Das Leben mit einem Lehrling
Für so ein Zusammenleben mussten zuerst noch ein paar Verbesserungen vorgenommen werden.
»Hör zu Laika, es genügt nicht, mein Haus nur zu reparieren.
Wir müssen darüber nachdenken, es zu vergrößern.«
»Was meinst du damit, große Hexe?«
Von dieser Anrede wollte ich sie später noch abbringen, aber erst einmal musste ich mich um die anstehende Angelegenheit kümmern.
»Du willst doch hier einziehen. Dann wird es zu eng, deswegen würde ich gerne noch ein Zimmer dazu bauen.«
»Verstehe. Da ist was dran.«
Ich wusste, dass hier früher ein Ehepaar gewohnt hatte, und für sie mochte es in Ordnung gewesen sein, aber bei einer etwas distanzierteren Beziehung wie die zwischen einem Meister und seinem Lehrling, täte es sicherlich beiden gut, etwas mehr Platz zu haben. Ich dachte auch, für einen Lehrling sei es psychologisch gesehen belastend, wenn ständig eine höhergestellte Person in direkter Nähe war. Wenn ich mit meinem Vorgesetzten in einem Haus leben müsste, hätte ich wahrscheinlich täglich einen Magendurchbruch.
»Ich werde so lange im Dorf übernachten, bis das Upgrade des Hauses fertig ist. Du solltest auch im Gasthof unterkommen.«
»Wie wäre es, wenn ich den Bau übernehme?«
Das war eine überraschende Antwort. War sie etwa Schreinerin?
»Den Bau? Du bist doch keine lizenzierte Architektin, oder?«
»Ach, wenn ich Baumaterial wie Holz und Steine habe, muss ich das ja nur zusammensetzen. Das geht schon. Überlass das mir.«
Laika schlug sich gegen die Brust, um zu demonstrieren, dass das alles kein Problem für sie sei. Eigentlich wirkte sie nicht so, als wenn sie Häuser bauen könne, schließlich war sie ein Drache, der lediglich Menschengestalt angenommen hatte, aber wenn sie sich ihrer Sache so sicher war, wollte ich ihr die Aufgabe überlassen.
»Was das Holz angeht, kannst du die Bäume aus dem Waldstück nehmen, in dem ich meine Kräuter sammele. Da habe ich nämlich das Nutzungsrecht erworben. Die Entwürfe und das Design überlasse ich dir.«
»Vielen Dank! Ich werde etwas bauen, was dir gefallen wird, große Hexe!«
»Ach, ich komme vielleicht doch mit.«
Letztlich war ich mir doch nicht so sicher, ob die Wertvorstellungen eines Drachen einfach auf die eines Menschen übertragbar waren. Und ich hatte mich immerhin in 300 Jahren an einiges gewöhnt. Außerhalb des Dorfes nahm Laika wieder ihre Drachengestalt an.
»Fliegen fällt mir leichter, ich werde mich also so fortbewegen. Außerdem bin ich dann auch kräftiger.«
Vor mir stand tatsächlich der Drache, gegen den ich gekämpft hatte. Wir waren zwar außerhalb des Dorfes, aber man konnte uns mit Sicherheit von dort aus sehen. Ich war den Dorfbewohnern wohl später eine Erklärung schuldig.
»Bitte steig auf meinen Rücken, große Hexe. Ich fliege jetzt direkt in den Wald.«
Sei doch so gut und nenn mich nicht „große Hexe.“
Da Laika bei mir in die Lehre ging, bedeutete das, dass sie selbst ein Hexenlehrling war. Wir waren also beide Hexen. Für eine alltägliche Anrede gab es bestimmt etwas Passenderes.
»Ruf mich einfach bei meinem Namen, Azusa. Schließlich werden wir zusammenwohnen.«
»Dann werde ich dich Meisterin Azusa nennen.«
Gut, mit diesem Titel konnte ich leben. Schließlich würde ich tatsächlich ihre Lehrmeisterin sein. Ich schwang mich auf Laikas Rücken. Man saß da durchaus nicht ungemütlich. Zumindest schien keine Gefahr zu bestehen herunterzufallen.
»Ich werde jetzt starten. Sag mir bitte, in welcher Richtung das Waldstück liegt.«
Das klang wie in einem Taxi.
Die Laika in Drachengestalt flog in ziemlich schnellem Tempo und wir erreichten den Wald im Nu. Zu Fuß brauchte man wegen der Höhenunterschiede mehr Zeit, aber in Luftlinie war es nicht weit. Das war von oben aus gut zu erkennen. Nachdem wir im Wald angekommen waren, brach sie einen Baum nach dem anderen ab. Einen Drachen kostete es offenbar kaum Kraft, einen großen Baum umzureißen. Aber was musste ich dann für ungeheure Angriffskraft haben, wenn ich diesen Drachen besiegt hatte?
»Ich sag es schon mal gleich: Die abgebrochenen Baumstämme einfach stapeln und als Haus verkaufen gilt nicht. Du musst dafür sorgen, dass keine Zugluft durch die Ritzen kommt.«
»I... Ich mach das jetzt nur, weil ich keine Säge zur Hand habe, um daraus Bauholz zu machen. Nachher fertige ich richtige Bretter.«
Laika machte ihre Worte gleich wahr. Sie flog in eine Stadt und kehrte nach einer Weile mit verschiedenen Werkzeugen zurück.
»Ich war in einer Stadt, hab mir ein paar Gebäude angeguckt und mir gemerkt, wie man die baut. Ich glaube, ich werde ein gutes Haus zustande bringen.«
»Kann man sich Gebäude durch Angucken merken?«
»Drachen sind eine Gattung mit einem guten Gedächtnis.«
Laika machte sich sofort daran, das gefällte Holz zu verarbeiten. Das tat sie wieder in Menschengestalt, da sie meinte, als Drache wäre sie zu groß und würde sich verschätzen. Sie war sagenhaft schnell. Bei Sonnenuntergang hatte sie bereits begonnen, einen Teil des Hauses zusammenzusetzen.
Einer der Gründe war, dass sie mit ihrer Drachenkraft das Baumaterial transportieren konnte, als wäre es federleicht. Klar, wenn man in Japan ein Haus bauen müsste und ein Holzpfeiler würde nur ein paar hundert Gramm wiegen, würde es auch schneller gehen. Wenn man so groß wie ein Drache war, war der Bau eines menschlichen Hauses nur wenig mehr als Bauklötze zu stapeln. Sie benutzte so wenig Nägel wie möglich und arbeitete mit einer Bauweise, bei der die Einzelteile ineinander gesteckt wurden. Es war eine Technik, die auch japanische Baumeister bei Schreinen anwandten. Ich vermute, dass diese Methode nicht nur für Tempel und Schreine passend war, also war es keinesfalls verwunderlich, dass ein Wesen aus einer anderen Welt diese auch benutzte. Aber auch wenn sie unheimlich schnell war, konnte die Arbeit nicht schon am ersten Tag beendet werden und der Himmel wurde schließlich dunkel.
»Lass uns für heute aufhören. Gehen wir zurück ins Dorf. Ich kümmere mich um ein Zimmer für dich.«
Ich klatschte in die Hände und signalisierte, dass Schluss für heute war. Ich musste schließlich auch noch im Dorf Bescheid sagen, dass ich einen Drachen als Lehrling aufgenommen hatte.
»Nein, Meisterin Azusa, ich bin nicht müde und kann weitermachen.«
Diese Worte stießen mir unangenehm auf.
»Drachen sehen auch gut im Dunkeln. Wenn ich die ganze Nacht durcharbeite, kann ich morgen fertig sein.«
Oh nein, das klang gar nicht gut.
