Für einen Moment völlig gebannt und regungslos verfolgte Aisling die von Edana ausgehenden Kräfte. So jung das Mädchen noch schien, so gewaltig waren bereits ihre Kräfte und sie vollführte etwas, das sie selber oder Freya erst in vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten erreichen würden, wenn überhaupt. Dass der Markplatz dabei quasi pulverisiert wurde und die vom Himmel regnenden Feuerbälle auch sie selber und Freya gefährdeten, kam der Fischmenschenfrau in diesem kurzen Moment nicht in den Sinn.
Erst als unvermittelt eine weitere Person auftauchte, die Edana anschrie, kam wieder Bewegung in Aisling, denn sie erkannte die Stimme, war es die der Frau, die Edana als böse bezeichet und sie vor ihr gewarnt hatte, die Frau, die sie auf dem Scheiterhaufen sehen wollte und die während ihres damaligen Auftauchens ebenfalls bereits Sand in Bewegung gebracht hatte.
Die Dinge entwickelten sich sehr schnell und schon wenig später hatte Freya die bewusstlose Edana hochgehoben und Aislings Hand ergriffen, um so rasch wie möglich das Weite zu suchen. Doch schon eine Gasse weiter hielt Freya an, weil die Fremde ihnen immer noch folgte. Ganz entgegen ihrer sonst eher friedlich gestimmten Art, ergriff ihre Freundin sogar den Dreizack und drohte der Unbekannten. Dass diese plötzlich behauptete, Edana beschützen zu wollen, löste in Aisling tiefes Misstrauen aus, passte es überhaupt nicht zum bisherigen Verhalten.
Doch es war jetzt nicht die Zeit für lange Diskussionen, würden die Magiejäger sich sehr schnell wieder sammeln und Jagd auf sie machen. Das bemerkte auch die Ent, die ihnen offenkundig ebenfalls folgte und ihnen auf telepathische Weise riet, sich wieder in Bewegung zu setzen.
Dazu sollte es jedoch zunächst nicht kommen, da just in diesem Augenblick Edana zu sich kam und sich schnell herausstellte, dass sie sich nicht mehr an das Geschehene erinnerte.
"Magiejäger waren hinter uns her, und du hast deine Kräfte eingesetzt, um sie zu vertreiben", erklärte Aisling knapp und sie ergriff nun ihrerseits die Hand des Mädchens und sagte in eindringlichem, aber doch auch sehr einfühlsamem und beruhigendem Ton: "Wir müssen weiter, Eda, denn sie sind noch hinter uns her. Unterwegs können wir über alles reden ..."
Mit diesen Worten setzte sie sich schnellen Schrittes wieder in Bewegung und zog Edana mit sich. Das Mädchen, das immer noch leicht benommen und verwirrt wirkte, ließ es mit sich geschehen, und so eilte das ungleiche Gespann durch die Gassen Negimas, strebte dem Hafen entgegen. Zu ihrem Vorteil gereichte ihnen dabei, dass die Menschen durch die Ereignisse auf und um den Markplatz aufgeschreckt instinktiv davon weg in alle Richtungen liefen, und so fielen ein paar weitere Gestalten, die das Gleiche taten, nicht weiter auf.
Am Hafen angekommen hatte Aisling schnell ein geeignetes Boot ausgemacht, das unbewacht nahe des Kais an Land gezogen lag. Sie ließ Edana einsteigen, während Freya in stummer Übereinkunft das Holzgefährt bereits ins Wasser schob.
"Wir kennen dich nicht", erklärte Aisling zu Felischia. "Du hast uns erst vor ihr gewarnt, uns mit dem Scheiterhaufen gedroht und jetzt willst du auf einmal auf unserer Seite sein?" Sie schüttelte den Kopf, glitt nach ihrer Freundin ins Wasser, was sofort eine Wandlung bei ihr bewirkte. Nicht nur die Kleidung verschwand und machte einem schuppigen glitzernden Körper Platz, auch die schlanken Beine waren von einem Moment auf den nächsten verschwunden und ließen an ihre Stelle eine kräftige Schwanzflosse treten.
"Ich musste das sagen, denn ich werde auch verfolgt und beobachtet. Ich bin Felischia Kronwall, ich bin Hohepriesterin, aber ich bin schon lange nicht mehr auf der Seite derer, die die Magieanwender verfolgen. Ich kann euch helfen und vor allem kann ich Edana helfen."
Ohne noch weiter auf die Versuche der Frau, sich bei den Fischmenschen einzuschmeicheln, zu achten tauchte Aisling unter und machte Freya ein Zeichen loschzuschwimmen. Doch in diesem Augenblick tauchte Edanas Hand ins Wasser und sie sagte: "Bitte, sie soll mitkommen. Sie weiß etwas und ich muss es wissen."
Aisling hielt inne, ebenso wie Freya, und sie tauchte ihren Kopf aus dem Wasser. "Wir kennen sie nicht und das alles kann eine Falle sein", bemerkte sie sachlich, aber auch in einem Ton, der ihre Sorge verriet.
"Wenn sie mir schaden will, könnt ihr sie ja töten." Edanas Stimme klang emotionslos und auch ihr Gesichtsausdruck verriet nicht, was in ihr vorging.
Aisling sah Edana einige Augenblicke prüfend an, dann sah sie zu Felischia und von dieser zur Ent, bevor sie schließlich nickte und zu Felischia sagte: "In Ordnung, du kannst einsteigen, aber sei gewiss, dass wir dich ausschalten werden, solltest du Eda oder uns etwas tun wollen."
Nach diesen Worten tauchte sie wieder unter und schwamm los, überließ es der Hohepriesterin den Weg durch das Wasser ins Boot zu finden. Dabei übermittelte sie Freya in geschützter telepathischer Sprache:
"Wir schwimmen vom Ufer weg, halten uns aber entlang der Küstenlinie. Ich vertraue ihr nicht, denn da gibt es zu viele Ungereimtheiten. Woher weiß sie zum Beispiel Edanas Namen? Den habe ich ihr erst vor wenigen Tagen gegeben, und das kann nur bedeuten, dass wir abgehört werden, vielleicht sogar jetzt."
Aisling verstärkte den magischen Schutz ihrer Sprache und fügte diesmal in einer Art Geheimsprache hinzu, die sie beide als noch sehr junge Fischmenschenmädchen erfunden und verwendet hatten, wenn sie nicht gewollt hatten, dass einer der bereits Erwachsenen sie verstand:
"Sie könnte Edana als Köder benutzen, um über sie an ihre Verbündeten zu kommen. Und sie könnte auf diese Weise auch versuchen, aus unserem Volk entsprechende Personen ausfindig zu machen, die einen anderen Glauben vertreten. Wir dürfen daher nicht nach Hause zurück, dürfen keine Feinde zu uns locken."
Freya, die schon immer sehr gutgläubig und leichtgläubig war, brauchte diesmal nicht lange zum Verdauen, denn die Hohepriesterin war auch ihr mehr als suspekt. Dennoch gefiel ihr diese Möglichkeit nicht und schon gar nicht, dass sie nun einen unnötigen Passagier hatten, dem sie nicht von hier bis dort trauen konnten.