[Diskussion] Zum Tod von Marcel Reich Ranicki

Wieser

Gläubiger
Was wirst Du am meisten an ihm vermissen?
Wo lässt er eine Lücke?

Unvergessen sind ja [video=youtube;65PJTfL2Cfs]http://www.youtube.com/watch?v=65PJTfL2Cfs[/video]

Und wahrscheinlich auch [video=youtube;IFCSHEfQvY4]http://www.youtube.com/watch?v=IFCSHEfQvY4[/video]
 

Sylverblack

Bred in Captivity
Otaku Veteran
Reich-Ranicki hatte seine bekannteste Zeit, als ich mich noch gar nicht für Literatur und schon gar nicht für ihn interessiert habe. Im Nachhinein habe ich mich nach seinem Tod ziemlich mit ihm beschäftigt und finde ihn rückblickend toll. Seine störrische Art, die sich auch in Interviews gut herauslesen lässt, war einfach amüsant, aber besonders seine Gedanken übers Leben haben mich sowohl fasziniert wie auch schockiert, v.a., weil sie meinen so ähnlich sind. Die Frage über den Tod hat er so rücksichtslos und ehrlich beantwortet, so unromantisiert und geistig klar, dass es mich wirklich erschüttert hat, obwohl ich genau wusste, dass ich genauso darüber denke wie er:

Focus: Haben Sie Angst vor dem Tod?

Ranicki: Ja, sehr. Aber die Formulierung der Frage missfällt mir. Ich fürchte nicht den Tod. Ich habe Angst vor dem Nicht-mehr Existieren.

Focus: Der Tod gehört zu den wichtigsten Themen der Literatur. Was kann man aus der Literatur über den Tod lernen?

Ranicki: Einem wirklichen Schriftsteller kann es gelingen, uns an den Tod zu erinnern. An unseren ganz persönlichen Tod. Jeder weiß, dass das Leben irgendwann endet. Aber selten machen wir uns klar, dass wir selbst es sind, die sterben werden. Während die Welt ungerührt weiterexistiert. Literatur öffnet uns manchmal für Momente die Augen für diese Wahrheit, vor der wir sie sonst zumeist schließen.
Hilft Ihnen die Literatur, um mit dem Gedanken an den eigenen Tod fertigzuwerden?
Mit dem Gedanken an den Tod kann man nicht fertigwerden. Er ist völlig sinnlos und vernichtend. Die Literatur hilft vielleicht dabei, sich das unvermeidliche Ende des Lebens bewusst zu machen. Aber damit fertigwerden? Es gibt Menschen, die sich selbst töten, wie Kleist, Tucholsky, Hemingway. Sie wollen nicht mehr leben. Aber ich bezweifle, dass sie mit dem Tod fertiggeworden sind. Sich mit dem Tod auszusöhnen ist unmöglich. Selbstmörder wählen den Tod, weil er für sie das kleinere Übel ist als ein unerträgliches Dasein.

Focus: Gibt es ein Buch über den Tod, das Sie besonders beeindruckt hat?

Ranicki: Viele große Schriftsteller erzählen vom Sterben. Stark berührt hat mich das Buch „Der Tod des Iwan Iljitsch“ von Leo Tolstoi. Es ist kein Roman, sondern eine lange Erzählung. Aber wie Tolstoi darin die Gedanken eines Menschen einfängt, der tödlich erkrankt ist, eines Menschen, der nicht glauben will und kann, dass er selbst mit all seinen Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen sterben muss und dabei alles zerstört wird, was ihn ausmacht, das ist grandios. Tolstoi konnte die Seele, die Psyche des Menschen so genau beschreiben wie kaum ein anderer Schriftsteller. Er zeigt die Angst seines Helden Iwan Iljitsch, seine hilflose Wut, seine Ungläubigkeit, als er erfährt, dass er todkrank ist. Am Schluss beschreibt er, wie in einem drei Tage dauernden Todeskampf das Leben aus Iwan Iljitsch langsam und unaufhaltsam förmlich herausgepresst wird. Ein ungeheuerliches, unvergleichliches Buch.

