper zitternd wagte sie einen Blick nach draußen, konnte aber keine Goblins erkennen.​
So ein Glück, dachte sie und atmete erleichtert aus.​
Sie blickte zu Goblin Slayer, der gerade dabei war, seine Ausrüstung zu kontrollieren. Ein billiger Eisenhelm und eine dreckige Lederrüstung. An der Hüfte hing ein mittellanges Schwert und um den Arm war ein kleiner Rundschild gebunden. Als er dann zu ihr hochschaute, musste sie laut schlucken.​
»Was machen wir?«​
Damit wollte sie nicht fragen, was sie jetzt sofort tun würden, sondern was das Ziel des Tages war.​
»Hm ...«​
Er stieß erst ein tiefes Brummen aus.​
»Egal, ob wir fliehen oder auf Rettung warten - wir brauchen einen neuen Schlafplatz.«​
»Ist der hier nicht in Ordnung?« Die Kuhhirtin schaute sich in der Umgebung um.​
»Gestern wurden wir nicht gefunden.«​
»Deswegen werden sie hier heute nachschauen. Außerdem brauchen wir noch Nahrung.«​
»Nahrung ..«​
Die Kuhhirtin dachte an das Trockenfleisch, auf dem sie gestern herumgekaut hatte. Es fühlte sich an, als ob sie gar nichts gegessen hätte. Der Proviant ... Hätte sie ihn gestern nicht fallen gelassen, hätten sie jetzt genug zu essen.​
»Ich werde die Gegend erkunden, während die Goblins schlafen. Warte du hier.«​
»Wie? Nein!«​
Die Kuhhirtin wusste nicht, warum ihre Antwort so aus ihr herausgeplatzt war, und auch der Abenteurer schien es nicht zu verstehen.​
»Warum?«, fragte er.​
Sie hatte nur aus Reflex geantwortet, aber das konnte sie jetzt nicht sagen. Die Kuhhirtin schaute sich um, während sie nach einer Antwort suchte, aber weder ein Blick durch den Raum noch einer nach draußen konnte ihr zu einer verhelfen.​
»W ... Wenn die Goblins mich allein finden sollten, kann ich mich nicht wehren ... «​
Das war die Wahrheit, aber auch nur ein Teil des Grundes, warum sie so reagiert hatte. Der andere Teil war, dass sie einfach nicht allein sein wollte. Die Kuhhirtin drückte ihre Hände fest vor ihrem Busen zusammen und schaute zu dem Krieger auf.​
»Oder nicht ...?«​
»...«​
Goblin Slayer stieß ein tiefes Brummen aus. Sie konnte verstehen, warum er so vorgehen wollte, und wenn er darauf bestand, würde sie es akzeptieren.​
»Tut mir leid ...«​
»Ach ... Nein ...«​
Die Kuhhirtin schüttelte den Kopf.​
»Schon gut ... Mach dir keine Sorgen.«​
»Wenn wir in Bewegung bleiben, sind wir schwerer zu finden, als wenn einer von uns an einem Ort bleibt. Ich lag falsch.«​
»Hm?«​
Die Kuhhirtin war bereit gewesen, brav hierzubleiben, aber nun legte sie verwirrt den Kopf schief.​
»Und wenn du an meiner Seite bist, kann ich dir helfen.«​
»Dann darf ich mitkommen?«​
»Wir beeilen uns«, sagte er, ohne direkt auf ihre Frage zu antworten.​
»Wir haben nicht viel Zeit. Nimm nur das mit, was du brauchst.«​
Die Kuhhirtin nahm sich den Stoff und legte ihn sich wie einen Mantel über. Als sie dann die Kälte um ihren Unterkörper tanzen spürte, stieg ihr die Röte ins Gesicht. Schnell schnappte sie sich die aufgehängte Hose und zog sie an. Sie war dankbar dafür, dass Goblin Slayer ihr in diesem Moment keine Beachtung schenkte.​
»... Ähm. Und eine Waffe ... «​
»Die brauchst du nicht«, gab der Krieger forsch zurück.​
»Wenn du in eine Lage kommst, in der die Nutzung einer Waffe notwendig sein könnte, lauf lieber weg. Eine Waffe wäre dann nur eine unnötige Last.«​
»O ... Okay ... «​
Aus irgendeinem Grund musste sie bei dem Wort Last an die Unterhaltung von gestern denken. Sie hatte jetzt zwar nichts weiter bei sich als ein großes Stück Stoff, aber zumindest war ihre Hose getrocknet.​
»Wir gehen.«​
»Ja ...«​
Eigentlich war sie dagegen, aber jetzt ging es nicht darum, was sie wollte oder nicht wollte. Schließlich war ihr Kindheitsfreund Goblin Slayer.​
»Sie haben also doch Wachen ...«, murmelte Goblin Slayer.​
Er und die Kuhhirtin schlichen gerade zwischen den Ruinen entlang. Auf Befehl des Ogers - an den Namen der Bestie konnte Goblin Slayer sich noch immer nicht erinnern - wanderten einige der kleinen Teufel mit müden Gesichtern umher. Goblin Slayer näherte sich einem von ihnen geräuschlos, drückte ihm die Hand auf den Mund und schnitt ihm die Kehle durch. Die Leiche des Goblins versteckte er einfach, indem er sie in einen Schneehaufen stopfte. Der Schneefall sorgte dann dafür, dass die Blutspritzer bereits nach kurzer Zeit nicht mehr zu sehen waren.​
»Weiter.«​
»O... Okay ...«​
Die Kuhhirtin schaute kurz dorthin, wo die Goblin Leiche begraben lag, und folgte ihrem Kindheitsfreund dann mit etwas Unsicherheit im Herzen.​
»Was für Nahrung ... suchen wir denn?«​
»Wir können nicht darauf hoffen, dass wir hier im Dorf noch etwas zu essen finden.«​
Nachdem er gestern nichts weiter als das Trockenfleisch gefunden hatte, war Goblin Slayer zu dieser Schlussfolgerung gekommen. Wenn es noch etwas Essbares in dem Dorf gegeben hatte, dann hatten die Goblins es sich schon längst geschnappt. Goblin Slayer kniete sich hinter einen Schneehaufen, um kurz einige Goblins zu beobachten. Der Schneefall verschaffte den Biestern einen Vorteil. Sie konnten im Dunkeln sehen und sie waren längst nicht so kälteempfindlich wie Menschen. Der Krieger blickte zur Kuhhirtin. Sie zitterte heftig, ihre Haut war kreidebleich und auch ihre Lippen hatten eine ungesunde Farbe. So werden wir nicht jagen können.
Es wäre zu viel von ihr verlangt gewesen, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Goblins sie dabei erwischen würden, war einfach zu hoch. Nein, andersherum war es korrekt. Es war sehr wahrscheinlich, dass die Goblins sie bei der Jagd erwischen würden, und es wäre zu viel von ihr verlangt, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Man musste wissen, wo die Prioritäten lagen, sonst hätte er am Ende das Blut der jungen Frau an seinen Händen oder besser gesagt würde er die Schuld dafür tragen, was die Goblins ihr alles antun würden.​
»Erinnerst du dich, was Preiselbeeren sind?«, sagte Goblin Slayer und bemühte sich dabei, in einem ruhigen Tonfall zu sprechen.​
»Wie?«​
Die Kuhhirtin war kurz verwirrt, aber nickte dann.​
»Ja. Die Bärenbeeren, oder? Kleine rote Früchte. Sie wuchsen in der Nähe des Dorfs.«​
»Vielleicht sind noch einige Früchte an den Sträuchern. Lass uns nach ihnen suchen«, erklärte Goblin Slayer und schaute hoch zum Himmel.​
Die bleifarbenen Wolken spien weiterhin Schnee. Seine Flocken waren dick, schwer und verdunkelten alles. Dazu wehte ein starker Wind. Es schien nicht so, als wären Vögel in der Nähe, aber wenn da welche wären ...​
»Wenn du Vögel siehst, gibt es in der Nähe wahrscheinlich auch Beeren.«​
»Verstanden«, antwortete die Kuhhirtin mit ernstem Gesichtsausdruck.​
»Was noch?«​
»Iwatake.«​
»Iwatake?«​
Goblin Slayer überlegte einen Moment lang und machte dann eine ungeschickte Handbewegung.​
»Flache schwarze Pilze.«​
»Ach, ich verstehe. Die meinst du.«​
Die Kuhhirtin lachte kurz leise, aber ihren Gesichtsausdruck, der Angst und Anspannung signalisierte, konnte man beim besten Willen nicht als Lächeln bezeichnen.​
»Ja.«​
Die Stimme des Kriegers zitterte leicht.​
»Pass auf die Umgebung auf, während wir weitergehen.«​
Die Kuhhirtin dachte sich, dass er ihr das nicht extra sagen musste, doch sprach den Gedanken nicht aus. Sie konnten weder ein Feuer machen, um Schnee zu schmelzen, noch den Brunnen nutzen, weil dieser von Goblins bewacht wurde. Stattdessen begaben sie sich zu dem zugefrorenen See, der etwas abseits vom Dorf lag.​
»Dass du darauf gekommen bist.«​
»Der Schnee sammelt sich in seiner Senke. Und wenn es einen Brunnen gibt, dann muss das Wasser auch von irgendwo stammen. Hier wurde schließlich auch Ackerbau betrieben«, erklärte der Krieger, während er mit seinem Dolch über das Eis schabte.​
»Goblins denken über so etwas aber nicht nach.«​
Während Goblin Slayer dieser Arbeit nachging, behielt die Kuhhirtin die Umgebung im Blick. Zitternd klammerte sie sich an das Stück Stoff, das ihr als Umhang diente.​
»Es wäre schöner gewesen, wenn wir den Brunnen hätten benutzen können.«​
»An den haben die Goblins aber gedacht. Wir haben keine andere Wahl«, sagte er, während er mit dem Dolch weiterarbeitete.​
Schon bald hatte er ein Loch ins Eis geschabt. Er nahm ein bisschen Wasser in seine Handfläche und überprüfte es. Es sah sauber aus.​
»Werden wir davon denn nicht krank?«​
»Weil es hier ein Dorf gab, müssen wir uns keine Sorgen machen.«​
Der Krieger holte ein dünnes schwarzes Rohr aus seiner Tasche hervor. Ein Ende steckte er ins Wasser, während er am anderen Ende saugte. Als das Rohr mit Wasser gefüllt war, steckte er es in den Wasserbeutel. Dann legte er diesen in eine vorher ausgehobene Grube im Schnee und ließ das Wasser hineinlaufen. Die Kuhhirtin hatte immer wieder zu ihrem Kindheitsfreund geschaut und legte verdutzt den Kopf schief.​
»Ist dieses Rohr etwa ein magischer Gegenstand?«​
»Es wurde mithilfe von bestimmten Stoffen gehärtet. Der Wasserbeutel liegt durch das Loch aber niedriger als das Wasser und Flüssiges fließt automatisch von einem hohen Ort an einen niedrigen.«​
»Hm...«​
Er war nicht besonders gut darin, Dinge zu erklären, weshalb die Kuhhirtin den Vorgang nicht wirklich verstand. Sie setzte sich neben ihm in den Schnee. Der Krieger hatte sein Schwert in der Hand und untersuchte die Umgebung. Die junge Frau atmete langsam aus. Sie wollte in seiner Nähe sein. Schließlich drohte ihr der Tod, wenn er nicht an ihrer Seite war. Aber darüber sollte ich jetzt nicht nachdenken ... Als wäre der Gedanke eine der weißen Atemwolken, versuchte sie, ihn von sich zu stoßen. Am einfachsten wäre es, sich an ihn zu klammern und gar nichts zu tun. Sie tat auch jetzt nicht viel, aber dieser letzte Schritt würde dann wahrscheinlich ihr Ende bedeuten. Was auch immer Goblin Slayer in diesem Moment denken mochte, so sahen jedenfalls ihre Gedanken aus.​
»Du weißt eine Menge, oder?«, fragte sie, weil sie die Stille schließlich nicht mehr ertragen konnte.​
»Ich habe vieles gelernt.«​
»Ach so«, sagte die Kuhhirtin und zog die Knie an ihren Oberkörper heran. »Du bist aber ganz schön clever.«​
»Nein ...«​
Er schüttelte den Kopf und brummte.​
»Mein Meister hat mich häufig als Trottel bezeichnet.«​
»Dein Meister meinte ... das über dich?!«​
Die Kuhhirtin blinzelte. Sie war zutiefst überrascht. Sie schmiegte sich ein klein wenig an Goblin Slayer heran und schaute zu ihm hoch, doch erblickte wie so häufig nichts weiter als seinen Helm.​
»Ich besitze keine Vorstellungskraft«, erzählte er.​
»Deswegen werde ich schnell sterben.«​
»St... Sterben?« Die Kuhhirtin suchte kurz nach den passenden Worten. »Aber du hast doch bis jetzt überlebt?!«​
Ich will nicht, dass er stirbt. Vor allem nicht bald. Ich will gar nicht erst darüber nachdenken.​
»Deswegen hat er mir gesagt, dass ich keine Dinge probieren soll, die auch andere nicht schaffen.«​
»Du kannst so was nicht.«​
»Denkst du etwa, dass du besser als andere bist?«​
»Da du ein typischer Trottel bist, wie es sie überall gibt, kannst du nichts besser als ganz normale Leute.«​
Die Worte des Meisters hallten im Kopf des Kriegers wider.​
»Hmpf ...«​
Die Kuhhirtin verzog die Lippen. Sie fand es überhaupt nicht lustig, dass dieser Meister ihn wie einen Idioten behandelt hatte.​
»Wenn ich dort gewesen wäre, hätte er Ärger mit mir bekommen.«​
»Aber er hat mir beigebracht, dass sich die Antwort auf eine Frage meistens in der eigenen Tasche befindet.«​
»Hm?«​
Sie konnte nicht sofort den Sinn dieser rätselhaften Worte verstehen. Als sie verwirrt den Kopf schief legte, lachte der Krieger. Zumindest klang es so, als würde er lachen.​
»Man muss nachdenken und das machen, was man kann ... Ich glaube, das ist es, was er damit meinte.«​
»Was man kann ... «​
»Egal, was.«​
»Egal, was?«​
»Genau.«​
Der Krieger griff nach dem Wasserbeutel und schüttelte ihn. Man konnte das Wasser darin schwappen hören. Dann legte er einen neuen leeren Wasserbeutel in die Grube und füllte auch diesen mit Wasser.​
»Trink.«​
»Uwah!«​
Der Krieger warf der Kuhhirtin den Wasserbeutel zu, der gluckernd auf ihrem Busen landete.​
»Und iss, wir müssen uns heute noch mehr bewegen.«​
»Äh ... Ja ... «​
Die Kuhhirtin nickte und breitete das Taschentuch aus, in das sie die auf dem Weg gesammelten Preiselbeeren gewickelt hatte. Sie schmeckten etwas nach altem Schuh, aber immerhin gab es eine ganze Menge von ihnen.​
»Und du?«​
»Ich esse den hier«, meinte er und schob sich einen Iwatake durchs Visier. Die Kuhhirtin konnte ihn schmatzen hören, aber die Pilze sahen alles andere als appetitlich aus. Dass er sie roh essen kann ...​
Sie brummte kurz und sagte dann:​
»Okay.«​
Die Kuhhirtin nahm ihm die Hälfte der restlichen Pilze weg​
und gab ihm die Hälfte ihrer Beeren.​
»Hmpf ...«​
»Wir machen halbe-halbe!«​
Die Kuhhirtin ließ keine Widerrede zu. Sie war zufrieden damit, dass er schwieg, und steckte sich einen Iwatake in den Mund. Sie wusste, dass ihre Lage nach wie vor schlimm war. Das Wasser war kalt, die Iwatake waren hart und die Preiselbeeren sauer.​


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Edward Teach

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Intermission XXVIII

Vor Beginn des Abenteuers

Man konnte sich darin besser bewegen als in einem Kleid, aber dass die Schenkel beim Laufen herausschauten, war ihr ein wenig peinlich. Etwas unbeholfen lief sie den langen und mit Hochflor Teppichen ausgelegten Flur entlang und stieß die Tür am Ende auf.​
»Bru... Nein, Majestät! Ich bringe eine Botschaft!«​
»Hey, was ist es denn diesmal? Ein Feuerstein aus dem Himmel, Machenschaften finsterer Sekten oder kommt gar ein Feuerdrache angeflogen? Ich bin für alles bereit!«​
»Majestät.«​
Wie immer unterbrach der rothaarige Kardinal den Mann, der neben ihm am Schreibtisch saß. Auch die Dienerin, die mit ihrem dünnen silbernen Haar neben der Tür bereitstand, schüttelte ihren Kopf. Der schöne Mann, der von den Hofdamen auch als goldener Löwe bezeichnet wurde, schien sehr erschöpft zu sein. Die hereingestürmte Prinzessin - die jetzt Dienerin der Erdmutter war - musste verlegen lächeln.​
»Alles in Ordnung?«, fragte sie und legte den Kopf schief.​
»Als König ist man dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alles in Ordnung ist.«​
Der junge König seufzte tief. Dann blickte er glücklich zu seiner Schwester, die zwar schreckliche Dinge erlebt hatte, aber dennoch ungetrübt dreinschaute. Wahrscheinlich war das nur vorgespielt, aber dass sie auf jemanden Rücksicht nahm, war ein Beweis für ihr Wachstum. Weil die Erdmutter sicher ihren Teil dazu beigetragen hatte, bedankte sich der König in Gedanken kurz bei den Göttern.​
»Dann verrate uns, was für Nachrichten du mir aus dem Tempel der Erdmutter bringst.«​
»Ja, es muss noch mit dem Kalender des Gottes der Weisheit abgeglichen werden, aber es scheint, dass der Winter dieses Jahr außergewöhnlich lang sein wird.«​
»Dann ist das gerade nicht nur eine Laune des Wetters?«​
»Der Wind aus den Bergen im Norden weht kälter als sonst, aber es gab keine Vorboten.«​
»Eine Naturkatastrophe also ...«​
»Die Händler machen sich schon Sorgen«, meldete sich eine leise, klare Stimme zu Wort.​
»Oho ...«​
Die Prinzessin machte große Augen. An einer Seite des Büros saß eine unbekannte Händlerin hinter einem Stapel aus Schriftstücken. Sie hatte das Gefühl, diese schon einmal auf einer Abendveranstaltung für gehobene Töchter gesehen zu haben ...​
»Alle sorgen sich, dass es eine Hungersnot geben könnte. Sie verkaufen nichts und sparen lieber. Somit sind wenig Geld und Nahrung im Umlauf ...«​
»Das wird ja immer schlimmer.«​
Die direkten Worte, die die Händlerin an den König richtete, waren Beweis dafür, dass man ihr vertrauen konnte. Die Prinzessin schaute zum Kardinal und er nickte. Dann ist ja gut. Der Gedanke der Prinzessin war simpel. Vertrauten ihres Bruders konnte sie vertrauen. Das war alles.​
»Dann müssen wir wohl Abenteurer entsenden. Am besten einen Späher mit Erfahrung.«​
»Wie Ihr wünscht.«​
Obwohl der König und die Händlerin sich unterhielten, schaltete sich die Prinzessin ein und fragte:​
»Was ist mit dem Militär?«​
»Armeen sind für Schlachten. Nicht um die Gebiete im Norden abzusuchen.«​
»Und um die Armee zu mobilisieren, müssten neben Proviant noch andere Dinge aufgetrieben werden. Das kostet viel Geld.«​
Der König lächelte und gab ein kurzes Brummen von sich.​
»Wenn man immer das Militär entsendet, um Probleme zu lösen, enttäuscht man als Herrscher das Volk und die Soldaten.«​
Er hatte nicht unendlich viele Soldaten, aber Abenteurer gab es mehr als genug und sie waren für sich selbst verantwortlich.​
»Auch wenn es anstrengend ist, ist das der beste Weg ...«​
Der König wandte sich einem Bücherregal zu und schlug das aktuelle Abenteurerregister auf. Gab es einen Abenteurer, den er in die Berge im Norden entsenden konnte und der sich in der Nähe der Hauptstadt aufhielt? Einen scharfsinnigen Späher mit viel Erfahrung und den nötigen Überlebenskünsten ...​
»Meine Güte. Kann ich denn wirklich so viel von jemandem verlangen?«​
»Es gäbe zumindest eine Person ...«​
Die Händlerin legte verlegen den Kopf schief.​
»Sie ist aber etwas kompliziert. Es ist nicht klar, ob sie einen solchen Auftrag annehmen würde.«​
»Setz bitte ein Schreiben auf, das alles erklärt, und bestell diese Person her. Füge am Ende bitte auch hinzu, dass es eine großzügige Belohnung gibt. Wenn diese Person das Abenteuer liebt, wird sie schon anbeißen.«​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 75

