[Biete] Goblin Slayer Lightnovel [Deutsch][Kapitel 128/128][Update 01.03.23][PDF: Gesamtausgabe v_0.11.140 ]

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 80

Der Goblintöter springt in den Strudel.

Der Goblin begab sich, ohne einen wirklichen Grund dafür zu haben, zum Brunnen. Er war zwar ein wenig durstig, aber vor allem hatte er diesen angeberischen Oger satt. Nur weil er stärker war, glaubte er, dass er ihnen mit Kinnbewegungen Befehle erteilen und sie alle Arbeiten erledigen lassen konnte. Der kleine Teufel hatte die Schnauze voll von all der Schufterei und weil die anderen immer noch mit voller Kraft arbeiteten, konnte er sich doch ruhig ein wenig ausruhen. Schließlich legte sich jeder mal auf die faule Haut und nun war eben er dran. Als der Goblin am Seil zog und es sich seltsam schwer anfühlte, hielt er es zuerst für einen weiteren Fluch der Götter, doch ... ??!​
Ein Arm schoss aus dem Brunnen hervor und legte sich um seinen Hals. Mit einem Knack brach sein Genick und bevor er wusste, wie ihm geschah, fiel er in den Brunnen und versank im Wasser.​
»Wah?!«, rief die Kuhhirtin überrascht, als die Goblin Leiche an ihr vorbeirauschte, doch Goblin Slayer ließ sich davon nicht beirren.​
Er kletterte klatschnass aus dem Brunnen und sah sich um.​
Dann sagte er:​
»Die Luft ist rein. Komm raus.«​
Die junge Frau nickte ängstlich und umfasste fest das Seil. In der Brunnenwand befanden sich zwei Keile, doch weil sie rutschig waren, verspannte sich ihr Körper und sie kam nur langsam voran. Kurz bevor sie oben ankam, verließ sie die Kraft. Goblin Slayer griff fest zu und zog sie hoch.​
»D... Danke.«​
»Ja.«​
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging der Krieger in die Knie und setzte sich in Bewegung. Auch wenn er nichts gesagt hatte, wusste die Kuhhirtin, dass sie ihm folgen sollte. Das war ihr nur recht. Sie wollte gerade wirklich nicht von ihm getrennt sein. Aus der nicht allzu weit entfernten Dorfmitte konnte man Gebrüll hören. Es war offensichtlich, dass dieses Monster den Goblins Befehle erteilte, es blieb also nicht viel Zeit. Weil Goblin Slayer sich von dem Lärm entfernte, verfiel die Kuhhirtin kurz der Hoffnung, dass sie vielleicht einfach fliehen könnten, doch kurz darauf schüttelte sie den Kopf. Goblin Slayer würde Goblins niemals mit dem Leben davonkommen lassen.​
»Der See?«​
»Genau.«​
Kurze Zeit später erreichten die beiden den zugefrorenen See. Er kniete sich hin, zog ein Messer heraus und stach damit immer wieder auf die vereiste Oberfläche ein. Die Kuhhirtin wusste nicht, was sie tun sollte, und ließ sich deshalb neben ihm auf den Hintern plumpsen. Auch wenn sie sich wegen des Rings nicht durchgefroren fühlte, zitterte sie schrecklich.​
Stimmt. Ich muss dafür sorgen, dass ich trocken werde.
Sie erinnerte sich an Goblin Slayers Ansage. Sie musste verhindern, dass es zu Erfrierungen kam. Dennoch war sie zu verschämt, um sich an Ort und Stelle auszuziehen, weshalb sie die Kleidung auswrang, so gut sie konnte. Klatschend tropfte das Wasser zu Boden, doch es half nicht viel, denn die Sachen klebten noch immer unangenehm an ihrem Körper und ihre nassen Haare fühlten sich furchtbar schwer an.​
»Bist du in Ordnung?«​
»Weshalb?«​
»Musst du dich nicht abtrocknen?«​
»Ah ...«, brummte er nachdenklich und schüttelte den Kopf. »Mir wird schon warm werden. Deshalb bin ich okay. Zumindest fürs Erste.«​
»Ach ja?«​
Wie so häufig verstand sie nicht, was er sagen wollte. Die Kuhhirtin umklammerte ihre Knie und wackelte ein wenig mit ihrem Körper, um die Kälte abzuschütteln. Nein ... Das war es nicht. Viel eher bewegte sie sich so, um gegen ihre Furcht anzukämpfen. Sie spürte dabei die Wärme ihres eigenen Körpers, aber die reichte nicht aus, um sie zu beruhigen.​
»Sag mal ...«, sprach sie schließlich zögerlich Goblin Slayer an.​
»Was denn?«, antwortete er mit tiefer Stimme.​
Die Kuhhirtin überlegte kurz, ob sie ihm wirklich die Frage stellen sollte, die ihr auf der Seele brannte. Sie vergrub ihre Stirn zwischen den Knien.​
»Dieses Monster ... meinte, dass du seinen Bruder ... getötet​
hättest.«​
»Ja.«​
»Stimmt das?«​
»Ich erinnere mich nicht.«​
»Dann gilt der Groll ... vielleicht gar nicht dir? Ist es nur ein Missverständnis?«​
In der Aussage der Kuhhirtin schwang ein wenig Hoffnung mit, doch der Krieger zerschmetterte diese sofort.​
»Er und die Goblins werden sich auch nicht daran erinnern, wen sie alles getötet haben, und mir ist es genauso egal, was und wen ich schon erledigt habe.«​
»Ach so«, murmelte die junge Frau.​
»Du hast wohl recht.« Nachdem er ein Stück aus der Eisdecke des Sees herausgeschlagen hatte, brachte der Krieger es mit dem Messer in Form und warf es dann der Kuhhirtin zu.​
»Ah!«​
Sie quietschte kurz, doch Goblin Slayer warf lediglich unbeeindruckt einen halbwegs trockenen Lumpen hinterher. »Polier es.«​
»Da... Das?«​
»Ich werde noch mehrere herstellen.«​
»J... Ja. Verstanden ... «​
Die Kuhhirtin wollte fragen, was mit den Objekten passieren sollte, doch sie schluckte ihre Frage herunter und machte sich an die Arbeit. Ihr Kindheitsfreund schlug weiter Stücke aus dem Eis. So verging einige Zeit und als die Kuhhirtin sich fragte, wie viele der Eisobjekte sie wohl schon poliert hatte, hob der Krieger schließlich seinen Kopf.​
»Der Schneesturm hat sich gelegt.«​
»Ja, stimmt ...«​
Die Kuhhirtin blinzelte und schaute hoch zum Himmel. Hinter den weißen Wolken, die den Himmel verhüllten, konnte man tatsächlich die Sonne schimmern sehen.​
»Auf die Würfel der Götter kann man sich nicht verlassen, aber dies ist eine Chance«, sagte Goblin Slayer und hob die von ihr polierten Eisstücke auf. »Ich gehe. Verlass du das Dorf.«​
»Was?«​
Die Kuhhirtin blinzelte und der Frost, der sich auf ihrem Gesicht gebildet hatte, knisterte.​
»Ich werde für Aufruhr sorgen. Sie alle werden ihre Aufmerksamkeit nur auf mich richten. In einem normalen Nest würden ein paar von ihnen fliehen, aber hier ...« Er murmelte etwas über die Beschaffenheit des Dorfes, bevor er nüchtern fortfuhr: »... wird das Monster nicht zulassen, dass sie es tun. Du musst dir also keine Sorgen machen.«​
Sie hatte schon geahnt, dass es so kommen würde. Sie sollte flüchten, er würde kämpfen und sie alle töten - wie immer.​
»Ja ...«, antwortete die Kuhhirtin.​
»Ich gehe heim und kümmere mich um eine warme Mahlzeit.«​
»Ja«, antwortete er und ging zurück in Richtung Dorf.​
Seltsamerweise waren seine Schritte nicht im Schnee zu hören. Die Kuhhirtin schaute ihm nach und wusste nicht, was sie sagen sollte. Was würde sie ihm mitgeben können, ohne ihn damit zu belasten? Viel Erfolg vielleicht?​
»Du wirst doch heimkommen, oder?«, fragte sie schließlich in einem Tonfall, der kaum gegen den Wind ankam.​
Der Krieger ging jedoch wortlos weiter. Wahrscheinlich hatte er sie nicht gehört und daran konnte sie jetzt nichts mehr ändern. Die Kuhhirtin rieb sich kurz die Augen, nickte und drehte sich um. Sie musste fliehen. Sie musste irgendein Dorf erreichen und um Hilfe bitten. Sie wollte sich gerade aufmachen, als sie eine Stimme erreichte.​
»Ich habe nicht vor, zu verlieren.«​
Die Stimme war nur schwer zu hören, doch es waren seine Worte. Goblin Slayers Worte. Die Lage war wie immer, er war wie immer.​
Meine Güte ... Er hat echt keine Ahnung, wie ich mich fühle.
Die Kuhhirtin seufzte, aber ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Sie lief los. Nachdem er mit seinen Leuten auf dem Dorfplatz Stellung bezogen hatte, wurde die Laune des Ogers mit jeder Sekunde schlechter.​
»GOROGB!«
»GGOBOGGGR!!«​
Das kreischende Lachen der Goblins, die sich nach Lust und Laune an den Gefangenen vergingen, kratzte ihm in den Ohren. Nur die wütenden Blicke, die er den kleinen Teufeln immer wieder zuwarf, hinderten sie wohl gerade daran, die Gefangenen umzubringen. Und auch in diesem Moment musste er wieder zu ihnen schauen, denn sie schwangen mordlustig ihre Klingen durch die Luft.​
So ein Mist. Sie sind wirklich nur als Fußsoldaten zu gebrauchen. Wahrscheinlich folgten sie ihm nur, weil er ihnen Furcht einjagte, und verfluchten ihn innerlich.
Die Viecher lassen sogar Kobolde gut aussehen. Auch wenn der Oger die hundsköpfigen Tiermenschen verachtete, waren sie ihm in diesem Moment lieber als die Goblins. Er dachte darüber nach, dass Goblins als Höhlenbewohner vielleicht auch gar nicht für die Arbeit über der Erde geeignet waren. Aber was sollte er jetzt tun? Er hatte keine andere Wahl, als sich darauf zu verlassen, dass die kleinen Teufel tun würden, was er von ihnen verlangte. Und überhaupt nagte auch noch etwas ganz anderes an ihm.​
»Wo ist dieser Abenteurer? Die Zeit ist gleich abgelaufen!«​
Der Oger schaute hoch in den Himmel und sah die verhasste Sonne, die ihm in den Augen brannte. Er wusste nicht, was die Eishexe und ihre groß gewachsenen idiotischen Diener auf dem Berg trieben, aber der Schneesturm hatte sich gelegt und darüber war der Oger alles andere als erfreut.​
Jeder einzelne ... Wirklich jeder einzelne von ihnen ...
»GOBGR! GOOBOGR!«​
[/JUSTIFY]»Du nervst!«
Wahrscheinlich wollte er sich nach dem Befinden seines Herrn erkundigen, aber der kleine Teufel, der sich dem Oger vornübergebeugt näherte, wurde von diesem einfach weggetreten. Dabei ließ er einen Krug fallen. Diesen hob der Anführer auf und weil er mit einem Deckel verschlossen war, schüttelte er ihn. Das dabei entstehende plätschernde Geräusch ließ ihn vermuten, dass das Gefäß Alkohol enthielt. Kurzerhand schüttete er sich die Flüssigkeit in den Hals.
»Kommt der Abenteurer noch immer nicht ...?«[/JUSTIFY]
»GOBBG ...«​
»Hat er sich etwa versteckt?«​
Der Oger ignorierte die unterwürfigen, aber auch verachtenden Blicke der Goblins und warf den leeren Krug weg. Die Zeit war so gut wie abgelaufen, was nur bedeuten konnte, dass der Abenteurer ein Angsthase war. Aber er würde ihn nicht entkommen lassen. Er würde hier alles erledigen und dann die Stadt angreifen, wo er ihn sicherlich finden würde. Dann würde er ihn brechen. Er würde all seine Bekannten und Freunde vor seinen Augen vergewaltigen und dann fressen. Währenddessen würde er ihm solche Schmerzen zufügen, dass er am Ende darum betteln würde, sterben zu dürfen. Einen Knochen nach dem anderen würde er ihm brechen und in jedem seiner Schreie nach Rettung würde der Todeswunsch stärker zu hören sein. Der Oger schleckte sich über die Lippen, schnappte sich seinen Kriegshammer und erhob sich.​
»Es sieht ganz so aus, als hätte er euch im Stich gelassen.«​
Die Reaktionen der gekreuzigten Frauen fielen schwach aus. Nur leise Ahs und Ohs kamen aus ihren zitternden Mündern. Doch der Oger bemerkte ganz genau, dass der letzte Hoffnungsschimmer in ihren Augen erstarb. Allerdings war es - wie bei allen anderen Menschen auch - damit für sie noch nicht vorbei. Selbst wenn sie aufgegeben hatten und sterben wollten, würde ihr Ende kein einfaches sein. Der Oger schnaubte überheblich und hielt dabei den Kriegshammer mit beiden Händen fest.​
»Wer von euch möchte zuerst sterben? Zumindest diese Entscheidung überlasse ich euch.«​
Natürlich wollte er keine von ihnen schmerzfrei töten. Die Frauen sahen sich an. Sie beiden wollten schnell von ihrem Leiden erlöst werden, doch keine wollte vor der anderen sterben.​
»Was denn? Könnt ihr euch nicht entscheiden?«​
Der Oger musste aufgrund des erbärmlichen Anblicks erneut erfreut schnaufen. Er bewegte sein Kinn und erteilte den Goblins damit einen Befehl.​
»GBOORG!«
»GBG! GOORGB!«​
Die Unzufriedenheit der Goblins verflog und jetzt lag ein dreckiges Grinsen auf den Gesichtern der kleinen Biester. Sie machten sich daran, die Frauen zu umzingeln. Eines der Opfer stieß einen befremdlich klingenden Schrei aus.​
»Wenn ihr euch nicht bald entscheidet, dann lasse ich die Goblins wählen. Der Anblick eurer Leichen wird sicher dafür sorgen, dass der Abenteurer ... «​
Plötzlich war das Knirschen von Schritten im Schnee zu hören.​
»...?!«​
Die Goblins schienen es nicht zu bemerken, aber der Oger und die Frauen schon. Ein schwarzer Schatten näherte sich. Er kam zwischen den zerfallenen Häusern des Dorfes auf sie zu. Eine dreckige Lederrüstung und ein billiger Eisenhelm. An der Hüfte hing ein mittellanges Schwert und um den Arm war ein kleiner Rundschild gebunden. Es war der Abenteurer.​
Der soll meinen Bruder getötet haben? Und was ist mit der Frau, die ihn begleitet?​
»Nun ja, was verlasse ich mich auch auf die Berichte von Goblins?«, murmelte der Oger und machte sich dazu bereit, den Goblins den Angriffsbefehl zu erteilen.​
»Dass du es wagst, allein zu kommen. Du bist etwas spät, aber das werde ich dir verzeihen.«​
Der Mann sagte nichts, weshalb der Oger sich fragte, ob er Angst hatte.​
»Ich bin anders als du. Wenn ich wollte, könnte ich die Geiseln als Schutzschild nehmen, um dich zu töten, aber das werde ich nicht tun.«​
Langsam hob der Oger seinen Kriegshammer. Dann streckte er ihn dem Abenteurer entgegen.​
»Ich gebe dir eine Chance, dich zu wehren. Weil es dir gelungen ist, meinen Bruder zu bezwingen, werde ich dafür sorgen, dass du einen ruhmvollen Tod erfährst!«​
»Ich weiß nicht, wieso, aber du scheinst etwas misszuverstehen«, antwortete der Abenteurer seelenruhig.​
»Ihr seid es, die hier sterben werdet. Ich bin der Slayer.«​
»Genug mit dem Geheule, Abenteurer!«​
Der Oger gab den Befehl und die Goblins griffen an. Goblin Slayer zog sein Schwert und stürzte sich in den Strudel des Kampfes.​
***
»O... Oh!«​
»GOROGB?!«​
Goblin Slayer trennte mit einem Schwertstreich die Nase eines Goblins ab. Aus der Wunde spritzte dickes schwarzes Blut heraus, während der Abenteurer das Monster einfach zur Seite trat.​
»GOROOOGB!«​
»Hrmpf!«​
Der nächste Gegner, der angesprungen kam, wurde von dem Schild des Abenteurers zurückgeschlagen.​
»GORGGB?! GOOORGB?!«​
Der scharfe Rand des Schildes traf den Goblin so, dass seine beiden Augen zerplatzten und er unter Schmerzen zurückwich. Die ersten beiden Goblins waren noch am Leben, doch mit diesen Wunden würden sie es nicht mehr lange machen.​
»...«​
Goblin Slayer schüttelte kurz das Blut der Goblins von sich​
und ging wieder in Kampfstellung.​
»GOROO ...!«
»GBGR ... GBBG!«​
Die restlichen Goblins knurrten, aber wichen einige Schritte zurück. Sie konnten es nicht glauben. Er war allein und sie waren so viele. Außerdem war der Oger auf ihrer Seite. Wieso also schien er keine Angst zu haben und verfiel nicht der Verzweiflung wie alle anderen Abenteurer es sonst taten? Goblins hielten alle anderen Wesen für Trottel und deshalb verwirrte es sie jetzt, dass dieser Abenteurer sich nicht wie ein solcher verhielt. Aus Angst verdrängten sie grundsätzlich den Gedanken an eine potenzielle Situation wie diese, denn furchtlose Goblins existierten in dieser Welt nicht. Wieso sonst genossen sie es so sehr, andere zu besiegen, zu peinigen und zu berauben?​
»GOORGBB!«​
Goblin Slayer kümmerte sich nicht um einen möglichen Angriff von hinten und rammte seine Klinge in den Magen eines Goblins. Während seine Eingeweide herausquollen, brach der kleine Teufel heulend zusammen. Der Krieger machte im Anschluss noch einen Schritt nach vorne und sorgte damit dafür, dass die Goblin menge weiter zurückwich.​
Es hatte aufgehört zu schneien. Das reine Weiß, dass die Überreste des Dorfes bedeckt hatte, färbte sich deshalb nach und nach rot.​
»GOBR ...«
»GBBBRG ...«​
Die Goblins warfen sich ängstliche Blicke zu. Sie hatten ihn einfach gemeinsam übermannen wollen, doch jetzt wussten sie nicht, wer sich als Nächster auf ihn werfen sollte. Verschlagen schoben sie sich hin und her. Keiner wollte den Anfang machen.​
»Was zögert ihr?!«​
Einer der kleinen Teufel, der weit entfernt vom Abenteurer neben dem Oger gestanden hatte, wurde von dem Kriegshammer des Biestes zerquetscht. Anschließend schwang dieser wild seine Waffe, um sie von Blut und Fleischklumpen zu befreien, und schrie:​
»Wenn ihr euch nicht um ihn kümmern wollt, dann helft mir wenigstens, mich aufzuwärmen!«​
Das Blut des Ogers kochte und in seinen Augen loderte die Kampfeslust.​
»GGOORG!!«
»GOR! GGOOBOG!«​
Die Goblins fühlten sich plötzlich umzingelt und eingeengt und an all dem war der Abenteurer schuld. Sie starrten ihn an und dieser witterte in diesem Moment seine Chance.​
»Ihr Narren«, rief Goblin Slayer, hielt sein Schild hoch und stürmte los.​
Weil er schwerer und größer als die Goblins war, konnte er locker einige von ihnen wegstoßen und trampelte anschließend über sie hinweg. Man hörte immer wieder das Geräusch von brechenden Knochen.​
»GOOBG?!«
»GRGG?! BGO?!«
»GOOROGOGO!«​
»Einer!«​
»GOOBG?!«​
Goblin Slayer stieß sein Schwert in die Kehle eines kleinen Teufels, der das Pech hatte, ihm in jenem Moment am nächsten zu sein. Während der Goblin röchelnd an seinem eigenen Blut erstickte, lachten seine Artgenossen ihn aus und witterten ihre Chance, den Abenteurer anzugreifen. Ein Goblin holte mit seinem Knüppel aus ...​
»GOR?!«
»GBBGR?!«​
... und traf damit einen Artgenossen hinter sich, der den Vordermann dafür wütend umtrat. Dieser stach mit seinem Breitschwert einem Nachbarn in die Schulter, der dann vor Schmerz aufheulte und um sich zu schlagen begann.​
»Hrmpf!«​
»GOOBOGR?!«​
In der Zwischenzeit war Goblin Slayer bereits fast bis zu den letzten der ihn umzingelnden Goblins gelangt. Während die Goblin Leiche weiterhin auf seinem Schwert steckte, schwang er es in einem kräftigen Ruck herum und ließ den toten Körper davonfliegen, der dann einige der kleinen Teufel umwarf. Diesen Moment nutzte der Krieger, um einem Goblin ins Gesicht zu schlagen, ihm die Waffe von der Hüfte zu klauen ...​
»GRGB?!«​
»Zwei!«​
... und ihm in den Hals zu rammen. Diese Leiche nutzte der Abenteurer dann als Trittbrett und sprang. Dabei achtete er darauf, weder besonders hoch noch weit zu springen, denn in der Luft war er leicht zu erwischen.​
»GOOG?!«​
»Damit sind es drei!«​
Er landete auf einem weiteren Goblin und zertrümmerte ihm das Genick. Doch es waren noch mehr als genug übrig. Die kleinen Teufel drängten an ihn heran, während sie ihre Waffen gegeneinander schlugen, sich beschimpften und stritten. Goblin Slayer griff mit einem Fußfeger an.​
»GOBGR?!«​
Ein Goblin fiel nach hinten um, aber seine Kameraden rückten weiter näher. Was geschah also mit ihm?​
»GR! GOROOGB?!«
»GOBB?!«​
Natürlich wurde er platt getrampelt, doch die Trampelnden​
gerieten dabei aus dem Gleichgewicht.​
»GOROG?!«
»GOOBGGG?!«​
Stolpern, trampeln, winden, wüten und andere mit hineinziehen. Mehrere der Goblins fielen um. Goblin Slayer rannte los und ließ das Chaos hinter sich.​
»GOOB?!«​
Im Vorbeilaufen stahl er einem Goblin dessen Knüppel.​
»Hey, ihr kleinen Teufel! Ihr seid immerhin in der Überzahl! Wie lächerlich!«​
Während er die wütenden Schreie des Goblin Anführers in der Ferne hörte, zertrümmerte er den Schädel des vierten seiner Gefolgsleute.​
»GOBBG?!«​
Der Krieger drehte sich schnell um und warf den Knüppel mit aller Kraft. Damit riss er einen Goblin von den Beinen, der in seine Artgenossen hineinfiel. Goblin Slayer hob den vom Gegner fallen gelassenen Speer auf und warf ihn.​
»GOBBGRRG?!«​
Das Geschoss traf einen der kleinen Teufel an der Brust und auch dieser fiel taumelnd in seine Kameraden. Goblin Slayer schnappte sich immer wieder die Waffen der besiegten Gegner und nutzte sie, um die Bewegungen der restlichen kleinen Teufel ins Stocken zu bringen. Dabei musste er nicht gesondert zielen, denn irgendeinen Goblin würde er immer treffen. Der Krieger hatte Glück, dass kein Goblin Lord anwesend war, der die Goblins ordentlich befehligte, denn so konnte er sie selbst hier auf freiem Feld gut kontrollieren.​
»GOOGG?!«​
»Damit sind es zwölf!«​
Die Gegner verletzten sich immer wieder gegenseitig, wurden immer wütender und bekamen gleichzeitig immer mehr Angst. Chaos machte sich breit und in diesem wilden Durcheinander gelang es Goblin Slayer, komplett aus seiner Umzingelung auszubrechen.​
»Abenteurer!«​
Doch außerhalb des Ringes aus Goblins wartete das gewaltige Monster auf ihn. Der Krieger blieb nicht stehen, sondern rannte weiter wie ein von der Elfe abgeschossener Pfeil. Dabei betrachtete er den Anführer der Goblins. Er war mit einem prächtigen Hammer bewaffnet, der sicherlich schon vielen Wesen das Leben geraubt hatte. Er schimmerte im vom Schnee reflektierten Licht. Ein Treffer damit würde sicherlich ausreichen, um den Abenteurer zu töten. Anders als beim Kampf mit dem anderen Oger war hier nicht davon auszugehen, dass er einen Schlag des Gegners überleben würde. Der Krieger selbst hatte einen Knüppel, einen kleinen Rundschild und die verschiedensten Gegenstände in seiner Tasche.​
Kein Problem, dachte sich Goblin Slayer und beschleunigte seinen Schritt.​
»Stiiiirb!«, schrie der Gegner und ließ seine Waffe herab rauschen.​
Er hatte vor, den Abenteurer mit einem Schlag zu zerquetschen, und als der Hammer einschlug, flog mit Schmutz gemischter, bräunlicher Schnee in die Luft. Er hatte den Krieger um Haaresbreite verfehlt und nun steckte der Hammer direkt vor Goblin Slayer in der Erde.​
Naiv!
Der Abenteurer nutzte den Moment und stürzte los. Mit dem Hammer als Trittbrett sprang er in die Luft.​
[/B]«[/CENTER]Hrnngh!![/B]«[/CENTER]

Der Oger war außer sich, dass der Krieger es gewagt hatte, seine Waffe als Absprungbrett zu nutzen. Er fasste sie, so fest er konnte, um sie hochzureißen und den Abenteurer zurückzuschlagen, doch dieser war gar nicht auf ihn zugesprungen. Nachdem er gelandet war, war er nämlich in eine andere Richtung gerannt. Ihn interessierte nicht im Geringsten, was das Monster, dessen Namen er nicht kannte, empfand und er steuerte auf ein neues Ziel zu.​
»Ah ...«​
»Du lebst also noch.«​
Goblin Slayer stand vor einer der gekreuzigten Frauen. Hinter ihm grölten die Goblins und der Oger. Er hatte keine Zeit.​
»Es wird wehtun, aber dann ist es vorbei.«​
»Ah ..«​
Die Frau nickte und Goblin Slayer zog sie fast schon emotionslos von dem Holz herunter.​
»U... Ah?!«​
Ihr Fleisch zerriss und die Frau zappelte vor Schmerzen, doch Goblin Slayer ließ sich davon nicht beirren. Er legte sie sich auf die Schulter, um direkt darauf zur Seite zu springen.​
»Du Schuft! Wenn du noch Zeit hast, um die Gefangenen zu retten, ist dir der Kampf wohl zu einfach!«​
Der Oger schlug den Kriegshammer auf den Boden und heulte mit einem wilden Grinsen auf, als könnte er damit jemanden töten.​
»Das stimmt so nicht«, rief Goblin Slayer mit tiefer Stimme, zog etwas aus seiner Tasche und warf es dem Oger ins Gesicht.​
»Gaaargh?!«​
Das Geschoss traf den Oger an der Wange und eine Wolke aus rotem Staub bildete sich. Sofort begann der Koloss zu schreien und hielt sich schwankend das Gesicht. Er war von einem Blendemittel aus Pfeffer und Exkrementen getroffen worden, das der Krieger in eine Eierschale gefüllt hatte. Egal, gegen wen oder was man kämpfte - Augen, Mund und Nase waren häufig Schwachstellen.​
»Solche hinterhältigen Tricks ... bringen nichts!«​
Er wurde unterschätzt. Es wurde über ihn gelacht. Es war fast, als würde er von Goblins angegriffen. Wild schwang der Oger seinen Hammer durch die Luft.​
»GOROOGB?!«
»GOB?! GOGR?!«​
Er spürte, wie seine Waffe auf Fleisch einschlug, aber leider traf er nur Goblins, die der Abenteurer dorthin geschubst hatte, wo er gerade noch gestanden hatte. Jetzt war der Krieger schon auf dem Weg zu der nächsten gekreuzigten Frau, doch weil er noch die erste auf der Schulter hatte, kam er nicht sonderlich schnell voran. Dies war allerdings gerade kein Problem für ihn, weil der blind wütende Oger dafür sorgte, dass die Goblins nicht an ihm vorbei zurennen versuchten.​
»Wir gehen.«​
»J... Ja«, antwortete die zweite Frau tapfer und biss die Zähne zusammen, um ertragen zu können, dass auch sie vom Holz gerissen wurde.​
Damit waren die Gefangenen befreit. Goblin Slayer trug die beiden wie Fässer auf seiner Schulter. Seine Bewegungen waren langsamer und er hatte nur eine Hand frei. Er konnte keine Waffe schwingen. Wenn es zum Kampf kommen sollte, würde er sicher verlieren. Er hätte die beiden Frauen nicht retten müssen, aber diese Option war für ihn gar nicht in Frage gekommen. Wenn er wählen müsste, etwas zu tun oder es zu unterlassen, würde er es stets tun. Sein Meister hatte es ihn so gelehrt.​
»Törichter Abenteurer ... Willst du etwa so sterben?«​
Der Oger hatte seine Sicht wiedererlangt und fletschte wie ein Haifisch seine Zähne. Menschen waren Narren. Zwar nicht so große wie Goblins, aber sie waren es dennoch. Es war egal, ob sie es aus emotionalen Gründen oder im Namen der Ehre machten, aber ständig wollten sie Geiseln retten. Natürlich gab es hin und wieder welche, die es nicht taten, aber diese wurden im Namen der Ordnung als Ganoven verbannt. Der Abenteurer vor ihm war keiner von der letzteren Sorte, das wusste er. Für ungläubige Charaktere wie den Oger gab es nichts, was ihnen mehr Freude bereitete, als Wesen wie den Krieger in Verzweiflung untergehen zu sehen.​
»In Ordnung. Du hast es so gewollt. Ich werde dich vor den Augen der Frauen umbringen. Wirklich schade. Die Rettung war dämlich ... «​
Der Oger begann auf ihn zu zumarschieren, aber Goblin Slayer sagte nichts. Er schaute einfach hoch zum Himmel. Hinter weißen Wolken konnte er bereits die Sonne leuchten sehen. Sie hatte gerade erst den Zenit überschritten und selbst zu dieser Jahreszeit strahlte sie zu diesem Zeitpunkt am hellsten. Auf diesen Moment hatte er gewartet.​
»GGBBOOR?!«​
Ein Goblin schrie verwirrt auf und brachte mehrere von ihnen dazu, ihre Gesichter ebenfalls dem Himmel zuzuwenden. Dort war Rauch. Er stieg auf. Der Wind trug Hitze zu ihnen herüber und rote Zungen schlängelten sich in die Höhe. Feuer.​
»GROG?!«
»GGOOBOR?!«​
»Was?!«​
Dem Oger fehlten die Worte. Das Dorf stand in Flammen. Er ignorierte, dass die Goblins sich gegenseitig die Schuld für das Feuer in die Schuhe schoben, und sein Griff um den Hammer wurde so fest, dass es knirschte.​
Hat der Kerl etwa Handlanger?
»Wer würde denn gegen Gegner wie euch einen fairen Kampf wollen?«, warf der Krieger dem Oger an den Kopf.​
Der Wind trug den Rauch auf den Platz, auf dem sie sich befanden, und behinderte die Sicht. Goblins konnten zwar im Dunkeln sehen, aber in diesem Rauch waren auch sie hilflos. Der Oger hätte nicht wissen können, dass Goblin Slayer die mit der Kuhhirtin hergestellten Eisstücke überall im Dorf verteilt hatte. Er hätte nicht wissen können, dass der Abenteurer eine Falle vorbereitet hatte. Wenn das Licht durch das Eis gebündelt wurde, wurde es heiß genug, um ein Feuer zu entfachen, und selbst im Schnee konnte trockenes Holz gut brennen. Goblin Slayer, der erfahren darin war, Goblins die Sicht zu nehmen, wusste das nur zu gut.​
»Ich weiß nicht, was du für ein Monster bist, aber ...«​
Die Goblins begannen panisch zu schreien und der Oger zitterte vor Zorn. Rauch, Asche und Funken flogen durch die Luft. Als er durch eine Lücke im Rauch kurz zu sehen war, beendete der Abenteurer seinen Satz.​
»... ich werde alle Goblins töten.«​
***
Während der Rauch der vielen Feuer in den Himmel aufstieg, rannte Goblin Slayer mit den Frauen auf den Schultern herum.​
»GOORGB!«
»GB! GOR!«​
Wiederholt war das Geschrei der Goblins und auch des Ogers zu hören, der mit seinem Hammer immer wieder gegen Häuserruinen schlug. Jeder Schlag macht Rumms und sorgte dafür, dass die Körper der Frauen sich verspannten, doch Goblin Slayer hielt nicht inne. Jetzt war jede Sekunde wichtig. Er musste diese Gelegenheit nutzen. Der Krieger griff in seine Tasche und holte kleine spitze Steine hervor, die er hinter sich warf.​
»GOORGB?!«
»GGBB?!«​
Goblins, die sich in der Nähe befanden, aber den Krieger noch nicht erblickt hatten, traten hinein und schrien auf. Mit verletzten Füßen würden sie nicht vor den Flammen fliehen können. Sicher, dass er mit den Steinen das Schicksal einiger Goblins besiegelt hatte, warf er einige weitere in eine unbestimmte Richtung. Es gab ein lautes metallisches Klimpern.​
»GGOOBR!«
»GORB! GGBRO!«​
Mehrere Goblins schrien auf und liefen zur Quelle des Geräuschs. Goblin Slayer zog einen Dolch und warf ihn in die Richtung.​
»GOOBRG?!«​
Einer der kleinen Teufel schrie vor Schmerz auf. Ausgehend von der Höhe, in der der Krieger den Dolch geworfen hatte, hatte er ihn wahrscheinlich in der Kehle getroffen. Goblin Slayer war daran gewöhnt, gegen Gegner zu kämpfen, die er nicht sehen konnte, aber Goblins waren es nicht. Niemals hätten sie sich ausmalen können, dass sie sich mal in so einer Lage befinden würden. Es gibt keinen Grund, dem Gegner nicht seinen Vorteil zu stehlen. Goblin Slayer war zufrieden mit dem Ergebnis seiner Vorbereitungen und machte sich auf den Weg zu dem Brunnen. Dort angekommen sagte er zu den Frauen:​
»Ich werde euch dort drin verstecken.«​
»Wie ...?«, erwiderte eine Frau ängstlich, doch der Abenteurer versicherte ihr, dass sie keine Angst haben müssten, und steckte ihnen jeweils einen Ring an.​
»Damit werdet ihr unter Wasser atmen können und hier werden die Goblins euch nicht finden. Wartet, bis es ruhig geworden ist.«​
»J... Ja.«​
Goblin Slayer ließ die beiden Frauen mit dem Brunneneimer ins Wasser herab. Bei jeder Frau waren dumpfe Platschgeräusche zu hören, aber zum Glück befanden die Goblins sich gerade nicht in der Verfassung, dies zu bemerken.​
Gut ...
Sobald die Kuhhirtin irgendwo Bericht erstattet hatte, würden Abenteurer kommen und diese würden sicher nicht töricht genug sein, um nicht nach überlebenden zu suchen. So würden die Frauen gerettet werden, selbst wenn er sterben sollte.​
»Hmpf...«​
Goblin Slayer brummte. Er könnte sterben. Es musste nicht noch extra erwähnt werden, dass dies ein möglicher Ausgang war. Der Krieger erinnerte sich an die Gesichter der Kuhhirtin, der Priesterin, der Gilden Angestellten und seiner anderen Kameraden. Bestimmt würden sie traurig sein, wenn er sein Leben verlor. Andere wahrscheinlich auch. Allerdings passierte es immer wieder, dass Abenteurer starben. Sie würden sich wahrscheinlich betrinken, Lärm machen, lachen und dann wieder zum normalen Alltag zurückkehren.​
»In Ordnung«, murmelte er.​
Mehr konnte er sich nicht wünschen. Er würde wie ein wahrer Abenteurer in Erinnerung bleiben.​
»Aber nicht heute!«​
Goblin Slayer schüttelte die Vorstellung ab und wandte sich wieder der Realität zu. Man sollte den Tod akzeptieren, aber er hatte nicht vor, hier zu sterben. Er begann mit dem Überprüfen seiner Ausrüstung und überlegte sich anhand seiner Position im Dorf, wie er vorgehen sollte.​
»GGBORB!«
»GOROOOBG!«​
Die Goblin Schreie kamen aus allen Richtungen, aber sie schienen nichts Bestimmtes zu bedeuten. Auch die Stimme des Ogers war zu hören.​
»Hast du dir in die Hose gemacht, Abenteurer? Du konntest nur dank deiner feigen Tricks gegen meinen Bruder gewinnen! Du Schwächling!«​
»Ganz genau.«​
Der Krieger wusste nicht, wen das Monster mit dem Wort Bruder meinte, aber er sah keinen Grund, warum er ihn nicht mit Tricks besiegt haben sollte, und deshalb stimmte er zu. Goblin Slayer hob eine Hand voll Schnee und Schlamm hoch und warf sie in Richtung des Gebrülls. Auf ein klatschendes Geräusch folgte weiteres Geschrei des Ogers.​
»Da bist du also!«​
»Ganz genau.«​
Der Abenteurer wiederholte sich, drehte sich um und begann zu laufen. Er rannte und schnitt wie eine scharfe Klinge durch den Rauch. Dabei hatte er nur ein Ziel. So langsam war klar, dass die Goblins und dieses Monster den Aufbau des Dorfes nicht verinnerlicht hatten, denn sie rannten dem Abenteurer blind hinterher.​
Sie sind wirklich Narren, dachte sich Goblin Slayer und plötzlich lichtete sich der Rauch. Er befand sich auf einer weiten freien Fläche, auf der sich der Rauch verflüchtigte. Der Oger, der kurz darauf den Bereich betrat, blinzelte und erkannte, dass der Abenteurer direkt vor ihm stand. Eine dreckige Lederrüstung und ein billiger Eisenhelm. Ein mittellanges Schwert und ein kleiner Rundschild. Selbst Abenteurer-Anfänger besaßen meist schon bessere Ausrüstung. Was für ein erbärmlicher Mann.​
»Was ist mit den Frauen, Abenteurer?!«​
Goblin Slayer antwortete nicht, sondern wich ein wenig zurück. Der Oger deutete dies als Ausdruck von Angst und grinste breit.​
»Sie waren nur eine Last und du hast sie weggeworfen, oder? Wie lächerlich!«​
Aus dem Helm des Abenteurers ertönte ein tiefes Brummen. Währenddessen strömten immer mehr Goblins heran und umringten ihn. Es waren noch mehr von ihnen übrig, als der Abenteurer gedacht hatte. Deshalb rutschte Goblin Slayer noch einmal ein wenig zurück. Der Oger und die Goblins folgten ihm.​
»GOOBORG!«
»GGBRG!«​
Die kleinen Teufel begannen zu kichern und zu flüstern. Sie waren der Überzeugung, dass dies das Ende des Abenteurers wäre und sie eine Belohnung erhalten würden. Von jetzt an würde alles reibungslos verlaufen. Aber vorher galt es, dem Abenteurer noch etwas Leid anzutun. Der Kopf wäre ideal, um zu beweisen, wie viel sie geleistet hatten, aber auch mit ein, zwei Fingern würden sie sich zufriedengeben ... Und wenn sie nichts davon abbekamen, mussten sie es halt ihren Kameraden stehlen.​
»...«​
Goblin Slayer streckte sein Schwert nach vorne und untersuchte die Umgebung. Der Kreis, den die Goblins um ihn gezogen hatten, wurde immer enger. Falls sie sich gemeinsam auf ihn stürzen würden, wäre das sein Ende. Goblin Slayer machte einen weiteren Schritt zurück, um dann zu bemerken, dass sich die Umzingelung vor ihm öffnete und der Oger nach vorne trat. Bedrohlich schwang er seinen Kriegshammer durch die Luft, um dem Abenteurer klarzumachen, was sein Schicksal sein würde.​
»Du kleiner dreckiger Abenteurer ... Mach dich bereit! Ich werde dich wie einen Sargnagel in die Erde schlagen!«​
»Ich möchte dich etwas fragen«, entgegnete Goblin Slayer mit tiefer Stimme. Er fuhr mit seiner freien Hand in die Tasche und packte etwas. »Hat dein Bruder wie du nur dumm seine Waffe herum geschwungen oder hatte er auch andere Fähigkeiten?«​
»...??!«​
Der Oger verstand nicht wirklich, worauf der Abenteurer hinauswollte, aber er merkte, dass er sich über ihn lustig machte. Wütend riss er die Augen auf.​
»Wenn er nichts weiter konnte, dann weiß ich, wer er war.​
Unter der Stadt des Wassers gab es so einen gewaltigen Goblin. Wobei ... Du bist ja gar kein Goblin ... «​
»D... Duuuuuu!«​
Der Kriegshammer raste durch die Luft und nur ein schneller Satz nach hinten rettete Goblin Slayer das Leben. Eis und Schnee flogen herum.​
»Für einen schwächlichen Abenteurer wie dich wollte ich sie eigentlich nicht einsetzen, aber ...!« Der Oger streckte einen Finger in die Höhe und sprach Worte der Macht.​
»Carbunculus ... Crescunt ... «​
Der Krieger erkannte, dass sich phosphoreszierendes Licht um den Finger bildete, welches sich entzündete und zu einer Kugel aus Flammen heranwuchs. Die Flammen waren zuerst rot, dann blau und schließlich blendend weiß. Währenddessen begannen der Schnee und das Eis in der Umgebung zu schmelzen und Dampf entstand. Goblin Slayer ging in die Knie und schaute zu dem Oger. Das Licht, das von seiner Flamme ausging, war nichts gegen das Licht der Priesterin.​
»... Iac ... Was ... Hä?!«​
Der Oger hatte gerade den Feuerball werfen wollen, als plötzlich der Boden unter ihm nachgab und das Geschoss aus Magie in die falsche Richtung flog. Er war dabei zu versinken. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sich die Bestie um und erkannte, dass auch die Goblins eingesackt waren.​
»GBOORGB?!«
»GOBR?! GOORGB?!«​
Strampelnd ertranken sie. Wie konnte das sein? Dann bemerkte der Oger die eisige Kälte, die ihn packte. Nein, ich stand gar nicht auf festem Boden! Wir standen auf gefrorenem Wasser!​
»A... Abenteu ...rer!«, schrie die Bestie und suchte mit ihrem Blick nach dem Krieger, doch konnte ihn nicht finden.​
»Ga... Aaaaargh!«​
Der Kriegshammer, der der Bestie immer so treu gedient hatte, zog sie nun hinab in die Tiefe. Unter Wasser konnte der Oger sehen, wie die Goblins mit ihm zusammen immer weiter in die Dunkelheit sanken. Goblin Slayer schaute dem Geschehen vom Rand des Sees aus zu. An seinem Finger glitzerte ein Ring der Atmung, der ihm das Leben gerettet hatte. Er hatte sich schnell in das Loch geworfen, das er bereits vorher geöffnet hatte, und war davon geschwommen, ohne in dem ganzen Trubel in Schwierigkeiten zu geraten. Dem Krieger war egal gewesen, ob die Bestie Magie verwenden oder mit roher Gewalt ein Loch ins Eis schlagen würde. Er hatte es geschafft, alle Gegner auf einen Schlag zu erledigen …​
Aber nein, es konnten noch ein paar Goblins im Dorf sein.
Goblin Slayer griff nach einem Gewächs am Ufer und zog sich daran an Land. Er blieb kurz auf allen vieren, bevor er sich auf den Rücken drehte, um durchzuatmen. Sein Körper fühlte sich unnatürlich schwer an. Er musste erschöpft sein und die Kälte trug wahrscheinlich auch ihren Teil dazu bei.​
»...«​
Schwankend stand der Krieger auf. Er wollte sich eigentlich nicht mehr bewegen, aber er musste weitermachen und deshalb tat er genau das. Es ging nicht darum, ob man etwas konnte, es ging darum, ob man etwas tat.​
Er hatte nicht die Gelegenheit gehabt, die Goblins zu zählen, und deshalb wusste er nicht, wie viele von ihnen noch übrig waren. Trotzdem stand eines fest: Er musste sie alle erledigen. Denn er war Goblin Slayer.​
»Dann weiter ...«​
Der Krieger sah, dass noch immer Rauch aus dem Dorf aufstieg, und immer wieder waren auch die Schmerzensschreie von Goblins zu hören. Die Frauen waren in ihrem Versteck sicher, aber er wollte sie nicht zu lange warten lassen. Es reichte schon, dass seine Kindheitsfreundin immer auf ihn warten musste.​
Wie hieß dieses Monster noch mal ...?, fragte sich Goblin Slayer, doch er war so erschöpft, dass er diese Worte noch nicht einmal mehr ordentlich hätte aussprechen können. Egal ... Verglichen mit Goblins war er ...​
»A... ben ...teurer!«​
Eine Wasserfontäne schoss in die Luft. Laut röchelnd war der Anführer der Goblins aus dem Wasser geschossen und stürzte sich jetzt auf Goblin Slayer. Der Krieger konnte nicht wissen, dass der Oger sich mit seiner Waffe auf den Boden hatte sinken lassen und sich von dort abgestoßen hatte. Doch wie der Gegner wieder an die Oberfläche gekommen war, war ihm egal. Er hob den Schild, festigte den Griff um sein Schwert und machte sich bereit zurückzuschlagen. Die Bestie näherte sich und er ... und er ...​
»Höchst barmherzige Erdmutter! Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht!«​
Ein grelles Licht erstrahlte und für einen Moment war es, als wäre die Sonne auf die Erde herabgestürzt.​
»Hrmpf ... Uargh?!«​
Es nahm dem Oger die Sicht und Goblin Slayer nutzte erstaunt die Gelegenheit und sprang zurück. Der Kriegshammer verfehlte den Abenteurer um Haaresbreite und schleuderte bei seinem Aufprall Schnee und Dreck in die Luft. Der Krieger stand auf und hörte eine Stimme. Eine Stimme, dessen Besitzer eigentlich gar nicht dort hätte sein sollen.​
»Goblin Slayer!«​
Es war eine Stimme, in der ein wenig Furcht, aber auch viel Freude mitschwang. Der Krieger schaute in die Richtung, aus der sie gekommen war, und sah seine Kameraden mit einer Art Schlitten auf einem Hang. Das Mädchen befand sich am Kopf der Gruppe und hielt mit wehenden goldenen Haaren seinen Stab in die Höhe. Ihre Wangen waren gerötet.​
»Wir... kommen noch rechtzeitig!«​
Die Mundwinkel des Kriegers zogen sich unter dem Helm hoch. Er lächelte.​
»Ist das ein Schlitten aus einer Wolldecke?«, fragte er.​
»Ganz genau«, sagte der Zwerg und rutschte den Hang herunter.​
»Das Mädchen hat Wasser über die Decke gekippt und mir gesagt, dass ich Verwitterung wirken soll, damit es sofort gefriert.«​
»Werter Goblintöter, du hast sie gut ausgebildet.«​
»Wie bitte? Er hat sie doch nicht gut ausgebildet! Orcbolg hat schlechten Einfluss auf sie! Wirklich schlechten!«​
Das Gesicht der Priesterin errötete und sie murmelte:​
»Was redet ihr denn da ...?«​
»Das war ein guter Einfall.«​
Goblin Slayer hielt kurz inne, um die richtigen Worte zu finden.​
»Du hast mich gerettet.«​
»Jawohl!«​
Das Grinsen, das sich auf das Gesicht der Priesterin legte, strahlte fast so sehr wie ihr Wunder. »Aber was ist mit ihr ... ? «​
Goblin Slayer verstand, dass die Priesterin nach der Kuhhirtin fragte, und nickte.​
»Sie ist in Sicherheit. Ich habe dafür gesorgt, dass sie fliehen kann.«​
»Das ist gut ... «​
Während die Priesterin erleichtert aufatmete, sprang die Elfe zu Goblin Slayer herab. Sie hielt bereits einen Pfeil in ihrem Bogen bereit.​
»Das hatte ich mir schon gedacht, aber was ist hier denn los?«​
Sie machte ein genervtes Gesicht und starrte den Oger an, der sich ihnen näherte, wobei er sich auf den Kriegshammer stützte.​
»Wir haben uns schon so einiges gedacht, aber ein Oger?«​
»Oger?«, wiederholte Goblin Slayer grübelnd das Wort.​
»So heißen die also.«​
»Merk dir so etwas gefälligst!« Die Elfe warf dem Krieger einen finsteren Blick zu.​
»Das war der Gegner bei unserem ersten Abenteuer!«​
»Abenteuer ...«​
Goblin Slayer schaute zu dem Oger und erinnerte sich an den Kampf in jener Ruine. Das war also ein Abenteuer gewesen.​
»Ich werde es mir merken ... «​
»Sehr gut!«, gab die Elfe zurück und streckte stolz ihre Brust heraus.​
»Na, dann ist das hier eine gute Gelegenheit für eine zweite Runde!«, rief der Echsenmensch und stellte ein fröhliches und wildes Lächeln zur Schau.​
Der Zwerg kippte sich etwas Branntwein herunter und fragte:​
»Was machen wir nun, Bartschneider? Wir haben auch ein Abenteuer hinter uns und sind etwas erschöpft.«​
»Ich habe eine Idee ...«​
Goblin Slayer hatte immer etwas in seiner Tasche und das galt umso mehr, wenn die anderen dabei waren.​
»Wir schaffen es.«​
»Ja, wir schaffen es!«​
Sofort setzten sich die Abenteurer in Bewegung. Goblin Slayer nahm Kampfstellung ein und neben ihm positionierte sich der Echsenmensch mit kampfbereiter Scharfkralle. Die Elfe machte hinter den beiden eine neue Sehne bereit und der Zwerg steckte eine Hand in seine Tasche mit Katalysatoren. Die Priesterin festigte den Griff um ihren Stab. In dieser Formation hatten sich die Abenteurer schon vielen Gegnern gestellt. Der Oger starrte die Gruppe mit weit aufgerissenen Augen an und rief:​
»So ist das also! Ihr ... Ihr wart es!«​
»Ganz genau, sagte Goblin Slayer ein drittes Mal.​
»Ganz genau!«​
Dann stürzte er los.​
»Waaargh!«​
Dem heran rauschenden Kriegshammer, der von einem Kampfschrei begleitet wurde, wichen die Abenteurer mit geübten Bewegungen aus. An der Tatsache, dass ein Treffer vom ihm tödlich sein würde, hatte sich nichts geändert.​
»Was machen wir nun, Orcbolg?!«, rief die Elfe und nahm den Gegner ins Visier.​
»Wir bringen ihn zu Fall!«​
»Hast du das nicht eben schon gemacht?!«​
Als die Worte den Mund der Waldläuferin verließen, flog ein Pfeil von ihrer Sehne und blieb in der Brust des Ogers stecken. Unbeeindruckt schlug dieser den Schaft des Geschosses mit seinem Hammer ab.​
»Damit kommst du nicht weit, Elfe!«, brüllte der Oger und schwang seine Waffe nach der Waldläuferin, die mit einem „Ah!“ unter der Attacke wegtauchte.​
Die Elfe musste kurz daran denken, dass ein Treffer wohl höchstens ein paar Brocken ihrer Gliedmaßen übrig lassen würde, und wurde blass im Gesicht.​
Goblin Slayer rief nüchtern:​
»Noch einmal!«​
»Ach, Mann! In Ordnung«, antwortete die Elfe und versuchte mit einem Lächeln ihre Unsicherheit zu verstecken.​
Sie rannte los und hinterließ dabei keine Fußspuren.​
Goblin Slayer wandte sich dem Zwerg zu und fragte:​
»Magie?«​
»Ich werde noch einen oder zwei Zauber wirken können.«​
»Spare dir bitte einen auf.«​
»Alles klar.«​
Als Nächstes schaute Goblin zur Priesterin, deren Versuche, kräftig zu wirken, nicht verstecken konnten, wie erschöpft sie war. Sie konnte wahrscheinlich keine Wunder mehr wirken.​
»Übertrei...«​
»... ben werde ich es nicht«, vervollständigte sie seinen Satz mit einem tapferen Lächeln.​
»Wenn man es zum Gewinnen lediglich übertreiben müsste, dann könnte man immer siegen.«​
»Gut.«​
Goblin Slayer nickte und richtete seinen Blick wieder in Richtung des Ogers und der Elfe. Die Waldläuferin rannte, sprang herum und schoss dabei Pfeile auf den Oger ab, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Kriegshammer schlug immer wieder gegen die Bäume, durch die die Elfe wie das durch Blätter fallende Licht hüpfte, doch sie ließ sich davon nicht stören.​
»Was denkst du?«​
»Du hast doch sicher diese eine Legende aus alten Zeiten gehört.« Der Echsenmensch klopfte Goblin Slayer mit dem Schwanz auf die Schulter und verdrehte die Augen.​
»Selbst ein gewaltiger Körper kann der Schwerkraft nicht entkommen. Besonders wenn er nur zwei Beine hat.«​
»Dann steht es fest.«​
Goblin Slayer holte einen Kletterhaken mit Seil aus seiner Tasche hervor und warf das Ende mit dem Haken dem Mönch zu.​
»Mach es fest.«​
»Am besten an einem Baum mit dicken Wurzeln, oder? Verstanden!«​
Goblin Slayer und der Echsenmensch setzten sich in Bewegung und ohne auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt zu haben, schien die Elfe zu verstehen, was sie vorhatten. Sie griff mit einer Hand nach oben und bezog mit einer lockeren Drehung Stellung auf dem Baumwipfel.​
»Mach mit!«, rief sie der Priesterin zu.​
»Ja!«, antwortete diese, wickelte einen Stein in ihre Schleuder und feuerte ihn ab. Es war nicht klar, ob es an ihrem Training oder dem gewaltigen Körper des Gegners lag, aber das Geschoss traf den Oger mitten im Gesicht.​
»Lächerlich! Was will ein kleines Mädchen wie du mir anhaben können?!«​
»Wie gefällt dir dann dieser Pfeil?!«​
Die Elfe zog einen ihrer Pfeile aus dem Köcher und biss auf die aus einer Knospe hergestellte Pfeilspitze. Dann legte sie ihn an und ließ ihn fliegen. Das Geräusch, das die Sehne beim Abschießen von sich gab, erinnerte an ein Instrument.​
»Uwargh?!«​
In dem Moment, als der Pfeil in den Augapfel einschlagen sollte, brach er mit einem Pamm auseinander. Der Oger riss sein Gesicht zurück.​
»Ha ha ha!«​
Die Elfe streckte stolz die Brust heraus, während sie weiter hüpfte.​
»Du hast sie immer abgeschlagen oder herausgezogen, um dich zu heilen, aber wir Elfen sind clever!«​
»Da wäre ich mir nicht so sicher!«, schaltete der Zwerg sich ein. Die Elfe wackelte mit den Ohren und hätte sich am liebsten mit ihm gefetzt, aber dafür war nach dem Kampf noch genug Zeit. Jetzt gerade musste sie ruhig bleiben.​
»Orcbolg, jetzt!«​
Der Echsenmensch wickelte sein Ende des Seils um einen Baum und machte es fest.​
»In Ordnung, werter Goblintöter!«​
Der Krieger rannte los und kreiste mehrmals um die Beine des Ogers.​
»Oh ...«​
Dann packte er sein Ende des Seils, festigte seinen Stand, um nicht umzufallen, und zog mit knirschenden Zähnen so angestrengt, wie sein erschöpfter Körper es erlaubte. Wenn selbst die kleinen Goblins wegen so etwas stolperten, würde der große Oger nicht stehen bleiben können.​
»Hngh! Was ist das denn für ein Kinderstreich?!«​
Der Oger tat es dem Krieger gleich. Er spannte seine Muskeln an und versuchte, seinen schwankenden Körper aufrecht zu halten, um nicht umzufallen. Dabei wischte er sich die Splitter aus​
den Augen. Er hatte genug davon. Anstatt ihnen Schmerzen zuzufügen, würde er sie alle einfach abschlachten.​
»Carbunculus ... Crescunt ... «​
Der Oger stellte seinen Finger auf, sprach Worte wahrer Macht und an seiner Fingerspitze begann sich Licht zu sammeln. Der Echsenmensch, dem als stärkster Abenteurer der Gruppe die Aufgabe zukam, den Baum festzuhalten, riss die Augen weit auf.​
»Ein riesiger Feuerball!!«​
»Das habe ich schon mal gehört!«​
Die Elfe verzog das Gesicht und versuchte sich zu erinnern.​
Hatte der Zwerg damals den Satz gesagt?​
»Ich ... komme!«​
Die kleinste der Abenteurer kam herangeeilt und stellte sich tänzelnd dem gewaltigen Strudel aus Magie entgegen. Sie festigte ihren Griff um den Stab und riss ihn in die Höhe. Dann fasste sie einen Entschluss und erhob ihre Stimme.​
»Höchst barmherzige Erdmutter! Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht!«​
Der Oger grinste breit. Er wusste, dass dieses Wunder nur ein grelles Licht erzeugte, und dem könnte er einfach entgehen, indem er die Augen schloss. Eine wiederholte Blendung konnte effektiv sein, aber jetzt war sie kaum mehr als ein Trick. Er schloss seine Augen und drehte sich weg, aber dann ...​
»...?!«​
... passierte nichts. Der Oger öffnete seine Augen und sah zur Priesterin. Ihr Gesicht war voller Schweiß, aber sie hatte dennoch ein unerschrockenes Lächeln auf den Lippen.​
Ganz genau, dachte sich das Mädchen und streckte voller Stolz die Brust heraus. Ich habe nur die Worte des Gebets gesprochen!​
»Jetzt!«​
»Alles klar!«​
Der Zwerg hatte zur Konzentration etwas Branntwein getrunken und formte nun Zauberzeichen mit den Fingern.​
»Pixies, Pixies! Ich habe keinen Kuchen, aber bitte euch um einen Streich!«​
Feen liebten Streiche und wenn jemand ihnen dazu die Möglichkeit gab, dann eilten sie herbei. In diesem Fall war es auch so. Sie tauchten auf und wirkten „Festhalten“ auf die Beine des Ogers.​
»Ga... Aaaargh?!«​
[/JUSTIFY]Da ihm die Konzentration geraubt worden war, löste sich der Zauber des Ogers auf, er stürzte und fiel wieder in den See hinein.[/JUSTIFY]
»Uwaaah!«​
Eine Wasserfontäne schoss in die Luft und Goblin Slayer sprang auf den Oger drauf. Mit der Kehle der Bestie im Visier rief er:​
»Lass das Seil los!«​
»Aber gerne doch!«, brüllte der Echsenmensch zurück und zerschnitt das Seil mit einer seiner scharfen Krallen. Mit einem lauten Reißen schnappte es zurück und der Oger begann im Wasser zu versinken. In diesem Moment stach Goblin Slayer zu.​
»Uwargh?! A...Abenteurer!«​
Der Oger wand sich unter Qualen und spuckte schaumiges Blut aus, aber seine Augen flammten wild auf. Er hatte gerade Schaden genommen, aber dieser war noch lange nicht kritisch. Die minderwertige Klinge des Kriegers wäre niemals in der Lage, einem Oger das Leben zu nehmen. Das Monster plante, genauso aus dem Wasser zu springen, wie es das bereits vorher getan hatte, und außerdem schienen den Abenteurern die Tricks auszugehen.​
»Versenke ihn.«

