Im Tokioter "Café Rottenmeier" wird der Tee mit grimmiger Miene serviert: Mit falschen Falten und Haube verkörpern die Kellnerinnen den Stil der strengen Hausdame aus den "Heidi"-Büchern. Eine Künstlerin will so den Jugendwahn im alternden Japan auf die Schippe nehmen.
Zur Begrüßung kommt der grauhaarigen Bedienung kein Lächeln über die schmalen Lippen, streng geleitet sie den Gast zu einem freien Tisch. Wer hier einen Tee trinken will, erwartet keine Freundlichkeiten oder hübsche Kellnerinnen. Das Café im Tokioter Stadtteil Ikebukuro heißt schließlich "Rottenmeier" - nach der gebieterischen Hausdame aus den "Heidi"-Kinderbüchern. Der Name ist Programm: Die alten - oder auf alt geschminkten - Bedienungen sollen die jugendlichen Gäste in ihre Schranken weisen und zum Respekt vor dem Alter erziehen.
Das Café orientiert sich an der japanischen Zeichentrickserie aus den siebziger Jahren, die das Alpenmädchen aus den Romanen der Schweizer Autorin Johanna Spyri weltberühmt machte. In Schichten arbeiten 30 Frauen zwischen 24 und 77 Jahren als strenges "Fräulein Rottenmeier", unter ihnen Studentinnen, Büroangestellte und echte Großmütter. Mit viel Make-up haben die Jüngeren die nötigen Falten verpasst bekommen. Mit Schürze und Haube fragen sie nach den Wünschen der Besucher - ohne dabei allzu entgegenkommend zu wirken.
Falsche Falten, grimmige Großmütter
Das ungewöhnliche Café ist nicht nur eine Hommage an Heidi, sondern soll auch den Jugendwahn im alternden Japan auf die Schippe nehmen. Das Land hat mit durchschnittlich 1,3 Kindern je Frau eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt, das Durchschnittsalter japanischer Landwirte beispielsweise liegt bei 66 Jahren. In den vergangenen Monaten machte darüber hinaus immer wieder der unbemerkte Tod vereinsamter alter Menschen Schlagzeilen - ein Zeichen für die abnehmenden Bindungen zwischen den Generationen.
Die Künstlerin Miwa Yanagi hat mit dem Café Rottenmeier auch das Gegenteil der beliebten Maid-Cafés geschaffen, in denen junge, hübsche Frauen in niedlicher Dienstmädchengarderobe Getränke und Snacks servieren. "Der Druck, jung zu bleiben, wächst. Das ist nicht natürlich. Ich glaube, die Menschen haben genug davon", sagt Yanagi. Mit ihrem Café-Konzept scheint sie eine Marktlücke entdeckt zu haben - je 500 Besucher täglich ließen sich während der November-Wochenenden von den grimmigen Großmüttern bedienen.
Japan verehre zwar junge Frauen, wie in den Maid-Cafés zu sehen sei, sagt die 43-Jährige. "Aber warum soll es nicht auch ein Café mit Großmüttern geben?". Den Gästen mache die schroffe Bedienung anscheinend Spaß, berichtet Naomi Akamatsu, die mit falschen Falten als Fräulein Rottenmeier bedient. "Jungen und Mädchen möchten zurechtgewiesen werden", zeigt sich die 42-Jährige überzeugt. Die ältere Generation müsse den Jüngeren den Weg vorgeben.
Sehnsucht nach Heidis Welt
Doch das Café verdankt seinen Zulauf nicht zuletzt auch der einstigen Popularität der Heidi-Serie. Viele der Gäste waren Kinder, als die Zeichentrick-Folgen 1974 erstmals über japanische Fernseher flimmerten. Die Serie, die auf den Romanen Spyris aus dem 19. Jahrhundert basiert, erzählt vom Leben der kleinen Heidi bei ihrem Großvater in den Schweizer Alpen. "Rottenmeier hatte einen starken Eindruck bei mir hinterlassen", erzählt die 44-jährige Akiko Nagahama, während sie an ihrem Tee nippt. "Ich wollte mir Heidis Welt anschauen, nach der ich Sehnsucht hatte", schildert sie ihre Motive für den Besuch des Cafés "Rottenmeier".
Jüngere Gäste interessiert hingegen vor allem der Kontrast zu den jungen Mädchen, die in den meisten anderen japanischen Cafés bedienen. "Ich kenne die nur als hübsch und nett", sagt die 23-jährige Yui Tokunaga. "Es ist interessant, hier das Gegenteil zu sehen."
Für die Künstlerin Yanagi wiederum ist das Café auch eine Vorbereitung auf das eigene Altern. Sie sei bereit, sich den Herausforderungen des Älterwerdens zu stellen, sagt sie. "Ich freue mich darauf."