Focus: Gibt es etwas, das über den eigenen Tod hinwegtrösten kann?

Ranicki: Nein. Es gibt nichts.

Focus: Wie stellen Sie sich das Jenseits vor?

Ranicki: Es gibt kein Jenseits. Es gibt kein Leben nach dem Tod. Also hat es auch keinen Sinn, sich das Jenseits auszumalen. Der Tod ist der Schlusspunkt.

Focus: Sie sind kein religiöser Mensch. Viele Religionen versprechen ein Weiterleben nach dem Tod. Würden Sie gern in einer Religion Trost finden?

Ranicki: Nein. Es gibt kein Weiterleben nach dem Tod. Das ist Wunschdenken. Marx nannte Religion Opium fürs Volk. Es ist wichtig, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist. Auch wenn mir nicht gefällt, was ich sehe. Es hat keinen Sinn, sich selbst zu betrügen. Religion ist wie eine Brille, die den Blick auf die Wirklichkeit trübt, die bittere Realitäten hinter einem milden Schleier verschwinden lässt. Deshalb wehren sich die Anhänger der Religionen auch so vehement, diese Brille jemals abzusetzen. Aber für mich ist das nichts. Selbst im Ghetto habe ich versucht, die Dinge so zu sehen, wie sie sind und mir nichts vorzumachen.

Focus: Was tun Sie, um mit dem Gedanken an den Tod fertigzuwerden?

Ranicki: Man wird mit dem Gedanken an den Tod nicht fertig. Darüber sprachen wir schon. Der Gedanke daran ist eine Qual, daran ist nichts zu ändern.

Focus: Gibt es etwas, das Sie gern noch tun möchten?

(Lange Pause)
Ranicki: Vor allen Dingen möchte ich noch möglichst lange Zeit etwas tun können. Ich habe einmal gesagt, was mich am Tod vor allem schreckt, ist die Gewissheit, nicht mehr die Zeitungen des nächsten Tages lesen zu können. Ich möchte gern erfahren, wie es weitergeht. Ich möchte dabei sein. Ich will immer wieder die nächste Zeitung lesen. Aber das geht nicht, irgendwann ist Schluss.

Focus: Das Alter hat eine Menge Nachteile, das ist eine banale Feststellung. Aber hat das Alter aus Ihrer Sicht auch Vorteile?

Ranicki: Lassen Sie sich nichts erzählen von Altersweisheit oder Altersmilde. Das ist sentimentales Geschwätz. Das Alter ist fürchterlich. Es raubt einem nach und nach alles, was einem lieb und wichtig war, alles, worauf man glaubte, sich verlassen zu können. Philip Roth, der große amerikanische Schriftsteller, sagte einmal: Das Alter ist ein Massaker. Die Akademie in Stockholm soll sich schämen, dass sie ihm noch immer nicht den Nobelpreis gegeben hat. Roth hat Recht. Im Alter stehen wir einem übermächtigen Gegner gegenüber, wir sind allein und werden immer schwächer. Dieser Gegner, die Zeit, wird immer stärker, und sie vernichtet nach und nach immer mehr von uns, ohne dass wir uns wehren können, bis er uns schließlich ganz auslöscht. Einen Vorteil sehe ich da nicht.
Diese Erzählung von Leo Tolstoi muss ich unbedingt mal lesen.
 

L8rd

Best in the World
Otaku Veteran
Was wirst Du am meisten an ihm vermissen?
Nichts....
Jeder ist ersetzbar und auch er und er hat ein gutes Alter erreicht wovon andere nur Träumen würden.
Bei der Verlosung im ersten Video sind ja selbst die Zuschauer zu blöd, zu kapieren das er sie meint ... und die klatschen noch :D
Das war mal so eine Glanzleistung von ihm ;)

Wo lässt er eine Lücke?
Weiß nicht vielleicht im Fernsehen wo Wiederholungen liefen oder laufen....

Ich habe mich mit dem Mann nicht so auseinander gesetzt, das ich viel über ihn kenne oder erzählen kann. im Fernsehn lief mal mal ein Film über ihn ... der war ganz ok.
Hat halt viel durch gemacht... haben andere aber auch...
 
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