»Wa...?«​
»Geht schon los!«, rief der Zwerg und wirkte einen weiteren Zauber.​
»Gnome, Gnome! Dreht den Eimer! Wirbelt ihn herum! Schleudert ihn fort!«​
Von einem Moment auf den anderen fühlte sich der Körper des Ogers schwer an und er versank im kalten Wasser, als wäre er von einer Kette gefesselt.​
»Wa... Was ... hast ... d ... du ... getan?! A ... Abenteurer!«​
Wasser drang in Nase und Mund des Ogers ein. Er begann zu röcheln und seine Worte wurden unverständlich. Goblin Slayer ließ das Schwert in der Kehle der Bestie stecken und sprang an Land. Der Oger konnte mit seinem Kopf unter Wasser nur noch Schatten erkennen. Egal, wie sehr er auch zappelte, er sank weiter hinab. Die Mischung aus Schlamm und Wasser auf seiner Haut sorgte dafür, dass er keinen Schub bekam. Ob er wohl bemerkt hatte, dass es an Sturzkontrolle lag? Der Oger wollte zurück an Land. Er wollte die Abenteurer brutal zerreißen und natürlich auch atmen können. Eine große Blase stieg aus seinem Mund auf, doch diesen Schrei würde niemals jemand hören.​
»Haben wir ihn erledigt?«​
Goblin Slayer war so erschöpft, dass er am Ufer zu Boden fiel. Sein Körper fühlte sich an, als hätte jemand Bleigewichte an ihm befestigt. Allein das Atmen war beschwerlich, weswegen er den Drang verspürte, seinen Helm abzureißen, aber das konnte er nicht tun. Hier waren noch Goblins.​
»Bitte sehr.«​
In diesem Moment wurde ihm ein kleines Fläschchen gereicht.​
Er schaute hoch und sah, dass die Priesterin ihn mit müdem Gesicht anschaute.​
»Ach«, murmelte Goblin Slayer mit kratziger Stimme.​
»Es tut mir leid ... Danke ·.«​
»Nicht doch.«​
Der Priesterin schoss die Röte ins Gesicht und sie schaute zu Boden.​
»Sonst rettest du mich doch immer.«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayer schüttete sich den Trank in den Hals.​
»Ja, das ist so«, gab die Priesterin zurück und setzte sich neben ihn.​
Wegen des Tranks hatte der Krieger das Gefühl, dass er endlich wieder durchatmen konnte.​
»Wir haben gerade im direkten Kampf gegen einen Oger gewonnen.«​
Die Elfe schaute auf die kleinen Wellen an der Wasseroberfläche, als könnte sie es noch nicht glauben. Dann drehte sie sich mit wackelnden Ohren zu ihren Kameraden um und grinste.​
»Das war eine Kampfleistung, die dem Gold- Rang würdig ist, oder?«​
»Vergiss das lieber. Wenn man erst auf dem Rang ist, muss man sich auch um Regierungsangelegenheiten kümmern. Das bringt kein Geld und macht nur Ärger«, gab der Zwerg zurück.​
»Ja ...«, murmelte die Elfe enttäuscht.​
Sie hatte den spitzen Kommentar des Zwergs anscheinend bereits vergessen.​
»Sie ist so simpel gestrickt.«​
Der Schamane gönnte sich einen Schluck Branntwein und fuhr sich durch den Bart.​
»In der Tat. Ja, in der Tat. Unsere Kräfte mögen auf Goldrang Niveau sein, aber da dieser Rang nur Ärger macht, bleiben wir auf Silber. Ein angenehmes Leben ist auch wichtig.«​
Der Echsenmensch zog den im Baum hängenden Haken heraus und verdrehte vergnügt die Augen. Das Seil war zwar zerschnitten, aber der Haken war noch zu gebrauchen. Es gehörte zum Abenteurerdasein, dass man nicht verschwenderisch mit solchen Gegenständen war. Dann ging der Echsenmensch zu dem Kriegshammer, den der Oger fallen gelassen hatte.​
»Das ist aber ein schönes Teil.«​
Er hob ihn hoch und legte ihn sich auf die Schulter. Als Echsenmensch nutzte er eigentlich nur seine Scharfkrallen und Metall interessierte ihn nur in Form von Geld, aber da vom Gegner kein Schädel oder Herz übrig war, würde der Hammer eine brauchbare Trophäe abgeben.​
»Die Beute ist wichtig ... Aber jetzt bleibt noch die Säuberung. Nicht wahr, werter Goblintöter?«​
»Ja.«​
Goblin Slayer nickte kurz, bevor er zu den Überresten des Dorfes schaute, aus denen noch immer Rauch aufstieg. Neben einigen Goblins waren dort noch die Frauen im Brunnen. Nach einer Schlacht war immer viel zu tun, denn weil es so viele Goblins gab, ging es immer weiter. Anscheinend war dies wirklich nicht der Tag gewesen, an dem er sterben sollte.​
»Das ... war also ein Oger ... «​
Weil er durch den Trank etwas Kraft zurückgewonnen hatte, raffte der Krieger sich auf. Er schwankte und die Priesterin eilte heran und stützte ihn.​
»Goblins sind verglichen damit viel gefährlicher.«​



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Edward Teach

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Internission XXX

Von all dem vor der Rettung der Welt


Drei Abenteurer rannten stolpernd durch den Firn. Der Jäger an der Spitze war erschöpft und die beiden hinter ihm noch mehr. Die Zeit war knapp und sie mussten sich weiter vor den Sasquatchs hüten. Diese waren nämlich nicht besonders schlau und es war nicht klar, ob sie den Denkzettel verstanden hatten. Außerdem sorgten die Abenteurer sich um ihre Kameraden, die zu den Überresten des Dorfes gegangen waren.​
Es wird schon nichts Schlimmes sein ...​
... aber schlimme Sachen gehörten eigentlich zu jedem Abenteuer, denn selbst die Götter wussten nicht, wie die Würfel fallen würden.​
Der Krieger Lehrling war fürchterlich aufgeregt. Zwar hatten der Schnee und der Wind sich gelegt, aber bis der Schnee am Boden schmelzen würde, würde es noch dauern. Oder lag der Schnee hier vielleicht schon seit Anbeginn der Zeit?​
Ich hätte mir besseres Schuhwerk aussuchen sollen.
Es war zu spät für solche Gedanken, aber der Krieger grübelte dennoch darüber nach. überhaupt hatte er jetzt nur die Gelegenheit, Dinge zu bereuen, weil er den Kampf in der Höhle überstanden hatte. Er biss die Zähne zusammen und schwor sich, dass er es das nächste Mal besser machen würde. Wahrend er seine fehlerhafte Vorbereitung bereute, schaute der junge Abenteurer nach hinten.​
»Hey, bist du in Ordnung?«​
»Irgendwie ... wird das schon!«​
Die Stimme der Heiligen in Ausbildung überschlug sich keuchend beim Antworten. Sie nutzte ihr Waagenschwert wie einen Wanderstab und selbst in der kalten Luft hatte sie einen knallroten Kopf und schwitzte unheimlich. Der Junge schmunzelte, obwohl er gerade ähnlich aussah. Er streckte seine Hand aus.​
»Komm.«​
»Danke ...«​
Es war nicht klar, ob aus Scham oder Erschöpfung, aber die Heilige war ungewöhnlich wortkarg. Während sie sich abwendete, packte er ihren dünnen Arm und zog sie aus dem angehäuften Schnee heraus. Dann schaute der Krieger Lehrling nach vorne, wo der Hasenmensch-Jäger mit seinen langen Ohren wackelte.​
»Hey, tut mir leid! Wollen wir eine kurze Pause ·.«​
Mitten im Satz hörte der Hasenmensch auf zu reden. Er zuckte mit seinen Ohren und gab ihnen dann mit einer Hand ein Zeichen.​
»Hm? Was ist denn?«​
»Es nähert sich etwas!«​
Die Abenteurer machten sich sofort kampfbereit. Sie waren erschöpft, hatten wenig Erfahrung oder im Falle des Jägers sogar so gut wie keine. Dennoch waren sie Abenteurer. Sie hatten keine Zauber und Wunder mehr, aber wenn es notwendig war, würden sie kämpfen. Der Hasenmensch machte einen Satz zurück und hielt seine Armbrust bereit.​
Danach verging erst eine Minute ... und dann zwei ... Oder waren es doch nur einige Sekunden? Die Abenteurer wussten es nicht und warteten darauf, wer oder was sich ihnen näherte. Zuerst waren es nur kleine Schemen, die sich schließlich als eine Rhea und ein rothaariger ...​
»Ach, ihr?!«​
»Hä? Was macht ihr denn hier?«​
Der junge rothaarige Magier gab sich wie immer überheblich und wurde begleitet von der Rhea-Kriegerin, die ihm wegen seines Verhaltens einen Tritt verpasste.​
»Autsch?!«​
»Lange nicht gesehen! Geht's euch gut? Kümmert euch einfach nicht um ihn.«​
Die Heilige in Ausbildung sah ihr ins Gesicht und grinste. Dann bewegte sie ihre vor Kälte steifen Finger und schüttelte ihre Hände.​
»Ja ...Alles gut. Uns geht es prima! Was ist mit euch? Alles klar?«​
»Wir haben hundert Abenteuer in Folge hinter uns!«​
Die Rhea streckte ihre Brust raus und lächelte leicht verschämt.​
»Aber wir haben noch immer so viel zu lernen.«​
Dann fiel ihr Blick auf den Hasenmenschen.​
»Meine Güte! Ihr habt aber ein süßes neues Mitglied gefunden!«​
»Ahm ...«, erhob der Jäger zurückhaltend die Stimme.​
»Sind das ... etwa Bekannte?«​
»Sie sind Freunde«, antwortete der Krieger Lehrling.​
»Nicht wahr?«​
»...« Der junge Magier sagte erst nach einer Weile mürrisch: »Ja.«​
Die Rhea-Kriegerin musste kichern, weshalb der rothaarige Junge sie wütend an funkelte und schnell das Thema wechselte.​
»Und warum seid ihr hier? Irgendein Auftrag?«​
»Ach, eigentlich ...«​
Der Krieger Lehrling erklärte mit ein paar schnellen Sätzen die aktuelle Situation. Anschließend ergänzte die Heilige einige wichtige Punkte, die er vor lauter Aufregung zu erwähnen vergessen hatte.​
Nachdem der Jäger auch noch ein, zwei Dinge hinzugefügt hatte, fragte die Rhea-Kriegerin:​
»Deswegen haben jene Personen ihn also hergerufen?«​
»Ihn hergerufen? Jene Personen?«​
Als die Heilige in Ausbildung verwirrt den Kopf schief legte, nickte die Rhea-Kriegerin.​
»Ja, unseren Lehrmeister. Anscheinend hat er hier etwas zu erledigen.«​
»Er meinte, dass wir jenen Personen helfen sollen, bis er fertig ist. Ich habe ihn aber nicht als Meister akzeptiert«, meckerte der junge Magier.​
»Jenen Personen ...«​
Der Jäger stellte seine Ohren auf.​
»Etwa die, die von dort hinten kommen?«​
Bis es ihm gesagt worden war, hatte der Krieger Lehrling die Präsenz der anderen Personen überhaupt nicht bemerkt. Der Heiligen in Ausbildung ging es ebenso. Sie war nicht aufmerksamer als andere Mädchen in ihrem Alter. Selbst der Hasenmensch hatte sie nicht registriert, bis sie nicht mehr weit entfernt waren.​
Im vom Schnee reflektierten Licht waren drei Abenteurerinnen aufgetaucht. Eine Kriegerin, eine Magierin und ein kleines schwarzhaariges Mädchen. Das Mädchen trug ein prächtiges Schwert an der Hüfte und kam mit einem strahlenden Lächeln heran geeilt.​
»Was ist denn? Ist irgendwas passiert?«​
»Nein, das sind meine ... Freunde.«​
Der junge Magier starrte die Rhea-Kriegerin wütend an.​
»Mehr nicht ...«​
Das Mädchen nickte mehrfach und wandte sich den beiden hinter ihr zu.​
»Hier wird anscheinend meine Hilfe gebraucht! Darf ich helfen?«​
»Mach du mal«, antwortete die Kriegerin.​
»Ich habe es mir schon gedacht«, murmelte die Magierin.​
»Hi hi hi ...«​
Das Mädchen kratzte sich verschämt an der Nase. Dann klopfte sie auf die Schulter des Krieger-Anfängers und streckte stolz ihre Brust heraus.​
»Toll, wie du auf deine beiden weiblichen Begleiter aufgepasst hast! Wie ein echter Kerl! Den Rest kannst du mir überlassen!«​
»Wie bitte?! Zwei weibliche Begleiter?!«​
Der Junge schaute überrascht zu dem Hasenmenschen. Anscheinend war sie eine Jägerin. Was als Nächstes geschah, muss nicht erzählt werden.​


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Edward Teach

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Kapitel 81

Zurück zum Alltag


»Das war anscheinend wieder ganz schön harte Arbeit ... «​
Die Worte der Gilden Angestellten mochten für manche etwas unbeteiligt klingen, aber in ihnen steckte auch viel Dankbarkeit und Sorge.​
»Ja ...«, erwiderte die Priesterin und schloss damit ihren Bericht ab.​
In ihren Händen hielt sie eine Tasse mit heißem Tee, die sie von der Beamtin erhalten hatte. Sie wärmte sich mit einigen Schlucken auf.​
»Ja, bei uns ist es so abgelaufen, aber wer hätte gedacht, dass Goblin Slayer währenddessen mit einem Oger kämpft.«​
»Wieso redest du jetzt über Orcbolg?«​
Die Elfe schlug laut auf den Tresen.​
»Das Mädchen ist wirklich ... Wie soll ich es ausdrücken? Ihre Gedanken wurden vergiftet.«​
»Vergiftet? Nein, das ...«​
Das Mädchen schaute verlegen nach links und rechts.​
»Nun ja, sie hat sich durchaus beeinflussen lassen«, erklärte der Echsenmensch freudig.​
Er wackelte mit dem Schwanz und verdrehte die Augen.​
»Die Frage, ob es der richtige oder falsche Weg ist, lassen wir mal beiseite, aber es ist dennoch richtig, sich weiterzuentwickeln.«​
Der Mönch legte die Hände zusammen und schaute zu der prächtigen erbeuteten Waffe, die an der Wand des Wartebereichs lehnte. Sie war ein weiterer Beweis dafür, dass die Gilde sich erneut kriegerisch verdient gemacht hatte. Der Speerkämpfer und die Hexe betrachteten sie mit interessierten Gesichtern und die Gruppe des Panzerkriegers hatte sich​
daneben aufgereiht. Die Ritterin streckte ihre Arme aus, um die Waffe hochzuheben, schaute aber unzufrieden, als der Gruppenführer sie aufhielt.​
»Ich werde später noch ein schönes Schild besorgen, um es mit der Waffe zusammen aufzuhängen.«​
Der Zwerg schaute sich die Trophäe genüsslich an, gönnte sich einen Schluck Alkohol und strich sich durch den Bart.​
»Riesen, ein weiblicher Vampir und dann noch ein Oger. Seitdem unsere Gruppe besteht, haben wir echt schon ansehnliche Leistungen vollbracht.«​
»Das stimmt wohl ...«, erwiderte die Gildenangestellte, während sie ihre Abenteurerbögen erneuerte.​
Erst vor Kurzem hatte die Gruppe eine hohe Adlige aus einem unterirdischen Labyrinth gerettet. Dafür waren sogar Abenteurer aus der Hauptstadt entsandt worden.​
»Aber wer war jetzt am Ende der Strippenzieher?«, fragte die Elfe und ließ dabei ihre schlanken, langen Beine baumeln.​
Die Waldläuferin hatte damit die zentrale Frage gestellt. Wer hatte dafür gesorgt, dass der Frühling sich verspätete, und gleichzeitig die Eishexe und den Oger kontrolliert?​
»Ach ja«, meldete sich die Gildenangestellte zu Wort.​
Sie entschied, dass sie es der Gruppe erzählen konnte, und reihte einige Schriftstücke auf.​
»Ein Überbleibsel der Armee des Dämonenfürsten schien irgendetwas geplant zu haben, aber die Heldin hat sich bereits darum gekümmert.«​
»Das war sicher ganz schön harte Arbeit««, sagte der Echsenmensch gelassen und damit war die Sache für ihn erledigt. Seiner Meinung nach hatte er eine beeindruckende Leistung abgeliefert, für die er sich mit etwas Käse belohnen würde.​
»Die werte Heldin ist viel unterwegs und immer beschäftigt.«​
»Wer mächtig ist, kann mit seiner Macht viel erreichen, hat aber auch viel zu tun«s, gab die Gildenangestellte darauf zurück.​
»Als Silber-Rang-Abenteurer bleibt einem so etwas erspart.«​
Als der Zwerg die Worte des Mönchs hörte, musste er ein Kichern unterdrücken und die Elfe seufzte verzweifelt. Obwohl Hochelfen wie sie als äußerst elegant galten, stützte sie ihren Kopf auf ihren angewinkelten Arm und fragte genervt:​
»Was ist eigentlich mit Orcbolg?«​
»Er meinte, dass er ausnahmsweise mal früh heimkehren könnte. Dabei macht er das doch eigentlich immer so, oder?«, antwortete die Gildenangestellte etwas enttäuscht.​
»Ach!«​
Die Elfe wackelte mit ihren Ohren.​
»Ich versteh schon. Auch was das angeht, kann man sich auf ihn verlassen.«​
»Dieses Mal hat das Mädel vom Hof sicher am meisten von uns gelitten«, sagte der Zwerg.​
»In der Tat, in der Tat. Hoffentlich kann sie von nun an in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen«, fügte der Echsenmensch hinzu.​
»Dir geht's doch nur um den Käse!«, keifte die Elfe und sorgte dafür, dass ihr schuppiger Kamerad verzweifelt die Augen verdrehte.​
Es war nicht klar, wer von ihnen das Eis brach, aber am Ende lachte die ganze Gruppe und die fröhlichen Geräusche hallten friedlich durch die Gilde.​
»Ä ... Ähm, aber dennoch finde ich den Ausdruck nicht gut, dass ich vergiftet sein soll ...«, merkte die Priesterin noch an, doch ihre Beschwerde ging im Lachen der anderen unter.​
Als sie beleidigt zur Seite schaute, standen dort der Krieger Lehrling, die Heilige in Ausbildung und die Hasenmensch Jägerin. Der Krieger Lehrling war gerade dabei, von seinen angeblichen Heldentaten zu erzählen, aber bekam von links und rechts Widerworte. Die Priesterin wusste nicht, wie viele Erfahrungspunkte die beiden gesammelt hatten, aber konnte man den Krieger und die Heilige noch als Anfänger bezeichnen? Und was war mit ihr? Sie hätte gerne behauptet, dass sie Fortschritte gemacht hatte, aber was würden ihre ersten Kameraden wohl jetzt sagen? Sie schüttelte den Kopf.​
»Was hast du? Ach, bist du etwa echt beleidigt? Das tut mir leid. Ich meinte das irgendwie auch als Lob«, sagte die Elfe und schaute der Priesterin ins Gesicht.​
»Nein... Ahm ... Nun ja ... Doch, irgendwie schon«, entgegnete das Mädchen.​
»Häääh?!«, rief die Elfe darauf und sorgte dafür, dass das Mädchen laut loslachte.​
Die Priesterin empfand ihre Kameraden als großen Segen.​
***
Der Himmel konnte sicherlich überall in der Welt blau sein, aber das Blau über dem Bauernhof war ihr besonders vertraut. Während sie aus dem Fenster heraus in den Himmel schaute, musste die Kuhhirtin niedergeschlagen seufzen. Natürlich kann ich verstehen, dass er sich Sorgen gemacht hat ... Nachdem sie entkommen war, war so einiges passiert, was sie gleichzeitig beunruhigt und beruhigt hatte. Sie war in die Stadt zurückgekehrt. Ihr Onkel hatte geschimpft. Die Gildenangestellte hatte ihr besorgt Fragen gestellt und dann hatte sie auf ihn gewartet. Am Ende war sie ihm sogar entgegengegangen. Dann war alles vorbei gewesen. Sie hatten die Vorräte nicht ausliefern können, aber eine Sendung ihres Onkels war wohl rechtzeitig angekommen und auch die Wurzeln des Bösen, die sich in der Gegend festgesetzt hatten, waren zerschlagen worden. Jetzt herrschte wieder der normale Alltag. Goblin Slayer brach mit seinen Kameraden auf und sie verbrachte ihre Tage auf dem Bauernhof. Die einzige Veränderung bestand darin, dass sie das Gelände nicht mehr verlassen durfte. Dabei würde ich mich gerne mal wieder um eine Auslieferung oder so kümmern. Sie brauchte die Bewegung und es wäre wahrlich ein Problem, wenn sie schwächer oder sogar dick werden würde. Außerdem hatte ihr Onkel sowieso schon viel zu viel zu tun. Natürlich wollte sie ihm keine weiteren Sorgen bereiten, doch wie kam es, dass sie durch das Erlebte keine emotionalen Narben davongetragen hatte?​
Eigentlich liegt es auf der Hand ... Die Gesichtszüge der Kuhhirtin entspannten sich und obwohl sie niemand beobachtete, versuchte sie, ihr Lächeln zu verstecken. Sie blickte zu dem Kanarienvogel, der zwitschernd in seinem Käfig saß. Sie steckte kurz ihren Finger zu ihm in den Käfig und dachte:​
Nun ja, es lässt sich jetzt nichts an meiner Lage ändern.
»Ich geh erst mal die Wäsche machen!«​
Sie sprach diesen Gedanken laut aus, um sich selbst einen Schubs zu geben. Anschließend ging sie durch die Zimmer, zog die Bettwäsche ab und warf sie in einen Bottich im Garten. Danach füllte sie den Bottich mit Wasser und warf etwas Asche hinein.​
Im Anschluss stieg das Mädchen in den Bottich und stieß ein „Urgh“ aus, weil das Wasser so kalt war. Dann begann sie auf der Wäsche herumzutreten. Das Wasser gluckerte, während sie immer festere Schritte machte, und nach einer Weile zog sie einen Stöpsel, um das Wasser aus dem Bottich zu lassen. Dann wiederholte sie den ganzen Vorgang noch einmal. Als sie fertig war, hing sie die Wäsche an den Leinen auf, die im Garten gespannt waren.​
»Puh!«​
Die Kuhhirtin schnaufte aus und ihr Busen wackelte dabei kräftig. Dann wischte sie sich den Schweiß von der Stirn.​
***
»Ach was. Ich hatte schon erwartet, dass es hier nach Milch riechen würde, aber die sind echt prall gefüllt.«​
»??!«​
Als sie plötzlich von einer äußerst rauen Stimme angesprochen wurde, drehte die Kuhhirtin sich schnell um. Eigentlich hatte sie gedacht, dass nur ein Wind aus dem Westen herbei geweht wäre. Ein trockener Wind, der beim Sinken der Sonne vorbeihuschte. Aber gerade als der Wind vorbeiziehen sollte, sah sie einen kleinen schwarzen Schatten. Er wirkte wie ein versteinerter Baum, an dem unzählige Jahre vorübergegangen waren. Es war ein alter Rhea.​
»Ähm, kann ich irgendwie helfen?«​
»Ich brauch keine Hilfe.«​
Aus dem Mund des Rhea kam ein dreckig klingendes, schmatzendes Geräusch. Dann gurgelte er und spuckte etwas aus.​
»Hier in der Gegend ist er, oder?«​
»..?«​
»So ein komischer Abenteurer.«​
Der alte Rhea grinste und zeigte dabei seine krummen Zähne.​
»Ein blöder Idiot ohne Talent. Seine einzigen Vorzüge sind sein todernster Charakter und sein Mumm.«​
Die Kuhhirtin verzog schmollend die Lippen. Sie wusste genau, von wem der Greis gerade sprach, aber das wollte sie ihm eigentlich nicht sagen.​
»Bei uns wohnt ein Abenteurer, aber er ist nicht so komisch.«​
Die Worte kamen spitzer und direkter aus dem Mund der Kuhhirtin als gewollt. Sie sah genau, wie die Augen des Rhea sich weiteten, und schämte sich für ihre Reaktion. Sie wollte sich entschuldigen, aber ...​
»Dann habt ihr also Spaß miteinander, was?«​
Die Kuhhirtin verstand, worauf der Rhea hinauswollte, und blies verschämt ihre geröteten Wangen auf.​
»Das stimmt nicht!«, gab sie scharf zurück.​
»Ein alter Magier hat mal Folgendes gesagt ... «​
»E... Ein alter ... Magier?«​
Die Kuhhirtin war verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel. Sie überlegte kurz, ob der Rhea sich damit selbst meinte. Er war schließlich alt. Als hätte der Rhea diesen Gedanken bemerkt, brummte er kurz und sagte dann:​
»Viel wichtiger als jedes Abenteuer sind die kleinen Dinge. Ein Zwerg hingegen sagte etwas anderes ... «​
Die Kuhhirtin beugte sich nach vorne. Die Stimme des Rhea war alles andere als schön, aber aus irgendeinem Grund wollte sie unbedingt jedes seiner Worte hören.​
»In einem selbst steckt eine Schönheit, von der man selbst nichts weiß.«​
Als das alte Wesen seine krummen Finger nach ihrem Busen ausstreckte, wich die Kuhhirtin reflexartig einen Schritt zurück. Der Rhea grinste darauf wild wie ein Haifisch.​
»Lebe wohl, gesundes Kind aus dem Dorf. Ich bin froh, dass ich vorbeigeschaut habe.«​
Es gab einen erneuten Windstoß und mit einem „Ah?!“ schloss die Kuhhirtin überrascht die Augen. Dann war der Schatten verschwunden und ihr war ein wenig, als wäre er nie da gewesen.​
»W ... Was war das denn?«​
Die Kuhhirtin legte eine Hand an ihre Brust und spürte, wie stark ihr Herz pochte. Sie atmete tief ein und wieder aus und überlegte, ob sie Goblin Slayer von dem Vorfall erzählen sollte, aber seltsamerweise hatte sie kein Verlangen danach. Es war nur ein kurzer Augenblick gewesen, in dem ein Schatten mit dem Wind erschienen und dann wieder fortgeblasen worden war. In dieser Welt gab es unzählige Dinge, die man sich nicht erklären konnte, und bestimmt war dies nur so etwas gewesen. Jetzt gab es wichtigere Dinge zu tun.​
»Stimmt. Ich muss das Abendessen vorbereiten.«​
Sein Lieblingsessen, der Milcheintopf. Nachdem sie die aufgehängte Bettwäsche kontrolliert hatte, rannte die Kuhhirtin zurück ins Haus. Sie füllte den Topf mit Zutaten, ließ den Inhalt köcheln und rührte ihn immer wieder um.​
Nach einer Weile erfüllte ein süßlicher Geruch den Raum und wanderte durch das offene Fenster nach draußen, wo der Wind ihn verteilte. Wenig später war dann eine Gestalt zu sehen, die sich mit der dunkelroten Abendsonne im Rücken dem Hof näherte. Auf manche mochte er unansehnlich und erbärmlich wirken, doch für sie war er der wunderbarste Abenteurer der Welt.​
Sie warf die Tür auf und rief ihm »Willkommen zu Hause!« entgegen.​
Gestern war die Welt nicht untergegangen und auch heute bestand sie weiter. Morgen würde es sie bestimmt auch noch geben und was konnte kostbarer sein als das?​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Prelude IX

Oh ja, die Weintrauben erfreuen das Gemüt
Auf dem üppigen Hügel sind die Blumen erblüht
Blaue Federn vor dem prallen Herbstmond
- ach, guck Sie sind der Erdmutters prächtiger Brustschmuck
Die Pflanzen blühen und die Früchte reifen sacht
Mit dem Geliebten in der zweiten Sternennacht
Die Waldvögel verkünden das Morgengrauen wie Glocken
Das Streicheln der Erdmutter wird uns raus locken
Hach, diese süß-bitteren kleinen Tropfen
In unserem Herzen spüren wir ein Feuer pochen
Die Zwillingsmonde und die Sterne machen Schicht
Für die Erdmutter ist es ein Glücksgedicht



 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 82
Vor dem Sturm


Weil sich direkt vor ihr ein wild aufgerissenes Maul befand, kreischte sie auf und sackte im Dickicht zusammen.​
»U. .. A ... Ah!«​
Sie hatte dabei reflexartig mit ihrem Stab zugestoßen, in den sich nun die Fangzähne des Mauls verbissen hatten. Dreckiger Speichel tropfte auf das Gesicht des jungen Mädchens, das vor Furcht zitterte. Sie starrte den gewaltigen Monsterwolf an, der sie mit blutunterlaufenen Augen fixierte.​
»Ur... Urgh!«​
Obwohl es versuchte, den Warg mit ganzer Kraft auf Distanz zu halten, näherte er sich dem Mädchen weiter. Auch ihre Tritte konnten ihn nicht aufhalten. Die Bestie trat auf den Körper der Priesterin und wenn diese nicht ihr Kettenhemd getragen hätte, hätten sich jetzt seine Krallen in ihr Fleisch gebohrt.​
»U... Ah?!«​
Doch auch wenn das nicht geschah, wurde ihr zarter Körper zusammengequetscht und sie atmete stöhnend aus. Sie hatte Probleme, Luft zu holen, und langsam verschwamm ihre Sicht. Sie zappelte und wand sich wie ein Beutetier und auch wenn ihre Bemühungen auf einen Dritten vermutlich sinnlos wirkten, wusste sie, dass sie nur noch einige weitere Momente aushalten musste.​
»GARW?!«​
Im nächsten Moment wurde der Warg getreten und rollte heulend von der Priesterin herunter.​
»Bist du in Ordnung?«​
»... Ja!«​
Die Priesterin versuchte hustend, ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen. Sie schaute hoch und sah einen Abenteurer. Er trug eine dreckige Lederrüstung und einen billigen Eisenhelm. In der Hand hielt er ein mittellanges Schwert und um den Arm war ein kleiner Rundschild gebunden.​
»Goblin Slayer, er greift noch einmal an!«​
»Ich weiß.«​
»GAAWRG!!«​
Mit einem lauten Knurren kam der Monsterwolf angesprungen, aber der Abenteurer schlug ihm den Schild vor die Schnauze.​
»Hrmpf!«​
Dann sprang er zu der Bestie, die heulend auf den Boden gefallen war, stach seine Waffe in ihre Kehle und schnitt sie durch. Im Anschluss hielt er sie mit seinem Schild am Boden, bis das Leben aus ihr gewichen war.​
»Sicher wurden wir jetzt bemerkt«, sagte Goblin Slayer und richtete sich auf.​
»Ja ... bestimmt.«​
»Ich habe mich verschätzt.«​
Anstatt zu antworten, stand die Priesterin auf und klopfte sich Erde und Gestrüpp von der Kleidung. Dann schaute sie in dieselbe Richtung wie der Abenteurer, zu einer Höhle die sich mitten im Wald wie ein Schlund auftat. Neben dem Eingang befand sich eine seltsame Anhäufung aus Abfall und irgendwelchen Knochen. Wahrscheinlich hatten sie einst menschenähnlichen Wesen gehört. Der Geruch von Fäkalien und anderen körperlichen Ausscheidungen verschmutzte die eigentlich reine Waldluft. Die Priesterin war sich, genau wie ihr Kamerad, sicher, dass es sich um ein Goblin Nest handeln musste.​
»Sie haben nicht nur einen Schamanen, sondern auch Wargs als Wachtiere. Es muss ein großes Nest sein.«​
»Ja«, erwiderte Goblin Slayer angewidert.​
»Sie lauern uns bestimmt auf.«​
Es war wahrscheinlich schon klar, aber diese beiden Abenteurer waren mit dem Auftrag unterwegs, Goblins zu töten. Noch immer wütete der Kampf zwischen den Kräften der Ordnung und des Chaos und selbst Orte, die einst fest unter der Herrschaft der Ordnung gestanden hatten, waren jetzt in Gefahr, dem Chaos in die Hände zu fallen. Die Menschen weiteten ihren Lebensraum aus und errichteten, diesen Umstand ignorierend, an ebenjenen Orten Dörfer, weshalb es unvermeidbar war, dass sie auf Monster trafen. Ein oder zwei Goblins waren dabei aber keine große Gefahr und konnten selbst von jungen Leuten vertrieben werden. Oft wurden diese dann, von derartigen Erlebnissen angespornt, zu Abenteurern. Seitdem die Priesterin zur Abenteurerin geworden war, waren auch erst zwei Frühlinge vergangen.​
Mein drittes Jahr ...
Das Mädchen kniete sich ins Gebüsch und schaute zu Goblin Slayer, der sich in die Hocke begeben hatte. Mit diesem Frühling würde ihr drittes Jahr an seiner Seite beginnen. Sie war mittlerweile siebzehn Jahre alt und hatte das Gefühl, an ihren Aufgaben gewachsen zu sein.​
Auch wenn es sich nicht immer so anfühlt ...
Mit einem verlegenen Lächeln festigte sie den Griff um ihren Priesterstab.​
»Was machen wir nun?«​
»Es wurden Mädchen entführt«, sagte er ruhig.​
»Dennoch sollten wir sie ausräuchern und ihre Anzahl verringern.«​
»Verstanden. Ich werde alles vorbereiten.«Die Priesterin begann, in ihrer Tasche zu wühlen, und zog ein paar Keile, einen Hammer und ein Seil hervor.​
»Man sollte nie das Abenteurer-Set vergessen, nicht wahr?«​
Das Mädchen hielt sich ein Taschentuch über den Mund, um sich zumindest ein wenig vor dem üblen Gestank des Unrats schützen zu können. Dann schlich sie zum Eingang der Höhle, schlug dort zwei Keile in den Boden und spannte ein Seil zwischen ihnen. Anschließend kehrte sie langsam zum Dickicht zurück. In der Zwischenzeit hatte Goblin Slayer einige junge Äste gesammelt, die er nun am Eingang der Höhle platzierte.​
»Solche Äste eignen sich nicht als Feuerholz, aber man kann mit ihnen gut Rauch erzeugen.«​
»Ja.«​
Die Priesterin nickte mit einem Lächeln und schaute zu, wie der Krieger Feuersteine aneinander schlug und damit ein mit Öl getränktes Tuch entzündete, welches er dann wiederum nutzte, um die Äste zu entzünden. Dicker weißer Rauch entstand und sorgte dafür, dass dem Mädchen Tränen in die Augen stiegen. Nichtsdestotrotz begann sie geübt mit einem Gebet.​
»Höchst barmherzige Erdmutter! Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde!«​
Ein unsichtbares Kraftfeld bildete sich und sorgte dafür, dass der Rauch nun in Richtung der Höhle schwebte. Jetzt mussten die Abenteurer nur noch darauf warten, dass die Goblins von dem Rauch in ihrem Nest aufgescheucht und herausgetrieben wurden. Beim Verlassen der Höhle würden sie dann wegen der Stolperfalle stürzen und ein leichtes Ziel für die Abenteurer sein. Eine ähnliche Taktik hatten sie bereits einmal eingesetzt, wobei sie dabei eine gesamte Festung in Brand gesetzt hatten.​
»Sicher wird der Rauch nicht bis ins Innerste vordringen. Die Gefangenen werden also nicht verletzt werden. Allerdings heißt das, dass wir später hineingehen müssen.«​
Die Priesterin legte einen Zeigefinger an ihre Lippen und antwortete nachdenklich:​
»Hm ... Hoffentlich hat das Nest keine anderen Ein- oder Ausgänge.«​
»Ich werde gleich einen Rundgang machen. Bleib aufmerksam.«​
»Jawohl, ich mache das schließlich nicht zum ersten Mal!«​
Die junge Abenteurerin streckte stolz ihre Brust heraus und richtete ihre Kopfbedeckung. Diesmal waren sie nur zu zweit unterwegs und wahrscheinlich hatte Goblin Slayer sich deshalb verschätzt. Schließlich war er es bereits gewohnt, mit seinen Kameraden auf Abenteuer zu gehen. Wenn ihre Kameraden dabei gewesen wären, hätte die Elfe den Warg mit einem Pfeil erledigt und die Gruppe zusammen die Höhle betreten, wo dann der Zwerg den Aufbau des Nestes analysiert und gewusst hätte, ob es andere Ein- und Ausgänge gab. Wenn es dann zu einem Kampf gekommen wäre, hätte sich der Echsenmensch mit Gebrüll auf die Gegner geworfen und sie bezwungen.​
Aber ...
Die Priesterin war sich bewusst, dass es vielleicht ein törichter Gedanke war, aber irgendwie war sie auch glücklich darüber, dass sie mit Goblin Slayer allein unterwegs war. In letzter Zeit war so viel vorgefallen, dass sie kaum Gelegenheit gehabt hatten, mal wieder zu zweit auf ein Abenteuer zu gehen.​
Es ist eine Weile her, oder?
Verstohlen warf das Mädchen dem Krieger einige Blicke hinterher, als ihm ein süßlicher Geruch in die Nase stieg.​
»Oh ...«​
Sie drehte sich um und sah einige reife wilde Trauben. Sie fragte sich, ob sie Goblin Slayer darauf aufmerksam machen sollte, dieser hatte jedoch bereits bemerkt, dass seiner Kameradin etwas auf der Zunge lag.​
»Was ist?«​
»M... Mir ist nur etwas eingefallen ...«​
Die Priesterin legte eine Hand auf ihre Brust, um ihr wild pochendes Herz zu beruhigen.​
»Bald wird aus den früh geernteten Trauben Wein gemacht werden ... «​
»Traubenwein?«, fragte Goblin Slayer.​
»Etwa beim Tempel der Erdmutter?«​
»Genau.«​
Ähnlich enthusiastisch wie ein Hund, der freudig mit dem Schwanz wedelt, nickte die junge Abenteurerin. Goblin Slayer blickte jedoch schon wieder woanders hin.​
»Es ist der gesegnete Wein, der beim Erntefest verwendet wird. Er ist aber natürlich nicht so fein wie der Wein aus dem Tempel des Gottes des Alkohols.«​
»Ist das so?«​
»So ist es«, sagte die Priesterin und schielte zu ihrem Kameraden.​
»Möchtest du welchen probieren, wenn er fertig ist?«​
»Ich hätte nichts dagegen, sagte der Abenteurer kurz.​
»Aber erst einmal töten wir Goblins. Sie kommen raus.«​
»Jawohl!«​
Auch wenn sie ein wenig angespannt wirkte, war das Lächeln, das die Priesterin gerade auf ihren Lippen trug, wie eine Blume in voller Blüte. Was als Nächstes mit den Goblins passierte, muss wohl nicht weiter ausgeführt werden.​
Es war ein warmer Tag und der Sommer näherte sich mit schnellen Schritten.​
***
»Ach, willkommen zurück!«​
»Willkommen!«​
Als die beiden die Tür der Gilde öffneten, wurden sie fröhlich von der Gilden Angestellten und der Kuhhirtin begrüßt. Die Sonne ging bereits unter und es waren nur einige Abenteurer zu sehen, die gerade Pause machten, noch einen Kater hatten oder erschöpft von einem Auftrag heimgekehrt waren. Goblin Slayer stapfte mit schweren Schritten an ihnen vorbei und ging zur Anmeldung.​
»Oh, du bist wieder da?«​
»Ja.«​
»Schon wieder Goblins?«​
»Genau.«​
»Willst du nicht auch mal was anderes machen?«»Nein.«​
»Pass auf, dass du dem Mädchen nicht zu viel zumutest.«​
»Ja.«​
Er wurde dabei von vielen angesprochen. Abenteurer kannten sich nicht zwangsläufig, selbst wenn sie in derselben Stadt arbeiteten. Goblin Slayer war allerdings weithin bekannt und da ließen es sich viele nicht nehmen, ihn einmal zu begrüßen. Von sich aus hätte er wohl nur die wenigsten begrüßt, aber zumindest antwortete er immer. Bei der Anmeldung angekommen, wandte sich Goblin Slayer zuerst seiner Kindheitsfreundin zu.​
»Du bist hier?«​
»Ja, ich hatte eine Lieferung.«​
Die Kuhhirtin nickte mit einem Lächeln und ihr üppiger Busen wackelte dabei. Sie stellte eine Tasse vor sich ab, wobei der Tee darin leichte Wellen schlug. Im Anschluss kratzte sie sich leicht verschämt an der Wange und sagte:​
»Und dann habe ich Tee angeboten bekommen.«​
»Das bleibt unter uns, ja? Wir haben nicht gefaulenzt«, erklärte die Gildenangestellte und streckte den Finger in die Höhe, worauf die beiden Frauen kicherten.​
Seit den Ereignissen im Winter waren jetzt einige Monate vergangen und die Kuhhirtin schien keine bleibenden Schäden davongetragen zu haben. Goblin Slayer war sehr darüber erleichtert gewesen und auch die Gildenangestellte hatte erleichtert aufgeatmet, als sie gesehen hatte, dass ihre Freundin nicht schwer verletzt worden war. Eine Freundin, mit der man Tee trinken und quatschen kann, ist nun mal wichtig, dachte die Beamtin, räusperte sich und warf einen Blick auf die Person hinter Goblin Slayer.​
»Es war sicher anstrengend. Geht es Ihnen gut?«​
Mit kleinen Schritten trappelte die Priesterin heran.​
»Ja«, entgegnete sie und nickte.​
Ihre Stimme war etwas rau, aber sie lächelte verlegen. Selbst in blutgetränkter Kleidung wirkte sie noch immer kindlich.​
»Es ist irgendwie gut gegangen.«​
»Wirklich?«, fragte die Kuhhirtin beim Anblick der verdreckten Priesterkleidung und verzog ihr Gesicht.​
»Du kannst ruhig die Wahrheit sagen, ja?«​
Dann kniff sie die Augen leicht zusammen und warf ihrem Kindheitsfreund einen bösen Blick zu.​
»Er versteht es sonst nämlich nicht.«​
»Hrmpf ...«​
Goblin Slayer brummelte, aber gab keine Widerworte. Die Kuhhirtin musste sich Mühe geben, ein Lachen zu unterdrücken, weil sie wusste, dass er sich so verhielt, wenn er verlegen war. Der Krieger wechselte, so schnell er konnte, das Thema.​
»Ich möchte Bericht erstatten.«​
»Ja, sofort. Es war ein Goblin Auftrag, oder? Wie ist es gelaufen?«​
Mit einem Schmunzeln nahm sich die Gildenangestellte Stift und Papier und setzte sich aufrecht hin.​
»Da waren Goblins ...«, erklärte Goblin Slayer und fügte nach einer kurzen Denkpause hinzu:​
»Außerdem Hunde.«​
Die Priesterin ergänzte mit einem Lächeln:​
»Es waren Wargs, aber wir haben es irgendwie geschafft ... «​
»Es war ein etwas größeres Nest, aber ansonsten gab es keine Besonderheiten«, fuhr der Krieger emotionslos mit seinem Bericht fort, aber fügte dann in leicht amüsiertem Tonfall hinzu:​
»Die Goblins waren so wie immer.«​
»Verstanden.«​
Die Gildenangestellte nickte und ließ den Stift leise übers Papier tanzen. Im Frühling stieg nicht nur die Zahl der Goblin Aufträge an, sondern es registrierten sich auch viele Wesen, um Abenteurer zu werden. Das war auch der Grund, warum so viele Anfänger in dieser Zeit auszogen, um Goblin Aufträge zu erledigen. Während die meisten von ihnen erfolgreich zurückkehrten, kassierten einige eine Niederlage und einige kehrten nie zurück. Natürlich traf dies auch auf andere Arten von Aufträgen zu, aber wegen der hohen Zahl von getöteten oder verschwundenen Abenteurern mochte die Gildenangestellte diese Jahreszeit nicht besonders. Zumindest ist es dieses Jahr etwas besser als sonst ... Die Beamtin seufzte innerlich. Es waren nicht viele, aber immer wieder sah sie, wie einige Abenteurer zum Trainingsplatz gingen. Das hatte sie der Unterstützung der Händlerin und einiger erfahrener Abenteurer zu verdanken. Hoffentlich können wir so die Überlebensrate der Anfänger erhöhen ... Es mochte nur ein kleiner Schritt sein, aber aus mehreren kleinen Schritten konnte auch ein großer werden. Das wusste die Gildenangestellte genau. Für Menschen war es schwierig, die Zukunft so zu planen, wie es die Elfen taten, aber dennoch wussten sie, dass man einen ersten Schritt wagen musste, um neue Pfade zu beschreiten. Schließlich war es neben den Zwergen eine Stärke der Menschen, Pfade miteinander zu verbinden.​
Und dennoch ...​
Man durfte die Situation nie aus den Augen verlieren und weil die Hochphase von neuen Abenteurern und Goblin Aufträgen bereits vorbei war, gab es jetzt ein neues Problem: Nur noch die wenigsten Abenteurer nahmen Goblin Aufträge an.​
»Sicherlich werden Goblins Ihnen auch dieses Jahr wieder Probleme bereiten.«​
»Das stört mich nicht«, gab Goblin Slayer zurück.​
»Es ist meine Arbeit.«​
Die Priesterin stand ausdruckslos neben ihrem Kameraden.​
Die Gildenangestellte musterte sie kurz und stand auf. Sie zog einen Geldbeutel aus dem Tresor, überprüfte ihn schnell, indem sie ihn auf eine Waage legte, und reichte ihn dann Goblin Slayer. Dieser nahm ihn entgegen, teilte seinen Inhalt durch zwei und gab der Priesterin ihren Anteil.​
»Die Belohnung.«​
»V... Vielen Dank!«​
Aufgeregt und zappelig verbeugte sich die Priesterin. Im Anschluss zog sie einen Geldbeutel mit niedlichem Muster hervor und steckte die Münzen hinein. Goblin Slayer hingegen stopfte seine Münzen einfach in seine Tasche. Dann schaute er zur Kuhhirtin.​
»Und? Gehst du heim?«​
»Hm...«​
Die junge Frau dachte ein wenig nach und spielte mit ihren Fingern. Anscheinend wollte sie ihm noch etwas sagen, doch sie schluckte die Worte herunter und antwortete auf seine Frage.​
»Nein, ich muss noch etwas einkaufen. Die anderen sind aber auch zurück. Willst du ihnen nicht Hallo sagen?«​
»Ist das so?«​
Er richtete seinen Blick in Richtung Schenke.​
»Das werde ich machen.«​
Die Kuhhirtin nickte und streckte dann einen Zeigefinger in Richtung des Helms ihres Kindheitsfreundes.​
»Aber erlaube deiner Kameradin erst einmal, sich umzuziehen.«​
»Hmpf ... «​
Weil es plötzlich um sie ging, zuckte die Priesterin zusammen.​
Sie hatte gerade in ihrer Tasche gewühlt.​
»Häh?! Äh, nein. Mich stört das nicht. Wirklich!«​
»Nein, nein. Es wäre sicherlich besser, wenn Sie sich umziehen würden«, schaltete sich die Gildenangestellte ein und schaute dann besorgt zum Krieger.​
»Eigentlich würde ich mir wünschen, dass Sie das auch täten, aber ·...​
»Man weiß nie, wann Goblins auftauchen. Ich muss achtsam bleiben.«​
Als Antwort auf die Aussage Goblin Slayers seufzten die Gildenangestellte und die Kuhhirtin. Die Priesterin schnupperte währenddessen an ihrer Kleidung und verzog das Gesicht.​
»Ä ... Ähm, könnte es sein ... dass ich stinke?«​
Ohne zu zögern nickte die Kuhhirtin und entgegnete:​
»Ein wenig.«​
Weil das Mädchen daraufhin niedergeschlagen zu Boden schaute, stieß Goblin Slayer einen Seufzer aus und sagte:​
»Zieh dich um. Ich gehe schon mal vor.«​
»Ja...«​
Die Priesterin stand geknickt auf und ging mit schleppenden Schritten die Treppe hinauf, um zu ihrem Zimmer zu gelangen. Der Krieger schaute ihr kurz hinterher und erhob sich ebenfalls von seinem Platz.​
»Dann geh ich mal ... Bis zum Abendessen werde ich aber heimkommen.«​
»Ja, in Ordnung«, antwortete die Kuhhirtin grinsend.​
Goblin Slayer begab sich in die Schenke der Gilde und fand dort seine drei Kameraden, die sich gerade hingesetzt hatten, um ihr Mittagessen zu sich zu nehmen. Die Priesterin würde, sobald sie sich umgezogen hatte, auch zu ihnen stoßen.​
Worüber wird er wohl mit den anderen reden?, fragte sich die Kuhhirtin. Sicherlich wird es ein Gespräch, zu dem ich nichts beitragen könnte.
Die Gildenangestellte sortierte währenddessen den fertigen Bericht ein und zuckte mit den Schultern.​
»Irgendwie ist alles wie immer, nicht wahr?«​
»Ja, das stimmt.«​
Die beiden Frauen schauten sich an und dachten sich, dass der Krieger unverbesserlich war. Dann lächelten sie.​
»Wie wäre es mit einer weiteren Tasse Tee?«​
»Ja, gern.«​
»Da waren Goblins ...«, erklärte Goblin Slayer seinen Kameraden und fügte nach einer kurzen Denkpause hinzu:​
»Außerdem Hunde.«​
Die Priesterin lächelte verlegen und ergänzte:​
»Es waren Wargs, aber wir haben es irgendwie geschafft ·.•​
»Hm ... Zu schade ...«​
Der Echsenmensch steckte sich ein Stück Käse in den Mund und schluckte es einfach, ohne zu kauen, herunter.​
»Wäre meine Wenigkeit anwesend gewesen, hätte ich den Wargs die Kehle durchgebissen oder ihnen kurzerhand das Genick gebrochen.«​
»Ihr Echsenmenschen seid echt barbarisch.«​
»Nein, es gibt wohl kein kultivierteres Volk als das unsere«, erwiderte der Mönch seelenruhig und leckte sich mit seiner langen Zunge über die Nasenspitze.​
»Du als Elfe solltest niemanden als Barbaren bezeichnen. Schließlich büßt man bei euch für einen abgebrochenen Ast mit einem Arm, oder?«​
»Wie unhöflich!«​
Wütend über den Kommentar des Zwergs, stellte die Elfe ihre langen Ohren auf.​
»Das ist ein uraltes Gesetz und es wird seit Neuestem darüber geredet, ob wir es nicht abschaffen wollen!«​
»Was heißt denn bitte seit Neuestem für euch?«​
»Ähm ... Hm ...«​
Die Elfe fing an, etwas an ihren Fingern abzuzählen.​
»Seit wann war das noch mal?«​
Der Zwerg ließ die Schultern hängen, der Echsenmensch verdrehte vergnügt die Augen und Goblin Slayer schwieg. Die Gruppe saß gerade an einem runden Tisch, der zu so etwas wie ihrem Stammplatz in der Schenke geworden war. Als die Priesterin ebenjene betrat und ihre Kameraden sah, kniff sie glücklich die Augen zusammen. Als sie sich vorgestellt hatte, wie es sein würde, Abenteurerin zu sein, hätte sie sich niemals vorstellen können, dass sie solche Kameraden haben würde. Das Mädchen gesellte sich zu seiner Gruppe und schaute sich dabei kurz in der Schenke um. Sie sah hier und dort Abenteurer, deren Ausrüstung noch nigelnagelneu erschien. Sicherlich planten sie gerade ihre ersten Schritte als Abenteurer.​
»Wie wäre es denn mit dieser Ruine? Es soll dort Schleime geben.«​
»Nein, nein. Das schaffen wir nie. Selbst kriechender Unrat soll dort schon gefährlich sein.«​
»Ach so ... Sollten wir dann doch lieber in die Kanalisation gehen?«​
Während sie der Unterhaltung der Anfänger lauschte, musste die Priesterin lächeln. Sie meinte, einige von ihnen bereits einmal beim Trainingsplatz gesehen zu haben, und hoffte, dass ihre ersten Abenteuer von Erfolg gesegnet sein würden.​
Aber natürlich wird es nicht allen so ergehen ...
Versteckt formte das Mädchen ein heiliges Symbol mit seinen Fingern und sprach ein kurzes Gebet zur Erdmutter. Wenn die jungen Leute schon einen Tanz mit dem Tod eingingen, dann wenigstens gesegnet.​
»Hey, Mädel.«​
Als sie überraschend vom Zwerg angesprochen wurde, zuckte sie kurz und griff dann nach ihrer Mütze, damit sie nicht zu Boden fiel. Der Schamane schenkte sich währenddessen etwas Bier ein, nahm einen tiefen Schluck und rülpste herzhaft.​
»Fürs Erste wäre unsere Arbeit beim Tempel der Erdmutter erledigt.«​
Der Zwerg störte sich nicht daran, dass die Elfe neben ihm angeekelt schimpfte und mit der Hand wedelte. Stattdessen gönnte er sich noch einen Schluck. Weil sie erkannte, dass sein Becher schon wieder leer war, schenkte die Priesterin ihm nach.​
»Vielen lieben Dank. Es tut mir leid, dass ich euch darum bitten musste ... «​
»Ach, nicht doch. Solange es danach was zu saufen gibt, ist mir fast alles recht.«​
»Hey, Zwerg! Wieso lässt du dir von unserer Auftraggeberin einschenken?!«, fuhr die Elfe den Schamanen an.​
»Nein, nein«, entgegnete die Priesterin mit einem verlegenen Lächeln und sorgte dafür, dass der Krug der Elfe ebenfalls mit Traubenwein gefüllt war.​
»Das ist schon in Ordnung.«​
»Wir haben doch nichts Großes geleistet. Wir haben nur mehrere Tage den Weinberg bewacht«, erzählte die Elfe und leckte mit wackelnden Ohren am Wein, um ihn zu kosten.​
»Wenn ein Drache aufgetaucht wäre, hätten wir vielleicht etwas Spaß gehabt, aber leider waren dort nur ein paar Wiesel und Krähen.«​
»Aber ich konnte nur jemanden bitten, dem ich wirklich vertraue ...«, erwiderte die Priesterin und schaute zu Goblin Slayer, der sich etwas Bier durch das Visier seines Eisenhelms kippte.​
»Und ihn konnte ich wiederum nicht einfach allein lassen.«​
Das war der Grund gewesen, warum sie den Auftrag den dreien überlassen hatte, während sie Goblin Slayer begleitet hatte. Die Priesterin war dabei aber natürlich nicht die Auftraggeberin gewesen, sondern nur eine Art Botin für den Tempel und als solche hatte sie auch ihre drei Kameraden für die Aufgabe vorgeschlagen.​
»Es wäre zwar lästig geworden, aber ich hätte den Auftrag auch allein erledigen können«, brummte Goblin Slayer.​
»Das konnte ich aber nicht zulassen«, erklärte die Priesterin in mahnendem Ton.​
»Das wäre übertrieben und unverantwortlich gewesen.«​
»Hmpf ...«​
»Neulich warst du doch auch in Schwierigkeiten, weil du allein unterwegs warst.«​
»Ist das so?«​
»Ja, so war das!«​
»Ach so.«​
Die Priesterin überlegte, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, aber beließ es dann bei einem Lächeln. Ihre Gesichtszüge, welche sich kurzzeitig grimmig verzogen hatten, entspannten sich wieder und sie sagte:​
»Du bist wirklich unverbesserlich.«​
Mit der Regelmäßigkeit, wie sich Elfe und Zwerg in ihrer Gruppe stritten, so normal war eine solche Unterhaltung zwischen dem Krieger und der Priesterin.​
»Aber die hiesige Weinproduktion ist sehr interessant«, erzählte der Echsenmensch, während er hungrig mit einer Kralle auf den geleerten Teller tippte.​
»Wir werfen einfach Trauben in eine Quelle und hoffen, dass Alkohol daraus wird.«​
»Wir essen Früchte eher.«​
Die Elfe tat mehrmals so, als würde sie zubeißen.​
»Aber auch wir werfen Trauben in Quellwasser und hoffen, dass Alkohol daraus wird. Ansonsten lassen wir aber auch Honig gären.«​
»Einfach abzuwarten scheint mir eine passende Art der Weinproduktion für euch Langohren zu sein.«​
»Ihr Zwerge produziert vornehmlich Branntwein, oder?«, fragte die Priesterin.​
»Ganz genau.«​
Stolz klopfte sich der Schamane auf den Bauch.​
»Auch Alchemisten destillieren Dinge, aber ihre Techniken kommen nicht gegen unsere Werkzeuge an.«​
Während man bei den Elfen vor allem von ihren beeindruckenden Bogenkünsten sprach, waren die Zwerge für ihr technisches Wissen bekannt, das sie selbst auf Speis und Trank anwendeten.​
»Wenn die ersten Weine fertig sind, würde ich sie gerne mal probieren.«​
»Ähm, solange dir die aus dem Tempel recht sind, sollte das gehen«, antwortete die Priesterin mit leicht geröteten Wangen.​
Auf die Frage der Elfe, was daran so peinlich wäre, antwortete sie nur mit einem​
»Nichts«.​
»Hmpf ...«​
Goblin Slayer legte den Kopf schief und brummte.​
»Macht ihr jedes Jahr frischen Wein?«​
»Orcbolg, du solltest echt mal darauf achten, was um dich herum passiert.«​
Die Elfe seufzte resigniert und wandte sich dann der Priesterin zu.​
»Aber macht ihr das wirklich jedes Jahr?«​
»Meine Güte ...«​
Der Zwerg kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.​
»Aber«, die Waldläuferin wackelte mit den Ohren, »letztes Jahr waren wir in meiner Heimat und das Jahr davor in der Stadt des Wassers.«​
Die Elfe hatte recht, es war tatsächlich so gewesen. Die letzten Jahre waren sie viel unterwegs gewesen und deswegen war es gut möglich, dass sie die Frühernte der Trauben für den Wein verpasst hatten. Aber was war die Ausrede von Goblin Slayer, der schon seit sieben Jahren in dieser Stadt war?​
»Es ist nicht so, als hätte ich kein Interesse«, erklärte er entschuldigend, »aber ich war immer beschäftigt.«​
»Mit dem Vertreiben von Goblins, nicht wahr?«, fragte die Priesterin murmelnd.​
»Genau.«​
»So habe ich es mir doch gedacht!«​
Schmollend - wenn auch nicht ernsthaft - ließ sich die Priesterin plumpsend auf einem Stuhl nieder. Dabei schielte sie immer wieder zu Goblin Slayer hinüber.​
»Der Wein, der beim Erntefest ausgeschenkt wird, wird auch im Tempel hergestellt.«​
»Ach, ist das so?«​
»Ja, aber er kann nicht mit dem Wein aus dem Tempel des Gottes des Alkohols mithalten.«​
Plötzlich erinnerte sich die Priesterin an den Tanz, den sie beim Erntefest aufgeführt hatte, und ihr schoss die Röte ins Gesicht. Wobei, er hatte sie dafür gelobt ...​
»Wie dem auch sei«, das Mädchen schüttelte den Kopf, »vergiss bitte nicht dein Versprechen.«​
»Ja.«​
Die Priesterin war anscheinend mit Goblin Slayers Antwort zufrieden, denn sie griff lächelnd nach ihrem Krug. So begann die Gruppe ihren gemütlichen Nachmittag. Sie hatten ihre Aufgaben erledigt und konnten deshalb etwas entspannen. Als dann aber der Rest der Gruppe so gut wie fertig mit seiner Mahlzeit war, schlug der Echsenmensch mit seinem Schwanz auf den Boden und rief:​
»Oh, werte Kellnerin!«​
»Ich komme!«​
Mit trappelnden Schritten kam die Padfoot Kellnerin herangeeilt. Nachdem er kurz nachgedacht hatte, nickte der Echsenmensch und gab eine weitere Bestellung auf.​
»Hm... Noch einen Teller mit Käse. Und dann noch ... Wie hieß es noch? Dieses Gericht mit der Ummantelung.«​
»Ach, der mit Creme gefüllte Käse?«Die Kellnerin kicherte und wackelte mit ihren flauschigen Ohren.​
»Einen kleinen Moment! Ich bin gleich mit der Bestellung wieder da!«​
»Oh, besten Dank!«​
Der Mönch legte wie üblich die Hände auf mysteriöse Weise zusammen.​
Mit den Worten »Ach was, nichts zu danken«tapste die Kellnerin davon, weshalb der Echsenmensch sich Goblin Slayer zuwandte.​
»Werter Goblintöter, in der Nähe des Weinbergs haben wir mehrere kleine Fußspuren entdeckt. Was meinst du?«​
»Goblins ... Könnten es welche sein?«​
»Ja, schon ...«, murmelte der Echsenmensch und streckte seinen langen Hals.​
»Ich denke, dass es welche waren, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.«​
»Ist das so?«Goblin Slayer brummte, goss sich etwas Wasser in seinen Krug und trank ihn aus.​
»Hast du dich dort umgehört?«​
»Ich habe mit den Leuten beim Tempel geredet und mich mit unserem werten Magiewirker ausgetauscht.«​
Der Mönch schaute zur Priesterin, die sich gerade fröhlich mit der Elfe unterhielt. Sie war als Waise im Tempel aufgewachsen, er war also quasi ihr Zuhause.​
»Ich wollte ihr keine unnötigen Sorgen bereiten.«​
»Verstanden«, erwiderte Goblin Slayer.​
»Ich werde die Sache untersuchen.«​
Der Echsenmensch nickte und ließ davon ab, das Thema weiter zu vertiefen.​
»Vielen Dank fürs Warten!«​
Polternd stellte die Kellnerin einen Teller voller Käse auf den Tisch. Der Echsenmensch griff gleich zu und rief:​
»Oh, welch Nektar!«