Anmerkung der Redaktion: Anders als die Nachrichtenagentur AFP in diesem Artikel berichtet, ist das "Café Rottenmeier" der Künstlerin Miwa Yanagi kein neu eröffnetes Café, sondern eine temporäre Kunstaktion im Rahmen des Festival Tokyo gewesen. Wir bitten Sie, unser Versehen zu entschuldigen.
Quelle: spiegel-online.de
Zur Begrüßung kommt der grauhaarigen Bedienung kein Lächeln über die schmalen Lippen, streng geleitet sie den Gast zu einem freien Tisch. Wer hier einen Tee trinken will, erwartet keine Freundlichkeiten oder hübsche Kellnerinnen. Das Café im Tokioter Stadtteil Ikebukuro heißt schließlich "Rottenmeier" - nach der gebieterischen Hausdame aus den "Heidi"-Kinderbüchern. Der Name ist Programm: Die alten - oder auf alt geschminkten - Bedienungen sollen die jugendlichen Gäste in ihre Schranken weisen und zum Respekt vor dem Alter erziehen.
Falsche Falten, grimmige Großmütter
Das ungewöhnliche Café ist nicht nur eine Hommage an Heidi, sondern soll auch den Jugendwahn im alternden Japan auf die Schippe nehmen. Das Land hat mit durchschnittlich 1,3 Kindern je Frau eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt, das Durchschnittsalter japanischer Landwirte beispielsweise liegt bei 66 Jahren. In den vergangenen Monaten machte darüber hinaus immer wieder der unbemerkte Tod vereinsamter alter Menschen Schlagzeilen - ein Zeichen für die abnehmenden Bindungen zwischen den Generationen.
Die Künstlerin Miwa Yanagi hat mit dem Café Rottenmeier auch das Gegenteil der beliebten Maid-Cafés geschaffen, in denen junge, hübsche Frauen in niedlicher Dienstmädchengarderobe Getränke und Snacks servieren. "Der Druck, jung zu bleiben, wächst. Das ist nicht natürlich. Ich glaube, die Menschen haben genug davon", sagt Yanagi. Mit ihrem Café-Konzept scheint sie eine Marktlücke entdeckt zu haben - je 500 Besucher täglich ließen sich während der November-Wochenenden von den grimmigen Großmüttern bedienen.
Japan verehre zwar junge Frauen, wie in den Maid-Cafés zu sehen sei, sagt die 43-Jährige. "Aber warum soll es nicht auch ein Café mit Großmüttern geben?". Den Gästen mache die schroffe Bedienung anscheinend Spaß, berichtet Naomi Akamatsu, die mit falschen Falten als Fräulein Rottenmeier bedient. "Jungen und Mädchen möchten zurechtgewiesen werden", zeigt sich die 42-Jährige überzeugt. Die ältere Generation müsse den Jüngeren den Weg vorgeben.
Sehnsucht nach Heidis Welt
Doch das Café verdankt seinen Zulauf nicht zuletzt auch der einstigen Popularität der Heidi-Serie. Viele der Gäste waren Kinder, als die Zeichentrick-Folgen 1974 erstmals über japanische Fernseher flimmerten. Die Serie, die auf den Romanen Spyris aus dem 19. Jahrhundert basiert, erzählt vom Leben der kleinen Heidi bei ihrem Großvater in den Schweizer Alpen. "Rottenmeier hatte einen starken Eindruck bei mir hinterlassen", erzählt die 44-jährige Akiko Nagahama, während sie an ihrem Tee nippt. "Ich wollte mir Heidis Welt anschauen, nach der ich Sehnsucht hatte", schildert sie ihre Motive für den Besuch des Cafés "Rottenmeier".
Jüngere Gäste interessiert hingegen vor allem der Kontrast zu den jungen Mädchen, die in den meisten anderen japanischen Cafés bedienen. "Ich kenne die nur als hübsch und nett", sagt die 23-jährige Yui Tokunaga. "Es ist interessant, hier das Gegenteil zu sehen."
Für die Künstlerin Yanagi wiederum ist das Café auch eine Vorbereitung auf das eigene Altern. Sie sei bereit, sich den Herausforderungen des Älterwerdens zu stellen, sagt sie. "Ich freue mich darauf."
Anmerkung der Redaktion: Anders als die Nachrichtenagentur AFP in diesem Artikel berichtet, ist das "Café Rottenmeier" der Künstlerin Miwa Yanagi kein neu eröffnetes Café, sondern eine temporäre Kunstaktion im Rahmen des Festival Tokyo gewesen. Wir bitten Sie, unser Versehen zu entschuldigen.
Quelle: spiegel-online.de