[Biete] Row, row, row your boat ...

Albin

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Kommentarthread:
Row, row, row your boat ...

Kleines Vorwort:

Könnte sein, dass ich nochmal was dran änder, aber irgendwie hats mich grade gepackt und ich wollte das Ding hier veröffentlichen, bevor ich es mir anders überlege, um mich dazu zu bringen, weiterzuschreiben, weil mir der Plot in meinem komischen Kopf doch sehr gefällt ;)
Wenn es euch gefällt, bedankt euch bei Troll2009, wenn es euch nicht gefällt, beschwert euch bei Troll2009, denn er ist schuld, dass ich überhaupt geschrieben habe :P

Ach ja, das Ganze wird sich eher in eine Horrorecke einordnen lassen ... aber es dauert, bis es richtig anfängt und solche Geschichtsanfänge in "unserer Realität" sind nicht gerade mein Steckenpferd. Deshalb wäre ich froh über jeden ehrlichen Kritiker.
Danke.

Row, row, row your boat ...

Prolog

"Row, row, row your boat gently down the stream." Sie verstummte kurz, um von ihrem kleinen Häuschen am Rande der Stadt über die Dächer selbiger zu schauen.
"Merrily, merrily, merrily, merrily." Doch ihre Stimme wurde eher nachdenklicher. Sie war zwar noch keine dreißig Jahre alt, aber sie fühlte sich um einiges älter.
"Life is but a dream", beendete sie das Kinderlied leise. Erfahrungen lassen einen altern. Vor allem die schlechten.

Mit einem Seufzen drehte sie sich wieder zu ihrem Haus um, auch wenn es eher einer Hütte glich. Einer Hütte, deren Wände sich den Bäumen ringsum anzupassen schienen und ihr ein windschiefes Aussehen gaben. Einige Dachziegel waren nicht mehr, wo sie hätten sein sollen und der Strom funktionierte nicht das ganze Jahr über, aber sie hatte fließend Wasser und einen kleinen Garten hinter dem Haus. Und was sie dort nicht anbauen konnte, verdiente sie sich als Kinderkrankenschwester.
Sie liebte ihr Leben, auch wenn es hätte besser sein können. Doch zumindest lebte sie noch. Keine der Bomben hatte sie getroffen und sie wurde auch nicht abgeholt. Dafür hatten ihre Eltern noch sorgen können. Doch für sich selbst nicht mehr.

"Row, row, row ...", begann sie erneut, als sie auf das Haus zu ging, um daran vorbei in den Garten zu gehen. Im Sommer gab es immer etwas zu tun, wenn man Gemüse anbaute und was sich jetzt machen ließ, musste nicht morgen getan werden.
Ein feiner Wind zerrte an den Ästen einiger naher Bäume und fuhr ihr durch das krause, schwarze Haare, streifte ihre Haut und einen Augenblick lang schloss sie die Augen, blieb stehen und genoss das Gefühl. Die Luft drang unter ihre locker sitzende Kleidung und umspielte ihren Körper.
Mit einem Lächeln auf den vollen Lippen, brachte sie den Rest des Weges hinter sich, doch bei dem was sich da ihren Blicken bot, zog sie scharf die Luft ein. Das gesamte Beet war umgegraben worden, alle Pflanzen zertreten, zerhackt und rausgerissen, verstreut über den ganzen Garten, Blätter, Triebe, Stengel, unreife Früchte.

Die Botschaft war deutlich. Sie wurde ihr ja auch schon persönlich vorgebracht. Sie war hier nicht erwünscht. Doch wo wäre sie es? Wo würde man sie wie einen Menschen behandeln? In diesem Land nicht.
Nein, wenn diese Menschen sie loswerden wollten, würde so etwas nicht reichen und sie würden es merken. Sie würden nicht weitergehen, als Eigentum zu zerstören und das würde nichts bewirken. Früher oder später würden sie aufgeben müssen. Dessen war sie sich sicher. Todsicher.

Sich innerlich in diesem Punkt bestärkend, nahm sie den Weg zur Hintertür des Hauses auf. Das Lächeln war von ihren Lippen gewichen, aber die Hoffnung nicht aus ihren Augen. Die Hoffnung, dass diese Menschen eines Tages einfach aufhörten.
"Row, row, row your boat gently down the stream. Merrily, merrily, merrily, merrily. Life is but a dream", sang die Frau in einem fast schon flüsternden Ton und streckte ihre Hand nach dem Türgriff aus. Irgendwann werden sie aufhören und dich akzeptieren, Kambo, irgendwann ...

