[Diskussion] The House that Jack Built

TheDarkness2

Otaku Elite
Otaku Veteran
Es gibt Filme da weiß man nicht so genau was man davon halten soll. Im Grunde kann man es auf die Grundessenz runterbrechen das jeder Film an sich Kunst ist. Egal ob er jetzt von Uwe Boll kommt, aus der Indyschmiede eines Ittenbach oder aus dem Kopf eines Stephen Spielberg. Sie sind Kunst die nicht jedem gefallen muss. Und selbst wenn man festhalten muss das der Anspruch dieser Kunst im letzten Jahrzehnt arg zerfleddert wurde und durch die gesellschaftlichen Wechsel mittlerweile ganze Franchise an die Wand gefahren werden so bleibt es Kunst. Und Lars von Trier ist der Enfant Terrible der Filmkunst. So zumindest bezeichnet er selbst sich und so bezeichnen ihn seine Kritiker und Fans. Es ist seltsam und verwirrend, denn im Grunde beherrscht von Trier die Essenz dieses Genres wie kein Anderer.

Dog Ville spielt komplett auf einer einzigen Theaterbühne, mit minimalistischen Mitteln und einem geradezu simplisierten Aufbau. Antichrist ist eine verstörende, sowohl in Bild als auch in Ton, Grenzerfahrung. Gleiches gilt für Nymphomanic oder Melancholia. Wobei letzterer vor allem auf eine Bildsprache setzt die zeigt was von Trier wirklich kann. Er ist wohl einer der wenigen Regisseure die verstehen wo der Film herkommt und wozu er eigentlich genutzt werden kann. Das spaltet die Geister, vor allem da der Däne keine Tabus kennt und oft mit seiner Provokation über das Ziel hinaus schießt. Das wertet den guten Ansatz seiner Filme manchmal gnadenlos ab. Er steht sich oft selbst im Weg und deklariert dieses Fiasko dann als Kunst. Und das bringt mich zu diesem Film.

Im Grunde geht es nur darum das Jack ein sehr talentierter und hochintelligenter Serienkiller mit einigen Macken ist der bis jetzt noch nicht aufgefallen ist. Er unterhält sich mit Verge über sein Leben wie es war bis zu dem Punkt wo er Verge kennen lernt. Zum Rest der Story komm ich gleich, da es eigentlich ein Stilbruch ist. Aber das ist bei von Trier ja nichts Neues, seine Filme verschmelzen mehrere Genres und brechen schonmal im Minutentakt mit diesen.

Der Film ist ähnlich wie in Dog Ville in mehrere Akte gegliedert die zeigen sollen welche Höhepunkte Jack im Laufe seiner Karriere erreicht hat. Und jede dieser Ausschnitte ist eigentlich ein makaberes Schauspiel aus Gewalt, Exzess und Hochmut. Jack wird nie erwischt, er wähnt Gott auf seiner Seite und wird dadurch immer waghalsiger. Es ist ein groteskes Schauspiel das er Verge vorführt, obwohl dieser mit seinem Einhaken und Nachfragen auch den Zuschauer anspricht. Die Dynamik der Beiden, das was Jack versucht begreiflich zu machen und die Schlüsse die Verge daraus zieht sind clever gemacht. Und in den Dialogen steckt einiges mehr als die Kritiker verstanden zu glauben haben. Denn in jedem Review geht es nur um die profante und ekelhafte Zuschaustellung von Gewalt. Doch es steckt mehr dahinter. Jack will Verge beweisen das er Etwas besonderes ist, während Verge Jack klar macht das nichts Besonderes daran ist und die Geschichte schon Schlimmere Monster hervorgebracht hat. Es spielt sich viel zwischen den Zeilen ab, die Dialoge sind noch die größte Stärke des Ganzen. Es ist fast ein Kammerspiel der Beiden, ein Katz und Maus Spiel dessen Ausgang bis zum Ende nicht ersichtlich wird. Diese Dialoge ziehen sich durch alle Kapitel bis auf Katabasis. Aber sie rechtfertigen nicht die Gewalt, die Provokation und die Verherrlichung die Jack ausübt in seinem Leben.