»Auf keinen Fall! Das lasse ich nicht zu!« rief ich laut. Laika erschrak und hielt in ihrer Arbeit inne.
»Oh. Habe ich dich mit irgendetwas verärgert, Meisterin Azusa?«
»Laika, du hast eben gesagt, du könntest die ganze Nacht durcharbeiten. Genau das ist verkehrt. Richtig verkehrt!«
»Ich ... wollte doch nur zeigen, wie ich mich bemühe ..«
»Sich zu bemühen ist nicht immer gut!«
Ich erinnerte mich an meine Zeit als Firmensklavin. Wenn ich mich heute zusammenreiße und Überstunden mache, schaffe ich es, Wenn ich heute die Nacht durcharbeite, kann ich verlorene Zeit aufholen. Mit solchen und ähnlichen Gedanken hatte ich oft Dinge durchgeprügelt. Das Ergebnis war, dass ich schließlich einen Arbeitsplan hatte, der mir permanent Unmögliches abverlangte. Der Rest war bekannt. Am Ende war ich schließlich an Überarbeitung gestorben. Das war, um es kurz zu sagen, deshalb passiert, weil ich mir zu viel Mühe gegeben hatte. Deswegen wollte ich mir keine übertriebene Mühe mehr geben. Wenn man bis zum Sonnenuntergang gearbeitet hatte, konnte der liegengebliebene Teil bis zum nächsten Tag warten.
»Sieh mal, es wird schon dunkel. Damit will uns die Welt sagen, dass der heutige Tag abgeschlossen ist. Übrigens bin ich nicht stark geworden, weil ich mich übernommen habe. Ich hab immer mein moderates Tempo beibehalten.«
»Verstanden. Ich tue, was du sagst, Meisterin.«
»Gut. Das ist gut.«
Ich lächelte freundlich. Es ging nicht an, dass eine Vorgesetzte nicht in der Lage war, die Arbeitsmenge ihrer Untergebenen zu steuern.
»Ab jetzt musst du mir immer sagen, wenn du erschöpft bist, oder glaubst, nicht mehr zu können. Keine falsche Scheu, bitte.«
»Du bist so freundlich einem Lehrling gegenüber, dass mir das Herz weh tut.«
Wenn das jetzt nicht ein bisschen übertrieben war. Bis zum Dorf ließ ich Laika als Drache fliegen, aber kurz vor dem Ziel wies ich sie an, Menschengestalt anzunehmen. Wenn sie als Drache ins Dorf gebrettert wäre, hätte sie gegen Häuser stoßen können. Eine verwunderte Menschenmenge strömte herbei, um herauszufinden, was vor sich ging. Das passte mir ganz gut.
»Liebe Dorfbewohner. Ab heute ist der Drache Laika mein Lehrling. Es tut mir leid, wenn sie euch mal zur last fallen sollte, aber sie ist ein aufmerksames, nettes Mädchen, also seid bitte gut zu ihr.«
Laika senkte artig den Kopf zu meinen Worten.
»Falls Laika Ärger machen sollte, wendet euch an mich, ihre Lehrmeisterin. Ich werde sie mir dann zur Brust nehmen.«
Die Dorfbewohner sahen noch immer beunruhigt aus. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass direkt vor ihrer Nase ein Drache stand. Der Käsemeister Naban meldete sich.
»Ähm, ehrenwerte Hexe ... Ein Drache ist doch sehr stark, nicht wahr? Könnte sie nicht plötzlich wild werden ... wenn sie mal zu viel getrunken hat oder so?«
»Das Risiko trifft auch auf mich oder starke Abenteurer zu. Aber als ihre Lehrmeisterin werde ich natürlich herausfinden, ob sie ausfallend wird, wenn sie betrunken ist.«
Hm, die Szene erinnerte mich an etwas. Es war so, wie wenn man einen neuen, jungen Mitarbeiter zu einer Partnerfirma mitnahm und ihn vorstellte. Man musste Verständnis für die Partnerfirma zeigen und gleichzeitig seinen jungen Untergebenen in Schutz nehmen. Kurz darauf erschien der Bürgermeister. Ich wiederholte noch einmal, was ich eben gesagt hatte.
»Und jetzt sprich einmal selbst zu den Dorfbewohnern, Laika.«
Laika sah ein wenig angespannt aus, nickte aber leicht. Ich ließ sie in eigenen Worten erklären, warum sie sich entschlossen hatte, bei mir in die Lehre zu gehen.
»Ich bin Laika, der Drache, und ich bin der Lehrling der Hexe der Hochebene, Meisterin Azusa! Ich freue mich, euch kennenzulernen! Selbstverständlich werde ich mich im Dorf nur in Menschengestalt bewegen«, schloss sie, und angesichts ihres vorbildlichen Benehmens wurden auch die Gesichtszüge des Bürgermeisters weich.
»Einverstanden. Der Drache Laika darf in unserem Dorfleben. Die Anwesenheit eines Drachens könnte uns auch helfen, üble Menschen abzuschrecken und von unserem Dorf fernzuhalten.«
Nun hatten wir auch die Einwilligung des Bürgermeisters.
»Stimmt. Und wenn die ehrwürdige Hexe aufpasst, gibt es bestimmt keine Probleme.«
»Außerdem wirkt sie viel braver und klüger als unsere Tochter.«
»Wir wären ganz schön undankbar, wenn wir den Lehrling unserer ehrwürdigen Hexe ablehnen würden.«
Auch die Dorfbewohner zeigten sich einverstanden. Wie es schien, hatte Laika das Bürgerrecht erworben. Wir beschlossen, dass Laika an dem Abend zusammen mit mir im Gästesaal für Ehrengäste übernachten sollte. Da wir bis zum Abendessen noch Zeit hatten, machten wir es uns im Zimmer gemütlich. Um ihr zu beweisen, dass ich ihr vertraute, verriet ich Laika meinen derzeitigen Status. Laika zeigte sich beeindruckter über die Anzahl der Zauber als über die Zahlenwerte.
»Dass du so viele Zauber anwenden kannst, beweist, dass du eine legendäre Hexe bist, Meisterin Azusa.«
»Findest du?«
Zum Abendessen ging ich in mein Stammlokal Zum schlauen Adler. Laika nahm ich natürlich mit.
»Ich möchte dir für vorhin danken, Meisterin Azusa.«
»Wie? Ach, du meinst, dass ich dich im Dorf vorgestellt habe?«
»Ich bin ein Drache und habe bisher immer alle mit meiner zur Schau gestellten Stärke zur Unterwerfung gezwungen. Dass ich auf andere Weise als durch meine Stärke akzeptiert wurde, war ... sozusagen eine kostbare Erfahrung ... also, ich habe mich einfach gefreut.«
Aha. Mir wurde bewusst, dass sich meine Aufgabe nicht nur auf die Ausbildung eines Neulings beschränkte, sondern dass ich einen Drachen unterweisen musste, sich ans Menschenleben zu gewöhnen.
»Das ist doch schon mal die richtige Richtung. Mach weiter so.«
»Ja! Ich danke dir für deine Unterstützung!«
Laika schien den Umgang mit Messer und Gabel gewöhnt zu sein. Ich vermutete, dass sie sich schon früher öfter in Menschengestalt in Städten aufgehalten hatte.