Kapitel 1

"Irgendein Mann, der klüger ist, als wir beide, hatte mal gesagt, man kann nicht mehr dorthin zurück, wo man hergekommen ist, weil es nicht mehr existiert. Weil sich alles geändert hat. Ich will einfach nur sehen, ob er recht hat damit."
"Und deshalb lässt du die Signierstunde im Hugendubel sausen? Wie soll sich dein Buch ordentlich verkaufen, wenn du jedem Promotermin ausweichst? Wegen so einer Sentimentalität!?", kam prompt die Antwort aus den Lautsprechern der Freisprechanlage.
"Thomas ... Nein, lass mich ausreden", sagte er schnell mit Nachdruck, als er hörte, wie sein Gesprächspartner so viele Kilometer entfernt die Luft einsog, um etwas entgegenzusetzen. "Thomas, ich hab für meine ersten beiden Bücher jede deiner kleinen PR-Aktionen mitgemacht. Ich hab sogar alles verraten, wofür ich mal einstand und in diesem Starbucks in Berlin vor Latte Macchiato-Trinkern in Anzug oder Kostümchen gelesen. Und du hast gesagt, es hat sich gelohnt. Die beiden Romane haben sich besser verkauft als jeder noch so warme Semmel, dieses Buch sollte eigentlich ein Selbstläufer werden, weil ich eine treue Fangemeinde hätte, die nur darauf wartet. Waren das nicht deine Worte?"
"Es haben sich aber ein paar Dinge geändert. Dieser blöde Roman von diesem Ami hat zu viel Aufsehen erregt. Jeder redet nur noch davon, als hätte er das Rad neu erfunden. Du musst wieder auf dich aufmerksam machen."
"Und das werde ich. Und zwar genau dann, wenn ich wieder zurückkomme von meinem kleinen Ausflug. Und dann werde ich wieder deine kleine Schachfigur sein und mit zu deinen Promoterminen kommen." Er hörte deutlich ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. Er musste Thomas noch etwas geben, was ihn davon überzeugen würde, dass das hier kein vollkommen sinnloser Trip war.
"Wie wäre es, wenn ich die Eindrücke hier in einem neuen Roman verwurste und den werde ich dann sogar auf dem CDU-Parteitag vorlesen, wenn es dich glücklich macht."
"Du bist mir locker zwei Starbucks-Lesungen schuldig. Aber in Ordnung. Ich will nur, dass du weißt, dass ich damit nicht einverstanden bin aus beruflicher Sicht. Aber als Freund gönne ich dir die Auszeit, Jonas."
Jonas verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln, als er den Blinker nach rechts setzte und die Autobahnausfahrt nahm. Er hätte zwar so oder so diese Reise gemacht, aber aus irgendeinem Grund freute er sich über die Zustimmung von Thomas. Er war inzwischen wirklich mehr zum Freund geworden, als nur der Lektor zu sein, der er einmal war.
"Gut, Thomas. Ich melde mich dann wieder bei dir."
"Lass mich nicht zu lange warten. Bis bald."
"Bis dann."

Lächelnd schüttelte er den Kopf und schaltete die Sprachausgabe des Navigationssystems wieder ein. Ihm kamen zwar einige Industriegebiete und Landschaftsausblicke bekannt vor, aber die Straßenführung hatte sich deutlich geändert. Weniger Ampeln, mehr Kreisverkehre und Umgehungsstraßen.
Aber wie lange war es jetzt her? Abitur, Zivildienst, damals muss er zwanzig gewesen sein. Das Studium hatte er schon nicht mehr hier begonnen. Das waren jetzt also schon acht Jahre. Es musste sich eine Menge geändert haben in acht Jahren.
Allerdings blieben einige Dinge immer gleich, dachte er sich, als er das Fahrzeug verlangsamte, um an einem schlecht versteckten Blitzer vorbeizufahren. Direkt nach der Autobahnabfahrt, genauso wie vor all den Jahren. Er schüttelte geistesabwesend den Kopf und versuchte sich vorzustellen, was sich wohl alles geändert hatte.
Die Stimme des Navigationssystems riss ihn aus den Gedanken. Er konzentrierte sich wieder auf die Straße. Das, was er auch besser tun sollte. Langsam verschwand schon die Sonne hinter den Bäumen und schneller als ihm lieb war, würde die Dämmerung einsetzen. Jonas hatte wenig Lust die Nacht im Wagen zu verbringen.
Er fuhr sich mit der Hand durch das dunkelblonde, kurze Haar und tastete dann nach der Colaflasche auf dem Beifahrersitz. Gekonnt hielt er sie zwischen den Oberschenkeln fest und drehte sie auf, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Sie war lauwarm und abgestanden. Seufzend verschloss er sie wieder und tastete stattdessen nach dem letzten der drei Sandwiches, die er sich für die Fahrt gemacht hatte. Schinken-Käse, wenn auch nicht mehr ganz frisch.