Der 1. Akt zeigt wie er eine Frau mit einem Wagenheber erschlägt nachdem sie ihm tierisch auf die Nerven geht und er ihre Art nicht mehr ertragen kann. Der 2. Akt zeigt wie er eine Frau überredet ihn in ihr Haus zu lassen wo sie dann mit einem Messer ihr Ende findet. Als die Polizei kommt, hängt Jack ihre Leiche hinter das Auto und fährt einfach los. Die Leiche wird kilometerweit über den Beton gezogen. Der 3. Akt zeigt wie Jack einer Frau und ihren Kinder eine Jagdlektion gibt. Der 4. Akt zeigt Jacks einzige Liebe die er Simpel nennt und die er brutal hinrichtet nachdem er sich ihr offenbart hat. Der 5. Akt zeigt das Jack mehrere Leute nebeneinander an ein Gerüst gebunden hat um sie mit einer Kugel zu töten. Doch hier tritt Verge in die Geschichte bevor Jack es vollenden kann. Zudem wurde die Polizei auf Jack aufmerksam, jedoch nicht wegen der Morde sondern wegen Etwas das er gar nicht getan hat. Und da Jack ein Polizeiauto klaut nachdem er einen Cop getötet hat um sein Werk zu vollenden findet die Polizei ihn. Doch dazu später mehr.

Während die Gespräche zwischen Verge und Jack das Fundament bilden und uns einen Einblick auf die Denkweise und die Psyche von Jack geben, so zeigen die Akte sein Handeln, seine Weltansicht und seinen Charakter. Diese Dynamik gelingt sehr gut, wenn sie auch Schwächen aufweist. Jack ist sadistisch, berechnend, kalt. Auf der anderen Seite ist er genau das was er sagt und er tut was in seinen Augen getan werden muss. Er sieht die Menschen nicht unbedingt als Vieh, eher als Mittel zum Zweck. Das sich seine beiden Ebenen widersprechen fällt nicht nur Verge auf. Und es ist schon mutig das von Trier die größte Schwäche so offen darlegt und sie thematisiert. Es ist ein gewagter Kniff der auch nach hinten los gehen kann.

Und im Grunde will Jack ja auch nur ein Haus bauen und verknüpft dann den Prozess auch noch mehr oder weniger nachvollziehbar mit seinem Werk. Dies gelingt nicht und führt eine Ebene in die Gespräche ein die nicht so recht passen will und die sperrig wirkt. Doch alles führt immer wieder auf den Hausbau zurück und irgendwie hat alles damit zu tun. Das Thema löst sich nicht und findet durch Verge einen sehr makaberen Abschluss. Apropo Makaber, ich muss mal wieder ein paar Abschnitte zurück.

Die Gewalt der Akte ist erschreckend und hätte selbst in den 2000ern noch zu einer Beschlagnahmung geführt. Der Film würde prima zwischen den New York Ripper von Fulci und Cannibal Holocaust passen. Das Schlimme daran ist, wie bewertet man so eine offene Provokation die nur da ist um da zu sein? Klar, der Gewaltgrad ist enorm hoch. Es werden Kindern in Nahaufnahme die Köpfe weg geschossen, es werden Brüste amputiert und es gibt Gewalt gegen Frauen, Leichenschändung und ein sehr makaberes Marionettenspiel mit der Leiche eines Kindes. Und das ist nur die Spitze des Eisberges und das noch harmlose Zeug. Die Gewalt wird nicht übertrieben dargestellt, sondern realistisch und beiläufig. Für Jack ist es ein ganz normaler Tag wenn er den Schädel mit einem Wagenheber einschlägt, genauso wird es auch präsentiert. Business as usual. Aber es verfolgt keinen Zweck, es hat keine Daseinsberechtigung. Selbst in Slasher Filmen haben die Morde einen Kontext, einen moralischen Boden und eine Botschaft. Hier sind sie da weil die Personen einfach zur falschen Zeit am falschen Ort sind oder Jack einfach Langeweile hat. Er will sich halt amüsieren. Hier schießt von Trier mal wieder über das Ziel hinaus.