***
Am nächsten Tag regnete es wie aus Eimern. Dicke Tropfen fielen vom Himmel herab, schlugen mit voller Kraft auf die Dächer und sammelten sich in den Regenrinnen, wo sie zu reißenden Strömen wurden.​
»Es regnet doch. Willst du wirklich rausgehen?«​
Die Kuhhirtin saß auf der Fensterbank und schaute über ihre Schulter zu ihm. Neben ihr zwitscherte der Kanarienvogel in seinem Käfig, als wollte er ihr zustimmen.​
»Ja«, erwiderte der Mann und überprüfte schnell seine Ausrüstung. Rüstung, Helm, Handschuhe, Tränke und andere Utensilien. Weil er vom täglichen Rundgang um den Hof komplett durchnässt gewesen war, hatte er sich bereits einmal ausgezogen, sich abgetrocknet und erneut angezogen. Dabei hatte er seine Rüstung auch erneut geölt. Weil es sich um eine billige Rüstung handelte, wusste er nicht, wie viel diese Maßnahmen wirklich brachten, aber sein Leben war bereits so einige Male durch die Rüstung gerettet worden, weshalb er jetzt nicht nachlässig werden wollte. Die Kuhhirtin war eigentlich an solch ein Verhalten von ihm gewöhnt, weshalb sie sich nur selten einmischte, aber musste er jetzt wirklich bei diesem Wetter losziehen?​
»Willst du dich nicht lieber morgen darum kümmern? Oder warte doch zumindest, bis der Regen aufhört.«​
»Nein.«​
»Oh Mann!«​
Die Kuhhirtin schnaufte. Der ist echt dickköpfig! Aber wahrscheinlich muss er das für seine Arbeit sein. Muss er die Sache vielleicht unbedingt heute erledigen? Die Kuhhirtin überlegte sich, wie sie ihn umstimmen könnte, aber behielt die Argumente dann doch lieber für sich. Es war sowieso so gut wie unmöglich, ihn zu irgendwas zu überreden. Das wusste sie ganz genau.​
»Dann warte wenigstens noch kurz. Ich mach dir ein Essenspaket fertig.«​
»Hmpf ...«, brummte der Krieger und schaute zu seiner Kindheitsfreundin, die sich in Bewegung setzte.​
»Oder hast du selbst dafür nicht genug Zeit?«​
»Doch ...«​
Er atmete tief aus und schüttelte den Kopf.​
»Ich danke dir.«​
»Ja, kein Problem.«​
Die Kuhhirtin lief schnell in die Küche und bemerkte, dass ihre Stimme sich gerade überschlagen hatte. Sie warf eine Schürze über und dachte darüber nach, was sie ihm machen könnte. Es sollte schließlich schnell gehen.​
»Vielleicht ein belegtes Brot oder so?«​
Es war kein wirkliches Kochen, aber es würde reichen müssen. Kurz dachte die Kuhhirtin darüber nach, wie es wohl dazu gekommen war, dass Leute Brot statt Tellern benutzten. Da man Brot zusammenklappen und dadurch Essen einfacher mit sich herumtragen konnte, gab es den Brauch sicherlich schon lange, aber sie wusste es nicht genau.​
Am liebsten wäre sie jetzt noch frisches Brot für ihn holen gegangen, aber weil er keine Zeit hatte und es dazu auch noch regnete, würde sie wohl Brot von den letzten Tagen verwenden müssen. Sie griff sich ein Schwarzbrot, schnitt zwei dünne Scheiben ab und bestrich sie mit Butter. Dann schnitt sie eine Scheibe Käse von einem Laib ab und legte sie aufs Brot. Zu gern hätte ich noch ein Ei daraufgelegt ... An Regentagen legten die Hühner allerdings immer weniger Eier als sonst und außerdem hatte sie keine Zeit, ein Ei zu kochen. Dann muss es wohl was anderes sein.​
Die Kuhhirtin griff sich ein Stück gepökeltes Schweinefleisch und schnitt ein paar Scheiben ab, die sie dann auch auf das Brot legte.​
»Und jetzt noch...«​
Die junge Frau warf einen Blick ins Lager und holte einige getrocknete Kräuter und ein Glas mit eingelegtem Gemüse heraus. Getrennt machten sie weder geschmacklich noch vom Aussehen viel her, aber zusammen gaben sie dem Brot etwas Pfiff.​
»Mhm!«​
Freudig summend schnitt sie die Kräuter klein, holte ein wenig eingelegtes Gemüse aus dem Glas hervor und legte beides aufs Brot. Dann klappte sie das Brot zusammen, schnitt es in Dreiecke und wickelte diese in Papier ein. Jetzt musste sie nur noch ein wenig Wein in eine Flasche füllen und ...​
»Fertig!«​
»Hey.«​
»Wah?!«​
Weil sie plötzlich angesprochen wurde, zuckte die Kuhhirtin zusammen. Mit einer Hand vor der Brust drehte sie sich um. Dort stand ihr Onkel, der sich gerade Wasser von der Regenkleidung schüttelte, und schaute sie mit großen Augen an.​
»O... Onkel? Erschrecke mich nicht so.«​
Erleichtert fuhr die Kuhhirtin sich über den Busen.​
»Wie sieht es aus? Hört es bald auf zu regnen?«​
»Heute sicher nicht«, antwortete der Onkel mit mürrischem Gesicht.​
»Ich kann die Kühe nicht rauslassen und ich habe Angst, dass der Wind noch stärker wird.«​
»Ach so ...«​
Die junge Frau runzelte die Stirn und schaute durch das Fenster nach draußen. In der Tat schien der Regen nur noch stärker zu werden. Außerdem glaubte sie, das Brüllen des Donnerdrachen in der Ferne zu hören. Ob nach diesem Sturm wohl wirklich der Sommer kommen würde?​
»Nun ja, das lässt sich wohl nicht ändern ...«​
Egal, wie sehr man es auch wollte, man konnte das Wetter nicht beeinflussen, denn es hing vom Würfelergebnis der Götter ab. Die Kuhhirtin reichte ihrem Onkel ein Brotdreieck und sagte:​
»Hier. Was zu essen.«​
»Oh, danke.«Dieser nahm das Essen wie ein Geschenk entgegen und steckte es in seinen Mantel. Dann schaute er auf den Rest des vorbereiteten Essens und verzog sein Gesicht.​
»Geht der Typ etwa auch raus?«​
»Ah, ja«, erwiderte sie.​
»Es ist aber wohl kein Abenteuer.«​
»Er ist echt fleißig ... «​
Weil die Aussage ihres Onkels ein wenig spitz geklungen hatte, legte die Kuhhirtin ihren Kopf schief, was dafür sorgte, dass er nach einem Moment des Schweigens seufzte und sagte:​
»Wir haben doch noch meinen alten Regenmantel, oder?«​
»Wie bitte?«​
Die Kuhhirtin schaute den Hofbesitzer verwirrt an, der mürrisch hinzufügte: »Leih ihn ihm.«​
»Wirklich?«​
»Er muss gesund sein, um Geld zu verdienen. Von daher sollte er sich nicht erkälten.«​
»J... Ja!«​
Die Kuhhirtin nickte und strahlte über das ganze Gesicht.​
»Danke, Onkel!«​
Sie lief in das Schlafzimmer des Onkels, wo ein alter Ledermantel hing. Er war an einigen Stellen geflickt, aber noch immer brauchbar. Sie schnappte ihn sich und eilte zurück in die Küche, doch ihr Onkel war weg. Stattdessen saß Goblin Slayer dort auf einem Stuhl. Die Kuhhirtin verzog leicht die Lippen, bevor sie ihm das vorbereitete Essen und den Mantel hinhielt.​
»Hier, bitte!«​
Der Krieger setzte unter seinem Helm einen verblüfften Gesichtsausdruck auf und fragte:​
»Was ist das?«​
»Mein Onkel leiht ihn dir. Bedanke dich später bei ihm.«​
»Hrmpf ... Ich hab doch einen Mantel ...«, murmelte er, aber nahm die Leihgabe trotzdem entgegen.​
»In Ordnung.«​
Der Onkel hatte eine etwas größere Statur als er und in seiner Jugend war er sicher noch stattlicher gewesen, weshalb der Mantel vermutlich etwas zu groß für Goblin Slayer sein würde. Aber er würde sich darin einhüllen können.​
»Wow, er passt dir ja! Ich hatte mir ein wenig Sorgen gemacht, ob es mit der Rüstung klappt, aber das war wohl unnötig!«​
Die Kuhhirtin klatschte in die Hände und als sie sah, dass er auch das Essen in die Tasche steckte, kniff sie freudig die Augen zusammen.​
»Pass gut auf dich auf. Und rutsch wegen des Regens nicht aus.«​
»Ja«, antwortete der Krieger knapp.​
Er bewegte kurz Arme und Beine, um seine Beweglichkeit in dem Mantel zu überprüfen, und stapfte zur Tür. Mit der Hand an der Klinke drehte er seinen Kopf noch einmal in Richtung seiner Kindheitsfreundin und sagte:​
»Ich werde abends zurückkommen.«​
»Ja«, entgegnete sie mit einem breiten Lächeln.​
»Ich werde auf dich warten.«​
Die Tür ging auf, schloss sich wieder und der Abenteurer verschwand im strömenden Regen. Mit einem​
»Na gut« widmete sich die Kuhhirtin wieder ihren täglichen Pflichten.​
Während sie ihren durchnässten Mantel fester um ihre Schultern zog, schaute die Priesterin schwermütig in Richtung Himmel. Seit Tagesanbruch fiel immer stärker werdender Regen und ihr Mantel war schon lange durchnässt, weshalb auch ihre Kleidung nicht mehr trocken war. Der Sommer mochte vor der Tür stehen, doch in diesem Moment fror die junge Abenteurerin unheimlich und weißer Dampf stieg aus ihrem Mund auf. Sie befand sich derzeit in der Nähe des Stadttors und versuchte verzweifelt, unter dessen Vordach Schutz zu finden. Kurz darauf erkannte sie, wie sich in der Ferne ein Schatten näherte, und als sie sah, wer es war, legte sich ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Frau.​
»Goblin Slayer, guten Morgen!«​
»Ja.«​
Der Krieger nickte.​
»Tut mir leid, ich bin spät.«»​
Nein, ich war zu früh.«​
»Ist das so?«​
»Ja«, antwortete die Priesterin.​
Sie sammelte sich und marschierte los. Sie war aufgeregt, weil Goblin Slayer Interesse an dem Weinberg des Tempels bekundet hatte, denn es war, als hätte er Interesse an ihrem Zuhause. Freudig stapfte sie durch die Pfützen.​
»A... Aber warum möchtest du plötzlich zum Weinberg?«, fragte sie auf dem Weg und drehte sich zu dem Krieger um.​
Sie bemühte sich, ruhig zu klingen, und passte auf, dass sich ihre Stimme nicht überschlug. Dann klatschte sie in die Hände.​
»Ach. Etwa weil ich dir Wein versprochen habe?«​
»Nein ...«, brummte Goblin Slayer, aber schien dann seine Meinung zu ändern.​
»Nun ja. Schon.«​
»Ich verstehe ... Hi hi hi ...«​
Obwohl sie selbst auf den Grund gekommen war, wiederholte sie danach mehrmals ein​
»Ach so«.​
In der Stadt waren die Wege gepflastert, aber sobald man sie verließ, wurden aus den Wegen Trampelpfade, die sich bei Regen in die reinste Matschlandschaft verwandelten. Erde blieb am Schuhwerk kleben und bei jedem Schritt spritzte Matsch hoch. Der Priesterin kam der Schlamm, der ihre weißen Stiefel beschmutzte, unsittlich vor, weswegen sie verlegen wegschaute. Weil ihre Stiefel aber zudem noch unangenehme Geräusche beim Laufen machten, dachte sie sich dann: Ich werde sie später waschen und zum Trocknen aufhängen müssen ... Da sie aber Arbeiten wie das Waschen ihrer Wäsche nicht als unnötige Zeitverschwendung empfand - sie hatte sogar irgendwie Spaß daran -, störte sie dieser Umstand nicht. Was sie aber sehr wohl störte, war, dass sie derzeit so unziemlich aussah. Ihr stieg deshalb die Röte ins Gesicht, worauf sie gut hätte verzichten können.​
»Willst du mit drunter?«​
»Hä?«​
Als sie verstand, worauf Goblin Slayer hinauswollte, wurde sie noch röter im Gesicht. Der Mantel, den er trug, war zwar alt, aber auch relativ groß. Die Priesterin hätte sicherlich auch noch mit hineingepasst, um sich vor dem Wetter zu schützen.​
»Ne, Nein ... Danke für das Angebot, aber ich verzichte ... Ähm «​
Bei der Vorstellung, zusammen mit ihm unter dem Mantel zu stehen, winkte die junge Abenteurerin aufgeregt ab. Sie schüttelte den Kopf und sorgte so dafür, dass Wasser durch die Luft spritzte.​
»I... Ich bin eh schon durchnässt.«​
»Ist das so?«, erwiderte Goblin Slayer mit einem Nicken.​
Die Priesterin wusste, dass er keinerlei Hintergedanken bei seiner Einladung gehegt hatte, aber ...​
Wenn ich so zum Tempel gehen würde ...
Die Vorstellung war ihr unheimlich peinlich. So ließ es sich wohl am einfachsten in einem Wort zusammenfassen. Sie wusste nicht, wer ihre Mutter, geschweige denn der Rest ihrer Familie war. Für sie war der Tempel ihr Zuhause und die Priesterinnen, die dort dienten, waren wie ihre Mütter und Schwestern. Deshalb konnte sie nicht gemeinsam mit einem Mann unter einem Mantel dort auftauchen, auch wenn sie mit diesem Mann in einer Abenteurergruppe war.​
Ja, richtig. So ist es.
Mit ihrer Entscheidung, Abenteurerin zu werden, hatte sie die anderen Priesterinnen des Tempels schließlich bereits genug verunsichert. Dies redete sie sich ein, obwohl sie spürte, wie sich ein wenig Enttäuschung in ihrer Brust breitmachte. Der Tempel war nicht besonders weit von der Stadt entfernt, weshalb das Gebäude so langsam in Sicht kam. Es war stattlich, aber noch lange nicht so groß wie der Tempel des Rechts in der Stadt des Wassers. Die beiden Abenteurer machten vor drei bekannten Gestalten halt.​
»Entschuldigung. Wir sind etwas spät.«​
»Oh, da seid ihr ja! Orcbolg, hast du etwa getrödelt?«​
Auch die Elfe war komplett durchnässt, aber sie schien sich daran nicht zu stören, denn sie tänzelte wie ein Kind durch den Regen.​
»Hey, Amboss! Du freust dich wohl darüber, dass du nicht im Regen rostest!«​
»Der Regen ist ein Segen des Himmels! Weil ihr Zwerge immer unter der Erde hockt, wisst ihr das bloß nicht!«​
»Meine Güte ...«​
Der Zwerg stand neben der Elfe und hielt dabei einen rostfarbenen Regenschirm, der mit Ölpapier bespannt war, in einer Hand. Mit der anderen versuchte er verzweifelt, seine kostbare Tasche mit Katalysatoren zu beschützen.​
»Oh! Ein Regenschirm ist eine tolle Sache!«, staunte die Priesterin, als sie das Utensil musterte.​
»Nun ja, bei einem Abenteuer hat man ja immer alle Hände voll, aber an Tagen wie heute ist er wirklich praktisch.«​
»Ja, das ist wirklich ein großer Luxus, oder?«​
»Hm ...«, murmelte die Elfe nachdenklich.​
»Aber Regenschirme gibt es schon seit meiner Kindheit und seitdem haben sie sich nicht wirklich verändert.«​
»Ihr Waldbewohner verwendet doch sicherlich einfach nur ein großes Blatt, oder? Vergleich so etwas nicht mit meinem Schirm!«​
»Was hast du gesagt?!«​
Natürlich sprang die Elfe sofort auf den spitzen Kommentar des Zwerges an und es brach ein Streit zwischen ihnen aus. Der Echsenmensch beobachtete die beiden dabei und kniff leicht die Augen zusammen.​
»Regen, was?«, sprach der Krieger den Echsenmenschen von der Seite an.​
»Ja, leider ist das gerade ungünstig«, erwiderte dieser mit tiefer Stimme.​
»Wir sollten uns beeilen. Sonst werden die Spuren weg gewaschen.«​
»Aber das heißt, dass sie heute nicht angreifen werden«, erwiderte der Krieger.​
Die beiden sprachen so leise miteinander, dass die Priesterin nicht hörte, was sie sagten. Höchstens die Elfe hätte mitbekommen können, worüber sie redeten, aber die war gerade viel zu sehr darauf konzentriert, sich zu zanken. Vielleicht hatte der Zwerg genau deswegen den Streit vom Zaun gebrochen. Wie dem auch sei, die Priesterin wusste nicht, warum alle wirklich hier waren und wie sehr Rücksicht auf sie genommen wurde.​
»Möchtest du ihn haben?«, fragte Goblin Slayer und zeigte auf den Mantel, der seinen Körper umhüllte.​
Die beiden würden sicherlich nicht gemeinsam unter den Mantel passen, aber das Kleidungsstück war groß genug, um den gewaltigen Torso des Echsenmenschen zu verdecken. Mit halb geschlossenen Augen verdrehte der Mönch die Augen und entgegnete:​
»Ha ha ha, in meiner Heimat gibt es viel Regen und Feuchtigkeit, aber so kalter Regen gefällt mir gar nicht.«Er legte die Hände mysteriös zusammen. »Es ist ein kostbares Stück. Verwende du ihn lieber.«​
»Ist das so?«​
Die Elfe kam heran geschossen und mit einem​
»Lass mal sehen!«begann sie, den Mantel zu untersuchen.​
»Huch? Was ist das denn? Hast du den neu? Der ist aber alt.«​
»Ja«, antwortete Goblin Slayer.​
»Er ist alt, aber ich habe ihn neu.«​
»Oho? Ich muss auch mal schauen. Ein Langohr kennt sich mit so etwas eh nicht aus.«Der Zwerg kam heran gelaufen und untersuchte mit seinen kurzen dicken Fingern den Mantel.​
»Oho! Gar nicht übel! Er sieht nicht danach aus, aber er ist robust. Ein gutes Handwerksstück.«​
»Nicht wahr? Ich sehe es auch so.«​
»...«​
Die Priesterin beobachtete ihre Kameraden und sie wusste nicht warum, aber sie verspürte den Drang zu seufzen. Das schnelle Pochen ihres Herzens war einem unguten Gefühl gewichen. Dennoch konnte sie nicht umher, den Krieger wie einen kleinen Jungen zu sehen, der stolz auf sein neues Regenzeug war.​
»Oh, da seid ihr! Los! Steht nicht einfach herum, sondern helft uns!«, schallte in jenem Moment die aufgeweckte Stimme einer Frau der Gruppe entgegen.​
»Äh, ja! Wir kommen, Schwester!«, erwiderte die Priesterin und richtete ihren Blick auf die Gestalt, die sich mit platschenden Schritten näherte. Über der von der Arbeit verschmutzen Priesterrobe trug sie einen dicken Mantel, der sie vor dem Regen schützte, aber ...​
»Hmpf ...«​
Goblin Slayer stieß ein verwundertes Brummen aus. Haut, die von der Sonne dunkelbraun gebrannt worden war, und dichtes schwarzes Haar. Dazu grüne Augen, die an Smaragde erinnerten. Es war klar, dass diese Frau aus einem fremden Land stammte. Wahrscheinlich kam sie von einem der Stämme, die in den westlichen Bergen dieser Welt umherzogen.​
»Bist du der Anführer der Gruppe meiner lieben Schwester?«, fragte die junge Nonne.​
Sie war vielleicht ein, zwei Jahre älter als die Priesterin und streckte mit einem breiten Grinsen ihren üppigen Busen hervor.​
»Nun ja, wir können auch später noch reden. Jetzt sollten wir uns beeilen, denn sonst verderben noch die Trauben.«​
Auch wenn ihre Kleidung aussah wie die der jungen Abenteurerin, besaß sie ein sehr viel loseres Mundwerk. Sie drehte sich um und ging mit forschen Schritten voran. Wahrscheinlich wollte sie die Gruppe zum Weinberg führen. Während Goblin Slayer ihr folgte, blickte er zu seinen Kameraden.​
»Sie ist meine Schwester«, sagte die Priesterin leise und kicherte.​
»Eine imposante Frau.«​
»Ich bin ihr bereits gestern begegnet, aber sie überrascht mich noch immer.«​
Die Elfe stieß ein glucksendes Lachen aus.​
»Witzig, dass du so ruhig bist, obwohl ihr Schwestern seid.«​
»Nicht alle Schwestern sind gleich, das solltest du wissen«, meinte der Zwerg und spielte damit auf die Schwester der Elfe an.​
Außer einem »Hmpf«erwiderte die Waldläuferin darauf nichts.​
Anscheinend fiel ihr kein passender Spruch ein.​
»Ach so ...«, murmelte Goblin Slayer.​
Beim Laufen untersuchte er den Boden und schaute immer wieder in die Ferne. Dann nickte er dem Echsenmenschen zu.​
»Der Regen ist noch stärker geworden«, sagte die Elfe. Sie wackelte mit den Ohren und runzelte die Nase. Ihre Sinne waren die feinsten in der Gruppe. Sie würde ganz sicher keine ungläubigen Charaktere übersehen.​
»Ja«, stimmte der Echsenmensch mit tiefer Stimme zu und schaute hoch zum Himmel.​
»Es ist ein kalter, unangenehmer Regen.«​
Kurz darauf erreichte die Gruppe einen Abschnitt mit aufgereihten Sträuchern. Mit einem Lederregenschirm in der Hand machte die Schwester der Priesterin sich ans Werk. Um sie herum waren einige weitere Tempeldienerinnen hart am Arbeiten. Die Priesterin hielt die vom Wasser schwer vollgesogene Kopfbedeckung fest und rief:​
»Schwester! Was sollen wir zuerst ma...«​
Noch bevor die Priesterin ihre Frage beenden konnte, gab ihre Schwester zurück:​
»Weil es so stark regnet, wäre es toll, wenn ihr die Schirme über den Trauben austauscht! Der Regen bringt Schimmel mit sich und wenn die Ernte zerstört wird, gibt es keinen Wein!«​
»Oho!«​
Der Zwerg schloss seinen Schirm.​
»Das wäre schrecklich! Auf ans Werk!«​
»Eigentlich wollten wir nur weiter Wache halten.«​
Die Elfe zuckte mit den Schultern.​
»Aber auch wenn der Alkohol mir egal ist, sind die Pflanzen meine Freunde. Wo sind die anderen Schirme?«​
»Dort in den Körben!«​
»Ich werde auch helfen!«​
Die Abenteurer machten sich sofort an die Arbeit und auch wenn die Weinreben groß waren, reichten sie den Menschen gerade mal bis zur Brust.​
»Hm ... Ich krieg das schon irgendwie hin.«​
Während der Zwerg und die Elfe sich geschickt anstellten, waren die Bewegungen des Echsenmenschen durch die Kälte etwas träge und plump. Dazu kam, dass er mit seinen Krallen Gefahr lief, die Trauben zu verletzen. Aus diesem Grund entschied er sich, einfach die Körbe mit den Schirmen herbeizutragen. Die Priesterin erinnerte sich beim Arbeiten an ihre Kindheit und blickte zu Goblin Slayer.​
»Bist du solche Arbeit gewohnt?«​
»Mit Trauben habe ich noch nie gearbeitet, aber ich helfe immer wieder auf dem Hof aus.«​
Goblin Slayer achtete darauf, dass die Reben nicht nass wurden und die Früchte sich nicht überlagerten. Er zog die feuchten Schirme heraus und ersetzte sie durch frische. Der Wind und der Regen wurden immer stärker und kündigten einen starken Sturm an.​
»Es ist seltsam. Zu dieser Jahreszeit gibt es sonst nur selten solche Wolkenbrüche.«​
Keuchend schaute die Schwester der Priesterin in den Himmel. Wetter wie dieses war eigentlich später im Jahr geläufig, weshalb es in der Tat seltsam war.​
»Sag mal. Kannst du kein Wunder einsetzen?«, fragte die Elfe und wischte sich nasses Haar aus dem Gesicht.​
»Ihr könntet doch einfach einen Schutzwall erzeugen oder so.«​
»Wenn die Erdmutter all unsere Arbeit macht, dann haben wir doch überhaupt keinen Grund, hier zu sein, oder?«, erwiderte die Schwester.​
Ihre nassen Haare schienen sie nicht zu stören.​
»Man sollte die Götter nur um etwas bitten, wenn man es nicht selbst erledigen kann. Jetzt ist das nicht der Fall. Der Wind und der Sturm sollen ruhig kommen!«​
»Ich verstehe«, entgegnete der Echsenmensch und beobachtete, wie die Schwester sich wieder auf die Arbeit stürzte.​
»Sie ist wirklich eine imposante Frau.«​
»Wie wäre es dann mit einem Zauber?«​
Der Zwerg klopfte sich grinsend auf die Tasche.​
»Damit verlässt man sich zumindest nicht auf die Götter.«​
»Oh ja, Herr Magiewirker.«​
Die Schwester machte große Augen. »Das würde die barmherzige Erdmutter sicherlich erlauben.«​
Die Priesterin musste kichern. Selbst hier im kalten Regen konnte ihre Schwester mit ihrer Art ihr Herz erwärmen. Jedes Jahr leitete die Schwester das Pflücken der Trauben und die Herstellung des Weins und obwohl sie jetzt schon zwei Jahre als Abenteurerin unterwegs war ...​
Es hat sich hier nichts verändert ...
Die Priesterin erkannte einige Gesichter wieder, aber einige waren ihr auch neu. Dennoch war dies ein Ort, an den sie immer zurückkehren konnte. Während sie sich mit schweiß- und regennasser Stirn anstrengte, formte der Zwerg neben ihr magische Symbole mit den Händen.​
»Sylphe, Jungfrau des Windes, schenke mir einen Kuss, damit unser Wein gesegnet ist.«​
Die Stimme des Schamanen stieg in den Himmel und erzeugte einen Strudel, der wirbelnd den Weinberg einschloss. Die darin tanzenden Windgeister schnappten sich die herabfallenden Wassertropfen und trugen sie fort. Die arbeitenden Dienerinnen der Erdmutter schauten ihnen dabei erstaunt zu.​
»Ach ...«​
Die Waldläuferin summte ein Lied der Elfen und wackelte mit den Ohren. »Für einen Zwerg ganz schön elegant.«​
»Meine Wenigkeit könnte die Winde niemals so gut verstehen«, staunte der Echsenmensch und verdrehte die Augen.​
Die Bewegungen der Geister waren viel beeindruckender, als es eine Tanzaufführung von Wesen dieser Welt jemals hätte sein können. Goblin Slayer schaute jedoch nur kurz zu ihnen hoch und setzte dann seine Arbeit fort. Es war nicht so, als würde ihn nichts emotional bewegen, jedoch ...​
»Goblins?«​
... erkannte er Schatten in der Entfernung, die in seine Richtung starrten. Er griff nach seinem Schwert, aber realisierte dann, dass die Schatten nicht die richtige Statur hatten. Sie waren zu groß für Goblins und zu schmal für Hobgoblin. Wahrscheinlich waren es Menschen. Er nahm an, dass sie zum Tempel gehörten, und dann verschwanden sie auch schon wieder aus seiner Sicht.​
Soll ich hinterher?
Goblin Slayer schüttelte den Kopf. Es waren keine Goblins gewesen. Es regnete schrecklich. Die Tempeldiener brauchten Hilfe mit den Trauben.​
»Was soll ich als Nächstes tun?«​
»Ihr wart wirklich eine große Hilfe. Vielen Dank!«, schallte die heitere Stimme der Schwester durch den Speisesaal des Tempels.​
Es war eine weitläufige Halle, aber da die Abenteurer schon den Königspalast und den Tempel in der Stadt des Wassers besucht hatten, waren sie nicht sonderlich beeindruckt. Das sollte nicht heißen, dass die anderen beiden Orte außerordentlich luxuriös waren, aber Macht konnte auch durch Aussehen suggeriert werden. Wer würde schon den Rechtsspruch eines Priesters in einer dreckigen Robe akzeptieren? Oder wer würde einen König fürchten, der nur ein Holzschwert schwang? Der Tempel der Erdmutter war mit simplen Tischen und Bänken ausgestattet und es wurden einfache Mahlzeiten serviert, denn überall dort, wo die Güte der Erdmutter zu spüren war, bedurfte es keinerlei Schmuckes.​
»Die Lehren anderer Religionen sind höchst interessant und in einigen Punkten überschneiden sie sich sogar mit meinem Glauben«, erklärte der Echsenmensch und brach sich ein großes, aber für ihn kleines Stück Käse ab.​
»Der fürchterliche Drache, dem wir dienen, sagt, dass man bei Schlachten wütend den Kamm aufstellen sollte.«​
»Meine Güte ...«​
Die Schwester kicherte.​
»Manchmal müssen wir Frauen uns ähnlich verhalten.«​
Die im Speisesaal versammelten Frauen kicherten. Einzig die Priesterin wurde rot im Gesicht und schaute zu Boden, während sie auf ihrem Essen herumkaute. Bei dem Erntefest vor zwei Jahren hatte sie noch für die Erdmutter getanzt, aber gerade eben hatte sie einen vom Helm bis zu den Stiefeln durchnässten Abenteurer mit einer dreckigen Lederrüstung, einem billigen Eisenhelm, einem kleinen Rundschild und einem mittellangen Schwert mit einem Tuch trocken gerieben.​
»Aha, das ist also dieser berüchtigte Mann.«​
»Der sieht nicht gut aus.«​
»Man kann sein Gesicht nicht erkennen.«​
»Seine Statur ist nicht übel.«​
»Seine Stimme klang sehr tief.«​
»Er hat fleißig mitgeholfen.«​
»Er ist auf Silber-Rang.«​
»Das ist der dritthöchste Rang, oder?«​
»Beeindruckend.«​
»Ein Krieger?«​
»Er sieht eher wie ein Waldläufer aus.«​
»Wollen wir ihn ansprechen?«​
Aufgeregt tuschelten die älteren und jüngeren Schwestern der Priesterin.​
»Oje ...«​
Wenn sie gewusst hätte, dass so etwas passieren würde, hätte sie bei ihren vorigen Besuchen lieber nicht von ihm erzählt, wobei ... Nein, es wäre noch peinlicher gewesen, wenn es dann herausgekommen wäre ...​
»So ist es nun mal, wenn man Freunde mit zu sich nach Hause bringt. Ich habe auch viele Verwandte«, versuchte der Zwerg sie mit einem Lächeln aufzumuntern. Er schmierte dick Butter auf eine Scheibe dunkles Brot und störte sich beim Kauen nicht an dessen Härte und den Krümeln, die sich in seinem Bart sammelten. Die Priesterin schaute mit wehleidigem Blick zu ihm und sagte:​
»D... Das mag zwar sein ... aber irgendwie ... Nun ja ... «​
Im Sitzen war der Größenunterschied zwischen den beiden nicht sonderlich groß und der Schamane konnte dem Mädchen in die Augen gucken.​
»Gewöhne dich daran, wirklich! Auch ich musste lernen, Essen ohne Fleisch und Fisch zu ertragen!«​
Der Zwerg lachte laut und schüttete sich einen Becher Wein in den Hals. Er riss erstaunt die Augen auf.​
»Oho! Vielleicht reicht er nicht an den des Gottes des Alkohols heran, aber die Erdmutter scheint dieses Getränk wahrlich gesegnet zu haben!«​
»Ich nehme das Lob hocherfreut an.«​
Die Schwester grinste wie ein Kätzchen und schaute mit aufgestütztem Ellenbogen zur Seite.​
»Aber meine Schwester scheint vom Alkohol schon ein wenig beduselt zu sein.«​
»Das ist wohl wahr«, meinte der Zwerg und lachte schallend. Die Priesterin sank in sich zusammen.​
»Hach ... Davon wird einem ganz warm ...«​
Der Blick der Elfe entspannte sich und sie machte sich wie eine Katze breit, die vom Regen durchnässt worden war.​
»Nicht wahr, Orcbolg?«​
Sie gab dem Krieger einen leichten Stoß. Er war bis gerade schweigend dabei gewesen, Brot und etwas Suppe zu essen.​
»Was?«, fragte Goblin Slayer, während er sein Brot in die Suppe dippte.​
»Na, was wohl?«Die Elfe verzog die Lippen.​
»Sag auch was dazu!«​
»Was soll man schon dazu sagen?«​
»Nein, ist schon gut ...«, murmelte die Priesterin und wollte intervenieren, doch ihre Stimme war dabei nicht lauter als das Summen einer Fliege.​
Am Zucken der Ohren der Elfe war zu erkennen, dass sie ihre Kameradin gehört hatte, doch sie ignorierte es.​
»Du könntest etwas über das Mädchen oder auch über andere Dinge sagen!«​
»Hmpf...«​
Goblin Slayer wollte die Stimme erheben, doch die Schwester​
streckte ihren Arm aus, um ihn aufzuhalten.​
»Zuvor möchte ich mich bedanken.«​
»Bedanken?«​
»Ganz genau.«​
Ein ernster Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht und sie senkte ihren Kopf. »​
Du kümmerst dich immer so gut um unsere Schwester. Dafür bedanken wir uns von Herzen.«Die Priesterin schaute ratlos zwischen den beiden hin und​
her.​
»Nein, sie hat mich schon häufig gerettet.«​
Goblin Slayer schüttelte den Kopf, während die Priesterin ihn anschaute und verdutzte Geräusche machte.​
»Eigentlich bin ich es, um den sie sich gut kümmert.«​
Beschämt schaute die Priesterin zu Boden und als die Waldläuferin merkte, dass ihre junge Kameradin sich fest in den Saum ihrer Priesterkleidung gekrallt hatte, musste sie kichern. Sie warf dem Echsenmenschen einen Blick zu, der darauf vergnügt die Augen verdrehte.​
»Ich verstehe das Kämpfen, aber kleinere Nuancen von sozialen Interaktionen nicht.«​
»Im Gegensatz zu einem gewissen Amboss weißt du wenigstens, wie man sich zurückhält.«​
Die Elfe stellte wütend ihre Ohren auf und rief:​
»Was hast du gesagt?!«​
Als Reaktion darauf begannen die Tempeldienerinnen zu lachen. Ihr Gelächter hallte von den Wänden der Speisehalle wider. Es herrschte eine so herzliche Stimmung, dass einem fast die Tränen kamen. Diese freundliche Atmosphäre war wohl der Barmherzigkeit der Erdmutter zu verdanken. Die Schwester nickte der Priesterin mit leicht zugekniffenen Augen zu.​
»Ist doch schön. Die alte Oberpriesterin hatte sich bereits Sorgen gemacht.«​
Tatsächlich war die Oberpriesterin nicht besonders alt, sondern die Bezeichnung war ein Ausdruck der Liebe.​
»Ich bin beruhigt, dass du so nette Kameraden gefunden hast.«​
Es dauerte eine Weile, bis die Priesterin ein »Ja« heraus gezwungen bekam. Im Anschluss wandte die Schwester sich dem Krieger zu.​
»Und du bist Goblin Slayer ... oder?«​
»So werde ich genannt«, erwiderte der Abenteurer, der inmitten der fröhlichen Stimmung wieder zu essen begonnen hatte.​
»In einem Dorf in der Nähe sollen Goblins aufgetaucht sein. Könntest du den Dorfbewohnern helfen?«​
»Ja«, antwortete er sofort.​
»Wo ist das Nest? Wie sieht es aus?«​
»Oje, du entscheidest dich wirklich schnell. Es ist, wie ich es gehört habe.«​
Die Schwester schaute zur Priesterin und formte lautlos mit ihrem Mund die Worte: Du hast es schwer, oder? Die junge Abenteurerin schüttelte direkt den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel die Mundwinkel trocken.​
Er ist nun mal unverbesserlich.
So neigte sich der Tag dem Ende zu und die nächste Aufgabe der Gruppe würde sein, dem nahe gelegenen Dorf mit seinem Goblinproblem zu helfen. Die Elfe protestierte, aber wirkte dabei nicht sonderlich unglücklich, während der Echsenmensch, der Zwerg und Goblin Slayer schnell die Köpfe zusammensteckten und sich berieten. Die Priesterin beobachtete das alles glücklich und ließ sich von der Stimmung einlullen. Mit vollem Magen nickte sie langsam ein. Es war ein ereignisloser, aber schöner Tag gewesen, für den sie sich nun bei der Erdmutter bedankte. Nicht lange danach würde ein Gerücht die Runde machen, dass die Schwester der Priesterin die Tochter von Goblins sei.​
 
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Edward Teach

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Kapitel 83
Ghule und Geister