»Kann es sein, dass du auch schon lange in Menschengestalt gelebt hast?«
»Ja, auch wenn ich nicht in einer Stadt gewohnt habe. Es gab kaum Ärger, weil es nur wenige Menschen gibt, die durchschauen, dass sich ein Drache als Mensch ausgeben kann.«
Stimmt. In einer Fantasiewelt gab es schließlich Mischwesen aus Mensch und Tier, da konnte man eine Kleinigkeit wie ihre Hörner bestimmt problemlos vertuschen. In Flatta lebten zwar keine Tiermenschen, aber manchmal stiegen welche auf ihrer Durchreise im Dorf ab.
»So. Das Dorf hat dich zum Glück akzeptiert. Lass uns morgen weiterbauen und zusehen, dass das Haus schön wird.«
»Ja! Ich verspreche, gute Arbeit zu liefern!«
Am nächsten Morgen kehrte Laika unverzüglich zur Baustelle zurück, um weiter an dem Anbau zu arbeiten. Ich begleitete sie, um die Bauarbeiten zu beaufsichtigen.
»Bislang gibt es keine Probleme und ich komme gut voran.«
»Ja, sieht ganz so aus.«
Sie war unheimlich schnell, es war kaum zu glauben, dass Häuser wirklich in dem Tempo gebaut werden konnten. Das war bestimmt ihrer Drachenkraft zu verdanken.
»Sag mal, wie hoch ist eigentlich dein Status?«
Da ich sie besiegt hatte, musste ich natürlich einen höheren Status haben, aber mich würde interessieren, wie groß der Unterschied zwischen uns war. Nur so aus Neugier.
»Ich weiß es nicht genau, weil ich ihn noch nie gemessen habe, aber man sagt seit etwa 100 Jahren über mich, ich sei der stärkste Drachen von Nanterre.«
Das war eine ziemlich lange Zeit, um den höchsten Rang zu halten. Die Provinz Nanterre umfasste übrigens die Gegend um diese Hochebene herum und wirkte insgesamt ein wenig wie die Schweiz. Es gab viele Berge, weshalb es nicht verwunderlich war, dass hier Drachen lebten. Ich war übrigens noch nie in der Schweiz. Ich rede nur so daher, weil ich es mir so vorstelle.
»Wenn du schon hier bist, wäre es doch ganz gut, wenn du dich auch als Abenteurerin in der Gilde registrieren lassen würdest. Ach, aber ich brauche deine Zahlenwerte nicht, um ein Training für dich aufzubauen, also überlasse ich die Entscheidung dir.«
»Hm, der Status wäre vielleicht ein Indikator, aber er bringt mir eigentlich nichts, weil ich selbst zufrieden sein muss mit meinen Fähigkeiten.«
Laika schien sich nicht besonders für den Status und für Zahlen zu interessieren. Wahrscheinlich, weil sie ein Drache war. Das allein genügte schließlich, um die meisten Menschen vor Ehrfurcht in die Knie zu zwingen. Umgekehrt konnte man bei Menschen erst durch den Status die tatsächliche Stärke ersehen. Ich vermute, Menschen brauchten den Status, um ihre eigenen Fähigkeiten objektiv einschätzen zu können.
Noch bevor es Mittag wurde konnte man schon erkennen, wie das Haus im fertigen Zustand aussehen würde. Das alte Gebäude würde wiederhergestellt werden und dazu einen Anbau im Blockhausstil bekommen. Es erinnerte an ein Ferienhaus in Karuizawa und passte optisch gut in die Landschaft der Hochebene.
»Für einen Backsteinbau oder für bunte Glasfenster hätten wir spezielle Handwerker gebraucht, daher hab ich mich für einen Holzbau entschieden.« »Ja, das ist in Ordnung. Mach weiter so. Aber wir sollten langsam Mittagspause machen. Lass uns ins Dorf essen gehen.«
»Nein, wenn ich noch ein bisschen weitermache, komme ich an einen guten Punkt und ...«
»Hast du vergessen, was ich dir gestern gesagt habe, Laika? Wenn es Zeit für eine Pause war, musste man Pause machen.«
Und man durfte Überarbeitung nicht zur Tugend machen. So lange ich existierte, würde ich keine miesen Arbeitsbedingungen zulassen.
»Aber ich möchte gar nicht besonders viel arbeiten ... Nur wenn ich jetzt so mittendrin in einem Arbeitsschritt aufhöre, würde mich das stören ...«
»Dann komm innerhalb der nächsten zehn Minuten zu einem guten Abschluss.«
»Verstanden!«
Ja, auf die Work-Life-Balance kam es an. Ich fühlte mich wie die Leiterin einer Personalabteilung.
Zu Mittag aßen wir im Dorf so etwas wie Pasta und ich achtete darauf, dass Laika viel Flüssigkeit zu sich nahm. Nach langer körperlicher Arbeit war es wichtig, die Wasserreserven aufzufüllen. Übrigens gab es in Flatta reichlich Grundwasser, also war die Wasserversorgung hervorragend. Nach dem Essen schlenderte ich mit Laika durchs Dorf. Der Spaziergang hatte einen Grund: Ich wollte, dass sich die Leute so schnell wie möglich an Laika gewöhnten. Ich überlegte auch kurz, sie bei der Gelegenheit bei der Gilde registrieren zu lassen, aber da mir der Besuch auch wie Arbeitszeit vorkam entschied ich, dies auf später zu verschieben. Die Zaubersteine konnte schließlich auch ich umtauschen gehen. Dann begannen die nachmittäglichen Bauarbeiten. Wir hatten große Fortschritte gemacht und es sah so aus, als ob wir den Endspurt erreicht hätten. Die Seiten waren fertig, nun musste das Holzdach aufgesetzt werden. Zum Schluss trugen wir die Stühle und Tische hinein, die wir aus dem übriggebliebenen Holz gezimmert hatten. Hierbei hatte auch ich geholfen und festgestellt, dass sich das Holz einfach sägen ließ und ich davon nicht angestrengt war. Ich schien tatsächlich ein hohes Level zu haben. Am Abend war das neue Haus auf der Hochebene ohne störende Zwischenfälle fertiggestellt.
»Ja, wunderbar!«
Ich sah mir das Haus an und nickte zufrieden. Das Zimmer, das zuvor teilweise zerstört worden war, diente nun als Verbindung und führte zu dem neuen Blockhaus-Anbau mit dem spitzen Dach. Und das Blockhaus hatte eine eigene Tür, sodass man auch von dort eintreten konnte. Das Dach des Anbaus war hoch und es gab auch ein oberes Stockwerk mit weiteren Zimmern. In der unteren Etage gab es einen Gemeinschaftsraum und drei einzelne Zimmer, sodass die Privatsphäre meines Lehrlings gesichert war. Es wäre sogar möglich, noch weitere Lehrlinge aufzunehmen. Nicht, dass ich das im Moment auch nur im Geringsten vorgehabt hätte ...
»Das hast du super gemacht, Laika.«
»Es freut mich sehr, dass es dir gefällt, Meisterin Azusa.«
Laika schien auch zufrieden zu sein. Da sie äußerlich ein Mädchen im Mittelschulalter war, sah sie dabei sehr niedlich aus.
»Dann müssen wir wohl noch mal ins Dorf und Bescheid sagen, dass das Haus fertig ist. Vielleicht halten sie den Gästesaal immer noch für uns bereit.«
»Ich bin dir dankbar, dass du dich so sehr darum bemühst, mich ins Dorf zu integrieren«, sagte Laika zum wiederholten Mal.
Sie schien ein gut erzogenes Mädchen zu sein.
