[Biete] Drachenauge

darkblood

Gläubiger
Ich habe mich auch Mal daran gemacht, meine erste Geschichte zu schreiben.
Es handelt sich derzeit nur um das erste Kapitel, welches noch nicht all zu spannend ist.

Namen von Personen und Orten sind noch nicht fest und können sich evtl. noch mal ändern,
da ich mich nicht an Namen aufhalten wollte.

Kommentare und Kritik bitte hier rein:[Diskussion]

Update: 05.04.16
Lange ... sehr lange ist es her... und nein ich habe nie aufgehört an dieser Geschichte zu schreiben an der mir persönlich sehr viel liegt.
Leider hatte ich immer nur wenig zum schreiben weswegen die Fertigstellung entsprechend lange gedauert hat.
Fals es noch Leute gibt die Interesse haben, findet ihr hier die nächsten Kapitel: https://www.sofurry.com/view/972532
Dort wird derzeit recht zügig im Abstand von einigen Tagen auch der Rest hochgeladen.


Rianna zog sich ein Kleid aus ihrem Schrank an, schaute in den Spiegel, der auf einer Kommode stand und band sich die kastanienbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie ging durch die Tür auf den Flur, und stieg dann die Treppe hinunter in den Wohnbereich, wobei bei fast jedem Schritt eine der Stufe knarrte.
„Ich bin dann weg“, sagte sie zu ihrer Stiefmutter, die gerade am Tisch saß und eine Hose ihrer Brüder flickte. „Ist in Ordnung“, antwortete ihr Silvia. „Ach, falls du deine Brüder siehst, sag ihnen, dass sie sich darauf einstellen können, ihre Sachen zukünftig selber zu flicken, wenn ich diese Woche noch einmal ein Hemd oder eine Hose von ihnen nähen muss.“
„Werde es ausrichten, falls ich einen von beiden sehe “, erwiderte Rianna. „Falls es bis dahin nicht schon zu spät ist.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Rianna und ging durch die Tür nach draußen.
Nun stand sie vor einem, für diesen Ortsteil von Horin üblichen Fachwerkhaus und wurde kurz von der Sonne geblendet, da es im inneren recht dunkel war. Für einen Moment genoss sie den noch frühen Sommermorgen und ging dann die gepflasterte Straße entlang zum Marktplatz, an dem sich auch der Krämerladen ihres Vaters befand. Dort bog sie auf die Straße, die sie am Handwerkerviertel vorbei zum Haupttor führte.
Eigentlich war es auch das einzige Tor im Palisadenzaun, welcher den Ort umgab. Diese Palisaden wurden errichtet, da es in dieser Gegend oft zu Banditenüberfällen kam.
Horin selbst lag in einem Tal des Beohgebirges, welches eine natürliche Grenze der beiden Königreiche Ah und Beh bildete. Das Tal erreichte man nur über zwei Pässe, einem aus nordwestlicher Richtung der nach Ah führte und der andere im Osten mit dem man nach Beh kam. Der nördliche und südliche Rand des Tals wurden durch Berge begrenzt, während es nach Westen steil bergab ins Vorgebirge ging.
Am Tor angekommen, traf Rianna dann auch auf Alia, welche sich gerade mit einem der Torwachen unterhielt. Sie hatte, wie fast immer, eine leichte Lederrüstung an - in den für den hier ansässigen Spähposten üblichen braun-grünen Farben. Ein Langbogen und ein Köcher mit Pfeilen hingen über den Schultern auf ihrem Rücken, und ein einfaches Kurzschwert war am Gürtel auf ihrer linken Seite mit einem Lederriemen befestigt. Alia verabschiedete sich von der Wache, als sie Rianna herannahen sah und grüßte sie: „Ah, pünktlich wie immer. Na dann, lass uns losgehen.“

Sie gingen an einigen Getreidefeldern vorbei, die zu dieser Jahreszeit noch grün waren und kamen schließlich zu einer Weggabelung. An dieser wandten sie sich nach Westen zum Wald. Sie schienen nicht zu bemerken, dass sie, seit sie den Ort verlassen hatten, von zwei Personen verfolgt wurden. Dies dachten zumindest ihre Verfolger.
Einige Zeit, nachdem die beiden den Wald betreten hatten, blieben sie stehen und schauten sich um. „Hinter dem Baum, der neben dem Wegweiser steht?“, fragte Rianna eigentlich nur, um es von Alia bestätigt zu bekommen. „Richtig“, antwortete sie nur knapp.
Rianna ging ein paar Schritte vom Weg ab in den Wald hinein und blieb vor einem moosbewachsenem Stück Waldboden stehen. Sie schaute sich noch einmal kurz um und kniet sich dann ins Laub. Mit einem ihrer Meinung nach viel zu lauten Knarren öffnete sie eine unter dem Moos versteckte Falltür. Kurz dachte sie darüber nach, ob sie sich nicht etwas Öl von ihrem Vater oder Horst, dem Schmied, besorgen sollte, um die Scharniere der Tür zu ölen. Sie schob diesen Gedanken für den Augenblick beiseite und nahm dann aus einer Kiste, die in der nun offen liegenden Grube versteckt war, einen in ein Leinentuch eingewickelten Langbogen und einen Köcher mit Pfeilen.
Dann richtete sie sich wieder auf, knöpfte ihr Leinenkleid auf und zog es aus. Darunter kam eine Lederrüstung, wie sie Alia trug, zum Vorschein. Das Kleid legte sie zusammen mit dem Tuch, in den der Bogen eingewickelt war, wieder sorgsam in die Kiste. Rianna schloss die Falltür und verteilte etwas von dem umherliegenden Laub darüber, um sie wieder vor neugierigen Blicken zu verstecken.
Anschließend spannte Rianna die Sehne auf den Bogen, was ihr aufgrund des weichen Waldbodens nicht gerade leicht viel. Nachdem sie dies jedoch geschafft hatte, nahm sie einen Pfeil, legte ihn an, zielte auf den Baum hinter dem ihre Verfolger lauerten, und schoss. Dies alles geschah in einer Geschwindigkeit, die selbst Alia beeindruckte. Es war nicht so, dass sie es selbst nicht mindestens genauso schnell hätte bewerkstelligen können. Doch für einen Anfänger wie Rianna, mit der sie erst ein paar Mal geübt hatte, war dies eine beachtliche Leistung.
In der Zwischenzeit hatte auch der Pfeil sein Ziel gefunden und war mit einem lauten Knall in den anvisierten Baum eingeschlagen, wo er die erhoffte Wirkung zeigte. Denn beide Verfolger kamen hinter dem Baum hervorgestolpert und wollten Richtung Horin weglaufen.
„Halt!“, rief Alia den beiden hinterher. „Oder der nächste Pfeil trifft einen von euch!“ Augenblicklich blieben beide stehen, und die beiden Frauen gingen langsam auf sie zu.
„Na, was denkst du, was sollen wir mit den beiden Halunken machen?“, fragte Alia laut genug, sodass es die beiden Betreffenden auch hören konnten. „Sollen wir sie zum Hauptmann bringen und sehen, ob es für die Zwei ein Kopfgeld gibt? Wobei, so mickrig, wie die beiden aussehen, wird das wohl nicht der Fall sein. Vielleicht sollten wir sie doch erschießen und hier im Wald vergraben.“
Daraufhin liefen die beiden Erwischten auf Rianna zu.
„Nein, bitte, bitte nicht! Wir tun es auch nie wieder!“, flehten sie ihre Schwester an und umklammerten sie dabei, sodass sie sich kaum noch bewegen konnte.
„Was macht ihr eigentlich hier draußen? Ihr wisst doch, dass ihr nicht ohne Begleitung in den Wald gehen dürft!“, ermahnte Rianna ihre beiden jüngeren Brüdern.
„Wir sind nicht alleine. Ihr seid doch bei uns!“, kam als Antwort vom jüngeren Kay.
„Genau!“, bestätigte Jacob nickend, „Außerdem wollen wir wissen, wo ihr hingeht!“
„In Ordnung“, sagte Rianna resignierend und schüttelte dabei den Kopf, „Wenn ihr niemanden etwas verratet, könnt ihr mitkommen und zusehen. Ansonsten sage ich unserem Vater, dass ich euch dabei erwischt habe, wie ihr alleine im Wald herumgelaufen seid.“ Die beiden Jungs grinsten sich gegenseitig an und nickten dann Rianna zu.
Währenddessen hatte sich Alia dem Pfeil im Baum zugewandt. Nur mit großer Mühe konnte sie ihn aus dem Stamm der Eiche ziehen, in den er fast eine Handbreit eingedrungen war. Enttäuscht musste sie jedoch feststellen, dass der Pfeil unbrauchbar war, da die Spitze abgebrochen war und noch immer tief im Stamm fest steckte.
Alia warf den Rest des Pfeils weg und sagte lächelnd zu Rianna: „Wenn du so weiter machst, wirst du wohl bald mir Unterricht geben müssen.“

Nun gingen alle Vier tiefer in den Wald hinein, bis sie an eine einfache Holzbrücke kamen, die über einen breiten Bach führte. Allerdings überquerten sie diese nicht, wie Kay feststellen musste. Denn er war schon vorgelaufen und wartete nun am anderen Ende ungeduldig auf den Rest der Gruppe. Stattdessen bogen Rianna und Alia kurz vor der Brücke auf einen unscheinbaren Pfad, der dem Bachlauf folgte.
„Wohin gehen wir eigentlich?“, wollte Kay wissen, welcher sie mit diesen Worten wieder eingeholt hatte und diesmal bei den anderen blieb.
„Das wirst du gleich sehen“, erwiderte Alia gelassen. „Wir sind schon fast da.“

Der Bach, an dem sie entlanggingen, entsprang einer Quelle in den nahen Bergen. Er war kristallklar und dadurch, dass er nicht besonders tief war, konnte man ohne Probleme bis auf den Grund sehen und jegliches Leben in ihm beobachten.
Auch außerhalb des Wassers blühte das Leben. Überall schwirrten Insekten herum oder saßen auf Blättern und Schilfhalmen. Man hörte das Quaken von Fröschen und ab und zu zeigte sich das ein oder andere Tier, welches auf der Suche nach Wasser hier hergekommen war, um seinen Durst zu löschen.
Weiter abwärts mündete der Bach in einen großen See, welcher ringsum vom Wald umgeben war. Der See selbst war zwar an den Ufern zunächst sehr flach, wurde aber meist nach wenigen Schritten zunehmend tiefer.
Am nördlichen Ufer lag die Hütte von Nyrion. Er lebte sehr zurückgezogen und kam nur manchmal nach Horin auf den Markt. Dort tauschte er dann meistens einige Fische, die er hier am See gefangen hatte, gegen irgendwelche Gegenstände ein, die er brauchte.
Das Ziel der Gruppe war eine kleine Bucht, die am südöstlichen Teil des Sees lag. Hier gab es einen Kiesstrand und das Wasser war höchstens hüfttief. Des Weiteren grenzte der Wald nicht, wie fast überall sonst, direkt am Ufer, sondern an einer Wiese.
Auf dieser Wiese stand eine sichtlich schon sehr alte Eiche, welche weitaus größer war als die Bäume des umgebenen Waldes. Darunter stand eine Zielscheibe aus Stroh, welche auf einem Holzgestell befestigt war.
Dort angekommen nahm Alia die Zielscheibe, welche, wie man nun erkennen konnte, auf der Rückseite an einem Fassboden befestigt war. Alia hängte die Scheibe an ein Seil, welches sie kurz zuvor über einen Ast geworfen hatte und zog sie bis etwa auf Brusthöhe. Dann verknotete sie das andere Ende des Seils am Baumstamm und überprüfte, ob alles festhielt.
Gerade als Rianna fragen wollte, was die Späherin denn dort mache, erklärte diese: „Heute üben wir das Schießen auf ein sich bewegendes Ziel. Da du ja eben beeindruckend unter Beweis gestellt hast, dass du auch weit entfernte Holzköpfe triffst, “, Alia musste dabei grinsen und fuhr fort, „dachte ich mir, dass dies eine sinnvolle Steigerung des Schwierigkeitsgrades wäre. Denn die wenigsten deiner Ziele werden starr wie ein Baum dastehen und darauf warten, dass du auf sie feuerst.“
Alia nahm ein zweites Seil, welches ebenfalls an der Zielscheibe befestigt war, stellte sich neben den Stamm und sorgte dafür, dass die Scheibe langsam, aber gleichmäßig hin und her pendelte. Ohne eine weitere Erklärung bat sie Rianna darum, anzufangen.
Ein wenig irritiert darüber, was sie denn jetzt tun sollte, nahm Rianna ihren Bogen in die Hand und legte einen Pfeil auf. Als sie den Bogen spannte und mit dem Zielen begann, schwang sie erst mit der Scheibe mit. Da ihr das aber schon aufgrund der Position, die sie zum Ziel hatte, sehr schwer fiel und es sehr viel Kraft kostete, merkte sie recht schnell, dass es so nicht funktionieren würde. Also entspannte sie den Bogen wieder und setze kurzdarauf zu einem neuen Versuch an. Diesmal visierte sie jedoch einen der Scheitelpunkte an und schwang nichtmehr mit der Scheibe mit.
Ein paar Schwünge wartete sie noch ab, bis sie sich sicher war, auf den richtigen Punkt zu zielen. Als die Scheibe diesen Punkt erreichte, schoss Rianna ihren Pfeil ab. Er verfehlte aber trotz der relativ kurzen Entfernung knapp sein Ziel, da die Zielscheibe bereits wieder in die entgegengesetzte Richtung schwang.
Kay und Jacob, die sich währenddessen hinter ihrer Schwester in die Wiese gesetzt hatten und gespannt darauf warteten, ob sie traf, sprangen sofort auf und wollten das Ergebnis begutachten. Da der Pfeil entgegen ihrer Erwartungen nicht das Ziel getroffen hatte, suchten sie dahinter weiter. Dank der weißen Befiederung fanden sie ihn recht schnell, gut hundert Schritt entfernt, im Gras liegen.
Wie eine Trophäe hielten die beiden den Pfeil hoch und kamen dann schließlich damit zurück, um ihn ihrer Schwester zurückzugeben.
„Danke euch beiden, “ sagte sie mit einem leichten Kopfnicken. „Das wäre aber nicht nötig gewesen. Denn ich hab hier doch noch einen ganzen Haufen davon.“, und deutet dabei auf den Köcher auf ihrem Rücken, in dem sich noch 14 Pfeile befanden.
Kay und Jacob grinsten sich abermals gegenseitig an, zuckten dann aber mit den Schultern und setzten sich wieder hinter ihre Schwester auf den Boden.
Rianna wunderte sich immer wieder darüber, wie es ihre beiden Brüder schafften, sich scheinbar wortlos untereinander zu verständigen. Sie schob diesen Gedanke jedoch beiseite und wandte sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck wieder Alia zu. Sie war sich nicht sicher, was sie falsch gemacht hatte.
Alia hatte in der Zwischenzeit aufgehört, am Seil zu ziehen und sagte: „Du darfst nicht erst dann schießen, wenn du dein Ziel im Visier hast, sondern musst auch bedenken, dass der Pfeil einige Zeit braucht, bis er sein Ziel erreicht. Dementsprechend ist es nun umso wichtiger, die richtige Entfernung zu deinem Gegner einzuschätzen, seine Geschwindigkeit und die Richtung, in die er sich bewegt. Daher musst du auf den Punkt Zielen, an dem sich dein Gegner befindet, wenn auch dein Pfeil dort ankommt.“ Mit diesen Worten begann sie wieder, die Zielscheibe in Schwung zu setzen und bat Rianna, weiterzumachen.
All diese Punkte beachtend, traf Rianna jetzt auch die Scheibe - sehr zur Freude ihrer beiden Brüder. Allerdings noch nicht ins Schwarze.
Die darauffolgenden Versuche wurden zwar von Mal zu Mal besser, jedoch änderte Alia nun auch häufig die Geschwindigkeit, mit der sie die Scheibe zog, wodurch die Aufgabe wieder bedeutend schwieriger wurde. Rianna traf zwar ab und zu auch mal die Mitte, jedoch schienen dies eher Zufallstreffer zu sein.

Als sich Rianna eine ganze Weile später resignierend und völlig erschöpft auf die Wiese legte, hatte sie es immerhin ein paar Mal hintereinander geschafft, einen Volltreffer zu landen.
Alia, die mittlerweile die verschossenen Pfeile eingesammelt hatte und diese ihrer Besitzerin übergab, sagte: „Für den Anfang nicht schlecht. Beim nächsten Mal werden wir die Distanz aber mindestens verdoppeln.“
Rianna, die gerade dabei war, ihre Pfeile sorgfältig in den Köcher einzuordnen, seufzte bei diesen Worten. Dann reichte sie der Späherin eine Hand und bat diese, ihr hoch zu helfen.
„Na, stell dich mal nicht so an“, sagte Alia gespielt entrüstet, während sie ihrer Schülerin aufhalf. Dann stemmte sie ihre Hände auf ihre Hüften. „Für das, was du in den letzten Wochen gelernt hast, habe ich Monate oder teilweise sogar Jahre gebraucht, um es so zu beherrschen. Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass die hier nicht ganz unschuldig daran sind.“, fügte sie hinzu und deutete dabei auf Riannas rubinrote Augen.
„Kann gut sein, “ stimmte ihr Rianna zu. „Wir haben ja schon feststellen dürfen, dass meine Augen um einiges besser sind als die der meisten.“
„Einschließlich meiner eigenen. “, bestätigte die Späherin. „Und ich kann immerhin behaupten, mit die besten in unserem Trupp zu haben.“ *

Kay und Jacob hatten sich nach einiger Zeit gelangweilt zum Ufer des Sees begeben, um die dortige Insektenwelt näher zu erforschen und auch das ein oder andere Exemplar einzufangen. Rianna hatte sie jedoch vorher noch dazu ermahnt, vorsichtig zu sein. Als die beiden Brüder bemerkten, dass die Frauen aufbrechen wollten, kamen sie fröhlich miteinander plaudernd wieder zurück zum Waldrand.
Gemeinsam gingen sie nun wieder am Bach vorbei bis zur Straße, und von dort aus zurück zu Riannas Versteck. Dort legte sie ihren Bogen und den Köcher wieder zurück und nahm ihr Kleid heraus, um es erneut über der Rüstung zu tragen.
So umgezogen ging es nun weiter. Als sie den Rand des Waldes erreichten und in Sichtweite von Horin gelangten, liefen die beiden Brüder plötzlich los und schienen sich ein Wettrennen miteinander zu liefern.
„Die haben es aber eilig“, bemerkte Alia und Rianna reckte sich, um ihnen nachzusehen. Da die beiden jedoch schnell, auf Grund des hochwachsenden Getreide, aus dem Sichtfeld ihrer Schwester verschwanden, konnte sie weder sagen, wer gewann, noch was das Ziel war.
Kurz nachdem die beiden Frauen das Tor erreicht hatten, verabschiedete sich Alia. Sie ging in eine Seitengasse, welche sie zu dem Gebäude führen würde, in dem sie und ihr Spähtrupp stationiert waren.
Rianna ging weiter Richtung Markt, bis sie hörte, dass jemand nach ihr rief. Nachdem sie sich umgesehen hatte und bemerkte, dass Horst sie heranwinkte, kehrte sie um und ging zurück zur Schmiede. Dort angekommen, sah sie, wie Horst an der Esse stand und mit einer Zange nach ein paar im Feuer liegende Eisenstangen sah. Er war eine stämmiger Mann mit Glatze, der - abgesehen von einer Lederschürze - nichts am Oberkörper trug. Da er augenscheinlich noch nicht mit dem Ergebnis zufrieden war, legte er die Stangen zurück ins Feuer. Dann drehte er sich wieder um und ging auf Rianna zu, die vor der Schmiede stehen geblieben war.
„Könntest du deinem Vater ausrichten, dass er bitte zu mir kommen soll? Ich bin mit seiner Bestellung so gut wie fertig, aber ich müsste vorher noch ein paar Kleinigkeiten mit ihm klären“, sagte er. Rianna kam sich langsam wie ein „Laufbursche“ vor, antwortete aber stattdessen: „Ich werde es ihm ausrichten! Gibt es sonst noch etwas?“
„Nein, das war alles“, erwiderte Horst und wandte sich wieder seiner Schmiede zu. Rianna dagegen ging wieder weiter und da sie sowieso auf dem Weg nach Hause am Laden ihres Vaters vorbeikam, gab sie ihm auch direkt Bescheid.
Zu Hause angekommen, begab sie sich erst einmal in ihr Zimmer und entledigte sich dort ihrer Lederrüstung, welche sie in eine Truhe unter ihrem Bett verstaute. Nach einiger Zeit bat ihre Stiefmutter Silvia sie darum, ihr bei den Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen. *
Später erzählte Riannas Vater Otwin bei einem Teller mit heißem Eintopf aus Kartoffeln, Gemüse und Fleisch, dass in den nächsten Tagen wieder die Handelskarawane eintreffen würde. Otwin war ein relativ großer aber auch korpulenter Mann mit schwarzen Haaren und einem gepflegten Vollbart.
„Kannst du bitte auf den Laden aufpassen?“, bat er seine Tochter, „Erick und ich holen währenddessen die Wahren ab, die wir beim letzten Besuch der Karawane bestellt hatten.
Und vielleicht gibt es ja sonst noch etwas, was man von den Händlern gebrauchen könnte.“
Rianna sagte ihrem Vater mit einem Kopfnicken zu. Glücklicherweise dauerte es noch einige Tage, bis sie sich wieder mit Alia treffen würde, weswegen sie sich also keine Ausrede einfallen lassen musste.