»Hrmpf ...«​
Unfassbar verärgert stapfte die Priesterin durch die Gegend. Ein solches Verhalten war für sie äußerst ungewöhnlich und vor allem befand sie sich mit ihrer Gruppe gerade auf einem alten Friedhof. Eigentlich war sie jemand, der stets die Totenruhe achtete. Die Bezeichnung Grabhügel wäre für diesen Ort allerdings besser geeignet als Friedhof, denn es handelte sich um eine Erhebung inmitten eines dicht bewachsenen Waldes. Dort gab es mehrere Steine, die bearbeitet waren, und im Boden steckten oder umgefallen waren. Es war gut möglich, dass dies hier die Grabstätte eines ehemaligen Adligen war.​
»Hrmpf ...«​
Die Priesterin versuchte nicht in geringster Weise, ihren Unmut zu verstecken. Verwundert darüber zuckte die Elfe mit den Ohren und flüsterte leise:​
»Das ist aber ungewöhnlich ...«​
»Sie ist wohl mit irgendetwas nicht einverstanden«, erwiderte der Echsenmensch.​
»Aber es ist ihr vermutlich nicht zu verdenken.«​
Der Zwerg schaute hoch zum Himmel, doch die Götter würden wohl keine Rettung schicken.​
Meine Güte. Sie verhält sich wie ein Kind ...​
Die Priesterin war siebzehn Jahre alt. Damit galt sie seit zwei Jahren als erwachsen, war aber noch immer recht jung. Sie erfüllte all ihre Aufgaben gewissenhaft und kümmerte sich um alle, hatte sich aber noch etwas Kindliches bewahrt, was durchaus eine positive Eigenschaft war. Und dass Alter allein noch kein erwachsenes Verhalten bedingt, dafür war die Elfe der beste Beweis.​
»Hey, Bartschneider. Sag doch was.«​
»Hmpf ...«​
Goblin Slayer, der hinter der Elfe lief, brummte.​
»Was denn?«​
»Das weißt du doch, ohne dass ich es dir sagen muss.«​
Der Krieger antwortete nicht. Er hatte keine Zeit für so etwas. Er musste sich auf das Abenteuer konzentrieren. Schließlich war es etwas anders als seine sonstigen Aufträge. Goblin Aufträge, bei denen es zu noch keinen Schäden gekommen war, waren selten, aber diesmal waren einige der Biester von Dorfbewohnern beim Kräutersuchen gesichtet worden. Sie hatten gezögert, ob sie diese Monster selbst erledigen sollten, aber falls sie ein, zwei dieser Bestien gereizt hätten, wäre vielleicht eine ganze Horde über das Dorf hergefallen. Daher hatten sich die Dorfbewohner ratsuchend an den Tempel der Erdmutter gewandt. So kam es dann, dass Goblin Slayer von dem Auftrag erfuhr.​
»Nun ja, bisher ist wohl noch nichts passiert«, hatte die Schwester gesagt und verschämt gelacht.​
»Aber die Dorfbewohner machen sich Sorgen.«​
»Das kann ich verstehen«, hatte Goblin Slayer darauf geantwortet.​
»Das kann ich vollkommen verstehen.«​
Nachdem Goblin Slayer dann den Auftrag angenommen hatte, war ein böses Gerücht in Umlauf geraten. An Straßenecken, in Schenken und der Gilde wurde heimlich getuschelt.​
»Ist die Schwester etwa das Kind eines Goblins?«​
Selbstverständlich gehörte es sich nicht, den Tempel der Erdmutter zu kritisieren, denn die Erdmutter gewährte wie alle anderen Götter in dieser Welt Wunder, doch die Leute konnten sich nicht zurückhalten. Und so wurde erzählt, dass die Schwester mit ihren prallen Körperformen die Tochter einer Frau sei, die von Goblins geschwängert worden war. Leider erfuhr auch die Priesterin davon, als die Gruppe sich auf das Abenteuer vorbereitete.​
***
»Mhm ...«​
Die Priesterin schritt mit lockerem Schritt durch die Gilde, die vom Licht der Morgensonne erhellt wurde. Dabei summte sie ein Lied und hakte im Kopf die Dinge ab, die sie für das Abenteuer benötigte. Rüstung, Waffen und besonders Hilfsgegenstände und Verbrauchsobjekte. Tränke wurden schlecht, die Spitzen von Kletterhaken rieben sich ab und Nägel konnten rosten. Es war also nicht nur wichtig, verbrauchte Objekte zu ersetzen, sondern man musste auch darauf achten, dass sich der Rest der Ausrüstung immer in einem brauchbaren Zustand befand.​
Aber ich sollte nicht allzu sorglos sein ...
Sie freute sich, wieder mit ihren Kameraden unterwegs sein zu können, aber nicht darauf, gegen Goblins antreten zu müssen. Auch wenn sie etwas an ihren Aufgaben gewachsen sein mochte, hatte sie noch immer wenig Zuversicht. Sie war sich nicht sicher, ob das ein Vor- oder Nachteil ihres Charakters war, aber zumindest hatte sie mittlerweile gelernt, dass sie bisweilen nützlich für ihr Team sein konnte. Zum Beispiel indem sie diese Einkäufe tätigte und sich auf das Abenteuer vorbereitete.​
»Sag mal, hast du schon davon gehört?«​
Die Priesterin hörte im Vorbeigehen, wie einige Anfänger miteinander redeten, aber dachte in diesem Moment noch nicht, dass sie die Unterhaltung etwas angehen würde.​
»Etwa die Sache mit der Dienerin der Erdmutter?«​
»Hä?«​
Als sie die Gegenfrage hörte, blieb sie überrascht stehen und schaute zu den Jünglingen mit ihrer neuen Ausrüstung. Vor einem Jahr war der Trainingsplatz für Abenteurer fertig geworden. Die Priesterin hatte dort während des Baus ausgeholfen. Als der Platz angegriffen worden war, hatte sie sogar eine kleine Einheit angeführt, und weil dies ein wichtiger Schritt für ihren Rangaufstieg gewesen war, war dieses Ereignis für sie zu einer kostbaren Erinnerung geworden. Selbstverständlich schmerzte es sie, dass Leute gestorben waren, und es gab auch viele Anfänger, die wegen solcher Erfahrungen ihren Wunsch, Abenteurer zu werden, aufgaben, doch das würde die Priesterin nicht tun. Mittlerweile wurde der Trainingsplatz von älteren Abenteurern, die sich zur Ruhe gesetzt hatten, genutzt, um Anfänger zu trainieren. Die Priesterin hatte also nicht erwartet, dass man dort über sie reden würde.​
»Ja, davon hab ich gehört.«​
Die Priesterin wurde kreidebleich im Gesicht.​
»Es gab doch ein Mädchen, das von Goblins angegriffen wurde. Eine Abenteurerin.«​
Die junge Abenteurerin war sprachlos und ihre Hände hielten sich verkrampft an ihrer Tasche fest. Sie brauchte ihre ganze Kraft, nur um sich aufrecht zu halten. Gab es im Tempel noch eine Priesterin, die bei einem Abenteuer mit Goblins so sehr versagt hatte wie sie? Ihr fiel keine ein. Ihre Knie fingen heftig zu zittern an.​
Was mache ich nun? Was mache ich jetzt nur?
»Du Depp, das meine ich nicht.«​
Einer der Anfänger hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen und die Priesterin blieb reglos stehen. Sie hoffte, nicht bemerkt zu werden.​
»Ich meine, dass eine von den Dienerinnen der Erdmutter das Kind eines Goblins sein soll.«​
»Hä? Das Kind eines Goblins?«​
»Ich habe die Sache auch nur von dem Freund eines Freundes gehört, aber es geht um diese ...«​
Das Gesicht des Anfängers war leicht gerötet.​
»... diese dunkelhäutige Frau.«​
Was redet er denn da?​
»Wie bitte? Diese Schwester, die den Wein herstellt? Ich habe den schon einmal getrunken.«​
»Ich würde ihn nicht mehr trinken ...«​
»Aber sag mal ... Gegen Goblins verliert man doch nur, wenn man ein Trottel ist, oder?«​
»Solange sie einen nicht umzingeln, sind sie leichte Beute. Die Heldin lacht sicherlich über sie.«​
»Wer Probleme mit ihnen hatte, der macht daraus einfach eine große Nummer. Goblins sind nicht gefährlich.«​
»Wer meint, dass Goblins gefährlich sind, der fällt sicher sofort tot um, wenn er einen Drachen sieht.«​
Während das schallende Lachen der beiden von den Wänden widerhallte, kniete sich die Priesterin auf den Boden und hielt sich beide Ohren zu.​
Aber irgendwann möchte ich schon mal einen Drachen erlegen.
Wie eine Alarmglocke hallten diese Worte, die sie früher schon gehört hatte, durch ihren Kopf.​
»Konzentriere dich«, sagte Goblin Slayer, während er sich lautlos auf der fauligen Erde fortbewegte, und holte die Priesterin damit in die Gegenwart zurück.​
Die Elfe und der Zwerg schauten resigniert und der Echsenmensch zuckte mit den Schultern. Der Krieger schob mürrisch Äste des Gebüschs zur Seite. Die Bäume ließen kaum Licht durch und die Luft war abgestanden und feucht. Es roch schrecklich säuerlich.​
»J ... Ja ...«, erwiderte die Priesterin zögerlich und bemerkte, dass sich der Geruch hier von dem eines Goblin Nests unterschied.​
Als sie dann realisierte, dass sie sich unvorsichtig bewegt hatte, biss sie sich auf die Unterlippe und schaute beschämt zu Boden.​
»Ja ...«​
Sie verhielt sich wie ein Kind, das plötzlich von seinen Eltern ermahnt wurde. Sie kam sich erbärmlich vor und drückte frustriert ihren Priesterstab an sich. Hätte sie in dem Moment etwas sagen sollen? Hatte sie nur gelauscht, weil sie Angst gehabt hatte, oder steckte mehr dahinter? War sie von ihren Gefühlen überwältigt gewesen? Sie wusste es selbst mehrere Stunden später nicht.​
Aber wenn ich wieder zurück bin ..., dachte sich das Mädchen und wiederholte in Gedanken mehrfach den Namen der Erdmutter, um auf andere Gedanken zu kommen. Wenn man während eines Abenteuers nicht aufpasste, starb man. So war das nun einmal und dass wusste sie mittlerweile nur zu gut. Sie hatte oft mitbekommen, wie Abenteurer, die sonst immer lockere Sprüche klopften, vor einem Kampf wie ausgewechselt waren. Sie wollte wie sie sein und deswegen atmete sie einmal tief ein und wieder aus. Natürlich hatte sie das Ganze schon verinnerlicht, aber am Ende zählte halt, ob man sich anstrengte oder nicht ...​
»Hier riecht doch etwas komisch!«​
Die Nase der Elfe zuckte mehrfach und der Rest der Gruppe hielt inne. Nur die Priesterin brauchte ein wenig länger. Die feinfühligen Ohren, Augen und die Nase der Waldläuferin waren wie eine Rettungsleine für die Gruppe. Ein schweres Rascheln in den umliegenden Bäumen. Würde etwas von oben auf sie herab geschossen kommen? Während sie sich solche Szenarien ausmalte, atmete die Priesterin tief ein und aus. Vermischt mit den Gerüchen von verfaulten Blättern, Erde und Feuchtigkeit war dort noch etwas Säuerliches. Es fühlte sich an, als würde es auf der Zunge kleben bleiben. Ganz anders als die Gerüche in einer Höhle ...
»So ein Grabhügel stinkt nun mal, oder?«, fragte der Zwerg und steckte seine Hände in die Tasche mit den Katalysatoren, um kampfbereit zu sein.​
»Wie viel Zeit ist wohl vergangen, seit dieser Ort vergessen wurde?«, entgegnete der Echsenmensch.​
»Wer weiß?«​
Nachdenklich fuhr der Schamane sich durch den Bart und schaute hoch zum Himmel.​
»Hundert oder vielleicht tausend Jahre? Sicherlich ist dieser Ort nicht schon im Zeitalter der Götter vergessen worden. Nun ja, wenigstens funktioniert die Nase von unserem Amboss hier noch ordentlich.«​
»Was denn?«, gab die Elfe meckernd zurück und stellte ihre Ohren auf.​
Der Bergbewohner ignorierte das und flüsterte:​
»Ich glaub aber nicht, dass dies ein normaler Grabhügel ist.«​
»Goblins?«​
»Das weiß ich nicht.«​
Der Zwerg schwieg kurz und zitterte.​
»Es könnten auch Gruftschrecken auftauchen.«​
»Gruftschrecken?«, fragte Goblin Slayer.​
»Noch nie davon gehört. Sind das Monster?«​
»Du kennst nichts außer Goblins, was?«​
Die Elfe verzog das Gesicht und zog einen Pfeil aus ihrem Köcher. Sie spannte ihn in den Bogen und spitzte ihre Ohren.​
»Es sind Untote, die einem verfluchten König dienten oder durch ein Abkommen an ihn gebunden wurden und nun keine Ruhe finden.«​
»Das ist nicht wirklich mein Fachgebiet ...«, erwiderte der Echsenmensch und verdrehte seinen langen Hals.​
Dabei spielte er mit ein paar Drachenzähnen in seiner Hand. Plötzlich legte​
sich ein dünner Nebel über die Gegend, aber für den Mönch, der im Sumpf aufgewachsen war, würde das kein Problem darstellen. In dieser Gruppe gab es mit der Elfe, dem Zwerg und dem Echsenmenschen viele, die auch im Dunkeln sehen konnten, aber für die Priesterin war es komplett unbegreiflich, wie sie die Finsternis durchblicken konnten.​
»Ich glaube, auf einem alten Grabhügel trifft man eher andere Gestalten als Goblins.«​
»Also würden sie sich so einen Ort nicht als Nistplatz aussuchen?«, hakte Goblin Slayer nach.​
»Das gefällt mir gar nicht.«​
Die Priesterin schluckte und umklammerte fest ihren Stab. Sie spürte ein Kribbeln im Nacken. In solchen Momenten war bisher immer etwas Schlimmes passiert. Sie untersuchte die Umgebung und schaute, ob irgendwo Schatten zu erkennen waren. Sie sah Steinsäulen und die Reste von Gräbern, aber da schien sich noch etwas zu bewegen. Fast lautlos zuckte etwas unter einer von Moos überwachsenen Erhebung.​
»Ah!«rief die Priesterin mit zitternder Stimme.​
»Dort! Die Erde!«​
Im nächsten Moment flog schon ein Pfeil. Schneller als es für das normale Auge sichtbar war, hatte die Elfe die Sehne ihres Bogens zurückgezogen und sie beim Abschießen eines Pfeils wie die Saite einer Harfe singen lassen. Das Wesen unter der Erde schien sich allerdings nicht daran zu stören, dass es von einem Pfeil durchbohrt worden war, und erhob sich aus dem Erdreich. Es war eine kleine humanoide Gestalt, die grässlich aussah und stank.​
Für die Priesterin sah sie aus wie ein Goblin und Goblin Slayer erging es wohl nicht anders.​
»Also doch Goblins. Wie viele sind es insgesamt?!«​
»Ich weiß es nicht!«, entgegnete die Elfe und spannte einen weiteren Pfeil in ihren Bogen.​
»Aber sie kommen von allen Seiten!«​
Die Hügel und Steine in der Umgebung wackelten und immer mehr feindliche Gestalten erwachten zum Leben. Als die Priesterin ungewollt deren fauligen Gestank einatmete, überkam sie schnell ein Gefühl der Übelkeit.​
»Oho! Ein Angriff aus dem Erdboden!«​
Mit der Umgebung im Blick begann der Echsenmensch zu lächeln.​
»Für Goblins ist das ein ganz schön cleverer Plan.«​
»Hör auf, sie zu bewundern! Hey, Bartschneider! Was nun?«, rief der Zwerg.​
Goblin Slayer hielt seinen Schild und sein Schwert bereit und starrte die sich nähernden Gegner an. Wobei, nein, wegen seines Helms war es unklar, wo er hinschaute, und weil die Priesterin sich fühlte, als würde er sie anblicken, machte sie sich klein.​
»Wir bilden mit dir im Mittelpunkt einen Kreis«, sagte der Krieger.​
»Los.«​
»J... Jawohl!«, antwortete die junge Abenteurerin.​
Abenteurer hatten nicht den Luxus, lange Pläne zu schmieden, weshalb oft entscheidend war, dass sie schnell reagierten. So kam es, dass die Gruppe sich um die Priesterin positionierte und Schwert, Bogen, Axt, Krallen, Reißzähne und Schwanz kampfbereit hielt. Vorne die Elfe, an den Seiten Goblin Slayer und der Echsenmensch und hinten der Zwerg. In der Mitte stand die Priesterin. Sie biss sich auf die Unterlippe und achtete darauf, dass sie all ihre Kameraden im Blick hatte, damit sie den anderen Bescheid geben oder Wunder wirken konnte, wenn etwas passierte.​
»Sie bewegen sich sehr langsam ...«​
»Das stimmt«, antwortete die Elfe.​
Die Sehne ihres Bogens knirschte, als sie auf eine der wankenden Gestalten zielte. Langsam, ganz langsam schloss sich die Umzingelung der Monster und der Priesterin lief es immer kälter den Rücken herunter.​
»Sie fallen nicht um, obwohl sie von Pfeilen getroffen wurden ... Es klingt aber auch nicht so, als hätten sie Rüstungen an ... Das ist seltsam.«​
»Was denkst du?«, fragte Goblin Slayer leise den Echsenmenschen.​
Dieser schleckte sich über das Maul und stieß ein Zischen aus.​
»Mir würde es nicht gefallen, hier ins Hintertreffen zu geraten.«​
»Ich sehe es auch so«, erwiderte der Krieger.​
»Haltet die Formation. Wir brechen durch.«​
»Jawohl!«, erwiderte die Priesterin tapfer, als hätte sie ihre Sorgen vergessen. Bei den Goblins würde sie sich dafür aber auf keinen Fall bedanken.​
»Wie kann das sein?«​
Goblin Slayer hatte seine Klinge geworfen und diese hatte sich in die Kehle eines Goblins gebohrt. Dreckiges Blut spritzte heraus und der Geruch fauligen Fleisches und Blutes lag in der Luft. Doch obwohl der Goblin schwer verletzt umgefallen war, erhob er sich wieder. Angewidert kommentierte Goblin Slayer das Geschehen.​
»Das sind keine Goblins.«​
»Es ist doch klar, dass das Untote sind!«, rief die Elfe wütend zurück und verschoss einige Pfeile.​
Sie flogen auf eigentlich unmögliche Art durch die Luft und verschwanden im Nebel. Das Geräusch von reißendem Fleisch bewies dann aber, dass die Geschosse ihr Ziel gefunden hatten. Nichtsdestotrotz wankten die Gestalten weiter auf die Abenteurer zu. Die Elfe schnalzte verärgert mit der Zunge und rief:​
»Ach, verdammt! Warum passiert so was in letzter Zeit ständig?! Ich hasse solche leblosen Gegner!«​
»Wir sollten dafür sorgen, dass sie sich nicht mehr bewegen können!«, entgegnete der Echsenmensch, umschlang mit seinem Schwanz die Beine einer fauligen Gestalt und schmetterte sie zu Boden. Ein schmatzendes Geräusch war zu hören, ähnlich einer Frucht, die mitsamt ihrem Kern zerschmettert wurde.​
»Muskeln, Knochen und Fleisch sind die Bestandteile von Mechanismen. Wenn man sie zerstört, können diese nicht mehr funktionieren!«​
»Ich dachte, dass Leichen nicht dein Fachgebiet wären!«​
»Meinem bescheidenen Wissen nach kehren Tote in die Erde zurück und bleiben dort. Diese Exemplare hier werden wohl von einem Pilz oder etwas Ähnlichem befallen sein.«​
Der Zwerg zuckte mit den Schultern und riss seine kleine Axt in die Höhe. Er schlug immer wieder zu und achtete darauf, dass seine Hiebe die Gliedmaßen der Gegner abtrennten.​
»Sorgt dafür, dass sie euch nicht zu greifen kriegen!«​
Mit seinen kurzen Beinen versuchte der Zwerg so gut wie möglich Schritt zu halten.​
»Bartschneider, wir müssen den Nekromanten erledigen!«​
»Nekromanten?«, wiederholte Goblin Slayer das Wort.​
»Gibt es Nekromanten Goblins?«​
»Orcbolg, wenn du das nicht weißt, wer dann?«, keifte die Elfe wütend zurück.​
Sie hatte ihren Langbogen gegen einen Dolch aus Obsidian getauscht. Sie schwang ihn nach jedem Gegner, der sich näherte, doch sie ließen sich nicht davon abhalten. Währenddessen schienen immer mehr Untote aus dem Boden aufzusteigen. Wütend begann die Waldläuferin, Flüche in ihrer Sprache zu rufen. Das einzige Glück im Unglück war, dass die zahlreichen Goblin Leichen sich nicht sonderlich schnell bewegten. So kam es, dass die Gruppe durch den Schwarm der vielen Untoten etwas ziellos umherirrte, aber doch ihre Formation halten konnte. Dennoch gerieten die Abenteurer immer mehr in Bedrängnis.​
»Ä... Ähm ...«​
Die Priesterin schaute in den Nebel und legte sich nachdenklich einen Finger auf die Lippen. Soweit sie wusste, musste ein Totenbeschwörer, egal, ob er dem Guten oder Bösen diente, einen Zauber auf die Toten wirken, um sie zu kontrollieren. Es war eine Form von Magie: ein Fluch.​
»Wenn dies ein Fluch ist ... dann muss er von einem Ort ausgehen!«​
Auch wenn er auf vagem Wissen basierte, hatte sie einen Geistesblitz.​
»Ich weiß aber nicht, ob es ein Trick der Goblins ist oder ob ein echter Nekromant dahintersteckt.«​
»Dann befindet er sich sicher an der Spitze des Grabhügels«, sagte der Echsenmensch, während er sich einen Untoten schnappte und ihn in Stücke riss.​
»Ich würde den Fluch von dort aus wirken.«​
Goblin Slayer schnappte sich ein Schwert vom Boden und schaute sich um. Wahrscheinlich hatte die Waffe einst einem Soldaten gehört, der hier begraben worden war. Sie war alt und rostig und auch die Länge der Waffe gefiel dem Krieger nicht. Er schwang sie ein paar Mal testweise und wandte sich dann der Priesterin zu.​
»Wirst du den Fluch brechen können, wenn wir wissen, wo er herkommt?«​
»Ja!«, erwiderte das Mädchen eifrig und hielt den Priesterstab mit beiden Händen fest.​
»Gut«, sagte der Krieger.​
»Dann begeben wir uns zur Spitze des Grabhügels.«​
Die Abenteurer nickten und setzten sich ohne weitere Umschweife in Bewegung. Während sie die seichte Steigung erklommen, wichen sie den kleinen Teufeln aus, die sich von allen Seiten näherten.​
»Es reicht also, wenn ich sie bewegungsunfähig mache?«, fragte die Elfe und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Sie klopfte mit ihrem Dolch gegen die knospen förmige Spitze und sie teilte sich wie von selbst in zwei. Im Anschluss klemmte die Waldläuferin sich den Dolch zwischen die Zähne und schoss den Pfeil ab.​
Begleitet von einem Pling schlängelte sich der Pfeil über den Boden und traf direkt das Knie eines Goblins.​
»...?!«​
Im Augenblick des Einschlags drehte sich der Pfeil und zerriss mit einem Knacken das Knie des Gegners. Wäre dieser noch am Leben gewesen, wäre er sicher vor Schmerzen verzweifelt. Die Abenteurer nutzten den Moment, trampelten über den zusammengesackten Kadaver hinweg und zogen weiter.​
»Mjawoll!«, freute sich die Elfe, die noch immer den Dolch im Mund hatte, und machte sich daran, den nächsten Pfeil vorzubereiten.​
»Wie brutal«, murmelte der Zwerg und schaute zu ihr.​
»Deswegen kommt nichts Gutes dabei raus, wenn man sich mit Elfen anlegt ..•​
Natürlich hatte der Schamane aber auch ein Ass im Ärmel. Als Schlusslicht der Gruppe holte er einen Wasserbeutel aus seiner Tasche mit Katalysatoren. Er zog den Stöpsel und schüttete den Beutel aus.​
»Gnome, Undine, erzeugt für mich ein wunderbares Kissen!«​
Sie mochten es mit Gegnern zu tun haben, die man nicht mehr umbringen konnte, aber dennoch standen sie auf dem Boden und wie der Echsenmensch zuvor gesagt hatte, waren sie auch nur Konstrukte aus Knochen, an denen Fleisch klebte. Als der Boden also plötzlich zu blubberndem Schlamm wurde, versanken ihre Beine darin und sie fielen um. Mit ihren trägen Armen hatten sie nicht die geringste Chance, diesem Elend zu entkommen. Es wirkte fast so, als würden sie im Schlamm ertrinken. Angetrieben von ihrer Gier nach den Lebenden stießen immer mehr von den Monstern hinzu und versanken wie ihre untoten Kameraden im Schlamm. Goblins verfügten zumindest über den Intellekt eines Kindes, aber diese Toten besaßen überhaupt keinen mehr.​
»Bartschneider! Mach dir keine Sorgen um uns, sondern leg los!«​
»Ja«, antwortete Goblin Slayer und ging in die Offensive.​
Er warf sein Schwert nach einem untoten Goblin und die Klinge bohrte sich tief in dessen Schädel, doch obwohl das Hirn aus dem weit nach hinten geknickten Kopf heraushing, marschierte das Monster weiter. Deshalb schlug Goblin Slayer mit seinem Schild gegen die Kehle des Gegners und brach sein Rückgrat entzwei.​
»Es sind wie immer viele ...«​
Der Krieger trat auf den Arm eines untoten Goblins und zertrümmerte ihn. Während er mit der Zunge schnalzte, riss er ihn vom Körper des Untoten ab. »Selbst tot machen Goblins nur Arger.«​
»Goblin Slayer!«​
Weil die Priesterin ihn warnte, konnte Goblin Slayer auf der Stelle reagieren. Ein Untoter war aus der Erde hervorgeschossen und hatte nach den Beinen des Kriegers greifen wollen, doch dieser schlug ihm mit dem Arm seines Artgenossen den Schädel ein. Dann schaute er sich um. Sie hatten es mit wirklich vielen Gegnern zu tun. Die Schatten, die durch den Nebel wankten, wurden von Moment zu Moment mehr und es war fast so, als würden sie gemeinsam ein großes Monstrum ergeben. Aber mit Goblins ist es eigentlich immer so ... So gesehen hatte sich eigentlich nichts geändert.​
»...!«​
Hinter ihm umklammerte die Priesterin den Priesterstab und nickte tapfer. Deshalb eilte die Gruppe, angeführt von Goblin Slayer, zur Spitze des Hügels. Nach oben. Weiter nach oben. Immer wieder hörte man unangenehme Geräusche wie Knacken, Krachen, Reißen, Keuchen und Klackern. Außerdem brüllte der Echsenmensch immer wieder. Die untoten Gegner aber schwiegen. Die Priesterin musste mehrfach blinzeln, weil ihr von der Stirn Regentropfen in die Augen liefen. Der Nebel war fast wie Regen und durchnässte ihre Sachen. Immer wieder zog die junge Abenteurerin an ihrer Kleidung, damit diese nicht an ihrer Haut klebte, und merkte, dass sie zitterte.​
Der Ausgang dieses Kampfes und ob alle lebend heimkehren würden, war von ihr abhängig und sie wollte nicht mal daran denken, was wohl passieren würde, wenn ihr Heiliges Licht nicht ausreichte, um den Fluch zu brechen. Irgendwann würden ihnen die Kräfte ausgehen und sie würden zu Boden gerissen werden. Die Untoten würden ihnen die Bäuche aufreißen, die Unschuld rauben und sie auffressen. Unterbewusst fühlte sich die Priesterin, als wäre sie wieder in jener Höhle. Hätte in dem Nest der dreckigen Goblins der Tod auf sie gewartet, wenn sie dort in den Unrat gestürzt wäre? In den Augen der Goblins hätte sie dann ihr eigenes verzweifeltes Spiegelbild sehen können. Sie hätte sich heulend ihrem Schicksal hingegeben und ihre Gottheit angefleht, doch diese hätte sie nicht gehört. Und dann ...​
»Noch ein kleines Stück.«​
Diese Worte waren nicht als freundliche Aufmunterung gemeint, sondern sie waren eine einfache Feststellung. Nichtsdestotrotz fühlte sich die Priesterin nun etwas besser.​
»Jawohl«, antwortete sie leise und fasste den Entschluss, heute nicht zu versagen.​
Sie atmete tief ein und aus. Die Erdmutter würde ihr das Wunder gewähren, denn sie war eine würdige Stellvertreterin. Weil ihre Kameraden mit aller Kraft kämpften, würde sie mit vollem Herzen beten. Allerdings durfte sie nicht übermütig werden. Sie merkte, wie sie sich entspannte und sich befreiter fühlte. Dann erkannte sie eine Gestalt, die anders als die Goblins war. Es ertönte ein seltsames Geräusch ...​
»Hm? Wah!«​
Im nächsten Augenblick wurde die Mütze der Priesterin von ihrem Kopf gerissen und ihre Haare tanzten durch die Luft. Die junge Abenteurerin hatte sich reflexartig in den Dreck geworfen und es stellte sich heraus, dass dies die richtige Entscheidung gewesen war. Irgendetwas war mit scharfem Pfeifen heran geflogen gekommen und nun ertönte das Geräusch erneut.​
»A... Hngh?!«​
Das Mädchen schrie vor Schmerz auf und rollte sich durch den Dreck. Ihr Stiefel wurde zerfetzt und aus einer Wunde am Schenkel tropfte Blut. Ihre Robe war zerrissen und bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass sie den Angriff nur überstanden hatte, weil sie ein Kettenhemd trug. Sonst wäre ihr sicherlich das Herz raus gerissen worden. Schon kam der dritte Angriff.​
»Über uns!«, rief Goblin Slayer.​
»Das ist kein Goblin.«Platschend ließ Goblin Slayer den Arm, den er als Knüppel verwendet hatte, fallen, denn es war eigentlich nur noch die Hand übrig. Dann zog er schnell das verrostete Schwert von der Hüfte. Er hielt es verkehrt herum in der Hand und eilte an die Seite der Priesterin, wo er sich hinkniete.​
»Kannst du aufstehen?«​
»J... Ja...«​
Auf ihren Stab gestützt stand die junge Abenteurerin schwankend auf. Heftiger Schmerz brachte sie ins Wanken, doch das war es nicht, was ihr die Tränen in die Augen trieb, sondern Gefühle von Erbärmlichkeit und Frustration. Wie sollten sie so die Spitze des Hügels erreichen?​
»Huch?!«​
Doch gerade als sie sich darüber Gedanken zu machen begann, hatte sie das Gefühl, dass sie angehoben wurde. Es war Goblin Slayer, der ihr eine Schulter lieh.​
»Wir gehen.«​
»Äh, j... ja!«​
Die Priesterin wollte gerade ihre Mütze aufheben, als erneut ein scharfer Windstoß angeflogen kam. Goblin Slayer riss schnell seine Klinge hoch, von der Rost und Funken flogen.​
»Könnt ihr mir helfen?«, fragte Goblin Slayer und ignorierte die sprachlose Priesterin.​
»Natürlich!«, erwiderte die Elfe als Erste und rannte weiter den Hügel hinauf. Dabei verschoss sie beständig Pfeile. Sie hatte die besten Augen und Ohren in der Gruppe und so hatte sie gleich ausgemacht, wo sich der Feind befand. »Es sieht aus wie eine humanoide Gestalt mit Flügeln! Scheint nicht aus Stein zu sein!«​
»Dann«, murmelte Goblin Slayer, »ist es kein Gargoyle.«​
Die Elfe wackelte mit den Ohren und die Priesterin riss erstaunt die Augen auf. Sie vergaß für einen Moment die Schmerzen.​
»K... Kennst du die etwa?«​
»Natürlich.«​
»Es wird wohl eine Art Dämon sein.«​
Der Zwerg prügelte sich seine Axt schwingend durch die Goblin Leichen und eilte stapfend hinterher. Immer wieder schaute er wachsam nach oben. Er spürte, wie etwas durch den Himmel sauste, und verzog das Gesicht. Jetzt hatten sie es nicht nur mit Untoten, sondern auch mit einem anderen Wesen zu tun. Die Lage sah alles andere als rosig aus.​
»Langohr, ist das etwa wie das Biest von damals? Du weißt schon.«​
»Ich glaube, dass sich dieser Gegner anders bewegt.«​
»Nun ja, es gibt nicht nur Erzdämonen, sondern auch kleinere.«​
»Ähnlich wie es beim Kartenspiel Ass und Trumpf gibt!«​
Blitzschnell schoss die Elfe einen Pfeil in den Nebel. Das Geschoss verschwand mit einem Brummen und als Nächstes war ein lautes Flügelschlagen zu hören. Der Dämon hatte seine Flugbahn geändert, um dem Geschoss auszuweichen, doch das war es, worauf die Elfe spekuliert hatte.​
»Jetzt!«​
»Sehr wohl! Oh, Velociraptor, bewundere meine Sprungkraft!«​
Kaum hatte der schwarze Schatten den Schwanz hochgerissen,​
hallte auch schon ein Brüllen durch den Nebel. Es war ein Überraschungsangriff, wie ihn nur ein Echsenmensch starten konnte.​
»AAAARERRRERERREM?!«​
Der Dämon war bei seinen Angriffen bisher immer still gewesen, aber der Zusammenstoß ließ ihn aufschreien. Der Echsenmensch war in die Höhe gesprungen und hielt sich mithilfe seiner Reißzähne und seinen Krallen am Gegner fest.​
»AREEEM! AREEEMEER!«​
Der Dämon verfluchte den schuppigen Abenteurer und stieß sich mit kräftigen Flügelschlägen höher in die Luft. Eigentlich war der Plan des Wesens gewesen, zuerst das schwächliche Mädchen zu erledigen. Weil Diener des Chaos es häufig zuerst auf die Diener der Götter abgesehen hatten, war sein Plan leicht zu durchschauen gewesen. Jetzt aber wollte er zuerst den Echsenmenschen töten und das wollte er tun, indem er ihn aus großer Höhe fallen ließ.​
»ARREREMERE!!«​
»Ha ha ha! Deine Art ist bei der Entwicklung falsch abgebogen!«​
Doch egal, wie hoch der Dämon flog, der Echsenmensch wollte nicht loslassen. Stattdessen bohrten sich seine Krallen und Reißzähne immer tiefer in sein Fleisch und Blut begann herauszuschießen. Echsenmenschen waren dafür bekannt, dass sie ihre Opfer niemals entkommen ließen. Selbst wenn es sie das Leben kostete. Ein Grinsen umspielte das Maul des Mönchs.​
»Deine Flügel sind nichts im Vergleich zu denen des Pterodactylus! Deine Art wird aussterben!«​
Mit einem lauten Schrei biss der Echsenmensch erneut zu und rammte seine Zähne in die Kehle des Dämons.​
»ARRRRARARRRRMMM?!?!«​
Seine Flüche waren längst zu Schmerzensschreien verkommen und der Mönch zerfetzte seine Flügel. Im Anschluss packte der Echsenmensch deren Reste und riss sie ab.​
»AARAMM?! ARARAMMMMRREERMMMM?!«​
Es war unklar, was der Dämon bei seinem darauffolgenden Absturz dachte, aber als er auf den Boden krachte und sein Körper zerschmettert wurde, schrie er auf. Eine Blutfontäne schoss zeitgleich in die Höhe, begleitet von einer Welle aus Schlamm. Der Zwerg beobachtete das Ganze und sagte lediglich:​
»Das war ganz schön wild.«​
»Hey, lebst du noch?!«, fragte die Elfe währenddessen.​
»Das war doch noch gar nichts«, antwortete der Echsenmensch unbeschwert und richtete sich locker auf. Dann spuckte er Blut und Fleischklumpen aus und schüttelte den Dreck ab. Als Nächstes stellte er eines seiner Beine auf den noch zuckenden Körper des Dämons und sagte:​
»Kümmert euch nicht um mich, sondern geht weiter!«​
»J ... Jawohl!«, gab die Priesterin zurück und versuchte dabei, den Schmerz zu unterdrücken.​
Goblin Slayer setzte sich wortlos in Bewegung. Sie musste nur noch den Blick nach vorne richten, während der Krieger neben ihr das Schwert schwang. Er trennte die Gliedmaßen einer Goblin Leiche ab und stampfte über sie hinweg. Nachdem er im Anschluss einige weitere der Bestien erledigt hatte, brach ein Teil der Klinge ab, doch da sie jetzt die Länge hatte, die der Krieger bevorzugte, störte er sich nicht daran. Stattdessen hob er die Waffe über den Kopf und schleuderte sie nach vorne. Sie flog pfeilgerade auf die Kehle eines Goblins zu und durchbohrte sie.​
»Hah?!«​
Der Krieger nahm die Priesterin regelrecht in die Arme, als er den Untoten umtrat und ihn zerstampfte. Der Gestank von verfaultem Fleisch, Fäkalien, Tod und Eingeweiden. Eigentlich war es wie immer, es fehlte nur das Geschrei der Goblins und natürlich starben die Biester diesmal nicht. Auch wenn man sie tödlich verletzte.​
»Das gefällt mir nicht. Das sind keine Goblins.«​
Mit diesen angewiderten Worten schaute Goblin Slayer auf das, was noch von dem Schwert übrig war: ein Knauf. Weil die Untoten nicht bewaffnet waren, fehlte es ihm an Waffennachschub. Bedächtig setzte er die Priesterin ab und hob das Schild.​
»Kannst du?«​
»Ich ...«​
Die Priesterin belastete ihre Beine mit vollem Gewicht und stöhnte kurz auf. »Ich schaff ... das!«​
»Gut.«​
Das Mädchen nickte kräftig und hielt die Tränen zurück. Ein Bein hinter sich herziehend ging sie langsam los. Es war nicht mehr weit bis zur Spitze des Hügels, aber selbst diese kurze Strecke kam der jungen Abenteurerin unheimlich weit vor. Einen kurzen Moment drehte sie sich um und schaute zu Goblin Slayer. Er kämpfte mit seinem Rundschild, dessen Ränder geschärft waren. Mit ihnen schlug er die Beine der Untoten wie mit einem Beil ab. Hinter ihm kämpfte die Elfe mit ihrem Bogen, der Zwerg mit seiner Axt und der Echsenmensch mit seinen Krallen, Reißzähnen und seinem Schwanz. Der Nebel war hier dünner als weiter unten am Hügel, weswegen sie ihre Kameraden gut sehen konnte. Die Elfe zuckte mit den Ohren, schaute hoch zu ihrer Kameradin und winkte ihr zu. Die Priesterin nickte. Sie konzentrierte sich darauf, die Schmerzen in ihrem Schenkel zu ignorieren, und atmete einmal tief ein und wieder aus. Dann setzte sie sich erneut in Bewegung. Mit ihrer freien Hand griff sie nach der Wunde an ihrem Bein und drückte darauf. Blut lief heraus. Einst hatte eine dämonische Krankheit das Land verwüstet und die Toten waren mithilfe eines Fluches kontrolliert worden. Was, wenn es hier genauso war? Nein, das Mädchen vertrieb diesen Gedanken und konzentrierte sich darauf, was hier zu tun war. Sie selbst musste nichts erreichen. Sie musste nur beten und als Dienerin der Götter ihren Dienst leisten.​
Und genau deshalb muss ich mir keine Sorgen machen.
Die Priesterin blickte noch einmal zum Krieger, bevor sie die Augen schloss und ihr Gebet zu sprechen begann. Sie verband ihre Gedanken mit den himmlischen Gefilden und bat um Hilfe. Schon bald spürte sie, wie weiche Fingerspitzen über ihre Seele strichen.​
»Höchst barmherzige Erdmutter! Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht!«​
Ein Lichtblitz erhellte die Umgebung und vertrieb die dämonische Dunkelheit des Nebels.​
»W... Wow ...«​
Nachdem der Nebel wie von einem Besen fortgewischt war, musste die Elfe staunen. Sie rannte den leicht moosbedeckten Grabhügel hinauf und bewunderte die Umgebung. Der Himmel war blau, die Luft war klar und der Wind strich angenehm über ihre langen Ohren. Mit einem Schlag war der Grabhügel wieder von der Ruhe und dem Frieden umgeben, die man von einer letzten Ruhestätte erwartete. Die Waldläuferin stupste mit einem Fuß das Etwas an, das sie gerade noch hatte attackieren wollen, aber es zerfiel einfach zu Dreck. Obwohl sie bereits zwei Jahre mit der Priesterin unterwegs war, konnte die Elfe nicht fassen, was hier gerade passiert war.​
»Sie sind alle zu Dreck geworden ...«​
»»Asche zu Asche, Staub zu Staub heißt es doch«, erwiderte der Echsenmensch vergnügt und schüttelte schwerfällig seinen Körper. Er kaute gerade auf einem Stück Käse herum, um den Geschmack des Dämonenfleischs aus seinem Mund zu vertreiben. Die Elfe fragte sich, ob er sich den Mund nicht lieber mit Wasser ausspülen sollte, aber ließ ihren Kameraden einfach machen.​
»Ich weiß nicht, wie es mit Dämonen aus anderen Sphären aussieht, aber allein wegen der kleinen Teufel hat es sich gelohnt, herzukommen.«​
»Ach, die Verletzung!«​
Mit dieser Aussage meinte die Elfe natürlich nicht den Mönch, denn er war weitaus robuster als der Rest der Gruppe. Sie schaute zum Zwerg, der »Okay«sagte, und rannte den Hügel hinauf.​
»Wo ist das Mädchen?!«​
»Da oben«, sagte Goblin Slayer zu ihr, als sie an ihm vorbeilief.​
»Schau doch bitte nach ihr.«​
Der Krieger war gerade dabei, die Erdklumpen zu zerschlagen, um sicherzustellen, dass die untoten Goblins keine Gefahr mehr für sie darstellten.​
»Überlass das mir«, erwiderte die Elfe und rannte weiter.​
Wenig später hatte sie den Hügel erklommen.​
»Bist du in Ordnung?!«​
»Es tut mir leid ... dass es so lange gedauert hat.«​
Die Priesterin lächelte mit erschöpftem Gesicht. Ihre Kleidung war zerrissen, aber das Kettenhemd schien nicht durchgeschlagen zu sein. Das Bein hingegen sah schlecht aus. Die Wunde war zwar mit einem Verband umschlossen, aber dieser hatte sich schon mit Blut vollgesogen, weshalb die Waldläuferin das Gesicht verzog und die Arme verschränkte.​
»In solchen Fällen solltest du ruhig ein Wunder für dich wirken.«​
»Nein, es könnte doch noch etwas passieren ...«​
»Seine Lehren haben echt einen schlechten Einfluss auf dich.«​
Angewidert schnalzte die Elfe mit der Zunge, aber die junge Abenteurerin lächelte nur verlegen und versuchte mithilfe des Priesterstabs aufzustehen. Dabei wackelte sie allerdings sehr. Sie war wie ein Kleinkind, das gerade das Laufen lernte.​
»Meine Güte ...«​
Die Elfe seufzte, aber lächelte dann.​
»Komm. Halt dich an mir fest.«​
»T ... Tut mir leid ...«​
Die Elfe versicherte ihrer Kameradin, dass es okay war, und stützte sie. Die Waldläuferin wirkte zart, beinahe zerbrechlich. Doch war sie kein Mensch und man sollte sich von ihrem Körperbau nicht täuschen lassen.​
»Und dennoch«, meinte die Elfe, während sie ihren Griff um die Priesterin anpasste, »hast du mit einem Schlag die ganzen Zombies erledigt.«​
»Untote können nun mal nichts machen, wenn man den Fluch bricht ... Zum Glück hat es geklappt.«​
Die Priesterin atmete erleichtert auf. Sie war voller Dreck, aber weil sie über die Erde gerollt war, hatte sich das wohl kaum vermeiden lassen.​
»Meine Güte ...«​
Die Waldläuferin vergaß ihren Ärger, als sie ihre Freundin glücklich lächeln sah.​
Ich werde Orcbolg aber wohl noch die Leviten lesen müssen.
Sie schaute schnell zu dem Krieger, der zusammen mit dem Zwerg den Hügel hochkam. Wegen ihrer feinen Sinne konnte sie hören, worüber sie redeten.​
»Was denkst du?«​
»Mal abgesehen von der Frage, ob es einen Goblin Nekromanten gibt oder nicht, der Dämon wird sicherlich nicht hinter allem stecken, oder?«​
»Ist das so?«, fragte Goblin Slayer verdutzt.​
»Ich dachte, dass Dämonen so was machen würden.«​
»Ja, höhere Dämonen würden so etwas tun. Wie der aus dem Labyrinth letztens.«​
Der Zwerg gönnte sich einen kräftigen Schluck Alkohol. Dann strich er sich nachdenklich durch den Bart und schaute in den Himmel.​
»Diesmal war es aber nur ein niederer Dämon. Ein stärkerer niederer Dämon.«​
»Bei den Goblins wäre das ein Hob.«​
»Vergleich Dämonen nicht mit Goblins.«​
Der Schamane verzog das Gesicht.​
»Aber hier ist der Vergleich vielleicht nicht falsch.«​
»Also wird jemand ihm Befehle erteilt haben?«​
»Zumindest war es bei den Kämpfen vor zehn Jahren so.«​
Vor zehn Jahren war das Labyrinth des Todes, der tiefste Dungeon der Welt, erkundet worden. Der herausströmende Tod hatte ein Heer aus Toten erschaffen, das die Welt verwüstete. Sechs Abenteurer hatten es jedoch geschafft, die tiefste Ebene des Labyrinths zu erreichen und dem Chaos das Handwerk zu legen.​
»Aber ich hab keine Ahnung, warum man so etwas macht. Wenn man Zombies erschafft, wird man wahrscheinlich Dörfer angreifen wollen, oder?«​
»So gehen Goblins vor.«​
»Nein, vielleicht ist unter dem Grabhügel eine Quelle der Unreinheit vergraben oder es sind Mitglieder einer finsteren Sekte ...«​
Es gab zahllose Möglichkeiten, aber der Schamane hatte keine Mittel, um festzustellen, um was es sich tatsächlich handelte.​
»Wir sollten erst mal der Gilde Bericht erstatten. Sicher werden andere Abenteurer dann Nachforschungen anstellen.«​
»Ja«, erwiderte Goblin Slayer.​
»Wenn es keine Goblins sind, kann ich nichts machen.«​
Weil er immer nur Goblins dies, Goblins das sagte, stellte die Elfe wütend ihre Ohren auf.​
»Moment mal, Orcbolg! Du solltest mehr auf sie aufpassen!«​
»Es tut mir leid«, antwortete er.​
Die Waldläuferin schnaufte durch die Nase und wollte Goblin Slayer angehen, doch die Priesterin stellte sich zwischen die beiden.​
»Nein, nicht doch. Ich bin in Ordnung.«​
»Wie oft soll ich es dir noch sagen? Du kannst ruhig auch mal etwas wütender werden.«​
Doch anstatt ihr zuzustimmen, machte das Mädchen sich noch kleiner und sagte:​
»Tut mir leid.«​
Die Waldläuferin seufzte und der Zwerg nutzte die Chance, um sich in die Unterhaltung einzumischen:​
»Jetzt reg dich nicht so auf, Amboss. Du weißt doch genau, dass Bartschneider sich sehr wohl Gedanken macht.«​
»Nun ja ... Das stimmt schon ...«​
»Sag mir lieber, ob sich hier sonst noch etwas bewegt.«​
»Nein, nichts. Ich höre nichts außer uns«, sagte die Elfe stolz und wackelte mit ihren Ohren.​
»Na gut«, erwiderte der Zwerg und musste sich in dem Moment wohl eingestehen, dass die Ohren der Waldbewohner auch ihre Vorzüge hatten.​
Damit war der Kampf vorüber. Die Priesterin konnte sich endlich entspannen. Sie verneigte sich vor Goblin Slayer, als er zu ihr kam.​
»Es tut mir leid. Hätte ich es besser gemacht ...«​
Der Krieger schaute kurz zur Elfe, die nur unzufrieden brummte. Goblin Slayer tat es ihr nach und blickte dann zu seiner jungen Kameradin.​
»Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen musst.«​
Anstatt sich aufzuregen, wartete die Priesterin noch einige Sekunden. Sie wusste genau, dass ihr Kamerad noch nach den passenden Worten suchte.​
»Du hast das gut gemacht ... Du hast uns gerettet.«​
»Ja!«​
Diese zwei Sätze waren mehr als genug für die junge Abenteurerin. Sie nickte mehrfach und wäre sie eine Padfoot gewesen, hätte sie jetzt sicherlich fröhlich mit dem Schwanz gewedelt.​
»Was denkst du, Orcbolg? Es war anders als erwartet und es gab keinen Schatz, aber ...«​
Die Elfe breitete die Arme aus.​
»Ein unbekanntes Monster und eine Horde Gegner! Wir sind dem Tod von der Schippe gesprungen und am Ende waren wir siegreich! Das war ein richtiges Abenteuer!«​
»Ja ... Es war kein Goblin Auftrag.«​
»Nicht wahr? Nicht wahr?!«, wiederholte die Waldläuferin aufgeregt und überhörte deshalb das unzufriedene Brummen, das von Goblin Slayer kam. Außerdem hörte sie - im Gegensatz zur Priesterin - nicht den Satz, der als Nächstes aus seinem Mund kam.​
»Aber ... wo sind die Goblins dann?«​
***
Schneller als die Verbreitung von Gerüchten waren nur der Wind, das Licht und Blitze.​
»Sag mal, hast du es schon gehört? Bei der Erdmutter ...«​
»Ja, ich weiß. Wegen der Goblins ...«​
In der Welt der Vier Himmelsrichtungen gab es viele Dinge, die selbst nach einer Überprüfung unbegreiflich blieben. Illusionen und Trugbilder konnten einen verwirren und so konnte es sein, dass man einen Tiger nicht als solchen erkennen konnte und dass man hinter allem eine Verschwörung vermutete. Deshalb sagte man in der Unterwelt, dass man selbst vor einem Abendessen mit der Großmutter zuerst dafür sorgen sollte, dass diese beschattet wurde.​
Abenteurer-Anfänger wussten aber noch nicht allzu viel über die Welt und deshalb schenkten sie wilden Geschichten, Märchen und Gerüchten mehr Glauben, als sie eigentlich sollten. Es wäre ein Leichtes, dieses Verhalten als töricht oder tollkühn zu bezeichnen, doch das würde nichts an den Umständen ändern.​
»Hrmmmmpf...«​
Der Priesterin gefiel das Gerücht, das derzeit die Runde machte, ganz und gar nicht. Grummelnd lag sie ausgestreckt auf einem Tisch und hielt einen leeren Becher in der Hand. Ihr Gesicht war hochrot, denn sie hatte mit so einem Eifer getrunken, dass sie sogar dem Zwerg Konkurrenz gemacht hatte. So konnte man sie nur selten sehen ... Nein, es war wahrscheinlich das erste Mal, dass man sie so sehen konnte.​
»D... Du solltest nicht zu viel darüber nachdenken, ja?«​
Die Elfe strich ihr tröstend über den Rücken.​
»Gerüchte verfliegen auch schnell wieder. Schon bald werden es alle wieder vergessen haben.«​
»Für euch Langohren ist doch selbst eine Legende, die über Jahrhunderte erzählt wird, ein schnell verfliegendes Gerücht«, warf der Zwerg der Elfe an den Kopf.​
»Aber was soll ich ihr denn sonst sagen?«​
Die Ohren der Waldläuferin stellten sich auf und sie blickte ihn bösartig an. »Spare dir die unnötigen Kommentare.«​
Der Schamane antwortete erst einmal nichts, füllte seinen Becher und trank ihn genüsslich aus. Die Elfe wurde währenddessen immer saurer.​
»Meine Güte«, sagte der Zwerg schließlich.​
»Manchmal muss man sich halt gehen lassen. Lass sie trinken. Lass sie einfach machen.«​
»Nein, selbst in solchen Momenten sollte man es nicht übertreiben ·.«​
»Sie wird sich schon nicht zu Tode saufen. Sie soll es rauslassen. Sie frisst sowieso schon immer viel zu viel in sich hinein.«​
Die Mitglieder der Gruppe wussten relativ wenig über die Vergangenheit der anderen, aber wer musste schon den Stammbaum von jemanden kennen, um sich mit ihm anzufreunden? Diese Gruppe bestand jetzt schon seit über zwei Jahren und er wusste von dem Mädchen eigentlich nur, dass es als Waise im Tempel der Erdmutter aufgewachsen war. Außerdem stellte sie das Wohl anderer eigentlich immer über ihr eigenes.

»Du könntest ruhig verlangen, dass Bartschneider ein wenig freundlicher mit dir umgeht.«​
Die Priesterin gab ein paar unverständliche Geräusche von sich, weshalb der Zwerg ihr leicht mit seiner groben Hand mehrmals auf die Schulter klopfte. Weil die junge Abenteurerin daraufhin still wurde, verdrehte der Echsenmensch ein wenig amüsiert die Augen.​
»Du möchtest vor dem werten Goblintöter ein wenig angeben, oder?«​
Anstatt eines Stuhls hatte der schuppige Mönch es sich auf einem großen Fass gemütlich gemacht.​
»Aber solange du noch unerfahren bist, darfst du dich ruhig etwas verwöhnen lassen. Du willst beweisen, dass du längst aus deinem wohlbehüteten Ei geschlüpft bist, oder? Jetzt aber ist es dir peinlich, dass du nichts dagegen unternehmen kannst, und es ist dir auch peinlich, dass du so jammerst.«​
Der Mönch lachte glucksend. In gleichen Teilen war es das Lachen eines wilden Fleischfressers und das Lachen eines liebenswerten Geistlichen. Die Elfe legte sich schnaufend neben ihre junge Kameradin und richtete ihren Blick auf den Echsenmenschen.​
»Du solltest dich mehr wie ein Mönch verhalten und tiefsinnigere Dinge erzählen.«​
»Wohl an ...«​
Der Mönch leckte sich über die Nasenspitze, während er die Hochelfe mit ihrem vom Alkohol geröteten Gesicht anschaute. Jeder andere Mann wäre davon wohl in Versuchung geführt worden, doch der Echsenmensch schien unbeeindruckt.​
»Ich bin der Meinung, dass man solche Beleidigungen einfach ignorieren sollte.«​
»Sie haben ja noch nicht einmal eine Ahnung, ob es wahr ist oder nicht.«​
Die Elfe malte mit einem Zeigefinger Kreise in die Luft.​
»Außerdem muss es jemanden geben, von dem dieses Gerücht ursprünglich ausging.«​
Weil die Freundin einer Freundin beleidigt wurde, war die Situation für die Elfe auch alles andere als angenehm. Ihr Dorf war bereits einmal von Goblins angegriffen worden und seit sie damals selbst von den Biestern zu Boden gedrückt worden war, wusste sie, wie es war, ein Opfer von ihnen zu sein.​
»Was mag sich diese Person dabei nur denken? Interessiert euch das nicht?«​
»Fiese Gerüchte sind auch eine Art des Kampfes. Auch wenn sie nicht so schlimm wie Flüche sind.«​
Der Echsenmensch schüttelte den Kopf, aber sagte dann mit kräftiger Stimme:​
»Dem Feind fehlt es an Mut, sich direkt zu stellen. Von daher wird man ihn mit Muskelkraftruhigstellen können.«​
»Würdest du es nicht hassen, wenn man schlechte Dinge über dich erzählen würde?«​
»Wenn man an so etwas zugrunde geht, dann war man einfach nur zu schwach. Es gibt also nichts zu fürchten«, erklärte der Mönch auf seine eigene Art.​
Die Elfe murmelte kichernd:​
»Du Barbar.«​
»Du bist auch ganz schön betrunken.«​
»Sie hat der werten Priesterin ja auch beim Trinken Gesellschaft geleistet.«​
Der Zwerg und der Echsenmensch schauten sich mit einem leicht verzweifelten Lächeln an und zuckten mit den Schultern. Später würden sie andere Abenteurerinnen zu Hilfe holen, damit die beiden auf ihre Zimmer gebracht wurden, und dann weiter zechen.​
»Hier. Ich hab etwas für euch!«, rief die Padfoot Kellnerin und näherte sich dem Tisch der Gruppe. Sie hatte ein Tablett mit Brot und einem Topf dabei.​
»Essen?«​
»Oh, es gibt Futter. Rutscht mal zur Seite, damit ihr euch nicht verbrennt.«​
»Juhu!«, rief die Elfe und hob ihr Gesicht.​
Währenddessen streckte der Echsenmensch seinen Arm aus und schob den Körper der Priesterin, die immer noch auf dem Tisch lag, sanft zur Seite.​
»Mhm?«​
»Trink nicht nur Alkohol, sondern iss auch ein wenig, damit dir das Ganze nicht so auf den Magen schlägt.«​
Wie ein verschlafenes Kind murmelte die Priesterin ein​
»Ja«und erhob ihren Körper, nur um dann wieder müde den Kopf hängen zu lassen.​
»Bitte sehr. Gletscherfische al ajillo.«​
Mit Schwung stellte die Padfoot einen kleinen, aber sehr heißen Eisentopf in die Mitte des Tisches. Darin blubberte Olivenöl, in dem geschmorte Zwiebeln und kleine Fische schwammen. Das Gericht war mit Pfeffer und Knoblauch gewürzt worden, weswegen von ihm ein besonderer Duft ausging. Die Nasenlöcher des Echsenmenschen weiteten sich bei dem Anblick des Essens, aber wahrscheinlich war er am meisten begeistert von dem Brot und dem Käse, die dem Gericht beilagen.​
»Ich dachte eigentlich, dass der Moment im Winter, bevor sie ihre Eier legen, die Jahreszeit für Gletscherfische wäre«, sagte der Zwerg und bekam beim Anblick der Mahlzeit große Augen.​
»Hi hi.«​
Die Kellnerin streckte stolz ihren wohlgeformten Busen heraus.​
»Dieser Frühling war außerordentlich kalt, daher konnte man noch einige trächtige Gletscherfische fangen!«​
Der Zwerg füllte seine Schüssel mit Essen und schaute zufrieden. Der leicht scharfe Geschmack und das weiche Fischfleisch passten perfekt zur Bissigkeit der Zwiebeln. Die Elfe war zuerst etwas zurückhaltend, aber als sie auf eine Zwiebel biss, bemerkte sie, wie gut es schmeckte. Der Echsenmensch legte etwas Käse auf eine Scheibe Brot, dann dippte er es in den Topf und steckte es in den Mund.​
»Welch Nektar!«​
»Und was ist mit ihr? Hat sie einen Korb kassiert?«​
Die Priesterin ignorierte den Seitenhieb der Kellnerin und führte mit gesenktem Haupt den Löffel zum Mund.​
»Ich hab euch das gebracht, weil sie so niedergeschlagen aussieht.«​
»Es geht um dieses Gerücht. Du weißt schon ...«​
Die Elfe schaute mit halb geschlossenen Augen zur Padfoot und schnaufte: »Was ist denn bitte so interessant daran?«​
»Ach«, antwortete die Kellnerin, »nun ja, ich finde so etwas auch nicht schön, aber ein paar hellhörige Leute sind anscheinend schon aktiv geworden.«​
»Was meinst du damit?«, hakte der Echsenmensch nach. »Hm?«Anscheinend hatte die Padfoot nicht mit so einer spitzen Reaktion gerechnet.​
»Nun ja. Ein Weinhändler aus der Stadt des Wassers war hier und hat gefragt, ob wir nicht lieber seinen Wein anstatt den vom Tempel anbieten wollen.«​
»Ein Händler ...«, murmelte der Zwerg.​
»Der hat ja schnell zugeschlagen«, meinte der Mönch.​
»Mein Chef hat aber abgelehnt.«​
Zum Glück war das zu erwarten gewesen. Der Küchenchef der Schenke war eine gutherzige und fähige Person. Er traute eher seiner eigenen Zunge als einem dahergelaufenen Händler. Natürlich gab es immer wieder Gestalten, die in solchen Momenten versuchten, Profit zu machen, aber deshalb musste man klar Stellung beziehen. Leben und Tod waren jeweils nur die andere Seite eines Blattes und das galt sowohl für Abenteurer als auch für Händler.​
»Was denkst du, werter Magiewirker?«​
»Ich weiß es nicht, Schuppiger.«​
Der Schamane hatte Probleme, sich so schnell eine Meinung zu bilden, doch wenn Händler involviert waren, lag die Vermutung nahe, dass mehr dahintersteckte. Wenn es um viel Geld ging, dann war es auch sehr wahrscheinlich, dass in den Schatten Läufer aktiv waren. Der Zwerg kannte sich eigentlich gut mit Geldangelegenheiten aus, aber derzeit fehlte es ihm noch an Alkohol im Blut. Er füllte seinen Becher mit Wein und kippte sich das Getränk in den Hals.​
»Wo ist denn eigentlich euer komischer Freund?«, fragte die Padfoot plötzlich.​
»Sollte er sich nicht in so einem Moment um das Mädchen kümmern?«​
»Goblin Slayer ...«, murmelte die Priesterin leise.​
Dann entgegnete sie:​
»Er hat wie immer Bericht erstattet und ist dann heimgegangen.«​
Die Kellnerin schlug sich mit der Hand an die Stirn und schaute hoch zur Decke.​
Was denkt sich der Typ nur dabei?​
***
»Es waren keine Goblins.«​
»Ach, wirklich?«​
»Es waren Leichen«, sagte er, bevor er hinzufügte:​
»Sie haben sich bewegt.«​
»Ich verstehe. Also Goblin Zombies ... Und sonst?«​
Goblin Slayer dachte kurz nach und fügte dann hinzu: »Dort war ein Dämon.«​
»Ein Dämon?«​
»Er war rot ... Und er ist durch die Luft geflogen.«​
»Ich verstehe.«​
Die Gildenangestellte nickte und ließ fleißig den Stift über ein Blatt Papier flitzen. Es gehörte zu den Pflichten der Gilde, nach Abschluss eines Abenteuers einen Bericht zu erstellen, der später für Rangaufstiegsgespräche genutzt werden konnte. Weil es aber einige Abenteurer gab, die ihre Berichte gerne etwas zu sehr ausschmückten, mussten die Angestellten der Gilde immer achtsam bleiben.​
Aber er ... Die Gildenangestellte seufzte. Er hat kein Interesse daran, zum nächsten Rang aufzusteigen, oder? Deswegen konnte sich die Beamtin so locker mit ihm unterhalten und war froh darüber. Eigentlich gehörte es sich nicht, Geschäftliches mit Privatem zu vermischen, und sie hatte auch nicht vor, ihre Pflichten zu vernachlässigen, aber ...​
»Was ist?«​
»Ah, nein. Gar nichts.«​
Als der Krieger sie aus ihren Gedanken riss, schüttelte die Beamtin ihren Kopf. Hatte sie zu lange beim Schreiben innegehalten oder hatte er bemerkt, dass sie ihn angestarrt hatte? Die Frau räusperte sich kurz, um ihre Scham zu verstecken, und wechselte das Thema.​
»Und was hat es mit der anderen Angelegenheit auf sich?«​
»Welche?«​
»Die mit der Dienerin der Erdmutter. Es sind doch einige schlimme Gerüchte im Umlauf.«​
Die Priesterin war jetzt schon seit zwei Jahren Abenteurerin und machte als solche große Fortschritte. Ein baldiger Rangaufstieg war da gut möglich, doch das umher gehende Gerüchte über eine ihrer Schwestern konnte da hinderlich werden. Weil die Priesterin für die Gildenangestellte gleichzeitig auch eine Freundin war, fragte sie sowohl aus privatem als auch aus beruflichem Interesse.​
»Das stimmt ...«, brummte Goblin Slayer.​
»Sie schien etwas niedergeschlagen zu sein.«​
»Passen Sie bitte gut auf sie auf.«​
»Aber es wird nicht wirklich etwas bringen, wenn ich sie darauf anspreche.«​
Der Krieger schüttelte den Kopf.​
»Ich könnte ihr sagen, dass sie sich nicht sorgen soll, aber was für einen Sinn soll das haben?«​
»Das mag sein, aber ...«​
Die Gildenangestellte musste an das erste Abenteuer der Priesterin denken. Sie hatte hier in der Gilde andere Anfänger kennengelernt und obwohl sie nichts voneinander gewusst hatten, hatten sie alle Träume gehabt und waren voller Hoffnung gewesen. Sie hatten sich allerdings gedankenlos und töricht verhalten und am Ende war nur die Priesterin übrig geblieben. Sie war quasi erneut zur Waise geworden und hatte es nur geschafft, wieder auf die Beine zu kommen, weil Goblin Slayer und die anderen drei ihr zur Seite gestanden hatten. Trotzdem würde es dem Mädchen jetzt sicherlich nicht helfen, wenn der Krieger ihm sagte, dass es sich keine Sorgen machen solle, weil die Gerüchte sich nicht um es drehten. Solange man nicht selbst etwas tat, um seine Lage zu ändern, würde sich nichts ändern. Der Krieger glaubte fest daran.​
»In schweren Momenten freut man sich sehr darüber, wenn jemand etwas für einen tut.«​
Ein Beispiel für sie war, wenn sich eine gewisse Art von Aufträgen häufte und jemand kam und sie annahm. Oder aber wenn ein Halunke einen überfiel und jemand auftauchte und einen rettete.​
»Ist das so?«​
Der Krieger stieß einen langen Seufzer aus und murmelte:​
»Anscheinend verstehe ich solche Dinge noch nicht.«​
Die Beamtin hörte sich danach noch eine Weile seinen Bericht an und fasste ihn schriftlich zusammen. Nachdem dies erledigt war, stand er auf, sagte: »Nun gut«, und ging mit stapfenden Schritten los. Dann blieb er kurz stehen und warf einen Blick in Richtung Schenke. Er sah die betrunkene Priesterin und wie sich seine Kameraden um sie kümmerten. Darauf ging er weiter und verließ die Gilde. Die Beamtin beobachtete, wie die Schwingtür hinter ihm noch einige Male hin und her schwang. Sie seufzte.​
»Hey, du ... Komm mal her!«​
Direkt nachdem er die Gilde verlassen hatte, wurde Goblin Slayer plötzlich am Arm gepackt. Er wurde in den Schatten gezogen, aber befreite sich direkt wieder aus dem Griff des Wesens. Er erkannte, dass es sich um eine humanoide Gestalt in einem Mantel handelte.​
Ein Goblin?
Nein, sicher nicht. Dafür war sie zu groß und ihre Stimme zu hoch. Nichtsdestotrotz hatte der Krieger seine Hand an eine Waffe gelegt und seine Hüfte gesenkt. Hastig überprüfte er die Umgebung. Er befand sich auf der Rückseite der Gilde, wo Material für die Schmiede und die Küche gelagert wurde. Er war häufiger hier, wenn er dem Mädchen vom Hof half. Er kannte das Terrain und hatte genügend Platz, um sich zu bewegen.​
»Was?«​
»Jetzt sei doch nicht so abweisend«, erwiderte die Gestalt mit einem verlegenen Lachen.​
»Wir kennen uns.«​
»Dann zeig dein Gesicht.«​
Die Gestalt warf resigniert die Kapuze zurück und schwarzes welliges Haar und dunkelbraune Haut kamen zum Vorschein.​
»Eigentlich wollte ich damit Rücksicht nehmen«, sagte die Schwester und kratzte sich mit einem Finger über die Wange.​
Ihr Gesicht wirkte angespannt. Als Goblin Slayer erkannte, mit wem er es zu tun hatte, nahm er eine lockere Haltung ein und ließ vom Schwert ab.​
»Ich dachte schon, du wärst ein Goblin.«​
»Soll das ein Witz sein?«​
»Nein.«Goblin Slayer schüttelte den Kopf. »Das war nicht meine Absicht.«​
»Ach so«, erwiderte die Schwester und lachte.​
»Irgendwie erfrischend, dass du so ehrlich bist.«​
»Ist das so?«​
»Ja.«​
Die Unterhaltung geriet kurz ins Stocken. Während die Geistliche mit ihren Haaren spielte, wartete Goblin Slayer, dass sie etwas sagte.​
»Ahm ...«​
»Was denn?«​
Dass der Krieger sofort etwas zurückgab, brachte die Schwester erneut ins Stocken. Sie räusperte sich kurz und fasste sich ein Herz.​
»Das Mädchen ... Ich hab mich gefragt, wie es ihm geht.«​
»Wie es ihm geht?«, erwiderte Goblin Slayer.​
»Was meinst du damit?«​
»Nun ja, übertreibt sie es nicht etwas mit den Abenteuern und so?«, murmelte sie in fast entschuldigendem Ton und fügte hinzu:​
»Außerdem frage ich mich, ob die Gerüchte über mich vielleicht ein Ärgernis für sie sind ·.«​
Der Abenteurer brummte. Er wusste nicht so richtig, was er sagen sollte. Schließlich ergriff er doch das Wort.​
»Ich glaube, gut. Ihr geht es gut.«​
»Meinst du?«​
Die Schwester lehnte sich an eine Holzkiste hinter ihr. Sie schien sich ein wenig entspannt zu haben.​
»Dann ist ja gut ... Sie scheint große Fortschritte zu machen und es würde mir leidtun, wenn ich ihr dabei irgendwie im Weg stehen würde.«​
Auf Goblin Slayer wirkte die Schwester gerade wie jemand, dem es eigentlich nicht gut ging, der aber behauptete, dass alles in Ordnung sei.​
»Wie denn?«, fragte Goblin Slayer direkt.​
»Du kannst ihr nicht im Weg stehen.«​
»Dann ist ja gut ...«, erwiderte die Schwester, zog sich die Kapuze wieder über und ließ ihr Lächeln im Schatten verschwinden.​
»Dann gehe ich jetzt.«​
Goblin Slayer blickte zu einem Fenster der Schenke.​
»Bist du sicher?«​
»Ja.«​
Die Schwester schüttelte den Kopf.​
»Ich will ihr keine Probleme machen.«​
»Ist das so?«​
»Ja, bis dann.«​
Sie winkte mit der Hand und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Als sie an einigen Abenteurern vorbeilief, schauten diese ihr hinterher. Sie mussten erkannt haben, dass sie die Kleidung einer Dienerin der Erdmutter trug. Mit den Stimmen aus der Schenke im Ohr stieß Goblin Slayer ein Brummen aus und schaute zu den Zwillingsmonden am Himmel. Dann lief er los.​
***
Es war eine seltsame Nacht, die nicht eindeutig einer Jahreszeit zuzuordnen war. Es wehte kaum ein Wind, die Luft fühlte sich schwer an und weder das Licht der Sterne noch das des roten Mondes konnte einem dem Weg weisen. Einzig der grüne Mond schien die Felder anzustrahlen. Goblin Slayer war kein Sternenleser und er konnte anhand des Laufs der Himmelskörper nichts vorhersagen. Deswegen beschäftigte er sich nicht lange mit ihnen, sondern ging einfach weiter. Er war mit der derzeitigen Lage äußerst unzufrieden und obwohl er eigentlich gerade über einen trockenen Weg ging, fühlten seine Beine sich an, als würde er durch Schlamm waten. Schritt für Schritt kämpfte er sich voran. In der Ferne sollte bereits das Licht des Bauernhofs zu sehen sein, jedoch fehlte ihm die Kraft, in die Richtung zu blicken. Er schaute einfach weiter auf seine Füße.​
»Der Weg ist noch lang«- sein Meister hatte einst ein Lied mit dem Titel gesungen.​
Er wusste natürlich, dass der Weg nicht unendlich weitergehen würde, aber trotzdem erschien ihm eine Heimkehr gerade nicht richtig. Er fühlte sich gefangen zwischen dem Lärm der Stadt und den Lichtern seines Zuhauses. Wortlos biss er die Zähne zusammen und sagte sich, dass alles nur Einbildung war. Er musste nur auf das achten, was direkt vor seinen Augen lag.​
»...«​
Als er plötzlich ein Geräusch vernahm, hob er seinen Kopf. Er war diesen Weg schon etliche Male gegangen und wusste, dass man das zu dieser Uhrzeit eigentlich nicht hören sollte - das Geräusch von Rädern und Hufen.​
Ein Pferdekarren? Aus Richtung des Bauernhofs?
Goblin Slayer legte eine Hand an seine Waffe und machte den Weg frei. Der Wagen zog, ohne langsamer zu werden, an ihm vorbei. Auch im Dunkeln war zu erkennen, dass es sich um einen prächtigen Wagen handelte und dass der Wagenführer gut gekleidet war. Während er dem Wagen hinterherschaute, schüttelte der Krieger den Kopf. Das alles gefiel ihm überhaupt nicht.​
»Oh, bist du zurück?«, rief ihm eine tiefe, ruhige Stimme entgegen, als er den Eingang zum Hof erreicht hatte.​
Der Krieger schaute, wer es war, und erkannte, dass der Hofbesitzer neben dem Tor stand.​
»Was ist los?«​
»Ich habe nur nach den Kühen geschaut«, erklärte dieser. Er starrte den Abenteurer an und machte mehrmals den Mund auf und zu, bis er schließlich fragte:​
»Bist du nicht etwas spät dran?«​
»Nein.«​
Er dachte einen Moment nach und wählte langsam seine Worte.​
»Ein Pferdewagen war hier?«​
»Ach«, erwiderte der Besitzer und schüttelte amüsiert den Kopf.​
»Ein Alkoholhändler aus der Stadt des Wassers. Ein großer Geschäftsmann.«​
»Ein Händler?«​
»Er hat meine Feldarbeit bewundert und mich gefragt, ob ich nicht Getreide für ihn anbauen möchte. Er will anscheinend Bier brauen.«​
»...«​
Der Krieger brummte als Antwort. Er wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Geschäft sein konnte, und als jemand, der sich mit so etwas nicht auskannte, sagte er lieber nichts. Diese Angelegenheit ging nur den Hofbesitzer und seine Nichte etwas an.​
»Ich hab aber abgelehnt.«​
Der Krieger atmete erleichtert aus. Er wusste nicht warum, aber irgendwie fühlte er sich, als hätte der Mann das Richtige getan.​
»Vielleicht wäre es schlau, auch mal etwas anderes zu versuchen, aber ...«​
Der Onkel verschränkte die Arme und schaute in den Himmel. Er schien nach den passenden Worten zu suchen. Der Abenteurer folgte seinem Blick. Die Sterne und Zwillingsmonde glitzerten so sehr, dass es fast in den Augen schmerzte. Es dauerte noch einige Momente, bis der Hofbesitzer wieder das Wort ergriff und seinen Satz zu Ende führte.​
»Aber dieser Lebensstil gefällt uns.«​
»Ja«, erwiderte der Abenteurer. Dies war die eine Sache, die er mit absoluter Sicherheit sagen konnte.​
»Ich finde, dass das hier ein guter Hof ist.«​
»Meinst du?«, murmelte der ältere Mann.​
»Sie hat das Abendessen vorbereitet und wartet auf dich.«​
»Ja ...«​
»Iss etwas und geh schlafen.«​
Mit diesen Worten wandte sich der Onkel ab und ging in Richtung Kuhstall.​
»Du kommst doch von der Arbeit. Dein Körper ist schließlich dein Kapital, nicht wahr?«​
»Ja ...«​
»Ruh dich ordentlich aus.«​
»Ja ...«​
Der Krieger schaute dem Bauern hinterher. Dann atmete er tief ein und konnte den süßlichen Geruch von Milcheintopf wahrnehmen. Langsam ging er in Richtung des Hauses. Seine Schritte fühlten sich weiterhin schwer an.​
***
Die Kuhhirtin schwieg und sah zu, wie der Krieger den Eintopf aß. Dabei stützte sie den Kopf auf dem Arm ab, doch irgendwie war ihr Gesichtsausdruck anders als sonst. Normalerweise lächelte sie viel, aber heute war es seltsamerweise nicht so. Nachdem der Krieger ein wenig von dem Eintopf gegessen hatte, stieß er ein tiefes Brummen aus. Leise konnte man das Knistern des Dochts in der Lampe, das verschlafene Zwitschern des Kanarienvogels und das Muhen der Rinder hören. Der Wind wehte und es war nächtlich frisch. Der Krieger schaute nach draußen und erkannte, dass die Sterne und Monde von Wolken verdeckt wurden. Er legte den Löffel mit einem Klacken auf den Tisch und entschied sich zu fragen.​
»Ist irgendwas?«​
»Das sollte ich eher dich fragen, oder?«​
»Hrmpf ...«​
Auf das Brummen des Abenteurers folgte ein besorgtes Seufzen der Kuhhirtin. Der Krieger schloss seine Augen, doch natürlich konnte seine Kindheitsfreundin wegen des Helms nicht sehen, was mit seiner Mimik passierte. Es störte ihn, dass der Helm ihm auf diese Weise manchmal Probleme machte, aber ...​
So ist es nun mal ...
Die Kuhhirtin hatte ihn durchschaut und er entschied, ihr nichts mehr vorzumachen.​
»Es ist nicht die Arbeit, oder? Ist irgendwas passiert? Geht es um jemand anderen?«​
Der Krieger öffnete den Mund, nur um ihn dann wieder zu schließen. Er sah genau, wie ihre Augen ihn durchbohrten und dass sie darauf wartete, dass er etwas sagte.​
»Ich weiß nicht weiter.«​
»Das ist selten.«​
»Ja.«​
Was hätte der Meister des Kriegers gesagt, wenn er das hätte hören können? Nein, er hätte sicherlich nichts gesagt, sondern ihm einen Schlag versetzt und hämisch gelacht. Mach etwas! Das war die Lehre seines Meisters. Wenn man sich entschied, etwas zu unternehmen, dann konnte man siegen. Wenn man nichts unternahm, verlor man. Es ging nicht darum, ob man etwas konnte oder nicht. Es lag einzig und allein daran, ob man etwas unternahm. Natürlich wurde man ausgelacht, wenn man versagte, aber ...​
Er hat es mir so häufig gesagt. Wieso zögere ich dann?
Als würde er dem Blick der Kuhhirtin ausweichen wollen, schaute er zur halb gegessenen Suppe herunter.​
»Ich möchte jemandem helfen.«​
»Ja ...«​
»Jedoch weiß ich nicht wie.«​
Jetzt, wo er es aussprach, fühlte es sich plötzlich real an. Er musste etwas unternehmen, aber er wusste nicht was. Das Bekämpfen von Goblins war einfach: Eindringen und Abschlachten. Er wusste genau, was zu tun war. In dem jetzigen Fall aber ...​
Goblins stahlen die meisten Dinge, die sie brauchten, weil sie keine Ahnung hatten, wie sie sie selbst herstellen konnten, und um die Biester loszuwerden, musste man sie einfach abschlachten. Im schlimmsten Fall schlug das fehl und man verlor sein Leben - zumindest bei Soloaufträgen -, doch diesmal war es anders. Es ging nicht nur um ihn und es ging auch nicht um Goblins. Wenn er versagte, würde er auch nicht dafür büßen müssen. Die ganze Situation führte dem Krieger vor Augen, dass er nichts Besonderes war, sondern nur ein normaler Mann. Es gab viele Dinge, die er nicht konnte, und eigentlich war er noch derselbe Junge, der sich damals vor den Goblins versteckt hatte.​
»Hm ... Ist das so?«​
Eine Frage riss den Krieger aus seinen Gedanken.​
»...«​
Er hob verträumt seinen Blick und schaute sie an, als würde er etwas Unglaubliches sehen. Die Kuhhirtin lächelte ihn an.​
»Ich versteh es zwar nicht wirklich, aber es handelt sich um ein schwieriges Problem, oder?«​
»Ich denke schon ...«​
»Dann sei doch fürs Erste einfach so, wie du bist.«​
»Wie ich bin?«​
»Geh es an, so gut du kannst.«​
Sprachlos schaute er sie an. Sie redete über das Ganze, als sei es keine große Sache. Als sei es selbstverständlich. Handelte er in ihren Augen etwa immer so? Er dachte an den Jungen zurück, der sich vor über zehn Jahren vor den Goblins versteckt hatte, und nickte.​
»Ist das so?«​
»Ich glaube schon.«​
»Dann ist das wohl so.«​
Er nahm den Löffel wieder in die Hand. Was hätte der Meister des Kriegers gesagt, wenn er das hätte hören können? Nein, er hätte sicherlich nichts gesagt, sondern ihm einen Schlag versetzt und hämisch gelacht. Er war ein schlechter Schüler gewesen, der nur langsam dazugelernt hatte, aber jetzt lächelte er. Als hätte sie das bemerkt, grinste auch seine Kindheitsfreundin und stand von ihrem Platz auf.​
»Möchtest du noch Nachschlag?«​
»Ja, bitte.«