»Ich hab gesagt, dass ich deine Lehrmeisterin sein werde, also nehme ich nur die Aufgaben einer Meisterin wahr. Ich mache nichts Besonderes.«
Es war wirklich nichts, womit ich angeben müsste. Es war selbstverständlich, sich um seinen Lehrling zu kümmern. Ich wollte nicht, dass Laika unnötig gemieden wurde, nur weil sie ein Drache war. Wo sie doch sogar wie ein Mensch aussah.
»Lass uns heute so richtig den Bauch vollschlagen. Ach, übrigens. kommen Drachen eigentlich mit menschlichem Essen klar?«
Bisher hatte sie zwar wie selbstverständlich das Gleiche wie ich gegessen, aber nun wunderte ich mich.
»Ja. Wenn sie Menschengestalt angenommen haben, können sie auch das essen, was Menschen essen.«
Ich musste mir also keine Gedanken machen.
»Wenn ich mich als Mensch satt esse, reichen die Nährstoffe auch aus, um als Drache zu überleben.«
Diese Fähigkeit klang allerdings ein bisschen nach Schummeln ... Da ich nicht genug Bewegung bekommen würde, wenn wir immer flogen, liefen wir diesmal ins Dorf. Auf dem Weg begegneten uns wieder Schleime, die wir kurzerhand aus dem Weg räumten. Laika schnippte sie mit der Hand weg, als würde sie Staub weg wedeln. Das reichte, um einen Schleim zu vernichten. Klar, es war ja auch ein Drachenangriff.
»Wenn ich darüber nachdenke, habe ich bisher noch keinen Schleim erlegt. In den Bergen, in denen ich lebte, gab es keine.«
»Es sind ja auch Monster mit niedrigem Level.«
»Kommt mir wie Zeitverschwendung vor, gegen sie zu kämpfen. Wobei ich noch nicht mal das Gefühl habe, zu kämpfen.«
»Ja, nicht wahr? Aber es ist wichtig, damit weiterzumachen.«
Es gibt doch auch das Sprichwort:
»Im Weitermachen liegt die Kraft.«
Ich sprach bewusst wie eine Lehrmeisterin. Eigentlich konnte ich ihr auch nur solche Sprüche bieten, denn in Sachen Kampftechniken hatte ich ihr nichts beizubringen.
»Es stimmt. Hätten wir Drachen auch immer Schleim getötet, könnten wir vielleicht jetzt noch stärker sein. Ich kann viel von deinem Leben lernen, Meisterin Azusa.«
»Gut. Bleib einfach gelassen und mach weiter so.«
[/JUSTIFY]Vielleicht lag es daran, dass wir den Schleimen bewusst entgegengetreten waren, jedenfalls brauchten wir fünf Minuten länger als üblich bis zum Dorf. Als wir am Dorfeingang standen, blickte Laika auffällig oft zum Himmel oder umgekehrt auf den Boden. Sie ließ ihre Blicke wandern, als käme sie zum ersten Mal ins Dorf.
»Stört dich irgendetwas?«
»Ehrlich gesagt ja«, antwortete Laika.
»Ich bin jemand, den so was wahnsinnig stört, also red bitte nicht um den heißen Brei herum, sondern sag mir gleich, was los ist.«
»Dieses Dorf ist extrem schwach, was Zauberabwehr betrifft.
Nur eine einzelne böse Magierin könnte das Dorf im Handumdrehen in ein Flammenmeer verwandeln.«
»Na, du musst ja nicht unbedingt vom schlimmsten Fall ausgehen, oder?«
»Das ist noch nicht alles. Auch gegen Bodenangriffe ist es nicht vorbereitet. Wenn ein großes, Amok laufendes Monster angerast käme, könnte es völlig problemlos hier rein rennen, und selbst bei einem Angriff durch Menschen würde das Dorf sofort unterworfen werden.«
Wahrscheinlich lag es daran, dass sie ein Drache war, aber mir schien, Laika betrachtete die Dinge sehr stark aus einer kämpferischen Perspektive. Der Grund ist vermutlich, dass das Dorf immer friedlich war. Aber es gibt keine Garantie, dass es auch in Zukunft so bleibt.
»M... Machst du dir da nicht zu viele Gedanken?«
Ich hatte 300 Jahre hier gelebt, aber da dieses Dorf kein strategisch wichtiger Stützpunkt war, glaubte ich nicht, dass es selbst im Falle von Kämpfen in den Fokus geraten würde. »Aber es ist noch nicht lange bekannt, dass du die Stärkste bist, Meisterin Azusa. Nur mal als Hypothese: Es ist nicht ausgeschlossen, dass ganz miese Typen auftauchen und das Dorf als Geisel nehmen, um dich zu besiegen.«
Daraufhin errötete Laika ein bisschen und hüstelte.
»Selbstverständlich hatte ich nicht so etwas Niederträchtiges im Sinn und habe offen und ehrlich gegen dich gekämpft«, fügte sie hinzu, um zu betonen, dass sie anders war.
»Ja. Du hast dich in dem Punkt korrekt verhalten.«
»Aber man weiß eben nicht, ob das in Zukunft so weitergehen wird. Schließlich hat es das Gerücht über die mächtige Hexe bis zu mir in die Berge geschafft, und die sind zwei Tage Fußmarsch eines Menschen von hier entfernt.«
»Das ist wahr.«
Ich musste auf jeden Fall vermeiden, dass das Dorf meinetwegen Schaden erlitt. Das durfte ich auf keinen Fall zulassen.
»Sollen wir dann direkt ins Dorf ziehen? Aber eigentlich hab ich keine Lust, jetzt, wo das neue Haus gerade fertig geworden ist...«
Außerdem war ich kein Sicherheitsdienst wie SEOOM, der 24 Stunden Überwachung garantierte.
»Ich denke, es ist möglich, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.«
»Wie denn?«
Es war zwar peinlich, meinen Lehrling zu fragen, aber immerhin wusste ich noch nicht mal seit einem Monat, wie stark ich war. Wenn das ein neuer Job wäre, wäre ich noch in der Ausbildung, also kein Wunder.
»Wir werden mit einem Zauber einen Bannkreis bilden.«
»Ist das möglich? Bei meinen Zaubern ist nichts in der Art aufgelistet.«
Die Zauber, die mir zur Verfügung standen, waren folgende: „Teleportation“, „Levitation“, „Feuer“, „Tornado“, „Begutachten von Items“, „Erdbeben“, „Schnee und Eis“, „Blitz“, „Bewusstseinskontrolle“, „Zauber lösen“, „Entgiftung“, „Zauber spiegeln“, „Mana aufsaugen“, „Sprachen verstehen“, „Verwandlung“, „Zauber erschaffen“.
Da war nichts, das mit einem Bannkreis zu tun hatte ... oder?
»Es war doch von Zauber erschaffen die Rede, nicht wahr?
Damit werden wir einen selbstgemachten Bannkreis herzaubern.«
Selbstgemacht! War das möglich? Das klang ja wie DIY. In den heutigen Zeiten bastelte man also schon die Zauber selbst. »Ob man so einfach einen neuen Zauber herstellen kann?
Ganz schön vielseitig, diese Fähigkeit.«
»Natürlich geht das normalerweise nicht. Aber du musst bedenken, dass Zauber erschaffen an sich ein extrem hochwertiger Zauber ist.«
Das war dann wohl dem Level 99 zu verdanken.