Leichten Schrittes


Die Abenteurer brachen mit dem Morgengrauen auf und nach einer kleinen Rast erreichten sie die Berge, bevor es Mittag wurde.​
»Uwaaah ... K ... Kalt!«, rief der Krieger-Lehrling gequält.​
Er war auf die Bedingungen gefasst gewesen und es fehlte ihm auch nicht an Ausdauer, aber er hatte es hier nun einmal mit einem Schneesturm zu tun. Dieser fegte nicht mehr mit voller Stärke über die Berge, aber die Kälte, die er mitbrachte, war dennoch nicht zu verachten. Der Junge dachte, dass der Sturm dem Odem der Frostriesen oder Eisdrachen ähnelte, über die er Geschichten gehört hatte. Ein eher naiver Vergleich, aber aus Sicht des Krieger-Lehrlings angemessen - schließlich waren sowohl der Sturm als auch die Bestien für jemanden wie ihn außerordentlich gefährlich. Er bückte sich, klammerte seinen Umhang vor seinem Körper zusammen und machte sich dann daran, weiter dem Bergweg zu folgen. Seine Kameradin, die Heilige in Ausbildung, sah aus, als wäre sie schon am Ende ihrer Kräfte. Sie konnte nur weitergehen, weil der hünenhafte Echsenmensch vor ihr lief und sie wie ein Schild gegen die Elemente abschirmte.​
»Deshalb habe ich euch gesagt, dass es kalt sein wird«, sagte die Elfe und streckte stolz ihre flache Brust raus.​
Ihre langen Ohren wackelten dabei leicht im Wind, aber sie zitterten nicht, denn sie wurden von flauschigen Ohrenschützern gewärmt.​
»Deswegen habe ich mir diese Ohrenschützer geholt! Hi hi hi hi!«​
»Ihr Elfen könntet euch tatsächlich die Ohren abfrieren, oder?«, warf der Zwerg ein.​
»Was soll das jetzt wieder?«, keifte die Elfe zurück und ging auf den Schamanen los.​
Während ihre Kameraden sich mal wieder zockten, erkundigte sich die Priesterin vorsichtig beim Echsenmenschen nach seinem Befinden.​
»Alles in Ordnung?«​
»Hm ... Nun ja, es ist noch auszuhalten ...«​
Der Mönch schüttelte sich und warf den Schnee ab, der sich auf ihm gesammelt hatte. Dann streckte er seine Hand aus und zeigte den anderen, dass er einen Ring trug. Es war ein Ring der Atmung. Ein magischer Gegenstand, der von derselben Art war wie der, den Goblin Slayer ihm einst geliehen hatte.​
»Aber wenn ich diese Umstände überwinde, könnte es ein nächster Schritt in Richtung Weiterentwicklung sein. Es wird einfacher sein, als von Kiemen auf Lungenatmung zu wechseln.«​
Der Echsenmensch lachte laut, als hätte er gerade einen Scherz gemacht, aber die Priesterin verstand ihn nicht. Sie dachte darüber nach, dass sie diesen Fußmarsch wohl auch nur so gut durchstehen konnte, weil sie bereits einiges erlebt hatte.​
Ich habe mich also weiterentwickelt, oder?
Es ging nicht nur darum, dass man stärker wurde, sondern auch darum, Erfahrungen zu sammeln. Die Priesterin griff sich den Kragen ihres Umhangs und schaute sich den noch vor ihnen liegenden Weg an. Mithilfe ihres Stabs stemmte sie sich gegen den Wind und ging weiter. Die bleifarbenen Wolken im Himmel ließen fast keinen Sonnenschein durch und in der Dämmerung konnte man sich leicht verlaufen. Wäre einer von ihnen unachtsam, könnte er den Halt verlieren und wegrutschen. Ein langer Weg ...​
Für einen Drachen, Riesen oder Vogel war es keine sonderlich weite Strecke, aber durch das Weiß des Schnees und das Grau der Felsen, die sich geradezu miteinander zu vermischen schienen, wirkte die Strecke unendlich weit. Die Priesterin schaute hoch zum Gipfel beziehungsweise zu den Wolken, die ihn verdeckten. Ob er wohl wirklich zu Fuß erreichbar war? Die Berge gehören wohl nicht zur Domäne der sprechenden Völker .., dachte die Priesterin und beobachtete die weiße Atemwolke, die aus ihrem Mund in Richtung Himmel stieg. Unbewusst zog sie ihren Stab fest an sich heran.​
»Höchst barmherzige Erdmutter, danke, dass du auch diesen Ort geschaffen hast..«​
Es war ein Gebet. Die Priesterin bat nicht um Schutz, sondern lobpreiste sie für ihre Schöpfung. Zusammen mit den anderen Göttern hatte sie eine Welt geschaffen, die so riesig war, dass ein Abenteurer mit ihrer Erkundung sein ganzes Leben verbringen konnte.​
»Erhabener Gott ... War diese Eingebung ... nicht etwas viel ... für mich?!«, rief die Heilige in Ausbildung, weil sie für die anstrengende Besteigung des Berges keine Kraft mehr hatte.​
Sie klammerte sich keuchend an ihr Waagenschwert. Dass sie jedoch nicht einfach aufgab und weiterkämpfte, ließ die Priesterin schmunzeln. Im Anschluss schaute sie zu ihren Kameraden. Diese schienen zu verstehen, worauf sie hinauswollte, und hatten nichts dagegen.​
»Wollen wir eine kleine Pause einlegen?«​
Die Gruppe wählte einen Felsen aus, der einst von einer Lawine an seinen jetzigen Standpunkt getragen worden sein musste. In seinem Schutz setzten sie sich in einem Kreis zusammen und der Zwerg platzierte in ihrer Mitte Feuersteine, die er aus seiner Tasche gezogen hatte.​
»Tanz, Salamander! Ja, tanz! Teil das Feuer an deinem Schwanz!«​
In Zeiten wie diesen war der Zauber Zündeln äußerst kostbar. Er schmolz den Schnee und entzündete die darunterliegenden Äste und Blätter.​
»Ich werde etwas Wasser für uns vorbereiten.«​
»Oh, bitte.«​
Die Priesterin nahm den Platz des Zwerges am Feuer ein und hielt einen kleinen Topf voller Schnee über die Flammen. Nach einer Weile schmolz er zu Wasser. In diesem Moment war das Mädchen dankbar dafür, dass es hier Schnee gab.​
»Darf man Schnee nicht einfach in seinem Mund schmelzen lassen?«, fragte die Heilige in Ausbildung verwundert. Ihre Atmung hatte sich mittlerweile etwas beruhigt.​
»Das zu tun ist nicht mit dem Trinken von Wasser gleichzusetzen«, erklärte die Priesterin.​
»Ach so ... Ihr solltet eure Ausrüstung etwas lockern. Dadurch können sich eure Körper ein wenig entspannen.«​
»O ... Okay ...«​
»Du weißt wirklich viel.«​
Wahrend die jungen Abenteurer ihre Anweisung befolgten, strich sich die Priesterin leicht über die Brust.​
Eigentlich gebe ich gerade nur Wissen weiter, das ich von Goblin Slayer habe, dachte sie sich und sah zu ihren Gruppenmitgliedern.​
Diese machten den Eindruck, dass sie ihre Gedanken erraten hatten, aber da sie sich in der Rolle der erfahreneren Abenteurerin gerade ganz gut machte, beließen sie es dabei. Der Priesterin war es irgendwie peinlich, aber sie war auch glücklich, dass ihre Kameraden ihr diese Position überließen, und musste deswegen grinsen.​
»Na gut, jetzt fehlt nur noch Alkohol.«​
Ganz selbstverständlich holte der Zwerg eine Flasche Branntwein hervor und schenkte dessen Inhalt in kleine Schalen. Zuerst reichte er dem Krieger-Lehrling eines der Gefäße.​
»D... Danke!«, sagte dieser und führte aufgeregt die Schale zum Mund.​
Nachdem er einen Schluck genommen hatte, musste er schrecklich husten.​
»Ha ha ha! Merk dir das genau, Junge! Das ist richtiger Alkohol!«​
»O ... Okay ...«​
Breit grinsend hielt der Zwerg als Nächstes der Heiligen in Ausbildung eine Schale hin.​
»Hier, gönne dir auch einen Schluck. Wenn dein Körper auskühlt, kannst du dich nicht ordentlich bewegen.«​
»Ah ... Ähm, ich kann Alkohol aber ...«​
Während die junge Heilige mit ihren Armen wedelte, stellte sich die Elfe schützend vor sie und schnaufte durch die Nase.​
»Nur Zwerge haben Spaß daran, ihren eigenen Branntwein zu saufen!«, sagte sie und wühlte in ihrer Tasche. Mit einem „Tadah!“ zog sie dann ein Päckchen heraus, das in Blätter gewickelt war.​
»In solchen Fällen braucht man den Zwieback der Elfen!«​
Die Waldläuferin löste das Band, das die Blätter um deren Inhalt fixierte, und enthüllte harte Backwaren mit einem süßen Duft.​
»Wah!«, machte die Priesterin freudig.​
Sie hatte noch nicht allzu viele Chancen gehabt, diesen Zwieback zu essen, aber er war schon jetzt eine ihrer Lieblingsspeisen.​
»Greift zu, greift zu. Den Alkohol sollen bitte nur die trinken, die es möchten.«​
»V... Vielen Dank ... Hm?!«​
Die Elfe verteilte voller Stolz Teile des Gebäcks und die Heilige in Ausbildung fing sofort an, wie ein Eichhörnchen daran zu knabbern. Während sie grinste, hielt die Priesterin ihr etwas von dem Wasser hin. Sie blickte dabei leicht neidisch auf den Zwieback und fragte:​
»Lecker, oder?«​
»Ja, nicht wahr? Ich bin stolz darauf! Sehr sogar!«, rief die Elfe.​
»Ts!«​
Der Zwerg schnalzte mit der Zunge.​
»Mann, ohne Bartschneider fehlt mir echt jemand zum Bechern.«​
»Ha ha ha, aber an der Situation lässt sich nichts ändern«, erwiderte der Echsenmensch und reichte dem Krieger-Lehrling etwas Wasser weiter.​
»Jeder darf für sich selbst entscheiden, ob er es süß oder deftig mag. Ich esse lieber Fleisch als Pflanzen. Das Essverhalten verschiedener Rassen ist eine komplizierte Angelegenheit.«​
Der Mönch kippte sich etwas Branntwein herunter, bevor er ein Stück Käse aus seiner Tasche zog und hinein biss. Der Klumpen war so groß, dass er ihn mit beiden Händen halten musste, aber er würde ihn sicherlich mit ein paar Bissen verschlingen können. Er stieß einen lauten Rülpser aus und die Elfe musste schmunzeln.​
»Du bist wirklich ein Käsefanatiker, was?«​
»Solange man sein Lieblingsessen hat, mangelt es einem an nichts.«​
Fordernd streckte die Waldläuferin ihre Hand aus und der Echsenmensch reichte ihr ein Stück Käse. Die Elfe warf es sich in den Mund und bemerkte dann, dass die Heilige in Ausbildung und der Krieger-Lehrling sie verdutzt anschauten.​
»Was habt ihr denn?«​
Die beiden jungen Abenteurer kratzten sich verlegen über die Wangen.​
»Nichts.«​
»Nun ja ...«​
»Wir hatten bisher noch nicht wirklich die Gelegenheit, mit so vielen Abenteurern unterwegs zu sein.«​
»Eigentlich waren wir bisher immer nur zu zweit ...«​
»Ach ...«​
Die Priesterin verstand, wie die beiden sich fühlen mussten. Ihr war es am Anfang auch nicht anders ergangen, aber auf dem Weg zu dem Abenteuer mit dem Oger hatte sie sich daran gewöhnt. Der Grund dafür war simpel. »Aber es macht Spaß, oder?«​
Der Junge und das Mädchen tauschten einen Blick, bevor sie gleichzeitig mit einem „Ja“ antworteten.​
»Ich möchte irgendwann noch mehr Kameraden finden.«​
»Ach, ich bin dir wohl nicht mehr genug?«​
Die Heilige in Ausbildung blies schmollend ihre Backen auf. Die Priesterin hielt ihr einen Becher mit heißem Wasser hin.​
»Vielen Dank.«​
Sie nahm das Gefäß mit beiden Händen entgegen und pustete hinein, bevor sie einen Schluck trank.​
»Aber es ist gar nicht so schlecht, wenn ein wenig mehr los ist.«​
»Aber das heißt nicht, dass man unachtsam werden darf«, warf der Zwerg grinsend ein.​
Er gönnte sich noch etwas Branntwein und kratzte sich ein wenig Eis aus dem Bart.​
»Wenn die Naturgeister des Schnees so wild herumtanzen, kann man schnell von der Tochter des Eisgottes gefressen werden.«​
»Was soll das denn heißen?«, fragte die Elfe neugierig.​
»Ein Gott? Aus dem Himmel?«​
»Also wirklich, als alte, erhabene Elfe solltest du doch ein paar Geschichten kennen!«​
»Es gibt Dinge, an die ich mich erinnere, und Dinge, die ich vergessen habe.«​
Der Zwerg warf seiner Kameradin einen bösen Blick zu, doch sie schien das nicht zu jucken, weshalb der Schamane seufzen musste.​
»Nein, es geht um keinen Gott, der aus dem Himmel Anweisungen erteilt, sondern eher um einen Riesen des Ursprungs oder so was.«​
»Ein Riese ...«​
Die Priesterin pustete in ihren Becher und trank etwas Wasser, bevor sie begann an ihrem Zwieback zu knabbern. Sie dachte an das Erntefest im vorigen Jahr. Hatte der Dunkelelf nicht versucht, einen Riesen des Altertums zu beschwören? Sie selbst hatte tatsächlich erst nach dem Vorfall erfahren, was es bedeutet hätte, wenn der Dunkelelf erfolgreich gewesen wäre.​
Ah!
In diesem Moment erinnerte sie sich an ihre damalige Kleidung, die ihren Körper kaum bedeckt hatte. Um die Röte zu verstecken, die ihr ins Gesicht stieg, beugte sie sich nach vorne und starrte in ihren Becher.​
»Die Schlachten der Götter sind längst vorbei, aber einige von ihnen weilen noch in dieser Welt«, erklärte der Zwerg. „Sind sie stark?“, fragte der Echsenmensch.​
»Ja, natürlich.«​
Der Krieger-Lehrling und die Heilige in Ausbildung dachten darüber nach, was ein Silber-Abenteurer wohl unter stark verstand, und rückten ängstlich ein wenig näher zusammen.​
»Nun ja, und einige Riesen sind als Götter des Eises bekannt. Es heißt, sie fressen alle, die sich in ihr Gebiet begeben.«​
»Ist die Tochter, die du erwähnt hast, denn etwas freundlicher?«​
Der Zwerg gönnte sich einen weiteren Schluck Alkohol, bevor er antwortete.​
»Sie soll eine hervorragende Köchin sein.«​
»,..«​
Die Priesterin kratzte sich verlegen an der Wange und die Elfe schaute drein, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.​
»Ich weiß nicht, ob an ihnen etwas dran ist, aber es gibt Gerüchte, dass sie in diesen Bergen lebt«, fügte der Schamane zu seinen Erklärungen hinzu.​
»Das hättest du uns früher verraten sollen, meinst du nicht?!«, meckerte die Elfe.​
»Wenn ich das früher gesagt hätte, hätten die Kleinen sich nur in die Hose gemacht.«​
»Ach, mein Gott ...«, rief die Heilige in Ausbildung und hatte dabei Tränen in den Augen.​
Der Krieger-Lehrling setzte währenddessen einen Gesichtsausdruck auf, als wäre das Abenteuer gerade fehlgeschlagen.​
»Könntest du ihnen bitte nicht solche Angst machen?«, sagte die Priesterin und wirkte dabei wie die große Schwester der beiden.​
»Oh!«, lachte der Zwerg amüsiert.​
»Ha ha ha, tut mir leid, das war vielleicht etwas zu ernst. Ich wollte damit nur sagen, dass wir vorsichtig sein sollten.«​
»Ja! Aber keine Angst, meistens ist alles, was der Zwerg erzählt, Schwachsinn!«, erklärte die Elfe.​
»Was erzählst du alter Amboss denn da wieder?!«​
Die Waldläuferin sprang auf und griff sich selbstbewusst ihren Bogen. Sie spannte eine neue Sehne auf und prüfte, wie sie sich anfühlte. Dann nickte sie zufrieden, zwinkerte etwas ungeschickt dem Krieger-Lehrling und der Heiligen in Ausbildung zu und sagte:​
»Falls sich jemand mit euch anlegen sollte, werde ich ihn einfach mit meinen Pfeilen durchbohren. Okay?«​
»So einfach ist das nicht«, ertönte plötzlich eine fremde Stimme. Die Elfe legte blitzschnell einen Pfeil an, der Zwerg fuhr mit seiner Hand in die Tasche mit Katalysatoren, der Echsenmensch fletschte seine Zähne und die Priesterin griff sich den Topf mit dem heißen Wasser.​
»Wie? Was?«​
Der Krieger-Lehrling und die Heilige in Ausbildung schauten ratlos umher, als neben ihnen zwei lange weiße Ohren auftauchten, die leicht wackelten.​
»Deshalb stecken wir in großen Schwierigkeiten«, sagte das Wesen und stand auf.​
Es war ein Hasenmensch. Er trug ein Jagdmesser im Gürtel und seine Nase zuckte.​
»Könnte ich vielleicht auch so einen leckeren Zwieback haben? Ich habe nämlich schrecklichen Hunger.«​
***
»Nach nur einem Tag ohne Nahrung sterben wir«, erklärte der Jäger der Hasenmenschen gut gelaunt, während er an einem Zwieback nagte.​
Dabei folgte er leichtfüßig einem Weg mit unheimlicher Steigung.​
»Ach ... ist ... das so?«​
Die Priesterin versuchte keuchend, ihm zu folgen, aber kam nicht richtig hinterher. Die Luft begann langsam dünner zu werden. Laut der amüsierten Erklärung der Elfe passierte dies, weil die Luftgeister hier oben am Himmel so weit verstreut waren.​
»Nun ja, solange wir Nahrung haben, können wir uns bewegen, aber der Winter ist dieses Jahr wirklich hart.«​
»In der Tat ... Dieser Winter ist recht lang, oder?«​
Die Priesterin stützte sich beim Gehen immer wieder auf den Stab, während der Krieger-Lehrling sich weiterhin stark gab und tapfer voranschritt. Die Heilige in Ausbildung hingegen ließ sich schon längst vom Echsenmenschen tragen.​
»Alles ... in Ordnung?«, fragte die Priesterin den Mönch.​
»Wenn mein Körper kalt wird, bekomme ich Probleme. Da helfen Bewegung und die Wärme eines Menschen«, antwortete dieser mit einem Lachen. Dabei wirkte seine Stimme allerdings kraftloser als sonst.​
»Vielleicht solltest du auch Ohrenschützer tragen? Wobei ... Das würde wahrscheinlich kaum was ändern«, sagte die Waldläuferin und kicherte.​
Als Elfe lebte sie eigentlich auf den Bäumen, doch auch hier in den Bergen waren ihre Bewegungen fließend wie immer. Sie hatte keine Probleme, dem Hasenmenschen zu folgen, und fragte ihn:​
»Aber wie ist es mit dir? Brauchst du keine Ohrenschützer? Frieren deine Ohren nicht?«​
»Unsere Ohren sind mit Fell überzogen.«​
»Ach... so ...«​
Die Waldläuferin schaute enttäuscht drein und sorgte so dafür, dass der Zwerg am Ende der Gruppe laut seufzte und zum Hasenmenschen sagte:​
»Ignoriere sie bitte einfach. Sind wir denn bald da?«​
Die Ausdauer des Schamanen war kein Problem, aber seine kurzen Arme und Beine erschwerten ihm den Aufstieg. Zwerge und Berge waren nahezu untrennbar, aber sein Volk lebte in der Regel nicht auf Bergen, sondern in ihnen.​
»Es dauert noch ein wenig, aber es ist nicht mehr allzu weit«, sagte der Hasenmensch und hüpfte über einen Stein.​
»Meine Güte ... An all dem Ärger ist die Eishexe schuld ... Ohne sie könnten wir hier in Frieden leben. Als mein Ururgroßvater jung war, wurde das Dorf am Fuß des Berges vernichtet. Seitdem ist unser Kontakt mit den Menschen abgebrochen.«​
»So lange ist das her?«​
Die Priesterin blinzelte.​
»Ein Ururgroßvater? Das muss also schon fast hundert Jahre her sein.«​
»Nein, nein.«​
Der Hasenmensch wackelte mit seinen Ohren.​
»Für uns mag es lange her sein, aber es sind bestimmt noch keine hundert Jahre vergangen.«​
Er sprang auf einen Felsen und wieder von ihm herunter. Dann zeigte er fast beiläufig auf einen Platz am Boden und sagte:​
»Ach, darunter ist es hohl. Passt bitte auf.«​
»Uwah?!«​
Die Warnung des Hasenmenschen kam zu spät und der Krieger-Lehrling versank im Schnee. Hinter einem Kamm oder in einem Spalt konnte sich Schnee ansammeln und verhärten. Es war eine Art von natürlicher Fallgrube, die durchaus tödlich sein konnte. Wenn man nicht direkt beim Absturz starb, dann starb man, weil man nicht wieder hochkam.​
»Uwawawah...«​
Würde das Abenteuer des jungen Kriegers bereits hier zu Ende sein? Nein, der Zwerg streckte seine Hand nach ihm aus und zog ihn mit einem Ruck wieder hoch. Der Krieger-Lehrling sackte schlapp neben ihm zusammen. Fast hätte er seinen Knüppel verloren, doch das Band, mit dem er ihn gesichert hatte, hatte das verhindert.​
»D... Das war knapp ...«​
»Was machst du denn?!«, rief die Heilige in Ausbildung vom Rücken des Echsenmenschen.​
»Nerv nicht!«, keifte der Junge zurück.​
»Menschen bemerken so was nicht, oder?«, murmelte die Elfe, nachdem sie die Sorge in der Stimme der Heiligen erkannt hatte.​
Dann hüpfte sie über die Fallgrube, als sei sie nichts weiter als eine Pfütze. »Nun ja, Hauptsache, er ist in Ordnung. Hey, Hasenmensch. Was meintest du gerade mit der Eishexe?«​
»Nun ja, in der Regel beschweren wir uns nicht, wenn mal einer von uns von einem Alpenschneehuhn oder einem Sasquatch gefressen wird.«​
Der Hasenmensch schüttelte erschöpft den Kopf.​
»Aber dieses Jahr ist es wirklich schlimm.«​
»Aber ist es nicht immer schlimm, wenn jemand stirbt?«​
Die Aussage der Elfe ließ den Echsenmenschen mit seinen Augen rollen.​
»Die Starken fressen die Schwachen. Das ist eine der Grundregeln dieser Welt.«​
»Aber dass die Sasquatchs uns jeden Tag jagen, um das Zeitalter des Winters zu feiern, ist einfach zu grausam. Wir könnten ihnen anderes Essen bringen, aber dann würden wir verhungern ...«​
Die einzige Hoffnung könnte dann darin bestehen, dass ein Gleichgewicht zwischen der restlichen Nahrung und den überlebenden entstand, aber das sprach in dem Moment keiner aus.​
»Nach nur einem Tag ohne Nahrung sterben wir«, wiederholte der Hasenmensch und schaute zu Boden.​
»Das Zeitalter des Winters?«​
Die Priesterin interessierte sich für diesen Ausdruck und auch wenn der Hasenmensch nicht sonderlich traurig klang, war sie sich sicher, dass es eine äußerst bedrohliche Situation war. Die Sasquatchs, angeführt von der Eishexe, stellten eine ernst zu nehmende Gefahr für das Dorf der Hasenmenschen dar. Dies war eine Aufgabe für Abenteurer oder vielleicht sogar für die Truppen des Königs, aber weil die Hasenmenschen keinen Kontakt zu den Menschen hatten, zahlten sie keine Steuern und waren somit auch nicht wirklich Teil des Königreichs. Hieß das im Umkehrschluss vielleicht sogar, dass es keine Rettung für sie gab?​
»Erhabener Gott ...«​
Die Heilige in Ausbildung festigte ihren den Griff um das Waagenschwert. War diese Begegnung Teil ihrer Aufgabe? War sie deswegen hier auf den Berg geführt worden?​
Die Priesterin blickte zu dem Mädchen hinüber und nickte. Die Heilige trug ein einfaches Lächeln auf ihren Lippen, aber ihre Gedanken schienen sehr viel komplizierter.​
Und ich?, fragte sich die Priesterin. Würde sie auch wieder solche Eingebungen von der Erdmutter erhalten? Wanderte sie noch immer auf dem von ihrer Göttin vorgegebenen Pfad? Sie wusste, dass man nie an den Göttern zweifeln sollte, aber . . . Was ist mit Goblin Slayer?
Die Gedanken der Priesterin drifteten zu dem sonderbaren Krieger. Wo hielt er sich wohl gerade auf? War er schon in die Stadt zurückgekehrt? Was würde er wohl dazu sagen, dass sie jetzt so unterwegs war? Würde er ihre Abwesenheit überhaupt bemerken oder würde er einfach wieder losziehen, um auf Goblin Jagd zu gehen? Aus irgendeinem Grund verspürte die Priesterin ein Kribbeln in der Brust. Sie wollte Goblin Slayer so schnell wie möglich wiedersehen.​
Meine Güte ... Dabei bin ich doch kein Kind mehr ...
»Hey! Hey! Schaut doch! Es ist dort hinten!«​
Obwohl die Priesterin bereits in die Richtung schaute, in die der Hasenmensch zeigte, brauchte sie einen Moment, um zu realisieren, was sie da gerade sah.​
»W... Wow ...«​
In einem Tal zwischen zwei Bergkämmen befanden sich zahlreiche Nestlöcher. Sie waren mit hübsch verzierten Türen verschlossen. Von den Eingängen aus verliefen kleine Wege durch das Tal. Das war also eine Siedlung der Hasenmenschen. Im Gegensatz zu ihrem idyllisch aussehenden Dorf wirkten die herumlaufenden Einwohner alle sehr erschöpft. Das war vor allem an ihren herabhängenden Ohren zu erkennen.​
»Oh...«, rief die Heilige in Ausbildung.​
»Was denn?«, fragte die Priesterin.​
»S... Schau doch ... Dort ... Das da!« »Das da?«​
»In der Mitte vom Dorf!«​
»Hm?«​
Die Priesterin sah genau hin und musste schlucken.​
»Ja ...«, murmelte die Elfe aufgeregt.​
»Es ist schwer, einen Ort zu finden, an dem noch nie jemand war.«​
In der Mitte der Siedlung steckte ein alter metallener Stab im Boden. Er ähnelte dem Waagenschwert der Heiligen in Ausbildung.​
***
»Mutter, ich habe die Diener des Erhabenen Gottes mitgebracht!«​
»Oh ja!« Im Inneren des Nestlochs klatschte ein rundlicher Hasenmensch in die Hände. Es handelte sich offensichtlich um die Herrin des Hauses.​
»Dann lasst uns essen!«​
Sie begrüßte die Gruppe wie alte Freunde. Nachdem die Abenteurer sich durch den kleinen Eingang des Baus gedrängt hatten, fanden sie sich in einem Wohnzimmer wieder, das sogar groß genug für den Echsenmenschen war. Die Decke war zwar etwas niedriger als in menschlichen Gebäuden, aber der Bodenbelag aus sommerlichen Gräsern wirkte sehr einladend. Die Mutter des Hasenmensch-Jägers hatte anscheinend mit Besuch gerechnet, denn sie hatte bereits eine Suppe aus roten Mangold Wurzeln gekocht, die sie jetzt auftischte. Sie hatte einen ungewöhnlichen Geschmack, aber schon nach dem ersten Löffel begann sie die Körper der Abenteurer aufzuwärmen.​
»Ach, meine Wenigkeit verzichtet«, sagte der Echsenmensch entschuldigend, während die anderen bereits aßen.​
»Pflanzen schmecken mir einfach nicht.«​
»Das tut mir leid. Mein Mann weilt leider nicht mehr unter uns.«​
»Was ist denn passiert?«, fragte die Priesterin.​
»Er wurde zu einem leckeren Kuchen verarbeitet«, antwortete der Hasenmensch Jäger und zog ein Radieschen aus seiner Suppenschüssel, um daran herum zu knabbern.​
»M ... Mein Beileid ...«​
Die Priesterin senkte überrascht den Kopf, doch die Hasenmensch-Mutter wedelte mit den Händen und sagte:​
»Mach dir keine Sorgen, wenn jemand tot ist, dann ist er tot.«​
»Ähm ... Ist es überhaupt in Ordnung, wenn wir das essen?«​
Die Elfe wechselte das Thema.​
»Ihr habt doch Probleme mit der Beschaffung von Nahrungsmitteln.«​
»Friss nicht so viel!«, murmelte die Heilige in Ausbildung dem Krieger-Lehrling zu und verpasste ihm einen Stoß in die Seite.​
Dieser war gerade dabei, seine dritte Schale Suppe zu verschlingen.​
»Was denn?«, knurrte er zurück und machte ein grimmiges Gesicht.​
»Ach, das geht in Ordnung«, sagte die Mutter mit einem Lächeln.​
»Wenn wir unsere Gäste nicht gut bewirten, sind wir keine ordentlichen Hasenmenschen.«​
»Na dann«, der Zwerg gönnte sich wieder einige Schlucke seines Schnapses, »stimmen die Geschichten wohl, dass ihr euch für Gäste selbst ins Feuer werfen würdet.«​
»Die Götter haben unsere Gutherzigkeit erkannt und uns dafür beigebracht, wie man zu ihnen betet.«​
»Also dürfen wir ... essen?«​
»Was sie sagen will«, erklärte der Echsenmensch, »ist, dass die Echsenmenschen, die Elfen und die Hasenmenschen ihre eigenen Mythen haben.«​
»Und genau deswegen ist es unhöflich, die Gastfreundschaft eines Hasenmenschen abzulehnen. Los, iss«, fügte der Zwerg hinzu.​
»Wieso muss ich mir so was von dir sagen lassen?«, gab die Elfe zurück.​
»Weil er die Wahrheit sagt«, meldete sich die Hasenmensch Mutter wieder zu Wort und kniff leicht die Augen zusammen.​
»Bitte esst, so viel ihr möchtet.«​
Als ihr der wieder aufgefüllte Teller gereicht wurde, gab die Waldläuferin klein bei. Wer konnte schon widerstehen, wenn ihm eine mit Liebe gekochte warme Mahlzeit aufgetischt wurde?​
»D... Dann würde ich auch gerne noch ein wenig ...«​
Auch die Priesterin erlag der Versuchung, aber rechtfertigte es heimlich damit, dass es daran lag, dass das Geschirr der Hasenmenschen so klein war.​
»Und ähm ... wegen dieser Eishexe ...«​
Als nach dem Essen Tee gereicht wurde, sprach die Priesterin dieses Thema mit einem Räuspern an. Sie tranken Amla Tee, der etwas bitter schmeckte und nach Kräutern roch, aber er sorgte für ein Frischegefühl im Mund, wofür die Priesterin dankbar war.​
»Nun ja, die Sasquatchs sind seit jeher ein Problem für uns«, erklärte der Hasenmensch-Jäger. Er hielt den Becher mit Tee in seinen Händen und baumelte mit seinen Beinen.​
»Aber weil dieser Winter besonders lang und hart ist ...«​
Plötzlich ließ etwas rumsend die Erde erzittern. Es waren stampfende Schritte und sie wurden von dem Geräusch von Trommeln begleitet. Dieses war bis in die Magengrube zu spüren, weshalb die Elfe und die Priesterin zitterten.