***
»Viel Erfolg und komm heil zurück!«​
»Ja«, erwiderte Goblin Slayer einsilbig und ließ den Hof hinter sich.​
Vielleicht hatte es nachts geregnet oder es war nur der Morgentau, aber die Gräser glitzerten feucht und der Himmel war fast unerträglich blau. Die Kuhhirtin hatte ihm gesagt, dass sie ihn diesmal nicht in die Stadt begleiten würde und es so besser sei, aber er hatte nicht wirklich verstanden, was sie ihm damit hatte sagen wollen. Weil er aber glaubte, dass sie ein besseres Verständnis von solchen Dingen hatte, hatte er sich ihrer Meinung einfach gebeugt. Als er die Straße betrat, sah er in der Ferne den Hofbesitzer und nickte ihm zu. Er wusste nicht, ob dieser zurück nickte, aber es interessierte ihn auch nicht wirklich und so machte er sich auf den Weg in Richtung Stadt. Als Kind hatte er immer davon geträumt, als Abenteurer auf dieser Straße zu reisen, doch jetzt war es schon ein fast alltägliches Ritual für ihn, weshalb er gar nicht darüber nachdachte und anderen Gedanken nachhing. Er schob sich gemeinsam mit anderen Wesen die Straße entlang und in der Stadt begab er sich dann direkt zur Gilde. Bevor er das Gebäude betrat, blieb er aber kurz stehen und schaute an der Einrichtung hoch. Er fragte sich, ob er das Gebäude jemals so angeschaut hatte, als ...​
»Gehen Sie nicht rein?«​
Der Krieger drehte sich um und sah, dass die Gildenangestellte ihn mit einem Lächeln angesprochen hatte. In ihren Armen trug sie Gegenstände wie Tintenfässer und Federn.​
»Und nicht, dass Sie denken, ich komme hier zu spät. Ich hatte eine Sonderaufgabe. Jemand hat ein paar Tintengläser nicht richtig verschlossen und deswegen musste ich neue besorgen.«​
Goblin Slayer suchte einen Moment lang nach den passenden Worten. »Nein«, widersprach er, wobei er nicht wirklich wusste wogegen.​
»Ich hatte nur geschaut.«​
»Ach, wirklich? Aber sehen Sie das Gebäude nicht täglich?«​
»Doch.«​
»Hm ...«​
Nachdenklich schaute die Beamtin zu ihm hoch und gab ihm dabei das Gefühl, sie könnte sehen, was hinter dem Visier passierte.​
»Aber selbst wenn man etwas täglich sieht, möchte man es bisweilen auch in Ruhe betrachten, nicht wahr?«​
»Ist das so?«​
»Ich denke schon.«​
Die Gildenangestellte nickte lächelnd.​
»So ist das also«, murmelte der Krieger und schaute erneut das Gebäude an. Er konnte nicht wirklich sagen, ob es sich in seiner

Zeit hier verändert hatte. Er schüttelte den Kopf und schaute wieder zu der Beamtin.​
»Ich ... Ich werde heute und morgen keine Goblins vertreiben können.«​
»Ojemine.«​
Die Beamtin riss überrascht die Augen auf.​
»Machen Sie etwa Urlaub?«​
»So ist es nicht ...«​
»Hi hi hi, ach so. Aber was soll ich nun tun?«​
Die Gildenangestellte spielte verlegen mit ihrem Zopf. Goblin Slayer war der Meinung, dass er etwas antworten sollte, aber am Ende kam nicht mehr als ein »Ach so«heraus. Die Gildenangestellte kicherte und sagte:​
»Ist schon gut. Ich kann Ihnen ja sowieso nicht alle Aufgaben überlassen, Goblin Slayer. Machen Sie sich mal keine Sorgen.«​
Während die Beamtin stolz ihre Brust herausstreckte, atmete der Abenteurer erleichtert auf.​
»Ist das so? Ich werde mich dennoch beeilen.«​
»Ja. Schließlich sind und bleiben Sie für mich eine große Hilfe«, erwiderte sie mit leicht geröteten Wangen, bevor sie emsig wie eine Biene los flitzte.​
Direkt vor der Tür drehte sie sich aber noch einmal um.​
»Egal, was Sie vorhaben, ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei!«​
»Ja«, gab Goblin Slayer emotionslos zurück und nickte.​
Die Beamtin verschwand darauf mit tänzelnden Schritten in der Gilde. Der Krieger folgte ihr mit groben, emotionslosen Schritten.​
»Es gehört zu einem Abenteuer, dass man auch mal selbst rein stürmt!«​
Nachdem er die Gilde betreten hatte, hörte Goblin Slayer die Stimme des Speerkämpfers. Er befand sich mit anderen Abenteurern in einer Ecke der Wartehalle. Dort waren auch der junge Späher, die junge Druidin, der Krieger-Anfänger, die Heilige in Ausbildung und die Hasenmensch-Jägerin. Wobei, sollte man sie überhaupt noch Anfänger nennen?​
»Wenn man einfach nur darauf wartet, dass ein Abenteuer zu einem kommt, dann kann man kein erstklassiger Abenteurer werden.«​
Neben dem Speerkämpfer war auch die Hexe anwesend.​
»Das ... stimmt«, säuselte sie, aber Goblin Slayer konnte ihre Worte genau hören.​
»Wie ... ein Abenteuer ... beginnt ... wissen ... nur ... die Götter. Okay?«​
»Hm...«​
Die jüngeren Abenteurer besaßen schon so einiges an Erfahrung, aber anscheinend verstanden sie nicht, was die Veteranen ihnen vermitteln wollten.​
»Und was soll das heißen?«, fragte die Rhea verwirrt.​
»Nun ja, es ist so ... Man weiß nicht, welches Abenteuer am Ende dazu führen kann, dass man die ganze Welt rettet.«​
Die Ritterin war auch Teil der Unterhaltung. »Das Erwachen einer finsteren Gottheit, ein Tor in eine andere Dimension oder gar ein Loch, das in die Hölle führt. Wenn man nicht für so etwas bereit ist, dann wird man nicht lange überleben.«​
»Du Angeberin«, kommentierte der Panzerkrieger resigniert die Aussage seiner Kameradin und verpasste ihr einen Stoß mit dem Ellenbogen.​
»Nun ja, wenn man in der Höhle eines Monsters eine Ruine findet, dann sollte man sie erforschen, oder?«​
»Oh, das versteh ich.«Die kleine Rhea-Druidin klatschte in die Hände.​
»Dort könnte dann der Grund für ein Problem stecken und außerdem gibt es dort viele teure Gegenstände.«​
»Aber man muss sich gut darauf vorbereiten, denn sonst läuft man in eine Falle und stirbt, oder nicht?«, fragte der Halbelfen-Schwertkämpfer.​
»Hrmpf ... Außerdem sollte man sich den Ort gut merken!«​
Die Ritterin blies beleidigt ihre Wangen auf, was den Panzerkrieger zum Lachen brachte und über ihren Kopf streicheln ließ.​
»Lange Rede, kurzer Sinn: Wir sollten zur Stadt des Wassers gehen. Dort gibt es Anhänger des Erhabenen Gottes und dort steht auch sein Tempel. Dort können wir den Gerüchten über die Dienerin der Erdmutter nachgehen.«​
»Und was soll ich machen?«​
Der Speerkämpfer verzog das Gesicht.​
»Abenteuer in der Stadt sind nicht so mein Ding.«​
Wenn er es recht bedachte, hätte er in seinem ersten Jahr mehr auf die erfahreneren Abenteurer hören sollen. Viele der Tricks hätten ihm sicherlich beim Bezwingen des Felsenfressers geholfen.​
»Aber eine Abenteurerin, die ich kenne, ist gerade in der Stadt des Wassers. Ich kann also zumindest mitkommen.«​
Die Hexe nickte ihrem Kameraden zu und antwortete nachdenklich:​
»Das ... wäre wohl besser ... Es könnte ... zu einer ... größeren ... Sache ... werden.«​
Sie holte eine Pfeife hervor, klopfte auf die Spitze und sprach ein Zauberwort. Ein Funke entzündete den Tabak und sie atmete genüsslich den süßlichen Rauch ein.​
»Es ... sollte also ... nicht schaden ... mehr Hilfe ... zu haben.«​
»Aber ...«​
»Sag mal.«​
Der Krieger-Anfänger und die Heilige in Ausbildung schauten sich an.​
»War das vor zwei Jahren? Aber als der Bauernhof angegriffen wurde, meintest du doch, dass du ohne einen Auftrag nicht helfen würdest, oder?«​
»Hmpf ... Ich kenne mich mit Gerüchten und solchen Dingen nicht so aus«, sagte die Jägerin und stopfte sich wild Getreidebrei in den Mund. Sie kaute mit vollen Backen und kniff amüsiert die Augen zusammen.​
»Aber ich versteh schon ... Du bist also einfach ein netter Kerl ...«​
»Ach ... Haltet die Klappe! Als Mann ist es meine Pflicht, hübschen Frauen in Not zu helfen!«​
Während der Speerkämpfer rau antwortete, kreischten die Jungen und Mädchen amüsiert. Der Panzerkrieger und die Ritterin beobachteten das Geschehen grinsend, bis der Halbelfen-Schwertkämpfer einschritt, was wiederum die Hexe kichern ließ.​
»...«​
Goblin Slayer hatte die ganze Zeit dagestanden und zugeschaut. Er hatte nicht gewusst, wie er sich an der Unterhaltung beteiligen sollte.​
»Ha ha ha!«​
Der Krieger vernahm ein Lachen hinter sich, das an den Singsang eines Vogels erinnerte. Er drehte sich der Quelle des Lachens zu.​
»So müssen Abenteurer sein.«​
Es war die Elfe, die stolz mit ihren Ohren wackelte. Sie saß auf einer Bank und neben ihr befand sich der Zwerg. An eine Wand gelehnt stand dort auch der Echsenmensch. Außerdem war dort auch die Priesterin, die von ihren Gefühlen überwältigt war. Sie schaute in Richtung des Kriegers und begann zu lächeln.​
»Goblin Slayer, ähm, ich ...«​
Er schüttelte den Kopf und lächelte hinter dem Visier. Sein Meister hatte recht gehabt. Er war schwer von Begriff und die anderen waren viel schneller zur Tat geschritten.​
»Ja«, sagte er.​
»Hier bin ich.«​
Er ging zu seinen Kameraden und seine Schritte fühlten sich plötzlich wieder viel leichter an.​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 84
Wie ein Schurke


Als er sie gefragt hatte, ob sie mitkommen wolle, hatte sie reflexartig zugesagt, doch als sie nun durch faulig riechende, dunkle Nebengassen gingen, bereute die Priesterin ihre Entscheidung ein wenig. Vor ihr stapfte schweigend der Abenteurer in seiner Lederrüstung und obwohl er seinen Schritt an ihren anzupassen schien, musste sie ihm immer noch hinterhereilen. Dabei hielt sie ihren Stab nahe an ihrem Körper. Ihr Herz pochte wild. Sie wohnte inzwischen seit mehreren Jahren in dieser Stadt, aber sie hätte nie gedacht, dass hier ein solcher Ort existierte. Es war ein Elendsviertel, anders konnte man es wohl kaum beschreiben. Obwohl sich die Stadt im Grenzland befand, war sie aus den Strukturen einer vorherigen Stadt entstanden und diese zeigten sich hier. Alte, einfache Gebäude, denen die Spuren der Zeit deutlich anzusehen waren, drängten sich dicht an dicht. Für die Abenteurerin war es das erste Mal, dass sie so einen Stadtteil betrat. Als Priesterin der Erdmutter hatte sie selbstverständlich keine Abneigung den Armen gegenüber, aber sie war es nicht gewöhnt, ihnen in solch einer Umgebung zu begegnen.​
Vielleicht hätte ich sie doch bitten sollen, mitzukommen?, dachte das Mädchen, während es sich bemühte, nicht noch weiter zurückzufallen. Goblin Slayer wollte eine Kontaktperson treffen und die Elfe hatte die Priesterin gefragt, ob sie die beiden begleiten solle. Der Krieger hatte die Waldläuferin und die beiden anderen Kameraden dann aber gebeten, den Tempel zu bewachen. Schließlich wussten sie nicht, mit was für einem Gegner sie es zu tun hatten, und somit war unklar, was alles passieren konnte. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum Goblin Slayer gerade so vorsichtig vorging, sie dem Krieger reflexartig zugesagt hatte und ihr Herz so schnell schlug. Auch die Priesterin hatte das Angebot der Elfe abgelehnt, aber sie war sich nicht mehr sicher, was genau sie gesagt hatte. Wie ihre Kameraden sie dabei angeschaut hatten, wusste sie allerdings noch ganz genau. Sie hatten sie durchschaut. Beim Gedanken daran lief das Mädchen knallrot an. Sie war schon siebzehn Jahre alt, aber verhielt sich noch immer wie ein Kind. Allerdings hatte ihre Aufregung einen Grund, denn sie und ihre Kameraden waren gerade damit beschäftigt, ihren Tempel und damit ihre Familie vor Unheil zu beschützen.​
»Ä ... Ähm, Goblin Slayer ...«​
»Was?«​
»Diese Kontaktperson ... Kommt sie etwa aus diesem Viertel?«​
Auf der einen Seite kam es ihr komisch vor, dass der Krieger hier Leute kannte, auf der anderen aber auch nicht. Er war schon seit einigen Jahren in der Stadt aktiv und sie sah ihn immer wieder mit fremden Gestalten reden. Aber dennoch ...​
Dabei bin ich schon fast drei Jahre lang mit ihm unterwegs! Dass er noch viele ihr unbekannte Seiten hatte, machte die Priesterin gleichermaßen glücklich wie unglücklich. Es war wie bei einem Buch, das spannend war, aber nicht zu Ende gehen wollte.​
»Ich kenne die Person, aber nicht in dem Sinne, dass ich viel über sie weiß«, erklärte der Krieger brummend und sorgte damit für noch mehr Fragezeichen bei der jungen Abenteurerin.​
»Was soll das bedeuten?«​
»Du verstehst es bald.«​
Das Mädchen wusste nicht, was es erwidern sollte. Goblin Slayer schaute währenddessen in der Gegend umher, als würde er etwas suchen. Was war es wohl?​
»Ein Zeichen«, murmelte Goblin Slayer leise.​
»Mein Meister hat es mir beigebracht.«​
»Ein Zeichen ...«​
»Sie nutzen es als Markierung. Für einen Eingang.«​
»Ach ...«​
Plötzlich blieb der Krieger vor einem Gebäude stehen. Es war ein kleiner ...​
»Ein Krämerladen?«​
Die Priesterin schaute verwirrt zum Schild des Ladens. Es war so verrostet, dass es jeden Moment abzufallen drohte. War das etwa das Zeichen, von dem Goblin Slayer gesprochen hatte?​
»Hm ...«​
Mit einem Finger an den Lippen schaute sie sich um. Schließlich entdeckte sie etwas an der Ecke der Tür, das wie ein Kratzer aussah, aber wohl eine kleine Kreidemarkierung war.​
»Wir gehen rein.«​
»Äh, j... ja!«​
Die Priesterin hatte grübelnd dagestanden, aber als der Krieger die Tür aufdrückte und hineinging, folgte sie ihm aufgeregt. Der Laden wirkte auf das Mädchen dunkel und eng. Eine kleine rostige Lampe schenkte dem Inneren Licht, dabei war es draußen gerade Mittag. Ein kleines Insekt verbrannte knisternd in der Flamme, die daraufhin kurz heller aufflackerte und die Schatten im Raum tanzen ließ. Die Priesterin blinzelte einige Male und ließ ihren Blick dann über die vielen Regale wandern, die bis zur Decke gingen und mit allerlei Krimskrams gefüllt waren. Die Staubschicht, die auf allem lag, legte die Vermutung nahe, dass der Laden selten besucht wurde. Er stand sicher kurz vor dem finanziellen Aus.​
»Ä... Ahm, Goblin Slayer?«​
»Werter Kunde, suchen Sie etwas Bestimmtes?«​
Die Priesterin hatte gerade Goblin Slayer angesprochen, als eine tiefe Stimme sie plötzlich zusammenzucken ließ. Sie wusste nicht, ob die Person, der die Stimme gehörte, schon die ganze Zeit da gewesen oder gerade erst aufgetaucht war. Es handelte sich um einen verschlafen wirkenden Mann, der hinter Waren versteckt in einer Ecke saß. Die junge Abenteurerin konnte allerdings nicht sagen, ob es sich bei ihm um einen Menschen, einen Zwerg oder einen Rhea handelte. Er trug ein graues Kopftuch, welches so tief saß, dass sein Gesicht kaum zu erkennen war.​
»Eine Messinglaterne«, sagte Goblin Slayer zu dem Ladenbesitzer.​
»Und noch etwas Öl.«​
»Ihr seid Abenteurer, nicht wahr?«​
Huch? Die Priesterin wunderte sich über den schlagartig veränderten Tonfall des Inhabers.​
»Was habt ihr damit vor?«, fragte der Verkäufer und musterte die beiden Abenteurer.​
Ein wenig verwirrt zog die Priesterin ihren Stab an sich heran und verdeckte damit ihre Brust. Goblin Slayer hingegen nickte nur und antwortete:​
»Wir suchen die Riesenschlange.«​
»Auf dass es euch gelingen möge ...«, erwiderte der Ladenbesitzer und machte eine geschmeidige Bewegung.​
»Wow!«, staunte die Priesterin, als die Wand hinter dem Mann auf magische Weise verschwand und eine schwere Tür, die gar nicht zum Laden passte, zum Vorschein kam.​
»Ha ha.«​
Der Besitzer lachte stolz und die Priesterin dachte kurz, dass er vielleicht ein Rhea war, doch der Eindruck verflog sofort wieder.​
»Junge Dame, Goblintöter, willkommen in der Gilde der Schurken.«​
»Es ist nicht so, als würde sich hier nur Abschaum versammeln und einen auf gut Freund machen. Wir sind eine Gilde und der der Abenteurer gar nicht so unähnlich«, erklärte der Ladenbesitzer mit einem verstohlenen Lächeln, während er die beiden Abenteurer durch einen engen Gang führte.​
Wie kann es auf der Rückseite des Gebäudes überhaupt so einen großen Raum geben? Die Priesterin konnte weder diese Frage noch die nach der Rasse des Ladenbesitzers beantworten. War er ein Rhea, ein Elf, ein Zwerg oder ein Mensch? Und konnte sie unter dem Kopftuch Tierohren erkennen? Oder nein, waren das echsenartige Schuppen unter seiner Kleidung? Sie vermutete, dass Magie im Spiel war, aber sie wollte lieber nicht nachhaken. Manche Fragen blieben besser ungestellt.​
»Werden hier also auch wie bei der Abenteurergilde Aufträge vermittelt?«, fragte die Priesterin Goblin Slayer.​
An seiner Stelle antwortete der Ladenbesitzer:​
»Vom Prinzip her ähnlich. Hier heuern Auftraggeber oder Schieber ihre Läufer an.«​
Der Mann bewegte sich, ohne dabei irgendwelche Geräusche zu verursachen. Nur die Schritte von Goblin Slayer und der Priesterin sowie das Klingeln ihres Priesterstabs hallten von den Wänden des Gangs wider. Leicht beschämt schaute das Mädchen zu Boden.​
Der Ladenbesitzer schielte zu der Priesterin herüber und sagte:​
»Wenn jemand der Gilde der Abenteurer nicht vertrauen kann, dann kommt er zu uns.«​
»Und euch kann man vertrauen?«, fragte Goblin Slayer direkt.​
»Wer weiß?«​
Der Ladenbesitzer lachte.​
»Das kommt auf die Kreditwürdigkeit des Kunden an.«​
»Hrmpf ...«​
»Über jemanden Nachforschungen anzustellen gehört bei uns zum guten Ton. Wer sich in diesem Arbeitsfeld reinlegen lässt, ist also selbst schuld.«​
»Ist das so?«​
»Ein Läufer, der sich bei anderen darüber beschwert, dass er sich nicht um sich selbst kümmern kann, ist lächerlich.«​
Der Mann schnaufte unzufrieden durch die Nase.​
»Vielleicht klinge ich jetzt wie ein Greis, aber in letzter Zeit gibt es zu viele junge Menschen dieser Art.«​
Vielleicht ist es nur eine Frage des Stils, dachte die Priesterin. Sie hatte bereits Gerüchte über die sogenannten Läufer gehört. Das waren Gestalten, die sich im Schatten hielten, Intrigen spannten und Aufträge für die Unterwelt erledigten. Sie waren wahre Einzelgänger und tanzten ständig auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Allein der Gedanke an solch einen Lebensstil ließ die Priesterin am ganzen Körper zittern. Sie konnte sich immer auf die Gilde und den Tempel verlassen und wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie es ihr ohne die beiden Institutionen gehen würde.​
»Aber natürlich achten wir darauf, nicht mit Verrätern zusammenzuarbeiten«, erklärte der Ladenbesitzer. Vielleicht hatte er das Zittern der jungen Frau bemerkt.​
»Goblintöter hat uns vor zwei Jahren beim Erntefest sehr geholfen, deshalb würden wir auch gar nicht erst auf die Idee kommen, ihn zu hintergehen.«​
»Ah ...«​
Die Priesterin erinnerte sich an die Kleidung, in der sie auf jenem Erntefest getanzt hatte, und war in diesem Moment dankbar für die Dunkelheit, die hier herrschte. Schließlich hatte der Mann womöglich ihre Aufführung gesehen und so konnte er sie jetzt nicht anstarren oder erkennen, dass sie hochrot im Gesicht war.​
»Ach, diese Sache«, murmelte Goblin Slayer.​
Am Ende des Ganges angekommen, drückte der Ladenbesitzer eine Tür auf und Licht flutete den Gang. Die Priesterin kniff die Augen zusammen.​
»Eine Schenke?«​
»Es ist noch vor Betriebsbeginn.«​
Den Besitzer und Goblin Slayer schien das plötzliche Licht aber nicht zu stören. Sie unterhielten sich seelenruhig.​
»Kannst du etwa sehen?«, fragte die Priesterin verwundert. Brummend erklärte der Krieger darauf:​
»Mach ein Auge zu, wenn du einen dunklen Ort betrittst. So gewöhnst du dich schneller ans Licht.«​
»J ... Ja ...«​
Nach und nach gewöhnten sich auch die Augen des Mädchens an das Licht und es konnte die Schenke ausmachen, von der die beiden Männer geredet hatten. Sie war anders als die, die die Priesterin kannte. Sie war düsterer und irgendwie ... ... ruhiger ... Vielleicht war es spätabends anders, aber gerade kam es ihr so vor. Die Schenke war klein, sauber und es gab einige Sitzplätze am Tresen. Hinter ebenjenem stand eine hübsche Frau mit schwarzer Weste und Fliege. Sie war gerade dabei, Gläser zu putzen. Es war das leichte Plätschern von Wasser zu hören und direkt darauf erkannte die Priesterin, dass es sich um eine Meerjungfrau handelte, deren Unterkörper in einem Wasserfass steckte. Als die Meerjungfrau bemerkte, dass sie angeschaut wurde, warf sie der Priesterin ein freundliches Lächeln zu, weshalb Letztere beschämt ihren Blick abwandte. Neben der Frau hinter der Bar waren auch einige Padfoot Musiker mit schwarzem Fell anwesend, von denen einige an Hunde und andere an Katzen erinnerten. Sie stimmten gerade ihre Instrumente.​
»Eine Flüsterkneipe?«, fragte Goblin Slayer, während die Priesterin noch immer über den Ort staunte.​
»Nun ja, zumindest meistens. Manchmal wird hier aber auch mit verbotenen Waren gehandelt.«​
Der Ladenbesitzer setzte sich an den Tresen und Goblin Slayer ließ sich neben ihm nieder. Das Knirschen des Stuhls riss die Priesterin aus ihren Gedanken und sie gesellte sich zu ihrem Kameraden. Noch bevor sie irgendetwas sagen konnte, schob die Meerjungfrau ihr ein Glas zu. Das Mädchen befürchtete schon, es sei Alkohol darin, doch als es erkannte, dass es Milch war, nahm es das Glas dankend an. In diesem Moment begannen die Padfoots, auf ihren Instrumenten zu spielen. Es handelte sich um Saiteninstrumente, die die Priesterin noch nie gesehen hatte, doch ihr Klang war äußerst angenehm.​
»Sehr zuvorkommend«, sagte Goblin Slayer, der ebenfalls ein Glas in der Hand hielt. Es handelte sich wohl um ein leichtes Bier.​
»Hä hä ...«​
Der Ladenbesitzer kratzte sich verschämt an der Nase.​
»Nun gut.«​
»Ja.«​
»Na gut, werter Gast. Keine Hemmungen. Legen Sie alles ab und entspannen Sie sich ein wenig.«​
»Vielen Dank. Ich nehme diesen Platz und das Getränk gerne an und wünsche einen schönen Tag. Entspannen Sie sich.«​
»Vielen Dank für den netten Gruß, aber wie man sieht, brauchen Sie die Maske hier nicht. Bitte entspannen Sie sich also.«​
»Wie man sieht, trage ich sie aus beruflichen Gründen. Also bitte entspannen Sie sich.«​
»Nein, nein, der Herr. Entspannen Sie sich ruhig.«​
»Nein, entspannen Sie sich mal lieber.«​
»Na gut. Vielen Dank für die dritte Aufforderung, daher werde ich so frei sein und mich zuerst entspannen.«​
»Es tut mir leid, dass ich so fürchterlich aussehe. Ich komme aus einem Dorf im Grenzland. Mein Meister hat sicher schon von mir erzählt. Ich bin der Jüngling, den man Goblintöter nennt.«​
»Vielen Dank für die freundlichen Worte. Dies ist wohl unser erstes Treffen. Leider ist unser Leiter derzeit nicht anwesend, daher müssen Sie wohl mit mir, dem Fuchs mit dem grauen Kopftuch, vorliebnehmen.«​
»Ich bedanke mich für die freundliche Vorstellung. Bitte heben Sie Ihren Kopf.«​
»Nein, nein. Heben Sie bitte zuerst Ihren Kopf.«​
»Das würde mich aber beschämen.«​
»Dann eben gemeinsam.«​
»Ich verlasse mich auf Sie.«​
»Ich bitte Sie darum.«​
Die Priesterin verstand nicht, was hier gerade vor sich ging. Die beiden Männer unterhielten sich mit Sätzen, die wie übertrieben höfliche Grußformeln klangen, und nachdem sie gleichzeitig ihr Haupt gesenkt hatten, erhoben sie es jetzt nahezu synchron wieder. Der Ladenbesitzer grinste den Krieger an und fragte:​
»Und wie kann ich dem Herrn weiterhelfen?«​
»Ich brauche Informationen. Ein Händler aus der Stadt des Wassers treibt sich herum. Ich will wissen, was er vorhat.«​
»Hä?«​
Beinahe hätte die Priesterin vor Überraschung ihr Milchglas fallen lassen. War dieser Mann etwa der Grund für ihr derzeitiges Problem?
»Was hat er mit der Sache zu tun?«​
»Keine Ahnung«, antwortete Goblin Slayer der Priesterin.​
»Deswegen brauche ich Informationen. Dann entscheide ich, wie ich vorgehe.«​
»Ja ...«​
Der Ladenbesitzer strich sich übers Kinn und ließ seine kurzen, dicken Finger wie die Beine einer Spinne durch die Luft tanzen.​
»Ich versteh schon. Wie viel zahlst du?«​
»Wie viel soll es denn sein?«​
Die Priesterin seufzte. Es war klar, dass ihr Kamerad kein Interesse an solchen Verhandlungen haben würde. Die Augen des Ladenbesitzers verformten sich zu Schlitzen.​
»Willst du uns etwa mit deinem Geld ins Gesicht schlagen?«, erwiderte er in fast aggressivem Ton.​
»Ja«, gab Goblin Slayer unbekümmert zurück.​
»Es ist eine wichtige Bitte. Wenn es nicht geht, ist das auch in Ordnung.«​
»Glaubst du etwa, dass wir das nicht können?«​
»Also schafft ihr es?«​
Der Ladenbesitzer musterte den Eisenhelm des Abenteurers.​
Die Priesterin festigte unbewusst ihren Griff um den Priesterstab.​
Sie rechnete mit dem Schlimmsten. Das hier war kein Abenteuer in der Wildnis. Es war ein Stadtabenteuer und solche waren für sie absolutes Neuland.​
»...«​
Auf einmal war die Stimmung so angespannt, dass die junge Abenteurerin nicht mal mehr den Klang der Musik hörte. Sie schluckte und selbst dieses Geräusch kam ihr so laut vor, dass sie sich wünschte, sie hätte es nicht getan. Es dauerte einige Momente, die der Priesterin ewig vorkamen, bis der Ladenbesitzer drei Finger hochhielt.​
Goblin Slayer wühlte daraufhin in seiner Tasche und holte vier kleine Beutel mit Goldstücken hervor, die er ihm hinwarf. Sie rutschten klimpernd über den Tresen.​
»Du bist schlecht im Verhandeln, das ist mehr als ich verlangt habe ...«​
Der Ladenbesitzer seufzte.​
»Einen großzügigen Kunden und jemanden, der sich ausnehmen lässt, trennt nur ein schmaler Grat.«​
»Wir sind keine Freunde und auch keine Kameraden.«​
Goblin Slayer seufzte ebenfalls.​
»Aber du erledigst etwas für mich, das ich nicht kann, und dafür will ich dich ausreichend bezahlen.«​
Der Mann mit dem grauen Kopftuch schaute den Krieger etwas enttäuscht an.​
»Erst lässt du dich jahrelang nicht blicken, dass wir schon dachten, du wolltest nichts mehr mit uns zu tun haben, und jetzt so was. Du bist wahrlich der Schüler von Schleicher.«​
Der letzte Satz war eher geflüstert worden und die Priesterin konnte nicht einordnen, ob er ein Ausdruck von Verachtung oder Bewunderung war. Vielleicht war es auch eine Beschwerde, wie sie selbst sie ihm häufig an den Kopf warf? Der Ladenbesitzer schüttelte langsam den Kopf, dann schnappte er sich die Beutel und steckte sie in eine Brusttasche. Danach wandte er sich dem Mädchen zu.​
»Hör auf das, was er dir sagt. Er mag nicht so aussehen, aber er ist noch immer ein Abenteurer auf Silber-Rang.«​
Das Gesicht der Priesterin entspannte sich. Sie kicherte.​
»Ja, ich weiß.«​
»Sehr gut.«​
Der Mann klopfte sich auf die mit Geld gefüllte Brusttasche.​
»Ein Auftrag des jungen Meisters. Wir werden unser Bestes geben.«​
»Nenn mich nicht Meister.«​
An der Stimme ihres Kameraden erkannte die Priesterin, dass er sich schämte.​
»Puh ...«​
Der Himmel wirkte auf die Priesterin so blau und frisch, dass sie sich fühlte, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht oder aus Wasser aufgetaucht. Fast reflexartig atmete sie keuchend aus und holte anschließend tief Luft. Die Zeit in dem Laden hatte der jungen Abenteurerin wortwörtlich den Atem geraubt. Es war ein Ort, der ihr so fremd war, dass sie sich vollkommen fehl am Platz gefühlt hatte.​
»W ... Was war das für ein Ort?«​
Sie drehte sich um und schaute den Krämerladen an. Er sah noch genauso aus wie zuvor, doch auf sie würde er nie wieder derselbe sein.​
»Ein Versammlungsort für Läufer. Illegale Abenteurer«, erklärte Goblin Slayer emotionslos und setzte sich in Bewegung.​
Überrascht eilte die Priesterin ihm mit kleinen Schritten​
hinterher.​
»Illegal ... Dann sind sie also nicht bei der Gilde registriert?«​
»So ist es.«​
Die Priesterin konnte es nicht fassen, denn das hieß, dass die Läufer keinen Ausweis hatten und auch nicht versichert waren. Sie konnten sich also nur auf sich selbst verlassen.​
»Sie greifen auf besondere Verhaltensweisen und Zeichen zurück, um sich selbst zu schützen«, erklärte der Krieger, als wüsste er, was in seiner Kameradin vorging. Frei zu leben und sich nichts und niemandem zu unterstellen bedeutete nun mal, dass man unbemerkt in der Wildnis sterben konnte. Es war Teil des Lebens eines Schurken.​
»Es ist ihre Art zu leben und dies ist ein Ort für sie.«​
Goblin Slayer blieb stehen und der Körper der Priesterin verspannte sich vor Angst. Seine Worte waren gewohnt emotionslos, aber ...​
Es ist kein Ort, den ich gerne besuche ...
Die junge Abenteurerin hatte das Gefühl, dass er so etwas in der Art sagen wollte.​
»Das Töten von Goblins ...«​
Der Krieger schwieg einen Moment.​
»Das Töten von Goblins allein ist kein Abenteuer.«​
»Ja...«​
Sie hatte das Gefühl, ein wenig zu verstehen, warum er solche Orte bisher nicht aufgesucht hatte. Sie drehte sich noch einmal um und auch wenn sie erst einige Schritte gegangen waren, hatte sie das Gefühl, als wären sie wieder in ihrer vertrauten Umgebung.​
»Sind die Leute dort denn gute Personen oder sind sie eher böse?«​
»Manchmal tun sie Gutes und manchmal Böses ... So ist es nun mal.«​
Die Priesterin konnte diese Lebensart nicht verstehen.​
»So ist das also«, murmelte sie leise, aber hatte der Krieger sie gehört?​
Während er stapfend weiterging, eilte sie ihm hinterher.​
»Und jetzt ...?«​
»Der Mann hat gesagt, dass es zum guten Ton gehört, Nachforschungen anzustellen, also werden wir das tun.«​
»Nachforschungen ...«​
»Genau«, gab Goblin Slayer schnell zurück.​
Es klang fast, als würde er leise lachen.​
»Ich habe von meinem Meister gelernt, wie man das macht, aber ich habe mich nie selbst damit beschäftigt.«​
»Okay«, erwiderte die Priesterin.​
Sie klang nicht mehr ganz so niedergeschlagen.​
»Er machte den Vorschlag wirklich plötzlich ...«​
Die Priesterin war davon ausgegangen, dass sie sich mit dem Krieger weiter in den Nebengassen der Stadt herumtreiben würde, aber jetzt saß sie auf einem Stuhl in einem gepflegten Zimmer. Sie befanden sich auf dem Bauernhof, wo Goblin Slayer wohnte.​
»Ist das so?«​
»Ja.«​
Goblin Slayer unterhielt sich gerade mit dem Mann, dem der Hof gehörte. Die junge Abenteurerin war ihm schon mehrmals begegnet und die Erinnerungen an die Schlacht um den Hof waren noch frisch. Sie hatte ihm noch nie so gegenüber gesessen und mit ihm geredet. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und er traf so auf den der Kuhhirtin, die mit am Tisch saß. Die Kindheitsfreundin des Kriegers war sehr überrascht gewesen, dass er einfach so mitten am Tag zurückgekehrt war und gesagt hatte, dass er mit ihrem Onkel sprechen wolle. Nichtsdestotrotz hatte sie ohne Widerrede einen Tee aufgesetzt. Eine Tasse davon stand jetzt vor der Priesterin und als sie daran nippte, entwich ihr ein kurzes »Oho«. Das Heißgetränk schmeckte ähnlich wie das der Gilden Angestellten. Waren es vielleicht dieselben Teeblätter? Die Kuhhirtin kicherte und es war, als würde sie der Priesterin damit sagen wollen, dass Goblin Slayer wirklich unverbesserlich war, worauf sich das Mädchen entspannte.​
»Er wollte also, dass das Weideland umgegraben und Felder daraus gemacht-werden?«​
»Ja, so ungefähr. Er wollte außerdem alle Hecken und Mauern entfernen und dafür neue bauen lassen.«​
Der Hofbesitzer schien auch jetzt noch empört über die Vorschläge des Händlers aus der Stadt des Wassers zu sein.​
»Es wäre gutes Geld gewesen und ich werde auch nicht jünger. Sicherlich werden wir bald Hilfskräfte für den Hof brauchen, aber ich bin zu alt, um plötzlich so etwas komplett Neues zu probieren.«​
»Ich verstehe.«​
Auch wenn sie wegen des Helms nicht sehen konnte, wo der Krieger hinschaute, hatte die Priesterin das Gefühl, dass er aus dem Fenster nach draußen blickte. Sie tat es ihm gleich und sah eine Herde Kühe beim friedlichen Grasen. Es ist kein außerordentlich großer Hof, doch er besitzt schon einiges an Fläche. Goblin Slayer schien ähnlich zu denken, denn er sagte:​
»Man bräuchte so einige Leute, um das Land in Felder umzuwandeln.«​
»Ja, er hatte wohl vor, das Gebiet zu pachten und seine Leute herzuschicken.«​
Der Bauer hätte also Geld und Personal gestellt bekommen, aber dafür die Felder so bestellen müssen, wie es ihm geheißen wurde. Das hätte vermutlich ein ruhigeres Leben für den Hofbesitzer bedeutet, denn mit genügend Hilfe hätte er selbst wohl gar keine Feldarbeit mehr erledigen müssen.​
»Aber ich bin und bleibe nun mal ein freier Bauer!«, erklärte der Mann stolz.​
Er hatte dieses Land beackert und beschützt und würde auch weiterhin bestimmen, was damit geschah - Geld und Hilfskräfte hin oder her. Goblin Slayer atmete tief ein und wieder aus, bevor er entgegnete:​
»Ja, das denke ich auch.«​
Der Hofbesitzer nickte zufrieden und ein verlegenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er wandte sich seiner Nichte zu und sagte:​
»Der Kerl hat sogar angeboten, einen Ehemann für dich zu finden.«​
»Hä?«​
Eine Tasse klimperte. War es die der Priesterin oder die der Kuhhirtin? Es war nicht zu sagen, aber es war die Kindheitsfreundin des Kriegers, die aufsprang. Ihr Augen waren weit aufgerissen. Ihre Stimme klang teils verlegen, teils ratlos und auch etwas vorwurfsvoll.​
»Wie bitte? Davon höre ich jetzt aber zum ersten Mal!«​
»Ich hab doch abgelehnt«, sagte der Hofbesitzer seelenruhig und schlürfte etwas Tee.​
»Wir sind keine Adelsfamilie und ich habe noch nie einen Gedanken daran verschwendet, was für eine Heirat für unsere Familie von Vorteil wäre.«​
Der Kuhhirtin schien die Antwort ihres Onkels nicht zu gefallen, denn sie bewegte unruhig ihre Arme und war inzwischen hochrot im Gesicht.​
»Hnnngh!«​
Die Priesterin schaute zu dem Mann an ihrer Seite. Was dachte er wohl? Er kommentierte das Ganze mit einem Brummen. Die junge Abenteurerin bemerkte in diesem Moment, dass seine Tasse leer war. Wann hatte er sie ausgetrunken?​
»Goblin Slayer?«​
»Ja«, entgegnete der Krieger. Er klang dabei, als wäre er gedanklich gerade mit etwas anderem beschäftigt.​
»Ich muss ein wenig meine Gedanken sortieren. Ich lass sie kurz bei dir.«​
»Wie? Ahm ...«, erwiderte die Kuhhirtin überrascht.​
»J... Ja, in Ordnung ...«​
Goblin Slayer wandte sich der Priesterin zu, senkte leicht seinen Kopf und sagte:​
»Tut mir leid.«​
Seine Kameradin wollte irgendetwas erwidern, aber ihr fehlten die Worte, weshalb sich der Krieger zu dem Hofbesitzer drehte.​
»Es tut mir leid, aber du hast mir sehr geholfen.«​
»Ist das so?«, antwortete dieser emotionslos. Er stellte die Tasse ab.​
»Dann ist ja gut.«​
»Ja, es waren wertvolle Hinweise.«​
Ohne sich noch einmal umzudrehen, stapfte Goblin Slayer los. Er drückte die Tür auf und ging hinaus. Die Tür fiel im Anschluss rumsend ins Schloss.​
»...«​
»Ha ha ...«​
Die Priesterin und die Kuhhirtin blickten erst zur Tür und dann sich gegenseitig an. Sie zuckten mit den Schultern.​
***
Sie haben es auf den Hof abgesehen, dachte Goblin Slayer. Nein, wahrscheinlich ist er nur Mittel zum Zweck.
Der Wind ließ das Gras rascheln und sauste über die Hecken in Richtung der Stadt. Der Abenteurer folgte dem Weg mit seinem Blick und schaute dann hoch zum Himmel. Er erkannte die Vögel, die in der Luft schwebten. Wegen des Sonnenlichts musste er allerdings die Augen zusammenkneifen. Ihm war, als würden alle möglichen Dinge um ihm herumschwirren und ihn behindern wollen. Es war eine wirklich lästige Situation. Goblins, die sich in einer Höhle verkrochen haben, sind ein einfacherer Gegner. Hier muss ich über so viele Dinge nachdenken. Ihm schoss kurz die Idee durch den Kopf, dass er vielleicht für so etwas nicht geeignet war, aber dann schnaubte er abwertend aus. Es war egal, ob man für etwas geeignet war oder nicht. Es zählte nur, ob man handelte. Stapfend betrat Goblin Slayer das Weideland und näherte sich den Kühen, die bereits an seine Gestalt gewöhnt waren. Er streichelte einem der Tiere kurz über die Schnauze und setzte sich dann polternd ins Gras. Wenn er etwas nicht sofort verstand, dann musste er seine Gedanken sortieren. Er griff sich einen Stock und kritzelte etwas in die Erde.​
Der Händler will den Hof, aber wieso?
Goblin Slayer zog einen Strich und malte an das Ende ebenjenes einen Kreis. Daneben malte er noch einen kleinen Kreis. Er begann, die Stadt, die Straße und den Hof aus seinem Gedächtnis nachzumalen. Ohne Mauern und Hecken würde der Hof komplett wehrlos sein.​
Das Ziel ist der Hof
Der Krieger ging erst einmal davon aus und für diesen Fall konnte er sich eine Strategie überlegen. Eventuell lag es nur an seiner Paranoia, aber in Zeiten wie diesen war sie ihm nützlich. Viele Schurken konnten in ihrem Arbeitsumfeld nur überleben, weil sie ausreichend Schutzmaßnahmen ergriffen.​
Aber ...
Goblin Slayer brummte tief und hielt mit dem Zeichnen inne. Es ging hier nicht darum, den Hof vor Goblins zu verteidigen. Abenteuer sind kompliziert ...​
»Goblin Slayer, was brummelst du allein vor dich hin?«, fragte eine klare Stimme den Krieger.​
»Hmpf ...«​
Er drehte sich um und sah, dass dort die Ritterin mit einem verwegenen Lächeln stand. Sie wurde von dem Panzerkrieger und dem Rest ihrer Gruppe begleitet.​
»Ein Abenteuer?«​
»Ja, äh, nein. Wir gehen zur Stadt des Wassers. Wir werden die anderen dort treffen.«​
Damit waren die Hexe und der Speerkämpfer gemeint. Zumindest kam Goblin Slayer nach dem Durchforsten seiner Erinnerungen zu dem Schluss.​
»Und was machst du dir für Sorgen? Oh ... Was soll das denn sein?«​
»Eine Karte«, antwortete Goblin Slayer der Kriegerin, als sie seine Zeichnung in der Erde erkannte.​
»Ich verstehe nicht, warum dieser Ort ein Ziel sein soll. Das letzte Mal war es auch so.«​
»Vielleicht weil es eine Art Nebenburg ist?«, antwortete sie äußerst gelassen.​
»Weißt du überhaupt, was das ist?«​
»Nebenburg?«​
»Ja. Man könnte es auch Hilfsfestung nennen. Es ist eine Anlage zum Schutz der Hauptburg. Im Falle von Belagerungen werden manchmal auch einfachere Varianten gebaut.«​
»Hm...«​
Goblin Slayer brummte bewundernd. Nebenburg war ein Wort, das vorher nicht zu seinem Wortschatz gehört hatte, aber er war dankbar, diesen neuen Blickwinkel auf die Sachlage bekommen zu haben.​
»Ohne Eroberung der Nebenburg ist es im Normalfall nicht möglich, die wahre Burg einzunehmen.«​
»Ganz schön lästig.«​
»Ja.«​
Die Ritterin nickte.​
»Deswegen werden oft Tricks angewandt, um sich der Nebenburg zu entledigen. Zum Beispiel erschleicht man sich Zutritt durch Freundlichkeit ...«​
Die Ritterin erzählte Geschichten, die sie aus alten Kriegsaufzeichnungen hatte. Sie schienen mehr oder minder zu dem Allgemeinwissen eines Ritters zu gehören. Während sie erzählte, nickte Goblin Slayer immer wieder und brummte, um sein Verständnis zu signalisieren. Dabei versuchte er, sich alles einzuprägen, was ihm gesagt wurde. Er würde sich sicherlich nicht alles merken können, doch er gab sein Bestes.​
»Ja, aber das ist doch nichts weiter als eine Karte des Hofs.«​
»Hngh?!«​
Die Ritterin wurde in ihren Erzählungen vom Panzerkrieger unterbrochen, der über ihre Schulter schaute. Sie fuhr herum und beschwerte sich lautstark.​
»Ja, und? Was ich erzählt habe, ergibt doch Sinn! Ganz viel Sinn!«​
»Reg dich doch nicht so auf ·..«​
»Ja«, sagte Goblin Slayer in respektvollem Ton.​
»Das war sehr nützlich. Danke.«​
»Siehst du?! Da hast du's!«​
Stolz schnaufte die Ritterin durch die Nase, weshalb der Panzerkrieger seufzen musste. Er fragte sich, wie so häufig, ob dieses Verhalten sich für eine Ritterin ziemte. Er wurde dann allerdings davon überrascht, dass Goblin Slayer sich vor ihnen verneigte.​
»Tut mir leid, dass ich euch von eurer Abreise abgehalten habe.«​
»Schon gut, kein Ding.«​
Der Panzerkrieger wedelte mit seiner Hand.​
»Immer zu erzählen, dass man keine Zeit hat, ist die größte Zeitverschwendung.«​
»Ist das so?«​
»Ja, so ist das. Aber es hängt natürlich auch von der Situation ab.«​
»Ach so ...«​
Nach dieser Unterhaltung brach die Gruppe des Panzerkriegers auf. Die Abenteurer würden mehrere Tage bis zur Stadt des Wassers brauchen. Was würden sie dort wohl machen? Goblin Slayer dachte über all diese Dinge nach. Der Panzerkrieger hatte ihm einst erzählt, dass er König werden wolle, was in der Tat nach einem schweren Unterfangen klang. Dafür musste man mehr tun, als einfach nur Goblins zu töten. Man musste Dinge sehen, kennen, darüber nachdenken und Entscheidungen treffen.​
»Abenteuer sind wirklich kompliziert.«​
Goblin Slayer stapfte los und überlegte, was er in seiner Tasche hatte. Daraus würden sich seine Möglichkeiten ergeben. So war es immer. Doch was sollte er tun, wenn keine der Möglichkeiten passte?​
Dann muss ich mich wie ein Schurke verhalten.​


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Edward Teach

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Intermission XXXI
Über die unterschiedlichen Dinge, die alle machen


Das Flüstern des Flusses hatte in dieser Ecke des Tempels des Erhabenen Gottes, wo sich der mittlere Garten befand, etwas Angenehmes. Es weckte in ihr den verlockenden Gedanken an ein Nickerchen, dabei hatte sie eigentlich noch so viel zu tun. Aber sie hatte bereits den ganzen Tag geschuftet und die Welt würde sicherlich nicht untergehen, nur weil sie einige Momente döste.​
Aber das ist natürlich nur eine Ausrede ...​
Während das Licht der Nachmittagssonne über ihren Körper streichelte, zog die Jungfrau des Schwertes das Waagenschwert an sich heran. Aus einem Gang konnte sie den Hall von Schritten hören. Es waren Schritte, die ihr bekannt waren. Langsam gesellten sich auch andere Geräusche dazu. Darunter war auch das Klackern von Rüstungsteilen.​
»Sind etwa Abenteurer gekommen?«​
»Äh, j...ja ...«​
Als sie sprach, ohne den Kopf zu heben, blieb die Händlerin steif am Eingang des Gartens stehen. Normalerweise bemühte sich die Jungfrau des Schwertes, sich den Personen, mit denen sie sprach, zuzuwenden, aber gerade war sie zu erschöpft.​
»Sie würden Euch gerne treffen, Erzbischöfin.«​
»Ach so.«​
Die Jungfrau des Schwertes stützte sich auf das Waagenschwert und stand auf.​
»Was ist mit den Besuchern aus der königlichen Hauptstadt?«​
»Eigentlich wie immer ...«​
Die Erzbischöfin wusste, dass die Händlerin in diesem Moment bitter lächelte.​
»Seine Majestät gibt Ihr Bestes beim Regieren, aber es gibt weiterhin Reibereien mit Adelsfamilien und Händlern. Und natürlich sind da auch noch die finsteren Sekten..«​
»Also gibt es weiterhin mehr als genügend Gründe, um Abenteurer zu sein.«​
»Ja.«​
Das leichte Kichern der Jungfrau des Schwertes sorgte dafür, dass die Händlerin mit schwermütigem Blick zu Boden blickte. Die Erzbischöfin hingegen dachte sich, dass das doch eine gute Sache war. Die junge Frau hatte schreckliche Erfahrungen gemacht, aber nicht ihre Gewissenhaftigkeit verloren. Die Geistliche erfreute das sehr, doch es machte die Last, die auf den Schultern der Händlerin lag, nicht leichter. Die Jungfrau des Schwertes wusste das genau, denn sie hatte etwas Ähnliches durchmachen müssen.​
»Glaub mir, in dieser Stadt ist es nicht anders.«​
Die Erzbischöfin hatte sich der Händlerin schnell genähert und streichelte ihr jetzt über die Wange. Dieser entglitt ein zittriges »Ah«. Ihre Haut fühlte sich an den Fingerspitzen der Geistlichen wie Seide an und die Wärme, die sie dabei verspürte, ließ die Erzbischöfin lächeln.​
»Viele Personen bewegen sich sowohl im Licht als auch im Schatten. Auch wenn sie nicht akzeptiert werden.«​
Als sie der Händlerin erneut über die Wange strich, konnte sie spüren, wie sich deren Körper leicht aufbäumte. Es war äußerst verzückend und die Jungfrau des Schwertes kniff deshalb ihre Augen unter der Augenbinde zusammen. Ob sie beim Betreten jenes Labyrinths wohl auch so auf ihre Begleiter gewirkt hatte?​
»Akzeptiere zuerst, dass es etwas gibt, und setze diesen Akt nicht damit gleich, dass man aufgibt. Im Anschluss muss man es ansprechen.«​
Gerechtigkeit bestand vornehmlich nicht darin, das Übel zu richten, sondern darin, andere vor dem Übel zu warnen. Gesetze basierten auf der Grundlage der Gerechtigkeit, aber sie waren nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen. Das Gleiche galt auch für die Rechtsprechung. Irrte man und sprach aus Willkür das Urteil, brach alles zusammen.​
»J... Jawohl«, antwortete die Händlerin.​
»Hi hi ... So ist gut ...«​
Als die Erzbischöfin einen Schritt zurücktrat, konnte sie aus dem Mund der Händlerin ein erneutes »Ah«hören.​
»Los! Ruf die Abenteurer herein. Ich will wissen, was sie von mir wollen.«​
»Äh, j... ja ...«​
Aufgeregt verschwand die Händlerin in einem der Gänge des Tempels. Währenddessen setzte sich die Jungfrau des Schwertes mit einem »Nun gut«wieder hin. Sie war selbst vor Kurzem von ihrem Weg abgekommen und hatte erst mithilfe einer anderen Person wieder auf den richtigen Weg zurückgefunden. Aus diesem Grund wollte sie nun auch jemand anderem behilflich sein. Jetzt gerade hatte sie das gleiche Gefühl in der Brust wie zu dem Zeitpunkt, als sie sich entschlossen hatte, Abenteurerin zu werden. Wenn man so ein Gefühl später noch einmal überdachte, war es meist nicht mehr wert als eine Glasperle, aber ... ... irgendwie war sie trotzdem kostbar!​
»Wohl an, werte Gäste ... Hi hi ... Was für ein wuchtiges Schwert. Daneben eine Ritterin, ein Halbelf, ein Junge und noch weitere Kinder.«​
Wobei . . . Ist die Person mit den nackten Füßen vielleicht ein Rhea und kein Kind?
Mit solchen Gedanken wandte sich die Jungfrau des Schwertes erneut ihren Aufgaben zu.​
»Oh, da bist du ja!«​
Selbst der Lärm und das Geschrei in der Stadt des Wassers konnten die Wahrnehmung eines erfahrenen Abenteurers nicht stören. Auf einer Bank saß ein Mädchen in einem grünen Umhang und mit einem Eisenspeer in der Hand und ließ die Beine baumeln. Der Speerkrieger hatte die Hexe darum gebeten, dem Mädchen mitzuteilen, dass er es hier gegen Mittag treffen wolle, aber da sich nur Adlige und Könige mechanische Uhren leisten konnten, war er nicht sicher gewesen, ob er zur richtigen Uhrzeit gekommen war.​
»Wir haben uns lange nicht gesehen. Schön, dass es dir gut geht.«​
»Ja, klar.«​
Das Mädchen sprang auf und lachte.​
»Ich hab echt viel zu tun gehabt.«​
»Hast du etwa wegen mir deine Waffe gewechselt?«, fragte der Speerkämpfer und zeigte auf den Eisenspeer in den Händen der jungen Abenteurerin.​
Er erinnerte sich noch genau daran, wie er ihr begegnet war, als sie beide auf einem Pferdewagen mitgefahren waren. Sie hatte ein prächtiges Schwert dabeigehabt. Aber anstatt mit einer gut aussehenden Waffe sollte man lieber mit einer kämpfen, die zum eigenen Körperbau passte. Damals war sie noch ein Neuling gewesen, doch mittlerweile war eine stattliche Abenteurerin aus ihr. geworden. Der Speerkämpfer konnte genau erkennen, dass sie ein Kettenhemd unter ihrer Kleidung trug.​
»Nein! Die anderen haben sie für mich ausgewählt! Die Heldin von vor langer Zeit hat auch mit einem Speer gekämpft!«​
»Ach was? Na dann, gute Wahl!«​
Das Mädchen streckte stolz die Brust heraus und der Speerkämpfer antwortete ihm mit einem Lächeln. Sie war mit einer Magierin und einer Kriegerin in einer Gruppe und er dachte wirklich, dass ein Speer eine gute Wahl für sie war. Neben Knüppeln hatten Speere dem Menschen wohl schon am längsten als Waffen gedient. Außerdem hatte eine Heldin, die zu den Abenteurern gehörte, die vor über zehn Jahren das Labyrinth des Todes bezwungen hatten, auch einen Speer als Waffe gehabt.​
»Nun ja, die Heldin soll aber eine echte Schönheit gewesen sein.«​
Der Speerkämpfer grinste dreckig.​
»Wenn du weiterwächst, kann aus dir vielleicht noch eine richtige Frau werden. Vielleicht werden die Barden dann auch Lieder von dir singen.«​
»Pass auf, was du sagst!«Das Mädchen lehnte sich mit bösem Blick dem Mann entgegen.​
»Aus mir wird eine Legende, über die noch in hundert Jahren gesungen wird!«​
»Jaja, ich freue mich schon darauf, die Heldenlieder über dich zu hören.«​
Der Speerkämpfer reichte dem Mädchen eine Schale Eis, die er zuvor gekauft hatte. Sie riss freudig die Arme in die Höhe und begann sofort, glücklich die Süßspeise zu mampfen.​
»Und?«, fragte sie mit vollem Mund.​
»Du wolltest dich doch sicherlich nicht mit mir treffen, um über Gerüchte zu reden.«​
Der Speerkämpfer kratzte sich am Kopf.​
»Nun ja, es ist jetzt kein Notfall oder so, aber es geht eine faule Geschichte um.«​
»Eine faule Geschichte?«​
»In der Stadt im Grenzland wird jedes Jahr vom Tempel der Erdmutter Wein für das Erntefest hergestellt.«​
Das Mädchen legte verwirrt den Kopf schief, doch der Speerkämpfer fuhr einfach fort.​
»Und dieses Jahr ist die ganze Angelegenheit etwas seltsam ... Hast du von irgendwelchen Vorkommnissen an anderen Orten gehört?«​
»Ach ...«​
Der Speerkämpfer bemerkte nicht, wie das Mädchen leicht die Augen zusammenkniff. In dieser Welt gab es die Chance auf unendlich viele Abenteuer ... Das galt für jeden.​


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Edward Teach

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Kapitel 85
Eine Geschichte über die Schattenläufer der Hauptstadt