»Einen Zauber zu erschaffen, den es bisher noch nie gegeben hat, ist unheimlich schwierig, aber ich denke, es ist möglich, einen Bannkreis um eine Stadt herum aufzubauen. Wir sollten es gleich morgen ausprobieren.«
Dank meines Lehrlings wusste ich nun etwas, auf das ich selbst nie gekommen wäre. Offensichtlich war es goldrichtig gewesen, sie in die Lehre zu nehmen. Wir aßen im Zum schlauen Adler zu Abend und kehrten in unser neues Haus zurück.[/JUSTIFY]
Am folgenden Tag wanderten Laika und ich zu einem Hügel, von dem aus man auf das Dorf blicken konnte. Ich sagte zwar „wandern“, aber die Anhöhe war ganz in der Nähe unseres Hauses. Man konnte sie sogar vom Hügel aus sehen.
»Von hier aus können wir wahrscheinlich alle Himmelsrichtungen abdecken.«
Daraufhin verwandelte sich Laika wieder in einen Drachen und begann mit ihren scharfen Krallen auf dem Boden zu scharren. Für solche Dinge war es sehr nützlich, ein großer Drache zu sein.
»Du gräbst den Boden um? Willst du etwa ein Feld anlegen?«
»Nein, ich zeichne einen magischen Kreis. Ein Zauber mit langer Wirkungszeit funktioniert sicherer mit einem magischen Kreis.«
»Ach ja. Verstehe.«
Ich hatte zwar erst vor einem Monat mit dem Zaubern begonnen, aber da ich schon früher Zauberbücher gelesen hatte, kannte ich mich mit den Grundregeln ganz gut aus. Zauber, deren Wirkung nur vorübergehend waren wie Angriffszauber, funktionierten auch, wenn man es mit den Beschwörungsformeln nicht so genau nahm, manchmal ging es sogar ganz ohne. Einen magischen Kreis brauchte man nicht. Da die Wirkung kurz war, konnte man wohl ein bisschen schludern. Wenn es aber wie im Fall unseres Bannkreises darum ging, die Wirkung lange aufrecht zu erhalten, war es besser, einen magischen Kreis zum Aufsagen des Zauberspruchs zu benutzen. Es stand zwar nicht sicher fest, dass man ohne einen magischen Kreis komplett scheitern würde, aber es konnte sein, dass die „Wirkung“, die ein halbes Jahr anhalten sollte, schon nach drei Tagen nachließ. Da ich nicht damit gerechnet hatte, verschiedene Zauber anzuwenden, wusste ich die Details eines magischen Kreises nicht mehr auswendig, aber ich vermutete, Laika machte es richtig, indem sie ein Sechseck zeichnete, das typisch für Abwehrzauber war.
»Mensch, ich wusste gar nicht, dass sich Drachen auch mit Zaubern auskennen.«
»Wenn man schon 300 Jahre lebt, ist es doch zu schade, immer nur herumzuhängen. Deswegen habe ich, um mich weiterzuentwickeln, Zauber studiert, auch wenn ich sie wahrscheinlich nie benutzen werde.«
»He, du Angeberin!«
In 300 Jahren hatte ich nie darüber nachgedacht, mich weiterzuentwickeln. Wahrscheinlich war das die Trotzreaktion auf mein Dasein als krankhaftes Arbeitstier, jedenfalls erschien es mir einfach wichtiger, das Leben ruhig angehen zu lassen. Damals, als Firmensklavin, war mein Kopf so sehr mit Arbeit ausgefüllt gewesen, dass ich es gar nicht schaffte, zu entspannen. Wenn ich das gekonnt hätte, hätte ich nicht an Überarbeitung sterben müssen.
»Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, hätte ich die Zeit lieber dazu nutzen sollen, regelmäßig Monster wie Schleime zu töten. Irgendwie hab ich mich auf meinen Lorbeeren ausgeruht und es versäumt, Erfahrungen zu Sammeln.«
»Ich kann schon verstehen, dass man keine Lust mehr hat zu kämpfen, wenn man eine gewisse Stärke erreicht hat.«
Das dürfte ebenfalls auf menschliche Abenteurer zutreffen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Abenteurer mit Level 50 gegen belanglose Schleime kämpft. Er würde sich wahrscheinlich nur große Fische heraussuchen wie etwa einen Drachen.
Allerdings kam es nicht gerade oft zu einem solchen Kampf der Giganten. Vielleicht höchstens einmal im Jahr wie ein besonderes Fest. Das hatte zur Folge, dass das Level bei einem bestimmten Punkt stagnierte. Außerdem war bei einem normalen Menschen die Zeitspanne, in der er körperlich fit war, begrenzt, und die Kraft ließ mit zunehmendem Alter nach. In meinem Fall aber waren mir Aussehen und Körperkraft einer Siebzehnjährigen die ganze Zeit über erhalten geblieben und ich hatte routinemäßig Schleime getötet, und diese Ansammlung hatte dann zu diesen sagenhaften Werten geführt.
»So, der magische Kreis ist fertig.«
Einen derart riesigen magischen Kreis brachte wirklich nur ein Drache fertig.
»Muss ich mich jetzt in die Mitte stellen und einen Zauberspruch aufsagen?«
Abgesehen von einigen Ausnahmen müsste es eigentlich funktionieren.
»Ja, ich denke so wird es gehen. Denk dir bitte einen super coolen Zauberspruch aus, der zu dir passt!«
Da verlangte mein Lehrling aber viel von mir. Ich hatte mit Laika zuvor besprochen, was für einen Bannkreis wir wollten. Es war ein ziemlich hochgradiger, aber mit Level 99 sollte er zu schaffen sein.
»Ihr, die ihr ein böses Herz habt, sollt in diesem Netz gefangen und eurer Freiheit beraubt werden. Das Netz möge sich auf euch stürzen, als hätte es einen eigenen Willen. Haaaaah!«
Ich. fühlte, wie aus meinem ganzen Körper Kraft zusammenströmte und überfloss. Goldenes Licht flog in Richtung Dorf, hüllte es ein und erlosch.
»Hat es geklappt?«
»Ja. Deine geballten Wünsche sind in Richtung Dorf geflogen, also ist es in Ordnung.«
Da mein Lehrling überzeugt schien, ging ich davon aus, dass es funktioniert hatte. Übrigens hatte mein Bannkreis folgende Wirkungen: Zunächst einmal war das Dorf in einen magischen Bannkreis eingehüllt. So konnten Angriffszauber, die von weit her angeflogen kamen, abgewehrt werden. Das war die normale Funktion eines Bannkreises. Er hatte aber noch einen weiteren Effekt, der mein Original war. Wenn jemand Bösartiges ins Dorf kam, würde der Bannkreis diesen Menschen aufspüren, ihn mit einem unsichtbaren Netz einfangen und bewegungsunfähig machen. Diese Art Zauber, mit der man böswillige Menschen fing, konnten Tempelpriester anwenden, und ich hatte diesen in meinen Zauber integriert.
»Ganz ehrlich, ich glaube, das hat es so gut wie noch nie gegeben, dass in einen magischen Bannkreis mehrere Effekte eingeschlossen wurden. Das hat nur geklappt, weil du Zauber erschaffen kannst und zusätzlich eine Hexe von höchstem Rang bist.«
So viel Lob machte mich ein wenig verlegen.
»Na ja, wenn ich schon mal stark geworden bin, sollte ich es für etwas Gutes nutzen, finde ich.«
In den 300 Jahren, die ich gemütlich vor mich hin gelebt hatte, hatte ich mich immer um das Dorf gekümmert. Der Grund war einfach, es handelte sich um mein Zuhause. Ich wohnte zwar in der Hochebene, lebte aber so wie eine Bewohnerin des nahegelegenen Dorfs, und die Leute aus dem Dorf empfanden genauso. Ohne das Dorf Flatta könnte ich nicht mutterseelenallein in meinem Häuschen hier oben wohnen. Flatta war wie die Stadt mit dem nächstgelegenen Bahnhof für mich.