Dies ist das Futter für die Kritiker. Denn die Gewalt ist das was der Zuschauer zu sehen bekommt, aneinandergereiht und wenn man den Dialog außen vor lässt besteht der Film auch nur daraus. Der Dialog kann das Gezeigte weder abschwächen, noch rechtfertigen. Hätte man den Film als Kammerspiel organisiert, wo sich Jack und Verge gegenübersitzen und nur den Dialog halten wäre das um einiges effektiver gewesen. So verkommt der Film zu einer Aneinanderreihung von Gewalteskalationen. Denn hier begeht von Trier einen großen Fehler. Er versucht den Zuschauer mit dem Dialog abzulenken von dem was passiert, von den Grausamkeiten und Jack selbst der omnipräsent wie ein Gott sein Werk verrichtet. Doch der Dialog verblasst wenn man dem Zuschauer eine Gewaltorgie auftischt und diese diesem so schonungslos offen in die Fresse haut. Damit drückt man den gelungenen, tiefschürfenden und komplexen Dialog in den Hintergrund und lässt ihn zu einer Randnotiz verkommen. Und das ist dafür verantwortlich das sich der Film zieht wie ein Kaugummi an vielen Stellen. Der Zuschauer wird von Schock zu Schock, von Grausamkeit zu Grausamkeit gezogen ohne durchatmen zu können. Und dadurch das sich die Gewaltexzesse steigern bis zu einem grotesken Höhepunkt hat der Zuschauer keine Zeit auf den Dialog zu achten. Sein Gehirn verarbeitet die Bilder, versucht damit umzugehen und trifft Vorkehrungen das man den Mageninhalt nicht verliert weil das Gehirn sich schon drauf vorbereitet die bevorstehenden Bilder zu bewältigen. Ich hab mir den Film 3x angesehen um ihn ganz zu verstehen und ein Review zu schreiben. 1x hab ich nur auf die Bilder geachtet, beim 2. Mal hab ich mich auf die Dialoge konzentriert und beim 3. Mal hab ich versucht Beides zu vereinen. Und es funktioniert nicht, die Gewalt überlagert den Dialog. Hier zerstört der Film sich selbst und das war keine Absicht. Es geschieht unfreiwillig, geradezu minutiös und mit der Genauigkeit eines Skalpells das von einem erfahrenen Chirurgen geführt wird. Der Film ist mehr als er sein dürfte und im gleichen Augenblick ist er doch weniger als er erreichen will. Es ist Paradox.

Doch kommen wir jetzt zur Katabasis. Nachdem Verge und Jack sich getroffen haben, drahtet Jack alle Leichen zu einem Haus zusammen. Und dann begibt er sich mit Verge hinunter auf den langen Weg in die Hölle, wo Jack Verge auffordert ihm Alles zu zeigen. Und das tut Verge auch. Doch am Scheideweg will Jack Erlösung und ist bereit dafür seine Seele zu setzen. Das Unvermeidliche nimmt seinen Lauf...

Und hier bricht der Film mit sich selbst, wirft all das was gewesen ist aus dem Fenster und verwandelt sich in ein vollständig anderes Biest. Verge und Jack sind jetzt die zentralen Figuren, gebunden im Dialog und auf dem Weg durch ein Labyrinth das immer tiefer in die Hölle führt und von Trier fährt hier eine ungeahnte Bildgewalt auf die einen regelrecht gefangen nimmt und aus dem Staunen nicht mehr rauskommen lässt. Wäre der gesamte Film auf dieser Basis, wäre er ein Meilenstein geworden. Man kann es nicht beschreiben, man muss es gesehen haben. Die Reise mit dem Fährmann ist ein optisches Highlight, ebenso der tiefste Punkt der Hölle wo Jack dann das bekommt was die Sünder erwartet die vergeblich auf Erlösung hoffen. Und wir sehen die Felder des Elysiums wo der Zutritt Jack und Verge jedoch verwährt bleibt. Und Jack weint eine Träne da er erkennt das er sich selbst verdammt hat, verknüpft mit einer Kindheitserinnerung die ihm positiv ins Gedächtnis gebrannt ist. Ja sie wurde vorher gezeigt, positiv in hellem Licht und angenehmer Musik. Ruiniert dadurch das Jack mit einer Gartenschere einer kleinen Ente die Flossen abschneidet.

Doch was genau ist jetzt The House that Jack Built? Ist es Kunst oder Schund? Es ist ein Film der sich selbst zerstört nur um sich dann im letzten Akt neu zu erfinden. Kann ich ihn empfehlen? Bedingt, es kommt darauf worauf der Zuschauer aus ist und was dieser bereit ist zu ertragen. Ich bin sehr gespalten, wirklich empfehlen kann ich ihn nicht. Dennoch hat der Film, wenn man auf die Dialoge achtet und den genialen Schluss einbezieht, eine ungeheure Faszination und Tiefe. Dennoch würde ich ich sagen Finger weg, es sei denn ihr habt Interesse an einem etwas anderen Sehvergnügen.
 
Oben