»Der Winter. Ja, der Winter. Unsere Jahreszeit ist gekommen. Also spielt eure magischen Karten ruhig aus. Sprecht eure Zauber und erhebt eure Stimme. Kein Grund, aufs Würfelergebnis zu schauen. Wissen und Kraft sind unsere Waffen. Los. Ein Duell. Lasst uns kämpfen. Die Hexe des Eises hat doch gesagt, dass der Berg keine Schwächlinge braucht. Der Sommer der Toten ist vorüber. Auf dem Berg blüht nun der schwarze Lotos. Der Winter. Ja, der Winter ist da. Unsere Jahreszeit ist gekommen!«​
Im Anschluss war auch donnernder Gesang zu hören.​
»W... Was ist das?!«​
Aufgeregt zog die Elfe ihre Ohrenschützer ab und verdrehte die Augen.​
»Sie sind gekommen ...«​
Mit düsterer Miene sprang der Hasenmensch-Jäger auf.​
»Mutter, versteck dich schnell in der Vorratskammer.«​
»Ja, schon gut.«​
»Und kümmer dich um Bruder, Schwester, Bruder, Bruder, Schwester, Bruder und Schwester!«​
»Die werden sicher schnell heim gehoppelt kommen.«​
Während der Jäger aufgeregt war, reagierte die Mutter entspannt.​
Die Abenteurer, außer die beiden Anfänger, stürmten ans Fenster und der Zwerg und der nach vorne gebeugte Echsenmensch mussten ihre Gesichter aneinander drücken, um rauszuschauen.​
»Kannst du etwas sehen?«​
»So gut wie nichts, was ist mit dir, Langohr?«​
»Nein, nichts.«​
Die Ohren der Elfe zuckten.​
»Aber von den Stimmen und den Schritten ausgehend sind es drei Gestalten.«​
»Ja ...«​
Der Hasenmensch-Jäger steckte sein Messer zurück in den Gürtel.​
»Es sind meistens drei. Heute werde ich ihnen die Köpfe abschlagen.«​
Die Priesterin legte einen Zeigefinger an ihre Lippen und dachte nach. Die Angreifer mussten zurückgeschlagen werden, daran bestand kein Zweifel.​
Was würde Goblin Slayer wohl jetzt tun? Auf jeden Fall nicht zögern! Lieder, Sasquatchs und eine Hexe ...​
»Wir sollten ihn unterstützen!«, sagte die Priesterin mit entschiedener Stimme.​
»Deswegen sind wir hier!«​
Die Abenteurer, auch der Krieger-Lehrling und die Heilige in Ausbildung - nickten sich entschlossen zu. Jetzt war nicht die Zeit, um zu zögern.​
***
»Los, wer tritt heute gegen uns an?«​
»Ich!«​
Auf die donnernde Aufforderung, die durch das Tal hallte, sprang mutig ein junger Hasenmensch aus seinem Bau hervor. Die massiven, muskulösen Sasquatchs besaßen eine seltsame humanoide Form und ihre Körper waren von weißem Fell überzogen. Verglichen mit ihren Vorfahren, den Riesen des Ursprungs, waren sie degenerierte Wesen und wirkten wie riesige Affen. Mit ihrer Körpergröße von über drei Metern ragten sie wie Giganten über den eher kleinen Hasenmenschen auf.​
»Du also?«​
»Was machen wir wohl mit dir?«​
»Kräfte technisch wirst du nicht gegen uns ankommen.«​
Sie grinsten und vermittelten dabei den Eindruck, dass sie nicht allzu klug waren. Das waren also die drei Sasquatchs, die zum Schrecken der Bewohner hier geworden waren. Sie waren sicherlich dazu imstande, diese Siedlung zu verwüsten. Es würde für sie nicht schwieriger sein, als einen Ast zu zerbrechen, aber das hätte ja keinen Spaß gemacht. Deshalb hatten sie sich etwas anderes überlegt. Jedes Mal, wenn sie in das Dorf kamen, würden sie sich mit einem der Hasenmenschen duellieren. Wenn der Hasenmensch gewann, würden sie ihn überleben lassen, wenn er aber verlor, durften sie mit ihm machen, was sie wollten. Natürlich war den Bewohnern des Dorfes nichts anderes übrig geblieben, als sich wie gewünscht zu verhalten, denn sonst wäre das gesamte Dorf ausgelöscht worden.​
»Gut, dann machen wir ein Wettrennen«, sagte einer der Sasquatchs und deutete auf ein Gebüsch mit Preiselbeeren außerhalb des Dorfes.​
»Wer zuerst eine der Früchte in der Hand hat, hat gewonnen. Alles klar?«​
»Okay!«​
Der junge Hasenmensch machte sich bereit und rannte sofort los, als einer der Sasquatchs das Startsignal gab. Er war nicht der Schnellste im ganzen Dorf, aber dennoch flink auf den Beinen. Außerdem kannte er den Ort wie seine eigene Westentasche, war geschickt und hatte eine rasche Auffassungsgabe. Auch wenn er nicht sicher sagen konnte, dass er gewinnen würde, hatte er nicht vor zu verlieren. Seine Motivation wurde jedoch - genau wie sein Körper - mit dem ersten Schritt des Sasquatch zerschmettert. Die Dorfbewohner, die das Geschehen aus ihren Bauten heraus beobachteten, schrien laut auf.​
»...?!«​
Der zweite Schritt des Sasquatch verkürzte die Distanz zum Gebüsch erheblich und mit dem dritten hatte er es dann auch schon in der Hand.​
»Ha ha. Ich habe gewonnen.«​
»A... Öh... Hrgh ...«​
Zuerst verstand der junge Hasenmensch nicht, was mit ihm passiert war. Sein Körper wollte nicht mehr auf ihn hören und er bekam keine Luft. Dann setzte der Schmerz ein. Blitzschnell verdoppelte und verzehnfachte er sich. Er blendete ihn förmlich und deshalb bekam er auch nicht mit, dass er an den Ohren in die Luft gerissen und in einem Stück verspeist wurde.​
»Mhm... An so einem Häschen sind zu viele Knochen und zu wenig Fleisch ...«​
»Was soll das denn jetzt? Du frisst doch sowieso alles, also spiel jetzt nicht den Feinschmecker.«​
»Ja, aber es ist doch schade, dass da nicht mehr Fleisch dran ist.«​
»Sollten wir sie nicht lebend fangen?«​
»Das merkt doch keiner, wenn ich schnell einen nasche.«​
Mit den Zähnen knirschend und schmatzend unterhielt sich der Sasquatch mit seinen Artgenossen, als die Priesterin und ihre Kameraden ankamen.​
»Zu spät!«, murmelte sie und biss die Zähne fest zusammen. Sie spürte sofort, wie das Gefühl von Hilflosigkeit zusammen mit dem Gedanken, dass sie dem Hasenmenschen eh nicht hätte helfen können, in ihr aufstieg. Sie schüttelte es aber so schnell wie möglich wieder ab und ging dazu über, die Sasquatchs aus dem Schatten zu beobachten. Sie hasste Gefühle und Gedanken dieser Art. Sie wollte nie sagen, dass die Handlungen ihrer Kameraden damals, als sie in das Goblin Nest eingedrungen waren, falsch gewesen waren. Sie durfte so etwas nicht sagen.​
»Wa... Was machen wir jetzt?«, fragte die Heilige in Ausbildung, der man ihre Verwirrung deutlich ansah.​
»Selbstverständlich werde ich mich ihnen im Duell stellen!«, rief der Hasenmensch-Jäger.​
»Bist du blöd?!«, sagte der Krieger-Lehrling und hielt den Jäger fest.​
»Lass das! Du siehst doch, wie groß die sind!«​
»Loslassen!«, erwiderte der Hasenmensch und zappelte, aber weil der Krieger-Lehrling stärker war, konnte er sich nicht losreißen.​
Die Priesterin nutzte die Chance und analysierte weiter die Lage. Es waren drei Gegner. Sie waren unheimlich stark. Ihre Bewegungen waren langsam, aber das machten sie durch ihre Größe wieder wett. Und ihre Intelligenz? Ja, was war eigentlich damit?​
Goblin Slayer würde jetzt sicher ...
Die Priesterin fragte sich mal wieder, was er wohl jetzt machen​
würde. Als es ihr einfiel, wandte sie sich dem Echsenmenschen zu.​
»Was ... denkst du?«​
»Mal überlegen ...«​
Der Echsenmensch verdrehte amüsiert die Augen und weil die Priesterin sich ein wenig erwischt fühlte, schaute sie nervös zu Boden.​
»Was sagt man noch über Hünen und ihre Intelligenz?«, erklärte der Mönch und tippte sich mit einer Kralle an den Kopf.​
»Es gibt Ausnahmen, aber entscheidend ist das Verhältnis zwischen Körpergröße und Hirn.«​
»Hm ... Verglichen mit Menschen scheinen ihre Köpfe im Verhältnis klein zu sein. Sind sie also ungefähr so schlau wie Affen?«, mutmaßte die Elfe.​
»Das hier ist aber kein guter Ort, um gegen sie zu kämpfen.«​
Der Zwerg verzog angewidert das Gesicht und gönnte sich einen Schluck seines Schnapses.​
»Wir sind mitten im Dorf. Da kommt es nur zu unnötigen Schäden.«​
»Und wenn wir ganz direkt das Duell mit ihnen suchen?«, fragte der Echsenmensch und wandte sich wie der Rest der Gruppe der Priesterin zu.​
Auch der Blick des Hasenmensch Jägers legte sich auf sie.​
»Hm ...«​
Sie hatten keine Zeit. Ihre Mittel waren begrenzt. Sie musste einen Weg finden.​
Ob er sich wohl auch immer so fühlt wie ich gerade?​
Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie entspannte sich ein wenig.​
»Ich habe eine Idee.«​
***
»Ich werde eure nächste Gegnerin sein!«​
Als sie diesen Ausruf einer würdevollen Stimme vernahmen, mussten die Sasquatchs mehrmals blinzeln. Ein kleines, mageres Mädchen trat aus dem Schatten eines Gebäudes hervor. Sie trug Priesterkleidung und hielt einen Stab in ihren Händen. Es war eine Abenteurerin. Die Sasquatchs schauten sich gegenseitig an und grinsten dreckig.​
»Wer ist das denn? Hm? Fängt man beim Essen am besten mit ihrem Kopf an?«​
»Aber sollten wir nicht vorher ein wenig mit ihr spielen?«​
»Nee, lass das lieber. Wir reißen ihr den Magen und alle anderen Eingeweide raus.«​
Sie lachten laut los und auch wenn sie es wahrscheinlich nicht so empfanden, klang ihr Gelächter äußerst dreckig. Der Körper der jungen Frau verspannte sich sofort. Diese Reaktion fanden die Sasquatchs wiederum so lustig, dass sie noch lauter lachten.​
»I... Ich ...«​
»Ihr Name lautet Niemand.«​
Eine weitere Stimme ertönte. Sie gehörte einem Echsenmenschen, der sich hinter dem Mädchen positionierte.​
»Im Namen ihrer Vorfahren fordert sie euch zum Duell heraus!​
Das Mädchen drehte sich um, um sich vor dem Echsenmenschen zu verbeugen. Die Sasquatchs schauten verwirrt. War dieser Echsenmensch vielleicht ein Diener des Chaos? Sie wussten es nicht, aber es spielte auch keine Rolle. Sie würden ihn eh bald auffressen. Oder doch nicht? Was, wenn er ein Freund der Eishexe war? Sie wollten keinen Ärger bekommen und er sah eh nicht so lecker aus. Dann lieber das Mädchen. Das wirkte schmackhafter.​
»Gut. In Ordnung.«​
Ein Sasquatch nickte und wirkte dabei fast ein wenig erhaben.​
»Und was für ein Duell soll es sein?«​
»Ähm, nun ja ...«​
Die Sasquatchs amüsierten sich prächtig darüber, wie sich das Mädchen in der Gegend umschaute und nachdachte, denn sie waren sich sicher, dass sie , egal, was es sich ausdachte, das Duell gewinnen würden. Hochmut war unter den Dienern des Chaos eine oft gesehene Charaktereigenschaft.​
»Der Baum dort.«​
Das Mädchen zeigte auf einen Baum etwas abseits vom Dorf.​
»Wer zuerst Blätter von dem Baum fallen lässt, gewinnt. Wäre das in Ordnung?«​
»Soll mir recht sein.«​
»Aber ...«, die Stimme des Mädchens zitterte.​
»Aber man darf den anderen dabei nicht anfassen.«​
»In Ordnung. Abgemacht.«​
Ein Sasquatch nickte und grinste breit.​
»Aber wenn du verlierst, dann nehmen wir dich mit. Klar?«​
»Ja, wie ihr wünscht.«​
»Na gut. Dann los!«​
Der Sasquatch stürmte los und fragte sich gar nicht erst, ob er gewinnen würde. Er dachte nur daran, was er mit der Priesterin machen würde. Weil er es satthatte, rohes Fleisch zu essen, würde er sie ein wenig zubereiten. Vielleicht sollte er Hack aus ihr machen und es dann braten ...​
Wenn ich sie hochhebe, ohne ihren Kopf zu zerquetschen, zappelt sie dann wild wie ein Insekt? Und wird sie schön heulen, wenn ich ihr die Brust eindrücke? Die Arme und Beine kann ich ihr dann im Anschluss abreißen. Wie wird sie wohl reagieren, wenn sie realisiert, dass ich bis zu ihrem Tode so mit ihr spielen werde? Und sie danach noch zu Hack verarbeite?
Weil er so mit seinen Gedanken beschäftigt war, merkte der Sasquatch nicht, was das Mädchen machte. Sie hatte einen Stein in eine Schleuder gewickelt und daraus abgeschossen. Der Stein flog jetzt durch die Luft und knallte dann gegen den Stamm des Zielbaums, von dem direkt darauf ein paar Blätter herabrieselten.​
»Geschafft!«​
»Waaas?!«​
Der Sasquatch heulte auf und drehte sich um. Er wollte sagen, dass das Mädchen gemogelt hatte, aber im nächsten Moment merkte er, dass ein Stein auf ihn zugeflogen kam. Das dumpfe Knacken, als dieser auf seine Stirn schlug, war das letzte Geräusch, das er in seinem Leben hörte. Schon seit langer Zeit waren die Schleudern der Menschen effektiv gegen Riesen ...​
»Treffer!«, rief die Priesterin und zeigte mit dem Finger auf den Sasquatch, der krachend umfiel.​
»Ich habe gew ... Ähm ... Jetzt bin ich im Recht!«​
»Ja«, antwortete der Echsenmensch und nickte, aber natürlich waren die Sasquatchs nicht bereit, sich zu unterwerfen. Wütend trommelten sie sich auf die Brust und heulten wild auf.​
»Bruder! Unser Bruder wurde erledigt! Niemand hat ihn getötet!«​
Einer der Sasquatchs stürmte auf die Priesterin zu. Auch er konnte an nichts anderes denken, als sie zu zerquetschen.​
»Gnom. Undine. Erzeugt ein wunderbares Kissen!«​
Deswegen bemerkte er auch nicht, was der Zwerg trieb. Augenblicklich wurde der verschneite Boden unter ihm zu Schlamm, in dem er ausrutschte ...​
»Ua... Argh?!«​
... und dann über das Seil stolperte, das die Elfe heimlich gespannt hatte.​
»Ach, Mann! Warum muss ich in letzter Zeit immer all die Knochenarbeit machen?«, beschwerte die Waldläuferin sich.​
Mit einem Donnern schlug der Sasquatch auf dem Boden auf und stieß sich dabei so hart den Kopf, dass er sofort tot war. Eine Mischung aus Schnee und Dreck flog durch die Luft.​
»Das Duell ist entschieden!«, schrie der Echsenmensch und sprang nach vorne, um sicherzustellen, dass der von der Priesterin gefällte Sasquatch wirklich tot war. Blutüberströmt verkündete er:​
»Auch um dich, letzter Sasquatch, werde ich mich kümmern! Ich werde dir den Kopf abschlagen und dein Herz opfern!«​
»U... Uuuuh ...«​
Selbst dem Sasquatch schien bewusst zu sein, dass ein Echsenmensch zu seinem Wort stand, und er schreckte zurück. Er erwies sich als klüger als seine Brüder, schnappte sich deren Leichen und rief:​
»Niemand! Niemand hat meine Brüder erledigt!«​
Dann ergriff er die Flucht. Während sich seine Schritte immer weiter entfernten, fragte der Echsenmensch die Priesterin gut gelaunt:​
»Hat dir diese Vorführung gefallen?«​
»Ja ... Vielen Dank.«​
Die Priesterin legte sich eine Hand auf die Brust und atmete tief aus. Ihr Herz hatte wie verrückt geschlagen und sie war wirklich froh, dass alles nach Plan verlaufen war. Es gefällt mir nicht, dass ich mich aufs Glück verlassen musste.​
»T ... Toll!«​
»Du hast ihn besiegt!«​
Die Priesterin wurde von zwei Stimmen, deren Besitzer nur für den Fall der Fälle bereitgestanden hatten, aus ihren Gedanken gerissen. Es waren die Heilige in Ausbildung und der Krieger Lehrling. Die beiden schauten sie mit großen Augen an.​
»Das war nur Zufall ... und Glück ...«​
Peinlich berührt grinste die Priesterin.​
»Goblin Slayer hätte es noch viel besser gemacht ... Ganz sicher.«​
Die beiden Anfänger wussten nicht, was sie darauf sagen sollten, und der Hasenmensch-Jäger nutzte die Chance, um die Stimme zu erheben.​
»Ähm, ich will mich nicht beschweren, aber du bist doch eine Priesterin, oder?«​
Der Jäger wackelte mit den Ohren.​
»War dies nicht ein heimtückischer Angriff? Darfst du das überhaupt?«​
»Hä?«​
Die Priesterin reagierte überrascht.​
»Aber ich habe ihn doch gar nicht berührt. Ich habe mich an die Regeln gehalten.«​
Als die Elfe zu den anderen stieß und diese Worte hörte, schaute sie in Richtung Himmel. Für diese Situation hatte sie keine passenden Worte.​

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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 76