Natürlich wollte ich mich für den Ort, in dem ich lebte, nützlich machen. Aus diesem Grund hatte ich auch immer Medizin hergestellt und kranke Dorfbewohner behandelt. Das war für mich in diesen 300 Jahren der Sinn des Lebens gewesen und hatte meinem Dasein einen Wert gegeben. Der Bannkreis passte zu meiner bisherigen Einstellung, deshalb hatte ich ihn sofort in die Tat umgesetzt. Ich freute mich, das Dorf beschützen zu können. Außerdem hatte es nun auch einen Sinn gehabt, aus Versehen Level 99 erreicht zu haben. Auch wenn ich ein wenig Sorge hatte, dass andere Dörfer und Städte aus allen Ecken und Enden der Welt auf die Idee kommen könnten, mich zu bitten, auch ihnen zu helfen ...
»Gut. Wollen wir dann ins Dorf gehen und dem Bürgermeister Bescheid sagen?«
»Ja. Steig auf meinen Rücken.« »Nein, ich werde laufen.«
Ich. hatte gestern so viel gegessen, dass mir ein wenig Bewegung guttun würde. Als wir dem Bürgermeister Bericht erstatteten, brach er vor Freud.e in Tränen aus. Ihm liefen wörtlich die Tränen im Sturzbach herunter, dass ich mich fast sorgte, er wurde dehydrieren.
»Oh, ich freue mich! Du sorgst dich wirklich um unser Dorf Flatta, ehrenwerte Hexe!«
»Nun, es scheint sich herumgesprochen zu haben, wie stark ich bin, also ist das auch als Gegenmaßnahme gedacht. Man kann nie wissen, ob jemand, der sich auf seine Stärke etwas einbildet, auf dumme Gedanken kommt und dem Dorf etwas antut.«
Selbst wenn ich in Zukunft wieder eine Herausforderung annehmen und den Kampf gewinnen sollte wie im Fall von Laika, bestünde das Risiko, dass mein Gegner sich an dem Dorf zu rächen versuchte. Und es war eine Tatsache, dass der Bekanntheitsgrad des Dorfes Flatta durch mich gestiegen war. Das hatte zur Folge, dass auch die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Besuche stieg.
»Aber nein! Seit 500 Jahren gab es bei uns immer wieder Debatten über die zu schwachen Schutzmaßnahmen. Und nun ist das Problem gelöst!«
Wenn es so lange ein Diskussionspunkt gewesen war, warum, um alles in der Welt, hatten sie bisher nichts unternommen? Aber so war es oft mit solchen Sachen. Man tat erst etwas, wenn man eine schmerzliche Erfahrung gemacht hatte. Davor gab es immer Streit wegen der Kosten. Keiner wollte Geld für etwas ausgeben, das vielleicht gar nicht nötig war.
»Wir sollten eine Bronzestatue von dir errichten, ehrwürdige Hexe! Ich bin sicher, alle Bewohner werden einverstanden sein!«
»Nein, bloß nicht. Bitte!«
Jemand mit starkem Geltungsbedürfnis hätte sich sicher darüber gefreut, aber ich schreckte vor dem Gedanken zurück. Da das Thema Bannkreis abgeschlossen war, kehrten wir zu unserem neuen Haus zurück. Das einzig Schwierige an so einem Sicherheitssystem war, dass man nicht wusste, ob es funktionierte, solange es friedlich war. So wie man keinen Arzt brauchte, solange man gesund war. Um einem guten Arzt zu begegnen, musste man sich erst einmal verletzen oder krank werden. Ehrlich gesagt war es mir am liebsten, wenn überhaupt nichts passieren würde und wir seine Wirkung nie feststellen könnten.
Die Arbeit für heute war getan, aber es gab noch eine Sache, die ich herausfinden wollte. Und das waren Laikas Kochkünste. Da wir zusammenleben wollten, mussten wir Hausarbeit wie Kochen und Putzen unter uns aufteilen. Im Grunde genommen wäre es mir sogar lieber gewesen, wenn mein Lehrling den Großteil übernehmen würde. Allerdings lief man Gefahr, sich als Mensch den Charakter zu verderben, wenn man alles seinem Lehrling aufdrückte,
also hatte ich schon vor, meinen Anteil zu leisten. Mein Ziel war Hälfte Hälfte. Sollte sich allerdings Laikas Essen als unerträglich schlecht erweisen, würde ich diese Regelung noch einmal überdenken. Deshalb hatte ich heute vor, ihr Essen zu testen.
»Kochen Drachen überhaupt?«
In meiner Vorstellung verschlangen Drachen alles roh.
»Ja. Wir sind schließlich keine Barbaren. Drachen sind ein edles Volk. Selbstverständlich kochen wir unser Essen.«
Laika warf sich stolz in die Brust.
»Ich habe eine Reihe von Lebensmitteln eingekauft. Koch uns doch etwas daraus.«
»Verstanden. Ich werde mein Bestes geben!«
Laika ging hoch motiviert in die Küche. In dieser Welt gab es übrigens so etwas, das wie eine metallene Gasflasche aussah und mit Feuerzauber gefüllt war, womit man das Feuer im Haushalt regulieren konnte. Es war allerdings ein Luxusartikel, der nur von Reichen benutzt wurde. Leute, die das Geld einsparen wollten, schlugen Steine aneinander, die ordentlich Funken versprühten und entzündeten trockenes Stroh, um sich ein Feuer zu machen. Wer den Feuerzauber beherrschte, benutzte den. Seitdem ich wusste, dass der Feuerzauber zu meinen Fähigkeiten zählte, machte auch ich das so. Da der Feuerzauber vielseitig einsetzbar war, war er auch einer der ersten Zauber, die ein Magier zu erlernen versuchte. Laika stieß einen leichten Feueratem aus, wie als wem sie flüsterte. Sie konnte also auch in Mädchengestalt mit Flammen hantieren.
»Das Feuer ist in Ordnung. Bisher keine Probleme. Ganz ruhig, ganz ruhig ... Du bist ein Drache ... So eine Kleinigkeit wirft dich nicht aus der Bahn ...«
Sie schien recht nervös zu sein. Ob wirklich alles in Ordnung war? Im Übrigen hörte ich nur ihre Stimme. Ich hatte mir vorgenommen, ihr nicht beim Kochen zuzugucken. Es könnte sie nervös machen, wenn ich ihr die ganze Zeit neugierig über die Schulter schaute, und der Überraschungseffekt beim Servieren wäre für mich auch weg gewesen. Es vergingen etwa 30 Minuten, dann erklang eine fröhliche Stimme:
»Fertig!«
Nun, dann wollte ich mal sehen, was sie gekocht hatte. Auf dem ersten Teller lag ein Riesenberg Salat. Es gab Heilkräuter, die nicht sehr bitter waren und die man roh oder gekocht essen konnte. Davon hatte sie mehrere Sorten verarbeitet. Aber was meine Augen besonders fesselte, war ein gigantisches Omelett, das auf einem anderen Teller thronte. Ich vermutete, dass sie zehn Eier dafür verwendet hatte.
»Ich mag zwar Omeletts, aber das hier scheint mir ein bisschen zu viel Kalorien zu haben.«
»Das ist mein absolutes Meisterwerk. Hier, bitte!«
Nun, die Menge war zweitrangig. In erster Linie ging es um den Geschmack. Ich nahm einen ersten Bissen.
»Oh ... Das ist lecker!«
Es war vorzüglich luftig und zugleich cremig geraten!