Einen Tag später traf die betreffende Handelskolonne spät abends ein und errichtete auf einer Wiese vor dem Tor ihr Lager.
Die Karawane, die vier Mal im Jahr hier vorbei kam und zwischen den beiden Hauptstädten der Königreiche Ah und Beh reiste, bestand aus gut einem Dutzend Wagen verschiedenster Bauarten, die vorwiegend von Pferden gezogen wurden.
Obwohl die Händler sich auch durchaus zu verteidigen wussten, wurden sie stets von einer Gruppe Söldnern begleitet. Diese Söldner waren zumeist kampferprobte Veteranen und saßen entweder mit auf einem der Wagen, die sie beschützen sollten, oder ritten mit ihren Pferden nebenher.
Dieser zusätzliche Schutz machte die Karawane aber auch für Reisende interessant, um sicher von einem Ort zum anderen zu gelangen.

An dem darauffolgenden Tag herrschte ein reges Treiben zwischen dem Lager und dem Marktplatz.
Rianna hatte sich schon früh im Laden eingefunden. Dieser bestand aus einem großen Lagerbereich im hinteren Teil, in dem alle möglichen Gegenstände darauf warteten, verkauft zu werden, und einen kleinen abgetrennten Bereich, in dem die Geschäfte abgewickelt wurden. Das Lager konnte man durch eine große Doppeltür erreichen, die zu einer Gasse führte und den Verkaufsbereich betrat man durch eine normale Tür vom Marktplatz aus.

Weil die neu eingetroffenen Händler für die meisten Bewohner Horins derzeit am interessantesten waren, wurde es Rianna mit der Zeit langweilig. Um sich daher die Zeit zu vertreiben, begann sie damit, den Laden, in dem ein heilloses Chaos herrschte, etwas aufzuräumen.
Alles lag wild verteilt auf und neben den Tischen und Regalen. >>Dass man hier überhaupt etwas findet, grenzt an ein Wunder<<, dachte sie sich.
Unterbrochen wurde sie nur ab und zu von einem der Händler, die ihre Waren verkaufen wollten; diese verwies Rianna aber an ihren Vater. Manchmal kamen dann aber auch doch Leute aus dem Dorf, die die verschiedensten Waren haben wollten, welche man meistens nach ein wenig Sucherei auch fand. Anschließend trug Rianna den getätigten Verkauf in ein Buch mit braunem Einband, mittels einer Feder, die sie in ein Fass mit schwarzer Tinte tauchte. Das Buch befand sich stets unter dem Tresen. Vermerkt wurde, was wann und für wie viel an wen verkauft wurde.
Der Umstand, dass sie sowohl lesen, schreiben als auch rechnen konnte, verdankte sie ihrem Vater, da er der Meinung war, dass seine Kinder nicht als dumme Bauerntölpel gelten sollten. Dies war jedoch eine seiner wenigen positiven Ansichten.
Denn Otwin konnte sehr streng und vor allem laut werden, wenn es darum ging, was Rianna tun und lassen durfte, im Gegensatz zu dem, was ihre Brüder durften. Allein, dass sie alle paar Tage mit Alia unterwegs sein konnte, kostete sie einiges an Überredungskunst. Und wenn ihr Vater erfuhr, was sie dort machen würde, wäre auch wieder schnell Schluss damit.

Derweilen war es später Nachmittag, als jemand den Laden betrat und an der Tür stehen blieb. Da niemand zu sehen war, räusperte sich die Person kurz und brachte dann ein quäkendes „Hallo?“ von sich.
Rianna, die gerade damit beschäftigt war, einige der neuen Waren in die Regale im Lager einzusortieren, antwortete: „Ich komme sofort“, und legte einen Wollstoffballen beiseite.
Sie betrat den vorderen Teil und sah eine alte Frau. Die tiefen Falten im Gesicht, die weißen Haare und eine stark gekrümmte Haltung spiegelten ein hohes Alter wider.
Und dennoch, als sie Rianna sah, spurtete sie in einem Tempo zu ihr, welches man einer so gebrechlich wirkenden Person nicht mehr zutrauen würde. Dabei stolperte sie beinahe über den Stock, welchen sie als Gehilfe nutzte. Bei Rianna angekommen, begann die Unbekannte sie genauer zu begutachten und bevor die Händlerstochter fragen konnte, was das denn sollte, fragte die Frau: „Wann und wo hast du ihn getroffen?“
Sichtlich irritiert fragte Rianna ihrerseits: „Wen soll ich getroffen haben?“
Da deutete die Alte auf Riannas Augen und sagte: „Das sind die Augen eines Drachen, die bekommt man nicht einfach so und sind auch keine Laune der Natur. Also noch einmal: Wann und wo hast du den Drachen getroffen?“
„Die habe ich seit meiner Geburt“, antwortete darauf Rianna.
„Und deine Mutter?“, fragte sie nun. „Hat sie dir nicht erklärt, woher oder wieso du sie hast?“
„Ich habe meine Mutter nie kennengelernt, “ sagte Rianna ein wenig gereizt von dem Verhör. „Sie soll kurz nach meiner Geburt gestorben sein und soweit ich weiß, hatte sie normale braune Augen.“
Die Frau trat nun einen Schritt zurück und man konnte einen Anflug von Bedauern in ihrem Gesicht sehen. Allerdings war sich Rianna nicht sicher, ob wegen des Todes ihrer Mutter oder weil sie die Frage der Frau nicht beantworten konnte.
„Nun, das konnte ich ja nicht…“, fing die Alte an zu stottern. „Mein Beileid, es tut mir leid, dass ich dich so bedrängt habe.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte wieder aus dem Laden.
Überwältigt von der Situation, stand Rianna noch eine ganze Weile da und fragte sich, was dies zu bedeuten hatte.
Sie bemerkte nicht, wie ihr Vater durch die Tür vom Lager hinter sie trat.
„Ah, du hast hier aufgeräumt. Sehr schön, wurde auch mal wieder Zeit.“, sagte er aufrichtig beeindruckt zu ihr, da er sich über das vorher herrschende Durcheinander vollkommen bewusst war, allerdings zu faul war, es in Ordnung zu bringen.
„Gab es etwas Besonderes, von dem ich wissen sollte?“, wollte er anschließend wissen.
Rianna, die bis gerade eben immer noch auf die Tür gestarrt hatte, erwachte nun langsam aus ihrer Starre und antwortete zögerlich: „Etwas … etwas Besonderes …? Äh, nein, nichts, alles in Ordnung.“
„Gut, Erick und ich haben soweit alles zusammen. Wir räumen jetzt noch die restlichen Waren ins Lager ein. Du kannst also gehen, falls du hier fertig bist.“
„Ja, ich war soweit fertig“, sagte Rianna und ging Richtung Tür.
Zu Hause ging Rianna die alte Frau und das, was sie gesagt hatte, nicht mehr aus dem Kopf.
Rianna war erstaunt, aber auch ein wenig schockiert/geschockt darüber, dass sie nun wusste, woher ihre ungewöhnlichen Augen kamen. Allerdings ergaben sich nun jede Menge neue Fragen für sie, die beantwortet werden wollten. Sie zerbrach sich immer mehr den Kopf darüber und konnte deswegen nicht einschlafen. Daher beschloss Rianna, am nächsten Tag die alte Frau aufzusuchen und hoffte, dass sie ihr die eine oder andere Frage beantworten konnte.
>>Sie ist wahrscheinlich eine der Händlerinnen aus der Karawane oder reist zumindest mit ihnen<<, dachte sich Rianna, >>Es sollte also nicht allzu schwer werden, sie zu finden.<<

Am nächsten Morgen fiel es Rianna sehr schwer, aus dem Bett zu kommen. Normalerweise war sie die Erste, die aufstand. Sie holte dann Wasser aus dem Dorfbrunnen, um es dann im Kessel über dem Feuer zu erhitzen. Bis dahin war dann auch meist ihre Stiefmutter wach. Gemeinsam bereiteten sie dann das Frühstück vor und weckten den Rest der Familie.
Doch heute waren es Riannas jüngere Brüder, die sie weckten.
Jegliche Fragen, ob es ihr nicht gut ging oder etwas nicht stimmte, beantwortete sie nur damit, dass sie schlecht geschlafen hatte, sonst aber alles in Ordnung war.

Nachdem sie sich gestärkt hatte, ging sie ohne Umweg zum Lager der Händler, welches auch langsam zum Leben erwachte. Rianna fragte die erstbeste Person, die sie traf und nicht aus Horin stammte, nach der Frau.
In diesem Fall war es einer der Söldner. Er musste zwar kurz überlegen, schien aber zu wissen, wen Rianna meinte und sagte mit rauer, aber freundlicher Stimme: „Hmm, du meinst bestimmt die verrückte alte Kräuterhexe.“ Rianna musste dieser Umschreibung innerlich zustimmen, wenn man danach ging, wie sich die Frau gestern verhalten hatte. Weiterhin sagte der Söldner: „Ich glaube, ihr Wagen steht dort drüben an den Palisaden“, und zeigte dabei auf einen Schindelwagen, welcher am Rand des Lagers stand. Sie bedankte sich bei ihm und ging dann in die ihr gewiesene Richtung. Als, so hoffte Rianna zumindest, nicht ganz ernst gemeinte Warnung, rief ihr der Mann noch hinterher: „Sei aber vorsichtig! Nicht, dass sie dir deine hübschen Augen für eine ihrer Tränke braucht.“
Der Wagen vor dem sie nun stand, war etwas größer als die der anderen Händler und schien dem Bewohner auch als Schlafplatz zu dienen. Alle anderen hingegen hatten die Nacht in Zelten verbracht, aus denen der größte Teil des Lagers bestand.
An der linken Seite des Wagens befand sich eine Tür, vor der eine kleine Treppe auf dem Boden stand, womit man die Tür bequem erreichen konnte. Rechts und links der Tür war jeweils ein Fenster, deren Läden geschlossen waren. Davor hingen jeweils Kästen, in denen Blumen wuchsen, oder besser gesagt Kräuter, wie Rianna erkannte, als sie genauer hinsah. Am hinteren Ende des Wagens waren zwei Fässer befestigt, in denen sich vermutlich ein Wasservorrat befand. Aus einem Metallrohr, welches als Schornstein diente, quoll bereits Rauch - was vermuten ließ, dass der Bewohner bereits wach war.
Rianna schritt an die Tür, klopfte gut hörbar daran und ging wieder ein paar Schritte zurück. Einige Momente später öffnete sich die obere Hälfte der Tür und die alte Frau schaute heraus auf Rianna.
Ein wenig erleichtert fing sie an zu lächeln und sagte: „Ich habe gehofft, dass du kommen würdest. Ich muss allerdings gestehen, dass ich nicht so schnell mit dir gerechnet habe. Zuerst möchte ich mich aber nochmals wegen meines unhöflichen Verhaltens von gestern entschuldigen. Und zweitens würde ich mich gerne mit dir unterhalten. Du hast bestimmt einige Fragen. Also komm doch bitte herein. Ich habe gerade einen Kräutertee aufgesetzt, falls du eine Tasse möchtest.“
Sie hatte nun auch die untere Türhälfte geöffnet und bat Rianna hereinzukommen.
Im Inneren sah sich Rianna erst einmal um.
Der vordere Teil war voller Regale, in denen sich allerlei Tiegel, Töpfe und Flaschen mit diversen getrockneten oder in Flüssigkeiten eingelegten Kräutern, Früchten oder Dingen befanden, die Rianna auf Anhieb nicht identifizieren konnte. Außerdem stand vor einem der Fenster eine Kommode mit vielen Schubladen und einer Arbeitsplatte aus Stein. Daneben war ein gusseiserner Ofen platziert, in dem Feuer brannte und oben drauf stand eine Tonteekanne, in der das Wasser bereits hörbar kochte.
Im hinteren Teil des Wagens, in den die Frau sie nun lotste, stand vor dem anderen Fenster ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen, gegenüber war ein Schrank und am Ende ein Bett und eine verschließbare Truhe.
Rianna setzte sich auf den Stuhl, welcher der Tür am nächsten war und sagte zu der alten Frau, die damit begonnen hatte, etwas in den Regalen zu suchen: „Ich weiß noch gar nicht, wie Sie heißen. Mein Name ist Rianna.“
„Ach natürlich, wie unhöflich von mir. Was musst du bloß von mir denken!“, erwiderte sie. Inzwischen hatte sie auch zwei Tassen aus dem Regal genommen und stellte diese zusammen mit der Teekanne auf den Tisch.
„Mein Name ist Tabea, meines Zeichens Kräuterkundige und Heilerin“, stellte sie sich mit einer Verbeugung vor und setzte sich dann auf den freien Stuhl.
Einige Zeit saßen sich beide schweigend gegenüber, bis Tabea die Kanne nahm, beiden einschenkte und das Wort ergriff. „Nun, wieso bist du zu mir gekommen?“, fragte sie und nahm einen Schluck vom Tee.
„Dasselbe könnte ich Sie auch fragen“, antwortete Rianna daraufhin, „und vor allem, was genau wollten Sie von mir?“
„Was ich von dir wollte, sagte ich ja bereits in eurem Laden. Ich suche nach einem Drachen. Und gehört habe ich von dir, als einer der Händler, welcher dich offensichtlich gesehen hatte, von dir erzählte. Er schwärmte von einem hübschen Mädchen mit einer sehr ungewöhnlichen Augenfarbe, welches in einem der Läden am Marktplatz arbeiten würde. Er schien einen Schreck bekommen zu haben, als du ihn angesehen hattest, weswegen er schnell wieder aus eurem Laden verschwand. Jedoch schien er es hinterher bereut zu haben, dass er dich nicht angesprochen hatte.“
„Und daher wussten Sie direkt, dass meine Augen die eines Drachen sind?“, fragte Rianna weiter.
„Nein, dessen war ich mir erst sicher, als ich sie mir persönlich angesehen hatte. Eine solche Pupillenform entsteht nur dann, wenn sie mit Hilfe von Drachenmagie verändert wird.“
„Aber wieso sollte ein Drache das getan haben?“, fragte Rianna.
„Um einen Sehfehler zu korrigieren oder sogar Blindheit zu heilen. Manchmal aber auch nur, um die vorhandenen Sehkraft zu verbessern, aber gerade dann geschah es nicht uneigennützig für den jeweiligen Drachen. Meist verlangten sie irgendetwas dafür, dabei konnte es sich jedoch um alles Mögliche handeln, vom kleinen Gefallen bis hin zur völligen Ergebenheit. Was der Grund in deinem Fall ist, kann ich dir nicht beantworten. Wenn du, wie du sagtest, sie seit deiner Geburt hast, wird deine Mutter wohl Kontakt mit einem Drachen gehabt haben, als sie mit dir schwanger war. Da sie aber scheinbar nie mit jemandem darüber gesprochen hat, weiß wohl nur noch der Drache, welcher die Magie gewirkt hat, über die Gründe Bescheid“, antwortet Tabea.
„Es gibt doch aber seit mehr als 100 Jahren keine Drachen mehr. Wie sollte meine Mutter also einen getroffen haben?“, fragte Rianna irritiert.
„Die meisten wurden damals getötet, das ist richtig, aber es gibt noch welche. Nur entweder verbergen sich die wenigen, die es noch gibt, vor uns oder leben auf den anderen Kontinenten, wo sie nicht gejagt werden“, erzählte die alte Frau mit einem Hauch von Trauer in der Stimme.
„Wieso werden sie denn überhaupt gejagt?“, wollte Rianna nun wissen.
„Die genauen Gründe kenne ich leider nicht. Aber als die Drachen damals plötzlich anfingen, unsere Dörfer anzugreifen und bis auf die Grundmauern niederzubrennen, verhängte der damalige König ein Kopfgeld auf jeden erlegten Drachen. Gleichzeitig sandte er seine Armeen aus, um sie anzugreifen, da er wusste, dass ein Drache nicht von einem einzelnen Ritter getötet werden konnte. Nicht so, wie man es in manchen Geschichten zu hören bekommt.
Dennoch starben damals viele der sowieso schon seltenen Wesen, allerdings noch viel mehr Soldaten und Abenteurer bei dem Versuch, einen Drachen zu töten.
Das Merkwürdige war, dass die Drachen wie gesagt anfingen, unsere Dörfer oder auch Händlerkarawanen, wie diese hier, anzugreifen. Denn eigentlich sind die meisten von ihnen sehr friedvoll. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, jedoch nur selten und, soweit ich mich erinnere, nicht zu dieser Zeit. Des Weiteren waren sie auch weit intelligenter als die meisten Menschen, und aufgrund dessen, dass sie sehr alt wurden, auch wesentlich weiser.
Aggressiv wurden sie lediglich, wenn man sie angegriffen hat oder man ihren Hort unerlaubterweise betrat“, erklärte Tabea.
„Wieso ist es so wichtig für dich, einen zu treffen?“, fragte Rianna und leerte danach ihre Tasse.
„Ich brauche etwas von ihnen “, sagte Tabea kurz und bündig. „Mehr werde ich dazu aber nicht sagen.“ Sie schenkte jedem noch einmal eine Tasse vom Tee ein und fragte dann ihrerseits: „Hast du noch andere Fähigkeiten an dir bemerkt, außer der, dass du, wie ich mir denken kann, besser als andere sehen kannst?“
Rianna grübelte lange darüber und sagte schließlich: „Im Augenblick wüsste ich nichts Besonderes… außer vielleicht, dass es mir sehr leicht fällt, mir neue Fähigkeiten anzueignen.“
Tabea dachte über diese Antwort einen Moment nach und sagte dann: „Jemandem wie dir dürfte es sogar sehr leicht fallen, magische Fähigkeiten zu erlernen und zu wirken. Grundsätzlich kann das zwar jeder, aber den Meisten fällt es eher schwer. Ausnahmen gibt es wie bei allem natürlich auch hier, und da du durch Magie verändert wurdest, müsste es dir umso einfacher fallen.“
„Wie sollte das funktionieren?“, entgegnete Rianna irritiert. „Nur weil ich durch Magie verändert wurde, kann ich sie auch besser kontrollieren? Das macht für mich keinen Sinn.“
Tabea musste über diese Feststellung lachen und sagte: „Wie ich sehe, hast du auch ihre Auffassungsgabe bekommen. Es gibt einige Unterschiede zwischen der Magie der Menschen und die der Drachen. Einer zum Beispiel ist, dass eine Pflanze einige Tage später verblühen würde, wenn ein Mensch sie mithilfe der Magie aus einem Samen heranwachsen lässt und sie bis zur Blüte bringt, da ihre Lebensspanne von ihm verkürzt wurde.
Wenn ein Drache einen solchen Zauber wirkt, wird sie mindestens so lange blühen, wie sie gebraucht hätte, vom Samenkorn bis zur Blüte heranzuwachsen - eher noch viel länger. Die Pflanze wird mit Magie durchtränkt und zehrt auch von dieser zusätzlichen Energie, während sie bei Menschen nach dem Wirken fast gänzlich verpufft.
Wieso das so ist, liegt wahrscheinlich daran, dass Drachen schon sehr viel länger mit Magie umgehen und es auch von Natur aus können.“
„Gibt es etwas, das Sie mir beibringen könnten?“, wollte Rianna nun wissen.
„Du meinst etwas, außer der Kräuterkunde, und wie man mit ihrer Hilfe Wunden und Krankheiten heilt?“, fragte Tabea und Rianna nickte mit dem Kopf. „Naja, ich könnte dir zeigen, wie man einen guten Kräutertee wie diesen kocht. Aber ich denke, das ist auch nicht in deinem Sinne. Was Magie angeht, kann ich dir nichts beibringen, da ich mich nie praktisch damit auseinandergesetzt habe.“
„Und woher wissen Sie dann soviel darüber?“, fragte Rianna enttäuscht.
„Alles, was ich weiß, kommt aus Büchern. Aber eigentlich ist dieses Wissen nur sehr oberflächlich. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, solltest du einen Magiekundigen aufsuchen.“, sagte sie, erhob sich und ging zu einem der Regale, um dort etwas rauszuholen.
„Falls ich alle deine Fragen beantwortet habe, bitte ich dich jetzt, zu gehen. Ich habe noch etwas zu erledigen. Aber bevor du gehst, gebe ich dir noch etwas.“, fügte Tabea hinzu und kam mit einem kleinen Tontiegel zurück, welchen sie Rianna in die Hand drückte.
„Du siehst mir nicht wie ein Mädchen aus, das sich später einmal nur um den Haushalt und ihre Kinder kümmern möchte. Hier drin befindet sich eine Salbe, mit deren Hilfe Wunden besser verheilen und die verhindert, dass diese sich entzünden. Trage sie einfach auf den Verband auf, mit dem du die Wunde verbindest oder zur Not auch direkt auf die Wunde.“
Mit der Salbe in der Hand, verabschiedete sich Rianna von Tabea und ging durch die Tür nach draußen.
Da es erst Mittag war, wollte sich Rianna die Angebote der anderen Händler anschauen.
Sie ging zu den Markständen, die von der Straße, die aus Horin führte, bis in etwa der Mitte des Lagers reichten. Dort, wo am Abend zuvor noch ein großes Lagerfeuer gebrannt hatte, jetzt aber nur noch vereinzelt Flammen aus dem verkohlten Holzüberreste züngelten.
Rianna schritt die einzelnen Stände ab. Größtenteils bestanden diese nur aus einem einfachen Brett, welches auf zwei Kisten lag und auf dem die Waren zum Verkauf dargeboten wurden.
Stoffe wie Wolle, Samt und Seide, Gewürze, getrocknetes und gepökeltes Fleisch, Alkohol, Schmuck, Rüstungen und Waffen, aber nichts, was Rianna wirklich interessierte, weswegen sie sich dann doch auf den Heimweg machte.