Meuchelmörder des verlassenden Dorfes


Das Versteck, das die beiden schließlich fanden, war ein halb überwucherter Schuppen. Wahrscheinlich hatte er den Dorfbewohnern einst als Nahrungslager gedient. Auch wenn er sich kurz vor dem Einsturz zu befinden schien, konnte die Kuhhirtin sich in ihm ein wenig entspannen.​
»Die Goblins haben das Gebäude wohl schon geplündert«, sagte Goblin Slayer und steckte seine Hand in ein aufgebrochenes Fass. Auch Goblins gaben sich nicht nur mit der Spreu vom Weizen zufrieden.​
»Was Beute angeht, sind sie verwöhnter, als man denkt.«​
Das Gebäude bot noch etwas Schutz gegen die Kälte. Es war sicherlich nicht warm, aber zumindest konnte man hier dem Wind und dem Schnee entfliehen. Die Kuhhirtin sackte in einer Ecke zusammen und atmete tief aus.​
»Sind wir hier in Sicherheit?«​
»Das kann ich nicht mit Gewissheit sagen.«​
Auch ohne dass er es aussprach, verstand sie, dass er damit so etwas ausdrücken wollte wie:​
»Zumindest für eine Weile werden wir hier sicher sein.«​
Goblin Slayer setzte sich neben den Eingang, löste das Schwert von seiner Hüfte und hielt es vor sich. Immer wieder legte er den Kopf schief, um durch ein Loch in der Gebäudewand nach draußen zu schauen. Außer dem Schneesturm war nichts zu hören.​
»Sie sind zu faul, um einen Ort, den sie schon geplündert haben, so schnell erneut zu durchsuchen.«​
Er machte eine kurze Pause. In seiner Stimme schwang seine Erschöpfung mit.​
»Aber es sind nun mal Goblins ... «​
»Ja ...«​
Die Kuhhirtin nickte. Sie machte den Mund auf und schloss ihn gleich wieder, denn sie wusste nicht wirklich, was sie sagen sollte. Goblin Slayer blickte zu ihr.​
»Was ist?«​
»Nichts.«​
Die junge Frau schüttelte den Kopf und lächelte kraftlos.​
»Gar nichts.«​
»Ist das so?«​
»Sag mal.«​
»Was denn?«​
»Was möchtest du essen, wenn wir zurück sind?«​
Goblin Slayer musste nicht lange nachdenken.​
»Eintopf.«​
»Den magst du wirklich gern, was?«​
»Ja.«​
Der Krieger nickte und schwieg. Die Kuhhirtin schaute ihn an und wollte den Mund aufmachen, aber schloss ihn wieder. Draußen waren Schritte im Schnee zu hören. Sie waren aufgrund ihrer Leichtigkeit nur schwer im Heulen des Windes auszumachen. Goblins. Als der Umriss einer Bestie im Eingang des Gebäudes erschien, schlug Goblin Slayer zu.​
»GOROGB?!«​
Der Krieger griff sich den Goblin und schnitt ihm die Kehle durch. Dickes schwarzes Blut spritzte mit einem Zischen aus dem grünen Teufel heraus und befleckte selbst die Kleidung der Kuhhirtin.​
»Wah …?!«​
Auf den Ausruf der jungen Frau hin schnalzte Goblin Slayer leicht mit der Zunge, doch er wollte ihr keine Vorwürfe machen. Er gab sich selbst die Schuld an allem. Vermutlich hatte der Goblin sich unter dem Vorwand, sie suchen zu gehen, vor der Arbeit drücken wollen und war deshalb hier aufgekreuzt. In der Sprache der Biester gab es keine Konzepte wie Kameradschaft und Selbstaufopferung, weshalb man die Schwerthiebe, die dieser jetzt mit letzter Kraft tat, nur mit Verzweiflung erklären konnte. Leider traf er damit aber die Seite eines Fasses, das direkt darauf zerbrach, und das Gerümpel, das sich auf ihm befunden hatte, wurde in der Gegend verstreut.​
»Hmpf!«​
Das Poltern erinnerte Goblin Slayer ein wenig an das von ungestüm geworfenen Würfeln. Er hätte auch gut ohne diesen Zwischenfall leben können.​
»Geh weiter nach hinten!«​
»Wie? Äh ... J ... Ja!«​
Die Kuhhirtin wischte sich etwas Blut aus dem Gesicht und sprang dann auf, um Goblin Slayers Anweisung nachzukommen. Der Krieger trat währenddessen die Goblin Leiche weg, um sich etwas Bewegungsspielraum zu verschaffen.​
»Fliehen wir nicht?«​
»Doch, gleich.«​
Goblin Slayer holte ein Seil aus seiner Tasche hervor und spannte es auf Knöchelhöhe vor den Eingang. Dann positionierte er sich daneben und wartete mehrere Sekunden mit angehaltenem Atem. Mit dreckigem Geschrei kam ein Wesen herangeeilt.​
»GOROBG! GOROBGGGB?!«​
»Zwei!«​
Ein Goblin wollte in das Gebäude rennen, doch stolperte dabei über das Seil. Goblin Slayer ließ seine Klinge heruntersausen und zertrümmerte ihm damit das Rückenmark. Der Goblin verwandelte sich in einen zuckenden Fleischklumpen. Die Kuhhirtin schrie diesmal nicht auf, sondern spannte nur ihren Körper an, um reagieren zu können, wenn er den Befehl dazu gab.​
»Drei!«​
Ein weiterer Goblin kam herangestürmt und fiel genau wie schon sein Artgenosse. Goblin Slayer rammte auch ihm die mittlerweile stumpf werdende Klinge ins Rückenmark.​
Der eigentliche Vorgang des Tötens war nicht sonderlich kompliziert, aber es mehrfach auf die gleiche Weise zu tun, schon.​
Goblin Slayer ließ das Schwert im Goblin stecken und hob stattdessen einen Speer auf. Er schaute zu der Gestalt, die als Nächstes im Eingang erschienen war, und streckte den Speer aus.​
»Vier!«​
»GROGOBG?!«​
Ein weiterer Goblin stolperte über das Seil und fiel direkt in die Waffe hinein. Goblin Slayer warf den Speer zusammen mit dem toten Goblin, der noch an ihm hing, zur Seite und atmete tief aus.​
»Gerade kommt keiner mehr.«​
Der Krieger holte sich sein Schwert zurück und wischte es an der Kleidung eines getöteten Goblins ab. Dann untersuchte er kurz die Klinge. Sie sollte sich noch verwenden lassen.​
»Haben sie aufgegeben?«​
»Wenn es so wäre, wäre es zu einfach. Deshalb glaube ich es nicht«, sagte Goblin Slayer nüchtern und ergriff eine Hand der Kuhhirtin.​
»Wir gehen. Bleib nicht stehen. Sonst stirbst du.«​
»J ... Ja!«​
Die junge Frau umklammerte die Hand des Kriegers.​
»Verstanden.«​
Goblin Slayer verließ den Schuppen im Laufschritt und zog dabei die Kuhhirtin hinter sich her.​
»GORG!«
»GOROOGOR!!«​
Die Goblins vor der Tür verzogen überrascht die Fratzen. Sie waren damit beschäftigt gewesen, mühevoll einen riesigen Topf, der mit siedendem Wasser gefüllt war, herbeizutragen. Vermutlich hatten sie bei einem vorherigen Kampf einiges über Belagerungstaktiken gelernt.​
»Fünf ... sechs und sieben!«​
Goblin Slayers Bewegungen waren präzise. Er drehte das Schwert in seiner Handfläche um und schlug damit zu.​
»GOBG?!«​
Ein kleiner Teufel, dem das Schwert in den Arm schnitt, schrie laut auf und ließ den Topf los.​
»GOROGBBGB?!«
»GRG?! ROGBB?!«​
Drei Goblins wurden sofort von dem kochenden Wasser aus dem Topf überschüttet und begannen, sich wild im Schnee zu wälzen, doch dieser würde sie nicht mehr retten. Brandblasen überzogen ihre Körper und läuteten ihr Ende ein. Ihre Artgenossen würden sie nicht heilen können. Zumindest solange es hier niemanden wie den Goblin Paladin gab.​
»GROGOB!«
»GOOGOBOGR!!«​
Als weitere der Bestien Goblin Slayer und die Kuhhirtin entdeckten, kamen sie herangeeilt. Ihr Zorn und ihre Gier siegten über die Angst, wie ihre Kameraden zu enden. Goblin Slayer würde jeden einzelnen von ihnen töten, aber nicht hier auf freiem Feld. Es musste auf engem Raum geschehen. »Kannst du noch laufen?«, fragte er das Mädchen.​
»Wenn es dir hilft, kannst du auch die Augen schließen.«​
»Schon ... gut!«​
Die Kuhhirtin keuchte und rannte mit voller Kraft weiter.​
»Ich bin zumindest ein wenig trainiert!«​
»In Ordnung.«​
Was soll ich machen? Ich muss darüber nachdenken.​
Was habe ich in meiner Tasche?
Denk nach.​
Schnee, Goblins, Ruinen, Eis, der See, Goblins, Wachen, der Brunnen, Goblins, Goblins und noch mehr Goblins.
Goblin Slayer machte sich bereit und stürmte weiter. Er musste die Goblins irgendwie ablenken.​
»Hey!«​
»W... Was?!«​
»Hinten an meiner Hüfte hängt eine Klinge! Zieh sie raus!«​
»E... Eine Klinge?!«​
Die Kuhhirtin fasste dem Krieger an die Hüfte.​
»Ähm ... Dieses komisch geformte Ding?!«​
»Ja!« Goblin Slayer schlug einem Goblin beim Laufen den​
Schädel ein. »Ziel auf den Baum und wirf sie!«​
»Wirklich?!«​
»Kein Problem!«​
Mehr sagte der Krieger nicht. Er spürte, wie die Kuhhirtin ausholte, und warf in diesem Moment einem Goblin, der unachtsam angerannt kam, den Knüppel an den Kopf. Beim Aufprall verdrehte sich der Kopf der Bestie in eine komische Richtung.​
»Neun!«​
»Hah!«​
Die Kuhhirtin warf das seltsam geformte Wurfmesser. Bei seinem Flug durch die Luft erzeugte es ein heulendes Geräusch und der Krieger wusste, dass die Goblins dem Drang, dem Wurfgeschoss mit ihren Augen zu folgen, nicht würden widerstehen können. Sie würden sich sicherlich darüber lustig machen, dass die Kuhhirtin nicht zielen konnte. Aber wie hätte sie auch treffen sollen? Sie hatte das Werfen von Messern nie trainiert und rannte gerade. Deshalb hatte er ihr auch den Baum als Ziel vorgegeben.​
»Wir springen hinein!«​
»Wie?! Äh, halt. Das ... geht doch nicht?!«​
Während die Kuhhirtin hinter ihm sich noch beschwerte, sprang Goblin Slayer. Das Wurfmesser knallte indes in den Baum, sodass seine Äste wackelten und der Schnee herabfiel. Die Goblins kicherten kurz und drehten sich dann wieder um. Wo waren der Abenteurer und die Frau hin? Die Biester konnten es nicht fassen und begannen, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Während sie sich wild stritten, fiel keinem von ihnen auf, dass die Abdeckung des Brunnens offen war.​
»Ah?!«​
Die Kuhhirtin gab einen überraschten Laut von sich, als sie in das Wasser fiel und untertauchte, aber dann bemerkte sie, dass es wärmer war als erwartet. Nein, verglichen mit draußen war es hier sogar angenehm warm. Und vor allem ...​
»Ich kann ... atmen?«​
»Ein Ring der Atmung«, antwortete Goblin Slayer, dessen Stimme unter Wasser dumpfer klang als sonst.​
Er hielt sie fest in seinen Armen. Als sie das realisierte, entwich der Kuhhirtin ein „Wah!“ und sie überlegte, ob sie sich losreißen sollte, aber entschloss sich schließlich, in seinen Armen zu bleiben. Deswegen jetzt einen Aufstand zu machen, wäre kindisch und nicht angebracht gewesen. Sie schaute zu seinem Helm.​
»Ein Ring?«​
»Ich habe ihn dir angesteckt.«​
Die Kuhhirtin blickte auf ihre rechte Hand. An einem Finger befand sich ein schwach leuchtender Ring. Dieser Gegenstand beschützte sie also vor dem Brunnenwasser. Ihr war, als wäre sie von einer seltsamen Schicht aus Schaum umgeben, aber es war nicht so, als würde sie dabei trocken bleiben. Ihre Haare und ihre Kleidung waberten unter Wasser. Sie richtete ihren Blick nach oben und konnte einen kreisrunden Ausschnitt des Himmels erkennen, der durch die Krümmung des Wassers seltsam gebogen war. Sie waren wirklich in den Brunnen gesprungen.​
»Ach so.«​
Als die Kuhhirtin diese Worte sprach, stieg Schaum aus ihrem Mund auf.​
»Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass du mir deinen Plan verrätst.«​
»Tut mir leid«, erklärte er.​
»Ich hatte keine Zeit dafür.«​
»Sind wir hier denn in Sicherheit?«​
»Ich weiß nicht.«​
Blasen stiegen aus dem Visier des Kriegers auf. Seine Bewegungen wirkten ein klein wenig verlegen.​
»Ich habe dafür gesorgt, dass es beim Hineinspringen keinen Laut gab, und sie sollten uns auch nicht gesehen haben. Unsere Spuren werden dann vom Schneesturm weggeweht. Es wird schwierig für sie sein, uns zu folgen.«​
Er zählte die Punkte auf, als wolle er sich selbst rückversichern, und wirkte dabei ein wenig, als würde er ein Gebet sprechen. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, erhob er erneut die Stimme.​
»Da es Goblins sind, sollten sie nicht besonders fähig sein, aber mit Pech könnten sie uns bemerken. Diese Möglichkeit gibt es immer.«​
»Und wenn sie uns finden?«​
»Selbst dann werden sie denken, dass wir uns aus Verzweiflung in den Brunnen geschmissen haben, um Selbstmord zu begehen. Es sollte kein Problem sein, solange sie die Ringe nicht erkennen.«​
Die Kuhhirtin schaute auf ihre rechte Hand. Sie trug den gleichen Ring wie er. Als einfaches Mädchen verstand sie nicht viel von magischen Gegenständen, aber sie wusste, dass sie kostbar sein mussten. Trotzdem war der Ring, den der Krieger für sie während des Erntefests gekauft hatte, in ihren Augen viel wertvoller.​
»Es wird schwierig für sie sein, in den Brunnen zu steigen und zu überprüfen, ob wir wirklich tot sind. Sie werden es sicher nur tun, wenn dieses Monster es ihnen befiehlt.«​
Er trug eine Rüstung und befand sich in kaltem Wasser. Es würde alles andere als einfach sein, ihn hier aus dem Brunnen zu ziehen, und Goblins waren bekanntlich faul. Nichtsdestotrotz seufzte der Krieger und eine große Blase stieg aus seinem Mund auf.​
»Wir müssen uns auf unser Glück verlassen. Wir haben keine andere Wahl.«​
»Vom Regen in die Traufe, was?«, gab sie zurück und lächelte.​
Sie legte ihren Kopf an seine Brust. Sie waren so nah beieinander, doch sicherlich hörte er nicht, wie stark ihr Herz klopfte. Er sollte nicht denken, dass sie ängstlich war.​
»Ich weiß, dass du dein Bestes gibst.«​
»Wenn mein Bestes aber keinen Erfolg hat, dann war es umsonst«, gab er zurück und klang dabei, als würde er sich selbst Vorwürfe machen.​
»Mein Meister hätte gewusst, was zu tun ist.«​
»Aber nicht er, sondern du bist jetzt hier«, sagte sie in einem Ton, der keine Widerrede zuließ.​
»Und du hast mich gerettet.«​
»Ist das so?«​
»So ist es.«​
»Ach so.«​
»Ja.«​
Die Kuhhirtin nickte und drehte sich in Goblin Slayers Armen. Ihre Schulterblätter lagen jetzt auf seiner Brustplatte und sie schaute nach oben. Es wäre schön gewesen, wenn sie die Sterne oder einen der Monde hätte sehen können, doch es war noch mitten am Tag und der Himmel hatte die Farbe von Blei. Wenn sie also hier ihr Leben lassen sollten, wäre es nicht sonderlich romantisch.​
Nun ja ... Wenigstens kann er so nicht mein Gesicht sehen.​
Schließlich zeigt er mir seines auch nie ...​
»Ich ... muss mich bei dir entschuldigen ...«​
»Wieso?«​
»Also weil ich«, die Kuhhirtin kratzte sich verlegen an der Wange, »dir doch nur ein Klotz am Bein bin.«​
»Nein.«​
Aufgrund seiner schnellen Antwort musste die junge Frau mehrfach blinzeln. »Ganz sicher nicht.«​
»Ist das so?«​
»Ja.«​
»Ach so.«​
Einige Blasen stiegen aus ihrem Mund auf.​
»Ach so.«​
»Ja.«​
Die beiden schwiegen eine Weile und die Kuhhirtin schaute zum Himmel. Es schneite noch immer und die Flocken ließen kleine Muster auf der Wasseroberfläche tanzen. Es waren zwar keine Sterne, aber die Kuhhirtin wollte jetzt nicht wählerisch sein.​
»Bist du erschöpft?«​
»Nein.«​
»Schon gut. Schlaf ruhig.«​
Die Kuhhirtin spielte ein wenig mit ihren Haaren, die durchs Wasser tanzten. Eigentlich waren sie rot, aber hier im Wasser schienen sie eine andere Farbe zu haben. Sie erinnerte sich daran, wie sie einst mit ihrem Kindheitsfreund an einem Fluss in der Nähe ihres Dorfes gespielt hatte. Es war aber wahrscheinlich im Sommer gewesen und nicht im Winter.​
»Wir können doch eh eine Weile nicht von hier weg, oder?«​
»Hm ...«​
Er stieß ein tiefes Brummen aus.​
»Sie könnten auch von oben einen schweren Stein herabwerfen.«​
»Aber wenn es darum geht, einfach nur nach oben Ausschau zu halten, dann kann ich das doch genauso gut, oder?«​
Der Krieger zögerte und atmete dann schwer aus. Blasen stiegen nach oben auf.​
»Dann bitte ...«​
»Ja.«​
Die Kuhhirtin entfernte sich von Goblin Slayer und lehnte sich an die ihm gegenüberliegende Brunnenwand. Sie war sehr viel kälter und härter als sein Körper.​
»... «​
Während sie nach oben schaute, schielte sie zwischendurch auch immer mal wieder zu ihm herüber. Sein Eisenhelm war leicht nach vorne geneigt und er sah aus, als wäre er längst eingenickt. Da er seit gestern ständig in Bewegung gewesen war, konnte man ihm das nicht verdenken.​
»Sag mal«, flüsterte die Kuhhirtin leise, damit sie ihn nicht aufweckte. »Willst du nach Hause?«​
Sie sagte nicht, welches Zuhause sie meinte, denn sie erwartete keine Antwort. Trotzdem erhielt sie nach einer Weile eine.​
»Ja.«​
Seine Stimme war abgehackt und klang, als würde er zum ersten Mal seit Langem sprechen.​
»Ich will heim.«​
»Ach so ...«, erwiderte die Kuhhirtin.​
Die junge Frau zog ihre Knie an die Brust und ließ sich wie eine Blase treiben. Währenddessen schaute sie hoch. Sie hasste Goblins wirklich sehr.​


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Edward Teach

Anime-Pirat
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Intermission XXIX

Warum Goblins sich nicht als Heerführer eignen.


»Hey, habt ihr sie noch immer nicht gefunden?!«​
Wutentbrannt trat der Oger den Schutt durch die Gegend, den er eben noch als Sitzunterlage verwendet hatte. Die meisten Goblins hielten sich fern, um nicht vom Zorn ihres Anführers erwischt zu werden, und nur der eine, der ihm Bericht erstattet hatte, ließ sich ehrerbietig zu Boden fallen. Doch diese Art von Huldigung gefiel dem Oger nicht, denn er wusste, dass die kleinen Viecher ihm nicht wirklich untergeben waren. In der Sprache der Goblins ging das Wort „Gehorsamkeit“ eigentlich immer mit dem Adjektiv „vorgetäuscht“ einher. Obwohl sie kaum genug Verstand zum überleben hatten, neigten sie nämlich zur Überheblichkeit. Es gibt aber dennoch Methoden, um sie ordentlich einzusetzen. Es existierte wohl keine Rasse, die sich für den Oger besser als einfache Fußtruppen eigneten als Goblins. Sie existierten in riesigen Mengen und stürzten sich wild auf ihre Gegner. Und selbst wenn sie sich auflehnen sollten, würden sie niemals einen Oger töten können. Bei Dunkelelfen hingegen war es anders ...​
Der Dunkelelf ...​
Der Oger erinnerte sich an eine weitere Sache, die ihn erzürnte. Er war einer der Generäle des Dämonenfürsten gewesen, aber dieser Assassine der Menschen, der sich eine Heldin nannte, hatte einen General nach dem anderen erschlagen und damit ihren Machenschaften ein Ende bereitet. Am Ende waren sie dann bei der entscheidenden Schlacht unterlegen gewesen und der Dämonenfürst war untergegangen. Der Oger hatte seine Truppen verloren und sich in die Berge zurückgezogen. Dort hatte er laut gebrüllt:​
»Wir haben noch lange nicht verloren!«​
»Das ist nur das Heulen eines schlechten Verlierers«, hatte der Dunkelelf dann damals zu ihm gesagt, als er vor ihm aufgetaucht war.​
Eigentlich hätte der Oger jeden, der so mit ihm sprach, gevierteilt und seine Eingeweide gefressen, aber in seiner damaligen Lage wäre ein solches Verhalten lächerlich gewesen. Stattdessen hatte er den Dunkelelfen gefragt, was er von ihm wollte, und dieser hatte seine blutroten Lippen verzogen und gesagt:​
»Mein Bruder hat von einem übergelaufenen Rhea gehört, dass der Abenteurer, der deinen Bruder getötet hat, im westlichen Grenzland lebt.«​
Der Oger wusste mittlerweile, worauf er sich damals eingelassen hatte. Er war zur Spielfigur des Dunkelelfen geworden. Jener hatte irgendetwas geplant und er sollte von seinen Machenschaften ablenken. Deshalb hatte er eine kleine Armee aus Goblins um sich versammelt und geschworen, den Tod seines Bruders zu vergelten. Wenn er das schaffen würde, war ihm der Rest egal.​
Und dennoch ...​
Der Oger spürte, wie der Groll in ihm hochstieg und ihm förmlich als weiße Wolken aus dem Mund drang. Es schneite noch immer, es war kalt und die Moral der Goblins niedrig. Wobei ... Vielleicht war „Moral“ das falsche Wort. Sie hatten einfach keine Lust.​
»Habt ihr etwa genug davon, die Gefangenen zu quälen?«​
Als der Oger den kleinen Teufeln einen wütenden Blick zuwarf, rannten sie aufgeregt los. Dabei hatten sie bis gerade noch genervt herumgenörgelt. Sie waren wahrscheinlich mittlerweile unglücklich darüber, dass sie mit dem Oger mitgegangen waren. Sicherlich überlegten sie, wie sie ihn abmurksen könnten, um ihr eigener Boss zu sein, denn so könnten sie so viel warmes Essen und Frauen haben, wie sie wollten. Es waren lächerliche Vorstellungen, aber das war den Goblins nicht bewusst.​
Ich werde sie sicherlich nicht nach ihrer Meinung fragen!​
Der Oger ließ seinen Blick über die verfallenen Ruinen vor ihm wandern. Dann ertönte ein Schrei. Er erinnerte an das Kreischen eines sterbenden Schweines, doch es war das Betteln einer halb toten Frau, die sich unter Schmerzen wand.​
Mann, diese verdammten Goblins! Mit dem Gedanken, mehrere von ihnen umzubringen, um ein Exempel zu statuieren, wollte er losstürmen, aber dann schüttelte er den Kopf. »Ach ja ...«​
Er hatte eine bessere Idee. Goblins sahen die Welt aus einer anderen Perspektive.​
»Ein Exempel ist vielleicht genau das, was sie brauchen ... «​


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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 77

Die Schatten der Monster in der Höhle.