Wenn ein Schieber sagte, dass es ein einfacher Lauf werden würde, dann musste man vorsichtig sein, denn es bedeutete, dass die Aufgabe eilig, umständlich oder gefährlich war oder dass es Geldprobleme gab. Außerdem heuert man uns nicht an, wenn es eine einfache und sichere Aufgabe ist. Der junge Schurke dachte an das grinsende Gesicht seines Freundes, als er zum Seil griff und seine Füße gegen die Wand stemmte. Das hier war eigentlich ein Ort, in den er nur äußerst ungern einsteigen wollte.​
»A... Alles in Ordnung? Bin ich nicht zu schwer?«​
»Nein, gar kein Problem.«​
Eine liebliche Stimme kitzelte seinen Nacken, aber dies war kein Augenblick für Herzklopfen. Seine Magier-Kollegin klammerte sich gerade an ihm fest. Ihr weicher und leichter Körper schmiegte sich dabei an ihn. Meine Güte. Elfen haben es echt gut ... Der Schurke bekam kurz ein schlechtes Gewissen, weil er über den Körper seiner Partnerin sinnierte. Dabei hätte er sich eher darauf konzentrieren sollen, sich die Skizze, die der Informant ihm besorgt hatte, gedanklich vor Augen zu führen. Nachdem er nach ein wenig Kletterei das anvisierte Fenster erreicht hatte, klopfte er leicht auf die dünnen Arme um seinen Hals.​
»Es kann losgehen.«​
»Ja, überlass das mir«, sagte sie und streckte einen Arm aus, um etwas auf dem Fensterbrett zu platzieren.​
Es war eine kleine Larve, die aussah wie eine Mischung aus einer Raupe und einer Nacktschnecke. Sie flüsterte dem Wesen einige Worte zu und es begann sofort damit, sich durch den Putz zu fressen. Es handelte sich um die Larve eines Felsenfressers. Oft wurden Fenster mit Eisenstangen oder mit Magie versperrt, aber der Fensterrahmen wurde eigentlich immer übersehen. So war es auch diesmal und nach einer Weile konnte der Kundschafter das komplette Fenster aushebeln und in das Haus hineinschlüpfen. Er fand sich in einem Büro wieder, in dem Bücherregale, ein Tisch und halb ausgetrunkene Schnapsflaschen herumstanden. Auf dem Boden lag ein Teppich, in dem die Füße förmlich versanken. Es war ein Gefühl, an das sich der Kundschafter wohl nie gewöhnen würde. Der junge Läufer zog in einer flüssigen Bewegung die Repetierarmbrust, die in einem Halfter auf seinem Rücken befestigt war. Er kontrollierte, ob sie geladen war, und nahm dann eine Position ein, die es ihm erlaubte, seiner Partnerin Deckung zu geben. Alles lief routiniert ab, denn sie waren schon eine Weile ein Team.​
»Ich soll einfach herumsuchen, oder? Und wenn ich etwas Gutes finde, lassen wir es mitgehen. Im Austausch dafür lassen wir dann etwas hier.«​
»So ist es.«​
»Es wird nicht lange dauern.«​
Nach einem Einbruch schauten die Leute stets, was ihnen gestohlen worden war, aber niemand achtete darauf, dass auch etwas hinzugekommen sein könnte. Läufer erledigten alle möglichen Arten von Drecksarbeiten: Überfälle, Ausbrüche, Entführungen, Schmuggeleien, Ablenkungsmanöver und vieles mehr. Sie halfen verschiedensten Leuten auf die verschiedensten Arten. Sie taten etwas, weil jemand davon profitierte und sie Geld dafür erhielten. So einfach war es. Nichtsdestotrotz wurden sie manchmal zu Helden und bisweilen auch zu Bösewichten. Sie arbeiteten für jene, die dem Königreich und der Gilde der Abenteurer nicht trauten, und davon gab es nicht gerade wenige. Dabei durften sie allerdings nie aus den Augen verlieren, dass sie nichts weiter als die Spitze von etwas viel Größerem waren. Wer das vergaß, konnte das schnell mit seinem Leben bezahlen. Der Kundschafter begann, ein Lied zu summen, das gerade in der Stadt des Wassers beliebt war. Es handelte von einem Helden, der vornehmlich Goblins tötete. Was für ein bescheuertes Thema. Viele Läufer waren im Laufe der Zeit gestorben, weil sie unnötig neugierig gewesen waren oder sich zu viel vorgenommen hatten. Diese Gefahr bestand auch bei diesem Auftrag. Der Kundschafter wusste, dass viele andere Läufer in dieses Unterfangen involviert waren. Es hatte welche gegeben, die Informationen besorgt und die Lage ausgekundschaftet hatten, und sicher würde es auch welche geben, die nach getaner Arbeit hier aufräumen würden. Natürlich gab es jemanden, der aus dem Ganzen einen Nutzen zog, und vielleicht gab es auch Läufer, die ein Ablenkungsmanöver stattfinden ließen oder in eine Falle liefen. Das gehörte nun einmal dazu.​
Selbstverständlich musste jeder Läufer selbst entscheiden, ob er bei dem Ganzen mitspielte oder nicht, aber in der Regel lebten Auftraggeber und Schieber, die ihre Läufer ausnutzten, nicht sonderlich lange.​
Ich weiß, dass wir nur klein und unwichtig sind, aber pass bloß auf, dass du uns nicht unterschätzt! Dieser Satz stellte am besten die Position dar, die der Junge immer vor den Auftraggebern einnahm. Und der Typ ist niemand, der uns reinlegen würde. Der Junge musste an das Gesicht des Schieber denken, mit dem er befreundet war. Manchmal bot ihm dieser zwar gefährliche Aufträge an, aber verraten würde er ihn nicht.​
»Fertig.«​
»Hm. Gut«, erwiderte der Kundschafter seiner Kameradin.​
»Wir sollten schnell weg von hi. ..«​
Plötzlich flog die Tür des Raums auf. Der Kundschafter schoss ohne Umschweife seine Armbrust ab, doch die Bolzen prallten von einer Art Barriere ab.​
Die Magierin rief entsetzt:​
»Geschoss ablenken?!«​
»Verdammter Gygax! Dabei befinden wir uns hier in keiner Höhle!«​
Der Kundschafter zog das leere Magazin aus der Waffe und tauschte es gegen ein volles aus. Seine illegal eingesetzten magischen Augen konnten in der Dunkelheit einen Hünen erkennen.​
Ein Troll!​
Obwohl die Horden des Dämonenkönigs bezwungen worden waren, gab es in dieser Welt noch immer Überbleibsel seiner Truppen. Dunkelelfen, Untote und Vampire - eigentlich wollte der Kundschafter solchen Wesen nicht begegnen. Vor allem nicht denen, denen seine Bolzen nichts anhaben konnten und die ein Amulett gegen Geschosse um den Hals trugen.​
»TOOOORREOORRRRRR!!!!«
»Umbra ... Lupus ... Libero!«​
Doch der Junge war nicht allein. Die magischen Worte seiner Kameradin lösten die Fesseln einer magischen Bestie, die aus ihrem Schatten hervorsprang. Sie stürzte sich auf den Troll und riss ein Stück Fleisch heraus.​
»Wir fliehen!«​
»Ja!«​
Die Magierin zögerte keine Sekunde und der Kundschafter war froh über das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte. Sie hüpfte auf seinen Rücken und direkt darauf sprang er durch das Fenster in die Nacht. Ein Gefühl des Schwebens und dann der Aufprall. Das Mädchen unterdrückte einen Schrei und der Junge freute sich darüber, dass er seine Arme und Beine mit Flüchen hatte verstärken lassen. Es hatte sich gelohnt, dafür ein wenig von seiner Essenz zu opfern. Den Kletterhaken würde er nicht mehr zurückholen können, doch den würde er sich später erstatten lassen.​
»Ts! Tut mir leid, wir wurden erwischt!«, flüsterte die Elfe.​
»Kein Problem!«, gab der Junge zurück. Er war nach dem Aufprall gleich mit einem Satz nach vorne geschnellt und direkt darauf landete der Troll auch schon dort, wo sich die beiden gerade noch befunden hatten.​
»OOOOOLE!!!!«
Die Bestie hatte den Schattenwolf auseinandergerissen und nahm jetzt brüllend ihre Verfolgung auf. Noch immer war der Junge glücklich darüber, dass er nicht allein war.​
»Beeilung! Trödel nicht so!«​
»Gutes Timing!«​
Vor dem pompösen Gebäude stand eine Droschke mit zwei Rädern, vor die ein Pferd gespannt war und die von einem Kameraden gelenkt wurde.​
»Habt ihr Ärger?«​
»Im besten wie im schlimmsten Fall ein Kollege. Ich bitte dich.«​
Der Junge warf seine Kameradin locker auf den Wagen und ihr entkam ein »Ah?!«. Direkt darauf sprang der Kundschafter neben seinem Kameraden auf die Fahrerbank und das Gefährt fuhr los. Natürlich waren die beiden nicht die einzigen Fahrgäste. Es gab noch zwei weitere Passagiere: eine Person und ein Tier. Außerdem steuerte ein weiterer ihrer Kameraden die Droschke.​
»Hm, gut ... Fertig ... Das Amulett sollte jetzt kein Problem mehr darstellen.«​
»Ich habe die Wachen durch eine Illusion fort gelockt! Wir sollten mehr als genug Zeit haben!«​
Eine junge Priesterin des Gottes der Weisheit war in ihre Gebete vertieft und neben ihr befand sich ein Vertrauter einer Magierin. Der Kundschafter wusste nicht, warum eine Dienerin der Götter als Schurkin arbeitete, und als er sie gefragt hatte, hatte sie nur gelacht und gesagt:​
»O Dunkelheit, falle nicht über uns her.«​
Neben diesem Fakt verwirrte den Kundschafter auch, warum sich die andere Magiewirkerin nur in der Form eines Vertrauten zeigte. Er wusste nicht, wer sie war, doch sie tat ihre Arbeit zuverlässig, weshalb es keinen Grund für ihn gab, ihr zu misstrauen. Man musste nicht den ganzen Stammbaum von anderen kennen, um sie als Kameraden zu akzeptieren. Das galt sowohl für Priester als auch für Magier. Sie waren eine gute Gruppe. Zumindest in den Augen des Kundschafters.​
»Ich leg los! Renne herum, Kelpie, und komm herbei! Von der Erde in die Wälder und Flüsse! Von dem Meer bis hoch in den Himmel!«​
Der Fahrer rief die Naturgeister an und das Pferd - genauer gesagt das Wasserpferd -, das vor den Pferdewagen gespannt war, steuerte auf den Kanal zu, der quer durch die ganze Stadt verlief.​
»Dann muss ich jetzt auch meine Arbeit tun.«​
Ein Informant war für das Sammeln von nötigen Informationen zuständig, aber nahm nicht am Auftrag teil. Die Priesterin und die Magierin lieferten Rückendeckung. Der Naturgeistnutzer war für die Transportmittel zuständig. Der Einsatz selbst wurde dann von dem Kundschafter und der Magierin durchgeführt. Der Junge war eigentlich ein gewöhnlicher Kundschafter, aber sein Freund, der Schieber, hatte ihm gesagt, dass er eine einzigartige Persönlichkeit hatte, was ihn zufriedengestellt hatte. Was konnte ein besseres Lob sein, als dass man aus einem Haufen an Personen herausstach? Er wandte sich nach hinten um und erkannte, dass der Troll ihnen noch immer hinterherrannte. Der Kundschafter hielt sich mit einer Hand an der Fahrerbank fest und umklammerte mit der anderen die Repetierarmbrust.​
Papapapapamm!
Begleitet vom Klatschen der Sehne flogen die Bolzen durch die Luft und bohrten sich in das Monster. Natürlich konnte das der Bestie noch kein Ende setzen. Sie schaute nur genervt drein.​
»Das war's.«​
Der Kundschafter hatte plötzlich einen Zylinder in der anderen Hand und drückte den Auslöser. Feuersteine blitzten auf, eine kleine weiße Rauchwolke versperrte die Sicht und dann spritzte das Blut. Der Körper des Riesen fiel kopflos zu Boden und versank im Wasser.​
»Jetzt gibt es keine Zeugen mehr.«​
Der Kundschafter grinste frech und steckte die Armbrust in das Halfter. Kerle, die nur darauf achtgaben, wie viele Gegner sie mit wie vielen Geschossen besiegen konnten, waren Tölpel. Der Kundschafter konnte seinen Zylinder nur einmal einsetzen, doch mit ihm konnte er auf kurze Distanz auch dicke Rüstungen durchschlagen, was ihn zu einer kostbaren Trumpfkarte machte. Es war richtig gewesen, ihn hier zu verwenden. Der einzige Nachteil ist, dass er so teuer ist. Auch die Bolzen und der Kletterhaken hatten ihn einiges gekostet, aber in Relation zu seinem Leben war es das wohl wert. Nur hätte er sich gewünscht, dass sich die Gruppe die Ausgaben für Material teilen würde. Allerdings ist es die Aufgabe des Schiebers, mehr Geld vom Auftraggeber zu bekommen. Der Kundschafter hörte ein leichtes Klopfen hinter sich und als er sich umdrehte, sah er die Magierin lächeln. Er streckte seine Faust aus und sie schlug die ihrige dagegen.​
»Gut gemacht.«​
»Du aber auch.«​
Das Lachen der beiden verschwand im Plätschern des Wassers. So wie die Gruppe in der Dunkelheit der Nacht. Es war eine Nacht wie jede andere für die Läufer gewesen. Eine weitere Nacht, ein weiterer Lauf.​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 86
Eine Nachricht vom Auftraggeber


Menschen waren seltsame Wesen. Von jedem Wandel erwarteten sie sich stets eine große Umwälzung. Ein Beispiel: Wenn ein Mensch Abenteurer wurde, wollte er sofort an einem Abenteuer teilnehmen, das den Fortbestand der Welt sicherte. Wenn ein Mensch die Schwertkunst erlernte, dann wollte er am besten gleich zu einem weltberühmten Schwertkampfmeister werden. Als Magier wollte er die unbekannten Geheimnisse der Welt ergründen und als Barde zum Gespräch der Hauptstadt werden ...​
Natürlich sollte man sich über solche Fantasien nicht lustig machen, aber sie waren eben nichts weiter als Fantasien. Denn die Dinge änderten sich nicht einfach auf einen Schlag. Und die Priesterin, die mittlerweile schon ein wenig länger Abenteurerin war, wusste das eigentlich. Zumindest dachte sie das.​
»Hach ...«​
Trotzdem hoffte sie gerade wider besseres Wissen, dass sich die Lage einfach von selbst ändern würde. Schließlich hatte Goblin Slayer sich der Angelegenheit angenommen und viele andere Abenteurer unterstützten ihn. Allerdings waren jetzt schon einige Tage vergangen und noch nichts hatte sich geändert. Das Gerücht verbreitete sich weiterhin.​
Jeden Tag ging die Priesterin einmal von der Gilde zum Tempel und wieder zurück und mit jedem Tag fühlten sich ihre Schritte schwerer an. Tag für Tag erhöhte sich die Last auf ihren Schultern, weil sich nichts änderte. Als sie heute zum Tempel ging, um ihre Kameraden, die ebenjenen beschützten, zu besuchen, war alles wie immer. Die Elfe schlief noch, der Zwerg meldete keine besonderen Vorkommnisse und der Echsenmensch merkte an, dass es manchmal auch gut war, einige Tage nachzudenken. Auch die Schwester - die Nonne, die den Wein herstellte - hatte sie wie immer mit einem Lächeln begrüßt und verabschiedet. Sie wusste bereits von den Gerüchten über sich, aber sie ließ es sich nicht anmerken.​
»Hach ...«, seufzte die junge Abenteurerin erneut.​
Während ihre Kameraden unbezahlt den Tempel bewachten, war sie noch immer damit beschäftigt, Goblin Slayer zu begleiten. Es waren erst wenige Tage vergangen, seit sie mit dem Krieger den Treffpunkt der Schurken besucht hatte, aber es kam ihr wie Wochen vor. Das Aufstehen fiel ihr schwer und sie traute sich kaum, nachts die Augen zu schließen. Sie hatte Angst, Zeit zu verschwenden. Schließlich erreichte sie auch heute nach ihrem Besuch im Tempel wieder die Abenteurergilde.​
Und Goblin Slayer?​
Sie dachte darüber nach, was der Krieger wohl über die ganze Situation denken würde. Dann schüttelte sie den Kopf. Das sollte sie nicht tun. Goblin Slayer war der Anführer ihrer Gruppe und hatte sicherlich einen Plan. Doch war es in Ordnung, nichts weiter zu tun, als ihn zu begleiten? Hatte sie seit dem Tag, an dem sie Abenteurerin geworden war, überhaupt irgendeine Veränderung bewirkt? Die Priesterin biss sich fest auf die Unterlippe und drückte die Schwingtür der Gilde auf. Der morgendliche Lärm der Abenteurer schwappte ihr entgegen und drängte sie fast zurück.​
»Oh! Willkommen zurück!«​
Die Gildenangestellte, die gerade etwas an der Anmeldung erledigte, begrüßte die Priesterin zuerst. Sie wusste sicher auch von dem Gerücht, aber sprach sie bewusst nicht darauf an. Ihre Rücksichtnahme machte die Priesterin glücklich.​
»Ja«, entgegnete sie der Beamtin und lächelte gequält.​
»Goblin Slayer ist schon da.«​
»Ach, ja ... Ahm, auch heute …«..... wieder Goblin Aufträge?
Die Priesterin schaffte es nicht, den gesamten Satz zu sagen. Stattdessen wandte sie ihren Blick dem Wartebereich zu. Ihr Kamerad stach aus dem Gewimmel an Abenteurern, die nach einem Auftrag Ausschau hielten, heraus. Er saß an seinem typischen Platz. Die junge Abenteurerin steuerte auf ihn zu und wurde währenddessen von allen möglichen Abenteurern angesprochen. »Hey«​
»Hallo«​
»Heute wieder Goblins?«​
»Viel Erfolg«...​
In den über zwei Jahren als Abenteurerin hatte sie, die vorher nichts als den Tempel der Erdmutter gekannt hatte, nun Beziehungen zu vielen anderen aufgebaut. Sie verbeugte sich beim Laufen vor den Kollegen und entgegnete immer wieder:​
»Guten Morgen.«​
Sie mochte als Neuling vielleicht eine hoffnungsvolle Kollegin gewesen sein, aber konnte sie jetzt auf einer Stufe neben den anderen Abenteurern stehen? Hatte sie es geschafft? Während sie sich mit diesen Gedanken plagte, kam sie dem Krieger näher.​
»Wir haben es echt geschafft, mit der Erzbischöfin zu reden!«, hörte die Priesterin die Ritterin im Vorbeigehen rufen.​
»Ich dachte eigentlich, dass wir sofort an der Tür weggeschickt werden würden«, gab der Panzerkrieger zurück und wunderte sich mal wieder, ob seine Kameradin wirklich eine Dienerin des Erhabenen Gottes war.​
Diese bemerkte das aber nicht und redete freudig weiter.​
»Wenn wir mit Geschichten über Goblins gekommen wären, wäre das kein Wunder gewesen, aber ich war töricht, an der Erzbischöfin zu zweifeln.«​
»Ach, ist das so?«, antwortete der Panzerkrieger locker auf die Aussage.​
Wirklich entscheidend an der ganzen Situation war, dass sie auf ein Abenteuer gestoßen waren, das ihnen vielleicht Geld einbringen könnte. Auch wenn Geld nicht alles war, war es zweifelsohne wichtig. Es erlaubte ihnen, sich um die zwei jungen Abenteurer zu kümmern, die bei der Anmeldung bezüglich ihres Alters gelogen hatten und deshalb gerade nicht aufsteigen konnten, und Proviant und Ausrüstung zu besorgen. Außerdem konnte man mit genügend Geld sogar ein Wunder wirken lassen, das einen im Fall der Fälle von den Toten zurückholen konnte. Der Panzerkrieger verstand nicht, warum manche Menschen sagten, dass die Stärke von Geld darin lag, mit ihm sparsam umzugehen, denn er war der Meinung, dass man es zwar wertschätzen, aber auch einsetzen sollte, wenn man damit Probleme vermeiden konnte. Vielleicht sollte ich trotzdem im Tempel des Gottes des Handels ein Opfer darbringen. Obwohl er nicht sonderlich an die Götter glaubte, schoss dem Panzerkrieger kurz dieser Gedanke durch den Kopf, bevor er sich anderen Abenteurern zuwandte.​
»Wie ist es bei dir gelaufen?«​
»Das war ein Schuss in den Ofen.«​
Locker winkend kam der Speerkämpfer angelaufen. Weil er flink unterwegs war, war er schneller als die anderen zurückgekehrt. Hinter ihm folgte die Hexe und rauchte, wobei nicht klar war, ob sie zuhörte oder nicht.​
»Ich hab eine Kollegin gefragt, die sich mit Stadtabenteuern abgibt, aber sie hatte keine passenden Informationen für mich.«​
»Ach so.«​
»Und sowieso sind wir eher Spezialisten für die Jagd auf Monster. Arbeit wie diese passt nicht zu uns.«​
»Hi... hi ...«​
Die Hexe konnte nicht anders und musste über die leicht arrogante Aussage ihres Kollegen lachen.​
»Ja, natürlich«, erwiderte die Ritterin.​
»Jeder von uns ist für gewisse Aufgaben eher geeignet als für andere.«​
»Hmpf«, brummte der Panzerkrieger.​
»Manchmal sagst du ganz schön tiefsinnige Dinge.«​
»Du Idiot, meine Worte sind immer so tief wie der Ozean!«​
»Ach, ist das so?«​
Die Ritterin ignorierte die herablassende Antwort des Panzerkriegers und fuhr stattdessen mit dem vorherigen Thema fort.​
»Jemand, der glaubt, alles allein schaffen zu können, ist ein Tor, der die wahre Bedeutung der Dinge nicht kennt.«​
»Oho!«​
Der Speerkämpfer grinste breit.​
»Das klingt wie eine Predigt. Muss das so früh am Morgen sein?«​
Auch wenn der Abenteurer-Veteran es so sagte, hatte er gerade nichts Besseres zu tun. Er wartete darauf, dass die neuen Aufträge ausgehängt wurden, und außerdem konnte er nirgends die Gildenangestellte sehen.​
»Ja, es ist eine Predigt!«​
»Und was ist, wenn ich kein Interesse habe, Frau Ritterin?«​
»Was wäre, wenn es jemanden gäbe, der mit einem Schwertstreich Himmel und Erde spalten und finstere Gottheiten besiegen kann, aber für ewig auf dem Bronze- Rang bleibt, weil ihm das alles zu mühsam ist?«​
»Gibt es so jemanden?«​
»Stell es dir einfach vor.«​
Der Speerkämpfer hatte Probleme, sich das alles auszumalen, doch er nickte einfach. Nichtsdestotrotz mochte er Helden aus Märchengeschichten ein wenig bodenständiger.​
»Gut und jetzt denk darüber nach, dass sich andere um seine Kleidung, sein Essen, seine Unterkunft und alles kümmern müssen.«​
»Natürlich macht das seine Geliebte oder sein Geliebter. Und dann sind da auch noch die Eltern ...«​
Wegen seines dummen Kommentars verpasste die Hexe ihm einen Tritt gegen das Schienbein. Das tat weh, aber der Kämpfer war immerhin ausreichend abgehärtet, um nicht laut aufzuschreien.​
»Oh, das stimmt«, gab die Ritterin zurück und ignorierte den Vorfall mit dem Tritt vollkommen.​
»Wer von sich behauptet, sich um alles allein zu kümmern, nimmt den Mund auf jeden Fall zu voll.«​
»Ja ... aber sagt man ... nicht auch ...«, meldete sich die Hexe und drehte ihre Pfeife zwischen den Fingern.​
»Um Wein ... herzustellen ... braucht man das richtige ... Tempo ... Und wenn ... die Sternbilder sich ändern ... kann sich ... der Geschmack ... des Weins ... ändern ...«​
Weiterführte sie aus, dass die Fülle der göttlichen Brust und ihre Form ebenfalls ein prägender Faktor seien.​
Die Ritterin nickte als Antwort auf die Worte der Hexe und rief:​
»Ganz genau.«​
Selbst die Götter brauchten Unterstützung und es war lächerlich zu glauben, dass einer von ihnen allmächtig war. Die Ritterin war aber noch lange nicht fertig mit ihrer Predigt.​
»Wenn man etwas nicht allein schaffen kann, muss man sich halt auf andere verlassen und ihnen Aufgaben anvertrauen!«​
»Anvertrauen nennst du das also, wenn du uns Dinge aufzwingst«, warf der Panzerkrieger ein und holte die Ritterin damit von ihrem hohen Ross herunter.​
»Sowieso ist egal, ob es ein Gott oder ein Teufel ist, ihre Kraft gehört ihnen allein. Sie können sie nach Belieben einsetzen.«​
»Aber man sagt doch, dass große Kraft auch große Verantwortung mit sich bringt ...«​
»Wenn jemand die Welt rettet, dann bin ich ihm dankbar. Das Gleiche gilt aber auch für jemanden, der Bauer ist. Für uns, die sich mit Dämonen prügeln wollen, gilt es genauso. Die Sache ist ganz simpel.«​
»Aber warte ...«​
Während die Ritterin ihm zu widersprechen versuchte, kniff der Panzerkrieger kurz die Augen zu und machte dann ein resigniertes Gesicht. Im Anschluss sagte er: »Bevor du hier herum predigst, wäre es besser, wenn du dir abgewöhnst, die Panzerhandschuhe anzuziehen, bevor du dir den Helm aufsetzt. Sonst muss dir jedes Mal jemand mit deinen Haaren helfen.«​
»Hngh!«​
Der Panzerkrieger hatte einen kritischen Treffer gelandet und die Ritterin grummelte erst, bevor sie sich zu wehren versuchte.​
»D... Das ist doch egal! Das macht doch keine große Mühe, oder?!«​
»Das mag sein, aber du kannst deine Probleme doch nicht immer zu denen anderer machen.«​
Während der Panzerkrieger mit den Schultern zuckte, biss die Ritterin knirschend die Zähne zusammen. Der Speerkämpfer blickte die beiden abwechselnd an. Die Hexe begann zu lachen.​
»Ich will doch eigentlich nur sagen, dass ein Held nur ein Held sein kann, wenn er dazu fähig ist, diese Unterscheidung vorzunehmen.«​
»Ich versteh nicht genau, was du damit meinst.«​
Im Prinzip hat diese Unterhaltung keinen Sinn. Es ist nur belangloses Gerede, dachte die Hexe und hörte der Ritterin und dem Panzerkrieger nicht weiter bei ihrem Streit zu. Die Welt war groß und bestand aus vielem, das man nicht sehen konnte. Selbst an den unvorstellbarsten Orten regten sich Dinge und um mehr darüber zu lernen, hatte sie sich der Kunst der Magie hingegeben. Doch auch wenn man mehr vom großen Ganzen verstand, war es wichtig, nicht zu vergessen, dass man nur ein kleiner Teil dieses Ganzen war, und sich darauf zu konzentrieren, was man tun konnte. Und dann ….​
»Was ... wird wohl ... daraus ... werden «​
Dieses Abenteuer würde sicherlich aufregend werden.​
»Ä ... Ähm, guten Morgen, Goblin Slayer ...«​
Die Priesterin näherte sich mit trappelndem Schritt und der Krieger antwortete mit nichts weiter als einem »Ja«.​
Es war typisch für Goblin Slayer, dass er morgens als einer der Ersten in die Gilde kam, aber erst als einer der Letzten Aufträge annahm. Die meisten Abenteurer hatten sich schon daran gewöhnt, dass er, einer leblosen Rüstung ähnelnd, im Wartebereich saß. Anfänger waren davon meist noch überrascht, aber auch für sie wurde sein Anblick schnell zur Gewohnheit.​
Er war ein Abenteurer, der sich auf das Erledigen von Goblins spezialisiert hatte, und auch wenn er seit einiger Zeit mit einer Gruppe unterwegs war, war er gerade nur mit einem jungen Mädchen vor Ort. Die Elfe, der Zwerg und der Echsenmensch waren die letzten Tage nicht zu sehen gewesen.​
»Gehen wir heute Goblins bekämpfen?«, fragte die Priesterin vorsichtig und setzte sich neben ihren Kollegen.​
Sie war jetzt schon fast drei Jahre mit dem Krieger unterwegs, doch war das eine lange Zeit? Es lag wohl im Auge des Betrachters. »Ja«, erwiderte Goblin Slayer emotionslos.​
»Aber erst beobachten wir die Lage ein wenig.«​
»Jawohl.«​
Die Priesterin nickte und die beiden schwiegen im Folgenden. Immer wieder schwappten die Unterhaltungen anderer Abenteurer zu ihnen hinüber und füllten den Raum. Dennoch empfand die Priesterin eine unangenehme Stille. Sie rutschte unruhig umher.​
»... Ahm ...«​
»Was ist?«​
»S... Sollten wir nicht ... etwas unternehmen?«​
Während sie diese Worte sprach, schaute die junge Abenteurerin peinlich berührt zu Boden. Ihr war selbst nicht bewusst, warum sie sich schämte. Lag es vielleicht daran, dass ihre Frage so ungenau gewesen war und sie sich wie ein Nichtsnutz vorkam?​
»Ich habe schon etwas unternommen«, gab der Krieger brummelnd zurück.​
»Hä?!«​
Verwirrt schaute die Priesterin zu ihrem Kameraden. Sie sah aus wie ein Kind, das gerade einen Klaps gegen die Stirn bekommen hatte.​
»Ich habe es zwar selbst nie gemacht, aber wenn man Rehe jagt, sollte man sich besser nicht bewegen.«​
»Rehe...«​
»Man muss dafür sorgen, dass das Reh einen für einen Baum oder einen Stein am Wegesrand hält. Dann muss man nur noch einen Pfeil abschießen.«​
»Hach!«​
Die Priesterin stieß ein Seufzen aus, das zu gleichen Teilen bewundernd und resignierend klang. Dann legte sie einen Zeigefinger an ihr Kinn.​
»Du weißt wirklich viele Dinge ...«​
»Das ist reiner Zufall«, stritt Goblin Slayer ab. »Ich bin kein richtiger Waldläufer, Späher oder Krieger.«​
»Aber du weißt dennoch viele Dinge«, entgegnete die Priesterin.​
»Du weißt viel und bedenkst vieles ... Das ist unfair.«​
»Ist das so?«​
»Ja, das ist so.«​
»Ach so ...«​
Es war unklar, ob er ihr zugestimmt hatte oder nicht. Nachdem sie eine Weile seinen Eisenhelm angestarrt hatte, fragte die Priesterin:​
»Werde ich irgendwann auch so viele Dinge wissen?«​
»Das weiß ich nicht.«​
»Du weißt es nicht?«​
»Ich habe mich noch nie für besonders intelligent gehalten. Wie soll ich es also wissen?«​
Die Priesterin blies beleidigt die Backen auf und setzte sich gerade hin.​
»Hmpf, dann werde ich halt lernen.«​
Die junge Abenteurerin wusste, dass sie gerade klang wie ein Kind, aber es fühlte sich gut an, das auszusprechen.​
»Ich werde ganz viel lernen, trainieren ... und mich anstrengen.«​
»Ist das so?«, antwortete Goblin Slayer.​
»Das ist gut.«​
»Ja.«​
Die beiden verfielen erneut in Schweigen und die Gespräche der anderen Abenteurer hüllten sie wieder ein. Sie waren bedeutungslos. Genauso wie auch die Konversation der beiden gerade. Doch bald würden die Aufträge ausgehängt werden.​
»Nun gut! Ich werde die neuen Aufträge jetzt aushängen!«​
Die Abenteurer jubelten und stürmten zur Anschlagtafel. Dort hingen einfache und schwierige Aufträge, doch die meisten von ihnen würden angenommen werden, denn alle Abenteurer brauchten Geld, um über die Runden zu kommen.​
»Hey, sieh dort!«​
»Was? Der Tempel der Erdmutter soll beschützt werden?«​
Als die Priesterin diese Worte vernahm, zitterte sie leicht.​
»Ich hab Gerüchte gehört, dass Halunken es auf ihn abgesehen haben.«​
»Nein, sie sollen doch Hilfe vom Tempel des Erhabenen Gottes erhalten.«​
»Ist doch egal, es gibt Geld dafür!«​
»Es heißt, dass man anderen nicht hilft, um anderen zu helfen, sondern um gutes Karma zu sammeln.«​
Während sie eigensinniges Zeug redeten, schnappten sich die Abenteurer Aufträge. Die Priesterin schaute ihnen dabei zu und fragte sich, wer von ihnen wohl zur Verbreitung des Gerüchts über ihre Schwester beigetragen hatte. Auch wenn ihr diese Gedanken auf das Gemüt schlugen, konnte sie sie nicht abschütteln. Genau in diesem Moment fasste ein junger Mann seinen Mut zusammen und trat mit festem Schritt an Goblin Slayer und die Priesterin heran.​
»...?«​
Er schaute erst der Priesterin ins Gesicht und blickte dann zu dem Krieger. Für einen Moment fragte er sich, ob in der Rüstung wirklich jemand steckte, und sein ganzer Körper verspannte sich.​
»Ist irgendwas?«, fragte Goblin Slayer.​
»Ja.«Die Stimme des jungen Manns überschlug sich. Er atmete tief durch und räusperte sich dann.​
»Bitte. Es ist ein dringender Auftrag ... Könntet ihr mir helfen?«​
Es war der Sohn des Spirituosenhändlers aus der Stadt des Wassers.​
***
»Goblins?«​
»Nein ... Nun ja, schon ...«​
Die Priesterin musterte den jungen Mann, der undeutlich sprach. Dass er der Sohn des Spirituosenhändlers aus der Stadt des Wassers war, war für sie von großer Bedeutung. Sie wollte etwas sagen ...​
Aber was?​
Sollte sie ihm Vorwürfe machen oder ihn kühl abweisen? Sollte sie wütend werden, schreien und ihn wegstoßen? Es war klar, dass das üble Gerücht von seinem Vater ausgegangen war. Natürlich bräuchte sie dafür noch Beweise, aber ...​
Der jungen Abenteurerin wirbelte ein Strom an Gedanken durch den Kopf. Es waren nichts weiter als Vorwürfe und Hirngespinste, aber weil eine Person, die ihr wichtig war, Opfer der Gerüchte war, konnte sie nicht anders.​
Das ist aber kein Grund, warum ich mich nicht an ihnen rächen sollte ... Langsam machte sich dieser Gedanke in der jungen Abenteurerin breit. Ihre Schwester sollte die Tochter eines Goblins sein? Sie hatten diese Lüge in Umlauf gebracht und mussten jetzt die Konsequenzen dafür tragen. Warum sollte sie sich jetzt zurückhalten müssen? Warum gerade jetzt? Jedes Insekt ist besser als du! Entschuldige dich! Und kümmere dich dann um dein eigenes Problem!​
Es wäre verständlich gewesen, wenn sie so reagiert hätte, denn dafür hätte sie sich nur ihren Gefühlen hingeben müssen. Allerdings verbot ihr Glaube ihr, so zu reagieren. Es war ihre Aufgabe, anderen zu helfen und ihnen zur Seite zu stehen. Das war die Überzeugung, mit der sie die letzten siebzehn Jahre aufgewachsen war. Natürlich glaubte sie nicht, dass man jedem einfach vergeben musste, aber gedankenlos laut zu werden war dann auch zu viel ...​
Wie peinlich ...
Die Klerikerin atmete tief ein und aus und ließ damit die dunkle, schwere, klebrige Hitze, die in ihrer Brust festgesessen hatte, wieder frei.​
»Ich ...«​
Die Priesterin zögerte noch einmal kurz.​
»Ich wäre einverstanden, mir das Anliegen anzuhören ...«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayers Worte klangen wie immer, aber aus irgendeinem Grund war dieser Umstand für die Priesterin nur schwer erträglich.​
»Dann werden wir dir zuhören, passt es hier?«​
»Ähm ...«​
Erst jetzt schien der junge Mann das Symbol zu erkennen, das die Priesterin bei sich trug. Er schien ein schlechtes Gewissen zu bekommen und kratzte sich an der Wange. Weil die anderen Abenteurer sich gerade auf die neuen Aufträge konzentrierten, beachtete wohl keiner die drei, aber dennoch konnte ihr Gespräch hier von vielen mitangehört werden.​
»Wahrscheinlich sollte ich mich jetzt nicht so sehr um den Ruf der Familie kümmern, aber falls möglich, würde ich ein Besprechungszimmer vorziehen.«​
»In Ordnung, antwortete Goblin Slayer und blickte zur Anmeldung.​
Die Gildenangestellte schien mehr als genug mit den Abenteurern zu tun zu haben, aber ohne ihre Erlaubnis war es nicht möglich, eines der Zimmer zu nutzen.​
»Ach ...«​
Sein Blick traf den der Inspektorin, die gerade mit Unterlagen in der Hand in der Nähe der Gilden Angestellten stand. Als sie die Mappe zuschlug, zeigte sich jedoch, dass sie tatsächlich ein Buch hinter den Unterlagen versteckt hatte. Sie grinste den Krieger an. Dieser nutzte die Chance und zeigte erst auf das Obergeschoss und dann auf den Händlersohn. Die Inspektorin nickte und hielt sich einen Zeigefinger vor die Lippen. Anscheinend war es okay, dass sie einen Besprechungsraum nutzten, wenn sie im Austausch dafür geheim hielten, dass sie während der Arbeit ein Buch gelesen hatte.​
»Wir gehen.«​
»Ja ...«​
Der Krieger ging los und der Sohn des Spirituosenhändlers folgte ihm zögernd.​
»...«​
Die Priesterin biss sich fest auf die Unterlippe, festigte den Griff um ihren Stab und lief den beiden hinterher. Nachdem sie über die Treppe das Obergeschoss erreicht hatten, gingen sie einen Gang entlang und erreichten so den Büroteil der Gilde. Die Priesterin war hier bisher nur hergekommen, um Rangaufstiegsinterviews zu führen, und war deshalb ein wenig nervös.​
Nein ...
Das war nichts weiter als eine Ausrede und das wusste die Priesterin. Sie kam gerade gar nicht damit hinterher, die Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen. Nichtsdestotrotz hatte sie sich entschieden, sich das Anliegen anzuhören.​
Sie betraten eines der Besprechungszimmer, in dem einige Trophäen aufgereiht waren. Edelsteine, Orden, Schriften von großartigen Erfolgen, prächtige Monsterschädel und Hörner und vieles mehr.​
Wahrscheinlich sollten sie bei Auftraggebern Eindruck schinden, aber als die Priesterin dort auch einen groben Eisenhammer sah, fühlte sie sich ein wenig stolz. Dieses Gefühl gab ihr etwas Mut, bevor sie sich auf eine Bank setzte. Ihr gegenüber ließ sich der Händlersohn und neben ihr Goblin Slayer nieder. Die junge Abenteurerin konnte spüren, wie die Bank unter dem Gewicht des Kriegers knirschte.​
»Dann erklär uns dein Anliegen.«​
Nach einer kurzen Vorstellung forderte Goblin Slayer den jungen Mann auf, sein Anliegen vorzutragen. Etwas beruhigter musterte die Priesterin den Besucher und bemerkte, dass er wahrscheinlich um die zwanzig Jahre alt war. Er sah aus, als würde er einen gesunden Lebensstil pflegen, und trug äußerst stilvolle Kleidung. Sicherlich arbeitete er schon daran, irgendwann in die Fußstapfen seines Vaters treten zu können. Weil sie nicht das Wunder Lügen erkennen einsetzen konnte, gab die junge Abenteurerin sich Mühe, seine Gestik und Mimik zu beobachten.​
»Mein Vater ist einen Vertrag mit Anhängern des Chaos eingegangen ...«​
***
»Das Verhalten meines Vaters kam mir in letzter Zeit komisch vor. Obwohl das Geschäft, soweit ich informiert war, gut lief, schien er immer irgendwie verzweifelt und als dann die Gerüchte über den Tempel der Erdmutter im Umlauf waren, hat er frech die Chance genutzt. Das Geschäft eines Händlers ist kompliziert und aus chaotischen Umständen kann man häufig Gewinn schlagen, aber für den eigenen Profit andere Leute ins Unglück zu stürzen, gehört sich nicht. Mein Vater jedoch hat über meine Einwände nur gelacht. Dabei war er früher immer ernst und aufrichtig. Ich habe ihm schon von klein auf immer bei der Arbeit über die Schulter geschaut und der Geruch von Alkohol an seiner Kleidung war für mich immer ... Nein, das ist jetzt nicht das Thema ... Jedenfalls wirkte mein Vater enorm verzweifelt. Und das, obwohl das Unternehmen gut zu laufen schien. Er hatte vorgehabt, das Geschäft zu erweitern, und in diesem Moment hat das Chaos Zugang zu seinem Leben erhalten. Er hat sich wohl Sorgen gemacht, ob die Erweiterung des Geschäfts wie erwartet mehr Geld einbringen würde, und sich deshalb mit Anhängern des Chaos verbunden. Er beteiligte sich an ihrem Plan und hoffte, daraus Profit schlagen zu können. Eine lächerliche Geschichte, nicht wahr? Es ist doch seltsam, wenn man sich reinlegen lässt und trotzdem glaubt, dass man verbündet sei. Als Händler ist gegenseitiger Profit ein Ideal, das der Gerechtigkeit und Nächstenliebe gleicht. Natürlich möchte ich damit nicht sagen, dass wir immer rechtschaffen waren. Wir haben hin und wieder auch Läufer beauftragt, um Dinge für uns zu erledigen. Schließlich sind sie dafür bekannt, dass sie diskret Probleme lösen ... Aber nun ja, ich bin wieder vom Thema abgekommen.​
Mein Vater war jedenfalls der Meinung, dass er vorsichtig vorging, und sammelte Beweismittel, um im Fall der Fälle alles auffliegen lassen zu können. Es war eine Art Absicherung, mit der er verhindern wollte, dass die Anhänger des Chaos ihn betrügen.​
Natürlich ist sein Plan fehlgeschlagen und vor einigen Tagen ist ein Dieb in das Anwesen des Hauptmanns der Wache eingebrochen. Das ist schon einmal passiert, aber damals wurden nur eine Pfeife und etwas Medizin gestohlen. Diesmal war es aber anders. Der Einbrecher war ein Troll.​
Er hat das Zimmer des Hauptmanns verwüstet und ist dann geflohen. Anscheinend wurde er dann von Abenteurern erledigt, die ihn zufällig trafen. Nun ja, der Troll hat aber aus irgendwelchen Gründen im Zimmer des Hauptmanns den Vertrag, den mein Vater mit den Anhängen des Chaos geschlossen hatte, fallen lassen. Die Wache ist dann sofort an die Arbeit gegangen und hat die Fahndung eingeleitet. Mein Vater wurde festgenommen und wird dem Ruin wohl nicht mehr entgehen können. Ich bin aber verschont worden, weil mithilfe von Lügen erkennen bewiesen wurde, dass ich keine Ahnung von all dem hatte. Damit war ich aber noch nicht aus dem Schneider, denn die Anhänger des Chaos wussten, dass ihr Plan gescheitert war, und vor einigen Tagen hat einer unserer Bediensteten Spuren hinter unserem Anwesen gefunden. Es waren ohne Zweifel Goblin Fußabdrücke.«​
***
Während der Schilderungen des Sohns des Spirituosenhändlers hatten die beiden Abenteurer geschwiegen. Auch ohne Lügen erkennen wusste die Priesterin, dass der junge Mann die Wahrheit sagte. Sie dachte kurz daran, dass es auch Wege gab, um das Wunder zu täuschen, doch sie wollte diese böse Stimme in sich nicht akzeptieren.​
»Ich verstehe, so sind sie also vorgegangen.«​
Während die Priesterin noch mit ihren Gefühlen kämpfte, hatte der Krieger bereits das Wort ergriffen.​
»Wie?«​
Die Priesterin blickte überrascht zu ihrem Kameraden, doch er machte keine Anstalten, auf ihre Verwunderung zu reagieren.​
»Und die Gilde?«​
»Ich habe mich bereits an die Zweigstelle in der Stadt des Wassers gewandt, doch dort gab es niemanden, der den Auftrag annehmen wollte.«​
Der Sohn des Händlers kratzte sich beschämt über die Wange.​
»Nicht, weil es ein Goblin Auftrag ist, sondern weil ich der Sohn von jemandem bin, der sich mit dem Chaos verbündet hat.«​
»Aber das ...«​
Die Priesterin hatte den Mund geöffnet, doch schloss ihn wieder.​
Das habt ihr verdient. Selbst schuld. Nein, nein, nein! Nein! Nein!
Sie durfte diese Worte auf keinen Fall aussprechen. Sie festigte den Griff um ihren Stab.​
»Aber sie haben noch nicht angegriffen?«​
»Der Diener, der die Spuren gefunden hat, hat in jungen Jahren gegen die Horden des Chaos gekämpft und sich deshalb darum gekümmert, dass Wachen aufgestellt wurden. Sie haben die Goblins abgeschreckt.«​
Goblin Slayer brummte ein »Hrmpf«als Antwort, was der junge Mann als Aufforderung zum Weiterreden auffasste.​
»Wir haben noch einige Schutzleute, die für uns arbeiten, aber die meisten haben leider nach dem Vorfall gekündigt. Deren Ausrüstung haben wir an Bedienstete weitergegeben, die jetzt Wache halten. Außerdem haben wir einige Vogelscheuchen mithilfe von Ausrüstung als Wachen verkleidet.«​
»Ihr habt euch etwas Zeit verschafft, aber mehr nicht.«​
»Ja ... Deshalb ging ich zum Tempel des Rechts. Nicht, um mich aus der Affäre zu ziehen, sondern ...«​
... um um Hilfe zu bitten. Doch weil die Ereignisse gezeigt hatten, dass das Chaos aktiv geworden war, hatte der Tempel längst alle Leute, die er entbehren konnte, entsandt, um den Tempel der Erdmutter zu schützen. Von daher hatten sie keine Zeit, sich auch um das Vertreiben von Goblins zu kümmern. Vor allem nicht, wenn es darum ging, den Sohn eines Ketzers zu retten.​
»Aber die älteste Tochter eines Adligen, mit dem wir vertraut sind, arbeitet gerade als freie Händlerin mit dem Tempel zusammen und durch ihre Hilfe bekam ich eine Audienz bei der Erzbischöfin. Sie hat sich dann mein Anliegen angehört und ...«​
Zum ersten Mal während ihres Treffens legte sich ein Lächeln auf die Lippen des Händlersohns.​
»Und da komme ich ins Spiel?«, hakte Goblin Slayer nach.​
»Ja. Sie meinte, dass es in der Stadt im Grenzland im Westen einen Abenteurer gäbe, der auf das Töten von Goblins spezialisiert sei.«​
Die Priesterin konnte sich gut vorstellen, wie die ehemalige Fechterin und die Jungfrau des Schwertes wohl bei dem Wort Goblin geschaut hatten. Die beiden hatten, wie sie selbst auch, schwierige Erfahrungen mit Goblins gemacht und die Priesterin spürte ein Stechen in der Brust.​
»Ich werde versuchen, mich darum zu kümmern.«​
»Du nimmst an?!«​
Der Priesterin schossen diese Worte über die Lippen und sie klang dabei schärfer und tadelnder als beabsichtigt. Reflexartig schlug sie sich die Hände auf den Mund, aber damit konnte sie das Ausgesprochene nicht mehr zurücknehmen.​
»Ich habe keinen Grund, abzulehnen.«​
»Aber ...«​
Aber was? Sollte sie ihm sagen, dass er ablehnen sollte? Am liebsten hätte sie sich zusammengekauert und die Ohren zugehalten, aber auch so würde sie nicht die Worte ihres bösen Ichs zurückhalten können. Goblin Slayer schien es egal zu sein, dass seine Kameradin vollkommen bleich im Gesicht war und zitterte, denn er antwortete:​
»Um wen es auch geht und warum es auch passiert, Goblins zu töten ist immer eine gute Sache.«​
»Ach ...«​
Die Priesterin schaute verwirrt zu dem Helm ihres Kameraden, doch natürlich konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Gleichzeitig hatte sie aber das Gefühl, er könne bis in ihr Herz schauen. Reflexartig wandte sie ihren Blick ab. Sie wusste, dass er recht hatte. Sie sollte ihren Blick nicht abwenden, wenn jemand Unrecht erfuhr, weil sein Vater nicht rechtens gehandelt hatte. Das wäre so, als würde man ein Mädchen auslachen, weil seine Mutter von Goblins verschleppt und geschändet worden war. So etwas würden nur Goblins tun.​
»Hast du eine Karte von eurem Anwesen? Ich würde mir gern schon jetzt ein Bild davon machen.«​
»Ah, ja!«, erwiderte der Sohn des Spirituosenhändlers. Er konnte noch nicht wirklich glauben, dass ihm jemand helfen wollte. Er nickte mehrfach und ergriff Goblin Slayers Hand im groben Lederhandschuh.​
»Nimmst du den Auftrag wirklich an?!«​
»Ich werde tun, was ich kann.«​
»Es tut mir leid und danke! Sag mir, was du brauchst, und ich werde versuchen, es zu besorgen!«​
Die Priesterin hatte das Gefühl, als würde Goblin Slayer zu sich selbst murmeln, dass die Unterhaltung damit einfacher geworden war, doch es ging in der Situation unter wie eine Welle im Meer. Damit nahmen die Dinge ihren Lauf. Er würde die Goblins zurückschlagen und sie dabei alle töten. Es würde sein wie immer und auch wenn es viele Dinge zu bedenken gab, gab es keinen Grund zur Sorge.​
Abenteuer machen Spaß ...​
Der Krieger empfand es als lästig, wenn man selbst nichts tun konnte und einfach herumsitzen und warten musste. Er wollte in die Lage eingreifen und sie verändern und die Arbeit nicht anderen überlassen.​
... aber ich sollte nichts tun, was ich nicht gewohnt bin.
Unter seinem Helm verzog sich Goblin Slayers Mund zu einem Lächeln. Vielleicht war es eine Frage der Gewohnheit, jedoch ...​
Diese Art von Aufgabe passt besser zu mir als ein Stadtabenteuer. »Ach so«, sagte Goblin Slayer, nachdem seine Hand endlich losgelassen wurde. Ihm war etwas eingefallen.​
»Es gab noch die Sache mit dem Hof außerhalb der Stadt.«​
»Hm? Ach. Stimmt. Ich hab ihn gesehen. Ich glaube, mein Vater wollte ihn kaufen.«​
»Was denkst du?«​
»Was ich denke?«Der Sohn des Händlers legte die Arme zusammen und schaute nachdenklich an die Decke. Das Vieh war gut umsorgt, gesund und wohlgenährt gewesen. Auf den weiten grünen Feldern konnte es gut grasen. Das große Gelände war durch Hecken und Steinmauern abgegrenzt und man erkannte auf den ersten Blick, dass es gut gepflegt war.​
»Es ist ein guter Hof.«​
»Das denke ich auch«, erwiderte Goblin Slayer.​
Jetzt galt es nur noch eine Sache zu klären. Er schaute zur Priesterin und auch wenn sie zu Boden schaute, bemerkte sie den Blick des Kriegers. Sie zuckte kurz zusammen, doch Goblin Slayer ignorierte das und stellte ihr eine Frage.​
»Kommst du oder kommst du nicht? Mach, wie du willst.«​
***
»Und du hast gesagt, dass du mitgehst?«​
»Ja ...«​
»Du bist echt ein hoffnungsloser Fall.«​
»Mach dich bitte nicht noch über mich lustig ...«​
»Tut mir leid!«, sagte die Elfe und wedelte mit einer Hand in der Luft.​
Vor den Toren des Tempels der Erdmutter wimmelte es nur so von Abenteurern. Sie alle waren wegen eines Auftrags hier, der von niemand Geringerem als der Erzbischöfin aus dem Tempel des Erhabenen Gottes in der Stadt des Wassers stammte. Der Tempel sollte vor Anhängern des Chaos beschützt werden. Die Belohnung war gut und es würde eine bedeutsame Leistung sein. Außerdem konnte man im Namen der Gerechtigkeit ordentlich auf den Putz hauen, weshalb viele Abenteurer den Auftrag angenommen hatten. Der Anblick der Abenteurer mit ihrer unterschiedlichen Ausrüstung sorgte dafür, dass die Auszubildenden des Tempels ein Funkeln in den Augen hatten, während sie zwischen den Besuchern umher zischten, um sich um sie zu kümmern.​
Vielleicht hätte es gleich so gemacht werden sollen, dachte die Priesterin, während sie an die Zeit zurückdachte, als sie nur die Abenteurer gekannt hatte, die zur Heilung in den Tempel kamen oder in ihren Büchern auftauchten.​
Sie wandte den Blick von dem Zwerg und dem Echsenmenschen, die gerade irgendetwas mit Goblin Slayer besprachen, ab und dachte darüber nach, dass sie noch nichts in diesem Fall geleistet hatte. Sie war zu nichts fähig und deshalb war es wohl besser, sich keine schwierigen Gedanken zu machen und alles einer fähigeren Person zu überlassen.​
»Das stimmt sicher nicht.«​
»Wie?«​
Die glockenartige Stimme der Elfe blies diesen düsteren Gedankengang davon.​
»Man macht einfach das, was man kann, und was man nicht kann, macht man nicht. Mehr ist es nicht.«​
»Ist es wirklich so?«​
Die Priesterin war noch immer niedergeschlagen und sie zweifelte daran, ob sie überhaupt etwas leisten konnte, ohne eine der Personen zu sein, die oben im Himmel am Tisch aus Sternen saßen.​
»Meine Güte ...«​
»Ah ... Hä?!«​
Die Elfe schnipste der Priesterin vor die Nase und diese fuhr erschrocken hoch.​
»Du hast uns gebeten, hier aufzupassen, und es sind keine Gegner aufgetaucht. Das ist doch ein großer Erfolg, oder nicht?«​
»Ja, ich bin damit nicht unzufrieden, aber ...«​
Die Priesterin fasste sich an die Nase.​
»Aber ist es so in Ordnung?«​
»Wenn niemand während eines Auftrags zu Schaden kommt, dann ist das doch toll! Ihr Menschen habt so ein kurzes Leben, aber achtet dann nicht darauf, was wirklich wichtig ist!«​
Die Elfe zuckte mit den Schultern und schüttelte resigniert den Kopf. Sie übertrieb in ihren Bewegungen ein wenig, aber sah dabei noch immer anmutig aus. Dann kniff sie wie eine freche Katze die Augen zusammen.​
»Ich muss aber sagen, dass das als Abenteuer fürchterlich langweilig war. Dazu kommt, dass wir jetzt wieder Goblins vertreiben gehen. Orcbolg ist mir danach echt was schuldig!«​
»Ja«, erwiderte die Priesterin und schielte zu den Abenteurern, die hier versammelt waren.​
Es waren viele Anfänger darunter, die noch nie gegen etwas anderes als Riesenratten und Goblins gekämpft hatten.​
»Schwert ist in Ordnung! Knüppel ist in Ordnung! Kopfschutz und Rüstung sind in Ordnung! Fackeln ... brauchen wir nicht, oder?«​
»Es stört auch nicht, welche dabeizuhaben. Und pass auf, die Tränke nicht fallen zu lassen. Die zerbrechen sonst.«​
»Ich hab sie mit Bändern festgemacht, es wird schon nichts passieren. Dreh dich mal um. Ich überprüfe dich.«​
Die Priesterin erblickte den Krieger-Anfänger und die Heilige in Ausbildung. Nein, die beiden hatten diese Titel längst abgelegt, denn sie hatten sich in den Bergen ihre Hörner abgestoßen. Sie machten langsam, aber sicher Fortschritte.​
»Oje, oje. Seid ihr etwa auch alle zum Arbeiten hergekommen?«, fragte plötzlich eine Gestalt die Priesterin. Es war die Hasenmensch-Jägerin, die jetzt ein festes Mitglied der Gruppe der jungen Abenteurer war. Sie grinste vergnügt und klopfte mit ihrer Pfote immer wieder auf den Boden. »Ich hab hier bisher kaum Bekannte, daher würde es mich beruhigen, euch dabeizuhaben ... Ich bitte kurz um Entschuldigung.«​
Die Jägerin zog ein paar Nüsse aus ihrer Tasche und stopfte sich damit die Backen voll. Hasenmenschen konnten sich mit genügend Proviant nahezu endlos fortbewegen, doch ohne Essen gingen sie schnell ein. Die Priesterin fand es seltsam beruhigend, der Jägerin beim Kauen zuzuschauen, doch erkannte dann, dass sie sich ständig durchs Fell fuhr und dabei immer wieder Büschel aus weißem Haar verlor.​
»Wow. Das sind viele Haare ...«​
»Das ist der Fellwechsel. Abseits der Berge ist es echt warm und dann passiert das. Mich juckt es überall.«​
Als sie genauer hinschaute, erkannte die Priesterin, dass das weiße Fell der Jägerin hier und dort bräunlich geworden war.​
Ach so, bald ist ja auch schon Sommer ...​
Die Priesterin hatte in letzter Zeit über solche Dinge überhaupt nicht nachgedacht. Sie schaute hoch zum Himmel. Von dort schien die Sonne blendend hell auf sie herab.​
»Hi hi hi!«​
Die Elfe kicherte und streckte stolz ihre Brust heraus.​
»Wir gehen jetzt auf ein Abenteuer. Es ist aber nur ein Goblin Auftrag.«​
»Ach, wirklich? Wie schade. Aber vielleicht haben wir bald mal wieder Gelegenheit, zusammen einen Auftrag zu erledigen.«​
Die Worte der Jägerin klangen zu gleichen Teilen wie die eines Mädchens und wie die eines Jungen. Die Priesterin wusste nicht genau, wie ernst sie gemeint waren, aber sie fühlte sich danach etwas entspannter. Irgendwie ist das doch ganz simpel ...​
»Hey, komm mal her! Ich kontrolliere deine Ausrüstung!«​
»Aye, aye.«​
Die Jägerin lachte und wollte zu ihren Kameraden rennen, aber hielt dann noch einmal kurz inne.​
»Ach so, eine Schwester hat dich gesucht.«​
»Wie?«​
Die Priesterin wusste nicht, was sie antworten sollte. Eigentlich war sie doch die Person gewesen, die sie als Erstes hätte treffen sollen.​
Die Jägerin bemerkte das Zögern ihres Gegenübers aber nicht und rannte mit einem »Bis denn«los.​
Die Elfe seufzte verzweifelt und wackelte mit den Ohren.​
»Na, dann geh schnell los. Ich muss auch noch etwas erledigen.«Die Waldläuferin gab der Priesterin einen Klaps auf den Rücken und ging dann mit lockeren Schritten an einigen Abenteurern vorbei. Es war eine Gruppe, die von einem Axtkämpfer mit Smaragd-Abzeichen angeführt wurde. Ihre weiteren Mitglieder waren eine Hexenmeisterin mit einem alten Mantel und ein älterer Mönch mit zerrissener Robe. Die Hexenmeisterin blätterte gerade in einem Zauberbuch und wiederholte murmelnd einige Formeln. Wahrscheinlich versuchte sie verzweifelt, sich die Sprüche für den heutigen Tag einzuprägen. Sie schnalzte aufgrund des Lärms in der Umgebung immer wieder mit der Zunge. Den Gruppenführer schien das aber nicht im Geringsten zu stören, denn er sprach die Elfe mit lauter Stimme an.​
»Hey. Eure Gruppe war bisher hier, oder? Bleibt ihr auch weiterhin vor Ort?«​
»Nein.«Die Elfe lächelte überlegen.​
»Wir gehen jetzt auf ein Abenteuer.«​
»Dann haben wir ab jetzt also den höchsten Rang.«​
Der Axtkämpfer seufzte, als wäre ihm das alles zu lästig.​
»Na gut, dann verlassen wir uns darauf, dass ihr euch um die Angelegenheit kümmert.«​
»Ja, macht das ruhig. Es scheint ja keine allzu schwere Aufgabe zu werden.«​
Die Priesterin drehte der Unterhaltung den Rücken zu und betrat den Tempel. Während sie immer wieder Bekannte grüßte, ging sie tiefer und tiefer in das Gebäude hinein. Der Weg zu ihrem Ziel war zu lang, um an überhaupt nichts zu denken, und zu kurz, um ihre Gefühle zu ordnen. In ihrem Kopf tobte ein Sturm aus sinnlosen Gedanken, der sich langsam in alle Richtungen zerstreute. Unterschiedliche Personen hatten ihr unterschiedliche Ratschläge gegeben und taten jetzt an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Dinge.​
Doch was soll ich tun?
Die Welt war unheimlich komplex und es gab viele Dinge, die man nicht verstehen konnte. Ein Leben reichte nicht aus, um genug über sie zu lernen. Und wenn diese Welt nur eine Bühne war, dann war das, was sich hinter dem Vorhang befand, noch viel größer. Aber war das hier überhaupt die Bühne ... ... oder befinden wir uns vielleicht doch hinter den Kulissen? Und was sollte sie hier überhaupt erreichen? Sie war doch nur ein kleines Mädchen, das zufällig die Stimme einer Göttin gehört hatte. Sie war eine von vielen Priesterinnen in dieser Welt und auch wenn sie schon so einige Abenteuer hinter sich gebracht hatte und an ihnen gewachsen war, bedeutete das nichts. Auf dem Spielbrett der Welt war sie doch sicherlich noch nicht einmal ein Feld nach vorne gerückt.​
Was willst du bitte aus eigener Kraft erreichen können?
Obwohl sich ihre Stimmung eigentlich etwas verbessert hatte, ging es mit ihr jetzt wieder bergab. Mit schweren Schritten ging sie tiefer in den Tempel hinein. Zu gern wäre sie jetzt in Tränen ausgebrochen, doch sie biss sich auf die Unterlippe und ging weiter, als plötzlich ...​
»Meine Güte, was hast du denn? Du siehst aber schlimm aus.«​
»Ah ...«​
Vor der jungen Abenteurerin stand die Schwester, nach der sie gesucht hatte. Auf ihrem Gesicht trug sie ein Lächeln, so strahlend wie die Sonne. Sie streckte ihre Hand aus und legte sie an die Wange der Priesterin. Diese dachte, dass sie sie streicheln würde, aber ...​
»Hwah?!«​
... stattdessen kniff sie fest in sie hinein. Die Priesterin wollte jetzt aus einem ganz anderen Grund schreien. Die Schwester zog zuerst ihren Kopf von links nach rechts und dann von oben nach unten und lachte dabei. Erst als sie merkte, dass die Priesterin vor Wut bebte, ließ sie diese los und zuckte mit den Schultern.​
»Lächeln, du musst lächeln. Eine Priesterin darf nur so ein Gesicht machen, wenn die Welt untergeht, oder?«​
»A... Aber das tat weh ...«​
»Deine Laune ist aber nicht mehr so schlecht, oder?«​
Die Abenteurerin hatte eigentlich wütend auf ihre Schwester losgehen wollen, aber gegen ihr Lächeln war sie wehrlos.​
Mensch!
All ihre Sorgen waren plötzlich verschwunden und sie wusste nicht mehr, was sie ihr hatte sagen wollen. Stattdessen stellte sie die erste Frage, die ihr in den Sinn kam.​
»Was bist du denn so fröhlich?«​
»Ja, warum eigentlich?«​
Die Schwester schien ihre eigenen Gefühle nicht zu verstehen. Sie setzte sich unflätig neben einen Korb mit Wäsche auf ein Fass. Sie ließ leicht ihre Beine baumeln und schaute nach draußen in den Himmel.​
»Bestimmt, weil ich es weiß.«​
»Was weißt du?«​
»Pass auf.«​
Die Schwester zwinkerte der Priesterin zu.​
»Ich weiß, dass ich nicht die Tochter eines Goblins bin, und deswegen kann es mir egal sein, wenn die sich das Maul zerreißen. Die haben doch eh keine Ahnung, wovon sie reden. Man kann sich sorgen, ärgern oder weinen, aber man kriegt noch immer Hunger, wenn man nichts isst, und man muss noch immer kichern, wenn man gekitzelt wird. Deshalb sollte man einfach glücklich sein.«​
»...«​
Die Priesterin verstand es nicht, aber auch ohne es zu verstehen, dachte sie, dass es eine einfache Sache war. Schließlich hatte ihre Schwester es ihr so häufig vorgelebt. Jene beugte sich nach vorne und ihr Gesicht kam dem der Priesterin sehr nahe. Diese musste daraufhin den Atem anhalten, während sie in die schönen Augen der Schwester schaute.​
»Die Lehre der Erdmutter. Sag mir, was am wichtigsten ist.«​
»Jawohl. Beschützen, Heilen und Unterrichten«, gab die Priesterin sofort zurück.​
»Ganz genau.«​
Die Schwester gab ein Lachen, das aus tiefstem Herzen kam, von sich. »Wenn du nicht weiterweißt, dann halte dich einfach daran. Es ist egal, was andere sagen. Wir haben die Erdmutter auf unserer Seite.«​
»Jawohl.«​
Die Priesterin nickte.​
»Jawohl!«​
Die Priesterin nickte noch einmal kräftiger.​
»Geh einfach deinen Weg!«​
»Ja, ich werde bald wieder da sein.«​
Nachdem sie selbstbewusst geantwortet hatte, lief die Priesterin los, nur um sich noch einmal umzudrehen und sich tief zu verbeugen. Dabei hielt sie ihre Kopfbedeckung fest, damit sie nicht zu Boden fiel.​
»Ahm ... Vielen Dank!«​
»Nein, ich habe dir zu danken.«​
Nachdem sie sich erneut verbeugt hatte, ging die Priesterin davon. Sie sorgte sich noch immer über einige Dinge, doch das war jetzt egal. Sie wusste, was sie zu tun hatte, denn sie hatte es schon mehrfach getan. Vielleicht war es nur so, dass sie sich einfach daran gewöhnt hatte, aber sicher könnte man diesen Weg auch als Pfad des Glaubens bezeichnen.​