Am Tag darauf wollte sich Rianna wieder mit Alia treffen und ihr auch gleich von den Neuigkeiten berichten, die sie erfahren hatte. Allerdings wartete Alia nicht wie üblich vor dem Tor auf sie.
Ungeduldig beobachtete Rianna die Händler und Söldner, welche gerade dabei waren, ihr Lager abzubrechen und damit schon fast fertig waren.
Deswegen beschloss Rianna auch sofort loszugehen. Denn sie wusste, dass die Karawane in ihre Richtung durch den Wald weiterziehen würde. Rianna wollte nicht, dass man sie dabei sah, wie sie ihre Sachen aus dem Versteck nahm.
Sie bat eine der Wachen, falls Alia noch auftauchen sollte, der Späherin Bescheid zu sagen, dass sie schon vorgegangen war und machte sich dann rasch auf den Weg Richtung Wald. Als sie an ihrem Versteck ankam und es öffnete, fand sie darin eine Nachricht und las sie.

Hallo Rianna,

kann mich heute leider nicht mit dir treffen.
Habe einen Auftrag bekommen und werde wahrscheinlich
die nächsten 2-3 Wochen nicht da sein.
Konnte dir leider nicht auf anderem Wege Bescheid geben,
da die Sache eilig ist und ich früh los musste.
Übe ruhig ohne mich weiter.

Alia


„Das erklärt dann auch, wieso sie nicht da war“, dachte sich Rianna, nahm ihre Sachen aus der Grube und ging weiter zum See.

Die Zielscheibe hing immer noch mit dem Seil am Baum. Jedoch konnte sie ohne jemanden, der für sie am Seil zog und so das Ziel in Schwung brachte, nicht weiter üben. Da Rianna aber auch noch nicht schon wieder zurückkehren wollte, beschloss sie einfach den Rest des Tages hier zu genießen. Sie legte ihre Sachen vor den mächtigen Stamm der Eiche, entledigte sich ihrer Rüstung und sprang in den See, dessen kühles Wasser ihr bei diesem heißen Sommertag richtig gut tat.
Rianna schwamm eine ganze Weile, bis ihr langsam die Kräfte schwanden und begab sie sich dann wieder ans Ufer. Schließlich legte sich unter den Baum auf die Wiese und lies sich von der warmen Sommerluft trocknen. Dabei schlief sie jedoch ein.

Am Abend schrak Rianna auf, als sie von einem lauten Donnern geweckt wurde. Zuerst dachte sie an ein Gewitter. Da sie aber keine Regenwolken am mittlerweile abendroten Himmel entdeckte, musste es etwas anderes gewesen sein.
Also zog sie sich wieder ihre Rüstung an, nahm ihren Bogen und den Köcher und wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause gehen. Sie blieb jedoch stehen, als sie bemerkte, wie sich etwas im Wald rechts von ihr bewegte.
Ihr stockte der Atem, als sie in ein ihr sehr wohl bekannt vorkommendes Paar Augen blickte, welches auch sie entdeckt hatte.
Daraufhin gab die Kreatur mit tief grollender Stimme nur ein Wort von sich: „MENSCH!“
 
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darkblood

Gläubiger
Kapitel 2

Der Tag konnte kaum noch schlimmer werden, dachte sich Turmalon. Erst war er unvorsichtig geworden, weil er vor Hunger fast umkam. Denn als er bei der Suche nach etwas Essbarem endlich auf ein Reh gestoßen war, übersah er die vier Jäger, oder was auch immer diese Gestalten darstellen sollten, welche wohl dasselbe Ziel hatten.
Voll und ganz auf sein Ziel konzentriert, bemerkte Turmalon nicht, wie die Vier sich nun an ihn heranschlichen und jegliches Interesse am Wild verloren hatten. Erst als ihn ein Speer traf und er dadurch verletzt wurde, erkannte er die drohende Gefahr. Da er völlig entkräftet war und ihm daher die Aussicht, einen Kampf gegen die vier Jäger zu gewinnen, sehr gering erschien, suchte er sein Heil lieber in der Flucht.
Ein weiterer Speer, welcher nach ihm geschleudert wurde, verfehlte ihn nur knapp und ein Wurfnetz verfing sich zum Glück im Geäst der Bäume.
Alle Unannehmlichkeiten und Schmerzen ignorierend, hetzte er durch den Wald und war sich dessen bewusst, dass seine Verfolger dicht hinter ihm waren. Er konnte nur hoffen, dass sie irgendwann aufgeben oder er sie irgendwie abhängen würde. Dann erreichte Turmalon endlich den Waldrand, wo er klar im Vorteil war und so erfolgreich fliehen konnte. Die vier Jäger konnten ihm nur noch hinterher sehen und riefen ihm einige wüste Flüche hinterher.
Und als Turmalon dann nach einer Weile eine Lichtung sah, welche an einem See grenzte, wollte er dort zur Landung ansetzen. Allerdings unterschätzte er aufgrund seiner Müdigkeit seine Geschwindigkeit, fand auf der Wiese nicht genug halt und rutschte weiter bis in den Wald hinein. Krampfhaft versuchte er noch seine Flügel an den Körper anzulegen, streifte aber dennoch mit dem Linken einen Baum und kam dann ohne weitere Zusammenstöße im Wald zum Liegen.
Langsam rappelte sich Turmalon wieder auf und schüttelte sich einmal kräftig durch -mehr um den Schock loszuwerden als den Staub, den er bei seiner Bruchlandung aufgewirbelt hatte. Als er wieder halbwegs bei Sinnen war, ging er los, um wenigstens seinen Durst am See zu stillen. Dabei achtete er stets darauf, sein linkes Vorderbein, welches durch den Speer verletzt wurde und wegen dem Sturz nun wieder schmerzte, nicht zu stark zu belasten.
Als Turmalon aus dem Wald trat, sah er, wie sich vor ihm etwas bewegte. Jedoch dauerte es nicht lange, bis auch er entdeckt wurde und dabei erkannte er, was sich dort bewegt hatte.
„Nicht schon wieder ein Mensch“, dachte Turmalon, wobei er das letzte Wort laut aussprach.
Dann bemerkte er den Bogen in der Hand des Menschen.
„Nein, diesmal werde ich nicht kampflos aufgeben“, dachte Turmalon und machte sich zu einem Sprung bereit. Gerade als er seine Flügel ausbreiten wollte, um die Distanz besser überbrücken zu können, durchzog ihn ein heftiger Schmerz, welcher letztlich zu viel für ihn war. Mit einem lauten Brüllen brach er zusammen und blieb bewusstlos liegen.

Rianna war sich nicht ganz sicher, was gerade passiert war und blieb noch einen Moment stehen, um den nun scheinbar schlafenden Drachen zu beobachten.
„Wollte er mich gerade angreifen?“, fragte sich Rianna.
Als sie sich mehr oder weniger sicher war, dass keine Gefahr mehr von ihm ausging, legte sie ihre Sachen beiseite und näherte sich ihm. Seine Schuppen schien vollkommen schwarz zu sein, allerdings war er nicht besonders groß, zumindest hatte sich Rianna einen Drachen immer viel größer vorgestellt. Aber jetzt, wo sie direkt vor ihm stand, reichte er ihr gerade mal bis zur Hüfte. Allerdings lag er auch nur, zur rechten Seite gekippt, flach auf dem Boden. Sein rechter Flügel war am Körper angelegt, der linke hingegen lag halb ausgebreitet neben ihm.
Dann sah Rianna die blutende Wunde am linken Vorderbein des Drachen. Da sie schon öfter ihre beiden Brüder verbinden musste, die sich nach einer Rauferei die eine oder andere Wunde zugezogen hatten, wusste sie einigermaßen, was zu tun war. Jedoch handelte es sich diesmal um eine tiefe Schnittwunde und nicht, wie sie es von ihren Brüdern gewohnt war, um kleine Kratzer oder Schürfwunden. Sie wusste nicht, warum sie es tat, aber Rianna nahm ihren ledernen Trinkschlauch und reinigte zuerst die Verletzung. Dann riss sie ein langes Stück vom Hemd ab, welches sie unter ihrer Rüstung trug und band es fest um das Bein.
Rianna begutachtete den Drachen nun noch einmal etwas genauer, um sicher zu gehen, dass es nicht noch weitere Wunden gab. Die immer schlechter werdenden Lichtverhältnisse machten diese Aufgabe jedoch nicht einfacher. Dabei fiel ihr Blick auf die sich durch die Atmung langsam, aber regelmäßig auf und ab bewegende Brust. Auf dieser waren die Rippen deutlich abgezeichnet. Da dies bei den meisten Lebewesen ein deutliches Zeichen dafür war, dass sie abgemagert waren, zog Rianna auch hier in Betracht, dass es sich hier um einen solchen Fall handelte. Allerdings konnte sie sich nicht auch noch darum kümmern, ihm etwas Fressbares zu besorgen. Mal davon abgesehen, dass sein Schrei wahrscheinlich sämtliches Wild in der näheren Umgebung verjagt hatte, musste sie nach Hause. Denn es wurde mittlerweile immer dunkler. Rianna würde morgen früh wiederkommen und möglicherweise auch etwas Fleisch mitbringen. Nun aber machte sie sich auf dem schnellsten Weg nach Hause.

Als Rianna sichtlich außer Atem am Haupttor ankam, wollten die Wachen es gerade schließen. Sie warteten aber noch einen Moment, als einer vom Turm rief, dass noch jemand käme. Dankbar verbeugte sie sich vor einer der Wachen und ging rasch weiter.
Am Haus ihres Vaters angekommen, machte sich Rianna nun Gedanken darüber, wie sie erklären sollte, wo sie so lange geblieben war. Vorsichtig drückte sie die Tür auf, die zu ihrem Glück nicht verschlossen war und bemerkte, dass unten noch Licht brannte. Langsam guckte sie durch den Türspalt und sah zu ihrer Erleichterung, dass nur noch ihre Stiefmutter Silvia am Tisch saß. Nun ging sie ganz durch die Tür und schloss sie wieder hinter sich. Durch das Geräusch der sich schließenden Tür merkte Silvia auf und drehte sich zu Rianna um.
Als Silvia sah, wer zur Tür hereinkam, fing sie an zu lächeln und sagte leise, für Rianna gerade noch hörbar: „Da bist du ja endlich! Ich hab mir schon Sorgen gemacht, dass etwas passiert ist. Wo warst du denn so lange?“
Rianna, die derweilen um den Tisch gegangen war und nun ihrer Stiefmutter gegenüber stand, antwortete ihr ebenfalls in Flüsterlautstärke: „Ich bin im See schwimmen gewesen und nachdem ich mich zum Ausruhen auf die Wiese gelegt hatte, bin ich eingeschlafen.“
Silvia neigte den Kopf zur Seite und sah Rianna dabei so an, als ob sie ahnte, dass das nicht die ganze Wahrheit war, hakte aber nicht weiter nach. Stattdessen sagte sie: „Ich habe deinem Vater erzählt, als er wissen wollte, wo du bist, dass du müde warst und deswegen schon ins Bett gegangen bist. Er hat es mit einem Murren hingenommen und nicht weiter nachgefragt.“
Erleichtert entfuhr Rianna ein Seufzer und sie bedankte sich dann bei Silvia. Dann nahm sie sich noch schnell etwas von dem übriggebliebenen Essen. Nachdem sie fertig gegessen hatte, gingen sie und Silvia in ihre Zimmer.
Dort angekommen, suchte Rianna direkt nach der Salbe, die ihr Tabea gegeben hatte. Schnell fand sie den Tiegel in einer der Schubladen ihrer Kommode und nahm ihn heraus. Jetzt, da Rianna den Tiegel in der Hand hielt, fragte sie sich, ob die darin befindliche Salbe überhaupt bei einem Drachen wirken würde. Mit diesem Gedanken stellte sie den Tiegel wieder weg, diesmal aber gut sichtbar auf die Kommode.
Am nächsten Morgen war Rianna sehr früh auf den Beinen und erledigte ihre Pflichten so schnell es ihr möglich war. Als sie damit fertig war, begab sie sich wieder an den See. Diesmal mit ein paar sauberen Verbänden und der Salbe im Gepäck. Etwas Essbares hatte sie allerdings nicht mitgenommen, denn das einzige Fleisch, was sie in der Vorratskammer fand, war gepökelt oder geräuchert. Mal davon abgesehen, dass es nur ein paar Pfund waren, wäre es aufgefallen, wenn sie gefehlt hätten.

Am See angekommen, fand sie den noch immer schlafenden Drachen dort, wo er auch gestern gelegen hatte. Allerdings nicht mehr, wie am Abend zuvor, mit ausgestrecktem Hals und Beinen und auf der Seite liegend, sondern seitlich zusammengerollt, mit dem Kopf zum Teil unter einem Flügel.
Nun erkannte Rianna auch, dass der Drache nicht, wie sie zuerst annahm, völlig schwarz war.
Es war zwar die überwiegende Farbe, aber überall dort, wo die Sonne auf seine Schuppen fiel, schimmerten sie in einem dunklen Rot. Die lederartige Haut seiner Flügel hingegen war durchgehend in diesem Rot.
So zusammengerollt, konnte Rianna sich aber nicht um die Wunde kümmern und den Verband wechseln. Dennoch näherte sie sich ihm weiter. Und als sie vor dem Drachen stand, strich Rianna mit ihrer Hand über seine Schuppen. Diese fühlten sich warm und glatt an und bei jeder Berührung zuckten die darunterliegenden Muskeln leicht.
Zu Riannas Unmut reichte jedoch diese Berührung aus, um den Drachen zu wecken. Denn nun regte sich sein ganzer Körper, was sie dazu veranlasste, einige Schritte nach hinten von ihm weg zu gehen. Sie stand zu seiner Rechten, leicht hinter ihm, als sich der Kopf des Drachen nach vorne wandte und einige Zeit zum See hinausblickte. Kurz darauf richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. Er hatte nun etwa dieselbe Schulterhöhe wie Rianna und war von Kopf bis Schwanz etwa 9 Schritt lang. Dann begann er ein Gliedmaß nach dem anderen zu strecken. Als er den rechten Flügel ausbreitete, erwischte er fast Rianna, die eigentlich gut 8 Schritt von ihm entfernt stand und nun zur Sicherheit noch einige von ihm wegtrat. Als er dann allerdings den linken Flügel ausbreiten wollte, zuckte der Drache sichtlich zusammen und gab ein lautes Schnaufen von sich. Noch einmal, diesmal jedoch wesentlich vorsichtiger, versuchte er diesen Flügel zu entfalten. Dabei betrachtete er seine Schwinge, die ihm ganz offensichtlich Schmerzen bereitete und schien feststellen zu wollen, was damit nicht stimmte.
Ohne sich vorher Gedanken über die möglichen Konsequenzen gemacht zu haben, fragte Rianna besorgt und etwas eingeschüchtert: „Ist bei dir alles in Ordnung?“ Dabei war sie sich nicht einmal sicher, ob der Drache sie überhaupt verstand.
Augenblicklich drehte er seinen schlanken Kopf in Riannas Richtung. Als er sie sah, wandte er sofort den Rest seines Körpers und ging in eine leicht geduckte Haltung. Seinen Kopf senkte er dabei auf ihre Augenhöhe. Rianna fiel nun ein ovales, kristallähnliches Gebilde auf, welches sich auf seiner Stirn befand. Dieser Kristall war, wie die beiden Hörner, die sich am hinteren Teil des Kopfes befanden und nach hinten gerichtet sich leicht nach unten bogen, in demselben dunklen Rot, in dem auch seine Schuppen schimmerten.
Dann antwortete der Drache mit tiefer Stimme: „Seit wann interessiert es einen Menschen, wie es einem Drachen geht?“
„Wieso es mich interessiert?“, fragte Rianna mit zittriger Stimme und hatte sich seit dem gestrigen Abend selbst schon mehrfach dieselbe Frage gestellt, antwortete jedoch: „Vielleicht … als Erstes, weil du verletzt bist und ich eigentlich wiedergekommen bin, um den Verband zu wechseln, den ich dir Gestern angelegt hatte. Zweitens siehst du so aus, als hättest du eine ganze Weile hungern müssen. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich dir dabei helfen kann, aber bestimmt wird sich das ein oder andere Wildtier finden, das ich jagen könnte.“
„Ich will deine Hilfe nicht“, dröhnte nun wieder die Stimme des Drachens. „Ich kann sehr wohl für mich selbst sorgen. Und dieser kleine Kratzer hier macht mir nichts aus. Jetzt mach, dass du verschwindest, bevor ich in Betracht ziehe, meinen Hunger an dir zu sättigen.“
„Mit deiner Verletzung kannst du dich kaum schnell genug bewegen. Selbst jetzt belastest du dein Bein ja kaum“, widersprach ihm Rianna in einem mittlerweile sehr viel ernsteren Ton.
„Verschwinde!“, brüllte der Drache jetzt Rianna an. „Oder ich zeige dir, wie schnell ich sein kann.“
Da sie nicht riskieren wollte, dass er seine Drohung in die Tat umsetzte, nahm Rianna ihre Sachen und verschwand von der Lichtung.