Die Abenteurer warteten nicht auf die Nacht, sondern entschieden sich, sofort aufzubrechen.​
»Zum Glück haben wir bisher nur einen Zauber verbraucht«, erklärte der Echsenmensch und klang dabei, als würde er vom Zubereiten einer Mahlzeit sprechen.​
»Wir sollten sofort die Verfolgung aufnehmen und sie ausrotten.«​
Keiner seiner Kameraden widersprach ihm. Nachdem die Heilige in Ausbildung zusammen mit der Priesterin für das Seelenheil des toten Hasenmenschen und der Sasquatchs gebetet hatte, brach die Gruppe auf, um sich tiefer in die Berge zu begeben. Der Weg war, verglichen mit dem qualvollen Anstieg zur Siedlung, eher leicht.​
»Sie achten nicht im Geringsten auf ihre Spuren«, sagte der Hasenmensch-Jäger, der die Gruppe begleitete.​
Die Sasquatchs hatten auf ihrem Weg einfach einige Bäume umgestoßen und die Erde platt getreten, weshalb die Abenteurer sich trotz des Schneesturms nicht verlaufen konnten. Die Priesterin war erleichtert darüber, aber blieb dennoch achtsam.​
»Ist ihr Unterschlupf in der Nähe?«​
»Ja.«​
Der Hasenmensch hüpfte leicht und zeigte mit einem flauschigen Finger auf etwas.​
»Da drüben.«​
Das Mädchen folgte dem Finger des Jägers und konnte in einer Bergwand ein Loch entdecken.​
»Eine Höhle ... Wie typisch ...«, sagte die Elfe, die gerade hinter einem Felsen in Deckung gegangen war, und zuckte mehrfach mit den Ohren.​
»Kannst du etwas hören?«, fragte die Priesterin.​
»Hm? Ist das Musik?«, antwortete die Elfe und verzog das Gesicht.​
»Es klingt wie wildes Rumgetrommel. Wie bei einem Gelage der Zwerge.«​
»Jetzt hör doch auf. Wenn man die ganze Zeit so Trübsal bläst wie ihr Elfen, dann macht das Saufen keinen Spaß.«​
Der Zwerg strich sich grimmig durch den Bart und gönnte sich einen Schluck Schnaps.​
»Aber etwas stört mich.«​
»Was denn?«​
»Die Naturgeister. Es ist schön und gut, wenn die Geister des Eises und des Schnees herumtanzen, aber normalerweise tun sie das nicht so ausgelassen.«​
»Nun ja, es ist eben Winter.«​
Die Elfe antwortete überheblich auf die Aussage des Zwergs, aber er würdigte sie nur eines herablassenden Blickes, bevor er weitersprach.​
»Ich meine damit, dass sie die Geister des Frühlings nicht willkommen heißen wollen.«​
Der Zwerg trank einen weiteren Schluck Alkohol. Dann reichte er die Flasche an den Echsenmenschen weiter, der wortlos auf den Eingang der Höhle starrte.​
»Besten Dank.« Der Mönch nahm sich die Flasche und trank einen Schluck.​
»Es gibt also keinerlei Anzeichen für das Kommen des Frühlings?«​
»Zumindest in diesem Gebiet.«​
»Hm ...«​
Der Echsenmensch stieß ein bedeutsames Brummen aus.​
»Dann geht es um Leben und Tod.«​
»Sind die Sasquatchs deshalb so übermotiviert?«​
Die Elfe schaute missmutig drein. Unter den Waldbewohnern, die Pflanzen liebten und sich über blühende Natur freuten, stach sie durch ihre besondere Heiterkeit und ihren wilden Charakter hervor. Als Elfe bevorzugte sie den Frühling und den Sommer gegenüber dem Winter, aber würde deshalb niemals versuchen, die Gesetze der Natur zu ändern. Es war in Ordnung, gegen sie anzukämpfen. Es war auch in Ordnung, zu versuchen, sie zu überwinden. Aber zerstören durfte man sie nicht. Man konnte und sollte die Natur niemals vollkommen kontrollieren, das wussten die Elfen. Dass es aber jemand versuchte, war ein Beweis dafür, dass hier eine Blüte des Chaos aufgesprungen war.​
»Ein einfaches Hack and Slash wird uns wohl nicht weiterbringen, oder?«, murmelte die Priesterin mit nachdenklicher Miene.​
Das Bekämpfen von Goblins war schon nicht einfach, aber bei noch mächtigeren Monstern war es umso schwerer.​
»Aber kann man die Jahreszeiten denn einfach so verändern?«, fragte der Krieger-Anfänger.​
»Möglich ist es schon, allerdings ...«​
Der Zwerg erhielt die Flasche vom Echsenmenschen zurück und nahm noch einen Schluck.​
»Nur ein mächtiger Druide oder sehr starker Magier sollte dazu imstande sein ..«​
»Dann haben wir keine Chance.«​
Die Elfe zuckte mit den Schultern.​
»So jemandem kann unser Zwerg nicht das Wasser reichen.«​
»Halt die Klappe, du Ambossbrust!«​
»Was denn? Es ist doch die Wahrheit!«​
Die beiden begannen zu zanken und die Priesterin wollte die Streithähne mit einem lauten Räuspern darauf aufmerksam machen, dass das gerade nicht angebracht war. Der Echsenmensch kniff als Reaktion darauf die Augen zusammen und sorgte so dafür, dass das Gesicht des Mädchens rot anlief.​
»E... Es muss sich also um einen Magiewirker handeln?«​
»Nun ja ...«, antwortete der Zwerg mit Bedacht.​
»Mit einem mächtigen magischen Gegenstand wären auch andere dazu in der Lage ...​
»Ach so«, murmelte die Heilige in Ausbildung und zog so die Blicke aller Abenteurer auf sich.​
Normalerweise hätte sie darauf beschämt reagiert, aber gerade war sie zu tief in Gedanken versunken, um es überhaupt zu bemerken.​
»Deshalb die Eingebung ... «​
»Ach ja, du solltest ihm etwas bringen!« Der Krieger-Anfänger klatschte in die Hände.​
»Darum geht es also!«​
»Damit steht unsere Aufgabe fest.«​
Die Priesterin nickte. Es war richtig gewesen, der Eingebung zu folgen. »Sollten wir jemanden als Späher vorschicken?«​
»Also einen besonders vorsichtigen Eindruck haben sie nicht gemacht.«​
»Dann steht es wohl gar nicht erst zur Diskussion, was?«​
Der Echsenmensch und die Elfe besprachen sich kurz. In diesem Moment spürte die Priesterin, wie ihr ein seltsamer Schauer den Rücken herunterlief. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und sie bekam eine Gänsehaut.​
Was ist hier los ... ?​
Ein vollkommen unbekanntes Gefühl, das sie nicht verstand, überkam sie. Es war, als hätte sie etwas vergessen.​
»Was hast du denn?«, fragte der Zwerg und verpasste ihr einen Stoß in die Seite.​
Sie zuckte und antwortete:​
»Ne... Nein. Es ist nichts ... Mir war nur etwas kalt.«​
»Ach ja?«​
Der Schamane strich sich durch den Bart und grinste schelmisch.​
»Keine Angst, wir gehen in Ruhe vor. Du willst doch von Bartschneider gelobt werden, oder?«​
»Da... Das hat mit Goblin Slayer ·«.​
... nichts zu tun.​
Die zweite Hälfte der Antwort der Priesterin wurde vom Wind hinweg getragen und verschwand im Nirgendwo.​
***
Wie ein Hase hüpfte die Elfe über die Felsen. Die Priesterin musste sich unheimlich anstrengen, um ihr folgen zu können. Den Anschluss hatte sie bisher nur deswegen noch nicht verloren, weil die Elfe immer wieder stehen blieb, um auf ihre Kameradin zu warten.​
»Ist es wirklich in Ordnung, dass wir uns so aufteilen?«​
»Ja, wir ziehen schließlich nicht in eine große Schlacht ... «​
Die Priesterin wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.​
»Du hast mich doch schon mal mitgenommen.«​
Die beiden waren gerade dabei, die Gegend zu erkunden. Sie hatten den Echsenmenschen, dessen Bewegungen durch die Kälte eingeschränkt waren, und den Zwerg zurückgelassen. Dem Hasenmensch Jäger hatten sie währenddessen aufgetragen, zusammen mit dem Krieger-Anfänger und der Heiligen in Ausbildung Wache zu halten. Der Hasenmensch hatte ursprünglich die Priesterin begleiten wollen, doch diese hatte abgelehnt, weil es zu gefährlich war und sie lieber mit einer erfahrenen Kundschafterin wie der Elfe gehen wollte.​
»Hm ...«​
Die Elfe warf einen Blick in die Höhle. Die Dunkelheit in ihrem Inneren ließ sie wie den Schlund einer Bestie wirken, aber die Waldläuferin schien sich nicht daran zu stören.​
»Nun ja, wenn das deine Entscheidung ist, soll mir das recht sein. Du wirkst so langsam wirklich wie eine Anführerin.«​
»Hör bitte auf damit ... «​
In diesem Moment drang Gesang an die Ohren der Priesterin.​
»Der Winter. Ja, der Winter.

Unsere Jahreszeit ist gekommen.
Also spielt eure magischen Karten ruhig aus.
Sprecht eure Zauber und erhebt eure Stimme.
Kein Grund, aufs Würfelergebnis zu schauen.
Wissen und Kraft sind unsere Waffen.
Los. Ein Duell. Lasst uns kämpfen.
Die Hexe des Eises hat doch gesagt,
dass der Berg keine Schwächlinge braucht.
Der Sommer der Toten ist vorüber.
Auf dem Berg blüht nun der schwarze Lotos.
Der Winter. Ja, der Winter ist da.
Unsere Jahreszeit ist gekommen!
«​
Die Stimmen wurden von einem primitiven Trommeln begleitet, das sich anhörte, als würde jemand den Instrumenten eine Tracht Prügel verpassen. Die Priesterin begann zu zittern, schob es aber auf die Kälte.​
»Wir gehen.«​
»Äh, ja!«​
Die Elfe betrat die Höhle und die Priesterin folgte ihr.​
Ich würde gerne Licht machen ...,dachte sie sich, aber wusste, dass das nicht ging. Schließlich mussten sie unbemerkt bleiben. Es war stockduster und jeder Schritt der beiden Abenteurerinnen wurde von dem trocknen Knirschen von Kies begleitet. Der einzige Vorteil, den die Priesterin in dieser Situation sah, war, dass sie nicht überprüfen konnte, ob das, was sie für Kies hielt, nicht in Wirklichkeit Knochen waren. In der Luft lag ein seltsamer Gestank. Es waren Gerüche, an die die Priesterin nicht gewöhnt war. Fell, verfaultes Fleisch, Eingeweide und Blut. So etwas musste es sein, aber es roch anders als in einer Goblin Höhle. Aber das war verständlich, schließlich war das hier der Bau von Sasquatchs. Erst jetzt bemerkte die Priesterin, dass die Schellen an ihrem Stab klimperten. Schnell zog sie ihn näher an sich heran. Ihre Hände zitterten.​
»Wie? Ach ...«​
Sie hatte Angst. Eben bei dem Duell gegen den Sasquatch war es noch anders gewesen, aber jetzt befand sie sich im Revier seiner Kameraden. Es war ein Monster-Nest. Das Vertreiben von Goblins jagte ihr natürlich auch Angst ein, aber das hier war ein richtiges Abenteuer.​
»Niemand hat meine Brüder erledigt!«​
Als sie diese Worte vernahm, verspannte sich der Körper der Priesterin noch mehr als zuvor.​
»Pst.«​
Die Elfe hatte einen Zeigefinger erhoben und zog ihre Kameradin in eine noch dunklere Ecke.​
»Hierher.«​
Die Priesterin freute sich über die warme Hand der Waldläuferin.​
»Red keinen Unfug!«, antwortete eine pfeifend hohe Stimme dem ersten Sasquatch.​
Die Gegner waren nicht weit entfernt. Die Ohren der Elfe zuckten, während sie die Priesterin mit sich durch die Schatten zog. Ein größerer Raum, in dem ein Feuer brannte, kam in Sicht.​
»Wenn niemand sie erledigt hat, dann haben sie sich selbst erledigt?«​
Die Stimme stammte von einer Frau mit schneeweißer Haut und schneeweißen Haaren. Die dünnen Tücher, die ihren Leib verhüllten, waren ebenfalls weiß. Genauso wie der Schmuck, den sie trug. Einzig ihre Augen waren rot wie Blut. Das Feuer, das hier brannte, diente weniger als Wärme-, sondern eher als Lichtquelle und ließ die Schatten der Anwesenden tanzen. Der Blick der Priesterin fiel auf eine der Trommeln, mit denen die Sasquatchs musiziert hatten. Sie war aus Metall gefertigt worden und passte nicht in das Bild des Höhlenraums. So etwas hatten die Bestien sicherlich nicht selbst anfertigen können.​
Das muss der Gegenstand sein. Die Priesterin verstand es instinktiv.​
»Jetzt reiß dich am Riemen! Wir haben die Geister des Frühlings eingeschläfert und den Hasen diesen Gegenstand geraubt!«, rief die Frau.​
Die Priesterin fragte sich, was sie damit wohl meinte, aber beschloss, sich besser wieder auf das Zuhören zu konzentrieren.​


»Aber, Schwester ... Stimmt es denn wirklich, was dieser Teufel erzählt hat?«, fragte ein Sasquatch, der an einem Knochen nagte, der weder der eines Hasenmenschen noch der eines Menschen war.​
»Er meinte, dass mit dem Wiedererwachen des Dämonenfürsten die ganze Welt in ein Zeitalter des Winters gestürzt werden würde.«​
»Wer weiß?«, antwortete die weiße Frau und schnaufte.​
»Wahrscheinlich möchte er uns nur für seine Zwecke einspannen, aber ich bin damit einverstanden.«​
»Ähm? Hä?«​
»Wir müssen die Situation zu unseren Gunsten nutzen«, erklärte die weiße Frau mit einem kaltherzigen Lächeln.​
»Ich werde die Hasen fressen, Kraft sammeln und dann auch noch diesen Teufel plattmachen.«​
»Ein toller Plan! Wie von unserer Schwester zu erwarten!«​
»Wenn ihr das begriffen habt, dann spielt wieder auf den Trommeln! Wenn der Frühling kommt, können wir nichts mehr tun!«​
»Jawohl!«​
Damit begann das Trommeln erneut. Das erdrückende Donnern fühlte sich im Körper so an, als ob man in einen Schneesturm eindrang. Zitternd umklammerte die Priesterin ihren Körper, aber in ihr reifte das Gefühl heran, dass sie es schaffen konnten. Sie wusste nicht genau, um was für einen Gegenstand es sich handelte, aber sie müssten doch ähnlich wie damals in der unterirdischen Ruine vorgehen können. Sie konnten Trunkenheit und Stille wirken, um alle einzuschläfern, und auf einen Schlag ... Aber kann es so einfach sein?​
»Hey, Moment mal!«​
Die Stimme der Elfe klang scharf, während sie ihr leise diese Worte zuflüsterte.​
Etwas schien sie zu plagen.​
»Was ist denn? Ich denke gerade über einen Plan ...«, antwortete die Priesterin.​
»Egal, wir gehen zurück!«​
Die Elfe zog die Priesterin grob mit sich.​
»Aua ... Das tut weh ... Was hast du denn so plötzlich?«​
»Hast du es nicht bemerkt?«​
Die Priesterin legte verwirrt den Kopf schief. Hatte sie irgendetwas übersehen?​
»Diese Frau hat keinen Schatten.«​
»Wie ...?«​
Die Priesterin drehte sich noch einmal um, doch die Geräusche der Höhlenbewohner waren nur noch entfernt zu hören. Ein kalter Schauder lief dem Mädchen über den Rücken. Die weiße Frau. Die Hexe des Eises. Das hier war etwas ganz anderes als das Jagen von Goblins.​
»Ich weiß nicht, wer diese Eishexe in Wahrheit ist, aber wir brauchen sicherlich den Pfeil«, meinte der Jäger, nachdem er dem Bericht der beiden Abenteurerinnen gelauscht hatte.​
Mittlerweile waren auch hier die Trommelgeräusche und der Gesang der Sasquatchs zu hören.​
»Und zwar den Pfeil meines Vaters ... «​
»Ist er besonders?«, fragte die Heilige in Ausbildung.​
Der Hasenmensch nickte und antwortete:​
»Ja, einst kam ein Diener des Erhabenen Gottes in unser Dorf und brachte uns diesen Silberpfeil und Medizin.«​
Nach einem kurzen Moment des Schweigens fügte er murmelnd hinzu: »Meine Familie hat über beides gewacht.«​
Die Priesterin biss sich auf die Unterlippe. Alle konnten sich vorstellen, was passiert war. Ein tapferer Jäger der Hasenmenschen war mit der Ausrüstung aufgebrochen, um das Dorf zu retten, doch er hatte versagt.​
Ein Silberpfeil und Medizin ...​
»Ist der Pfeil damit denn verloren?«​
»Nein, das muss nicht sein«, sagte der Echsenmensch, als wäre nicht viel dabei.​
Alle schauten zu ihm.​
»Dass man erst seine eigene Furcht bezwingen muss, macht es schwierig, gegen fürchterliche Dinge zu kämpfen.«​
»Na gut.«​
Der Zwerg strich sich durch den Bart.​
»Was willst du damit sagen?«​
»Dass sie als Eishexe bezeichnet wird, macht klar, dass sie Magie verwenden kann. Wahrscheinlich hat sie von dem Pfeil gewusst und ihn versiegeln lassen, weil er ihr gefährlich werden könnte.«​
»Also gibt es den Pfeil noch?«​
Blitzschnell stellten sich die Ohren des Hasen auf, aber fielen dann wieder herunter.​
»Ach, aber .«​
»Was denn?«​
Der Krieger-Anfänger legte den Kopf schief.​
»Ist noch was?«​
»Der Pfeil allein wird wohl nicht reichen.«​
Der Hasenmensch ließ den Kopf hängen.​
»Mein Vater hatte auch die Medizin dabei ... «​
»Ist es eine spezielle Medizin?«, fragte die Priesterin.​
»Ja.«​
Er breitete seine felligen Arme weit aus.​
»Die Überlieferung sagt, dass Hexenhaar, Lotosblüte und schwarze Perlen miteinander vermischt werden sollten. Oder vielleicht auch nicht ... «​
»Das ist nicht besonders konkret.«​
Die Heilige in Ausbildung stützte ihr Gesicht auf und machte ein betrübtes Gesicht. Die Priesterin schaute· ähnlich drein. Die Hexe, Sasquatchs, die gnadenlosen Berge, der kalte Winter. Es würde nicht einfach werden.​
»Aber es wird gesagt, dass man ohne diese Dinge das Böse nicht vertreiben kann ... «, gab der Hasenmensch murmelnd zurück.​
»Du bist dran, Zwerg!«, rief die Elfe und zeigte auf den Bergbewohner.​
»Also wirklich«, seufzte er und wühlte mit seinen dicken Fingern in der Tasche mit Katalysatoren.​
»Normalerweise habe ich so etwas auch gar nicht dabei, aber ...(​
Er holte ein Fläschchen mit getrockneten Blütenblättern, eins mit schwach schimmernden schwarzen Kugeln und eins mit schwarzen Haaren hervor.​
»Hier, schwarzer Lotos, schwarze Perlen und Hexenhaar. Weil wir nicht mehr wissen, sollten wir einfach mal alles miteinander vermischen.«​
»Sieh an, du hast den Kram also doch dabei.«​
Die Elfe atmete tief aus und tat so, als hätte sie gerade etwas Großartiges geleistet.​
»Ähm ... Stammen die Haare etwa von ihr?«, fragte die Priesterin vorsichtig.​
»Ach, nein, nein.«​
Der Zwerg lachte schallend und wedelte mit der Hand.​
»Ich habe sie von einem Hexenjäger. Die Hexe soll dafür gesorgt haben, dass ein ganzes Dorf krank wurde.«​
»Ganz schön krank, dass du so was dabeihast«, gab die Elfe zurück und lachte.​
»Was bleibt mir anderes übrig? Ich brauch solchen Kram halt! Zumindest verschwende ich mein Geld nicht so unnötig wie du. Es war echt nicht leicht, diesen schwarzen Lotos aufzutreiben.«​
»Wie unhöflich von dir! Ich kaufe mir nur Dinge, die ich wirklich haben möchte!«​
»Ja, und so etwas nennt man Geldverschwendung!«​
Sie glaubte nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt war, um sich zu streiten, aber dennoch beruhigte die Kabbelei sie ein wenig.​
»Wenn wir also noch den Pfeil bekommen, dann könnte es irgendwie klappen?«​
Der Jäger legte seine Hände zusammen und die Priesterin nickte ihm zu.​
»So sieht es aus ... Die Frage ist nur, wo der Pfeil ist.«​
Sie hatten nicht allzu viel Zeit. Am nächsten Tag würden die Sasquatchs wieder in das Dorf der Hasenmenschen gehen, um sie auszurauben. Doch wo sollten sie mit ihrer Suche beginnen? Es war nicht klar, ob die Höhle auf natürliche Weise entstanden oder künstlich angelegt worden war, aber Fakt war, dass sie eine Vielzahl von Abzweigungen besaß und dass es einige Zeit dauern würde, sie komplett abzusuchen. Die Priesterin biss sich auf die Unterlippe. Er hatte ihr beigebracht, dass es immer einen Weg gab. Was habe ich in meiner Tasche?​
»Die Hexe, die Hexe ...«​
Brummend verschränkte der Krieger-Anfänger die Arme, rief dann aber laut auf.​
»Ach! Das ist es! Wir haben doch noch ...!«​
»Was ist? Warum brüllst du plötzlich so?«, meckerte die Heilige in Ausbildung ihn an und verpasste ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen.​
»Autsch!«​
»Nicht so laut! Die Sasquatchs bemerken uns noch!«​
»Ne... Nein, aber erinnerst du dich nicht?«, gab der Junge zurück und rieb sich die Seite.​
»Wir haben doch noch die ... ! Wir haben sie geschenkt bekommen!«​
»Äh ... Ach!«​
Nachdem die Heilige kurz nachgedacht hatte, stürzte sie zu ihrem Gepäck. Laut raschelnd durchwühlte sie ihre Tasche und sorgte so dafür, dass einige Sachen herausfielen, die nichts mit Abenteuern zu tun hatten. Die Priesterin hob einen alten Kamm auf, klopfte den Schnee ab und lächelte. Sie war einst genauso gewesen.​
»Hier!«​
Der Gegenstand, den das Mädchen schließlich herauszog, war eine schon ziemlich abgebrannte Kerze.​
»Eine Kerze der Gegenstandsuche!«​
»Ein magischer Gegenstand?«​
Die Elfe näherte sich und zuckte mit ihrer Nase, als wollte sie den Geruch der Kerze überprüfen.​
»Beeindruckend, dass ihr so etwas habt. Hättet ihr nicht lieber etwas anderes kaufen sollen?«​
»Sie war ein Geschenk«, sagte die Heilige beschämt.​
»Zum Glück haben wir sie nicht aufgebraucht ... «​
»Dann wissen wir, wie wir vorgehen.«​
Der Echsenmensch ließ seinen Blick über die Gruppenmitglieder wandern.​
»Wir dringen ein, besorgen den Pfeil und töten danach alle.«​
»Das wird aber sicherlich nicht so einfach, wie das jetzt klingt«, antwortete die Elfe und kniff die Augen zusammen.​
»Aber wir handeln aufgrund all der Informationen, die uns vorliegen.«​
Der Zwerg schüttete sich einen weiteren Schluck Alkohol in den Hals.​
»Was denkt ihr denn?«​
»Ich bin nicht sonderlich gut mit komplizierten Dingen ... Was ist mit euch?«​
Die Heilige in Ausbildung und der Krieger-Anfänger schauten sich überrascht an.​
»Ich weiß nicht so genau ... Oder?«​
»Wir haben bisher eigentlich nur Ratten in der Kanalisation erledigt ... «​
Wieso fühlen sich Diskussionen in solchen Momenten schier endlos an?, fragte sich die Priesterin. Wenn man nicht sofort zu einer einfachen Entscheidung kam, war das für viele sehr ermüdend, besonders in Momenten, in denen es keine hundertprozentig richtigen Antworten gab. Bisher allerdings waren solche Momente der Gruppe eigentlich erspart geblieben. Der Grund: Goblin Slayer. Er war bei solchen Entscheidungen immer schnell und zögerte nie. Das hatte sie damals schon bei der Schlacht bei der brennenden Bergfestung bemerkt. Egal, wie schwer die Entscheidung war, er traf eine Wahl und handelte. Ihre ersten Kameraden waren damals auch so gewesen, wenn auch weniger erfolgreich. Man konnte Zeit damit verbringen, sich zu beraten, aber so rettete man niemanden.​
Wir müssen es tun.
Die Priesterin festigte den Griff um den Stab und nickte. Eigentlich hatte sie diese Entscheidung doch schon gefällt, als sie Abenteurerin geworden war.​
»Lasst uns eindringen, den Pfeil finden und sie dann erledigen.«​
Sie schaute ihren Kameraden tapfer ins Gesicht.​
»Ich habe einen Plan. Auch wenn ich ihn mir gerade erst überlegt habe ..«​
Der gesamte Inhalt ihrer Tasche waren Mittel, die man einsetzen konnte. Keiner der anderen Abenteurer beschwerte sich.​
»Du redest fast wie Orcbolg. Ich weiß aber nicht, ob das nun gut oder schlecht ist«, sagte die Elfe und kicherte.​
Die Priesterin lief rot an.​
»Tja, Wachstum bleibt Wachstum.«​
»Ich wünsche mir endlich eine Gelegenheit, meinen Körper aufzuwärmen. Ich bin mit dieser Entscheidung also glücklich.«​
Die Abenteurer standen auf. Sie überprüften ihre Ausrüstung und inspizierten sich gegenseitig.​
»Gegengift?«​
»Habe ich!«​
»Heiltrank?«​
»Ich habe Salben und Kräuter!«​
»Licht?«​
»Aus dem Abenteurer-Set habe ich eine Laterne, Öl und eine Fackel! Hast du die Kerze?«​
»Sie heißt Kerze der Gegenstandsuche. Natürlich! Ähm, eine Karte?«​
»Diesmal ohne! Wir haben keine, oder?«​
»Nein. Waffen?«​
»Brustspalter, Schabentöter und Dolch! Alles klar!«​
»Kannst du mit den blöden Namen endlich aufhören?«​
»Warum denn? Das ist doch cool! Lederrüstung und Helm sind in Ordnung! Dreh du dich mal im Kreis.«​
»Ja, ja.«​
Die Heilige in Ausbildung und der Krieger-Anfänger halfen sich gegenseitig bei den Vorbereitungen und die Priesterin erinnerte sich daran, wie sie Goblin Slayer damals ihr Kettenhemd vorgeführt hatte. Auch jetzt trug sie es unter ihrer Kleidung. Es war mittlerweile ein treuer Gefährte für sie. Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte sie geglaubt, es für immer verloren zu haben. Dank ihm fühlte sie sich viel sicherer.​
»Hey, machst du dich über sie lustig?«, fragte die Elfe flüsternd.​
»Nein.«​
Die Priesterin schüttelte den Kopf.​
»Ich hab mich nur kurz an etwas erinnert.«​
»Ach, ja? In Ordnung. Die Zeit scheint mal schneller und mal langsamer zu vergehen, was?«​
Die Priesterin musste zustimmen. Es waren gerade mal zwei Jahre.​
»Seid ihr euch sicher?«, fragte der Hasenmensch zurückhaltend und schnallte sich seine Tasche auf den Rücken.​
»Ist so eine Sache mit dem Dämonenfürsten nicht etwas Großes? Uns Hasenmenschen helft ihr damit, aber ... «​
Sollten die Abenteurer nicht eher zurückkehren und den König in Kenntnis setzen und das Militär holen? Was war schon ein kleines Dorf von Hasenmenschen im Vergleich zu der Zukunft der Menschheit? Als der Jäger es der Priesterin so erklärte, schaute sie überrascht ihre Kameraden an. Die Elfe zuckte mit den Schultern und der Echsenmensch verdrehte amüsiert die Augen. Die Heilige in Ausbildung und der Krieger-Anfänger hielten in ihrem Überprüfen der Ausrüstung inne. Der Zwerg grinste breit.​
»Na los, als erfahrenere Abenteurerin solltest du deinen unerfahrenen Kollegen eine Sache beibringen, Mädel.«​
Die Priesterin blinzelte kurz, räusperte sich und streckte ihre Brust heraus. Dann erklärte sie:​
»Es gibt einen guten Grund für unser Handeln: Wir sind Abenteurer.«​
 