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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 87
Verteidigung und Angriff


»Bartschneider, du hast dich wirklich sehr zurückgehalten, was?«​
Über das Knirschen und Poltern der Räder schallte die scherzende Stimme des Zwerges hinweg. Goblin Slayer saß zusammen mit seinen anderen Kameraden auf der Ladefläche eines Pferdewagens und hatte dort seine Sachen ausgebreitet. Nach einer kurzen Denkpause antwortete er in gewohnt nüchternem Ton:​
»Hrmpf... Es war ein notwendiges Übel.«​
Es war nicht klar, ob er die Anspielung des Zwergs verstanden hatte, aber der Schamane machte sich nichts daraus und schaute nach draußen. Er bewunderte die vorbeiziehende Landschaft, gönnte sich einen Schluck Alkohol und rülpste.​
»Ich hatte gedacht, dass du gleich zum Sturmangriff ansetzen würdest, wenn du das Gerücht über eine Goblin Tochter hörst.«​
»Sie stammt von Personen mit brauner Haut ab.«​
Der Krieger schaute dem Zwerg direkt ins Gesicht,​
»Und der Auftraggeber ist der Sohn eines Spirituosenhändlers. Er ist kein Goblin.«​
Der Zwerg lachte laut auf und auch die Priesterin neben ihm musste ein wenig lächeln. Die Elfe hingegen zuckte nur resigniert mit den Schultern.​
»Und am Ende ist es dann aber doch nur ein normaler Goblin Auftrag. Mit dir wird es echt nie langweilig, Orcbolg.«​
»Ist das so?«​
»Das war sarkastisch gemeint.«​
»Ach so ...«​
Der Krieger machte sich wieder an die Arbeit und zerstampfte eine schwarze Substanz in einem Mörser. Die Elfe, die sonst immer neugierig über seine Schulter schaute, schnüffelte kurz und verzog angewidert das Gesicht. Der Zwerg fand das alles äußerst amüsant und gönnte sich einen weiteren Schluck.​
»Am Ende ist ein Abenteuer auch nur wie ein Knüppel.«​
»Ein Knüppel?«, fragte die Priesterin.​
»Genau.«​
Der Schamane strich sich durch den Bart. Mit seiner Aussage hatte er auch das Interesse des Echsenmenschen, der sich im Liegen ausruhte, geweckt.​
»Und was soll das bedeuten?«​
»Egal, wo und wann es Probleme auf der Welt gibt, man kann sie lösen, indem man draufhaut. Bis dahin muss man sie einfach stapeln und sortieren.«​
»Seit der Entstehung der Welt gab es nur wenige Probleme, die vollkommen gewaltfrei gelöst werden konnten.«​
»Ist das wirklich so?«, fragte die Priesterin lächelnd.​
»Natürlich sollte man die Dinge nicht zu sehr verallgemeinern, aber meist kommt nach dem Sammeln von Informationen das Aufstellen eines Kriegsplans und dann ...«​
»... muss man am Ende rein stürmen!«​
Der Zwerg und der Echsenmensch schauten sich an und begannen vergnügt zu lachen. Die tiefen Stimmen brachten die Plane zum Beben und die Priesterin entschuldigte sich verlegen beim Kutscher für das Verhalten ihrer Kameraden. Nichtsdestotrotz hatte ihr Herz gerade einen Sprung gemacht.​
Weil wir wieder unterwegs sind?
Es war nicht so, als wäre sie nie ohne die anderen unterwegs gewesen, und wahrscheinlich verbrachte sie mehr Tage ohne sie als mit ihnen, aber irgendwie fühlte sie sich in Begleitung aller wohler. Während die anderen sich fröhlich weiter unterhielten, schaute sie noch immer ein wenig verlegen drein.​
»Also wirklich ...«, murmelte sie und versuchte damit ihre Scham zu verstecken.​
»Deswegen sag ich immer, dass der Zwerg und der Echsenmensch eine Schraube locker haben ... Kümmer dich nicht um die!«, sagte die Elfe und streckte ihren Kopf aus dem Wagen hervor.​
»Hey, ich kann dahinten etwas sehen. Ist es das Anwesen?«​
Goblin Slayer streckte ebenfalls seinen Kopf nach draußen und schaute in die gleiche Richtung wie die Elfe.​
Ich verstehe. Das ist es also.​
Auf einem Hügel, der von dichten Sträuchern umgeben war, stand ein Anwesen. Es war ein neues und prächtiges Gebäude, das bewies, dass das Spirituosengeschäft tatsächlich gut gelaufen sein musste. Goblin Slayer stieß ein Brummen aus und fragte:​
»Was denkst du?«​
»Ist darauf zu antworten jetzt meine Aufgabe? Na gut ...«​
Die Elfe kniff ihre Augen zusammen und zuckte mit den Ohren.​
»Im Westen bauen sie ihre Trauben an und im Osten ist ein Fluss.«​
»Ein Fluss?«​
»Ich kann das Wasser hören.«​
Die Elfe antwortete, als würde sie überhaupt nicht verstehen, was die dumme Nachfrage sollte. Goblin Slayer schnaufte kurz aus und holte eine Karte des Anwesens heraus. Er studierte sie und erkannte, dass sich im Osten tatsächlich ein Fluss befand. Es handelte sich um einen Flussarm des Stroms, auf dem sie zuvor von der Stadt des Wassers zur Heimat der Elfe gereist waren.​
»Dann werden sie wohl von Westen kommen...«​
Während er die Karte studierte, sah er in den Augenwinkeln, wie die Elfe ihren Kopf zurück in den Wagen zog. Anscheinend betrachtete sie diesen Teil des Abenteuers wirklich nicht als ihre Aufgabe. Später würde sie Augen und Ohren der Gruppe sein, aber jetzt wollte sie nicht zu viel über die ganze Situation nachdenken.​
»Könnten wir die Reben als eine Art Befestigung verwenden?«​
»Befestigung?«​
Weil sie sich gedanklich noch nicht komplett auf das Abenteuer eingelassen hatte, verstand sie nicht sofort, was der Krieger von ihr wollte.​
»Ach, eine Befestigung ... Goblins sind aber nicht sonderlich groß. Braucht es das dann überhaupt?«​
»Ja.«​
Die Äste der Weinreben waren dünn und um die Erntearbeiten zu erleichtern, waren sie mit Abstand zueinander angepflanzt worden.​
Wie die Zähne eines Kamms, dachte Goblin Slayer. Wenn man die Goblins auf einen bestimmten Weg lockte, würden sie diesem sicherlich folgen. »Feuer können wir nicht einsetzen, oder?«​
Die Kameraden des Kriegers antworteten sofort mit Aussagen wie​
»Auf keinen Fall!«und »Das geht gar nicht!«, weshalb er die Idee schnell verwarf und sich wieder auf die vorbeiziehende Landschaft konzentrierte.​
Er erkannte humanoide Schatten, die aus der Entfernung erst wie Wachen oder Diener wirkten, aber tatsächlich die mit Ausrüstung ausgestatteten Vogelscheuchen waren. Goblin Slayer erkannte, dass sie hastig aufgestellt worden waren, und auch wenn sie fürs Erste ihren Dienst taten, würden sie die Goblins nicht ewig abschrecken können. Der Krieger war sich relativ sicher, dass die Goblins am frühen Abend angreifen würden. So wie sie es immer taten. Und wenn sie ihren Angriff erst einmal begonnen hatten, konnten sie sich eine Niederlage überhaupt nicht mehr vorstellen. Dies war tatsächlich eine Eigenschaft, die sich viele Abenteurer mit Goblins teilten.​
***
»Es tut mir leid. Vielen Dank, dass ihr hergekommen seid!«​
Als die Gruppe vom Wagen stieg, wurde sie vom Sohn des Händlers begrüßt. Er führte die Abenteurer über das Anwesen und das Bild, das sich ihnen dabei bot, war ein anderes als das in ihren Vorstellungen.​
»Hmpf...«​
»Das ist ... ja was ...«​
Goblin Slayer blieb brummend stehen und auch der Zwerg machte halt und murmelte vor sich hin. Durch den gepflegten Garten führte ein Pfad zu einer schweren Eichentür. Im Gegensatz dazu wirkte der Eingangsbereich des Haupthauses wie eine Kathedrale. Der Bau war allerdings alles andere als prächtig. überall schauten Baumaterialien und Gerüst Teile heraus und die Wände waren an vielen Stellen nur zur Hälfte mit Malereien verziert worden. Die Einrichtung des Hauses stand in vielen verschiedenen Ecken verdeckt von Tüchern, um sie vor Staub zu schützen. Die Priesterin war sich nicht sicher, ob das Gebäude als Ruine oder mitten im Umbau zu bezeichnen war.​
»Wird hier etwa gerade umgebaut?«, fragte die junge Abenteurerin, nachdem sie einen Moment mit sich gerungen hatte.​
»Damit man sich nicht das Maul über uns zerreißt, haben wir versucht, den Schein zu wahren. Mein Vater hatte einem Handwerker den Auftrag zum Umbau des Anwesens erteilt, aber der ist weggelaufen.«​
»Pah ... Das ist echt übel.«​
Bei dem herumliegenden Material handelte es sich nicht um unbehandelte Hölzer und Gesteine, sondern um Bauholz und Backsteine, das Fachgebiet der Zwerge. Der Schamane verzog das Gesicht und fühlte sich wahrscheinlich wie ein Elf, der einen brutal abgeholzten Wald sah.​
»Was für eine Schande, ein so schönes Anwesen in so einem Zustand zu lassen.«​
»Aber in diesem Fall ist es gut«, sagte Goblin Slayer zufrieden und berührte die Wand.​
»Wir können hier einen Durchbruch schlagen. So kommen wir leicht rein und raus.«​
»Soll das hier eine Art Festung werden?«, fragte der Zwerg halb resignierend und halb scherzend und mit weit aufgerissenen Augen.​
»Nein.«Goblin Slayer schüttelte den Kopf.​
»Eine Nebenburg.«​
»Hm ... Das ist eine Standardtaktik bei Abwehrkämpfen«, antwortete der Echsenmensch und legte seine Hände zu einer mysteriösen Geste zusammen.​
Er gehörte einem Volk mit viel Kriegserfahrung an und wurde immer gesprächig, wenn es um Schlachten ging. Er wackelte mit seinem Schwanz und ließ mehrfach seine Zunge aus der Schnauze hervorschnellen.​
»Wir kennen die Beweggründe der Diener des Chaos nicht, aber es wird sicherlich um Bestrafung oder Vergeltung gehen.«​
»Der Verstand der Goblins reicht zum Glück nicht für andere Dinge aus.«​
»Vielleicht nicht der der kleinen Teufel, aber wir wissen nicht, wer sie befehligt. Wir sollten uns zumindest Gedanken darüber machen, was sie vorhaben könnten.«​
»Hm ...«Goblin Slayer dachte nach. Es musste um etwas gehen, das die Biester hier finden konnten.​
»Trauben? Alkohol? Das Gebäude?«​
»Es wäre sicherlich gut für sie, wenn sie ihre Vorräte hier aufstocken könnten, aber das wird nicht ihr Hauptziel sein.«​
»Ist es vielleicht die Stadt des Wassers? Soll das Anwesen zu einer Art Brückenkopf werden?«​
»Das wird wohl eines ihrer Ziele sein, aber vielleicht planen sie auch einen Angriff aus verschiedenen Richtungen und ...«​
Die beiden Abenteurer waren gut mit dem Thema vertraut und tauschten sich über die verschiedenen Möglichkeiten aus. Die Priesterin hatte zwar Schwierigkeiten, der Unterhaltung zu folgen, aber sie sah es als gute Möglichkeit, um so einiges zu lernen. Wenn ich aber etwas zu sagen habe, sollte ich es sagen.​
»Ähem ...«​
Mit einem niedlichen Räuspern machte die Priesterin auf sich aufmerksam. Alle Blicke legten sich auf sie und auch wenn das dafür sorgte, dass sie ganz rot im Gesicht wurde, ließ sie sich nicht beirren.​
»Sollten wir unsere Pläne nicht mit dem Auftraggeber besprechen?«​
»Hmpf ...«, brummte der Krieger.​
»Das stimmt wohl«, gab der Echsenmensch zurück und verdrehte die Augen.​
Die Elfe, die bis gerade nicht richtig zugehört hatte, biss nun die Zähne zusammen und versuchte so zu verhindern, dass sie laut loslachte. Weil ihre Kameraden wie gewohnt reagierten, musste die Priesterin lächeln, was wiederum dazu führte, dass der Schamane seufzte und sich dem Auftraggeber zuwandte.​
»Würde das in Ordnung gehen ... mein Herr?«​
»Uns soll es nicht stören«, antwortete statt des Händlersohns eine andere Person. Ihre Stimme klang wie das Singen einer Bogensehne und gehörte einer älteren Frau.​
Sie trug edle, aber auch nicht besonders prächtige Kleidung in gedeckten Farben. Ihre grauen Haare waren hochgebunden. Sie war in ihrer Jugend sicher wunderschön gewesen, doch auch jetzt, wo sie kräftigen Schrittes die Treppe herabstieg, besaß sie mit ihrem schlanken Körper eine gewisse Eleganz. Bei ihrem Anblick hielt die Priesterin den Atem an und richtete sich auf. Die Frau schien dieses Verhalten als selbstverständlich hinzunehmen.​
»Unserer Familie ist nichts weiter geblieben als unser Name und alles andere ist trivial und belanglos.«​
»Mutter ...«​
»Halt den Mund.«​
Nachdem sie ihren Sohn mit Nachdruck zum Schweigen gebracht hatte, musterte die Mutter die Abenteurer mit scharfem Blick.​
»Unsere Familie mag gerade am Boden liegen, aber wir stehen immer wieder auf.«​
Dass sie so etwas in dieser Lage noch sagen konnte, zeigte ihre Entschlossenheit. So was nennt man wohl Stil, oder? Die Priesterin musste an die Worte denken, die sie im Unterschlupf der Schurken gehört hatte, und auch wenn sie diese nicht in vollem Ausmaß verstand, begriff sie zumindest das Konzept dahinter.​
»Wie beim Handeln verlange ich von euch im Kampf eine Leistung, die eurer Belohnung entspricht.«​
Die Mutter machte eine elegante Verbeugung und ging dann mit flüssigen Bewegungen zurück ins Obergeschoss.​
»Menschen sind echt spannend«, sagte die Elfe grinsend. I​
n ihren Worten schwang ein gewisser Respekt mit.​
»Ich bin immerhin älter als sie, da muss ich der Kleinen wohl mal beweisen, wie großartig ich bin.«​
»Ich bin allerdings viel jünger ...«, entgegnete die Priesterin und dachte sich, dass sie sich deshalb keine peinlichen Patzer leisten konnte.​
Sie hatte ihnen mitgeteilt, dass sie eine der Belohnung angemessene Leistung erwartete, und hatte ihnen so auf ihre eigene Art ihr Vertrauen zugesichert. Egal, ob die Münzen von Dorfbewohnern verzweifelt zusammengekratzt worden waren oder sie aus der Schatzkammer eines Händlers stammten, ihr Wert war der gleiche. Väter, Mütter, Kinder, Freunde und Arbeit. So sah der Alltag der meisten Leute aus, oder? Diese Frage stellte sich die Priesterin. Oder vielleicht war sie auch an die Erdmutter im Himmel gerichtet?​
»Nun ja, wir sollten die Einzelheiten Orcbolg überlassen«, sagte die Elfe zu ihrer jungen Kameradin.​
»Ich werde mich darauf konzentrieren, Pfeile zu verschießen.«​
»Red keinen Unfug, Langohr. Wir alle werden mehr als genug zu tun haben und da wirst du Amboss nicht einfach tatenlos rumstehen können.«​
»Wie bitte?!«​
Die Elfe fuhr sofort wieder aus ihrer Haut, aber der Schamane ignorierte das und wandte sich stattdessen an den Sohn des Händlers.​
»Also gibt es keine Einwände gegen unser geplantes Vorgehen?«​
»Meine Mutter hat ihr Einverständnis gegeben.«​
Der junge Mann lächelte verlegen.​
»Selbst wenn ich wollte, könnte ich jetzt nicht mehr widersprechen.«​
»Dann steht es also fest«, erwiderte Goblin Slayer und entwickelte den Plan sofort in seinem Kopf weiter.​
Sie alle waren hier und in seiner Tasche hatte er nützliche Dinge. Er war für das alles dankbar.​
»Ich überlasse dir die Entscheidung, welche Wände wir durchschlagen und welche stehen bleiben.«​
»In Ordnung, damit haben wir mehr als genug zu tun.«​
Der Schamane wandte sich der Waldläuferin zu.​
»Und wir haben nur einen Amboss.«​
»Was zum..?!«​
Die Elfe begann, wild mit ihren Fäusten in der Luft herumzufuchteln, und ein wilder Streit brach aus. Dieses Verhalten war typisch für die beiden, aber die Priesterin hatte das Gefühl, als wäre der letzte Krach schon lange her. Während sie darüber nachdachte, wie sie den Streit schlichten könnte, ergriff Goblin Slayer das Wort.​
»Ich möchte die restlichen Diener, Baumaterial und Werkzeug nutzen. Die Unkosten, die entstehen, kannst du gerne von unserer Belohnung abziehen.«​
»Einverstanden. Es sind nicht viele geblieben, aber denen, die noch hier sind, kann man vertrauen.«​
Die Worte des Händlersohns klangen kritisch, aber dann musste er lachen. »Setzt mich und alles andere hier nach eurem Belieben ein. Ihr seid schließlich vom Fach, oder?«​
»So sagt man es.«​
Er war der Goblintöter. So wurde er nun schon seit einigen Jahren genannt. Kaum jemand hatte sich so lange auf die Jagd von Goblins konzentriert wie er. Du bist ein Idiot und hast kein Glück, daher überdenke dein Vorgehen immer gut, hatte sein Meister ihn regelmäßig eingebläut.​
»Zeig mir den Ort, wo die Fußspuren der Goblins gefunden wurden. Ich möchte sie überprüfen.«​
»Sehr wohl. Bitte folgt mir.«​
Endlich war die Zeit gekommen, um aktiv zu werden. Alle machten sich an ihre Aufgaben, denn sie hatten nur wenig Zeit. Sie waren wenige und der Gegner weit in der Überzahl. Die Bedingungen waren schlecht, aber Goblin Slayer dachte sich nicht allzu viel dabei. Schließlich war es immer so. Haushälter, Köche, Gärtner und andere Bedienstete rannten umher und kümmerten sich dabei nicht um ihre eigentlichen Aufgaben, sondern erledigten die Dinge, die jetzt getan werden mussten. Arbeitsgeräusche hallten durch das leere Anwesen und erfüllten es wieder mit Leben. Hätte kein Angriff bevorgestanden, wäre das ein freudiges Ereignis gewesen.​
»Das hier sind die Fußspuren.«​
Ein betagter Bediensteter, der anstelle eines Krückstocks einen alten Speer bei sich hatte, hatte Goblin Slayer zu der Stelle geführt. Als er bemerkte, wie Goblin Slayer ihn musterte, klopfte er gegen sein Holzbein und sagte mit einem Lächeln:​
»Das Bein hier wurde mir von dem Zauber eines Dämons weggeblasen. Nichtsdestotrotz gaben der Herr und die Herrin des Hauses mir Arbeit. Ich wäre kein echter Mann, wenn ich mich dafür nicht erkenntlich zeigen würde.«​
»Ist das so?«, erwiderte der Krieger und ging in der Nähe der Spuren in die Knie.​
Sie befanden sich am Ende eines Weges, der durch die Weinreben führte und in der Nähe des Hauses endete. Einige herabgefallene Blätter verdeckten die Spuren leicht, doch sie waren noch immer gut zu erkennen. Goblin Slayer zählte und untersuchte sie und kam zu dem Schluss, dass es nicht so viele Goblins waren wie im Frühling vor zwei Jahren.​
»Habt ihr hier an jedem Morgen neue Spuren gefunden?«​
»Zuerst schon, aber seitdem wir die Vogelscheuchen aufgestellt haben, bleiben die kleinen Teufel auf Distanz.«​
»Nichtsdestotrotz ist es so schlimm, dass ihr Abenteurer rufen musstet.«​
»So ist es.«​
Der alte Bedienstete verzog sein Gesicht.​
»Derzeit sind es nur Späher, aber wenn man sie verärgert, greifen sie mit ihrer ganzen Horde an.«​
»Ja.«​
Für Goblins waren andere Wesen nichts weiter als Gestalten, die sie überfallen und ausrauben konnten. Wenn sich ihnen allerdings jemand in den Weg stellte, rasteten sie aus und griffen mit ihrer Horde an. Aber wie würden sie auf die Vogelscheuchen reagieren? Die Biester konnten im Dunkeln sehen und wenn sie den Attrappen irgendwann nah genug kamen, würden sie erkennen, dass es sich nicht um richtige Wachposten handelte. Goblin Slayer stand auf und blickte zu einem der Strohmänner. Im Licht der sinkenden Sonne stand dort ein falscher Held mit echter Ausrüstung und starrte unbeweglich in eine Richtung. Wenn die Goblins wegen der Vogelscheuchen einen weiten Bogen machten, dann nahmen sie wahrscheinlich an, dass sich hier eine große Armee befand, aber weil sie ihre Spuren nicht verwischt hatten, war ihr Anführer sicherlich auch nichts weiter als ein einfacher Goblin. Höherrangige Diener des Chaos wären ganz bestimmt anders vorgegangen ... Es sei denn, es handelte sich um eine Falle ...​
»Ich würde mir auch gerne den Fluss anschauen.«​
»Hinter dem Haus ist direkt ein Deich, hinter dem der Fluss liegt.«​
»Ein Deich?«​
»Er schützt das Land vor dem Flusswasser. Vor mehreren Generationen sind Teile des Grundstücks durch das Aufschütten von Erde erweitert worden.«​
»Ist das so?«​
Goblin Slayer nickte. Das Licht, das durch die Lücken zwischen den Reben auf ihn fiel, färbte ihn rot. Er sah aus, als hätte ihn ein Regen aus Blut besudelt. Der Abenteurer schnaufte kurz und holte einige Beutel hervor, die er auf dem Weg hierher gefüllt hatte.​
»Ich habe etwas vorbereitet. Kannst du auf allen Feldwegen jeweils einen davon platzieren? ... Du kannst dir dabei auch gerne helfen lassen.«​
Den zweiten Satz hatte der Krieger nach einer kurzen Bedenkzeit hinzugefügt.​
»Nicht doch. Das werde ich auch allein schaffen können.«​
Der alte Mann grinste, schwang sich die Beutel über die Schulter und ging schwankend los. Nachdem er einige Schritte gemacht hatte, blieb er stehen und drehte sich noch einmal um.​
»Ach, stimmt. Was ist mit den Vogelscheuchen? Sollen sie entfernt werden?«​
»Nein.«Goblin Slayer dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Lass sie stehen.«​
»Jawohl.«​
Der Krieger betrachtete die Landschaft. Diese Schlacht würde eine vergleichbar kleine in der Geschichte dieser Welt werden. Es würde ein Intermezzo auf einem Gebiet sein, das nicht einmal einem Feld auf einem Spielbrett glich. Die Gegner waren nichts weiter als ein Stoßtrupp der Mächte des Chaos und sie selbst waren nichts weiter als Abenteurer. Egal, ob sie hier verloren oder gewannen, für die Mächtigen, die hoch oben im Himmel ihre Würfel warfen, würde das sicherlich keinen Unterschied machen.​
»Mir egal.«​
»G... Gute Arbeit!«, rief die Priesterin immer wieder Leuten zu, während sie durch das Anwesen lief.​
Sie war auf dem Weg in die Küche. Weil sie nichts über Bauarbeiten wusste und körperlich nicht sonderlich stark war, hatte sie sich entschieden, für alle zu kochen. Sie band sich die Haare mit einem Handtuch hoch, zog eine Schürze an, wusch ihre Hände und griff zum Kochmesser. Sie hatte von klein auf im Tempel gelernt, wie man Essen für viele Menschen kochte, und entschied, dass ein Eintopf gerade nicht das Richtige wäre. Schließlich war das keine Mahlzeit, die man verzehren konnte, wenn man mal kurz eine Hand frei hatte. Zum Glück gab es hier aber viele Zutaten, die sicher ausreichen würden, um die Mägen aller Anwesenden zu füllen.​
Na dann ...​
Sie griff sich mehrere Scheiben Brot, beschmierte und belegte sie und schnitt sie anschließend in Stücke, die man schnell nebenbei verspeisen konnte. Ein einfaches Brot war sicherlich keine Mahlzeit für Adlige oder Wohlhabende, aber ...​
»Es ist wohl das Beste, was man neben der Arbeit essen kann!«​
Weil einige Dienerinnen ihr geholfen hatten, verbeugte sich die Priesterin vor ihnen und begab sich mit den Broten zum Zwerg, der schon seit geraumer Zeit damit beschäftigt war, Anweisungen zu erteilen. Beim Anblick der Priesterin grinste er und sagte, dass sie die Brote so schnell wie möglich verteilen solle. Als der Echsenmensch, der gerade Baumaterialien schleppte, eine Käsestulle erhielt, verdrehte er fröhlich die Augen und verschlang sie mit einem Happs. Die Elfe, die auf dem Dach gesessen hatte, sprang locker zu der jungen Abenteurerin hinab, griff sich ein Brot, bedankte sich und begab sich wieder nach oben. Die Bediensteten freuten sich auch allesamt sehr über die Verpflegung. Die junge Abenteurerin freute sich sehr über die Reaktionen aller, denn wer mochte es nicht, nützlich zu sein. Sie lief weiter herum und verteilte Brote, bis sie schließlich weit im Inneren des Anwesens war. Sie atmete tief durch und klopfte an die Tür, vor der sie sich befand.​
»Komm herein«, war daraufhin eine würdevolle Stimme zu hören.​
»I... Ich bitte um Entschuldigung«, erwiderte die Priesterin und öffnete die Tür.​
In dem Zimmer befanden sich mehr Bücher, als sie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Es war ein außerordentlich beeindruckendes Studierzimmer. Die Priesterin schaute sich überwältigt um, während sie vorsichtig und leise durch den Raum schritt. An einem großen Schreibtisch war der Sohn des Händlers dabei, eine Feder über Papier tanzen zu lassen, und in einem Sessel saß die Hausherrin und las ein Buch. Als sie merkte, dass die Priesterin sich näherte, schaute sie nicht von ihrem Text auf, sondern sagte lediglich in scharfem Ton:​
»Ach, ist das nicht diese Mahlzeit, die bei diesem Glücksspiel liebenden Adligen beliebt ist?«​
»Mutter ...«​
Der Sohn hielt inne. Er stand von seinem Stuhl auf und ging zur Priesterin. »Vielen Dank, jeder kämpft hier mit seinen eigenen Problemen, doch das heißt nicht, dass man sich nicht bedanken sollte.«​
»Ich weiß«, entgegnete die Mutter, die die Kritik ihres Sohnes sehr wohl herausgehört hatte.​
»Der Adlige, den ich meinte, war auch alles andere als dumm und es ist sehr gut, beim Arbeiten etwas essen zu können.«​
Die Priesterin überlegte kurz, was sie antworten sollte, und beließ es einfach bei einem »Ja«. Es bestand nicht die Notwendigkeit, noch weiter in der Wunde zu bohren. Stattdessen beschloss sie, von der aktuellen Lage zu berichten.​
»Es geht gut voran, aber es ist bisweilen etwas laut. Ich bitte um Verzeihung.«​
»Das lässt sich bei einer Schlacht nicht vermeiden.«​
Der Sohn des Spirituosenhändlers nahm ein Brot aus dem Korb und biss hinein. Er wirkte dabei weder elegant noch grobschlächtig. Es passte zu ihm. »Oh, lecker.«​
»Mit welchen ... Problemen wird hier denn gekämpft?«, fragte die Priesterin und legte den Kopf schief.​
»Es geht um die Zukunft. Für den schlimmsten Fall brauchen wir ein Testament und, falls wir überleben, einen Plan, wie es weitergehen soll. Es gibt viele Dinge, die vor einer Schlacht erledigt werden müssen.«​
Es war in Ordnung, für einen Sieg alles aufzubringen, aber wenn das Geschäft daran zugrunde ging, waren alle Anstrengungen umsonst. Man musste vorausschauend handeln und sich auf das Kommende vorbereiten. So waren Händler nun mal.​
»Das schmeckt aber köstlich. Mutter, willst du nicht auch?«​
»Bei einer Schlacht zu siegen, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass man überlebt ... Ich danke dir für deine Mühen.«​
Die Herrin nahm sich kein Brot, aber sprach der Priesterin auf diese Weise ihren Dank aus.​
»Nicht doch!«, erwiderte die junge Abenteurerin und verbeugte sich höflich, bevor sie das Zimmer verließ.​
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmete sie tief durch. Jeder Einzelne wusste, was er leisten konnte. Das galt auch für sie und ihn.​
Wenn er von seinem Rundgang draußen zurückkommt, werde ich dafür sorgen, dass er auch ein Brot isst. Die Sonne ging bereits unter. Der entscheidende Moment war gekommen. Die Sterne und die Monde schienen auf das Anwesen herab und aus der Ferne war der beunruhigende Hall von Trommeln zu hören. Schwankende schwarze Gestalten näherten sich und die Elfe, die an einem Fenster im Obergeschoss Stellung bezogen hatte, schaute auf sie herab und wackelte mit den Ohren.​
»Es sind ziemlich viele ... aber wahrscheinlich nur Goblins. Sie scheinen gut ausgerüstet zu sein.«​
»Wie erwartet.«​
»Ich hatte gehofft, dass es anders wäre.«​
»Ja.«​
Goblin Slayer klopfte seiner Kameradin auf den Rücken und schlüpfte an ihr vorbei. Die Wände des Raums, in dem sie sich befanden, waren eingerissen und der Schutt entfernt worden. Der Zwerg, der die Arbeiten geleitet hatte, befand sich nahe dem Fenster und hielt seine Tasche mit Katalysatoren bereit. Vor seinen Füßen lagen zerschlagene Backsteine, dessen Teile er als Geschosse verwenden konnte. Er nahm einen Schluck Wein und wischte sich im Anschluss ein paar Tropfen aus dem weißen Bart. Dann lachte er.​
»Bartschneider, sei vorsichtig.«​
»Den ersten Schlag führen wir gemeinsam aus. Ich verlass mich auf dich.«​
»Aber sicher, wir sind ja schon zwei Jahre unterwegs.«​
Zwei Jahre für einen Menschen. Aber was waren zwei Jahre für einen Zwerg? Für einen Elfen, für einen Echsenmenschen? Goblin Slayer wusste nicht, wie sehr sich dieser Zeitraum für sie alle unterschied. Als der Zwerg zu lachen begann, nahm der Krieger das als Signal, um den Raum zu verlassen. In der Vorbereitung auf die Schlacht hatten sie auch die Türen vieler Zimmer entfernt und an die Wände gelehnt, damit sie im Notfall leicht die Position wechseln und die Türen als Schilde verwenden konnten. Die Bediensteten des Hauses standen nun neben den Durchgängen ohne Türen. Sie waren mit den unterschiedlichsten Waffen ausgerüstet und schienen sehr angespannt zu sein. Einige Schwerter, einige Speere und viele Schleudern und Kurzbogen. Sie würden also weniger als Nahkämpfer behilflich sein können, sondern würden die Schlacht als Fernkämpfer bestreiten müssen. Goblin Slayer erkannte unter den Bediensteten den alten Mann, der ihm die Spuren gezeigt hatte, und sprach ihn an.​
»Wie ist die Lage?«​
»Ich habe die Säcke verteilt.«​
»Lass einige der Leute in Richtung des Flusses schauen. Nur für den Fall der Fälle.«​
»Ich bin solche Situationen von früher gewohnt, keine Sorge.«​
Der alte Mann verhielt sich locker, wie ein erfahrener Fußsoldat. Vorsichtig näherte er sich einem Fenster und schaute zum Fluss herunter. Goblin Slayer schwenkte währenddessen seinen Blick über die Bediensteten und lief dann schnell die Treppe hinab. Es ist wichtig, alles mit eigenen Augen zu überprüfen. Hatte er das von seinem Meister, während der Abenteuer oder von dem Panzerkrieger gelernt? Als Anführer einer Gruppe und auch einer Armee gehörte es zu den Aufgaben eben jenes, seine Leute zu beruhigen. Deshalb durfte er jetzt nicht hektisch oder überstürzt vorgehen und musste Ruhe ausstrahlen. Goblin Slayer war noch nie so dankbar für seinen Eisenhelm gewesen wie in diesem Moment. Schließlich war er sich nicht sicher, welchen Eindruck er jetzt ohne ihn auf die anderen gemacht hätte. Wie hätte die Priesterin ihn wohl gesehen? Wie seine Kameraden? Für die Gildenangestellte war er ein Abenteurer auf Silber- Rang, aber was bedeutete das überhaupt?​
Ich bin nun mal Goblin Slayer.
Während er an das Abzeichen um seinen Hals dachte, redete er sich selbst gut zu. Das hier war ein Goblin Auftrag und er musste die Angelegenheit so angehen wie immer. Er war gut darin.​
»Goblin Slayer!«​
Als er den Eingangsbereich des Anwesens betrat, wurde er von der Priesterin begrüßt, die ihm aus der Küche entgegenlief. Sie trug keine Schürze mehr und hatte ihr Haar wieder offen. In ihren Händen hielt sie den Priesterstab.​
»Die Goblins ...«​
»Ich weiß«, erwiderte er.​
»Ist alles vorbereitet?«​
»Jawohl!«​
Im Vergleich zu den vorigen Tagen war sie wie ausgewechselt und wirkte wieder fröhlich und heiter. Natürlich machte der bevorstehende Kampf sie nervös, doch das war verständlich.​
»Hm? Ist irgendwas?«​
»Nein.«​
Goblin Slayer wandte den Blick von seiner Kameradin ab und schaute zur Eingangstür.​
»Hast du dir den Aufbau des Anwesens eingeprägt?«​
»Ja, habe ich.«​
»Dann ist ja gut.«​
Zwar waren die meisten Türen und Fenster im Haus entfernt worden, aber die Eingangstür hing noch in ihren Angeln. Wenn dies hier eine Nebenburg war, dann war die Tür das Burgtor. Im Notfall würden sie diese verriegeln. Der Echsenmensch stand mit verschränkten Armen neben ihr.​
»Na gut, werter Goblintöter. Brauchst du zu Beginn noch zusätzliche Truppen?«​
»Uns fehlt es an Truppen, aber ich würde mir die Zauber lieber aufsparen.«​
»Verstanden.«​
Der Mönch schüttelte seinen Körper, um seine Muskeln zu lockern. Wenn man es recht bedachte, hatte er schon lange nichts Lebendiges mehr in Stücke gerissen. Goblin Slayer wusste nicht, ob der Sumpfbewohner unter diesem Umstand litt.​
»Was denkst du?«​
Was der Krieger aber wusste, war, dass der Hüne sich am besten von allen in der Gruppe mit Kampfstrategien auskannte. Und deshalb vertraute er ihm mit seinem Leben.​
»Mal überlegen.«​
Der Echsenmensch verdrehte die Augen.​
»Taktisch sollten wir wohl so wie immer vorgehen.«​
»Ist das so?«​
»Dennoch kann auf einem Schlachtfeld immer etwas Unvorhergesehenes passieren ...«​
Der Mönch stellte sich wie ein alter Krieger auf und sagte dann in ruhigem Ton, während er seine Hände mysteriös zusammenlegte:​
»Ihr solltet weniger ans Töten, sondern mehr ans überleben denken. Das sollte den Ausgang der Schlacht verbessern.«​
»Jawohl!«, antwortete die Priesterin, aber weil sich dabei ihre Stimme überschlug, lief sie hochrot an und hielt sich eine Hand vor den Mund.​
»Du sagst komplizierte Dinge«, brummte Goblin Slayer.​
»Aber ich habe nicht vor, einen von ihnen lebend entkommen zu lassen.«​
Im Anschluss legte der Krieger beide Hände an die Eichentür und drückte sie auf. Leicht über den Boden schürfend öffnete sie sich. Am Ende würde er sich so verhalten, wie wenn er in eine Höhle eindrang oder ein Dorf vor einem Goblin Angriff beschützte. Goblin Slayer musste daran denken, dass der Zwerg ihm gesagt hatte, er habe sich zurückgehalten. Es stimmte. Er hatte Dinge, die er nicht selbst hatte übernehmen können, den Läufern überlassen und sich damit nicht wie ein Abenteurer, aber auch nicht wie ein Schurke verhalten. Dabei war er der Überzeugung gewesen, genau zu wissen, wer er war. Aber es hatte alles zu genau diesem Moment geführt und von daher gab es nur noch eine Sache zu tun. Auch wenn sie nicht laut ausgesprochen werden musste, tat der Krieger sie. Seine Worte flogen durch die Dunkelheit wie ein scharfer Dolch. Seine Stimme war wie kalter Wind, der durch ein tiefes Tal wehte.​
»Ich werde alle Goblins umbringen.«​
»GOOROGGOORG!!«
»GOORGB!! GBBOORGBB!!«​
Die Goblins waren hungrig und durstig und sie interessierte jetzt nichts anderes. Sie glaubten felsenfest an ihren Sieg und ihre Aufgabe. Diese Idioten hatten einen Vertrag mit dem Chaos gebrochen ... Zumindest war es ihnen so von den Kerlen gesagt worden, die immer so wichtig taten. Sie würden die Idioten schlagen, sie schänden und sie töten. Egal, wie sehr sie heulten oder bettelten, sie würden ihnen nicht vergeben. Und wenn sie auf der Stelle starben, bewiesen sie, dass sie keinen Mumm hatten. Wahrscheinlich hatten sie deshalb auch versucht, sie mit diesen Strohpuppen reinzulegen.​
»GBOOOGGB!!«
»GOGB!!«​
Die Goblins lachten dreckig und traten eine Vogelscheuche am Eingang des Weinfelds um. Sie spuckten auf sie und trampelten auf ihr herum, bevor sie weitergingen. Sie würden einen der Menschen auf einem Speer aufspießen, sodass er aussah wie die Strohfigur, und vor dem Anwesen platzieren, damit die Menschen wussten, dass das hier Goblin Land war. Es war sowieso anmaßend, dass die Menschen glaubten, dieses Land besitzen zu können.​
»GOROOGBB! GOBR ...?«​
Plötzlich kippte einer der Goblins um. Für ihn war es, als hätten Himmel und Erde den Platz getauscht. Deshalb bekam er auch nicht mit, dass mehr und mehr seiner Kameraden zu Boden fielen, weil ihre Schädel von Pfeilen durchbohrt worden waren. Es war ein schneller und schmerzloser Tod und deshalb eigentlich ein viel zu barmherziger für die kleinen Teufel. Die Goblins, die nicht von den Geschossen getroffen wurden, sahen das jedoch anders.​
»GOROGB?!«
»GGBB?!«​
Sofort ging ein Raunen durch die Reihen der Goblins. Sie dachten, sie würden mit Magie angegriffen, und wollten auf andere Wege zwischen den Reben ausweichen. Die Kameraden, die von den Pfeilen getötet worden waren, waren einfach Idioten, mehr nicht.​
»GOR! GOOGB!«​
Gerade als die Goblins sich mit diesem Gedanken abfanden und auf andere Wege auswichen, breiteten sich vor ihnen Rauchwände aus.​
»GOOROGB!!«
»GRRB! OOBOGRR!!«​
Die Goblins entschieden sich, den Rauch zu umgehen und auf dem Weg vorzurücken, wo es keinen gab. Sie würden dem Kerl, der für den Rauch verantwortlich war, nicht vergeben. Sie würden ihm alle Knochen brechen und die Haare in Büscheln ausreißen, bevor sie ihm einen Speer durch den Hintern rammten. Die Goblins waren außer sich vor Wut und damit war alles wie immer. Deshalb würden sie auch wie immer zu erledigen sein.​
***
»Orcbolg macht echt widerliche Dinge«, murmelte die Elfe und schoss einen brennenden Pfeil nach dem anderen ab. Sie spürte mit ihren Ohren, aus welcher Richtung der Wind wehte, und schoss dann auf die Säcke, die zwischen den Reben platziert worden waren.​
»Ich hab die gewünschten Punkte entzündet, aber was ist das überhaupt für ein Rauch?«​
»Getrockneter Wolfskot, Schwefel, Holzkohle, Kiefernnadeln und Stroh«, erklärte der Zwerg und nahm einen Schluck Wein.​
Die Elfe schaute ihn schräg an. Der Auftraggeber war der Sohn eines Spirituosenhändlers und hatte ihnen gesagt, dass sie verwenden konnten, was sie wollten. Der Schamane hatte natürlich gleich beim Alkohol zugeschlagen. Solange ein Zwerg Konzentration, Katalysatoren und Alkohol besaß, war er nahezu unbesiegbar.​
»Trinke und singe, Geist des Weins! Singe, tanze und schlafe ein. Zeige mir die Träume eines Betrunkenen«, rief der Schamane Naturgeister an und wirkte Trunkenheit.​
Der Zauber breitete sich über dem Schlachtfeld aus und lullte die kleinen Teufel ein. Schwankend und verwirrt fiel es ihnen schwer, den Pfeilen der Elfe auszuweichen. Sie schauten hin und her, doch weil sie von Rauch umgeben waren, gab es nur diesen Weg. Damit blieben ihnen nur zwei Optionen: vorpreschen oder fliehen.​
Der Großteil der Goblins entschied sich für erstere Möglichkeit. Schließlich waren sie noch nicht verletzt und glaubten nicht daran, dass es sie erwischen würde.​
»Die Goblins sind zu blöde, meine Magie vom Rauch zu unterscheiden.«​
»Heißt das etwa, dass deine Zauber auf dem gleichen Niveau wie Orcbolgs Fallen sind?«​
»Ich versuch das jetzt einfach mal als Lob aufzufassen«, gab der Zwerg wenig amüsiert die Provokation der Elfe zurück.​
»Das war sarkastisch gemeint.«​
Die Elfe feuerte einen Pfeil ab.​
»Bartschneider hat mal erzählt, dass sie zwar im Dunkeln sehen, aber keinen heißen Rauch durchblicken können.«​
»Ja, aber ich hatte ihm gesagt, dass er mit dem Feuer aufhören soll«, gab die Elfe schimpfend zurück, die den Rauch ebenfalls nicht durchblicken konnte.​
Allerdings waren ihre Fähigkeiten kaum von einem Zauber zu unterscheiden. Sie konnte die Auren ihrer Gegner erspüren und sie dann selbst mit geschlossenen Augen treffen. Mit einem Lächeln zog sie einen Pfeil nach dem anderen aus dem Köcher und verschoss sie, ohne zu zögern. Um sich auf die Schlacht vorzubereiten, hatte sie mehrere Bündel von ihren Pfeilen bereit gemacht, und selbst wenn sie in dem jetzigen Tempo weiter schoss, würden ihr die Pfeile so schnell nicht ausgehen. Diese Gewissheit verschaffte ihr Genugtuung.​
»Hi hi hi, diesmal hab ich mehr als genug Pfeile. Es ist toll, dass ich so viel schießen kann, wie ich will!«​
»Hey, Amboss«, unterbrach der Zwerg sie.​
»Was denn?«, gab sie mürrisch zurück.​
»Wo hast du die ganzen Pfeile denn her?«​
»Ich hab die Kleinen in der Umgebung gefragt. Hier, schau.«​
Die Waldläuferin streckte ihre Hand aus dem Fenster und murmelte ein uraltes hochelfisches Wort. Der Baum, der sich neben dem Fenster befand, fing daraufhin angenehm zu wackeln an und ein Ast streckte sich. Kurz darauf formte sich einer ihrer Knospenpfeile aus dem Ast. Die Waldläuferin bedankte sich bei dem Baum und nahm den Pfeil entgegen.​
»Haaaach ...«​
Der Zwerg stieß einen tiefen Seufzer aus.​
»Manchmal bist du wohl doch ganz nützlich.«​
»Wie unhöflich! Ich bin immer nützlich!«​
Die Elfe stellte stolz ihre langen Ohren auf, bevor sie drei Pfeile gleichzeitig in den Bogen spannte und abschoss.​
»Wie viele wurden jetzt erledigt?«​
»Der Schuss gerade hat drei getötet.«​
Am Ende des einzigen verbleibenden Wegs stellten sich Goblin Slayer, die Priesterin und der Echsenmensch den kleinen Teufeln entgegen. Sie hatten zu ihren Füßen Laternen aufgestellt, neben die sich die Priesterin jetzt kniete. Klackend schlug sie ein Stück Metall und einen Feuerstein aneinander und die so entstehenden Funken entzündeten die Laternen.​
»Ich bin so weit.«​
»Gut.«​
Die junge Abenteurerin hob ihren Kopf und grinste. Es war klar, dass sie nervös war, aber sie hielt tapfer durch. Wie war es noch einmal gewesen, als er ihr zum ersten Mal begegnet war? Goblin Slayer schüttelte den Kopf. Sie hatte ihm bereits viele Male das Leben gerettet und sich trotz ihres zarten Körperbaus als zuverlässige Unterstützung erwiesen. Es konnte sein, dass sie seinen Blick bemerkt hatte, denn ihre Augen zitterten.​
»Ä... Ahm?«​
»Nein«, entgegnete der Krieger.​
»Geh wie besprochen vor.«​
»V... Verlass ... dich auf mich ...«​
Die Priesterin nickte tapfer. Sie brauchte keine genauen Anweisungen.​
»Ha ha ha ... So langsam hat sie sich komplett der Schale ihres Eis entledigt, was?«​
Der Echsenmensch verdrehte vergnügt die Augen.​
»Das mag sein«, antwortete der Krieger kurz.​
»Kämpfe bitte vorne mit mir. Allein werden es zu viele für mich sein.«​
»Gerne. Primaten haben nur vier Gliedmaßen und davon sind nur zwei Arme. Wer von euch mehr benötigt, der muss sich Hilfe holen.«​
Der Mönch richtete seinen hünenhaften Körper kampfbereit auf.​
»Ich werde meine Krallen, meine Reißzähne und meinen Schwanz für dich einsetzen. Kämpfe also, als müsstest du dir keine Sorgen um die Zukunft machen.«​
Goblin Slayer verstand nicht, was der Mönch ihm sagen wollte, aber weil er stark war, widersprach er ihm nicht. Nach und nach waren die unkoordinierten Schritte der Goblins zu hören, einige schneller, einige langsamer. Die Goblins, die als Erste herangestürmt kamen, waren nicht die tapfersten, sondern die dümmsten, und die anderen folgten ihnen von der Furcht getrieben, ihre Kameraden könnten nichts übrig lassen. Die Blicke der kleinen Teufel waren gierig auf die Priesterin gerichtet und sie hatten auch bereits den Duft einer Elfe in der Luft gewittert.​
»GOROOGOBB!!«​
Welchen Sinn hatten diese Wörter, die aus der dreckig grinsenden Fratze eines Goblins kamen, wohl? Wollte er sagen, dass die Priesterin ihm gehörte? Oder war es einfach nur ein Kampfschrei? Und was dachten sich die Goblins, die ihm folgten? Dachten sie daran, dass sie die Beute nicht ihren Kameraden überlassen wollten? Dachten sie, dass ihnen eigentlich alles zustand? Doch was bedeutete das schon? Goblin Slayer schoss in diesem Moment von der Seite heran.​
»GROG?!«​
Der vorderste Goblin hatte gute Reflexe und konnte sogar noch sehe, wie der Krieger auf ihn zuschoss. Ein billiger Eisenhelm und eine dreckige Lederrüstung. Ein mittellanges Schwert in der Hand und ein kleiner Rundschild am anderen Arm. Ein seltsamer Abenteurer.​
»GOROOGB...«​
»Eins!«​
Goblin Slayer stach in das weit aufgerissene Maul des kleinen Teufels und durchtrennte dabei die Zunge. Der Goblin fiel zu Boden und erstickte an seinem Blut. Goblin Slayer nutzte den Moment und griff die Waffe, die noch immer im kleinen Teufel steckte. Er riss sie heraus und ...​
»Zwei!«​
»GGBB?!«​
... rammte sie in die Kehle eines weiteren heranstürmenden Gegners. Die Klinge stach durch bis ins Mark, dann drehte er sie herum. Röchelnd spuckte der Goblin Blut. Der Krieger verpasste ihm währenddessen einen Schlag mit dem Schild und schnappte sich seine Axt.​
»Drei!«​
»GOOBOG?!«​
Er riss die Waffe sofort nach oben und zerteilte dabei das Gesicht eines weiteren Goblins. Goblin Slayer wehrte Blut und Gehirnfetzen des Goblins mit dem Schild ab und machte einen Schritt zurück. Als er das Blut von der Axt schüttelte, bemerkte der Krieger, dass die Gegner gute Waffen besaßen. Es musste sich also wirklich um Goblins unter der Führung des Chaos handeln. Goblin Slayer kam das entgegen, denn er bediente sich gerne an den Waffen seiner Feinde.​
»GOOROG!!«
»GOBOR! GOOGOBRBG!«​
Weil die Priesterin das Hauptziel der Goblins war, stürmten noch immer einige von ihnen auf sie zu.​
»Oh, seht her, meine Vorfahren, deren Blut durch meine Adern fließt! Werdet Zeuge, wie euer Nachfahre sich im Kampf schlägt!«​
In ihrer Gier vergaßen sie, dass zwischen ihnen und der Priesterin nicht nur der Krieger, sondern noch ein weiterer Widersacher stand. Deshalb war es für den Echsenmenschen ein Leichtes, einige der kleinen Teufel mit seinem Schwanz umzuwerfen und dann mit seinen Krallen auf sie zu springen. Ihnen​
blieb nicht einmal Zeit zu schreien, bevor sie in Stücke gerissen wurden.​
»Oh ja! So langsam kämpfe ich wie einer meiner Vorfahren! Wenn ich jetzt nur noch Feuer spucken könnte! Hoppla!«​
Einer der frechen kleinen Teufel nutzte die Leiche seines Kameraden als Sprungbrett. Der Dolch in seinen Händen glänzte seltsam. Offensichtlich war er mit Gift eingerieben worden.​
»Hrmpf! Eine vergiftete Klinge!«​
»GOROGB?!«​
Doch dem Mönch der Echsenmenschen, der irgendwann ein Drache werden wollte, machte das nichts aus. Die Waffe prallte von seinen Schuppen ab. Kurzerhand rammte er seine Reißzähne in den Schädel des Goblins und zertrümmerte ihn. Ein unangenehmes Knirschen ertönte und der Echsenmensch spuckte einige Fleischklumpen aus und warf den zuckenden Torso des Goblins zur Seite.​
»Nein, vorsichtig. Vorsichtig. Dir wurde noch kein Gegengiftwunder gewährt, oder?«​
»Ä... Ähm ...«​
Obwohl um ihn herum ein brutaler Kampf tobte, blieb der Echsenmensch ruhig, was die Priesterin verlegen lächeln ließ. Selbst die schrecklichsten Erinnerungen verblassten, wenn man einen Kämpfer aus dem Volk der Echsenmenschen in Aktion erlebte. Und die junge Abenteurerin wunderte sich, wie sie sich an solch grausame Scharmützel hatte gewöhnen können.​
»Ich denke, ich werde es bald erhalten!«​
»Hm ... Das ist eine gute Einstellung. Wenn man Schwierigkeiten überwindet, wird man sich schnell weiterentwickeln.«​
Auch wenn er ein hochrangiger Kleriker war, wusste die Priesterin nicht, ob sie wirklich etwas von ihm lernen sollte. Doch jetzt war nicht die Zeit, um über so etwas nachzudenken. Die junge Abenteurerin atmete tief durch und konzentrierte sich erneut. Beim Beten war es wichtig, dass man ruhig war und seine Seele mit dem Himmel verband, um die Götter zu erreichen. Die Priesterin festigte den Griff um ihren Stab und entfernte die Goblins, den Echsenmenschen und Goblin Slayer aus ihren Gedanken. Die Welt, sie selbst und die Götter. Sie hörte, wie deren Würfel fielen. Sie atmete ein und wieder aus. Und dann in der harmonischen Verbindung mit der allmächtigen ...​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde.«​
Mit einem Mal war der Fluchtweg der Goblins abgeschnitten.​
»GOOROG?!«
»GGOBBOGOB!!«​
Die Goblins, besonders jene, die durch die Abschirmung aufgehalten wurden, verstanden nicht, was los war. Sie rannten gegen das Kraftfeld und kreischten wilde Flüche. Doch ihnen ging es dabei besser als der Vorhut.​
»Vier!«​
»GBROGB!«​
Goblin Slayer warf beim Rennen die Axt und zerteilte so den Schädel eines Monsters. Mit gehobenem Schild warf er sich dann mit seinem gesamten Gewicht auf einen weiteren Goblin.​
»GBBBG?!«​
»Fünf!«​
Er riss das Kurzschwert aus der Hand des umgeworfenen Gegners und rammte es ihm in die Kehle. Dann zog er es wieder heraus und warf sie nach einem Gegner hinter sich.​
»GOOBGR?!«​
»Sechs ... Wie sieht es aus?«​
»ljaaaaaaaaah!«​
Als Antwort auf die Frage des Kriegers gab der Echsenmensch einen urzeitlichen Schrei von sich. Der Mönch sah aus wie einer seiner Vorfahren und wütete wild. Goblins, die ihm zu nahe kamen, wurden zerrissen und es war fast so, als würde er die berühmte Cusinart Klinge führen.​
»Alles... in Ordnung, glaube ich!«​
Die Priesterin beantwortete die Frage des Kriegers. Sie zog den Priesterstab an sich heran und machte sich erneut bewusst, dass sie der Dreh- und Angelpunkt dieser Strategie war.​
»Los!«, rief Goblin Slayer, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es seinen Kameraden gut ging.​
Er schnappte sich das Schwert eines Goblins, in dessen Kehle ein Kurzschwert steckte, und wirbelte es über seinem Kopf herum. Darauf ertönte ein Pfeifen und Steine prasselten über den Schutzwall hinweg auf die Goblins herab. Nicht alle waren auf der Stelle tot, aber das war nicht wichtig. Schließlich war dies nur eine Ablenkung. Sowieso handelte es sich bei den Bediensteten nicht um ausgebildete Krieger und von ihnen zu verlangen, dass mit jedem Streich ein Gegner starb, wäre unrealistisch gewesen. Deshalb hatten sie die Aufgabe bekommen, ihre Geschosse einfach über den Schutzwall zu werfen.​
Ob ich wohl auch so laut mit meinen Fingern pfeifen könnte?, fragte sich die Priesterin, aber schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Der Plan war entstanden, um den Abenteurern ein wenig Zeit zu verschaffen und Unordnung unter den angreifenden Goblins zu stiften, und ...​
»Sieben, acht ... und neun!«​
»GGOOROOGB!«​
Die Reste der Vorhut der kleinen Teufel wurden von Goblin Slayer und dem Echsenmenschen vernichtet. Der Krieger stand mittlerweile inmitten eines Bergs aus Leichen und wischte Goblin Blut mithilfe eines Goblin Lendentuchs von der Waffe. Er atmete tief durch, schaute, ob jemand verwundet war, und gab dann den nächsten Befehl.​
»Die Wand!«​
»Jawohl!«​
Sofort stoppte die Priesterin ihr Gebet und kehrte mit den Gedanken in die Realität zurück. Der Schutzwall löste sich auf wie nächtlicher Frost im Angesicht der Morgensonne.​
»GOOGOB!!«
»GBBG! GOOROGB!!«​
Sofort stürmten die Goblins dahinter los und bewiesen mal wieder, dass die Biester nur das sahen, was direkt vor ihnen lag. Die Steine waren lästig, ihre Kameraden tot und die Mauer verschwunden. Jetzt konnten sie die Gegner angreifen. Sie würden die Männer töten und die Frauen schänden. Niemals würden sie verstehen, dass sie mit ihrem Voranstürmen den Abenteurern in die Hände spielten.​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte beschütze uns Schwache mit deiner Erde.«​
Die vorderen Goblins wurden erneut mithilfe von Schutzwall mit den Abenteurern eingesperrt, sodass sie den Vorteil der übermacht verloren. Goblin Slayer stürzte sich sogleich auf die kleinen Teufel. Die Abenteurer hatten von Anfang an geplant gehabt, die Goblins auf einen Weg zu locken und dann immer wieder kleine Gruppen einzukesseln und zu töten. Da die Priesterin nur drei Wunder einsetzen konnte, war diese Taktik aber in ihrer Anwendung begrenzt. Die Gruppe hatte auch darüber nachgedacht, Geisterwand vom Zwerg einzusetzen, aber weil die Kraft der Erdgeister den Feldern ihre Lebenskraft gab, hatten die Abenteurer sich dagegen entschieden. Genauso gut hätten sie die Reben in Brand setzen können.​
Um noch ein Wunder übrig zu haben, hatte sich die Gruppe am Ende entschieden, die Taktik zweimal einzusetzen und so einen Großteil der Goblins zu erledigen. Wenn Goblins nicht in der Überzahl waren, dann musste man keine Angst vor ihnen haben. Das wussten selbst Abenteurer-Anfänger. Wenn es zu viele von ihnen sind, trenne sie von ihrer Gruppe und erledige sie einzeln. Dieses Wissen hatte Goblin Slayer nicht vom Zwerg, sondern es war ein Grundsatz, an den er sich immer hielt. Man sollte sich einer Goblin Armee nicht allein stellen, sondern in die Höhle vordringen und die kleinen Teufel einzeln erledigen.​
Sofern nicht etwas passiert.​
Goblin Slayers Gedanken wurden vom Klang der Signalpfeife zerschlagen, der aus dem Anwesen kam. Das konnte nur eines bedeuten. Der Fluss!​
»W ... Wir haben einen Notfall!«​
Wahrend er in die Pfeife blies, kam der alte Mann, der Goblin Slayer die Spuren gezeigt hatte, humpelnd in das Zimmer gestürmt. Schon bevor er den Raum betreten hatte, war die Elfe aufgestanden.​
»Geht es um den Fluss?«​
»Ja, aus Richtung Süden ... Von stromaufwärts kommen Boote!​
Ich konnte nicht genau sehen ... wie viele es sind!«​
Kaum hatte die Waldläuferin die Worte des alten Mannes vernommen, stürmte sie los. Wenn eine Hochelfe ihre ganze Kraft beim Sprinten einsetzte, kam das menschliche Auge nicht mehr hinterher. Allein schon deswegen, weil sie bereits beim ersten Schritt ihre volle Geschwindigkeit erreichte. Als der Zwerg beim Fenster ankam, von dem aus man einen guten Blick auf den Fluss hatte, starrte die Elfe schon lange auf die sich nähernden Boote.​
»Wie ist die Lage?«​
»Es sind wirklich Goblins. Ich kann aber nur die Ruderer sehen.«​
»Eine Goblin Flotte? Meine Güte, was treiben die Leute in deiner Heimat bitte?«​
»Was weiß denn ich? überhaupt sind wir gar nicht für diese Stelle des Flusses zuständig!«​
Die beiden fingen sich wie immer zu zoffen an und obwohl die Situation angespannt war, schienen sie darüber nicht sonderlich besorgt zu sein. Der Grund dafür war, dass sie bereits unter der Stadt des Wassers gegen Goblins mit Booten gekämpft hatten. Außerdem hatten Goblins irgendwann das Reiten gelernt und konnten nun nicht nur auf Wargs, sondern auch auf Wölfen und Spinnen reiten. Ob sie sich auf einem Wesen oder einem Gefährt näherten, war also nicht das Problem. Das Problem bestand wie immer in ihrer Zahl. Die Elfe schaute mit ihren Augen, die scharf wie die eines Falken waren, in die Ferne und konnte in der Dunkelheit der Nacht, zwei ... nein, drei Objekte erkennen.​
»Mann, warum sind es immer so viele?!«​
Die Waldbewohnerin legte drei Pfeile mit Knospenspitzen in den Bogen und feuerte sie locker ab. Sie flogen durch die Luft, als hätten sie einen eigenen Willen. Der Zwerg konnte allerdings nicht erkennen, wo sie einschlugen. Es gab schließlich einen Unterschied zwischen Nacht- und Fernsicht.​
»Hast du sie erwischt?«​
»Musst du das noch fragen?«​
Die Elfe schnaufte genervt durch die Nase aus und schoss im Schnellfeuer einige Pfeil ab. Die Geschosse flogen wie weiße Sternschnuppen durch den Nachthimmel und verschwanden mit einem leichten Glitzern im Dunkel. Für jeden der Pfeile würde es einen, wenn nicht sogar mehrere tote Goblins geben.​
»Aber das wird sicherlich nicht viel bringen«, sagte die Elfe, während sie weitere Pfeile in den Bogen spannte.​
»Ich kann zwar die ganzen Ruderer töten, aber der Strom wird sie dennoch hertreiben. Ich kann sie also nicht stoppen.«​
»Kannst du die Schiffe nicht mit Pfeilen versenken?«​
»Tut mir leid, mein Bogen hat leider nicht die Durchschlagskraft wie der meines Bruders.«​
»Dein Bruder könnte so etwas?«, fragte der Zwerg murmelnd, aber seine Aussage wurde vom Sirren der Bogensehne übertönt. Dass seine Kameradin getroffen hatte, war durch ein Klatschen auf der Wasseroberfläche zu hören. Das Können von unserem kleinen Amboss ist wirklich nicht zu unterschätzen. Auch wenn der Stolz der Hochelfen ihn anwiderte, musste der Schamane ihr wenigstens diese Tatsache zugestehen. Jetzt war es aber an der Zeit, dass er auch seine Arbeit erledigte. Wenn er der Elfe alles überließ, wäre das eine Schande für das Volk der Zwerge.​
»Ich könnte mit einem Zauber die Richtung des Stroms ändern.«​
»Stimmt, ich würde mich eigentlich lieber dem Feind stellen, aber das wäre jetzt nicht gut, oder?«​
Mit diesen Worten feuerte die Elfe noch einen Pfeil ab, mit dem sie das Leben eines weiteren Goblins auslöschte.​
»Es ist echt abartig, dass es jedes Mal so viele si ...«​
Weil die Elfe mitten im Satz zu reden aufgehört hatte, fragte der Zwerg: »Was ist?«​
Die ernste Miene der Elfe ließ ihn nicht weiter nach bohren.​
Die langen Ohren der Waldläuferin wackelten leicht und dann sagte sie:​
»Da kommt etwas. Es ist groß und schnell, aber ich weiß nicht, was es ist.«​
»Hast du Geräusche wie von dem Ding noch nie gehört?«​
»Ich kenne etwas, das ähnlich klingt, meinte sie und runzelte die Stirn.​
»Aber das ...«​
Plötzlich war das Geräusch aufreißender Erde zu hören. Es klang wie ein sich näherndes Gewitter. Die Stärken der Goblins waren ihre Überzahl und ihre Verschlagenheit und wenn sie auf dem Wasser Boote hatten, dann hatten sie auch etwas an Land.​
»Oh nein...«, ertönte die Stimme des alten Mannes. Er kannte das Geräusch und verzog das Gesicht. Es war ihm schon häufig auf Schlachtfeldern begegnet. Wenn man es von hinten hörte, gab es einem Mut, wenn es von vorne kam, zitterten einem die Knie. Er hatte eigentlich gehofft, dieses Gepolter nie wieder hören zu müssen.​
»Das ist ein Schlachtwagen!«​
***
Kurz darauf kam die abartig aussehende Kriegsmaschine in Sicht. »A... Ah?!«​
Es war genau in diesem Moment, dass sich der zweite Schutzwall auflöste und die Nachhut der Goblins wieder vorrücken konnte. Als die Priesterin den gewaltigen Schatten sah, der sich näherte, schrie sie kurz überrascht auf.​
»Hmpf!«​
»Das ist nicht gut!«​
Goblin Slayer hob seinen Schild und der Echsenmensch machte seine Schuppen bereit, um sich vor den heran fliegenden Erdbrocken zu schützen.​
»GBBORB!«
»GORG?!«​
Die beiden Abenteurer beobachteten, wie einige Goblins kreischend unter die Räder des Schlachtwagens gerieten und zu Hackfleisch verarbeitet wurden. Dunkelrotes Blut und Fleisch flogen umher und färbten die Umgebung. Der Gestank von Goblin Eingeweiden lag in der Luft und ihre Wärme ließ heißen Dampf aufsteigen. Der Schlachtwagen: eine krude, brutale Kriegswaffe, die einzig und allein für das Morden konzipiert war.​
»GOORGB! GGOOOROGOB!!«​
Im Schein des roten Mondlichts stand auf dem Wagen der siegessicher lachende Anführer der Goblins. Das Gefährt war wohl ein umgebauter Pferdewagen für Lasten. An ihm waren neben Schilden auch Speere, Schleudern und allerlei andere schreckliche Waffen befestigt. Fortbewegt wurde der Wagen von mehreren Goblins, die ihn an Stäben schoben wie einen Handkarren.​
»GOOROGOOROG!!«​
Die Goblins hatten ihn sicherlich nur bauen können, weil ihnen die Anhänger des Chaos verraten hatten, wie das ging, und jetzt stellte er eine große Gefahr für die Abenteurer dar.​
»Ausweichen!«, rief Goblin Slayer.​
»GOOROGB?!«
»GRGB?!«​
Während der Schlachtwagen vorrückte, zerfleischte er weitere kleine Teufel. Wahrscheinlich gehörte es aber noch zu den besseren Varianten, wenn man von den Speerspitzen durchbohrt oder von den Rädern zerquetscht wurde und sofort starb. Schlimm hatten es die Goblins, die hoch in die Luft geschleudert wurden und sich noch einige Sekunden vor dem Tod fürchten mussten.​
»GGBBRG?! GOOROGGB?!«​
Ein paar Augenblicke lang zappelten sie wild und machten sinnlose Schwimmbewegungen. Dann schlugen sie auf dem Boden auf und es klang, als würde eine Frucht zerplatzen. Einige zuckten noch immer lebend mit ihren grotesk verbogenen Gliedmaßen qualvoll im Dreck, bis schließlich der Kriegswagen über sie hinweg rollte und auch das beendete.​
»GGOROGB! GGRRROGOBBGORGB!!«​
Der Schlachtwagen hob die Moral derer, die nicht von ihm zu Brei verarbeitet wurden, und der Anführer schrie fröhlich seine Befehle. Der Wagen machte einen großen Bogen, um erneut auf die Abenteurer zusteuern zu können. Mit den Fleischbrocken und den Blutfontänen, die von seinen Rädern spritzten, kündigte er an, dass sie als Nächstes dran waren.​
»Da sieh mal einer an!«​
Der Echsenmensch duckte sich zur Seite und schlug freudig mit dem Schwanz auf den Boden.​
»Das Chaos ist heute gut ausgestattet!«​
Mit seinem großen Körper beschützte der Mönch die schmächtige Priesterin.​
»E... Es tut mir leid.«​
Die junge Abenteurerin bedankte sich mit schwacher Stimme und schien sich zweifelsohne Gedanken über ihre eigene Schwäche zu machen. Sie mochte einiges an Erfahrung gesammelt haben und daran gewachsen sein, aber ihre körperlichen Fähigkeiten hatten sich nicht drastisch verändert. Nichtsdestotrotz blickte sie, vollkommen verdreckt, tapfer zum Schlachtwagen der Goblins.​
»Es sind dennoch nichts weiter als Goblins«, spuckte Goblin Slayer geradezu aus, während er sich erhob.​
»Es ändert nichts daran, was getan werden muss!«​
Dennoch war es nicht so einfach, wie der Krieger es klingen ließ. Jetzt ertönte auch noch erneut die Signalpfeife und vermeldete, dass etwas beim Fluss geschah.​
»Ts!«​
Goblin Slayer konnte jetzt einen wilden Plan schmieden und in die Tat umsetzen, doch würde er etwas an der Lage ändern können? Aber Beschwerden allein würden keinen falls etwas ändern.​
Mit diesem Gedanken fragte der Krieger:​
»Was denkst du?«​
»Mal schauen ...«​
Der Wagen der Goblins hatte seinen Bogen beendet und kam jetzt auf sie zu. Der Echsenmensch platzierte sich so, dass er genau in seinem Fahrtweg stand.​
»Um den Kopf eines Anführers zu bekommen, muss man erst die Pferde erschlagen, aber anscheinend hat jemand den kleinen Teufeln dieses Wissen weitergegeben.«​
Wenn der Wagen wendete, konnte man die Goblins, die ihn schoben, an den Seiten sehen, doch wenn der Wagen auf einen zukam, waren sie durch eine Art Überzug geschützt.​
»Können wir also von vorne nichts ausrichten?«​
Der essenzielle Faktor hier war Zeit. Vom Fluss her rückte die Verstärkung der Goblins an und sie mussten den Wagen so schnell wie möglich ausschalten.​
»Es wird schwer.«​
Der Echsenmensch schüttelte den Kopf.​
»Mit Scheindrache stehen die Chancen vielleicht fünfzig-fünfzig. Es ist alles von der Wucht, dem Winkel und der Geschwindigkeit abhängig.«​
»Es ist also eine Art Glücksspiel.«​
Goblin Slayer brummte.​
»Das gefällt mir nicht.«​
»In der Welt lässt sich fast alles mithilfe von Zahlen erklären.«​
Goblin Slayer hatte das schon einmal gehört. Er seufzte.​
»An den Seiten ... sind Spitzen, oder?«​
»Ha ha, ja. Anscheinend haben sie den Großteil der Angriffsmöglichkeiten bereits erkannt.«​
An den Rädern waren Speere befestigt, die selbst ausweichende Gegner noch ummähen konnten. Es gab viele Hürden und viele Dinge zu bedenken, aber ...​
»Goblin Slayer!«, schrie die Priesterin und riss den Krieger damit aus seinen Gedanken.​
Der Goblin Schlachtwagen sauste weiter auf die Abenteurer zu, doch die Priesterin rief tapfer:​
»Lass uns die Probleme zusammenfassen!«​
»So werden wir vorgehen«, erwiderte Goblin Slayer mit einem Nicken.​
Es gab einen Weg. Das war immer und überall so. Der Anführer der Goblins meckerte über seine trägen Kameraden. Was waren das bloß für schreckliche Trantüten? Wieso war der Wagen so langsam? Und wieso erwischten sie die Abenteurer nicht? Wenn es so weiterging, würden sie nichts von der Beute abbekommen. Dabei hatte er als Anführer alles verdient.​
Doch wo waren ihre Opfer nun? Er hatte den Wagen angehalten, um sich zu orientieren. Ach, dort. Sie waren in die falsche Richtung geflohen, denn jetzt vor dem Eingang konnten sie nicht länger ausweichen. Als der Anführer sah, wie die junge Priesterin zitternd ihren Stab an sich heranzog, leckte er sich über die Lippen.​
Soll ich ihr noch etwas mehr Angst machen?
Freudig riss der Goblin sein rostiges Beil in die Luft, bevor er mit einem Hieb das Seil vom Katapult zerschnitt. Knirschend sank das Gegengewicht herab und ein Felsen wurde donnernd in Richtung der Abenteurer geschleudert.​
Goblins waren nicht dazu imstande, Flugbahnen zu berechnen, weshalb das Geschoss sein Ziel verfehlte und in die Mauer des Anwesens krachte, aber das reichte dem Anführer, denn als der Stein aufprallte und Gesteinsbrocken zu Boden polterten, erschrak die Priesterin fürchterlich.​
»GOOROGOOROOGG!!«​
Der Anführer der Goblins klatschte fröhlich in die Hände.​
Man konnte das Katapult nur einmal einsetzen, doch es hatte sich gelohnt, es anzubringen. Die Wucht des Geschosses hatte die Vorderräder des Wagens in die Luft gehoben, aber jetzt krachten sie zurück auf den Boden.​
Jetzt galt es nur noch, auf die Abenteurer zuzufahren, sie zu zerquetschen und in Stücke zu reißen. Allein die Vorstellung, wie bitterlich die Priesterin heulen würde, erregte den Anführer enorm.​
»GGORG! GGOOOROOGGB!!«
»GOOROGB!!«​
Seine Trottel am Wagen beschwerten sich lautstark, aber machten sich dann wieder an die Arbeit. Das Gefährt setzte sich erneut in Bewegung und der Anführer hatte keinerlei Zweifel, dass sie mit ihm siegen würden. Goblins waren nichts anderes als triebgesteuerte Hunde, die nur an das eine Ziel dachten. Sie interessierten sich nicht dafür, wie viele ihrer Kameraden bereits tot waren oder dass sie selbst umkommen könnten. Jeder Einzelne glaubte, dass er besser als die anderen war und ihm nichts passieren würde, und deshalb ...​
»Höchst barmherzige Erdmutter. Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht.«​
... konnte er sich in dem Moment, als seine Augen vom grellen Licht verbrannt wurden, nicht vorstellen, was sich hinter dem Schatten verbarg, der auf ihn zusprang.​
»O... Okay!«​
Im selben Moment, als die Priesterin ein Wunder wirkte, trat Goblin Slayer mit einem kräftigen Tritt die Tür des Anwesens auf und rannte los. Der Echsenmensch packte die Priesterin und wirkte Magie.​
»Oh, edler Brontosaurier, gib mir die Kraft von Zehntausenden!«​
Mit gesteigerter Körperkraft sorgte der Mönch dafür, dass der jungen Abenteurerin nichts passierte. Goblin Slayer lief währenddessen in gerader Linie auf den Wagen zu. Er machte ein, zwei, drei Schritte und sprang mit aller Kraft vom Boden ab.​
»Hrmpf!«​
Genau in dem Moment, in dem der Wagen die Türschwelle überquerte, rollte der Krieger sich auf dessen Ladefläche ab und hielt sich kurz am Gerüst des Katapults fest, um sich zu sammeln. Der Kampf würde entschieden werden, während der Wagen durch den Eingangsbereich und den Gang raste.​
»Orcbolg?!«​
»GOOROGBB?!«​
Goblin Slayer hörte, wie oberhalb von ihm die Stimme der Elfe ertönte, aber er hatte jetzt keine Zeit. Sie würde mit ihren guten Augen eh sehen können, was hier vor sich ging. Er zog den Dolch aus seinem Gürtel und griff einen geblendeten kleinen Teufel an.​
»GOROG!«​
»Mit dir ...«​
Er rammte die Klinge in die Kehle des Gegners.​
»... sind es fünfundzwanzig!«​
Es war ein kritischer Treffer und der Goblin erstickte an seinem eigenen Blut, ohne schreien zu können. Goblin Slayer wuchtete den leblosen Körper auf seine Schulter.​
»GGOORGB?!«
»GGBG! GGOOROGB!!«
Unter dem Überzug kreischten die Goblins, die den Wagen schoben, doch nicht wegen des Tods ihres Anführers - den hatten sie nicht bemerkt -, sondern weil sie über ihre Arbeit fluchten.​
»Hn... ngh ...«​
Der Krieger verpasste dem Überzug einen Tritt, damit die Goblins Ruhe gaben und ging in einer Ecke der Ladefläche in die Knie. Der Wagen schoss währenddessen einen breiten Gang hinunter und raste auf eine Wand zu, wobei er nur knapp die Marmorsäulen an den Seiten verfehlte. Als er in die Mauer krachte, war es wie der Treffer eines gewaltigen Kriegshammers. Der Krieger konnte sich nur mit Mühe festhalten und spürte, wie etwas Hartes die Goblin Leiche auf seiner Schulter traf.​
»GGORBBG?!«
»GBBG! GOORGBB?!«​
Die Goblins unter dem Überzug merkten, dass etwas nicht stimmte, doch es war zu spät, denn sie befanden sich bereits im freien Fall. Das Katapult war durch den Aufprall abgerissen worden, aber der Wagen war durch die Gebäudewand gebrochen und flog nun durch die Luft. Die Zeit fühlte sich im freien Flug seltsam verlangsamt an.​
»Hrmpf!«​
Beim Flug wurde Goblins Slayers Körper wild in die Höhe gerissen. Er hatte noch nie versucht, auf einem wilden Pferd zu reiten, aber er vermutete, dass es sich so anfühlen würde. Wenn er jetzt vom Wagen fiel, könnte er unter dem Gefährt begraben werden, was seinen sicheren Tod bedeuten würde. Dies durfte also unter keinen Umständen passieren.​
»GBBOGB?! GOGGG?!«
»GOOROGGB!!«​
Die Goblins, die den Wagen angeschoben hatten, taten es ihm gleich und klammerten sich panisch an ihre Stangen, doch sie alle stürzten auf dasselbe Ziel zu: den Fluss mit der Goblin Flotte.​
»GORGB!«
»GOOOROGBB?!«​
Was schrien die Goblins wohl, die eigentlich schon genug mit dem Pfeilhagel von dem Anwesen zu tun gehabt hatten? Wahrscheinlich fragten sie sich, was gerade auf sie herabraste und wo es herkam. Im nächsten Moment schlug der Schlachtwagen wie ein gewaltiges Geschoss in eines der Boote ein.​
»Hngh!«, brummelte Goblin Slayer, unsicher, wie er sich festhalten sollte.​
Der Wagen riss beim Aufschlag ein großes Loch mitten in das Boot und schon bald war nicht mehr zu unterscheiden, was einst Schlachtwagen und was Boot gewesen war. Einige der Goblins sprangen panisch ins Wasser und bemerkten dabei nicht, dass es zu einer klebrigen Masse geworden war, die sie festhielt, während der Schlachtwagen über ihren Köpfen nach unten sank und sie in die Tiefe drückte.​
»GOBOO??!!«
»GOOGRBB?!«​
Die Goblins versuchten verzweifelt, sich zu wehren, und drückten gegen den Wagen, doch dieser bewegte sich natürlich nicht. Nachdem Goblin Slayer, der bereits am Boden des Flusses​
angekommen war, dies überprüft hatte, stieß er sich mit den Füßen ab. Mit dieser Methode konnte man sich selbst mit verbundenen Armen noch unter Wasser bewegen. Vor allem, wenn man wie er einen Ring der Atmung dabei hatte. Dessen Funkeln war zwar bereits erloschen, aber er besaß noch seine Kraft, weshalb der Krieger sich keine Sorgen machen musste. An der Wasseroberfläche angekommen, steckte er seinen Kopf im Helm aus dem Wasser heraus.​
»Puha ...«​
Keuchend holte er Luft und schaute sich um.​
»GOOROGB!!«
»GOGB?! GOORGB!«​
Der Schlachtwagen hatte das mittlere der drei Boote in Stücke geschlagen, welche jetzt mit den anderen beiden Booten kollidierten. Aufgeregt schrien die Goblins auf diesen herum, konnten jedoch nichts tun. Die Biester waren sich absolut sicher gewesen, dass sie mit dem Schlachtwagen und den Booten gewinnen würden, doch jetzt hatte sich das Blatt gewendet und sie gerieten in Panik. Einige sprangen sogar ins Wasser und gingen genauso unter wie ihre Artgenossen zuvor oder wurden von den Bootsresten erschlagen.​
»Aber ...«​
Goblin Slayer überlegte, ob er auf den Ring vertrauen und herabsinken oder ob er an einem Bootsstück hochklettern sollte.​
»Orcbolg, Vorsicht!«​
Ein Pfeil mit Knospenspitze schoss an dem Krieger vorbei und bohrte sich vor seinen Augen in eine Holzplatte. Als er sah, dass an dessen Schaft ein Seil hing, griff er ohne Zögern danach.​
»Mensch, Bartschneider! Du hast es auch diesmal wieder übertrieben!«​
Das andere Ende des Seils hatte der Zwerg in seinen Händen und wurde selbst von der Elfe festgehalten, damit er nicht in den Fluss gezogen wurde. Hinter den beiden Kameraden, die am Seil zogen, kam die Priesterin angelaufen. Als Goblin Slayer dann auch noch den Echsenmenschen erkannte, atmete er erleichtert aus.​
»Der Zusammenstoß mit den Booten war nicht geplant«, gab der Krieger zurück, aber er war sich nicht sicher, ob seine Stimme seine Kameraden erreichte.​
»Komm, Bartschneider! Halt dich fest!«​
»Ja, tut mir leid.«​
»Was denn? Wenn ein Freund am Ertrinken ist, dann bleibt einem Zwerg nur, ihn entweder herauszuziehen oder gemeinsam mit ihm unterzugehen.«​
»Hör auf zu labern!«, schrie die Elfe genervt.​
Die Priesterin griff sich mit einem verlegenen Lächeln das Seil und half und auch der Echsenmensch kam hinzu, weshalb es keinen Grund zur Sorge gab.​
»Keinen Grund zur Sorge?«, murmelte Goblin Slayer leise und konnte kaum glauben, dass es solche Momente in seinem Leben gab.​
Er drehte sich herum und konnte selbst in der Nacht gut erkennen, wie die zerstörte Flotte der Goblins unterging. Damit war der Auftrag erledigt und die Goblins waren alle tot. Und selbst wenn eines der Biester überlebt haben sollte, würde es ans Ufer kommen und dann eben dort erledigt werden. Goblin Slayer hatte in seinem Leben bisher niemals wirkliche Sicherheit erfahren. Seit seinem Goblin Auftrag in jenem Dorf hatte sich nichts verändert.​
Hatte er wirklich das Anwesen beschützt? Hatte er wirklich die Sorgen der Schwester beseitigt? Wie lange würde er noch gegen Goblins kämpfen müssen? Und wenn es vorbei war, würde er es akzeptieren können?
Er kannte die Antwort auf all diese Fragen nicht. Das Einzige, was er wirklich wusste, war, dass am anderen Ende des Seils seine Kameraden standen.​
»Meine Güte.«​
Goblin Slayer seufzte und griff das Seil fester.​
»Es ist einfacher, Goblins zu vertreiben.«​