Turmalon sah der Menschenfrau so lange hinterher, bis sie hinter den Bäumen verschwand und er sie nicht mehr sah. „Ein ungewöhnliches Exemplar ihrer Art“, sagte er sich und dachte dabei an die wenigen anderen Begegnungen, die er bislang mit Menschen hatte. Bisher hatten die ihn, sobald sie ihn sahen, entweder angegriffen oder flüchteten vor ihm. Aber vor allem dachte er an das, was man ihm über die Menschen erzählt hatte.
„Oder wollte sie mir wirklich helfen?“, fragte er sich und schaute dabei auf den Stofffetzen, der an seinem Bein hing und die Speerwunde verdeckte.
Ein letztes Mal blickte Turmalon in die Richtung, in die die Frau verschwunden war und begab sich dann zum See, um endlich seinen Durst zu löschen. Zu seinem Bedauern geschah dies nicht in der eben noch von ihm angedrohten Geschwindigkeit. Schritt für Schritt hinkte er mehr, als dass er ging, zum Ufer. Endlich dort angekommen, steckte er sofort seine Schnauze ins Wasser und sog das kühle Nass gierig in sich auf. Nachdem dies erledigt war, musste er nur noch etwas finden, um seinen Magen ruhigzustellen.
Am Boden war er wegen der Verletzung nicht schnell genug. Soviel gestand sich Turmalon nun auch ein. Dennoch fragte er sich, wieso er bei der Flucht vor den Jägern seine Schmerzen so einfach ignorieren konnte, dies ihm aber jetzt nicht mehr gelang. Er schob diesen Gedanken beiseite und machte sich zum Flug bereit.
Turmalon breitete seine Flügel aus und ignorierte vorerst den dabei auftretenden Schmerz, welchen ihn daran erinnerte, dass auch mit ihnen etwas nicht stimmte. Nach einigen kräftigen Schlägen hörte er jedoch wieder auf, da ihm bewusst wurde, dass er diese Schmerzen auf Dauer nicht ertragen konnte.
Mit einem gut hörbaren Schnauben quittierte er diesen Misserfolg und dachte darüber nach, welche Möglichkeiten er noch hatte. Da erinnerte er sich an das Dorf der Menschen, über welches er hinweggeflogen war, bevor er hier landete. Er überlegte, einige ihrer Nutztiere zu reißen. Die wären zwar ein einfaches Ziel, andererseits war die Gefahr, am Tag dabei entdeckt zu werden, viel zu hoch. Und noch mehr Menschen, die es auf ihn abgesehen hatten, konnte er wirklich nicht gebrauchen.
Schließlich beschloss Turmalon doch sein Glück bei der Jagd. Eine frische Spur war auch schnell gefunden, oder besser gesagt hatte er das Objekt seiner Begierde schon entdeckt. Denn eine Hirschkuh zeigte sich am Waldrand, der direkt am Ufer des Sees grenzte. Es war zwar ein gutes Stück bis zu ihr hin, aber immerhin hatte er etwas gefunden, um seinen Hunger zu stillen.
So schnell und leise es ihm möglich war, pirschte er sich an seine Beute heran. Tatsächlich schaffte er es bis auf etwa 10 Schritt an die Hirschkuh heran, ohne sie zu verjagen. Zu seinem Glück hatte sie sich sogar am Ufer entlang in seine Richtung bewegt. Seinem Ziel so nah, machte er sich zum Angriff bereit. In dem Moment, als er lossprang, belastete er jedoch wieder sein verwundetes Bein zu stark, nahm den Schmerz aber mit einem Knurren hin. Der Hirschkuh jedoch reichte dieses Geräusch und nahm sofort Reißaus. Turmalon verfolgte sein Ziel noch eine Weile und versuchte es mit einem letzten, sämtlichen Unannehmlichkeiten ignorierenden Sprung zu erreichen. Die Hirschkuh schlug vor dem Ufer einen Haken und Turmalon, der mitten im Sprung war, landete im Wasser, da er aufgrund der vielen Bäume nicht mehr seine Flugbahn ändern konnte. Seine erhoffe Mahlzeit war währenddessen wieder im Wald verschwunden.
Völlig erschöpft und niedergeschlagen von dem weiteren Misserfolg, schwamm Turmalon wieder in Richtung Wiese und legte sich unter die vereinzelte Eiche. Er würde sich in der Nacht wohl doch eines der Nutztiere reißen müssen, dachte er sich und schloss die Augen, um sich auszuruhen.

„Tabea hatte vergessen zu erwähnen, dass Dickköpfigkeit auch ein deutliches Merkmal der Drachen ist.“, dachte sich Rianna und dennoch wollte sie ihm trotz seiner Drohungen helfen. Sie war sich sicher, dass er sie nicht so meinte, sondern nur zu seinem Schutz aussprach, da er ihr vermutlich nicht traute.
Nichtsdestotrotz machte sie sich weiterhin Gedanken darüber, wie sie etwas Essbares für ihn heranschaffen sollte. „Genügend Fleisch beim Metzger zu kaufen, um einen Drachen satt zu bekommen, würde wohl ein Vermögen kosten.“ Leider hatte Rianna auch keinerlei Erfahrungen mit der Jagd, zumindest wenn es darum ging, Spuren zu lesen. Sie musste also darauf hoffen, dass ihr etwas Brauchbares über den Weg lief. Dies sollte sich eigentlich als nicht allzu schwer erweisen. Denn der Wald war voller Wildtiere, und man traf sie vor allem in der Nähe des Sees häufig an.
Einige Zeit später befand sich Rianna mitten im Wald. Sie hörte aus Richtung des Sees ein Geräusch, als ob etwas Großes ins Wasser fallen würde. Kurz darauf kam ihr ein Hirsch entgegen gesprungen. Rianna hatte den Bogen schon gespannt, als ihr die Frage aufkam, wie sie das schwere Tier transportieren sollte. Da ihr der Drache auch nicht hierher folgen würde, dessen war sie sich sicher, entspannte sie den Bogen wieder und ließ die Hirschkuh davongaloppieren.
Daraufhin machte Rianna sich wieder auf die Suche und hoffte beim nächsten Mal etwas Kleineres zu finden. Tatsächlich fand sie kurz darauf am Bach ein Reh, welches an einigen Blättern zupfte, die an einem tief hängenden Ast wuchsen. Rianna wollte es schnell hinter sich bringen und dem Tier unnötiges Leid ersparen, weswegen sie den Kopf ins Visier nahm. Nach einem gut gezielten Schuss traf sie das Reh unterhalb des Ohrs. Es gab noch einen letzten klagenden Laut von sich, brach dann aber sofort zusammen. Als sich Rianna dem leblosen Körper näherte, bemerkte sie allerdings, dass sie nun vor genau dem Problem stand, weswegen sie nicht auf die Hirschkuh geschossen hatte. Das Reh war zwar um das Vielfache leichter, aber dennoch würde es sie einiges an Kraft kosten. Da sie aber bei ihrer Suche wieder in der Nähe der Bucht war, musste sie sich nicht allzu lange abmühen. Rianna entfernte den Pfeil aus dem Kopf, säuberte ihn im Bach und überprüfte, ob er noch intakt war. Sie legte den Pfeil zurück in den Köcher, schulterte das Reh und machte sich wieder auf den Weg zurück, um dem Drachen seine Mahlzeit vorbeizubringen.

Gegen Mittag kam Rianna beim Drachen an, welcher in aller Seelenruhe unter der Eiche eingeschlafen zu sein schien. Erst kurz bevor sie ihn erreichte, öffnete er seine Augen.
Sofort sprang er auf, begab sich wieder in dieselbe geduckte Haltung wie am Morgen und sagte: „Du schon wieder! Wieso lässt du mich nicht in Ruhe?“
Rianna, die von der Anstrengung schweißgebadet war, legte das Reh ab, setzte sich auf die Wiese und nahm einen kräftigen Schluck Wasser aus ihrem Trinkschlauch. Sie atmete erst ein paarmal tief durch und schaute dabei dem Drachen direkt in die Augen. Dieser war offensichtlich erstaunt über die Kühnheit, die Rianna besaß, sich in dieser Situation einfach vor ihn zu setzen. Denn er neigte seinen Kopf leicht zur Seite und zuckte mit ihm auch ein wenig zurück. Rianna fing bei dieser Geste an zu lächeln und fragte ihrerseits: „Und wieso lässt du dir nicht von mir helfen? Außerdem habe ich dir dein Mittagessen mitgebracht.“ Dabei deutete sie mit ihrer rechten Hand auf das neben ihr liegende Reh. „Oder hast du gerade dein Verdauungsschläfchen gehalten? Dann hätte ich mir die Mühe ja sparen können.“ Währenddessen hatte der Drache nur noch Augen für das vor ihm liegende Reh. Er machte auch schon einige Schritte auf es zu und beschnupperte es.
„Bediene dich ruhig. Es ist alles für dich.“, sagte Rianna wohlwollend.
Woraufhin der Drache sie wieder anschaute. Dann machte er jedoch einige Schritte zurück und sagte dann: „Das ist doch mit Sicherheit vergiftet!“
Bei diesen Worten stieß Rianna einen Seufzer aus, schloss die Augen, ließ den Kopf nach vorne fallen und schüttelte ihn. Nach einem Moment fragte sie dann: „Du bist ganz schön misstrauisch! Wieso sollte ich dich vergiften wollen? Wenn ich wirklich vorhätte, dir etwas anzutun, dann hätte ich gestern Abend ausreichend Zeit dafür gehabt.“
Dies schien den Drachen zu verunsichern, gleichzeitig entspannte er sich auch dabei. Denn statt der geduckten, wie Rianna vermutete, Lauerhaltung, richtete er jetzt seinen ganzen Körper auf. Dabei dachte er offenbar eine ganze Weile darüber nach, was er als nächstes sagen sollte.
„Dennoch sind deinesgleichen dafür verantwortlich, dass es nur noch so wenige von uns gibt. Und auch jetzt noch jagen und töten ihr uns.“, sagte schließlich der Drache, deutete mit seinem Kopf auf sein verwundetes Bein und hielt diesen zum Beweis demonstrativ in Riannas Richtung.
Darauf wusste nun Rianna nichts zu erwidern. Denn durch Tabeas Gespräch wusste sie, dass er Recht hatte. Außerdem war sie klug genug, nicht mit dem Argument zu kontern, dass die Drachen doch diejenigen waren, die mit den Angriffen auf die Dörfer der Menschen begonnen hatten. Sie war sich nicht sicher, wie er darauf reagieren würde. Denn gerade jetzt, wo es schien, dass er anfing ihr zu vertrauen, wollte sie dies nicht wieder aufs Spiel setzen. Stattdessen fragte Rianna: „Wie kam es überhaupt zu der Verletzung?“
Daraufhin setzte sich auch der Drache, wobei er seinen Schwanz nach vorne um den Körper wand. Einen Moment vom ab und zu zuckenden Schwanz abgelenkt, schaute er nun einmal kurz über den See, so als wollte er einen Augenblick über die Antwort nachdenken. Dann erzählte er Rianna, was geschehen war.

„Ich war gerade auf der Jagd nach einem großen Hirschbullen, als mich plötzlich sechs schwer gerüstete Krieger angriffen. Schnell umzingelten sie mich und griffen abwechselnd von allen Seiten an. Kurz darauf hatte ich die ersten beiden allerdings schon besiegt und konnte mich so durch die entstandene Lücke befreien.
Nun standen mir die restlichen vier gegenüber. Wieder versuchten sie mich einzukreisen, was ich aber diesmal mit geschickten Sprüngen zur Seite zu verhindern wusste. Dabei fiel ein weitere Krieger und die übrigen drei schienen sich ihrer Sache nicht mehr ganz so sicher wie zu Beginn. Denn einer von ihnen suchte das Weite und wurde dabei von seinen Gefährten als Feigling beschimpft. Ich aber ließ ihn ziehen - einer weniger, um den ich mich kümmern musste. Nachdem ein weiterer gefallen war, wollte ich mich gerade um den letzten kümmern, als der, von dem ich dachte, er wäre geflohen, einen Speer nach mir warf.
Wo er mich traf, weißt du ja.
Mit einem Aufschrei aus Wut und Schmerz erledigte ich den letzten Krieger und wandte mich dann dem Speerwerfer zu. Dieser nahm direkt wieder Reißaus. Diesmal ließ ich ihn jedoch nicht mehr entkommen. Nach einer kurzen Verfolgung holte ich ihn schnell ein, und auch er musste einsehen, dass es ein Fehler war, mich anzugreifen.
Da sich in der Nähe noch weitere dieser Krieger aufhielten und sie durch den Kampflärm sicherlich auf mich aufmerksam geworden waren, versuchte ich nun selbst von dem Ort wegzukommen.
Denn ich muss gestehen, einen weiteren Kampf hätte ich wohl aufgrund der Wunde und der langsam eintretenden Erschöpfung nicht mehr so leicht überstanden.
Deswegen bin ich dann von dort weggeflogen und irgendwann hier… gelandet.“

Nachdem der Drache mit seiner Erzählung fertig war, sah er wieder auf Rianna, die währenddessen die ganze Zeit interessiert zugehört hatte. Dabei schielte er aber immer wieder auf das neben ihr liegende Reh.
Da Rianna diese Blicke nicht unentdeckt blieben, sagte sie: „Wie ich bereits erwähnte: Es ist alles für dich!“
Daraufhin bewegte sich der Drache vorsichtig zum Reh, nahm es ins mit spitzen weißen Zähnen bewährte Maul und machte wieder ein paar Schritte zurück. Rianna wusste nicht, was sich seit eben geändert hatte, aber es war offensichtlich, dass er ihr immer mehr vertraute. Daher wollte sie ihn auch fragen, ob sie nun nach dem Verband sehen durfte. Jedoch erst nachdem er fertig gefressen hatte. Dies geschah allerdings schneller, als sie dachte. Kaum hatte der Drache das Reh noch mal abgelegt, um es besser packen zu können, war es auch schon mit Haut und Haar verschlungen.
Als der Drache fertig war, stand Rianna auf und ging zu ihm hin. Dieser blieb ruhig sitzen und wendete nur seinen Kopf nach ihr, um sie weiter im Auge zu behalten, als sie sich seinem verwundeten Bein näherte. Schließlich fragte sie: „Darf ich jetzt nach der Wunde sehen?“
Kurz blickte der Drache wieder über den See und nachdem er wieder Rianna angesehen hatte, sagte er: „Nun gut. Du wirst ja sowieso vorher keine Ruhe geben, bis du nicht nachsehen durftest.“
„Vollkommen richtig.“, stimmte ihm Rianna lächelnd zu und nahm dabei den alten, blutdurchtränkten Verband ab. Darunter kam die offene und noch immer blutende Wunde zum Vorschein. Jetzt konnte Rianna auch erkennen, wie tief sie war und fragte daher: „Wie kann ein einfacher Speer denn so viel Schaden anrichten? Ich dachte, eure Schuppen sind weitaus robuster, als die meisten von Menschenhand gefertigten Rüstungen.“
Abermals schien der Drache erst einen Moment zu überlegen, antwortete aber dann: „Das wird daran liegen, dass ich noch nicht ausgewachsen bin. Es würde mir wohl sehr schnell zu eng in meiner Haut werden, wenn sie bereits jetzt steinhart wäre.“
Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, schaute er wieder auf Rianna. In der Zwischenzeit hatte sie den Tiegel mit der Heilsalbe herausgekramt und verteilte diese großzügig auf dem Verband.
Ohne das Rianna darauf gefasst war, stieß der Drache sie mit seinem verletzten Bein um. Dann presste er seine Pfote auf Riannas Brust, wobei sich die Krallen rechts und links ihres Kopfes in die Erde gruben. Sein Kopf näherte sich dabei knurrend ihrem und sah ihr dabei direkt in die Augen. In Riannas Augen spiegelten sich erst Überraschung wegen des plötzlichen Verhaltenswechsels und dann die Angst vor dem, was jetzt passieren könnte.
„Wusste ich doch, dass du mich vergiften willst.“, fauchte der Drache sie an. „Man kann dir also doch nicht trauen. Und ich dachte, du wärst anders als die Menschen, denen ich bisher begegnet bin.“
Rianna fiel es schwer zu atmen mit dem Gewicht des Drachens auf ihrer Brust. Dennoch versuchte sie ihm eine Antwort zu geben. Keuchend brachte sie jedoch nur „kein… Gift…“ zustande. Daraufhin verringerte der Drache den Druck, sodass Rianna wieder halbwegs normal atmen konnte. Seine Pfote blieb allerdings, wo sie war. Schwer atmend, wollte sie erneut etwas sagen, brachte aber kaum etwas Verständliches zum Vorschein. Deswegen wartet sie nun einen Augenblick, bis sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Der Drache schien derweilen geduldig auf eine Antwort zu warten.
Nachdem sich Rianna wieder einigermaßen gefangen hatte, sagte sie: „Das ist kein Gift! Das ist eine Salbe, die dabei helfen soll, dass Wunden besser verheilen. Entschuldige. Ich hätte dir vorher Bescheid sagen sollen!“
„Das hättest du in der Tat“, knurrte der Drache. „Und zum Beweis wirst du erst deine eigene Wunde damit versorgen.“
Irritiert sah Rianna den Drachen an. Seine Attacke hatte sie zwar überrascht, aber weder der Angriff, noch durch das, was danach geschehen war, war sie verletzt worden. Jedoch bevor sie fragen konnte, was er meinte, strich er mit der einen Kralle seiner anderen Pfote über ihre Wange. Trotz seiner offensichtlichen Rage war er sehr vorsichtig und nahm dann wieder seine Pranke von ihrer Brust. Rianna strich sich mit der Hand über die linke Backe. Den Kratzer, den sie dort nun spürte, war weder tief noch lang und würde wahrscheinlich narbenlos verheilen. Augenblicklich suchte sie nach dem Tontiegel, der einige Schritte neben ihr auf den Boden gefallen war. Ohne zu zögern verteilte sie ein wenig der darin enthaltenen Salbe mit einem Finger auf der Wunde, wurde dabei jedoch argwöhnisch vom Drachen beobachtet, so als wolle er herausfinden, ob sie ihn irgendwie zu täuschen versuchte. Rianna präsentierte ihm ihre Wange, die nun gut sichtbar mit der grünlichen Heilsalbe eingestrichen war.
„Vielleicht war ich doch etwas voreilig damit, dich zu beschuldigen.“, sagte der Drache und setzte sich wieder hin.
Rianna schluckte ihren Ärger wegen der groben Behandlung herunter und suchte stattdessen nach dem von ihr bereits präparierten Verband. Diesen fand sie völlig verschmutzt im Dreck liegen. So konnte sie ihn natürlich nicht mehr verwenden. Jedoch hatte sie vorsorglich mehrere Verbände mitgebracht. Rianna nahm einen weiteren aus der Tasche und bestrich diesen dick mit der Salbe. Als sie den Verband anlegen wollte, warnte sie den Drachen vor: „Das wird jetzt ein bisschen brennen.“ Daraufhin gab er ein Schnauben von sich, als sie den Stoffstreifen auf die Wunde drückte. Da der Verband sehr lang war, konnte Rianna ihn diesmal mehrfach um das kräftige Bein wickeln und verknotete letztlich die beiden Enden miteinander. Zufrieden mit dem Ergebnis sagte sie: „Du solltest dich so wenig wie möglich bewegen, sonst verheilt die Wunde nicht richtig.“
Ein lautes Murren war die einzige Antwort, die Rianna darauf erhielt. Dann nahm sie den verdreckten Verband und wusch ihn im See aus. Nachdem auch das erledigt war, packte sie ihre Sachen wieder in ihre Tasche. Anschließend setzte sie sich wieder vor ihm in die Wiese und beide sahen sich schweigend an.
„Werde ich dich auch irgendwann wieder los?“, fragte der Drache und durchbrach damit das Schweigen.
„Na ja, spätestens, wenn du wieder von hier wegfliegst. Du solltest aber solange damit warten, bis deine Verletzung verheilt ist.“, antwortete ihm Rianna mit ernster Miene. „Aber keine Angst. Hier wird dich niemand so schnell finden. Diese Stelle des Sees kennen nur wenige. Die meisten, die an den See wollen, halten sich etwas nördlicher von hier auf.“
„Wo wir gerade beim Fliegen wären“, sagte der Drache und breitete seinen linken Flügel zur ganzen Länge aus. Da er dabei dasselbe schnaubende Geräusch von sich gab, konnte sich Rianna schon denken, dass etwas nicht in Ordnung war. Eine äußere Wunde konnte sie jedoch nicht entdecken. Sie fand aber eine Prellung, die ganz klar für die Pein der Kreatur verantwortlich war.
„Sieht so aus, als hättest du ihn dir irgendwo gestoßen.“, sagte Rianna und fügte zuversichtlich hinzu: „Das dürfte aber auch in ein paar Tagen wieder verschwunden sein.“
Mit einem weiteren Murren bewegte sich der Drache vorsichtig zur Eiche und legte sich wieder unter diese.
„So, ähm… Drache. Für mich wird es langsam Zeit, nach Hause zu gehen. Ich werde morgen wieder nach dir sehen.“, sagte Rianna und machte sich sogleich auf den Weg, da sie keine Antwort von ihm erwartete.
„Turmalon“, gab jedoch der Drache von sich.
Rianna drehte sich wieder um und sah ihn mit fragendem Gesichtsausdruck an. „Wie bitte?“
„Turmalon“, wiederholte er. „Mein Name.“
„Sehr erfreut.“, sagte sie daraufhin und machte eine Verbeugung vor ihm. „Ich heiße Rianna“
Da Turmalon darauf nichts mehr erwiderte, sondern sich ähnlich wie eine schlafende Katze zusammenrollte, machte sich Rianna nun wirklich auf den Weg nach Hause.