Edward Teach

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Kapitel 78

Mit Ringen in der Tasche


»Deine Gefühle bringen dir überhaupt nichts!«, schmiss ihm der Meister an den Kopf, nachdem sie überraschenderweise den Berg verlassen hatten.​
»Jawohl«, antwortete er brav und nickte.​
Er wusste auch gar nicht, was er anderes hätte sagen sollen. Schließlich brauchte er seine ganze Kraft, um den Anblick, der sich ihm bot, verarbeiten zu können.​
»Kann Zorn die Schneide deiner Klinge schärfen? Kann Trauer deine Körperbewegungen erleichtern? Natürlich nicht. So denken nur Leute, die überzeugt sind, dass sie gewinnen werden, weil sie auf der richtigen Seite stehen.«​
Der Meister spuckte verächtlich aus. Vor ihnen lag ein Meer aus Leichen. Dieser Ort war wohl einst ein Dorf gewesen. Hier und dort konnte man auch die Überreste von Gebäuden sehen. Unter den Körpern der Getöteten befanden sich auch Zwerge, Elfen und Menschen, die Waffen bei sich trugen, aber die meisten waren Dorfbewohner in billiger Kleidung. Sie alle hielten sich ihre Bäuche.​
»Goblins?«​
»Bist du blöd?«, keifte sein Meister zurück und spuckte ihm ins Gesicht.​
»Nur weil Goblins dein Dorf angegriffen haben, zerstören sie nicht die ganze Welt. Hast du denn keine Augen im Kopf?«​
»Doch.«​
»Ach ja?«​
Sein Meister zuckte mit den Schultern, als würde er ihm nicht glauben.​
»Das waren Räuber. Abenteurer wollten sich ihnen stellen, aber sie haben verloren. Trotzdem würde ich sagen, die Leute hier hatten mehr Glück als die aus deinem Dorf.«​
Der Meister hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht und sorgte damit dafür, dass er zu Boden schaute.​
»Vollidiot!«​
Mit voller Wucht warf der Meister dem Jungen einen Haufen Asche auf den Kopf, was ihn zu Boden fallen ließ. Mit dem Gesicht voraus fiel er in die verbrannten Überreste einer Person und atmete Asche ein. Er musste husten.​
»Ich hab dir doch gesagt, dass deine Gefühle dir nichts bringen! Verstehst du?«​
»Ja ...«​
Der Junge riss sich zusammen und stand auf. Er wollte sich den Dreck von den Händen waschen, aber er glaubte nicht, dass ihm dies erlaubt sein würde.​
»Ein totes Baby wandelt den gleichen Pfad. Ein totes Baby zündet im Himmel eine Kerze an. Verstehst du?«​
»Nein.«​
»Du bist wirklich dumm. Es reitet auf dem Rücken eines Schwans und stapelt die Leichen bis hoch in den Himmel.«​
Der Meister grinste niederträchtig und trat mit Wucht eine Leiche zur Seite. Der Junge bemerkte, dass es sich um eine Elfe handelte. Mehrere Pfeile steckten in ihrer Brust und ihre Kleidung war zerrissen. Das Abzeichen um ihren Hals zeugte davon, dass sie einst eine Abenteurerin gewesen war. Ihre weit aufgerissenen Augen wirkten wie trübe Glasmurmeln. Ob es wohl daran lag, dass sie verbrannt waren? Der Junge konnte sich denken, was passiert war. Er hatte es schon häufig angesehen.​
»Was für eine Verschwendung.«​
Sein Meister griff sich die Brust der Elfe und knetete sie. Dann brach er die Pfeile ab und setzte sich auf ihre Brust.​
»In letzter Zeit wird immer alles weggeworfen ... Wie kann man sie noch nutzen?«​
»Als Stuhl?«​
»Was anderes. Auch nicht als Kissen. Etwas Härteres.«​
Der Meister zog aus seiner Brusttasche eine Pfeife hervor und stopfte sie mit einem langen Finger der Elfe. Dann schlug er gegen ihren Finger und entzündete so den Tabak.​
»Fetzen ihrer Kleidung kann man als Tücher verwenden.​
Wenn Ausrüstung übrig ist, kann man sie auch benutzen«, antwortete der Junge.​
»Falls sie übrig wäre. Weiter.«​
»Sie hat lange Haare ... Man könnte aus ihnen Seile flechten.«​
»Mit Haaren kann man gut Leute erdrosseln. Man kann es auch verkaufen. Vor allem Elfenhaar. Den Tipp schenke ich dir.«​
Der Junge nickte. Das Haar der Leiche war wirklich schön.​
»Und was sonst noch?«​
Der Junge dachte nach, während sein Meister fest an der Pfeife zog. Genervt blies er den Rauch in die Luft.​
»Man kann sie essen.«​
Der Meister grinste. Dann breitete er die Arme weit aus und schaute zum Himmel, als würde er verzweifeln.​
»Essen? Dieses erbärmliche Elfen-Mädchen? Du würdest es aufschlitzen und fressen?! Du klingst wie ein Goblin.«​
»Wenn es sonst kein Essen gibt«, versuchte der Junge so ruhig wie möglich zu sagen.​
»Rede weiter«, sagte der Meister und winkte mit der Hand.​
»Das Blut kann man trinken. Wenn man es zuvor durch ein Tuch presst. Aus der Asche könnte man Tinte machen und das Fett könnte man verbrennen.«​
»Und weil es eine Frau ist, kann man mit ihrem Blut und Urin Goblins anlocken«, sagte der Meister und blies dem Jungen einen Ring aus Rauch ins Gesicht.​
Auch wenn er versuchte, es nicht zu tun, musste er dennoch husten und blinzeln. Im nächsten Moment wurde er geschlagen. Er fiel zu Boden und rollte in einen Haufen Leichen, was dafür sorgte, dass er noch heftiger husten musste.​
»Na gut, aber am Ende musst du selbst entscheiden, ob du Dinge nutzt oder nicht.«​
Der Meister stand auf und verpasste dem Jungen einen Tritt. Er fiel wieder in den Leichenhaufen und ihm stieg der widerwärtige Gestank von fauligem Fleisch in Nase, Augen und Mund. Er hatte das Gefühl zu ersticken.​
»Auch wenn Leute sagen, dass etwas nützlich ist, schmeiß es weg, wenn du damit nichts anfangen kannst.«​
Als er sich endlich wieder zusammengerissen hatte, war sein Meister nicht mehr zu sehen. Nur sein dreckiges Lachen lag noch in der Luft. Der Junge schärfte seine Sinne, so gut er konnte. Natürlich konnte er so etwas wie Auren nicht wahrnehmen und musste auf Geräusche und Bewegungen reagieren, um nicht überrascht zu werden.​
»Aber wenn du etwas nicht verwenden kannst, dann liegt es daran, dass du selbst ein Nichtsnutz bist. Verwende alles.«​
»Jawohl.«​
Die Vorstellungskraft eines Kämpfers war seine stärkste Waffe. Die, die keine Vorstellungskraft besaßen, würden sterben. Das hatte er ihm immer wieder gesagt und der Junge war überzeugt, dass sein Meister damit recht hatte. Wenn er mit den Worten nichts anfangen konnte, dann war das nichts weiter als ein Beweis, dass er ein schlechter Schüler war. Er hatte kein Talent. Er war unfähiger Abschaum. Schließlich hatte er damals nichts getan. Er würde sich nur bessern können, wenn er jetzt etwas unternahm.​
»Ich glaube, dass Eure Worte nützlich sind, Meister.«​
Sein Meister antwortete mit einem überraschenden Hieb auf den Kopf des Jungen. Er schüttelte ihn nach links und rechts und nach hinten und vorne. Nichtsdestotrotz hatte der Junge das Gefühl, dass der Meister sich über seine Worte freute, als sein Kopf auf den Boden geschlagen wurde. Einer Sache war sich der Junge sicher: Einmal nichts getan zu haben, war einmal zu viel gewesen.​
***
Die Kuhhirtin wurde von donnernden Trommelschlägen aus ihrem Schlummer geweckt und wunderte sich einen Moment, was wohl los war. Als sie jedoch bemerkte, dass sie auf Goblin Slayer saß und regelrecht auf ihm ritt, kamen ihre Gedanken in Fahrt.​
Für so etwas haben wir jetzt doch keine Zeit!
»Hey, wach auf ... Wach auf!«​
»Mhm ...«​
Goblin Slayer bewegte brummend seinen Kopf. Mehrere Blasen stiegen aus seinem Helm auf und zeigten, dass er gerade irgendetwas murmelte. Er schaute hoch, wo nur der kreisrunde Ausschnitt des Himmels zu sehen war. Dort draußen waren - das musste eigentlich nicht mehr gesondert gesagt werden - Goblins.​
»Ich geh schauen.«​
»Schaffst du das?«, fragte sie und zog an seinem Ärmel.​
»Kein Problem«, sagte er und zog aus seiner Tasche zwei Keile heraus.​
»Ich habe schon höhere Orte erklommen.«​
Der Krieger stieß sich von der Wand ab, um nach oben zu treiben. Als er an der Wasseroberfläche angekommen war, streckte er den Kopf heraus wie der weiße Alligator, den er einst gesehen hatte. Dann machte er sich an das Klettern. Hier musste er allerdings darauf achten, dass er keine Geräusche verursachte, denn sonst wäre alles vorbei. Die zu kletternde Distanz war nichts im Vergleich zu dem Turm, den er kürzlich erklommen hatte.​
»...«​
Oben angekommen öffnete und schloss der Krieger immer wieder die Abdeckung des Brunnens, um rauszuschauen. Ihm bot sich ein grässlicher Anblick.​
»GOBOR...«
»GG... BG!«​
Sichtlich müde rieben sich die Goblins die Augen. Es war vormittags und deshalb konnten sie auch nicht besonders gut sehen, weshalb sie Goblin Slayer sicherlich nicht entdecken würden.​
»Ah ...«​
»Hngh ... «​
Goblin Slayers Blick fiel auf zwei Kriegsbanner. Jedes der beiden bestand aus einer Abenteurerin, die mithilfe von rostigen Nägeln an Holzbalken genagelt worden war. Ihre Kleidung war zerrissen und ihre Sehnen waren durchgeschnitten worden. Und auch wenn sie noch lebten, zitterten sie fürchterlich, keuchten vor sich hin und waren vollkommen blass. Goblin Slayer hatte so etwas schon häufiger gesehen und wusste, was geschah. Neben all den Verletzungen sorgte diese Haltung dafür, dass ihnen ihr eigenes Gewicht zur Last wurde und sie nicht mehr ordentlich atmen konnten. Der Krieger sah, wie die eine Abenteurerin immer wieder ihren Mund auf und zumachte. Goblin Slayer kannte diese Verhaltensart. Sie wiederholte immer wieder den Namen ihres Gottes. Auch der Grund, warum dabei kein Ton über ihre Lippen kam, war ihm klar - ein dazu wichtiges Körperteil fehlte: Doch selbst wenn sie noch hätte sprechen können, hätte es ihr nichts genutzt. Ihre Finger waren so verunstaltet, dass sie niemals heilige Symbole formen konnte. Goblin Slayer stöhnte und murmelte unterbewusst den Namen von jemandem.​
»Abenteurer!«​
Eine Stimme hallte durch die Überreste des Dorfes wie ein Donnerschlag. Sie kam von dem Anführer der Goblins. Er war kein Goblin, aber gegen ein Wesen wie ihn hatte er schon einmal gekämpft. Wie hatte es noch mal geheißen ... ?​
»Wenn du willst, dass diese Frauen überleben, zeig dich!«​
Goblin Slayer musterte das Wesen. Es war mit einem Kriegshammer bewaffnet und sein Körper war größer als der eines Hobs und sogar der eines Champions. Sein Gang war wüst. Die Art, in der es Befehle erteilte, war äußerst aggressiv. Dann musterte er die Goblins. Er musste nicht darüber nachdenken, was die Absichten des Gegners waren. Er musste nur überlegen, wie er mit ihm umgehen würde.​
»Ich werde warten, bis die Sonne ihren Höhepunkt erreicht! Ansonsten werden sie ein Ende finden, das sie ihre Götter verfluchen lässt!«​
Goblin Slayer konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie eine Frau den Kopf hängen ließ und ihr Tränen über die Wangen liefen. Der Anführer der Goblins erkannte dies auch und fletschte grinsend die Zähne.​
»Du wirst den Unmut zu spüren bekommen, den der Tod meines Bruders in mir ausgelöst hat!«​
Goblin Slayer runzelte die Stirn. Sein Bruder? Er dachte nach, aber konnte sich nicht wirklich erinnern.​
»Wir gehen! Kommt mit!«​
Die Bestie trat einen Goblin zur Seite und lief los. Die anderen Goblins folgten ihm. Vermutlich wollten sie Goblin Slayer dazu verlocken, sein Versteck zu verlassen.​
»Na gut«, murmelte Goblin Slayer.​
»Na gut.«​
Er kletterte zurück zur Kuhhirtin.​
»W... Wie sieht es aus?«, fragte diese.​
Sie konnte ihre Verunsicherung nicht verstecken, weshalb der Krieger schlussfolgerte, dass sie das Gebrüll der Bestie gehört haben musste.​
»Geiseln. Ein Exempel. Schilde ... Wir sollten hier aber nicht in direkter Gefahr sein«, erzählte Goblin Slayer und versuchte dabei, seine Worte vorsichtig zu wählen.​
»Die Idee kam wohl nicht von den Goblins, aber ich habe schon mitbekommen, dass sie ähnliche Dinge tun.«​
Die Kuhhirtin zitterte am ganzen Körper. Sie wusste, dass die Goblins, die den Hof angegriffen hatten, menschliche Schilde verwendet hatten. Goblin Slayer überprüfte seine Ausrüstung. Weil sie schon lange im Wasser waren, war sie natürlich komplett durchnässt. Sobald sie den Brunnen verließen, musste er sie so gut wie möglich trocken bekommen, denn sonst könnte sie einfrieren und seine Beweglichkeit verringern.​
Das Gleiche galt natürlich auch für sie, weshalb Goblin Slayer nüchtern sagte:​
»Sobald wir draußen sind, wirst du deinen Körper und deine Kleidung trocknen müssen. Ansonsten kriegst du Forstbeulen.«​
»J... Ja ... «​
Ihre Antwort war leise und ihr Nicken schwach. Ihre Augen bewegten sich unruhig von rechts nach links. Ihr Verhalten sprach Bände - sie hatte Angst.​
»Mach dir keine Sorgen, sagte Goblin Slayer ohne jeglichen Zweifel.​
»Ich werde sie nicht entkommen lassen.«​
Die Kuhhirtin nickte mit einem nervösen Lächeln.​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 79

Die Höhle der Eishexe.