»Und die Füllung besteht aus gebratenen Zwiebeln und Karotten. Aha.«
Das war recht klassisch. Aber bei der Menge könnte mir der Geschmack irgendwann langweilig werden ... Huch? Da kam ein anderer Geschmack!
»0h! An der Seite ist Käse drin!«
»Genau. In das Omelett sind ganz verschiedene Zutaten eingearbeitet. So macht es Spaß, die Geschmäcker unter dem Ei zu erkunden.«
»Wie hast du dieses Riesenomelett nur zustande gebracht?«
»Als ich die Goldmünzen holen gegangen bin, hab ich auch meine Küchengeräte und Sonstiges mitgebracht.«
Sie hatte also damals schon fest vorgehabt, als Lehrling bei mir einzuziehen ... Gut, diesen Enthusiasmus wollte ich ihr positiv anrechnen. Laika hatte es offensichtlich faustdick hinter den Ohre.
Das Riesenomelett bot insgesamt vier verschiedene Geschmacksrichtungen. Es erinnerte mich an die riesigen ReisbälIchen in Japan, in die an mehreren Stellen verschiedene Zutaten eingearbeitet waren.
»Ganz ehrlich, das war wunderbar. Ich habe bisher zwar erst Salat und Omelett von dir gegessen, aber ich erkenne an, dass du das Kochen beherrschst.«
»Vielen Dank! Ich werde auch weiterhin mein Bestes geben!« Laika schien sich über das Lob zu freuen. Ich fand es auch schön, dass es etwas gab, das ich bei meinem Lehrling auf ganz natürliche Weise loben konnte. Es war eine Win-Win-Situation.
»Es waren nur ein bisschen viele Eier ... Vielleicht achtest du das nächste Mal noch etwas mehr auf die Balance.«
»Das tut mir leid. Wenn ich selbst koche, brechen einfach die Werte eines Drachens bei mir durch ...«
»Sagtest du nicht, dein Appetit würde auch auf menschliches Niveau sinken, wenn du diese Mädchengestalt annimmst?«
Mir war nicht aufgefallen, dass sie im Gasthaus besonders viel gegessen hatte.
»Mir reichen kleinere Mengen als wenn ich ein Drache bin, aber die Menge im Gasthaus war doch unbefriedigend ... Es fühlte sich an wie eine Diätportion.«
Auch ein Omelett dieser Größe musste für einen Drachen also eine energiesparende Sache sein.
»Ab dem nächsten Mal brauchst du dich nicht zurückzuhalten und kannst mehr bestellen.«
Ich selbst fühlte Sodbrennen aufkommen und nahm ein Verdauungsmittel. Da es ausschließlich aus Kräutern bestand, konnte ich problemlos so viel nehmen wie ich wollte. Plötzlich hatte ich eine Art Vorahnung.
»Was ist das ... ? Mir ist, als sei im Dorf gerade etwas vorgefallen.«
»Ob es daran liegt, dass der Bannkreis auf etwas reagiert hat?«
Da konnte tatsächlich ein Zusammenhang bestehen, schließlich hatten wir den Bannkreis erst heute erschaffen. Und ich hatte in den vergangenen 300 Jahren noch nie etwas Vergleichbares gespürt. Wir mussten los und uns vergewissern.
»Laika, wir gehen ins Dorf.«
»Alles klar!«
Ich flog auf Laikas Rücken, die wieder zum Drachen geworden war, durch den nächtlichen Himmel. Wie immer nahm sie am Ortseingang ihre Mädchengestalt an. Gemeinsam betraten wir das Dorf. Man konnte schon von Weitem erkennen, dass Leute ein Wachfeuer entfacht hatten. Es musste demnach etwas vorgefallen sein.
»Entschuldigung. Was ist denn los?«
»Oh, die ehrenwerte Hexe und ihr Lehrling!«
»Wie gut, dass ihr sofort gekommen seid!«
Während solche und ähnliche Rufe umherschwirrten, erklärte uns der anwesende Bürgermeister die Lage. Wobei ich mir schon in etwa denken konnte, was los war, da ein gefesselter Mann auf dem Boden lag.
»Ein Mann, der heute Nacht ins Dorf gekommen ist, konnte sich plötzlich nicht mehr bewegen. Wir haben Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass es sich um einen Dieb handelt, der in letzter Zeit in dieser Provinz sein Unwesen getrieben hat und nach dem gefahndet wird. Er war in einer nahen Stadt auf Raubzug und ist danach zu uns gekommen.«
»Das heißt, der Bannkreis hat gewirkt.«
»Ja. Das haben wir dir zu verdanken, ehrenwerte Hexe!«
Aha. Die Kraft, die sich gegen das Böse wenden sollte, reagierte also selbst auf einen Dieb.
»Ich wollte schauen, ob ich etwas mitgehen lassen kann und hab die Hintertür eines Gasthauses untersucht ... Da konnte ich mich plötzlich nicht mehr bewegen ... Was, zum Teufel, ist das hier überhaupt?«
Der Täter legte freiwillig ein Geständnis ab:
»Ich wollte das Gasthaus ausrauben und noch in dieser Nacht verschwinden. So ein Mist ...«
Das war eindeutig eine üble Absicht, und darauf hatte der Bankreis reagiert.
»Wunderbar, Meisterin Azusa. Es hat sofort funktioniert!« Laika freute sich auch.
»Stimmt. Der Bannkreis hat dem Dorf genützt.«
Aber es war nicht richtig, dass nur ich die Lorbeeren für diesen Vorfall einstrich. Hier war Fairness angesagt.
»Liebe Bewohner von Flatta, dieser Bannkreis war die Idee meines Lehrlings Laika. Bitte lobt auch sie!«
Ich klopfte Laika leicht auf den Rücken. Die Dorfbewohner, die mit Lob nicht geizig waren, wandten ihre Blicke Laika zu.
»Ich wusste, dass der Lehrling unserer ehrenwerten Hexe anders als die anderen ist.«
»Wenn wir einen Drachen mit einem guten Herzen an unserer Seite haben, kann uns nichts passieren!«
»In unserem Dorf lässt es sich immer besser leben!«
Gut so, dachte ich, lobt meinen Lehrling, denn ich bin auch stolz auf sie.
»Bitte ... nein ... also den Bannkreis hat Meisterin Azusa gezaubert. Ich hab nichts Besonderes ..«
Laika schien die Situation peinlich zu sein, aber wenn sie mein Lehrling sein wollte, musste sie sich daran gewöhnen.
»Das ist ein komisches Gefühl ...«
»Aber unangenehm ist es nicht, oder?«
Mein Erziehungsmotto lautete „Fördere Entwicklung durch Loben“. Denn in meiner Zeit als Firmensklavin hatte mich niemand gelobt. Ich wurde im Gegenteil immer heruntergemacht, sodass sich jede Menge Frustration in mir angesammelt hatte. Ich war nur ganze fünf Jahre Firmensklavin gewesen, aber selbst nach 300 Jahren Hexentum war die Erinnerung an diese Zeit noch immer sehr lebendig. Grundsätzlich freute sich jeder über Lob. Erziehung konnte wohl nicht ausschließlich aus Lob bestehen, aber ich fand, wenn es etwas zu loben gab, sollte man es ausgiebig tun. Wenn dadurch jemand motiviert werden konnte, was das doch eine prima Sache. Fürs Erste hatten wir festgestellt, dass das Dorf keinen Schaden genommen hatte, und darüber war ich sehr froh. Vor Erleichterung entschlüpfte mir ein Gähnen.