Die darauffolgenden Tage spielten sich alle sehr ähnlich ab.

Rianna erfuhr nicht viel über Turmalon. Er war sehr schweigsam, wenn man ihn nach seiner Vergangenheit fragte. Eine der wenigen Dinge, die er verriet war, dass er etwas älter als ein Jahr alt war.
Zwischendurch kam ihr auch zu Ohren, dass einigen Bauern Vieh abhandengekommen war. Jedoch fehlten, wie sonst bei Raubtieren üblich, die Überreste der gerissenen Tiere. Als Rianna Turmalon darauf ansprach, meinte er nur, dass er von nichts wüsste.
So vergingen die Tage und die Verletzung des Drachen verheilte auch schneller, als Rianna es erwartet hätte. Ob es allerdings am Drachen selbst oder an Tabeas Salbe lag, vermochte Rianna nicht zu sagen.

Eines Morgens wachte Turmalon mit heftigen Schmerzen auf, die sich durch seinen gesamten Körper zogen. Als er seine Augen öffnete, stand vor ihm ein Mann, dessen Gesicht tief unter einer Kapuze vergraben lag.
„Ah, bissst du auch endlich wach!“, sagte der Mann zu Turmalon und nahm einen kleinen Stein aus der Tasche. Dieser Stein hatte eine schwarze Farbe und wurde von feinen roten Adern durchzogen. Er war wie ein Tropfen geformt und hatte eine glänzende, glatte Oberfläche.
Der Mann hielt den Stein zwischen Daumen und Zeigefinger und zeigte ihn Turmalon.
„Du erinnerssst dich wohl nicht mehr daran, wozu diessses kleine Ssschmuckstück in der Lage issst“, mutmaßte der Mann. „Mit ihm weiß ich immer, wo du bissst, egal wie weit du dich von mir entfernt hassst. Ich würde dich überall finden. Aber wasss noch viel wichtiger issst…“ Er unterbrach sich kurz und nahm den Stein in die Faust. Dann begann er, etwas Unverständliches vor sich hinzumurmeln und einen Moment später krümmte sich Turmalon wieder vor Schmerzen. Dann fuhr er fort und sagte weiter: „…mit ihm habe ich Kontrolle über dich!“
Es dauerte einige Zeit, bis sich Turmalon wieder beruhigt hatte und knurrte dann den verhüllten Mann an: „Verschwinde Rak‘Zunaih! Ich will nichts mehr mit dir und deinesgleichen zu tun haben.“ Kaum hatte er dies ausgesprochen, durchflog ihn eine weitere Welle des Schmerzes.
„Wasss Du möchtessst, sssteht hier nicht zur Debatte“, sagte Rak’Zunaih, „Außsserdem denke ich, dasss ich dir einige Lektionen erteilen musss. Dafür, dasss du mich abgeworfen hassst…, für deinen jämmerliche Fluchtversssuch…, dafür, dasss du deinen Sssattel abgerisssen hassst und ich ihn den ganzen weg bisss hier her tragen mussste… und noch einmal dafür, damit du esss nie wieder vergissst.“ Bei jedem Argument, welches Rak’Zunaih hervorbrachte, musste Turmalon weitere Qualen durchleiden. Er konnte jedoch nichts dagegen unternehmen, um ihnen zu entkommen oder sie zumindest abzuschwächen. Völlig eingeschüchtert lag er mit geschlossenen Augen auf dem Boden und hoffte, dass Rak’Zunaih endlich mit seiner Bestrafung fertig werden würde.
Dann jedoch gab Rak’Zunaih plötzlich selbst einen Schmerzensschrei von sich und Turmalon sah wieder auf. Das erste, was ihm auffiel, war, wie sich Rak’Zunaih an den rechten Oberarm griff, aus dem nun die Spitze eines Pfeiles ragte. Er sah sich um und sah Rianna, die in einiger Entfernung mit dem Bogen in der Hand hinter ihm stand und einen weiteren Pfeil aus dem Köcher zog. Schnell kniete er sich auf den Boden und begann nach etwas zu suchen. Als ihn jedoch ein weiterer Pfeil nur knapp verfehlte, brach Rak’Zunaih seine Suche ab. Er sprang auf, rannte zum Wald und ging hinter den Bäumen in Deckung. Zuvor sprach er aber noch eine Drohung aus: „Kümmre dich um Sssie, andernfalls weissst Du, wasss dir droht!“
Turmalon jedoch rührte sich nicht, da ihn die letzte Schmerzwelle noch lähmte. Stattdessen lief Rianna Rak’Zunaih in den Wald hinterher. Allerdings schien sie ihn nicht mehr zu finden und kam daher wieder zurück. Sie ging vor Turmalon, welcher zitternd auf dem Boden lag, in die Hocke und fragte besorgt: „Geht es dir gut?“
Turmalon, der nur langsam wieder zu sich kam, sah sie an und zischte: „Nein! Aber ich werde es überstehen.“
„Wer war das?“, wollte Rianna nun wissen, „und was hat er mit dir gemacht?“
„Er war jemand aus meiner Vergangenheit", war das einzige, was er ihr darauf antwortete.
„Ich dachte, du bist noch nicht so alt“ erwiderte Rianna.
„Alt genug … außerdem möchte ich nicht weiter darüber reden!“, sagte Turmalon daraufhin und Rianna sah ein, dass es keinen Zweck hatte weiter nachzufragen.
Dann fand sie den tropfenförmigen Stein, welcher vor ihren Füßen im Graß lag und hob ihn auf. „Was ist das für ein Stein?“, fragte Rianna und zeigte ihn Turmalon.
Daraufhin begann er den Stein anzufauchen und zog sich von Rianna zurück, so als ob er Angst davor hätte. Dann aber hielt Turmalon inne und betrachtete den Stein, welchen Rianna noch immer in der Hand hielt, eine ganze Weile lang. Langsam näherte er sich ihr wieder und knurrte dann: „Gib ihn mir!“
„Was ist das überhaupt für ein Stein?“, fragte Rianna, „Du scheinst ja keine guten Erfahrungen damit gemacht haben.“
„Das ist eine Drachenträne. Sie wurde durch ein magisches Ritual an mich gebunden, indem man mein Blut nahm und den Stein anschließend damit übergoss. Ich bin nicht in der Lage dir mehr darüber zu sagen, da ich den Abläufen dieses Rituals nicht folgen konnte. Viel wichtiger ist aber: Wer ihn besitzt, findet mich überall, und wenn man wie Rak’Zunaih weiß, wie, hat mit ihm auch die Macht über mich.“ erklärte Turmalon ihr. „Also bitte ich dich, ihn mir zu geben.“
Rianna reichte ihm den Stein und legte ihn in Turmalons ausgestreckte, rechte Vorderpranke. Dann zog er die Pranke wieder an sich und sah sich den Stein noch einmal genauer an. Schließlich nahm er ihn ins Maul und verschluckte den Stein.
„So kommt auf jeden Fall keiner mehr an den Stein heran“, erkannte Rianna. „Aber was ist mit diesem Rak’Zunaih? Ich habe ihn nirgendwo mehr entdecken können. Was, wenn er wieder kommt?“
„Ohne die Träne kann er nicht mehr viel ausrichten. Sollte er mir dennoch jemals wieder begegnen, würde er es bereuen!“, erklärte Turmalon.
„Das will ich hoffen, denn es sah ziemlich unerfreulich aus, was er mit dir angestellt hat.“, sagte Rianna besorgt. „Auch, wenn ich mich wiederhole, aber geht es dir nun besser?“
„Hah! Jetzt, da ich keine Angst mehr davor haben muss, dass mich jemand gegen meinen Willen kontrolliert, geht es mir bestens!“, antwortete ihr Turmalon enthusiastisch. „Also was wollen wir heute unternehmen?“ Dabei sprang er förmlich um Rianna herum, was seine Freude nur noch mehr verdeutlichte.


An diesem Abend kam Rianna etwas später nach Hause, da Turmalon sie kaum gehen lassen wollte. Es war zwar noch nicht dunkel, wie am ersten Tag, als sie ihn das erste Mal begegnet war, jedoch konnte man ihrem Vater Otwin sehr gut ansehen, wie sehr er sich darüber aufregte. Er hielt sich aber zurück aufgrund der beiden Gäste, die zugegen waren.
Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, sagte er: „Darf ich dir deinen zukünftigen Gemahl vorstellen?“
 
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darkblood

Gläubiger
Kapitel 3

Anmerkung:
Die ersten beiden Kapitel wurde ebenfalls überarbeitet. Für alle die also direkt beim 3. Kapitel anfangen zu lesen, sollten sich zumindest den letzten, farblich markierten Teil des 2. Kapitel noch einmal ansehen da dieser komplett neu hinzugefügt wurde.


Rianna konnte nicht glauben, was ihr Vater gerade sagte. Mit weit geöffneten Augen stand sie fassungslos vor ihm und wusste nicht, was sie sagen sollte.
Nun kam ein junger Mann hinzu, verbeugte sich vor ihr und sagte: „Guten Abend. Ich bin Aaron und es ist mir eine Ehre, eine so gutaussehende Frau wie dich heiraten zu dürfen! Ich verspreche, mich gut um dich zu kümmern und es wird dir bei mir an nichts fehlen.“
Es war eigentlich nicht nötig, dass er sich vorstellte, da er der Sohn des Bürgermeisters war und sie sich seit der Kindheit kannten. Aaron war etwa in Riannas Alter und etwas größer als sie. Im Gegensatz zu seinem Vater, der klein und gedrungen wirkte, war er recht kräftig und scheute auch nicht davor, sich die Hände schmutzig zu machen. Im Grunde konnte Rianna ihn sogar gut leiden, da er einer der wenigen war, der sie früher nicht wegen ihrer Andersartigkeit gehänselt hatte. Dennoch war es nicht das, was sie wollte. Sie wollte selbst darüber entscheiden, wen sie lieben und heiraten wollte. Aus reiner Höflichkeit machte Rianna einen Knicks vor Aaron, sagte aber nichts.
„Lasst uns darauf anstoßen“, rief Otwin, der seinen anfänglichen Ärger scheinbar schon wieder vergessen hatte.
Kurz darauf saßen alle am Tisch und aßen und tranken etwas, da Silvia bereits alles vorbereitet hatte. Otwin und Bürgermeister Osman saßen nebeneinander und schmiedeten die Hochzeitspläne. Wann sie stattfinden würde, wo gefeiert, wer für was aufkommen würde und so weiter. Aaron und Rianna hingegen saßen schweigend nebeneinander. Er versuchte zwar ständig, sie in ein Gespräch zu verwickeln, aber bis auf wenige Worte sagte sie nichts.
Später am Abend, nachdem Aaron und sein Vater gegangen waren, wollte Rianna ihren Vater zur Rede stellen. Da sie aber bemerkte, wie betrunken er war und es so schon schwierig genug war, mit ihm vernünftig zu diskutieren, musste dies dann wohl bis morgen warten. Weswegen sie auch sofort in ihr Zimmer schlafen ging.

Am nächsten Morgen sprach Rianna sofort ihren Vater an, als dieser aufgestanden war und sich zu ihr und seiner Frau an den Tisch setzte.
„Wie kannst du mich nur jemandem versprechen, ohne mich überhaupt gefragt zu haben, ob ich das auch will?“, sagte Rianna in gereiztem Tonfall, quasi als Begrüßung ihres Vaters. Otwin schien erst einen Moment zu brauchen, bis er verstand, was seine Tochter von ihm wollte. Er nahm sich ein Stück Brot und eine Wurst und sah sie irritiert an.
„Ich habe gefragt, wieso du mich an Aaron versprochen hast, ohne vorher mit mir darüber zu reden?“, wiederholte Rianna und schrie ihren Vater dabei schon fast an.
Daraufhin erwiderte Otwin, seinerseits gereizt: „Wie sprichst du eigentlich mit mir? Mäßige deinen Tonfall, mein Fräulein! Weißt du überhaupt, wie lange es gedauert hat, bis ich überhaupt jemanden gefunden habe, der sich für dich interessiert? Ich befürchtete schon, ich müsste einen der Bauern fragen.“
„Mir wäre es lieber gewesen, wenn du mich gefragt hättest!“, sagte Rianna nun wieder etwas ruhiger.
„Um zu riskieren, dass du dir einen Bauernburschen anlachst und ich zum Gespött des ganzen Dorfes werde?“ erwiderte Otwin. „Niemals!“, und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch.
„War ja klar, dass es hierbei wieder nur um dich geht“ sagte Rianna entrüstet, „aber mal davon abgesehen, war meine Mutter nicht auch die Tochter eines Bauern?“
„Das war etwas anderes!“, rechtfertigte sich ihr Vater.
„Natürlich, etwas anderes. Es ist immer etwas anderes“…
„Du bist nun mal meine einzige Tochter! Ich möchte doch nur das Beste für dich.“, gestand Otwin. „Kannst du das nicht verstehen?“
„Wohl eher das Beste für dich, wie du gerade eben selbst zugegeben hast!“, wiedersprach ihm Rianna.
„Nun reicht es mir aber! Schluss mit der Diskussion! Ich habe meine Entscheidung getroffen und damit basta!“, brüllte Otwin nun wieder.
„Aber…“ „Nein. Ich höre mir das nicht länger an!“ unterbrach er sie und schlug zur Bekräftigung seiner Aussage ein weiteres Mal mit der Faust auf den Tisch.
Rianna stand sofort vom Tisch auf und lief mit Tränen in den Augen die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Dort schloss sie sich für den Rest des Tages ein und ließ niemanden mehr an sich ran.
Silvia und ihr Bruder Erick versuchten mehrmals, sie mir tröstenden Worten wieder herauszulocken, hatten aber keinerlei Erfolg.
Rianna weinte sich in den Schlaf, bis sie gegen Mittag wieder aufwachte. Ab dann überlegte sie für sich, wie es jetzt weitergehen sollte und begann irgendwann einen Brief zu schreiben. Dieser war zwar nicht besonders lang, aber dennoch dauerte es bis zum Abend, bis sie ihn fertig geschrieben hatte. Sie faltete ihn zweimal, legte ihn dann in ihre Tasche und ging anschließend ins Bett.

Am nächsten Morgen war Rianna schon in aller Frühe wach und räumt eilig einige Gegenstände in ihre Tasche. Dabei stieß sie jedoch den Stuhl um, auf dem die Tasche stand, welcher dann mit einem für diese Tageszeit viel zu lauten Getöse umkippte. Schnell hob Rianna wieder alles auf. Allerdings schien bereits jemand den Lärm bemerkt zu haben. Denn kurz darauf öffnete sich die Tür und Rianna hörte, wie Silvia fragte: „Ist alles in Ordnung? Ich habe…“. Mitten im Satz brach sie ab und sah Rianna erstaunt an. Diese hatte ihre Lederrüstung an, in der Silvia sie noch nie zuvor gesehen hatte.
„Was hast du denn vor?“ fragte Silvia nach einigen Momenten des Schweigens, trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Wonach sieht es denn aus? Ich will mich nicht länger von meinem Vater bevormunden lassen und verschwinde deswegen von hier!“, erwiderte Rianna entschlossen.
„Ach Kindchen, wo willst du denn schon hin und wovon willst du Leben?“, fragte Silvia.
„Oh, so hilflos, wie mein Vater das immer gerne hätte, bin ich nicht!“, entgegnete ihr Rianna.
„Ach so, na dann lasse ich dich Mal davon ziehen.“, sagte Silvia und verließ kopfschüttelnd den Raum. Ein wenig erstaunt darüber, wie schnell sie Silvia überzeugt hatte, nahm sie ihre Tasche und ging zur Tür. Ein kurzes kratzendes Geräusch und ein Klacken danach ließen jedoch keinen Zweifel offen, dass gerade jemand die Tür abgeschlossen hatte. Rianna sah auf das Türschloss und bemerkte, dass der dort sonst immer steckende Schlüssel fehlte. Sie eilte nach vorne zur Tür und rüttelte an ihr, eigentlich mehr, um die Aufmerksamkeit der dahinter stehenden Person zu erlangen und fragte: „Was soll das? Schließ die Tür bitte wieder auf!“
Gedämpft hörte sie von der anderen Seite Silvia antworten: „Ich denke, du solltest noch einmal darüber nachdenken und dich erst einmal abreagieren, bevor du irgendwelche Dummheiten anstellst.“
Die einzige Antwort, die ihr Rianna darauf gab, war ein Schlag mit der flachen Hand gegen die Tür. Frustriert lehnte sich Rianna mit dem Rücken gegen die Tür und sank daran zu Boden. Sie umschlang die Beine mit ihren Armen und lehnte den Kopf dagegen. Dabei überlegte sie, was sie als nächstes tun sollte. Dann sah Rianna zum Fenster. Sie war zwar im ersten Stock, aber bis zur Straße war es nicht sehr tief. Also ging sie zum Fenster, öffnete es und begutachtete erst einmal alles. Dadurch, dass sie nun darüber nachdachte dort herunterzuspringen, musste sie allerdings feststellen, dass es doch tiefer war, als sie anfangs geglaubt hatte. Ihre einzige Alternative war jedoch, hier darauf zu warten, bis ihr jemand die Tür öffnen würde. Deswegen atmete sie einmal tief durch und stieg rückwärts aus dem Fenster. Dabei fand sie mit den Füßen an einem Holzbalken Halt, der ein wenig aus der Wand ragte. Rianna hielt sich am Fensterrahmen fest und ließ die Beine nun herunterhängen. Als nächstes versuchte sie sich am Balken festzuhalten, auf dem sie zuvor noch gestanden hatte. Plötzlich rutschte sie ab, da sie mit ihren Händen kaum Halt fand. Glücklicherweise war es jedoch nicht mehr allzu weit nach unten und Rianna konnte den Fall leicht mit den Knien abfedern. Das Gewicht der Tasche, welche sie auf dem Rücken trug, zog sie jedoch nach hinten, und da sie nicht rechtzeitig reagierte, landete sie auf ihrem Hintern. Mit einem Seufzer stand sie wieder auf, klopfte den Staub von sich ab und machte sich auf den Weg, raus aus Horin. Ihr ein wenig geänderter „Fluchtplan“ hatte dummerweise zur Folge, dass sie einige Sachen, die sie noch aus dem Haus mitnehmen wollte, zurücklassen musste. Auf dem Weg zum Tor lief sie möglichst durch Seitengassen. Es waren zwar so früh morgens kaum Leute unterwegs, dennoch wollte sie vermeiden, gesehen zu werden. Am Tor musste sie aber feststellen, dass sie nicht unbemerkt an den Wachen vorbei kam. Und über die Palisaden zu klettern, wäre erstens unnötig riskant und zweitens hätten sie die Wachen auf den Türmen mit Sicherheit entdeckt. Also ging sie einfach an den wegen ihrer Ausrüstung verwunderten Torwachen vorbei, grüßte sie und eilte Richtung Wald.