»Na dann! Macht euch langsam bereit!«​
Der Ruf der Hexe des Eises sorgte dafür, dass die Sasquatchs sich träge erhoben.​
»Wenn ihr es erneut nicht schafft, einen der Hasen mitzubringen, dann werde ich keine Gnade mehr zeigen!«​
Weil sie so hungrig war, war sie nicht sonderlich gut gelaunt.​
Die Blicke der Sasquatchs wanderten zu einem ihrer Artgenossen, der die Schuld an der Situation trug. Dieser schien irgendetwas murmeln zu wollen, aber am Ende blieb er still - der erforderliche Mut fehlte ihm offensichtlich. Der Hexe war es nur recht, dass Zwiespalt unter den Sasquatchs herrschte. So würde sich deren Wut nicht auf sie richten. Auch wenn sie auf solch einen Fall vorbereitet war, wollte sie die lästige Aufgabe, alle Sasquatchs töten zu müssen und sich neue Schergen zu suchen, lieber vermeiden. Weil die Sasquatchs auch noch einige Momente später nichts weiter taten, als ihren Artgenossen böse anzustarren, klatschte die Hexe mehrmals in die Hände und rief:​
»Hey, habt ihr etwa schon wieder vergessen, was ich gesagt habe?!«​
»Aber es ist seine Schuld, dass wir ... «​
»Wenn ihr euch nicht beeilt, dann wird die grässliche Sonne schon bald wieder mit voller Kraft auf euch herab scheinen! «​
Nach dieser Ansage kamen die Sasquatchs in Bewegung. Sie würden auch heute wieder das Dorf der Hasenmenschen ausrauben. Es war eine einfache Aufgabe, die sie schon mehrmals erledigt hatten, aber das störte sie nicht. Die schwierigen Aufgaben würden später kommen. Jetzt ging es erst einmal darum, dass sie und die Hexe Kraft sammelten. Solange die Geister des Frühlings schliefen, war die Zeit auf ihrer Seite. Wenn wir erst einmal bei vollen Kräften sind, muss ich mich vor nichts mehr fürchten ..., dachte sich die Hexe. Sie hätte diesen Satz niemals ausgesprochen, doch sie glaubte fest daran, dass er der Wahrheit entsprach. Wenn die Vorbereitungen erst abgeschlossen waren, würde sie mit ihren Untergebenen eine Stadt einnehmen es musste nicht gleich die Hauptstadt sein - und so ihr Überleben für mehrere Hundert Jahre sichern können. Sie war es leid, hier auf dem Berg zu versauern. Auch wenn das Fleisch der Hasenmenschen eine wahre Delikatesse war, verzehrte sie sich danach, mal wieder das Fleisch einer jungen menschlichen Frau zu essen. Die Hexe fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als sie plötzlich etwas roch.​
»Oh?«​
Ihr stieg der Geruch ebenjenes Objektes in die Nase, nachdem es sie gerade noch gelüstet hatte. Schnuppernd schaute sie sich um und erkannte am Eingang des Höhlenraums einen Schatten. Es war ein schlankes Mädchen von kleiner Statur. Sie trug die Kleidung einer Priesterin und hielt einen Stab in der Hand.​
»Eine Abenteurerin?!«​
»Ist das Niemand?!«​
Während die Sasquatchs zu brüllen begannen, riss das Mädchen seinen Stab in die Höhe.​
»Höchst barmherzige Erdmutter! Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht!«​
Ein blendend helles Licht erfüllte den Höhlenraum.​
»Jetzt! Es geht los!«​
»Okay! Ich bin die Speerspitze! Hajah!«​
Die Sasquatchs wankten zurück, als sie von dem Heiligen Licht geblendet wurden. Diese Chance nutzte der Echsenmensch und ging in die Offensive.​
»Zerschneidende Klaue meines Vorfahren Iguanodon Ivana! Vier Glieder! Zwei Beine! Erhebe dich aus dem Boden!«​
Ein Drachenzahnkrieger wurde beschworen und stieß einen lautlosen Schrei aus. Dann machte er sich wie sein Meister daran, sich auf die Sasquatchs zu stürzen. Diese schrien vor Schmerz, als sich die Krallen und Fangzähne der Angreifer in ihr Fleisch bohrten.​
»Aaaah?!«​
»Wa... Ah?!«​
Plötzlich begannen auch Pfeile auf sie herabzuregnen. Ihr Fell und ihre Haut waren zu dick, um einfach von den Geschossen durchbohrt zu werden, aber dennoch verursachten sie unglaubliche Schmerzen. Sie stammten von der Elfe, die beim Abschießen durch den Raum tanzte und dabei auch immer wieder unter den Beinen der Sasquatchs hindurch rutschte.​
»Hey, Zwerg! Du bist zu langsam!«​
»Meine Güte, Langohr! Du hättest ruhig ein wenig warten können!«​
Wenn die Beine der Sasquatchs wie Baumstämme waren, dann brauchte man zum Fällen natürlich eine Axt. Deshalb kam der Zwerg mit trappelnden Schritten herangeeilt und schlug mit voller Kraft zu.​
»Hah!«​
»?!?!?!?!?!«​
Ein eigentümlicher Schrei verließ das Maul eines Sasquatch, der mit einem halb abgetrennten Bein zu Boden fiel.​
»Was treibt ihr Trottel da?!«, rief die Hexe ihren Untergebenen zu. Sie bedeckte ihre Augen. Als Antwort erhielt sie nur weinerliches Gebrüll. Die Abenteurer ließen sich davon nicht ablenken.​
»Bitte tu es jetzt!«​
»Überlass das ruhig mir!«​
Auf Bitten von der Priesterin, die sich in Bewegung gesetzt hatte, sprang die Elfe von einer Wand ab und nahm das Ohr eines Sasquatch ins Visier.​
Der Krieger Lehrling, der zusammen mit der Heiligen in Ausbildung und dem Hasenmensch Jäger der Priesterin folgte, schaute zum Echsenmenschen und sah, wie er mit einem Schlag seines Schwanzes einen Sasquatch zu Fall brachte.​
»Wow. Krass!«​
»Wer hätte gedacht«, sagte die Heilige keuchend, »dass wir die Höhle so einfach stürmen würden ...?«​
»In solchen Momenten ist die einfachste Möglichkeit manchmal die beste«, antwortete die Priesterin etwas verschämt.​
»Erst blendet man Gegner, dann bringt man sie zu Fall . . . So ist es leichter.«​
Die Priesterin drehte sich zu den dreien hinter ihr um. Mit Zweien von ihnen war sie bereits unterwegs gewesen, aber nicht mit dem Jäger. Dennoch war sie sich sicher, dass er keinerlei Erfahrungen mit Abenteuern hatte. Da sie selbst noch keine Veteranin war, missfiel es ihr, die anderen mit sich selbst zu vergleichen, aber es war notwendig, denn so wusste sie, dass sie besonders auf den Hasenmenschen achtgeben musste. Genauso wie Goblin Slayer immer besonders auf sie aufpasste.​
»Wir dringen tiefer in die Höhle ein!«, teilte die Priesterin den dreien mit.​
Der Hasenmensch, der sich etwas sicherer fühlte, wenn er klare Anweisungen erhielt, nickte dankbar.​
»In welche Richtung müssen wir denn genau?«, fragte die Priesterin dann die Heilige in Ausbildung.​
»Ähm ... «​
Die junge Abenteurerin konzentrierte sich auf die Flamme der Kerze in ihren Händen. Zum Glück war sie nicht während der vorigen Kämpfe ausgegangen und würde, obwohl sie schon ein wenig heruntergebrannt war, sicher noch eine Weile leuchten.​
»Dort entlang! In den mittleren der Gänge!«​
Das Mädchen zeigte auf einen der vielen Gänge, die von dem Höhlenraum wegführten. Der Hasenmensch-Jäger wackelte daraufhin nervös mit den Ohren.​
»Aber durch den kommen doch keine Sasquatchs, oder?«​
»Gerade deswegen ist er der richtige!«, rief die Priesterin.​
Sie festigte den Griff um ihren Stab und betrat den Gang.​
»Wir gehen!«​
Die Eishexe wollte sicher nicht, dass ihre Untergebenen den Silberpfeil in die Finger bekamen, deswegen bewahrte sie ihn vermutlich dort auf, wo jene ihn niemals erreichen würden. Glücklicherweise bedeutete das aber auch, dass die Abenteurer jetzt nach dem Pfeil suchen konnten, ohne dabei von Sasquatchs belästigt zu werden. Da war uns das Glück ein wenig hold ... Die Priesterin strich sich heimlich über die Brust.​
»Ich versteh es zwar nicht ganz, aber da vorne, oder? Wir laufen schnell hinein und holen ihn uns!«, rief der Krieger Lehrling motiviert.​
Wahrscheinlich hatte er sich von den Aktionen der Silber-Rang-Abenteurer motivieren lassen. Die Priesterin grinste ihren jungen Kollegen an und sagte:​
»Das ist eine gute Einstellung, aber wir müssen dennoch vorsichtig vorgehen. Bestimmt wird gleich ... «​
Bevor die Priesterin ihren Satz beenden konnte, trug ein Windstoß ein schabendes Geräusch in Richtung der Gruppe.​
»Oh, das klingt gar nicht gut ... «​
Die langen Ohren des Hasenmenschen wackelten und er zitterte am ganzen Körper. Die Priesterin hatte das Geräusch auch vernommen. Zrrrrsch. Es klang, als würde etwas im Sand versinken.​
»Urgh ...«​
»Etwa auch hier?!«​
Der Krieger Lehrling und die Heilige in Ausbildung verzogen ihre Gesichter als wüssten sie, worum es sich hier handelte. Das Geräusch kam schnell näher. Die Priesterin drehte sich um und erkannte dunkle Gestalten.​
»Ihr ... verdammten ... Halunken!«, fluchte die Eishexe den Abenteurern aus der Höhle hinterher und ihre Worte trugen einen frostigen Windhauch den Gang entlang, der die heran schwappende Welle von dunklen Schatten begleitete.​
Es war ein Schwarm von ...​
»Riesenratten?!«, rief die Priesterin entsetzt.​
»Waaah!«, stieß der Krieger Lehrling einen Kampfschrei aus und schlug der Ratte, die ihm am nächsten war, seinen Knüppel ins Gesicht. Sie wurde fortgeschleudert und flog in zwei ihrer Artgenossen, mit denen sie dann an die Wand krachte. Nach ein paar Zuckungen bewegten sich die Biester nicht mehr. Der Krieger sprang heran und schlug sicherheitshalber noch einige Male zu.​
»Wenn ich auch hier für jede Ratte ein Goldstück bekommen würde, wäre ich ein reicher Mann!«​
»Red keinen Unsinn! Die nächsten kommen schon!«​
Die Heilige in Ausbildung schnappte sich ein größeres Stück Eis, wickelte es in ein Tuch ein und warf es dann zischend durch die Luft. Es traf eine Ratte am Kopf, die daraufhin auf den Rücken fiel.​
»Jetzt kriegst du meinen Brustspalter ab!«, schrie der Krieger Anfänger und kam heran gerannt.​
Mit seinem Schwert schnitt er in gerader Linie den Brustkorb der Ratte auf. Er wehrte die heraus spritzende Blutfontäne mit dem Knüppel ab und trat die Tierleiche zur Seite.​
»Hey! Wenn du davon was in den Mund bekommst, kostet uns das nur Geld!«​
»Es ist wichtig, Geld zu sparen, also bedecke lieber deinen Mund!«​
»Ich hab für solche Diskussionen keine Zeit!«​
Wahrend die beiden sich an meckerten, schleuderte die Heilige weitere Steine und der Krieger ließ Knüppel und Schwert durch die Luft sausen. Die Priesterin hatte für einen kurzen Moment verträumt zugesehen, riss sich dann aber schnell wieder am Riemen.​
»Ihr schafft das, oder?«, fragte sie die jungen Abenteurer.​
»Ja, auch wenn ich lieber etwas anderes machen würde!«, antwortete der Krieger Lehrling.​
Die Heilige in Ausbildung ließ währenddessen ihr Waagenschwert auf eine Ratte herab schnellen und fügte hinzu:​
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich alle aufhalten können, aber überlasst sie uns!«​
»Na dann! Kommt her, ihr Biester!«, rief der Krieger und ließ seine Waffen weiter durch die Luft sausen.​
»Übertreib es ja nicht!«, warf die Heilige in Ausbildung ihm darauf an den Kopf.​
Das Verhalten der beiden erinnerte die Priesterin an jemanden, weswegen sie für einen kurzen Moment die Augen schloss.​
»Ich verlass mich auf euch!«​
»Ja!«​
Die Priesterin fing die Kerze auf, die die Heilige ihr zuwarf, und rannte dann gemeinsam mit dem Jäger los. Dabei verpasste sie einer Ratte, die an ihr vorbeilaufen wollte, einen Schlag mit ihrem Stab.​
»Hah!«​
Das Monster schrie auf und rannte weg. Anscheinend besaßen die Ratten nicht so ein Durchhaltevermögen wie Goblins.​
»Deine Gruppe ist wirklich beeindruckend ...«, murmelte der Hasenmensch-Jäger, der neben der Priesterin lief.​
»Ja!«​
Die Priesterin versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren, um nicht aus der Puste zu kommen, und nickte glücklich.​
»Sie alle sind wirklich sehr toll!«​
Die Elfe, der Echsenmensch, der Zwerg, die Heilige und der Krieger. Sie alle waren beeindruckend. Doch wie stand es um sie selbst ... ?​
»Ich habe damit eigentlich auch dich gemeint, Schwester«, sagte der Hasenmensch und legte seinen Kopf schief.​
»Hä?«​
Die Priesterin spürte, wie ihre Wangen rot wurden, und schaute starr nach vorne. In diesem Moment war sie dankbar dafür, dass es hier so dunkel war.​
»Me... Meinst du ... das ernst?«​
»Ja, natürlich.«​
Die Priesterin freute sich, aber sie wusste auch, dass sie ohne die Person, die bei diesem Abenteuer fehlte, niemals da gewesen wäre, wo sie jetzt war. Die Flamme der Kerze loderte immer stärker. Der Pfeil musste ganz in der Nähe sein. Selbst dieses Chaos ließ die Hexe des Eises, wie ihr Name es vermuten ließ, relativ kalt. Während vor ihr ein Schwarm von Riesenratten zerschlagen wurde, tobte hinter ihr das Kampfgeschehen der Sasquatchs. Wie war es zu dieser Lage gekommen? Wer steckte dahinter? Die Antworten waren eindeutig. Es war alles die Schuld des Mädchens, das den Priesterstab herum schwang. Sie war eine Priesterin, die die Gunst der Erdmutter genoss. Sie war sicher Niemand.​
»Du... Argh!«​
»Von links! Es kommt noch eine!«​
»Wie bitte?!«​
Doch nicht nur über die Priesterin ärgerte sich die Hexe, sie ärgerte sich auch über die jungen Abenteurer, die gerade vor ihren Augen mit geübten Bewegungen die Ratten erledigten. Aber es soll mir recht sein, solange sie von den Ratten abgelenkt werden. Die Hexe lachte und zeigte dabei ihren blutroten Rachen. Ihre scharfen Fangzähne glitzerten in dem vom Schnee reflektierten Licht. Dann verwandelte sie sich in eine Wolke, die an Puderschnee erinnerte, und huschte zwischen den Ratten hindurch und an den beiden jungen Kämpfern vorbei. Die beiden zitterten kurz, doch mehr passierte nicht. Wer nicht kämpfte, der würde hier nicht überleben.​
»Oh, hier vielleicht?«, sagte der Hasenmensch und zeigte mit aufgestellten Ohren auf eine Truhe in einer länglichen Vertiefung in der Wand.​
»Kannst du sie öffnen?«, fragte die Priesterin.​
»Weiß nicht«, antwortete der Hasenmensch-Jäger und kratzte sich hinter dem Ohr.​
»Nun ja, ich probiere es mal. Wenn wir die Kiste nicht aufkriegen, ist es ja eh vorbei mit uns, oder?«​
Nachdem er das gesagt hatte, zog der Jäger ein zweigartiges Objekt hervor und steckte es ins Schlüsselloch der Truhe. Er spielte damit herum und nachdem zwei, drei Äste abgebrochen waren, gab es ein Klacken.​
»Oh, es hat geklappt!«​
»Ist die Truhe mit einer Falle versehen?«​
»Hm, mal schauen ... Ich überprüfe lieber noch den Deckel.«​
Die Hexe hatte wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass außer ihr jemals jemand die Truhe öffnen würde, weshalb keine Falle zu erwarten war. Doch Vorsicht war besser als Nachsicht. Mit einem dünnen Messer fuhr der Hasenmensch zwischen Deckel und Korpus der Truhe entlang. Da er auf keinen Draht stieß, war er der Überzeugung, dass es schon okay sein sollte.​
»Ich werde sie dann mal öffnen.«​
»Ja, bitte!«​
Der Hasenmensch hob den Deckel an, der darauf polternd zur Seite fiel und so den Blick auf ein hell glitzerndes Objekt freigab. Es war ein Pfeil aus reinem Silber. Die Priesterin riss erstaunt die Augen auf. Obwohl sie schon auf einigen Abenteuern gewesen war, hatte sie noch keinen Schatz gesehen, der so hell strahlte. Sie erkannte sofort, dass es sich um eine magische Waffe handeln musste.​
»Damit ...«​
»... sollte es klappen, oder?!«​
Die Priesterin streckte vorsichtig eine Hand nach dem Pfeil aus. Auch wenn von ihm eine seltsame Hitze ausging, war er überraschend leicht.​
»Hier, bitte sehr.«​
»Hä?«​
Der Hasenmensch riss erstaunt seine Augen auf, als die Priesterin ihm den Pfeil hinhielt.​
»Ich soll ...?«​
»Ich kann zwar ein wenig mit der Schlinge umgehen, aber ich habe keinerlei Erfahrung mit einem Bogen. Außerdem ist dies doch der Pfeil deines Vaters.«​
Der Jäger schluckte laut und streckte seine flauschigen Hände nach dem Pfeil aus.​
»D... Dann nehme ich ihn an.«​
»Ja, bitte.«​
Der Hasenmensch verstaute den Pfeil sicher in seinem Gürtel und klopfte danach seine Kleidung ab.​
»D... Die Medizin ... Die Medizin ... «​
»Immer langsam, es wäre ärgerlich, wenn du sie fallen lässt.«​
»Ja, natürlich!«​
Jetzt mussten die beiden nur noch zu den anderen zurückkehren. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu und rannten los. Immer wieder sprangen sie dabei über Rattenleichen und schwarze festgefrorene Körper. Wenn sie hier stolpern würden, wäre das wirklich ärgerlich. So näherten sie sich dem Krieger und der Heiligen, welche den Geräuschen nach weiterhin tapfer gegen die Ratten ankämpften.​
»Anscheinend sind sie noch unbeschadet!«​
»Wir kommen noch rechtzeitig zurück!«​
Die Priesterin, die ihren Saum hochgezogen hatte, um schneller laufen zu können, rief mit fröhlicher Stimme: »Wir sind wieder da!« In diesem Moment passierte es: Rauschend wehte ein frostiger Windstoß heran und ließ es ihr kalt den Rücken herunterlaufen.​
***
»Hä?«​
Die Priesterin blinzelte, um den Frost loszuwerden, der in ihren Augenbrauen hing. Neben ihr schien der Jäger etwas zu sagen und in der Ferne riefen der Krieger Lehrling und die Heilige in Ausbildung. Aber das Pfeifen des Windes war so laut, dass die Priesterin sie nicht hören konnte. Sie realisierte, dass sie sich mitten in einem kleinen Schneesturm befand, und wollte sich schützend selbst umarmen, aber irgendetwas stimmte nicht. Sie fasste auf nackte Haut.​
»Wie? Hä?«​
Als sie merkte, dass sie keine Faser Kleidung am Körper trug, machte die Priesterin sich mit verschämtem Gesicht klein. Natürlich war ihr kalt, aber die Verlegenheit dominierte, weshalb ihr Gesicht rot anlief und heiß wurde. Dies hielt jedoch nicht lange an, denn die Windstöße, die sie immer wieder trafen, waren so kalt, dass die Tränen, die ihr vor Schmerz in die Augen stiegen, nahezu unmittelbar einfroren. Sie versuchte, sich mithilfe ihres Stabes wieder aufzurichten, aber die Windstöße ließen ihren Körper unsicher nach links und rechts wanken. Sie war dem Sturm hilflos ausgeliefert und konnte nicht anders, als sich schluchzend ihren Tränen hinzugeben, als sie zuerst einen stechenden Schmerz am Hals verspürte und dann eine Stimme vernahm.​
»Hey!«​
Die Priesterin blinzelte mehrfach und sah sich um.​
»Ah!«​
Das Gesicht des Mädchens erstrahlte wie eine Blume, auf die sich ein nährender Lichtstrahl legte. Sie sah einen Mann in dreckiger Lederrüstung und einem Eisenhelm. Um den Arm war ein kleiner Rundschild gebunden und an der Hüfte hing ein mittellanges Schwert.​
»Goblin Slayer!«, rief die Priesterin.​
Unter Aufbringung all ihrer Kraft stand sie auf und ging los. Obwohl der Wind noch immer in ihren Ohren pfiff, erreichte sie die Stimme des Kriegers.​
»Ach, du bist in Ordnung?«​
Fast schon gleichgültig streckte Goblin Slayer seine Arme aus und strich mit seinen groben Lederhandschuhen über ihre Haut und ihren Kopf. Es fühlte sich so schön an, dass die Priesterin ihre Augen schloss und kurz den stechenden Schmerz an ihrem Hals vergaß.​
»A... Aber wieso?«, wisperte sie und schaute zu seinem Helm hoch.​
Sein Gesicht war wie üblich nicht zu erkennen, aber ihr war, als würde sie seine Augen rot aufflammen sehen. Die Priesterin strich sich die Haare beiseite und berührte ihren Hals. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Als sie dann einmal tief durchatmete, stieg ihr der Geruch von Blut in die Nase.​
»A... Ahm, bist du verletzt?«​
»Nein.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»Aber du wirst später noch ein Wunder wirken müssen.«​
Die Priesterin festigte den Griff um ihren Stab.​
»Und was ist mit den Goblins?«​
»Goblins?« Goblin Slayer schüttelte den Kopf, als hätte er gerade etwas Komisches gehört.​
»Ich habe mir eher Sorgen um dich gemacht.«​
Er legte vorsichtig seine Hand an ihren Hals. Weil sein Handschuh so kalt war, zuckte das Mädchen kurz zusammen.​
»Ich habe eine Bitte. Gib mir den Silberpfeil.«​
»Äh, ja. Ahm, den Silberpfeil? In Ordnung.«​
Die Priesterin nickte. Er nickte zurück. Dies machte sie glücklich. Sie atmete tief ein und rief:​
»Höchst barmherzige Erdmutter! Bitte lege deine Hände auf die Wunden dieser Person!«​
Nachdem der Schneesturm weggeblasen worden war, ertönte ein Schrei, der wie ein heißer Schürhaken in den Ohren brannte.​
»Ah ... Aaaaaaaaaaaaaaaaaah!«​
Die Priesterin war wieder bei Sinnen und erkannte, dass sie sich noch immer in der Höhle befand. Ausdruckslos schaute sie die Eishexe an, die sich vor ihr wand. Eine Illusion. Nein, eine Art von Betörung. Die Fähigkeit, Wesen zu betören, war angeblich eine Spezialität von Vampiren. Das würde auch die Stichwunden an ihrem Hals erklären. Was wäre wohl passiert, wenn sie sich komplett hingegeben hätte? Dem Mädchen kamen nur fürchterliche Ideen. Zum Glück hatte sie sich daran erinnert, was sie im Monsterhandbuch gelesen hatte. Er hatte sich genauso verhalten, wie sie es sich gewünscht hatte. Er hatte sich um sie gesorgt, sie gelobt und sie gestreichelt. Natürlich sorgte er sich sonst auch um sie, aber ...​
»So ist er nun man nicht ... « ... er ist ein hoffnungsloser Fall.
Als ihr der Gedanke kam, musste die Priesterin verlegen lächeln. Sie hatte ihr Wunder gewirkt, weil sie wusste, dass sie bei Goblin Slayer - wenn er es wirklich gewesen wäre - keinen Schaden damit angerichtet hätte, aber dass für ungläubige Charaktere heilige Energie das reinste Gift war. Da wirke ich seit Langem mal wieder Heilen und dann ist es wegen so was ... Der Gedanke plagte die Priesterin ein wenig, aber sie wusste, dass dafür jetzt nicht die Zeit war. Sie ließ sich zur Seite fallen, um die Schussbahn frei zu machen.​
»Hexe des Eises!«, rief der Hasenmensch so laut, dass man kaum glauben konnte, dass die Worte von ihm kamen.​
In seinen Händen hielt er eine kleine Armbrust. In diese war ein Geschoss gespannt, das selbst in dieser Dunkelheit glänzte: der Silberpfeil. Als die Hexe dies erkannte, schrie sie mit voller Kraft:​
»Sei verdammt!«​
»Dies ist der Pfeil des Hasenstammes!«​
Mit einem fast schon schönen Pling flog der Pfeil von der Sehne und pfiff durch die Luft, um nur eine Aufgabe zu erfüllen.​


