Gibt man den Suchbegriff "Volksbefragung" bei Google ein, erhält man innnerhalb von 0,09 Sekunden ungefähr 127.000 Ergebnisse (Stand 5. Juli 2012). Wer glaubt, daß sich hinter diesen Ergebnissen viel deutsches Demokratiebewußtsein regt, irrt. Laut Google sind davon nur etwa 853.000 Ergebnisse auf deutschen Seiten zu finden. Die restlichen Ergebnisse widmen sich der Basisdemokratie in österreichischen oder schweizer Gefilden. Zum Vergleich: Ungefähr 3.680.000 Ergebnisse auf deutschen Seiten befassen sich mit dem Thema Europapokal.
Etwa 3780 Seiten davon greifen das Thema Volksbefragung im Zusammenhang mit Seehofers Eurorettung seit dem letzten Monat auf. Ohne Seehofers Äußerung gäbe es zu dieser Fragekonstellation bei Google kein Suchergebnis für diesen Zeitraum. Auch nicht im Suchzeitraum des letzten Jahres. Dies ist gleich aus mehreren Gründen bemerkenswert.
Die Deutschen wurden nicht gefragt, als der Euro die DMark ablöste (13.000.000 Ergebnisse). Es gab keine Volksbefragung zur damals so genannten Europäischen Verfassung (4.970.000 Ergebnisse), wie sie 2004 in Rom von Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wurde. Auch nicht zum sgn. Vertrag von Lissabon, der stattdessen im Juni 2007 geschlossen wurde, weil der vorherige aufgrund von Volksbefragungen (Referenden) in Frankreich und den Niederlanden nicht ratifiziert werden konnte. Die Deutschen wurden auch nicht gefragt, als am 1. Januar 2002, als Bargeld eingeführt, die neue Währung die allseits beliebte DMark ablöste. Vergessen scheinen mittlerweile auch die Anfangsjahre, in der das neue Geld wegen der damals rasant gestiegenen Preise Teuro genannt wurde, Bundesfinanzminister Hans Eichel im Frühjahr 2002 zu einem Boykott aufrief, Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast einen „Anti-Teuro-Gipfel“ veranstaltete und laut dem Nachrichtenmagazin Focus 56,4 Prozent der Befragten gegen die neue Währung waren.
Heute ist das Thema Euro immer noch auf dem Tableau und wird von der Politischen Elite sogar noch heftiger diskuttiert. Offensichtlich scheint aber der Volkeswille auch jetzt noch kein Thema auf der nationalen oder europäischen Agenda zu sein.
Laut Wikipedia versteht man unter Volksbefragung ein in aller Regel unverbindliches Instrument der direkten Demokratie, bei dem die Wahlberechtigte Bevölkerung zu einer bestimmten Frage konsultiert wird. Laut Artikel 29 sieht das Grundgesetz eine Volksbefragung im Falle einer Neugliederung des Bundesgebietes vor, was im Falle einer Eingliederung Deutschlands in einen Staatenverbund a la "Vereinigte Staaten von Europa", der damit verbunden Aufhebung der Staatsgrenzen ihres Hoheitsgebietes (in etwa entsprechend dem Schengener Abkommen seit dem Beitritt Lichtensteins 2011) und dem Verlust der Souveränität (Fiskalpakt, Verlust der uneingeschränkten Entscheidungsfreiheit über den nationalen Finanzhaushalt) entsprechen würde. Einen anderen Grund für eine Volksbefragung sieht das Gundgesetz nicht vor.
Volksbefragung ist auch nicht zu verwechseln mit dem sgn. Zensus oder Volkszählung, bei der eine gesetzlich angeordnete Erhebung statistischer Bevölkerungsdaten stattfindet. Sie ist auch nicht mit dem Volksentscheid zu verwechseln, bei dem es sich um ein Instrument der Direkten Demokratie handelt. Der Volksentscheid ermöglicht es den wahlberechtigten Bürgern, über eine Vorlage (z. B. ein Gesetz) unmittelbar abzustimmen. Diese sind in Deutschland in aller Regel verbindlich. Vorausgehen kann einem solchen Entscheid das Volksbegehren, das erstmalig in der Weimarer Republik zu einem Volksentscheid führte.