Kurz bevor sie ihr Versteck erreichte, hörte sie einige Stimmen aus dem Wald vor ihr.
„Na, schau einer an, was wir hier haben“, sagte ein großer, kräftiger Mann in einer abgetragenen Rüstung. „Ein kleines hübsches Mädchen, das ganz alleine durch den großen dunklen Wald irrt.“
„Vielleicht sollten wir sie begleiten und sicher nach Hause bringen.“, sagte ein zweiter etwas kleiner und schmächtigerer Mann und packte Rianna dabei an den Armen, was Rianna kurz vor Überraschung laut aufschreien ließ. „Oh, und welch wundervoll klingende Stimme sie hat.“
Nach dem Rianna den ersten Schreck überwunden hatte, versuchte sie sich sogleich aus dem Griff loszureißen und sagte: „Lass mich los! Weder irre ich hier herum, noch benötige ich eure Hilfe.“ Dabei gelang es ihr, einen Arm zu befreien, was es ihr erleichterte, auch den anderen aus den Fängen des Mannes zu entreißen, der ihre Kraft wohl einfach unterschätzt hatte. Dies schien ihm aber keineswegs etwas auszumachen, denn er sagte: „Temperamentvoll ist sie auch noch und nicht gerade zimperlich. Ich glaube, mit der werden wir noch jede Menge Spaß haben.“
Daraufhin begannen beide Männer an zu lachen und auch ein drittes Lachen stimmte mit ein. Dieses gehörte zu einem Mann, der etwa so groß war wie die anderen beiden und so kräftig wie der erste schien. Aber im Gegensatz zu den anderen beiden, die völlig zerzaustes Haar hatten, war er völlig kahl. Er war gerade dabei, eine Ziege an einen Baumstamm fest zu binden und ging dann zu den anderen, als er damit fertig war. Der Ziege schien dieser Umstand nicht zu gefallen, da sie unentwegt meckerte.
Rianna irritierte dies ein wenig, drei, wie ihr nun langsam klar wurde, Banditen die mit einer Ziege im Wald spazieren gingen. Außer natürlich, sie hatten diese gerade erst von einer der Weiden mitgehen lassen. Andererseits sollte das eigentlich ihr geringstes Problem sein. Rianna stand unbewaffnet drei bewaffneten Männern gegenüber, die ganz klar nichts Gutes mit ihr im Sinn hatten. Aber selbst, wenn sie etwas gehabt hätte, mit dem sie sich hätte verteidigen könnte, standen ihre Chancen eher schlecht.
„Lasst sie wieder frei!“ hörte man plötzlich jemanden aus Richtung Horin rufen, und sowohl Rianna als auch die drei Männer wandten sich der Stimme zu. Der Kahlköpfige nutzte jedoch auch Riannas Unaufmerksamkeit, packte sie wieder und sagte: „Hab ich dich!“ Dies wiederrum ließ Rianna erneut aufschreien.
„Ich sagte, ihr sollt sie wieder freilassen!“, sagte ein, wie Rianna nun erkannte, Hirte, der für einen der Bauern arbeitete. Er war jünger und kleiner als Rianna und sah auch nicht sehr kräftig aus, aber zumindest wollte er helfen. Ihr war nur noch nicht klar, wie.
Der Junge, den Rianna nur vom Sehen her kannte, blieb einige Schritt vor der Gruppe stehen und versuchte, möglichst bedrohlich zu wirken. Was wegen seiner Statur eher lächerlich wirkte.
„Sieh an. Der edle Ritter ist gekommen, um seine holde Maid zu befreien.“, sagte der kräftigere der drei amüsiert. Demütig fügte er hinzu: „Habt Gnade. Wir wussten nicht, dass man sie euch bereits versprochen hat.“ Woraufhin die Banditen anfingen zu lachen.
„Dann gebt mir endlich die Ziege zurück, bevor ich …“ Mitten im Satz stockte dem Jungen plötzlich der Atem.
„Bevor du WAS?“ fragte der Schmächtige drohend.
„Moment mal. Hat er Ziege gesagt? Du bist nicht wegen ihr hier“, und zeigt dabei auf Rianna, „sondern wegen unserem Abendessen?“, woraufhin er ohne hinzusehen in die Richtung der Ziege wies. Der Hirte nickte zögerlich mit dem Kopf, woraufhin die drei in ein schallendes Gelächter verfielen.
Nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten, sagte der Bandit, welcher auch vorher gesprochen hatte: „Ich glaube, wir müssen dir mal eine Lektion erteilen. Denn niemand rührt unser Essen an!“ Dann zog er sein Schwert und ging langsam auf den Jungen zu.
Währenddessen hörte man hinter den drei Männern ein leises Knacken und die bis dahin meckernde Ziege gab keinen Ton mehr von sich. Davon bekam aber niemand etwas mit, bis auf den jungen Hirten, welcher das gesamte Schauspiel beobachtet hatte, das hinter den Banditen stattfand. Angsterfüllt weiteten sich seine Augen, bis er dann schreiend so schnell er konnte davonlief.
„Ja, lauf du nur zu deiner Mutter zurück!“, und alle begannen wieder zu lachen.
„Danke für dieses köstliche Frühstück“, sagte eine tiefe Stimme wieder hinter der Gruppe. „Ich freue mich schon darauf, es gleich genießen zu dürfen.“
Während die Männer sich umdrehten, um zu erfahren, von wem sie diesmal gestört wurden, wusste Rianna sofort, um wen es sich handelte.
Die drei machten einen Schritt zurück und zogen nun alle ihre Schwerter, als sie den Drachen erblickten. Rianna ergriff die Gelegenheit und lief an Turmalons Seite, da sie der Kahlköpfige wieder losgelassen hatte.
Auch Turmalon machte sich nun zum Kampf bereit und fauchte: „Verschwindet lieber, bevor ihr wie die Ziege endet!“ Einige kleine Rauchwolken stiegen ihm dabei aus den Nüstern, wohl um dieser Drohung Nachdruck zu verleihen. Dabei fiel Rianna auf, dass er das bei ihrer ersten Begegnung nicht getan hatte.
„Kommt, Männer. Wir werden uns doch nicht von einer zu groß geratenen Echse mit Flügeln erst unser Essen, und dann die neue Spielgefährtin wegschnappen lassen.“, stachelte der Kräftige, welcher wohl der Anführer der drei zu sein schien, die anderen beiden an.
„Und zu guter Letzt droht er uns auch noch.“, stimmte der Schmächtige zu und holte mit seinem Schwert zum Angriff aus.
Dann stürmten alle drei frontal auf Turmalon zu. Der Drache, welcher wieder bei bester Gesundheit war, machte einen Satz über sie hinweg und schlug zwei mit seinem Schwanz von den Füßen, während er sich wieder zu ihnen herumdrehte. Der Kahlköpfige, welcher nicht getroffen wurde, machte sofort kehrt und griff wieder an. Er holte mit dem Schwert aus, schaffte es aber nicht, den Schlag auszuführen, da Turmalon ihm entgegenlief und ihn mit einem heftigen Schlag seiner Pranke zur Seite schleuderte. Durch den Schlag benommen taumelte der Bandit einige Schritt umher und versuchte dann, auf sein Schwert gestützt wieder zu sich zu kommen.
Da sich die anderen Beiden allerdings langsam wieder aufrappelten, wandte sich der Drache ihnen wieder zu. Jedoch nicht ohne denjenigen, welchen er zuvor verfehlte, mit seinem Schwanz den Boden unter den Füßen wegzuschlagen. Dies quittierte Turmalon mit einem zufriedenen Grinsen und sprang dann auf die nun wieder stehenden Banditen zu, nur, um sie wieder in den Dreck zu werfen.
Er ging zu den beiden auf dem Boden liegenden Gegner, die, als sie den Drachen auf sich zukommen sahen, panisch versuchten, von ihm weg zu krabbeln. Turmalon jedoch stellte sich mit je einer seiner Vorderpranken auf die Brust je eines Banditen und sorgte so dafür, dass sie ihn weder Angreifen noch vor ihm fliehen konnten.
Dann neigte er seinen Kopf so, dass er beiden ins Gesicht sehen konnte und fauchte sie wieder an: „Ein Glück für euch, dass bereits für mein Essen gesorgt ist und ich Menschenfleisch sowieso nie mochte! Also nehmt euren Freund dort hinten…“ Dabei wies Turmalon mit dem Kopf in die Richtung, von der er dachte, dass dort noch der dritte Bandit auf dem Boden liegen würde. Stattdessen versuchte dieser sich von hinten an Turmalon heranzuschleichen. Als der kahlköpfige Bandit jedoch bemerkte, dass er entdeckt wurde, sprintete er mit dem Schwert in der Hand los, um wieder anzugreifen, wurde jedoch ein weiteres Mal vom Schwanz des Drachen gestoppt, der ihn völlig unvorbereitet an der rechten Schulter traf, und ihn deswegen einige Schritt zur Seite schleuderte, wo er vor einem Baum im Laub liegen blieb.
„So, wo bin ich stehen geblieben?“, fragte sich Turmalon und vernahm dabei einige klagende Laute unter sich. „Ach ja, auf euch!“, und neigte seinen Kopf wieder zu den beiden unter seinen Pranken liegenden Banditen: „Ihr nehmt also euren Freund, der nun dort drüben liegt“, dabei sah Turmalon nochmals kurz auf, um sicherzustellen, dass dies auch wirklich noch der Fall war, „und verschwindet von hier! Habt ihr das verstanden? Oder soll ich euch an Ort und Stelle zertreten?“ Dabei verlagerte er sein Gewicht nach vorne, um die Drohung zu verdeutlichen.
Aber statt zu antworten, zerrten und schlugen die beiden mit den Händen auf Turmalons Pranken ein oder versuchten ihn mit den Beinen wegzutreten. Davon ließ sich der Drache allerdings nicht stören und knurrte stattdessen bedrohlich: „Ich warte auf eine Antwort!“
„Du solltest sie vielleicht einmal zu Luft kommen lassen!“, entgegnete ihm darauf Rianna, die neugierig den Verlauf des Kampfes aus sicherer Entfernung verfolgt hatte und sich nun daran erinnerte, dass sie bereits in derselben Situation gewesen war. Turmalon schaute dabei in ihre Richtung, sah aber eher durch sie hindurch, als dass er sie ansah, so als würde er wieder über etwas nachdenken. Als er dann von den beiden herunterstieg, krochen sie erst einmal auf dem Rücken liegend einige Schritt vom Drachen weg, um wieder durchatmen zu können. Turmalon hingegen setzte sich auf den Boden, um auf eine Antwort zu warten.
Die beiden Banditen sahen sich gegenseitig an ,dann abwechselnd auf ihren am Boden liegenden Kameraden und den Drachen.
„Lasst uns von hier verschwinden“, sagte nun endlich der Anführer und beide sprangen fast augenblicklich auf. Sie hinkten dabei in einem großen Bogen um Turmalon herum, um ihren kahlköpfigen Kameraden aufzulesen. Dabei nahmen sie ihn zwischen sich in die Arme und schleiften ihn so mit sich mit. Nur langsam schaffte es der in der Mitte der drei hängende Glatzkopf, selbstständig wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen, weswegen sie nur im Schleichtempo vorankamen.
Ein weiteres, gut hörbares Knurren von Turmalon machte jedoch deutlich, dass es ihm zu langsam ging. Sofort versuchten die beiden schneller voran zukommen, was ihnen aber aufgrund ihres Kammeraden nur sehr schwer viel. Kurz darauf ließen sie ihren Ballast fallen und rannten, so schnell es ihnen möglich war, dem Weg entlang tiefer in den Wald.
Der zurückgelassene Bandit fiel auf die Knie und fing den Sturz nach vorne mit den Händen ab. Aber auch er begriff, dass er besser von hier verschwinden sollte. Also bemühte er sich, wieder aufzustehen, wobei er jedoch stolperte und beinahe wieder hingefallen wäre. Er konnte sich aber gerade so noch einmal fangen und lief den beiden anderen hinterher. Das Letzte, was man von ihm mitbekam, war, wie er rief, dass man doch auf ihn warten solle.

Kurz, nachdem die Banditen außer Sichtweite waren, lief Rianna auf Turmalon zu, sprang ihm an den hochgestreckten Hals und bedankte sich bei ihm.
„Wofür bedankst du dich?“, fragte der ein wenig überrumpelte Drache, der noch in Richtung der geflohenen Banditen gesehen hatte und deswegen Rianna nicht an sich herankommen gesehen hatte. Sie ließ seinen Hals wieder los und ging einige Schritte zurück, um ihn besser ansehen zu können. Turmalon senkte seinerseits den Kopf, bis er auf Riannas Augenhöhe war.
„Dafür, dass du mich gerettet hast!“, antwortete Rianna erleichtert.
„Wieso denn gerettet?“, wollte Turmalon nun wissen und neigte seinen Kopf zur Seite. „Was hatten sie denn vor, dass man dich vor ihnen retten musste?“
„Ich denke nicht, dass ich das wissen will.“, erwiderte ihm Rianna. „Aber mal davon abgesehen, warum bist du denn dann hierher gekommen?“
„Ich hatte Hunger und war im Wald auf der Jagd. Dann hörte ich das Meckern deiner Ziege“, wobei er kurz zu der mit einem Nackenbiss erlegten Beute sah. „Da es eindeutig nicht von der Weide kam, hoffte ich auf einfache Beute, die sich im Wald verlaufen hatte. Ach ja. Dann möchte ich mich auch für die Ziege bedanken…“
Rianna schüttelte fassungslos den Kopf.
„Sie war doch für mich … oder nicht?“, fragte Turmalon angespannt mit der Angst, etwas Falsches getan zu haben.
„Die drei… Viehdiebe hatten sie mitgebracht. Wahrscheinlich von einer der in der Nähe liegenden Weiden gestohlen.“, erklärte Rianna resignierend und fügte hinzu: „Sieh es als deine Belohnung an … und lass uns nicht weiter darüber sprechen!“
Turmalon entspannte sich wieder und ging zu seiner Belohnung.
„Lass uns zurück zum See gehen!“, schlug Rianna vor. „Ich denke, du hast heute für genug Aufmerksamkeit gesorgt.“
„Ich glaube nicht, dass die drei sich in nächster Zeit wieder blicken lassen. Aber du hast recht. Gehen wir.“, bestätigte Turmalon und nahm die Ziege in sein Maul.
„Der Hirtenjunge macht mir mehr Sorgen. Er ist geradewegs zurück nach Horin gerannt und wird dort wahrscheinlich hauptsächlich wegen dir das ganze Dorf in Aufruhr versetzen. Vielleicht haben wir aber auch Glück und ihm glaubt keiner.“, mutmaßte Rianna und beide begaben sich auf dem Weg zum See. „Die meisten denken, ihr Drachen seid alle getötet worden.“
„Ahg bja ber pfeime Munge…“ gab Turmalon von sich und Rianna sah in fragend an.
„Wie bitte?“
„Mifpf bo bifpig bab mur bem…“
„Und hier haben wir den Grund, wieso man nicht mit vollem Mund spricht! Es tut mir leid, aber ich verstehe kein Wort von dem, was du mir sagen möchtest!“, sagte Rianna mit einem Lachen.
Darauf gab Turmalon nur ein lautes Schnaufen von sich.
„Ich wollte sagen, dass es nicht so wichtig ist und habe mich nur wieder an den Jungen erinnert.“, erklang eine jung klingende Stimme in Riannas Kopf, weswegen sie abrupt stehen blieb und Turmalon überrascht ansah. Er hingegen ging noch einige Schritt weiter, blieb dann aber auch stehen und schaute zurück auf Rianna.
„Stimmt etwas nicht?“, fragte die Stimmer diesmal.
„Bist du das, dessen Stimme ich in meinem Kopf höre?“, fragte Rianna den Drachen.
„Du sagtest doch, ich soll nicht mit vollem Mund reden. Deswegen rede ich nun auf diese Weise mit dir.“, rechtfertigte sich Turmalons Stimme. „Oder ist dir das auch nicht recht?“
„Nein… es kam nur so völlig unerwartet. Außerdem klingt deine Stimme so vollkommen anders! Viel jünger.“, antwortete sie ihm und rang dabei mit ihrer Fassung.
„Es hätte aber auch vollkommen ausgereicht, wenn du das, was in deinem Mund steckt, herausgenommen hättest!"
Ein angenehmes Gefühl durchströmte Rianna plötzlich, welches sie nur als Heiterkeit interpretieren konnte und vernahm dabei wieder Turmalons Stimme: „Das hätte ich, aber im Nachhinein bereue ich schon fast, es nicht schon früher getan zu haben. Und jetzt komm wir sollten weitergehen.“
„Einen Moment!“ wiedersprach ihm Rianna und lief an Turmalon vorbei, welcher ihr daraufhin folgte.
Sie wollte zu der versteckten Falltür, die beide mittlerweile erreicht hatten. Rianna öffnete diese und nahm ihren Bogen und den Köcher aus der darunter versteckten Kiste heraus. Dann hinterließ sie noch den Brief für Alia und begrub die geschlossene Falltür wieder unter dem Laub. Erleichtert darüber, wieder bewaffnet zu sein, ging Rianna wieder zurück zu Turmalon und sagte: „Jetzt können wir weiter!“

Gerade als beide weiter gehen wollten, hörten sie, wie jemand rief: „Du bist sehr unvorsichtig, wenn man sich dir so leicht nähern kann, ohne, dass du es bemerkst!“
Sofort ließ Turmalon die Ziege aus dem Maul fallen, schritt über sie hinweg und gab dabei ein Knurren von sich. Zusätzlich breitete er seine Flügel zum Teil aus und hielt sie vor Rianna, so als wolle er seine Schwingen als Schild für sie nutzen.
„Immerhin reagierst du schnell“, stellte nun ein Mann fest, der die Straße entlang auf Turmalon zuging.
Es war ein alt wirkender, schlanker Mann mit kurzem silbrigem Haar, der aber dennoch sehr fit zu sein schien. Er trug einfache Kleidung aus Wolle und Leinen, und hatte einen Bündel Fische in der Hand.
Als Turmalon den Mann sah, schien er irritiert zu sein, da er wohl etwas anderes erwartet hatte. Rianna schaute vorsichtig hinter dem Flügel hervor, um auch einen Blick auf den Neuankömmling werfen zu können. Sofort erkannte sie, dass es Nyrion, der Einsiedler war und sagte: „Schon gut Turmalon, ich kenne ihn, er ist harmlos.“ Dabei verließ sie ihre Deckung und ging auf den alten Mann zu.
„Bist du sicher?“, fragte Turmalon, woraufhin sich Rianna kurz zu ihm umdrehte und nickte.
„Ja, kein Wunder, dass du nicht auf deine Umgebung achtest. Bei einer solchen Begleitung würde mir das auch schwerfallen.“, sagte Nyrion lachend und meinte dann etwas ernster: „Aber das Harmlos nehme ich dir übel, meine liebe Rianna. Ich bin zwar alt, aber weiß mich immer noch zu wehren!“
„Guten Morgen, Nyrion“, grüßte Rianna verlegen und versuchte sich zu entschuldigen. „Ich wollte Turmalon nur versichern, dass von dir keine Gefahr ausgeht. Wir hatten eben erst eine eher unangenehme Begegnung mit drei Banditen.“
„Das habe ich mir schon gedacht, nachdem ich ihn gesehen habe“, erzählte Nyrion und zeigte auf den Drachen, „dass er für die drei panisch … wie als wäre ein Drachen hinter ihnen her … davonrennenden Männer verantwortlich ist.“ Er fand diese Aussage scheinbar sehr komisch, da er anfing, laut loszulachen.
Nach dem er sich wieder beruhigt hatte, fragte er: „Turmalon? Das habe ich doch richtig verstanden?“ Sowohl Rianna als auch der Drache begannen zu nicken.
„Endlich sehe ich dich mal aus der Nähe.“, und bevor Rianna, die Nyrion fragend ansah, etwas sagen konnte, sprach der alte Mann weiter: „Ich bin zwar alt, aber kann immer noch so gut sehen wie früher. Ich hab dich die letzten Tage, immer, wenn ich angeln war, am gegenüberliegenden Ufer bei der alten Eiche gesehen. Eigentlich wollte ich, nachdem ich auf dem Markt war, mal vorbeischauen, aber das hat sich jetzt wohl erledigt.“
„Wir wollten auch gerade wieder zurück zum See, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit von Leuten, die auf der Straße unterwegs sind, zu erregen.“
„Das ist euch ja gründlich misslungen!“ meinte Nyrion
„Deswegen würde ich jetzt auch gerne weitergehen.“, drängte Rianna.
„Immer mit der Ruhe . So früh morgens ist selten jemand im Wald unterwegs. Wieso kommt ihr nicht zu mir? Dann kannst du mir erzählen, wieso du schon so früh allein unterwegs bist und Turmalon, wie er hierher kommt.“, sagte Nyrion und bat die beiden, ihm zu folgen.
„Aber …“ „Kein Aber!“ „ … ich dachte, du wolltest deinen Fisch auf dem Markt verkaufen?“, fragte Rianna, woraufhin Nyrion ausholte und den Bündel mit Schwung zu Turmalon warf. Der Drache fing ihn mit dem Maul aus der Luft und verschlang ihn sofort.
„Guten Appetit“, sagte der Einsiedler an Turmalon gerichtet, und zu Rianna lächelnd: „Welcher Fisch?“ Rianna nahm es gelassen hin. Da sie ohnehin noch nicht wusste, wohin sie gehen sollte, nahm sie die Einladung dankend an und sagte: „Gehen wir!“
„Ist ja schön, dass ihr hier alles entscheidet und mich keiner fragt, ob ich überhaupt mitkommen möchte!“, beschwerte sich Turmalon lautstark, sodass die beiden Angesprochenen kurz zusammenzuckten.
„Es war auch nur eine Einladung, mitzukommen.“, sagte Nyrion beschwichtigend. „Dir steht es natürlich vollkommen frei, hinzugehen, wo immer du möchtest.“
„Das will ich aber auch hoffen“, knurrte der Drache und nahm die Ziege wieder ins Maul. Zufrieden trottete er an den beiden vorbei, blieb aber nach einigen Schritten wieder stehen, nur um zurückzusehen, so als wolle er die beiden auffordern, endlich weiterzugehen.