»Wir werden uns dann mal verabschieden. Gute Nacht.«
»Ähm, ihr könnt gerne auch offiziell sagen, dass das Dorf von einem Drachen bewacht wird. Auch ich werde dieses Dorf, das Meisterin Azusa so sehr liebt, beschützen ... Also, auf Wiedersehen.«
Laika und ich kehrten ins Haus in der Hochebene zurück.
»Ich glaube, es ist besser, den Bannkreis morgen zu erneuern, weil er einmal aktiv geworden ist, Meisterin Azusa.«
»Hm. Das ist aber ein bisschen lästig ...«
Seit dem Ereignis sprach sich herum, dass das Dorf Flatta von einem mächtigen Bannkreis beschützt wurde, den eine Hexe erschaffen hatte. Ich hatte dazu beigetragen, den Frieden des Dorfes zu bewahren und das empfand ich als große Ehre.
Da das Thema Bannkreis nun abgeschlossen war, widmete ich mich fortan mir großem Ernst meinen Aufgaben als Laikas Lehrmeisterin. Aber es gab eigentlich wirklich nichts, das ich ihr beibringen konnte. Zusammen mit Laika in Mädchengestalt schlenderte ich über die Hochebene. Wenn Schleime auftauchten, erlegte ich sie. Die Zaubersteine sammelte ich umgehend auf. Das war alles. Meine Bewegungen waren allerdings schnell. Kaum dass ein Schleim in unser Blickfeld geriet, waren meine Hände schon in Bewegung. Blitzschnell stieß ich mit einem Finger zu. Das genügte, um einen Schleim zu töten und ihn erlöschen zu lassen. Den Zauberstein, der daraufhin entstand, steckte ich in meinen Beutel.
»Unglaublich! Das war so schnell, dass meine Augen nicht folgen konnten!«
»Na, immerhin habe ich 300 Jahre lang Schleim getötet.«
Wenn es darum ging, war ich fraglos erste Klasse. Ob das ein Grund zum Angeben war, war allerdings zweifelhaft.
»Wenn du kontinuierlich Schleime erlegst, reagiert dein Körper irgendwann von selbst und du erwischst sie automatisch. Ich vermute, dann wird sich dein Level immer weiter steigern.«
»Verstanden. Ich werde mich bemühen, irgendwann einmal so weit wie du zu kommen, Meisterin Azusa«, sagte Laika, entdeckte einen Schleim und schnippte ihn mit einer schnellen Handbewegung weg. Da auch Laika über beträchtliche Angriffskraft verfügte, reichte eine leichte Bewegung mit einem Arm oder einem Bein, um einen Schleim zu besiegen.
»Wie viele Schleime hast du eigentlich in etwa pro Tag getötet, Meisterin Azusa?«
»Na ja ... so etwa 25. Aber bei mir kam noch der Effekt hinzu, dass Erfahrungspunkte vermehrt wurden, also waren es praktisch 5o?«
Nun, es konnte nicht sein, dass ich nur ganz knapp bei Level 99 war (schließlich vermehrte sich die Gesamtsumme der Erfahrungspunkte auch nachdem ich Level 99 erreicht hatte), also musste es eigentlich eine genauere Zahl geben, aber ich hatte keine Ahnung, wie hoch diese war.
»Auch 50 am Tag erscheint mir überraschend leicht zu schaffen. Und ich hatte gedacht, du hättest viel zermürbendere Anstrengungen auf dich genommen ..«
Es war tatsächlich keine großartige Anstrengung gewesen.
»Aber überlege mal. Wenn es unheimlich mühevoll gewesen wäre, hätte ich das nicht 300 Jahre lang durchhalten können. Der Sinn liegt darin, eine Sache, die jeder machen könnte, so lange Zeit fortzusetzen, wie es sonst niemand tut.«
Damit sagte ich quasi, dass das, was ich getan hatte, sinnvoll gewesen war, und das war ein bisschen peinlich.
»Verstehe! Oh, das sind große Worte, Meisterin Azusa! So tiefsinnig!«
Nachdem sich Laika so beeindruckt zeigte, fühlte ich mich erst recht unwohl. Aber vielleicht steckte ja doch eine Wahrheit in dem, was ich getan hatte. Dazu sollte ich als Lehrmeisterin wohl noch ein paar Worte sagen.
»Hör zu, Laika, du hast von zermürbender Anstrengung gesprochen. Ich möchte, dass du diesen Gedanken fallen lässt.«
»Was? Warum?«
Ich weiß nicht, ob meine Worte widersprüchlich klangen, jedenfalls sah mich Laika verblüfft an.
»Weil zermürbende Anstrengung immer voraussetzt, dass man mit Zuschauern rechnet. Als du diesen Ausdruck benutzt hast, warst du bestimmt zumindest ein bisschen stolz darauf.«
»J ... Jetzt, wo du es sagst ..«
Wenn man sich hart bemühte oder sich mit strengem Training aufrieb, entstand irgendwann das Gefühl, dadurch zu jemand Bedeutendem zu werden. Bis zu einem gewissen Grad war das unvermeidlich. Ehrlich gesagt hatte auch ich mir in meiner Zeit als Firmensklavin einzureden versucht, ich sei großartig, weil ich so viel arbeitete. Unbewusst fühlte ich mich auch als etwas Besseres als faule oder arbeitslose Leute. Aber das war ein großer Fehler.
»Weißt du was, Laika? Wenn jemand etwas tut, weil er von anderen für großartig gehalten werden will, und das Umfeld tut es aber nicht, ist das für ihn unerträglich, oder er verliert jegliche Motivation. Ich bin 300 Jahre lang an meiner Sache drangeblieben, weil ich überhaupt keine Würdigung dafür erwartet habe.«
»Welch tiefsinnige, kostbare Worte ...!«
Laika hörte mir mit tiefem Ernst zu.
»Etwas zu tun, weil man es mag und tun will, ist die viel bessere Voraussetzung, um eine Sache durchzuhalten. Verstehst du das?«
»Ich bin wirklich froh, dich als meine Lehrmeisterin ausgesucht zu haben. Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen! Wer stark werden will, sollte sich von dem Wunsch verabschieden, dass andere gut von einem denken, nicht wahr? Wer sich selbst weiterentwickeln will, muss sich zuerst einmal mit sich selbst auseinandersetzen ... Wie erhellend! Was für eine tiefsinnige Lehre!«
Etwas so Grandioses hatte ich meines Wissens nicht gesagt. Aber es war schön, dass sie beeindruckt war. Ich hoffte nur, dass sie später nicht enttäuscht sein würde. An jenem Tag erlegte Laika etwa 64 Schleime, bevor sie ihr Training beendete.
»Schleime werden sich garantiert nicht rächen, also sieh zu, dass du sie weiterhin erwischst.«
Später sollte ich diese Worte bereuen. Wieso musste ich mit solchen lässig hingeworfenen Kommentaren immer wieder Unheil heraufbeschwören ... ?
Azusa Aizawa
Hauptfigur. Allgemein unter dem Namen »Hexe der Hochebene« bekannt. Eine junge Frau, die als unsterbliche Hexe mit dem Aussehen einer Siebzehnjährigen wiedergeboren wurde. Da sie im vorherigen irdischen Leben an Überarbeitung starb, ist sie ziemlich empfindlich, was Arbeitsbedingungen betrifft.
Laika
Ein Drachenmädchen und Lehrling von Azusa, Hexe der Hochebene. Etwa 300 Jahre alt. Früher bildete sie ich etwas auf ihre Stärke ein, doch seit sie gegen Azusa verlor, hat sie sich zum Guten verändert. Sie ist gewissenhaft, ernst und achtet sehr darauf, wie sie auf andere wirkt.