Nach Oben
 

Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Intermission XXXII
Wie alle mit ganzer Kraft kämpfen


»Es gibt so viel ... zu tun!«, stöhnte die Hexenmeisterin, während sie mit aufgeschürztem Saum durch den Wald lief.​
Kerle, die Magiewirker für nutzlos hielten, hatten keine Ahnung davon, was der Hexer mit der Krone erreicht hatte, noch wussten sie, was es hieß, nach dem Grauen oder dem Meister, der einem grauen Falken ähnelte, zu suchen.​
Vor allem erzählt man sich, dass sie auch im Schwertkampf bewandt sind.​
»Hey, ihr! Kinder! Bleibt zurück! Oder wollt ihr sterben?«​
»Ah! Es tu ... tut uns leid!«​
Sie schimpfte immer über das Verhalten der Neulinge, die sich zu weit nach vorne wagten. Es war die Aufgabe von Magiewirkern, das gesamte Schlachtfeld im Blick zu behalten und sich ihre Zauber einzuteilen, aber natürlich hatten ihre Fähigkeiten auch ihre Grenzen. So konnte sie sich zum Beispiel nicht um jeden einzelnen Anfänger kümmern, der hier beim Tempel herum hüpfte, um ihn zu verteidigen. Das Verhalten der Neulinge ging ihr sogar so gegen den Strich, dass sie bereits jedes ängstliche Zucken von ihnen als nervig empfand. Schließlich musste sie gerade das Kraftfeld aufrechterhalten, das die Angriffe des Mantikors abwehrte. Der Zorn beeinflusste zwar ihre Konzentration, aber sie konnte es auch nicht einfach durchgehen lassen.​
»Hey! Hast du nicht gesagt, dass du auf die Frischlinge aufpasst?!«​
Obwohl die Pranken der Bestie an der Schutzmauer kratzten, warf sie ihrem Kameraden, dem Mönch, einen fiesen Blick zu.​
»Nun ja ...«​
Der Geistliche verzog pessimistisch sein Gesicht und fuhr sich durch die Stoppeln auf seinem Kopf.​
»Ich muss mir meine Wunder zum Neutralisieren von Gift aufsparen und weil ich den Verwundeten deshalb auf andere Weise helfen muss, habe ich keine Zeit dafür.«​
Neben dem Mönch lagen einige verwundete Abenteurer auf dem Boden, die notwendig versorgt worden waren. Wer ohne Heilmittel auf ein Abenteuer geht, hat eigentlich den Tod verdient, dachte die Hexenmeisterin, doch wischte den Gedanken gleich wieder zur Seite. Selbst sie wusste, dass es eine Grenze gab, die man nicht überschreiten sollte. Außerdem wusste sie, wie es war, Anfängerin zu sein, und allein die Erinnerung daran, wie schwer es damals für sie gewesen war, an Zauberbücher zu kommen, brachte sie zurück auf den Boden der Tatsachen. Und überhaupt! Diese Bücher enthalten eigentlich Militärgeheimnisse, aber dann werden sie einfach auf fremden Schwarzmärkten verhökert! Die Abenteurerin konzentrierte ihren Zorn auf ein weit entferntes Reich und knabberte an einem Fingernagel.​
»Hey, das gehört sich nicht.«​
»Halt die Klappe!«, schrie sie hysterisch.​
»Bist du immer noch nicht fertig?!«​
»Sei ruhig! Ich gebe hier mein Bestes!«​
Der Axtkämpfer schlug seine Waffe in einen Körper, der eine Verschmelzung aus mehreren untoten Wesen war. Die Bestie ließ Zweifel an dem Verstand seines Erschaffers aufkommen. Sie besaß viele Arme und Beine, wanderte bebend umher und sonderte ein undefinierbares Miasma ab. Der Axtkämpfer wich irgendwie den fauligen Ausdünstungen des Wesens aus und griff es immer wieder in Kombination mit anderen Abenteurern an.​
»Uwah! Das ist viel zu schwer! Und gefährlich!«, meckerte ein junger Krieger, der mit einem Schwert und einem Knüppel kämpfte.​
Es war ein sonderlicher Kampfstil, der in Kombination mit seiner Anstrengung einen komischen Anblick ergab. Hinter ihm stand ein Mädchen, das ein Waagenschwert bei sich trug.​
»Seid ihr jetzt bald fertig? Oder soll ich das Kraftfeld ewig aufrechterhalten?«​
»Was weiß ich?!«​
»Du Idiot!«, schrie die Hexenmeisterin zurück und konzentrierte sich erneut auf ihren Zauber.​
Das untote Monster konnte mit Gift angreifen, genauso wie der Mantikor, und es war die Aufgabe eines Magiewirkers, seine Kameraden darauf hinzuweisen, wenn es giftige Gegner gab. Es soll auch Magier geben, die nicht einmal wissen, wie ein Tiger aussieht ... Ein Mantikor war eine magische Bestie mit dem Kopf eines alten Mannes, dem Torso eines Löwen und einem Skorpion als Schwanz. Hinzu kam, dass er über eine gewisse Intelligenz verfügte. Die Hexenmeisterin war der Meinung, dass das Allgemeinwissen war, aber selbst wenn sie zur Sicherheit allen Bescheid gab, wäre es unmöglich, beide Gegner gleichzeitig zu bekämpfen, weshalb einer nach dem anderen erledigt werden musste.​
»Wer auch immer glaubt, Magiewirker wären schwach und nutzlos, hat sie nicht alle!«​
Als auf ihr Grummeln nicht nur ein Brüllen des Mantikors folgte, sondern auch ein »Hoppla« des Hasenmenschen, der sich in den hinteren Reihen Essen in den Mund stopfte, ging es ihr gehörig auf den Zeiger. Es war nicht klar, ob das Mädchen weißes oder braunes Fell hatte, aber es schien zu jucken.​
»Stimmt etwas nicht mit der? Hat sie irgendein Problem?«​
»Was?!«, antwortete der Axtkämpfer und trennte dem untoten Wesen einen Arm ab - oder was auch immer das für eine Gliedmaße war. Dann legte er sich die Axt über die Schulter und sagte zu dem jungen Krieger:​
»Ich überlasse dir das.«​
»Häh?!«Überrascht machte der Junge ein paar Schritte zurück und wandte sich an einen Abenteurer, der sich zitternd im Schatten versteckte. »Hey, was machst du da? Wir brauchen Hilfe, um das Ding aufzuhalten!«​
»Hmpf ...«​
Der Mann schaute verlegen und lachte dann.​
»Nein, ich habe Bauchschmerzen ...«​
»Bauchschmerzen?!«​
»Das kann doch nicht sein.«​
Der Mönch stand auf, als hätte er genau auf diesen Moment gewartet. »Dich hat wohl das Miasma des Untoten erwischt, aber die Heilung wird dich einiges kosten.«​
Der Junge und das Mädchen, die jetzt an vorderster Front kämpften, schrien qualvoll auf, weshalb der Hasenmensch rief: »Das ist nicht gut«, und schnell los hoppelte, um sie zu unterstützen.​
Die Bezahlung für diesen Auftrag war relativ gut, doch wenn man eine Heilung brauchte und sie auch noch zahlen musste, würde man am Ende Miese machen. Der Mönch ignorierte das Nörgeln des Abenteurers auf niedrigem Rang und kam mit einer Hand in der Tasche näher.​
»Mal schauen, ich werde dich untersuchen. Es sollten keine großen Kosten entstehen. Medizin gegen Bauchschmerzen für einen Elfen ...«​
»Ein Eif?«​
Der Axtkämpfer sah die langen Ohren des Jungen, aber auf seinem Abzeichen stand, dass er ein Mensch war.​
»Du Schweinehund! Hier stimmt doch etwas nicht!«​
Entweder hatte der Elf es gefunden oder gefälscht, aber die Informationen auf dem Abzeichen waren in jedem Fall falsch. Gerade als der Axtkämpfer ihn packen wollte, schnalzte der Elf mit der Zunge und wich mit einem Sprung aus.​
»Ts! Wäre der Bauernhof gefallen, hätte ich das hier nicht machen müssen!«​
Er wischte sich über das Gesicht und zog einen Dolch. Die Hexenmeisterin ließ sich davon nicht ablenken, denn sie musste das Kraftfeld aufrechterhalten und erkennen, wo welche Zauber erforderlich waren. Die Bestie war dazu wahrscheinlich nicht in der Lage, aber der Mantikor konnte Zauber einsetzen und daher war ein Schutz gegen Magie erforderlich. Sie überlegte, wie häufig sie heute schon Zauber gewirkt hatte und wie viele ihr noch blieben. Sie überprüfte, ob sie noch die richtigen Formeln kannte und wie es um die jungen Abenteurer stand. Es war alles sehr lästig. Und wenn der Mönch jetzt etwas anderes treibt, wer kümmert sich um die Verletzten? Soll ich auf die auch noch achten? Und was macht der Axtkämpfer? Will er die Kinder allein gegen das untote Wesen kämpfen lassen?​
Klatschen, Schmatzen, Klirren, Klacken, Kreischen, Schreie und Brüllen.​
»Oh Mann! Seid doch alle mal ruhig!​
»Tonitrus ... Oriens ... lacta!«​
Im nächsten Augenblick gab es ein donnerndes Zapp und der Kopf des Elfen platzte durch einen Blitz wie eine reife Frucht. Auf einmal herrschte Stille. Selbst die Monster hielten inne. Die Hexenmeisterin keuchte und ihre Schultern hoben und senkten sich. Die anderen Abenteurer machten einige Schritte zurück, während sie durch die Blutlache des Elfen stapften.​
»Ich weiß nicht, was genau hier los war, aber es war in Ordnung, ihn umzubringen, oder?«​
Alle nickten.​
»Dann geht gefälligst wieder auf eure Plätze!«, brüllte die Hexenmeisterin wütend.​
»Ich hab sowieso schon genug zu tun!«​
Keiner widersprach ihr und aus diesem Grund fand niemand heraus, dass dieser Dunkelelf der Ursprung aller Gerüchte über die Schwester der Abenteurer-Priesterin gewesen war.​
»Anscheinend geht es beim Tempel der Erdmutter auch schon rund«, gab die Druidin eine Information weiter, die sie über einen Vertrauten erfahren hatte.​
»Ach so!«, antwortete der Panzerkrieger und dachte noch, dass sie nicht von einem Vertrauten sprechen sollte.​
Schließlich hatte sie lediglich ein Tier aus dem Wald um Hilfe gebeten und es nicht an sich gebunden. Der Krieger pflügte mit seinem mächtigen Zweihänder durch die Vorhut der Dämonen. Ein Hieb war mehr als genug, um zwei, drei Gegner entzwei zu schlagen und ihre Seelen damit ins Geisterreich zu schicken. Die Abenteurer waren von Dämonen in einem unterirdischen Mausoleum umstellt. Neben vielen niederen Dämonen waren auch eine Menge höhere Dämonen zu sehen. Man konnte von Glück reden, dass keine Erzdämonen anwesend waren ...​
»DDAAAAEEEMOOONNNNNNN!!«​
»O... Oh!«​
Als das Heulen eines schafsköpfigen Dämons zu hören war, ging der Speerkämpfer in die Offensive. Er hasste die Anhänger des Chaos.​
»Wollt ihr etwa so dringend den Wein der Erdmutter trinken?!«​
Er stürmte vor, tauchte unter dem Fleischermesser des Schafsdämonen hindurch und stieß mit seiner langen Waffe zu. Sie zischte an der Waffe des Gegners vorbei und bohrte sich in die Kehle des Teufels.​
»DDDEEEEEEEEA AMMMMOOON!!!!«​
Aber seine Lebenskraft war enorm. Während die Klinge des Kämpfers noch in seinem Hals steckte, begann das Fleisch bereits Blasen zu bilden und die Wunde schloss sich. Mit seinen gewaltigen Armen packte der Dämon den Speer, um ihn herauszuziehen, während der Speerkämpfer fest dagegenhielt. Die Bestie hatte ein siegessicheres, tapferes Lächeln auf den Lippen.​
»Das ist ... ein Opfer ... für die Fruchtbarkeit ... Verstanden?«​
Ein Sturm tobte heran, den die Hexe mithilfe von magischen Formeln heraufbeschworen hatte.​
»Wenn ... sie das Land besudeln ... gibt ... es dort ... ein Jahr lang ... keine Ernte ...«​
Ein Strudel aus magischer Energie formte unter der Decke des Mausoleums eine dunkle Wolke.​
»Caelum ... Ego ... Offero!«​
Plötzlich fiel ein Schneesturm aus Eis und Hagel von der Decke herab und die Dämonen wurden mit Frost überzogen. Wenige Sekunden später wurden ihre steif gefrorenen Körper von großen Hagelkörnern zerschlagen.​
»Gruselig ...«, murmelte der Speerkämpfer und der Panzerkrieger war wohl derselben Meinung, aber sie waren nur einen Schritt vorangekommen und jeder wusste, dass es danach immer einen Schritt zurück ging. Sie waren erfolgreich in den Unterschlupf der Sekte eingedrungen, aber hier wimmelte es von Dämonen. Es waren so viele, dass es unmöglich erschien, das Ende des Unterschlupfs erreichen zu können. Die Erzbischöfin meinte aber, dass das auch in Ordnung wäre.​
»Hey, wie sieht es bei dir aus?!«​
»Es ist ganz schön hart«, antwortete der Halbelfen-Schwerkämpfer.​
Er kämpfte gerade an anderer Stelle gemeinsam mit dem jungen Späher. Genau, sie waren nicht allein. Sie waren mit weiteren Abenteurern in den Unterschlupf eingedrungen. So war auch eine Gruppe dabei, die berühmt für das Besiegen von Dämonen war. Ein etwas dicklicher Magier feuerte magische Geschosse ab, während eine Schwertkämpferin und ein Paladin ihre Klingen schwangen. Ein Heiler verschoss Feuer aus einem Rohr.​
»DDAAEEMMONN!«​
Doch sie alle konnten den höheren Dämon, gegen den sie kämpften, nicht töten. Er hatte eine Form, die selbst für Dämonen seltsam war. Er sah aus wie eine hübsche Frau mit hellblauer Haut, die kaum von Rüstung bedeckt war, und trug eine Lanze. Aber die andere Hälfte des Körpers ...​
»DDDDDEEEMMMOONNDD!«​
... sah aus wie eine Spinne. Die Beine waren krumm, abartig und mit Fell und Stacheln bewachsen. Neben zwei Armen besaß der Dämon sechs Beine und hatte damit acht Gliedmaßen ... Allein der Anblick dieses Wesens, das halb Dämon und halb Arachnoide war, konnte einen wahnsinnig machen. Anscheinend war es der Anführer der Dämonen.​
»Ich werde ihn ablenken!«​
In diesem Moment sprang die Ritterin heran. Der Dämon lachte bei ihrem Anblick hämisch und griff sie an.​
»Hey, pass auf, ja?!«​
»Ich weiß. Ich muss aber Heldentaten begehen, damit ich ein Paladin werde!«​
Anscheinend hatte die Tatsache, dass ein heiliger Ritter in einer der anderen Gruppen war, sie motiviert. Sie ignorierte den verzweifelten Blick des Panzerkriegers, warf ihren Schild zur Seite und griff ihr Schwert mit beiden Händen.​
»Na komm!«​
Mit einer Geschwindigkeit, die die eines Reiters zu Pferd überstieg, raste der Dämon auf die Ritterin zu und stieß mit der Lanze nach ihr. Ein Treffer dieses Dämons würde sicher auch die riesigen Bestien im Süden töten können und ein Abenteurer könnte sich glücklich schätzen, wenn noch ein erkennbares Stück von seinem Körper übrig bleiben würde. In dem Augenblick kurz bevor die beiden aufeinanderprallten, beugte die Ritterin sich so weit nach hinten, dass es aussah, als würde ihr halber Körper umknicken. Mit einer flüssigen Bewegung hatte sie das Schwert runter gezogen, um dann in einer Aufwärtsbewegung die Spitze der Lanze zu treffen. Es rumste. Die Eisenstiefel der Ritterin rutschten über den Boden und weißer Rauch stieg auf. Der Dämon hatte währenddessen längst seinen Oberkörper verloren. Der abgetrennte Frauenteil hielt noch immer die Lanze in den Händen und trug weiterhin ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen. Blut regnete auf die Ritterin hinab, die scheppernd ihren Helm vom Kopf zog. Sie hatte anscheinend die Geschwindigkeit des Gegners ausgenutzt, um ihn gezielt zu zerteilen. Der Panzerkrieger atmete erleichtert auf.​
Ich bin schon lange mit ihr unterwegs, aber ich konnte ihrem Hieb nicht folgen.
Er hatte sie schon öfter gefragt, was es mit ihren Schwerttechniken auf sich hatte, aber sie hatte ihm nur geantwortet, dass sie ihm nichts sagen könne. Natürlich steckte irgendein Prinzip dahinter, aber er wusste nicht, wo und wie sie es gelernt hatte. Nur​
einmal, als sie betrunken gewesen war, hatte sie preisgegeben, dass sie sehr alt waren.​
»Jeder kriegt das, was er verdient«, sagte die Ritterin und wischte sich die Haare aus dem Gesicht.​
Über ihr Antlitz lief ein feiner Streifen Blut.​
»Sie ist frontal auf meine Herausforderung eingegangen. So eine Schwachköpfin.«​
»Das gilt für dich doch genauso.«​
***
»Du hast dich ganz schön zurückgehalten.«​
»Wenn ich rein stürme, dann gewinne ich sofort. Aber Gewinnen ist ja auch meine Aufgabe«, antwortete die Heldin auf die Aussage der Weisen, während sie blitzschnell durch das Labyrinth raste, das tief unter den Grabhügeln im Grenzland lag. In der Hand hatte sie ihr heiliges Schwert und am Körper trug sie ihre magische Rüstung. Außerdem war sie mit zahlreichen Zaubern und Segen gestärkt worden. Der grüne Umhang und der Eisenspeer waren auch nicht übel, aber an diese Ausrüstung hatte sie sich mittlerweile gewöhnt.​
»Aber wo ich mich rein stürzen oder welchen Weg ich nehmen soll, das weiß ich nicht.«​
Bis vor Kurzem hatte sie nur Dämonenkönigen oder irgendwelchen Sekten das Handwerk legen müssen, aber jetzt war sie in Regierungsangelegenheiten, allerlei komplizierte Dinge und Verschwörungen verstrickt. Dabei wollte sie nichts weiter, als sich einfach nur ins Getümmel zu stürzen ... Ihre Kameraden meinten allerdings immer, dass sie das nicht dürfe. Wenn man die Regeln der Menschenwelt ignorierte, wurde man von ihr verstoßen. Wenn alle sagten, dass sie einen mochten, dann musste man ihnen glauben und ihnen die Aufgaben überlassen, die sie schaffen konnten. Es hatte keinen Sinn, selbst alle Probleme lösen zu wollen. Schließlich drehte sich die Welt nicht um einen selbst. Bekannte, unbekannte, gutherzige und niederträchtige Wesen lebten in ihr.​
Ein Beispiel: Ein Abenteurer hatte von einem Goblin Auftrag berichtet und dieser Bericht hatte die Erzbischöfin erreicht, die wiederum die Gilde benachrichtigt hatte. Damit es solch ein großer Auftrag werden konnte, hatte die Händlerin alles gegeben. Das Geld, das diesen Auftrag möglich gemacht hatte, war direkt von seiner Majestät gekommen, der das Geld natürlich nur dank der Steuern seiner Untertanen zur Verfügung hatte.​
Wie bei jedem Kampf waren es andere Abenteurer, die die Gegner hervorlockten, und die Heldin lief jetzt einen Gang entlang, der von irgendjemand anderem freigekämpft worden war. Diese ganzen Umstände waren nervig für die Heldin, aber sie empfand sie trotzdem als großes Glück.​
»Hi hi ...«​
»Warum lachst du plötzlich?«​
»Mhm? Ohne bestimmten Grund!«​
Die Heldin schüttelte als Antwort auf die Frage der Schwertheiligen, die vor ihr an der Spitze bereits mit Dämonen kämpfte, den Kopf.​
Die Diener des Chaos hatten Dämonen gerufen, Untote beschworen und sich mit dem Händler verbunden, doch das eigentliche Ritual hatte hier unter der Erde stattfinden sollen. Sie hatten damit den heiligen Wein der Erdmutter besudeln wollen, aber hier und jetzt bot sich die ideale Gelegenheit, um diesen Plan zu durchkreuzen. Wenn die Gruppe hier verlor, dann würde die Erde im westlichen Grenzland ein Jahr oder noch länger leiden. Daher durften sie diese Chance nicht verstreichen lassen. Die Heldin verlor nicht. Niemals.​
»Die Nächste rechts, dann geradeaus und den dritten Gang nach links.«​
»Okay!«​
Die Weise hatte mit einem Zauber ihre Laufgeschwindigkeit erhöht, aber keuchte leise, während sie den Weg ansagte. Am einfachsten wäre es gewesen, mit einer Portal-Schriftrolle einzudringen, aber wenn es eine Schutzbarriere gegeben hätte, wäre sie sinnlos - vielleicht sogar gefährlich - gewesen. Wenn man planlos in einen Spalt zwischen den Dimensionen sprang, könnte es Hunderte von Jahren dauern, bis man wiederkehrte, und das wollten sie lieber vermeiden. Als Held rettete man die Welt. Aber man wurde nicht zum Helden, weil man die Welt retten konnte, sondern weil man sie retten musste. Wenn man mich fragen würde, ob ich sie retten kann, dann wäre ich mir nicht immer sicher ... Die Heldin wusste, wo ihre Grenzen waren, aber sie hatte ihre Kameraden an ihrer Seite und viele Wesen in der Welt verließen sich auf sie. Deswegen musste es funktionieren und sie glaubte daran.​
»Ganz hinten gibt es eine Tür! Wir brechen durch!«​
»Wir machen das traditionell wie alle Helden und treten die Tür ein!«​
»Solche Traditionen gibt es nicht!«​
»Und los! Jetzt kommt das große Finale! «​
Die Heldin stürzte sich mit Geschrei auf eine Horde aus Dämonen und dann gab es eine Sonnenexplosion tief unter der Erde.​


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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Kapitel 88
Personen, die weder Alkohol noch Frauen noch Lieder lieben.


Das Fest fand an einem sonnigen Tag statt. Lebendige Musik erfüllte die Luft und die meisten Bewohner der Stadt gaben sich dem Treiben hin. Im Tempel der Erdmutter ging es selbstverständlich auch fröhlich zu.​
»Hört alle her! Wir beginnen jetzt damit, die Trauben zu treten!«​
Auf den Zuruf der Priesterinnen versammelten sich die Gäste, denn die früh geernteten Weintrauben mussten getreten werden, damit es im Herbst guten Traubenwein gab. Dies war eigentlich ein heiliges Ritual, aber es gab auch einige, die nur hergekommen waren, um sich die entblößten Beine der jungen Frauen anzuschauen, Wein zu trinken und in schicker Kleidung hier und dort Leckereien zu essen. Auch einige, die noch vor Kurzem üble Gerüchte über den Tempel in Umlauf gebracht hatten, waren hier zu sehen und keiner der Geistlichen schien sich daran zu stören. Wahrscheinlich ist es gut so, dachte Goblin Slayer, der etwas abseits vom Geschehen saß. Er hatte sich, um dem grellen Sonnenschein zu entkommen, in den Schatten eines Baums gesetzt, gegen den er nun mit dem Rücken lehnte. Die Bedrohung, die über dem westlichen Grenzland geschwebt hatte, war durch die Bemühungen einiger Abenteurer abgewendet worden und deshalb waren diese ebenfalls zu dem heutigen Ereignis eingeladen worden. Goblin Slayer gehörte zu ihnen und auch wenn er hatte ablehnen wollen ...​
»Ich würde mich freuen, wenn du kommst!«, hatte die Priesterin zu ihm gesagt und ihm damit keine Wahl gelassen.​
Aber auch wenn er jetzt hier war, wusste er nicht, wie er sich amüsieren sollte.​
»Was denn? Hat der Alkohol dich etwa schon übermannt?«​
Langsam wandte der Krieger seinen Blick in die Richtung, aus der er angesprochen worden war, und sah die Schwester, die für die Weinherstellung zuständig war.​
»Hey!«​
Sie hatte einen Arm zum Gruß gehoben. Heute trug sie nicht ihre typische Kluft, sondern ein weinrotes Kleid. Goblin Slayer dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. Dann antwortete er:​
»Ich hab kaum etwas getrunken.«​
»Wer den Wein nicht zu trinken versteht, der vergeudet sein Leben«, gab die Schwester mit einem fröhlichen Lächeln zurück.​
»Man sollte bisweilen ein wenig Spaß haben.«​
»Nein ...«​
Der Abenteurer dachte nach und ließ seinen Blick über das festliche Treiben wandern. Der Speerkämpfer schaute den Schwestern gebannt beim Traubentreten zu und die Hexe murmelte leise etwas. Die Ritterin war in Alltagskleidung aufgekreuzt und hatte bereits so viel Wein getrunken, dass sie hochrot im Gesicht war. Gerade diskutierte sie mit dem Panzerkrieger. Die jungen männlichen Mitglieder ihrer beider Gruppen taten es dem Speerkämpfer gleich und starrten die freizügigen Priesterinnen an, was bei den weiblichen Gruppenmitgliedern zu leichter Verzweiflung führte.​
»Meine Güte ...«​
Die Hasenmensch Jägerin freute sich eigentlich, zum ersten Mal auf einem Fest abseits der Berge zu sein, aber weil sie noch immer mit dem Fellwechsel zu kämpfen hatte, durfte sie nicht beim Traubentreten mitmachen. Die Padfoot Kellnerin stöhnte, während sie von dem Lehrling der Schmiede begeistert herumgeführt wurde. Der Hofbesitzer hatte Nahrungsmittel geliefert und unterhielt sich nun mit der Oberpriesterin über irgendetwas. Die Angestellten der Gilde und die Inspektorin hatten heute frei und nahmen in privater Kleidung an dem Fest teil. Der Echsenmensch und der Zwerg aßen und tranken viel und machten entsprechend Lärm.​
»Ich glaube ... dass ich mich bereits amüsiere.«​
»Ja? Dann ist gut«, meinte die Traubennonne und lehnte sich an den Baum, der auch Goblin Slayers Rücken stützte. Sie kratzte sich etwas beschämt an der Wange und sagte:​
»Vielen Dank für alles.«​
»Ich hab doch nichts gemacht.«​
Die Schwester blickte zu dem Krieger.​
»Willst du etwa bescheiden sein?«​
Ihr Tonfall war scharf und Goblin Slayer konnte nicht verstehen, was für Gefühle dahintersteckten.​
»Ich hab nur Goblins getötet«, sagte er schließlich, weil ihm nichts Besseres einfiel.​
Die Schwester machte daraufhin den Mund zu und schaute zu Boden. Ein Windstoß wehte vorbei und ließ die Baumkrone wackeln. Das Rascheln der Blätter klang ungewöhnlich laut.​
»Dann ist es doch richtig, dass ich mich bedanke«, murmelte die Schwester.​
War sie sich bezüglich ihrer Reaktion ebenfalls unsicher gewesen?​
»Ist das so?«​
»Ja.«​
Die beiden nickten sich zu und schwiegen dann für eine Weile. Schließlich sagte die Schwester:​
»Ich muss auch noch zu den anderen ...«​
Während sie sich entfernte, sagte Goblin Slayer nur »Ja« und schaute ihr hinterher. Da bemerkte er einen jungen Mann mit edler Ausstrahlung. Es war der Sohn des Spirituosenhändlers. Er wirkte ein wenig ausgemergelt, aber er sah weiterhin ehrgeizig aus. Die Schwester ging zu ihm und sprach ihn an. Sie schien gleichzeitig zögerlich und furchtlos. Auf ihren Lippen war sogar ein leichtes Lächeln zu erkennen.​
Dann ist ja gut.​
Es war egal, worüber sie redeten, was daraus werden könnte und was für eine Beziehung sich daraus ergab. Wenn die Gerüchte stimmten, hatte der Händler angefangen, seine Ware als den »Wein aus dem Sommer der Goblin Vertreibung« zu verkaufen. War das jetzt sein außergewöhnlich guter Geschäftssinn oder einfach eine Eigenschaft aller Händler, eine solche Gelegenheit zu nutzen? Goblin Slayer wusste es nicht und verwarf den Gedanken wieder. Es war egal, wie und auf welchem Weg man voranging, Hauptsache, man ging voran. So hatte sein Meister es ihn gelehrt. Wenn mein Meister von dem Vorfall hören würde, würde er sicher schimpfen und mich schlagen.​
»Bist du fertig?«​
»Was meinst du?«​
Diesmal hatte der Krieger bemerkt, dass sich jemand von hinten näherte, und die Person angesprochen. Es war seine Kindheitsfreundin, die jetzt vor ihm stand und ihn anschaute. Sie wirkte aufgeregt und trug wie die Schwester ein weinrotes Kleid.​
»Wie gefällt es dir?«​
Sie zog am Stoff, um das Kleid zu präsentieren. Der Wind plusterte es ein wenig auf und die feinen Nähte waren zu erkennen.​
»Ich wurde auch eingeladen und durfte mir eins anziehen.«​
»Ich weiß nicht genau«, gab der Abenteurer zurück und sagte damit die Wahrheit. Er hatte keine Ahnung von Frauenkleidern.​
»Aber ich finde es nicht schlecht.«​
War seine Antwort wohl das, was die junge Frau erwartet hatte?​
»Meinst du?«​
Die Kuhhirtin lächelte und drehte sich vor ihm im Kreis.​
»Ich hab nur selten die Gelegenheit, so etwas anzuziehen, deshalb bin ich ganz hibbelig.«​
Die Schwestern des Tempels waren heute auch seltsam lebhaft. War es bei ihnen etwa derselbe Grund wie bei seiner Kindheitsfreundin? Wenn er es recht bedachte, trug die Priesterin sonst auch nur ihre Priesterrobe.​
»Sag mal.«​
»Was denn?«​
Sie ließ sich neben ihm auf den Boden plumpsen. Selbst durch die Rüstung konnte er ihre Wärme spüren.​
»Mein Onkel hat doch vom Heiraten geredet ...«​
»Ja ...«​
Goblin Slayer nickte und brummte. Er wusste mal wieder nicht so richtig, was er antworten sollte.​
»Ein schwieriges Thema.«​
»Ja.«​
Die Bewegungen der Kuhhirtin erinnerten den Krieger an ihre gemeinsame Kindheit. Ihre Stimme war leise. Fast wie damals, wenn sie sich nach einem Streit wieder vertragen hatten.​
»Das stimmt wohl.«​
»Ich kann nur ein Problem nach dem anderen angehen.«​
Er war jetzt seit mehr als sieben Jahren wieder da, aber der Gedanke, bereits etwas erreicht zu haben, kam ihm anmaßend vor.​
»Aber«, gab sie mit fröhlicher Stimme zurück und lachte, »wenn du so weitermachst, wirst du irgendwann alle Probleme gelöst haben, oder?«​
»Ist das so?«​
»Ich glaube schon.«​
Die Stimme der Kuhhirtin klang frei von allen Zweifeln. Goblin Slayer schaute durch die Zweige des Baums nach oben in den weiß blauen Himmel.​
»Ist das so?«​
»Ja«, antwortete sie knapp und stand dann schwungvoll auf.​
Sie klopfte sich Gras vom Kleid.​
»Na gut. Ich geh jetzt auch mal zum Traubentreten. Willst du nicht zuschauen?«​
Nach einer kurzen Denkpause erwiderte er:​
»Ja.«​
»Ich warte auf dich.«​
Sie winkte und lief mit leichten Schritten zur Trommel mit den Trauben. Dort stampften bereits die Priesterin, die Elfe und die Gildenangestellte.​
»Oh ja, die Weintrauben erfreuen das Gemüt!«
»Auf dem üppigen Hügel sind die Blumen erblüht!«
»Blaue Federn vor dem prallen Herbstmond - ach, guck!«
»Sie sind der Erdmutters prächtiger Brustschmuck!«
»Die Pflanzen blühen und die Früchte reifen sacht!«
»Mit dem Geliebten in der zweiten Sternennacht!«
»Die Waldvögel verkünden das Morgengrauen wie Glocken!«
»Das Streicheln der Erdmutter wird uns raus locken!«
»Hach, diese süß-bitteren kleinen Tropfen!«
»In unserem Herzen spüren wir ein Feuer pochen!«
»Die Zwillingsmonde und die Sterne machen Schicht!«

»Für die Erdmutter ist es ein Glücksgedicht!«
Die Frauen sangen und stampften fröhlich auf den Trauben herum und als er ihnen dabei zusah, dachte Goblin Slayer, dass der Wein dieses Jahr sicherlich gut werden würde. Der Krieger stand auf und ging los. Heute war ein sonniger, fröhlicher Tag. Deshalb musste er an nichts anderes denken.​


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