Michel rannte, so schnell er konnte. Selbst, als er sah, dass er nicht wie befürchtet verfolgt wurde. So musste er doch die Leute aus seinem Dorf vor der drohenden Gefahr warnen.
Als er das Tor erreichte, fing er an, die Torwachen anzuschreien: „Ein Drache, ein riesiger Drache kommt!“, und lief weiter Richtung Dorfmitte zum Markt. Verwundert sahen ihm die Wachen hinterher, da sie aber keinen Drachen erspähen konnten, fingen sie alle an zu lachen.
Dies bekam Michel gar nicht mehr mit, er lief bereits schreiend weiter durch die Straße und verkündete pausenlos, dass ein Drache kommen würde. Er verstummte erst, als er den Marktplatz erreichte, dort über eine liegengebliebene Kiste stolperte und flach zu Boden fiel. Da mittlerweile schon einige Leute auf den Straßen und Markt unterwegs waren, fand sich schnell eine große Gruppe von Neugierigen bei Michel ein. Sogar der ein oder andere aus den Häusern, an denen er vorbei gelaufen war, waren hinzugekommen, und alle wollten nun herausfinden, was der Radau zu bedeuten hatte.
Man hörte, wie die Leute anfingen über das, was der Junge sagte, zu diskutieren:
„Was sagte er? Ein Drache kommt?“
„Ach, Unsinn! Sein Großvater wird ihm wahrscheinlich gestern ein paar Geschichten erzählt haben und hat dann davon geträumt.“
„Und wenn er doch was gesehen hat?“
„Die meisten Drachen wurden doch vor einer Ewigkeit getötet!“
„Ja, die Meisten! Aber eben nicht alle und wenn die, die übrig sind, zurückgekommen sind, um sich zu rächen?“
„Jetzt fang nicht gleich an …“
„Na, mein Kleiner, willst du nicht endlich mal aufstehen?“, frage eine freundlich klingende Frau, die vor Michel in die Hocke gegangen war und ihm nun eine Hand reichte, um ihm hoch zu helfen. Michel ergriff die Hand und ließ sich von der Frau auf die Beine helfen. Er klopfte sich einmal kurz ab und bedankte sich dann bei ihr.
„So, und jetzt erzählst du mal von Anfang an, was passiert ist!“ verlangte die Frau zu erfahren. „Oder wolltest du uns allen einen Streich spielen?“
Der Junge schüttelte heftig den Kopf und sagte: „Nein, ich habe ihn wirklich gesehen. Ein riesiger, feuerspeiender Drache und er hat meine Ziege mit einem Bissen verschlungen.“
„Und wo hast du ihn gesehen?“
„Im Wald auf der Straße.“
„Wieso warst du denn mit einer Ziege im Wald?“
„Na ja, ich war auf der Weide und hab auf die Herde aufgepasst. Dann hab ich gesehen, wie drei Banditen mit einer der Ziegen abgehauen sind. Und weil ich keinen Ärger mit dem Bauern haben wollte, bin ich schnell hinterhergelaufen, um sie wieder zurückzubringen. Irgendwann fand ich die drei wieder, zusammen mit einer Frau, die sie wohl auch gestohlen hatten, weil sie laut schrie. Hinter den drei Banditen hat dann der Drache das Tier gefressen, die haben ihn bestimmt gefüttert. Und dann bin ich weggelaufen.“
„Das war kein Drache! Das war mit Sicherheit einen Echsenhund, den sich die Banditen als Haustier halten“, rief ein Mann, der die Unterhaltung mit angehört hatte. Ein anderer fragte: „Was ist denn ein Echsenhund?“
„Echsenhunde sind etwas größer und kräftiger als Hunde und sehen einem Drachen sehr ähnlich, haben allerdings keine Flügel und können auch kein Feuer speien. Sie leben normalerweise in den Sümpfen und sind geschickte Jäger, greifen aber selten etwas an, was größer ist als sie selbst. Ist also kein Wunder, dass er es mit einem Drachen verwechselt hat. Man sollte sie nicht unterschätzen, trotzdem sind sie aber nicht gefährlicher als viele andere Raubtiere.“
Diese Erklärung schien vielen zu genügen, da sie wieder gingen, um ihren gewohnten Tagesablauf nachzugehen.
„Nein. Es war ein richtiger Drache! Er hatte Flügel und Hörner und, und, und …“ Michel fing fast an zu weinen, als er das sagte und merkte, dass ihm offenbar niemand glauben wollte. „Aber es ist wahr!“
„Ganz ruhig, Junge. Du sagtest, du hättest auch eine Frau gesehen. Bist du dir sicher, dass die Banditen sie gegen ihren Willen festgehalten haben?“
„Ja. Einer von ihnen hatte sie festgehalten und sie hat versucht, sich zu befreien. Ich glaube, es war eine von Darions Späherinnen, denn sie hatte eine ihrer Rüstungen getragen.“, erinnerte sich Michel.
„Kann es sein, dass das ihre Stieftochter war, Silvia?“, mischte sich eine ältere Frau ins Gespräch ein.
„Wie kommen Sie denn darauf?“, wollte Silvia wissen.
„Sie ist mir heute früh begegnet und zum Tor gelaufen. Sie trug eine der Späherrüstungen und schien es ziemlich eilig zu haben. Ich wusste gar nicht, dass sie dort aufgenommen wurde. So was ist doch nichts für junge Mädchen, also wenn …“
„Sind Sie sich sicher, dass es Rianna war?“, verlangte Silvia zu erfahren.
„… Ja, aber sicher. Ich werde doch noch Otwins Tochter erkennen!“, erwiderte ihr die alte Frau. „Aber was ich eigentlich noch sagen wollte…“
„Vielen Dank, aber wenn es wirklich Rianna war, muss ich jetzt weg.“, erklärte Silvia und packte Michel an der Hand. „Und du kommst bitte mit!“
Eilig liefe sie zum Laden ihres Mannes. Sie stieß die Tür auf und fand Otwin, welcher überrascht wegen des stürmischen Auftauchens seiner Frau hinter dem Tresen aufsah.
„Otwin! Ich befürchte, Rianna ist draußen im Wald ein paar Banditen in die Hände geraten!“, erklärte sie ihm hektisch.
„Was? Wie kommst du denn auf so etwas?“, fragte Otwin ungläubig und stand von dem Stuhl auf, auf dem er bis eben gesessen hatte.
„Der Junge hier behauptet, sie dort gesehen zu haben und die Frau vom Schmied hatte sie zuvor Richtung Tor laufen sehen.“, fuhr Silvia fort. Dabei musterte Otwin eindringlich den jungen Hirten und frag ihn: „Ist das wahr?“, und man merkte bereits, wie er langsam wütend wurde. Michel hingegen nickte nur ängstlich mit dem Kopf und wollte am liebsten wieder zurück auf die Weide zu seinen Ziegen.
„Hab ich ihr nicht gesagt, dass Schluss ist mit ihren Ausflügen?“, brüllte Otwin, nun endgültig aus der Fassung gebracht. Dann ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen, lehnte sich mit den Ellenbogen auf dem Tresen und schlug die Hände vors Gesicht. Ein deutlicher Stimmungswechsel war bei ihm zu spüren, denn nun sagte er leise, schon fast weinerlich: „Meine arme kleine Tochter in den dreckigen Händen dieser Bastarde. Wieso kann sie nicht wie andere Mädchen in ihrem Alter sein, und auf ihren Vater hören?“
„Vielleicht ist aber auch das der Grund, wieso sie heute Morgen weglaufen wollte. Sie ist kein kleines Kind mehr“, mutmaßte Silvia und ihr Mann sah sie fragend an, da sie ihm davon noch nichts erzählt hatte. „Ich hatte sie heute früh dabei erwischt, wie sie einige Sachen zusammenpackte und sagte, dass sie nicht mehr von dir bevormundet werden wolle und deswegen gehe.“, erzählte sie. Otwin wurde rot vor Wut und schrie: „Und du hast sie einfach gehen lassen?“
„Nein. Ich hatte sie in ihrem Zimmer eingesperrt, damit sie noch einmal über das nachdenken konnte, was sie da überhaupt vorhatte“, sagte Silvia ruhig und nahm den Schlüssel zu Riannas Zimmer aus ihrer Tasche, „Ich weiß nicht, wie sie herauskommen konnte.“
„Vielleicht ist sie dies auch gar nicht! Vielleicht ist es ja doch jemand anderes“, erhoffte Otwin, der sich langsam wieder beruhigte. „Geh du nach Hause und sieh nach, ob Rianna tatsächlich weg ist. Ich geh zum Bürgermeister und sehe zu, dass ich ein paar Leute zusammen bekomme, um sie, wenn es notwendig ist, zu befreien. Und du kommst mit mir!“, sagte er an Michel gerichtet. „Du zeigst uns, wo du sie gesehen hast.“
„Aber ich will nicht wieder zurück zu dem Drachen!“, wiedersprach ihm Michel und Otwin fragte irritiert: „Was für ein Drache?“
„Er glaubt, dass die Banditen von einem Drachen begleitet wurden, es wird aber eher ein Echsenhund gewesen sein, den er dort gesehen hatte“, versicherte ihm Silvia und machte sich dann auf dem Weg nach Hause.
Eigentlich hatte sie nicht so viel Hoffnung wie ihr Mann, Rianna in ihrem Zimmer vorzufinden. Aber allein, um die Möglichkeit auszuschließen und eventuell noch herauszufinden, wie es ihr gelungen war, herauszukommen, reichten ihr als Grund, dennoch nachzusehen. Daher beeilte sie sich, möglichst schnell anzukommen und lief daher die ganze Strecke.
Zu Hause angekommen, öffnete sie die Haustür und da Erick noch da war, war diese unverschlossen. Er war gerade dabei, Feuerholz für den Ofen in der Küche zu stapeln, als Silvia hereinstürmte und die Treppe zu den Schlafzimmern im ersten Stock erklomm.
Als Silvia vor der Tür zu Riannas Zimmer stand, atmete sie noch einmal tief durch. Dann nahm sie wieder den Schlüssel aus ihrer Tasche und schloss die Tür auf. Sie klopfte guthörbar an, und da sie wie erwartet keine Antwort bekam, öffnete sie die Tür und sah sich im Zimmer um. Die einzige Möglichkeit, außer der Tür, die sie fand, um aus dem Raum zu kommen, war das geöffnete Fenster. Sie ging darauf zu und beugte hinaus, um auf die darunterliegende Gasse zu schauen und die Höhe einzuschätzen. Silvia sorgte sich darum, ob Rianna sich bei dem Sprung verletzt hatte.
„Ist etwas passiert? Oder weswegen bist du gerade hier hochgerannt?“, fragte Erick, der im Türrahmen stand.
Silvia drehte sich zu ihm um und ging dann mit gesenktem Kopf auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, sah sie ihm in die Augen und sagte: „Deine Schwester ist verschwunden! Komm mit. Ich erkläre es dir unterwegs.“

Währenddessen hatte auch Otwin, mit Hilfe von Michel, den Bürgermeister unterrichtet. Der junge Hirte kam natürlich nicht Drumherum, auch wieder den Drachen, den er gesehen hatte, zu erwähnen. Doch auch der Bürgermeister hielt dies für Unsinn und fand die Vermutung, dass es sich dabei um einen Echsenhund handeln würde, für sehr viel wahrscheinlicher. Danach schicke Osman einen Boten zu Hauptman Darion mit der Bitte, ein paar Mann zur Verfügung zu stellen, die bei der Suche nach Rianna helfen sollten. Seitdem wartete man auf eine Antwort, bis es an der Tür zum Empfangszimmer des Bürgermeisters klopfte.
„Kommen sie herein!“ sagte Osman voller Ungeduld. Doch es kam nicht wie erwartet der Bote mit der Antwort, sondern Silvia und Erick herein. Otwin sprang deswegen schon aus seinem Sessel und wollte fragen, ob Rianna doch noch in ihrem Zimmer war. Dann wurde ihm aber klar, dass seine Frau in dem Fall wohl kaum mit seinem Sohn erschienen wäre. Er ließ sich wieder zurück in den Sessel fallen und konnte einfach nicht fassen, dass seine Tochter weggelaufen sein soll. Der Bürgermeister hingegen hatte offenbar nicht diese Zusammenhänge erkannt und fragte daher: „Und? War sie noch da?“
Silvia schüttelte den Kopf und antwortet: „Nein. Ich glaube, sie ist durch das Fenster raus.“ Dabei stand sie immer noch mit der Klinke in der Hand vor der Tür. Im Gegensatz zu Erick, welcher längst im Zimmer war und sich neben einem Bücherregal an die Wand gelehnt hatte. Sie schloss daher die Tür und stellte sich an Otwins Seite.
„Und was machen wir jetzt?“, wollte Erick wissen. „Sollen wir hier darauf warten, bis sie wiederkommt?“
„Nein. Wir warten auf eine Antwort von den Spähern“, antwortete ihm Aaron, der sich bisher eher ruhig verhalten hatte und neben seinem Vater hinter dessen Schreibtisch stand. „Aber wenn das noch länger dauert, werde ich selbst losgehen und nach meiner Verlobten suchen.“
„Ich werde auf jeden Fall mitkommen!“, versprach ihm daraufhin Erick. Aaron nahm dies mit einem Kopfnicken anerkennend zur Kenntnis.
Einige Zeit verging, in der niemand etwas sagte. Stattdessen machte sich jeder seine Gedanken darüber, was passiert sein könnte und wie es weitergehen sollte.
Ein weiteres Klopfen an der Tür unterbrach die unangenehme Stille und beinahe alle sagten gleichzeitig „Herein!“, da niemand mehr auch nur einen Augenblick länger warten konnte.
Dann öffnet sich die Tür und es betraten der Bote und zwei Männer den Raum.
Diese beiden waren ganz klar die Unterstützung, um die sie gebeten hatten, was man unschwer an ihrer Ausrüstung erkennen konnte.
Der Älter von ihnen, ein großer schlanker, mit kurzen dunkelblonden Haaren stellte sich als Karl vor. Sein Kollege, der gut zwei Köpfe kleiner, aber ebenso schlank war und schwarze Haare hatte, hieß Friedrich.
Kaum war das geklärt, ergriff Aaron das Wort: „Ich will nicht noch mehr Zeit verlieren. Michel, geh vor und zeig uns den Ort, wo du alles gesehen hast. Erick und ich kommen mit euch. Den Rest klären wir unterwegs.“
Nur zögerlich machte sich Michel auf den Weg, und da Aaron dies mitbekam und es ihm nicht schnellgenug ging, sagte er: „Du musst uns nur den Ort zeigen, danach kannst du wieder gehen. Also beeil dich!“
Es war zwar keine wirkliche Motivation für Michel, denn er musste immer noch dorthin zurück, wo er vielleicht einem Drachen begegnen würde. Dennoch legte er einen Schritt zu und alle fünf gingen los.

Kurz vor Mittag erreichte die Gruppe die Stelle im Wald, von dem Michel glaubte, dass es die Richtige war. Als der junge Hirte dies erklärte und Aaron sich davon überzeugt hatte, dass es ihm ernst war, durfte Michel gehen und rannte wieder nach Horin zurück.
Die beiden Späher teilten sich auf und suchten die nähere Umgebung nach Spuren ab. Da Erick und Aaron nichts entdecken konnten, bis auf einige sehr offensichtliche Spuren auf der unbefestigten Straße, warteten sie darauf, was Karl und Friedlich zu berichten hatten.
Die beiden Späher gingen Schritt für Schritt den Wegesrand ab, blieben ab und zu stehen, gingen kurz in den Wald hinein, nur um einige Augenblicke später wieder zurück zu kommen. Dies geschah einige Male, auch, dass der eine den anderen zu sich heranrief, wenn er glaubte, etwas gefunden zu haben. Zum Schluss berieten sie sich einen Moment und gingen dann zu Erick und Aaron, um zu zeigen, was sie gefunden hatten.
„Es ist schwierig, etwas eindeutiges zu finden, da der Boden sehr trocken ist“, erklärte Karl. „Was wir aber gefunden haben, ist zum einen, wie eine kleine Gruppe von Personen von der Weide her hier aus dem Wald gekommen ist. Vermutlich die Banditen. Zum anderen, wie etwas aus Richtung des Sees hierhergekommen ist. Dieses etwas wird auch für die Furchen auf der Straße verantwortlich sein und es war mit Sicherheit kein Echsenhund, von dem sie stammen. Eher etwas Größeres … etwas viel Größeres!“
„Der Kleine wird doch nicht tatsächlich recht gehabt haben, und wirklich einen Drachen gesehen haben?“, fragte Aaron ungläubig.
„Ich befürchte, dass diese Möglichkeit besteht“, entgegnete ihm Karl. „Denn so, wie es hier aussieht, wird er hier ganz schön rumgewütet haben! Weshalb, ist mir jedoch auch ein Rätsel.“ *
„Wisst ihr denn, wo sie hingegangen sind?“, wollte nun Erick wissen.
„Da von hier keinerlei Spuren zurück in den Wald führen, sind sie wohl die Straße entlang. Der Weg ist allerdings so festgetreten, dass man darauf nichts erkennen kann. Möglicherweise finden wir aber noch etwas, wenn wir weiter gehen.“
Weil sich alle sicher waren, dass sie hier nichts mehr finden würden, was von Belang war, ging die Gruppe weiter. Es dauerte allerdings nicht lange, bis Friedrich, welcher den rechten Wegesrand im Auge behielt, wieder etwas fand. Er folgte der neuen Spur, blieb jedoch kurz darauf schon wieder stehen und sah sich um. Irritiert kratzte er sich am Kopf und scharte mit den Füßen an der Stelle, wo die Spur plötzlich aufhörte.
„Was ist? Hast du was gefunden?“, wollte Karl wissen, der nun zusammen mit Erick und Aaron zu ihm aufschlossen.
„Es sah so aus, als wäre hier jemand entlang gegangen, dann hört die Spur hier einfach auf. Aber ich glaube, hier ist etwas!“, antwortet Friedrich und kniete sich hin. Er schob etwas Laub, welches vor ihm lag, beiseite und enthüllte so eine Falltür. Er sah zu seinem Kameraden auf, so als sei er sich nicht sicher, was er nun tun sollte.
„Mach schon auf und sieh rein!“, sagte ihm Karl.
Knarrend öffnete Friedrich die Tür und schaute dann in die darunterliegende Grube. Das Einzige, was er darin fand, war ein Zettel, welcher in einer Kiste lag. Er nahm den Zettel, las, was darauf geschrieben stand und reichte ihn anschließend an Karl weiter.
„Hm, ist ja interessant“, meinte Karl zu dem Text und gab ihn nun auch Erick und Aaron.