Das Geschoss drang in den verfluchten Körper der Hexe ein und durchbohrte ihr Herz, während ihr Fleisch zu kochen anfing.​
»...«​
Sie schrie, doch es war nichts zu hören. Das lag nicht daran, dass es sich um einen lautlosen Schrei handelte, sondern daran, dass er so grell war, dass normale Wesen ihn nicht wahrnehmen konnten. Die Hexe des Eises wand sich unter Schmerzen und griff nach dem Pfeil, um ihn herauszuziehen, aber sobald sie ihn berührte, verglühten ihre Finger zu Asche. Sie konnte nichts mehr tun und während sie von Todeskrämpfen gebeutelt wurde, wallte eine unbändige Mordlust in der Eishexe auf. Sie schaute zur Priesterin, die sich gerade Dreck vom Gewand klopfte. Sie allein war schuld an ihrem Elend und sie würde sie dafür töten! Töten! Töten! Da ihre Kehle schon verbrannt war, konnte die Hexe nicht mehr schreien, also musste sie mit ihren Augen Rache üben. Die Gestalt der Priesterin spiegelte sich in den blutunterlaufenen Augen der Hexe wider. Ein Glitzern und dann ...​
»Richtender Herrscher, Fürst der Klinge, Meister des Rechts, entfalte deine alles umfassende Macht!«​
Mit göttlichem Donner wurde das Urteil, um das die mit Rattenblut besudelte Heilige gebeten hatte, vollstreckt. Sie stützte sich gerade auf die Schulter ihres Kindheitsfreundes. Nachdem die beiden jungen Abenteurer alle Ratten besiegt hatten, war ihnen etwas Seltsames aufgefallen. Und sie hatten gehandelt. Sie hatten es für ihre Freunde, die Gerechtigkeit, die Ordnung und die Berge, auf denen die Hasenmenschen wohnten, getan.​
Das Urteil des Erhabenen Gottes kam in Form eines grellen Blitzschlags, der in den Pfeil aus Silber einschlug.​
»..!??!?!?«​
Dieses Mal schaffte die Hexe es noch nicht einmal mehr, einen Schrei von sich zu geben. Unappetitlich zuckend machte sie noch ein paar Schritte und hauchte dann ihr Leben aus. Es blieb nichts weiter übrig als ein wenig Flüssigkeit, die aus ihren Augen herausschoss, knapp die Priesterin verfehlte und sich in die Höhlenwand fraß. Sowohl von der Asche, die sofort von einem Windstoß fortgetragen wurde, als auch von dem Pfeil, der sich in Luft auflöste, blieben keine Spuren zurück. Damit war es vorbei. Ein lauter Knall hallte durch die Höhle und erreichte auch den Höhlenraum, in dem die Veteranenabenteurer gerade kämpften. Hier waren die Sasquatchs noch immer in der Überzahl, aber die Abenteurer schwirrten zwischen ihren Beinen umher und fügten ihnen heftige Schmerzen zu.​
»Zwerg! Es kommt einer auf dich zu!«​
»Ich weiß das doch! Wie hieß das noch? Sie sind so dumm, wie sie lang sind?«​
»Dennoch sind die Riesen eine Spitze der Evolution!«​
Sie durften nicht unachtsam werden, das war den dreien bewusst. Bis die Priesterin mit den anderen nicht ihre Aufgabe erledigt hatte, durften sie hier keinen einzigen Gegner entkommen lassen. Es war ihnen keine Pause vergönnt und so griffen sie unnachgiebig mit Bogen, Axt, Krallen, Reißzähnen und Schwanz an. Den Sasquatchs stachen kleine Pfeile ins Gesicht, ihre Zehen wurden abgetrennt und ihre Unterschenkel zerschnitten. Das war nichts, was man lange aushalten konnte, und deshalb heulten die Monster immer wieder unter Schmerzen auf und trampelten wild herum. Dann aber kam der heftige Knall und übertönte alle Kampfgeräusche in dem Raum. »W... Was war das?«​
»War das gerade ein ehrwürdiger Blitz?«​
Der Knall ähnelte einem Geräusch, das die Sasquatchs sonst nur von den Spitzen der Bergen kannten, also schauten sie sich gegenseitig an und hielten inne. Die Abenteurer nutzten die Chance, um zusammenzukommen und keuchend ein paar Worte auszutauschen.​
»Haben sie es etwa geschafft?«, fragte die Elfe mit zuckenden Ohren.​
»Weißt du das nicht selbst?«, gab der Zwerg zurück und festigte den Griff um seine Axt.​
»Du bist doch eine Elfe, solltest du das nicht mit deinen Ohren herausfinden können?«​
»Bei so einem Tumult kann ich nicht wirklich viel ausmachen ·.«​
»Jedenfalls«, sagte der Echsenmensch vergnügt und verdrehte seine großen Augen, »was auch passiert ist, das Ergebnis ist offensichtlich, oder?«​
Aus dem Gang, in den die jungen Abenteurer hineingerannt waren, erklangen jetzt die Geräusche von Schritten, die in dem ruhigen Höhlenraum gut zu hören waren. Nach kurzer Zeit kamen der Krieger Lehrling, die Heilige in Ausbildung, die Priesterin und der Hasenmensch-Jäger in Sicht. Der Krieger Lehrling hielt den Knüppel und das Schwert in den Händen und war komplett mit schwarzem Blut besudelt, die Heilige in Ausbildung streckte stolz die Brust heraus und trug ihr Waagenschwert, der Hasenmensch blinzelte immer wieder nervös und hielt dabei die Armbrust bereit und an der Spitze lief die Priesterin mit hochgehaltenem Stab und einer kleinen Schnittwunde im Gesicht.​
»W ... Was ist das? Was ist mit der ehrwürdigen Hexe?«​
»Ist das etwa Niemand?«​
»Keine Ahnung ... «​
Die Sasquatchs begannen wild zu tuscheln, aber die Priesterin machte einen Schritt nach vorne und schlug mit einer etwas hölzernen Bewegung den Stab laut auf den Boden.​
»Die Hexe des Eises ... wurde von mir erledigt!«​
Es dauerte einige Momente, bis die Sasquatchs verstanden, was das Mädchen gesagt hatte.​
»U... Uwaaaaah?!«​
»Es ist vorbei! Deswegen habe ich doch gesagt, dass es keine gute Idee ist, den Berg zu verlassen!«​
»Es ist zu spät, um sich zu beschweren!«​
Es begann eine chaotische Flucht. Die Sasquatchs warfen alles von sich und rannten panisch los. Die erfahrenen Abenteurer machten sich bereit, um ihnen nachzusetzen. Die Elfe spannte einen Pfeil in ihren Bogen und der Zwerg holte seine Schlinge hervor, jedoch ...​
»Nein ... Schon gut.«​
. . . wurden sie von der Priesterin aufgehalten. Sie schaute den flüchtenden Sasquatchs hinterher, bevor sie erleichtert aufatmete.​
»Wirklich?«, fragte die Bogenschützin mit schief gelegtem Kopf und lief zu der Priesterin. Sie legte einen ihrer schlanken Finger auf die Wange ihrer Kameradin, die leicht die Augen zukniff.​
»Jetzt sind sie so gut wie weg ... «​
»Ja.«​
Das Mädchen nickte und lächelte etwas verschämt.​
»Es sind schließlich keine Goblins.«​
Als sie das hörte, musste die Waldläuferin erst seufzen und kicherte dann.​
»Stimmt. Es sind wirklich keine Goblins.«​
Damit war der Kampf beendet, die Gefahr durch die Eishexe gebannt und der Winter würde endlich zu Ende gehen. Das Dorf der Hasenmenschen war gerettet. Der Jäger untersuchte den Höhlenraum, als eine laute Stimme erklang.​
»Wir haben den Sieg errungen! Wir können nicht noch mehr verlangen!«​
Sie gehörte dem hünenhaften Echsenmenschen. Seine Zunge zischte mehrmals heraus.​
»Eigentlich muss man die Herzen seiner Opfer essen, aber, kleiner Hasenmensch, du hast bewiesen, dass in dir das starke Blut eines Jägers fließt.«​
»Ja.« Der Hasenmensch nickte. Sein Vater war verstorben, aber er hatte gewonnen und in ihm floss das Blut seines Vaters. Er wusste nichts über den Glauben des Echsenmenschen, aber er begriff dennoch, dass ein ehrwürdiger Gedanke dahintersteckte . Seine Blutlinie hatte am Ende doch gesiegt.​
»Mein Vater war also ein großartiger Kerl?«​
»So sieht's aus«, antwortete der Krieger Lehrling, bevor er Schwert und Knüppel wegwarf und sich erschöpft auf den Boden fallen ließ.​
»Mensch, das ist doch kein Benehmen!«​
Die Heilige in Ausbildung verpasste ihm mit der Unterseite des Waagenschwerts einen Stoß, aber dann ließ sie sich auch auf den Boden plumpsen.​
»Ich habe schrecklichen Kohldampf!«, sagte der Hasenmensch und gesellte sich zu den jungen Abenteurern.​
»Ich habe nur ein wenig getrocknetes Gemüse dabei, aber wollt ihr etwas abhaben?«​
»Natürlich!«​
»Ja, ich auch!«​
Die drei schienen bereits wieder vollkommen entspannt zu sein und nachdem sie etwas Wasser aus dem Wasserbeutel getrunken hatten, machten sie sich über das getrocknete Essen her. Eigentlich hätten sie weiterhin vorsichtig sein müssen, aber ... Der Echsenmensch betrachtete sie und kniff glücklich die Augen zusammen. Dann wandte er sich der Priesterin zu und fragte:​
»Wie war es, so eine Schlacht zu leiten?«​
Das Mädchen kratzte sich etwas verschämt an der Wange und antwortete: »Nun ja ... Ich habe nichts Großes geleistet ... Am Ende habe ich es euch zu verdanken ...«​
»Aber«, rief die Heilige in Ausbildung, während sie an einer Karotte nagte, »dieses Heilen war beeindruckend!«​
»Wie? Du hast Heilen eingesetzt?!«​
Die Augen der Elfe strahlten. »Das ist aber selten!«​
Mit aufgestellten Ohren lehnte die Waldläuferin sich nach vorne und kam der Priesterin damit äußerst nah. Der war das etwas unangenehm.​
»Ahm ... Nur widerwillig ... «​
Es war nicht klar, was sie mit »widerwillig« meinte, aber der Echsenmensch ignorierte dieses Wort und legte seine Hände mysteriös zusammen.​
Dann fragte er:​
»Wie sieht es aus, werter Magiewirker? Was ist mit dieser Kriegstrommel?«​
»Hm? Nun ja. Wie soll ich es sagen ... ?«​
Der Zwerg untersuchte die wertvolle Trommel, die die Sasquatchs zurückgelassen hatten.​
»Sie ist nicht übel, aber vielleicht ist sie jetzt etwas zu sehr mit Blut besudelt.«​
Wahrscheinlich war sie einst bei Festen gespielt worden, aber nun stand dieses festliche Instrument inmitten von Sasquatch Abfall. Es war durch magische Kräfte und Gedanken beeinflussbar und war extrem lange benutzt worden, um den Winter aufrechtzuerhalten. Daher würde es erst dann wieder möglich sein, auf ihr zu spielen, ohne dabei jemanden zu verzaubern, wenn der gesamte Groll aus ihr gewichen war.​
»Wahrscheinlich sollte die Trommel im Dorf aufbewahrt werden, bis sie wieder rein ist.«​
»Ja, hier ist es sicher nicht so wie in meiner Heimat.«​
Der Echsenmensch schaute sich mit mysteriöser Miene die Trommel an. Er musste an das erhabene Trommeln denken, das in seiner Heimat bei Kämpfen erschallte und Gegnern und Freunden einen ehrenvollen Tod wünschen sollte. Hier sollten Kämpfe aber wohl besser vermieden werden. Der Echsenmensch verdrehte die Augen.,​
»Dann bringen wir die Trommel noch in das Dorf und dann ist die Aufgabe erledigt.«​
»Es wäre schön, wenn es so wäre ...«, murmelte der Zwerg und strich sich unzufrieden durch den Bart.​
»Stört dich noch was?«​
»Vielleicht liegt es daran, dass Bartschneider nicht dabei ist«, gab der Schamane zurück, »aber irgendwie endet mir das alles viel zu ruhig.«​
»Das ist wahrlich ein großes Problem.«​
Der Echsenmensch verdrehte amüsiert die Augen.​
»Das kannst du laut sagen!«​
»Wenn wir die Trommel ins Dorfbringen und sie dort gesegnet wird, wirst du dich bestimmt besser fühlen.«​
»Das denke ich auch.«​
Während sie den beiden zuhörte, stieg in der Priesterin leichtes Unbehagen auf und sie berührte ihren Hals. Als die Gruppe die Höhle verließ, hatte die Kälte des Winters schon stark nachgelassen. Sie wurden von dem hellen Licht der Sonne begrüßt, das vom Schnee reflektiert wurde. Der Priesterin entwich ein ungewolltes „Wow“, weshalb der Jäger kichern musste.​
»Wenn man direkt hineinschaut, kann man seine Augen schädigen. Zumindest falls man keine Verdunklung hat.«​
Der Hasenmensch holte ein kleines Stück Holz mit dünnen Schlitzen hervor und befestigte es mit einem Band vor seinen Augen. Es sah ein wenig wie eine Brille aus. Die Elfe schaute ihn neidisch an. Sie blinzelte mehrfach, als hätte sie den Fehler gemacht und ins Licht geschaut, und verpasste dem großen Körper des Echsenmenschen einen kleinen Stoß.​
»Es ist zwar etwas grell, aber da die Kälte nachlässt, ist es schon angenehmer, oder?«​
»Tja, ich habe mich ordentlich bewegt, von daher kocht mein Blut noch.«​
Der Echsenmensch nickte, bevor er seinen Körper schüttelte.​
»Aber nur mit Schuppen könnte mir schnell wieder kalt werden. Ich hätte gern noch einen Federmantel.«​
»Hör auf, Schuppiger! Ich will mir nicht vorstellen, wie du mit Fell aussehen würdest«, scherzte der Zwerg und gönnte sich einen Schluck von seinem Branntwein, bevor er das Gefäß an die Elfe weiterreichen wollte.​
»Lass das! Ich will davon nichts!«, keifte diese sofort.​
»Meine Güte. Du hast echt die Zunge eines Kleinkinds. Will einer von euch Jünglingen einen Schluck?«​
Der Krieger Lehrling und die Heilige in Ausbildung schauten sich überrascht an. Ihnen stand die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben.​
»Na gut...«​
»Ich nehme einen.«​
Die beiden probierten zögerlich jeweils einen Schluck und ließen anschließend hechelnd ihre Zungen aus dem Mund hängen. Allerdings wärmten sich direkt darauf ihre Körper angenehm auf.​
»Vielen Dank«, sagten sie und gaben dem Zwerg die Flasche zurück.​
Der Schamane grinste die Elfe anschließend schelmisch an.​
»Was denn?«​
»Ach nichts, ich dachte mir nur, dass du wohl die Kindischste hier bist.«​
»Wenn du Streit haben willst, dann kannst du ihn haben, du Fass!«​
Wütend stellten sich die Ohren der Elfe auf, aber der Zwerg ließ ihre Provokation einfach mit einem Lächeln an sich abprallen, was die Elfe nur noch mehr erzürnte. Die Priesterin musste angesichts dieses für die beiden typischen Verhaltens grinsen. Jetzt galt es nur noch, die Trommeln in das Dorf der Hasenmenschen zu bringen, und dann war das Abenteuer beendet. Sie waren ins verschneite Gebirge gekommen, hatten gegen Sasquatchs gekämpft, sich in die Höhle der Eishexe geschlichen, den Silberpfeil gefunden und die Hexe vernichtet. Damit sollten sie die vom Erhabenen Gott erhaltene Aufgabe erfüllt haben. Jetzt mussten sie nur noch heimkehren. Dieser Teil gehörte auch zu einem Abenteuer. Aber warum verspüre ich dann so ein Kribbeln? Die Priesterin fuhr sich leicht über den Hals. Sie mussten zurück ins Dorf und Bericht erstatten. Schließlich hatten sie die Sasquatchs entkommen lassen. Sie verspürte den Drang, den Berg so schnell wie möglich zu verlassen.​
»Lasst uns gehen.«​
Auf diesen Vorschlag hin nickten die Abenteurer und es ging los. Weil die Winterluft verflogen war, zeigten sich auch keinerlei Winterlebewesen mehr. Die Elfe und der Jäger lauschten zwar fleißig, aber anscheinend gab es keinen Grund zur Vorsicht. Langsam breitete sich Entspannung unter den Gruppenmitgliedern aus. Sie unterhielten sich fröhlich, bestaunten die Landschaft und freuten sich über den weißen Schnee und den blauen Himmel. Zwischen zwei Bergkämmen hatte sich eine Menge Schnee gesammelt, der eine Art See bildete, in den sie am liebsten hineingesprungen wären. Natürlich wäre dies nicht sonderlich ratsam gewesen, aber dennoch war der Anblick so eindrucksvoll, dass man diesen Wunsch bekam. Die Berge waren kein Gebiet für normale Personen, aber auch kein Lebensort für schreckliche Wesen wie die Hexe des Eises. Sie waren ein wilder Ort, an dem die Götter ruhten, und genau deswegen hatte der Erhabene Gott sich an die Heilige in Ausbildung gewandt - damit sie für ihn das Böse auf diesem Berg auslöschte.​
»Habe ich ... es geschafft?«, murmelte die Heilige.​
Die Priesterin drehte sich zu ihr um und öffnete den Mund, als wollte sie etwas zu ihr sagen, doch schloss ihn dann wieder, denn der Krieger Lehrling stand bereits bei ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr.​
»Es wird sicher in Ordnung sein.«​
Die Priesterin drehte sich wieder um, festigte den Griff um ihren Stab und ging mit lockeren Schritten weiter. Ein Abstieg war viel einfacher als ein Aufstieg, konnte aber dennoch anstrengend sein. Trotz ihrer erfolgsbedingten Entspanntheit waren die Abenteurer erschöpft und mussten zwischendurch immer wieder Pausen einlegen. Während einer Wandereinheit blieb die Priesterin plötzlich stehen.​
»...«​
»Ist irgendetwas?«, fragte der Echsenmensch und reckte seinen langen Hals.​
»Nein«, antwortete sie und starrte auf einen bestimmten Punkt.​
»Was? Was hast du?«, hakte die neugierig herangeeilte Elfe nach und schaute in die gleiche Richtung wie ihre Kameradin.​
Tief unten am Bergsaum erspähte sie die Überreste einer seit Langem verlassenen Siedlung. Die Elfe streckte ihren Hals und riss im nächsten Moment die Augen auf.​
»Oh! Seht, dort! Rauch!«​
»Wird dort gekämpft?«​
»Wahrscheinlich«, antwortete der Echsenmensch auf die grimmige Frage des Zwerges.​
»Der Geruch von Blut und der Gestank einer Schlacht. Nun gut. Die Frage ist aber, wer dort kämpft.« »Aber das sind doch die Überreste eines Dorfes, oder? Wer würde sie denn anzünden?«​
Es konnten Bergräuber oder ähnliche ungläubige Gestalten gewesen sein. Niemand hätte den Abenteurern Vorwürfe gemacht, wenn sie das Feuer ignoriert hätten - schließlich war es nicht Teil ihrer Aufgabe. Aber die Priesterin konnte das nicht. Sie spürte erneut, wie es ihr kalt den Rücken herunterlief.​
»Etwa ... Goblins?«​
Diese Idee fühlte sich für das Mädchen fast wie eine Eingebung an. Der Krieger Lehrling und die Heilige in Ausbildung warfen sich einen Blick zu, während der Hasenmensch-Jäger verwirrt den Kopf schief legte.​
»Ach, Mann ... Ich hatte schon so ein Gefühl ... «​
Die Elfe schirmte mit einer Hand ihre Augen ab und schaute in den Himmel. Seitdem sie mit diesem Mann unterwegs war, passierte so etwas ständig. Die Wege des Himmels waren unfair.​
»Das ist jetzt nicht der richtige Moment für Beschwerden. Wir müssen überlegen, wie wir es angehen«, rief der Zwerg und klopfte der Elfe auf den Hintern.​
Diese heulte überrascht auf und entgegnete:​
»D... Das weiß ich doch selbst!«​
»Wir haben die Wahl: Wir können hingehen oder heimkehren«, erklärte der Echsenmensch der schmollenden Elfe gewichtig.​
Dann schaute er zur Priesterin und verdrehte glücklich die Augen.​
»Was möchtest du machen?«​
»Wir gehen hin«, antwortete diese sofort. Sie biss sich kurz auf die Unterlippe und fragte dann:​
»Was denkst du?«​
»Nun ja.«​
Der Echsenmensch fletschte die Zähne und lachte.​
Sie hatte ihn gefragt, wie es sonst Goblin Slayer tat, und das, obwohl sie für ihn noch immer ein Küken mit ein wenig Schale am Körper war.​
»Wenn die Gegner kleine Teufel sind, dann werden wir die Trommel wohl nicht mitnehmen müssen. Die Frage ist allerdings, wie lange wir für den Marsch brauchen.«​
»Stimmt ...«​
Die Gruppe hatte nun zwei Aufgaben: Zum einen musste die Trommel ins Dorf gebracht und Bericht erstattet werden. Zum anderen mussten sie sich die Lage im Dorf anschauen. Wie sollten sie vorgehen? Goblin Slayer hatte der Priesterin gesagt, dass es immer einen Weg gab, und deshalb würde es jetzt auch nicht anders sein.​
»Ihr habt noch Zauber übrig, oder?«​
»Sicher«, sagte der Zwerg stolz und klopfte auf seinen Bauch. »Ich hab noch ein paar.«​
»Na dann...«​
Was sollten sie machen? Sie dachte über Gepäck, Ausrüstung, Zauber und die generelle Verfassung der Gruppe nach ...​
»U... Und was sollen wir dann machen?«, fragte der Krieger Lehrling und unterbrach damit die Gedanken der Priesterin.​
Der junge Mann konnte seine Erschöpfung kaum verstecken, aber mit funkelnden Augen beteuerte er, dass er noch weitermachen könnte.​
»Ihr beeilt euch bitte und geht zum Dorf«, antwortete die Priesterin ohne Umschweife. Sie und die anderen würden sich um die Goblins kümmern.​
Der Krieger Lehrling hatte das Gefühl, dass sie Rücksicht auf ihn nahm, und entgegnete deshalb:​
»I... Ich kann noch weitermachen. Ich kann locker noch!«​
»»Ich kann noch weitermachen ist gleichzusetzen mit Es ist schon gefährlich«, gab die Priesterin zurück und dachte an etwas, das Goblin Slayer ihr gesagt hatte.​
»Wenn man es nur übertreiben muss, um zu siegen, dann könnte man immer siegen.«​
Sie war aufgeregt. Ihre Gedanken kreisten. Ihre Stimme überschlug sich. Sie atmete tief die kalte Bergluft ein.​
»Erinnert ihr euch an den Vorfall beim Trainingsplatz? Es wäre ein Problem, wenn das Dorf der Hasenmenschen angegriffen würde ... «​
»Dann sollen wir also Bericht erstatten?«, fragte der Hasenmensch Jäger aufgeregt.​
»Verlasst euch auf uns. Wir werden auch die Trommel überbringen.«​
»Ich bitte euch«, sagte die Priesterin mit einer Verbeugung.​
»Dann ist es entschieden.«​
Die Heilige in Ausbildung atmete tief aus.​
»Kommt. Wir müssen weiter. Die Zeit ist knapp.«​
»Aber«, rief der Krieger, »weder beim Bauernhof noch beim Trainingsplatz konnte ich wirklich mitkämpfen.«​
»Ha ha ha, wenn dich das so kränkt, dann solltest du erst mal lernen, wie man weitere Strecken laufen kann«, sagte der Echsenmensch mit selbstgefälliger Miene und schlug dem Jungen kräftig auf den Rücken.​
»Autsch!«, schrie dieser auf.​
»Für einen Fußsoldaten gibt es nichts Wichtigeres, als lange marschieren zu können. Nicht wahr, werter Magiewirker?«​
»Genau. Die Soldaten der Zwerge können von morgens bis abends kämpfen, ohne schlappzumachen.«​
»Solange sie keinen Hunger kriegen.«​
Obwohl die Elfe ihn gerade hatte ärgern wollen, streckte der Zwerg stolz die Brust raus.​
»Genau. Solange wir Alkohol und Essen haben, können wir tagelang kämpfen. Darauf sind wir Zwerge stolz.«​
Die Elfe tat, als würde sie die Aussage des Zwergs verstehen, und grinste gelassen.​
»Nun ja, damit hätten wir die Aufgaben verteilt. überlasst uns das hier.«​
Der Krieger Lehrling nickte widerwillig. Es war klar, dass es noch einen Drahtzieher gab und dass das hier nicht das Ende sein würde. Außerdem wäre niemandem geholfen, wenn sie hier erschöpft umfielen.​
»Ja, okay ... Ich verstehe. Wir gehen zurück, erstatten Bericht, warten und kehren dann alle gemeinsam heim.«​
»Genau. Du bist ein braver Junge«, gab die Elfe mit einem Kichern zurück und zwinkerte anmutig.​
Der Junge wurde kurz rot im Gesicht, weshalb die Heilige in Ausbildung ihm einen Ellenbogenstoß in die Seite verpasste.​
»Argh!«​
Der Junge schrie auf, doch die Heilige ignorierte das, verbeugte sich und sagte:​
»Dann bis später!«​
Die Priesterin konnte nicht umher, die in diesen Worten versteckten Gefühle zu bemerken. Sie nickte und wedelte leicht mit dem Priesterstab.​
»Ja. Bis später.«​
Der Hasenmensch, der Krieger Lehrling und die Heilige in Ausbildung nickten sich zu, hoben die Trommel hoch und gingen los. Da sie mit sicherem Schritt davonzogen, machten sich die anderen Abenteurer keine Sorgen um sie.​
»Dann bleibt nur noch das andere Problem, oder?«, fragte die Priesterin.​
Der Rauch, der von den Resten des Dorfs aufstieg, war stärker geworden. Hatte jemand ein Feuer gelegt? Es handelte sich sicher um eine dringende Angelegenheit. Und was, wenn er dort war?​
»...«​
Die Priesterin ballte ihre Hände zu Fäusten und legte sie auf ihre schmale Brust.​
»Aber was machen wir nun? Das Dorf ist weit weg, oder?«, fragte die Elfe, während sie eine neue Sehne auf den Bogen spannte.​
»Wenn wir in Ruhe den Berg hinabsteigen, schaffen wir es nicht rechtzeitig, oder?«​
Der Zwerg verzog nachdenklich sein Gesicht und trank einen Schluck Schnaps. »Dann kommen wir an, wenn die Kämpfe schon vorbei sind.«​
»Hast du eine Idee, werte Priesterin?«, fragte der Echsenmensch.​
Das Mädchen nickte mit einem verlegenen Lächeln und atmete tief durch. Es war alles gut. Er würde es sicher auch so machen. Sie hatte in ihre Entscheidung die verbliebene Anzahl von Wundern und Zauber, den Zustand der Ausrüstung und die Verfassung der Gruppe mit einbezogen. Sie sollte eigentlich an alles gedacht haben und selbst wenn ihr später noch eine bessere Idee einfallen würde, würde das an der jetzigen Situation nichts ändern.​
»Ich habe einen Plan.«​


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