Wie eingangs bemerkt, sind die Ergebniszahlen des letzten Monats zur Googlesuche auch deshalb bemerkenswert, weil sie exemplarisch verdeutlichen können, welche Wirkung Einflußnahme seitens der Presse, der Medien und der Politik auf eine Befragung oder einen Entscheid haben können. Damit sei der Instrumentalisierung bei politischen Auseinandersetzungen der Parteien, Teilen des Parlaments oder Regierung Tür und Tor geöffnet, betonen Warner. Kritiker sagen auch, daß im Falle von Befragungen (die nichtverbindlich sind) mit den Instrumenten des Demoskopie wesentlich günstigere Mittel zur Verfügung stehen.
Handelt es sich bei der Forderung Seehofers um einen solche Instrumentalisierung oder gar um einen Manipulationsversuch im Vorfeld eines Fiskalpaktes mit den ober erwähnten weitreichenden Konsequenzen für den Nationalstaat Deutschland und die innerpolitische Souveränität der europäischen Partnerstaaten? Oder gehen die Kritiker zu weit und unterstellen den politischen Entscheidungsprozessen der Bürger damit, daß sie die Quellen zur Begründung ihrer Willensbildung nicht im ausreichenden Maß verstehen und interpretiern können?
Für mich sind die Äußerungen Seehofer einerseits und die ausbleibenden Volksbefragungen und -entscheide auf Bundesebene andererseits Zeichen dafür, daß alles beim Alten bleiben soll, also dem Bürger immer noch keine Stimme bei einem direkten demokratischen Entscheidungsverfahren gegeben werden wird. Das Säbelrasseln Seehofers erinnert mich doch sehr an Eichels Boykottaufrufe und scheint in Richtung anstehende Bundestagswahlen 2013 zu deuten.
Ein Volksbegehren, daß sich nicht auf ein regionales Thema begrenzen läßt (wie bei Begehren zum neuen Bahnhofsbau in Stuttgart), könnte zur Abwendung von Schaden von der Bundesrepublik heute noch möglich sein. Zu spät wäre es, wenn die heute angestoßenen Prozesse aufgrund der verursachenden Kosten und dem Schaden für das Ansehen Deutschlands in der Welt unumkehrbar wären, so wie das bereits heute viele der verantwortlichen Politiker fast aller Fraktionen großmundig kundtun. Sie postulieren damit nicht nur seit dem Anfang des Euros und der Witschaftskrisen in Europa und weltweit die Alternativlosigkeit ihrer bisherigen und zukünftigen Entscheidungen, sondern geben damit auch zu, daß der Wille des Volkes und damit die Demokratie unseres Landes in arger Bedrängnis ist.
Insofern hat uns die politische Wandlung des Euroraums zwar viele Vorteile gebracht (Reisefreiheit, Freizügigkeit bei der Arbeitssuche, einheitliche Währung für Industrie, Handel und Urlauber), aber auch viele Nachteile (die gerade zur Diskussion stehenden Änderungen des Schengenabkommens zugunsten wiedereinzuführender und vermehrter Grenzkontrollen, Schuldenübernahme und Rettung ausländische Staatshaushalte und Banken, Einschränkung von Bürgerrechten...).
Ich wünschete mir, daß zumindest die hiesige Forumsdiskussion sich auch und ein wenig mehr mit diesen Bürgerrechten und weniger mit den bisher in's Rennen geschickten und in der Öffentlichkeit bis zum Excess diskutierten aber sowieso von der Politik bisher vorher verordeneten Maßnahmen rund um die finanzielle Situation Europas drehen würde. Wie ich zu Anfang des Threads bereits zu betonen versuchte, handelt es sich beim finanziellen Gerangel lediglich um eine für uns sichtbare Spitze des wohlbekannten Eisberges. Was glaubt ihr, verbirgt sich unter der Oberfläche? Welche Pläne hegt man in Brüssel wirklich? Kann Deutschland nach zurückrudern?
Quellen und weiterführende Links:
Artikel 29 des Grundgesetzes
http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_29.html
Volksbefragung
http://de.wikipedia.org/wiki/Volksbefragung
Volksentscheid
http://de.wikipedia.org/wiki/Volksentscheid
Schengener Abkommen
http://de.wikipedia.org/wiki/Schengener_Abkommen
Vertrag über eine Verfassung für Europa
http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_über_eine_Verfassung_für_Europa
Euro
http://de.wikipedia.org/wiki/Euro