Die Sonne war bereits untergegangen, als Jonas das Ortsschild seines Heimatdorfes passierte. Grandvillars. Zum Glück befand sich die kleine Pension direkt am Ortseingang, denn bei der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen und jede noch so kleine Veränderung wollte er doch sehen. Bei Tageslicht ließe sich das Dorf sicherlich besser begutachten.
Er schnappte sich seine Tasche vom Beifahrersitz und verstaute sowohl Colaflasche, als auch die Verpackung der Sandwiches unter einer Jacke, die er im Auto ließ. Aus irgendeinem seltsamen Grund fühlte er sich besser, wenn er das Auto sauber und aufgeräumt stehen ließ. Ein komischer Zwang, seinen Müll zu verbergen, sobald er sich in dem Ort befand, wo er aufgewachsen war. Wenn das nicht eine Anekdote war, die man gut verwursten konnte.
Mit einem Grinsen auf dem Gesicht klopfte er an die Tür. Er hatte sich telefonisch absichtlich erkundigt, bis wieviel Uhr er ankommen könne. Er lag noch in der Zeit.
Die Tür öffnete sich zaghaft und eine Frau mit grauen Haaren erschien im Türrahmen. Sie beäugte ihn erst kritisch, schien sich aber dann an die Zimmerreservierung zu erinnern und blickte ihn freundlicher an. Ihr Gesicht war leicht aufgequollen und man sah ihr an, dass sie je älter sie wurde, ein paar Kilo zugenommen hatte. Jonas war sich dennoch sicher, dass die Frau noch immer auf Zack war. Die Zimmer mussten saubergehalten werden, Wäsche gewaschen und Essen gekocht und im Normalfall gab es in so kleinen Pensionen keinen Reinigungsdienst.
"Herr Rauteneck, nehm ich an?", fragte sie in einem Tonfall, der Jonas fast dazu brachte, ihren strengen Blick von zuvor als Fantasterei abzustreiten.
"Jonas Rauteneck, ja. Ich denke, wir haben telefoniert wegen dem Zimmer."
"Natürlich. Kommen Sie doch herein. Hildegard Jourdan heiße ich." Sie trat zur Seite und schloss hinter ihm die Tür. Der Schlüssel steckte schon im Schloss und wurde von ihr zweimal umgedreht, bevor sie ihn abzog und in die Hosentasche steckte. Dort verweilte ihre Hand einen Augenblick, dann zog sie einen anderen Schlüssel daraus hervor.
"Damit kommen Sie ins Haus und in Ihr Zimmer. Frühstücken können Sie zwischen sechs und neun Uhr, ab zwölf Uhr können Sie etwas Warmes zu Essen bekommen. Wenn Sie nach acht Uhr abends nach Hause kommen, müssen Sie die Tür hier wieder zusperren." Sie zeigte auf die Haustür. "Dann werde ich Sie jetzt in Ruhe schlafen lassen, wenn Sie keine weiteren Fragen haben. Die lange Fahrt wird Sie sicher erschöpft haben. Ihr Zimmer ist im ersten Stock die erste Tür links. Gute Nacht, Herr Rauteneck."
"Gute Nacht, Frau Jourdan."
Sie nickte noch einmal, dann verschwand sie hinter einer Tür. Jonas nahm die Tasche in die Hand und ging die Treppen nach oben, um sich noch kurz sein Zimmer anzusehen.

Erst klemmte die Tür, aber schließlich bekam er sie ohne viel Kraftaufwand geöffnet. Blind tastete er an der Wand nach dem Lichtschalter und spürte dabei den rauen Putz der kalten Wände. Schließlich fand er ihn. Die Glühbirne war unter der Decke hinter einer milchigen Glaskuppel versteckt und erleuchtete jeden Zentimeter des Raumes. Der Boden war mit einer Art PVC-Teppich ausgelegt, die Möbel eher pragmatisch, aus hellem Holz, vielleicht Ahorn. Ein Bett, ein Schrank, ein Schreibtisch mit Stuhl und ein Nachttisch mit Lampe. Mehr würde er hier auch nicht brauchen.
Er warf noch einen letzten Blick auf den Flur, auf dem noch immer das Licht brannte und erkannte an der letzten Tür ein Messingschild mit zwei Nullen darauf. Auf der Tür rechts daneben war ebenfalls ein Messingschild, allerdings konnte er nicht erkennen, was darauf eingraviert wurde. Wahrscheinlich die Etagendusche.
Er löschte das Licht auf dem Flur und schloss die Tür hinter sich. Morgen hatte er viel vor. Jonas wollte sich vieles anschauen und er würde, wenn möglich auch den Dialog mit einigen der Einwohner suchen, aber dafür sollte er ausgeschlafen sein. Er befreite sich von Schuhen und Jeans, legte sich aufs Bett und sah sich den weißen Putz der Decke in der Dunkelheit an. Wie schnell weiß ohne Licht doch zu einem tiefen Grau werden kann.
Mit dem Gedanken daran, was ihn wohl erwartete, schlief er schließlich ein.
 
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