Hallo Alia,
Wenn du das hier findest, werde ich wahrscheinlich schon
lange aus dem Tal verschwunden sein. Ich gehe, weil mein
Vater nun endgültig bewiesen hat, dass es ihm nur um seinen
guten Ruf geht, indem er bestimmt, wen ich heiraten soll,
und nicht berücksichtig, was ich möchte.
Ich weiß zwar noch nicht, wo es hingehen soll, aber was ich
weiß, ist, dass ich weg von hier muss. Jedoch habe ich mich
mit jemandem angefreundet der auch alleine unterwegs ist.
Vielleicht kann ich ja mit ihm gehen, falls ich mit ihm mithalten kann.
Zu guter Letzt möchte ich mich bei dir für all das bedanken,
was du mir beigebracht hast. Es hat mir in den letzten
Tagen sehr weitergeholfen.
Danke!

Rianna

„Sie hat jemanden kennengelernt?“, fragte Aaron erstaunt und sah dabei Erick an. Der zuckte nur mit den Schultern und sagte: „Ich weiß von nichts. Allerdings war sie die letzten Tage auch sehr ruhig.“
„Viel interessanter als der Inhalt ist doch die Frage, wann sie den Brief hier hinterlassen hat? War sie erst hier und ist dann auf dem Rückweg von den Banditen ergriffen worden oder konnte sie sich irgendwie befreien, und ist danach hierhergekommen?“, gab Karl zu überlegen und nahm den Brief wieder an sich, um ihn zurück in die Kiste zu legen. Dann gab er Friedrich zu verstehen, dass er wieder alles verstecken sollte.
„Was soll das? Wieso legen Sie den Brief wieder zurück?“, verlangte Aaron zu erfahren.
„Weil in ihm nichts steht, was uns bei der Suche weiterhelfen könnte.“, erklärte Karl. „Außerdem ist er nicht für uns bestimmt.“
„Wo lang sollen wir jetzt gehen, wenn wir uns nicht sicher sein können, wann Rianna hier war?“ fragte Erick.
„Mein Gefühl sagt mir, dass wir früher oder später noch etwas finden werden, wenn wir der Straße weiterhin folgen.“, antwortete Karl.

„ … und den Rest kennst du ja, da wir dann auf dich getroffen sind.“ sagte Rianna, welche gerade die Geschehnisse der letzten Tage im Zusammenhang mit Turmalon zusammengefasst hatte. Dabei saß sie mit Nyrion an einem kleinen viereckigen Tisch, der vor seinem Haus auf einer Holzterrasse stand. Von dort hatte man eine herrliche Aussicht über den gesamten See, inklusive der Bucht mit der alten Eiche. Rianna bewunderte aber auch, wie sich der alte Einsiedler hier eingerichtet hatte. Es gab einen großen Garten mit jeder Menge Gemüse und Kräutern, fast um das ganze Haus waren Blumenbete angelegt und wie das Haus war alles in einem gepflegten Zustand. Das Einzige, was fehl am Platz wirkte, war Turmalon, welcher auf der Wiese lag, die sich zwischen dem Haus und dem See befand. Dort döste er in der Sonne und verdaute seine Mahlzeit.
„Sehr schön haben Sie es hier“, bemerkte Rianna anerkennend.
„Oh, danke! Ich hatte auch viel Zeit dafür. Wer will schon in einer heruntergekommenen Bruchbude leben?“, erwiderte Nyrion lachend.
Doch bevor sie das Gespräch weiter vertiefen konnten, bemerkten beide, dass sich nun auch Turmalon wieder regte. Er streckte nacheinander seine Gliedmaße und kam dann zu Rianna und Nyrion getrottet. Er blieb kurz vor den beiden stehen und kam mit seinen Kopf so weit an Rianna heran, dass sie ihn leicht hätte berühren können.
Dann sagte er in einem gedämpften Ton: „Ich wollte mich bei dir dafür bedanken, dass du dich die letzten Tage um mich gekümmert und meine Wunden versorgt hast. Aber vor allem dafür, dass du mir gezeigt hast, dass ihr Menschen nicht alle so schlecht seid, wie man mir versucht hat, weiszumachen. Und schließlich wollte ich mich bei dir verabschieden. Da meine Wunden wieder völlig verheilt sind, werde ich mich nun wieder auf den Weg machen.“
Rianna war perplex und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie saß eine ganze Weile einfach nur da und starrte Turmalon an. Gerade, als er sich von ihr abwenden wollte, ergriff sie ihn am Kopf und zog ihn zu sich heran. Sie hielt seinen Kopf in den Armen und lehnte sich mit ihrem Kopf an seine Stirn. So verharrten beide einen Moment, bis Rianna ihren Griff wieder freigab. Turmalon zog sich wieder zurück und Rianna fragte: „Wohin wirst du denn jetzt gehen?“
„Ich ziehe weiter nach Westen, wo ich auch vor meiner Zwangspause hinwollte. Ein genaues Ziel hab ich noch nicht.“, antwortete Turmalon. „Ich möchte dir noch etwas geben.“
Turmalon streckte seine geschlossene rechte Vorderpranke aus und hielt sie Rianna entgegen. Sie hielt ihre Hände unter seine und wartete gespannt, was er ihr geben würde. Als er seine Pranke öffnete, fiel der tränenförmige, schwarze Stein in Riannas Hände.
„Du gibst mir die Drachenträne?“, stellte Rianna überrascht fest und sah Turmalon dabei an.
Er nickte ihr zu und sagte: „Ja, denn ich glaube, dass er bei dir in guten Händen ist. Also pass gut darauf auf.
„Das werde ich!“, versprach Rianna, schloss die Hand, in welcher der Stein lag und führte sie zur Brust.
„Leb wohl, Turmalon“, sagte sie dann und war damit bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten.
„Du auch. Auf dass dir immer ein günstiger Wind weht und deine Beute dich erst bemerkt, wenn es zu spät für sie ist“ Mit diesen Worten ging er zurück zur Wiese, begleitet von Rianna und Nyrion.
Turmalon breitete seine Flügel aus, machte einige kräftige Schläge und stieß sich dann vom Boden ab. Kaum war er in der Luft, flog er auf den See hinaus und gewann schnell an Höhe. Ein letztes Mal sah Rianna ihn, als er über sie hinwegflog.
 
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darkblood

Gläubiger
Vorwort:
Endlich kann es weitergehen und entschuldigt, dass es so lange auf sich warten hat lassen. Zur Entschädigung gibt es auch zwei kleine Extras.
Zum einen habe einen, Meinermeinung nach besseren anfang für das erste Kapitel gefunden. Weil so wie er bisher war, hatt er mir überhaupt nicht gefallen! Der neue Teil soll einfach vor den bisherigen anfang kommen und erzählt einwenig der Vorgeschicht von Turmalon.

Zum andern habe ich am ende des vierten Kapitel noch etwas hinzugefügt worauf ich dann zu sprechen komme.

Ein Knacken ließ Ischah aufhorchen und lenkte sie von ihrer Handarbeit an einer Halskette aus Zähnen und Knochen von Raubtieren ab. Ein weiteres Knacken bestätigte ihre Vermutung, dass es endlich so weit war. Sie sprang auf und lief zu einem kleinen Pferch im Nebenraum. Darin befand sich, auf Moos und Laub gebettet, ein Schwarzes Ei. Der Lyzarie war bewusst, dass der gerademal einen halben Schritt hohe Zaun das, was dort gerade schlüpfte, nicht lange aufhalten würde. Aber vielleicht würde es diesen Platz als jenen annehmen, an den es sich zurückziehen kann.
Gespannt beobachtete Ischah, wie sich die Risse auf der Schale ausweiteten. Sie war hin und her gerissen davon, dem kleinen Wesen bei seinem Kraftakt zu helfen oder zu sehen, ob es diese erste Hürde ins Leben von alleine schaffen würde. Sie entschloss sich dafür, nur dann einzuschreiten, wenn es Schwierigkeiten haben würde, sich zu befreien.
Ein kleines Stück der Schale brach weg und man konnte durch das entstandene Loch ins Innere sehen. Ischah wusste zwar, was aus dem Ei schlüpfen würde - schließlich hatte man es ihr vor vielen Jahren anvertraut -, dennoch spickte sie neugierig durch die entstandene Öffnung. Jedoch konnte sie außer, dass sich etwas darin bewegte, nicht viel erkennen. Eine kurze Pause folgte und Ischah vernahm ein heiseres Fiepen. Sie war sich nicht sicher, was ihr das kleine Wesen mitteilen wollte. Ob es: „Hilf mir doch bitte hier raus!“ oder einfach nur „Hallo. Hier bin ich!“ sagen wollte.
Nach einer weiteren Pause beschäftigte es sich wieder damit, aus seinem engen Gefängnis zu entfliehen. Ischah sah, dass es seine Bemühungen jetzt auf das bereits entstandene Loch konzentrierte. Dies erkannte sie daran, dass sich immer mehr Risse um das Loch bildeten und ab und zu seine Schnauze oder eine Pfote aus dem Loch lugten.
„Schlaues kleines Ding!“, bestätigte Ischah leise, um es weiter zu motivieren, wie sie hoffte. Doch dies war gar nicht mehr nötig. Plötzlich ging es ganz schnell. Ein weiteres Stück der Schale brach heraus. Dieses Mal war es groß genug, dass sich der kleine Drache, wie man nun erkannte, mehr oder weniger mühelos durch das Loch hindurchzwängen konnte.
Nachdem er sich befreit hatte, gab er ein langgezogenes Fiepen in Richtung des Eies ab. So, als ob der kleine Drache seinem ehemaligen Gefängnis zeigen wollte, wer der Stärkere sei. Dann wandte er sich ab und erkundete die Umgebung. Vorsichtig tapste er über das weiche Moos und zog dabei seine Schwingen unbeholfen hinter sich her.
„Hey, mein Kleiner“, flüsterte Ischah zu ihm. „Wenn du deine Flügel die ganze Zeit hinter dir her schleifst, wirst du sie dir verletzen!“
Daraufhin wanderte sein Blick nach oben und als er Ischah entdeckte, legte er seinen Kopf schief und sah sie fragend an. Ein weiteres Fiepen war seine Antwort. Oder eine Frage? Ischah wusste es nicht. Vorsichtig griff sie über den Zaun und packte mit beiden Händen jeweils einen der Flügel. Der Drache versuchte zwar zurückzuweichen, war jedoch nicht schnell genug, um ihr zu entfliehen. Behutsam entfaltete Ischah seine Schwingen. Immer darauf bedacht, ihn nicht zu verletzen. Mit zurückgezogenem Kopf beobachtete der Drache ängstlich, was sie mit ihm machte.
Dann ließ sie ihn wieder los. Kurz sanken die Flügel wieder Richtung Boden, doch dann spannte er sie an und entfaltete sie zu ihrer gesamten Pracht. Nur, um sie anschließend, wie selbstverständlich, eng an seinen Körper anzulegen. Abermals fiepte er und ein weiteres Mal fragte sich Ischah, was er ihr sagen wollte. „Hey, was sollte das? Lass meine Flügel in Ruhe!“ oder einfach nur „Danke!“.
Der Drache sah sie noch einen Moment lang an, erkundete dann aber wieder sein Gehege. Er schien wohl erkannt zu haben, dass von ihr keine Gefahr ausging. Jedoch forderte der kräftezehrende Akt des Schlüpfens kurz darauf seinen Tribut. Er hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als er zu schwanken begann und daraufhin stehen blieb. Dann sah er sich wieder nach Ischah um. Als er sie fand, öffnete er sein Maul und schloss dabei die Augen. Anders als erwartet gab er dieses Mal kein Geräusch von sich, sondern rollte sich anschließend einfach zusammen und begann zu schlafen.
Ischah musste über diese Geste lachen. Hielt sich dabei aber zurück, da sie ihn nicht stören wollte.
„Schlaf schön“, flüsterte sie ihm zu und entfernte sich vorsichtig von ihm.
Als nächstes musste sie Bescheid geben, dass ihr Drache geschlüpft war. Jedoch erfüllte sie der Gedanke daran mit Schmerz, da ihr klar war, was ihr Volk vorhatte und wie sie dies mit seiner und der Hilfe anderer seiner Art erreichen wollte.

Einige Tage später war Ischah damit beschäftigt, alles, was zu Bruch gehen konnte, aus der Reichweite des Drachens zu entfernen. Jedoch hatte dieser vor nicht allzu langer Zeit herausgefunden, wozu seine Flügel alles fähig waren. Weite Strecken konnte er zwar nicht zurücklegen, aber um höhere Punkte zu erreichen oder eine kurze Distanz gleitend zu überwinden reichte es schon. Dies erschwerte ihre Aufgabe natürlich ungemein. Doch trotz der Umstände, die ihr der Kleine verursachte, hatte sie ihn bereits in ihr Herz geschlossen. Dies würde allerdings den Abschied, der in jedem Fall in einigen Monaten kommen würde, nur umso schwerer machen. Bis dahin hatte Ischah aber noch etwas Zeit, um sich mit dem Drachen zu beschäftigen.
Zurzeit schlief er, da er den halben Morgen damit verbracht hatte, allem hinterherzujagen, was sich bewegte, einschließlich seines eigenen Schwanzes. Dabei richtete er heilloses Durcheinander an, für das Ischah den Rest des Morgens aufräumen durfte. Währenddessen schlummerte der Verursacher des Chaos friedlich vor sich hin.
Kaum war Ischah fertig und hatte sich für einen Moment hingesetzt, vernahm sie auch schon ein Fiepen und sie wusste, dass es mit der Ruhe jetzt zu Ende war. Sie nahm einige Stücke rohes Fleisch, die sie zuvor zurecht geschnitten hatte und ging zum Pferch. Dort wurde sie schon vom Drachen erwartet und er begrüßte sie mit einem weiteren Fiepen.
„Na, mein Kleiner, gut geschlafen?“, fragte Ischah und er gab ihr die übliche Antwort.
„Das habe ich mir gedacht!“, erwiderte sie seufzend. „Dann wirst du mir wahrscheinlich auch gleich wieder alles durcheinander bringen! Oder?“ Dabei sah der Drache sie fragend an.
Dann griff sie nach ihm, hob ihn mit beiden Händen hoch und setze ihn sich auf den Schoß. Ischah nahm eins der Fleischstücke und wollte es dem Drachen geben. Doch kaum hatte er es entdeckt, sprang er ihrer Hand entgegen, schnappte sich seine Mahlzeit mit den Pfoten und landete damit auf dem Boden. Nachdem der Happen anschließend in einem Stück verschlungen war, drehte er sich zu Ischah um und bettelte nach mehr. Sie nahm ein weiteres Stück und hielt es, etwa einen Schritt vom Boden, über ihm. Er richtete sich einfach auf, griff danach und ließ es ebenfalls in seinem Maul verschwinden. Den Rest des Fleisches legte Ischah vor ihm auf den Boden und stand dann auf, um sich um ihre eigentlichen Aufgaben zu kümmern, die sie in den letzten Tagen hatte vernachlässigen müssen.
Kaum hatte sie sich im Nachbarraum an ihren Arbeitstisch gesessen, sprang der Drache auf den Tisch und setzte sich an eine Ecke, von der er alles beobachten konnte, was Ischah tat.
„Wenn du hier oben etwas anstellst, bekommen wir beide Ärger miteinander!“, ermahnte sie ihren Schützling. „Hast du das verstanden?“
Ein weiteres Fiepen war seine Antwort und Ischah nahm einfach an, dass es bedeutete, sie verstanden zu haben.

Einige Monate später reichte die Schulterhöhe des Drachens schon an Ischas Hüfte. Beide kamen gerade von einem Spaziergang zurück. Dabei durfte er sich nach Lust und Laune austoben. Ebenfalls konnte er dabei seine Flug- und Jagdfähigkeiten trainieren. In Ischas Hütte war dies selbstverständlich tabu, da er mittlerweile kräftig genug war, um sie komplett zu zerlegen. Erstaunlicherweise hielt sich der Drache auch daran. Er hatte zwar immer noch oft irgendwelchen Unfug im Kopf, allerdings ging dabei nur noch selten etwas zu Bruch. Ansonsten begleitete er sie auf Schritt und Tritt und beobachtete aufmerksam alles, was sie tat.
Als sie an ihrem Heim angekommen waren, wurden sie bereits von vier kräftigen Kriegern erwartet. Sie gehörten zu derselben Kaste, deren Oberhaupt ihr vor vielen Jahren das Ei in Obhut gegeben hatte. Zu Ischahs Entsetzen hatten die vier ebenfalls einen massiven Metallkäfig mitgebracht. Sie hatte gehofft, dass ihr noch etwas Zeit mit ihrem Schützling verbleiben würde.
„Wir sind hier, um ihn mitzunehmen!“, sagte einer der Krieger. „Der Rak wir sein Training von nun an persönlich überwachen!“
Ischah hatte keine andere Wahl. Wenn sie sich weigern würde, wäre das nur ihr Ende und sie bekämen dennoch, was sie wollten. Eigentlich hatte sie vor, ihn zu vertreiben, nachdem sie sich sicher gewesen wäre, dass er alleine überleben konnte. Sie wusste von einigen Tierarten, die dies ebenfalls so machten, wenn ihr Nachwuchs alt genug war. Es hätte jedoch zu lange gedauert, bis der Drache verstand, was sie von ihm wollte, um dies jetzt noch zu versuchen.
Sie kniete sich vor ihn und flüsterte ihm daher leise zu: „Flieh, wenn du die Gelegenheit dazu hast! Wenn du dich weit genug von ihnen entfernst, werden sie keine Macht mehr über dich haben!“

Kapitel 4

„Nun ist er weg!“, stellte Rianna enttäuscht fest und drehte sich zu Nyrion um, der hinter ihr stand. „Und wie geht es jetzt weiter?“
„Ich befürchte, dass du das schon selbst herausfinden musst.“, antwortet er ihr.
„Natürlich“, erkannte Rianna und ging niedergeschlagen zurück zum Tisch, um sich wieder auf den Stuhl zu setzen. Sie konnte ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten.
„Rianna!“, hörte sie jemanden nach ihr rufen. Als sie aufblicke, sah sie ihren Bruder Erick, der von Aaron und den beiden Spähern Karl und Friedrich begleitet wurde. Die vier kamen rasch auf Rianna zugelaufen und Aaron kniete sich vor sie.
„Ganz ruhig, meine Liebe. Wir sind ja jetzt bei dir. Niemand kann dir mehr was anhaben, dafür werde ich sorgen“, versprach Aaron. Rianna sah ihn verärgert an und stieß ihn von sich weg. Er fiel nach hinten und stützte sich mit den Händen ab. Verwundert sah er sie an und fragte: „Was ist los?“
„Du weist nicht einmal, weshalb ich weine! Vor was willst du mich also schützen? Mal davon abgesehen, dass ich deine Fürsorge nicht brauche!“, erwiderte Rianna wütend und ging an ihm vorbei, wieder zum See.
„Aber wir sind extra losgezogen, als wir hörten, dass du von ein paar Banditen festgehalten wirst!“, sagte Aaron, stand dabei wieder auf und ging ihr nach. „ Außerdem sind wir hier, um dich wieder nachhause zu bringen.“
Schlagartig drehte sich Rianna zu ihm um; sie hätte ihm eine Ohrfeige verpasst, wenn er in ihrer Reichweite gestanden hätte. Dann sagte sie: „Nein! Ich werde mit Sicherheit nicht wieder mit euch zurückgehen!“
„Wieso? Um mit deinem neuen Freund abzuhauen?“, verlangte Aaron zu erfahren, der nun ebenfalls verärgert klang. Rianna sah ihn daraufhin irritiert/überrascht an.
„Wir haben deinen Brief gefunden!“, antwortet er. „Wo ist er? Kenn ich ihn… egal, er wird es noch bereuen, wenn ich ihn erwische. Ich werde es nicht zulassen, dass er mich meiner Verlobten beraubt!“
Rianna fiel wieder ein, was sie in ihren Brief geschrieben hatte. Wie Aaron an diesen Brief gekommen war, war ihr zwar ein Rätsel. Allerdings interessierte sie das in diesem Moment nicht. Sie fing amüsiert an zu lachen und sagte: „Du hast ‚meinen Freund‘ nur knapp verpasst, was vielleicht auch besser für dich ist. Dennoch, glaubst du wirklich, du weißt wovon du da redest? Deine Verlobte?“
Aaron sagte nichts, sondern nickte nur mit dem Kopf.
„Ich gebe zu, dass ich dich bisher immer gut leiden konnte und mein Vater auch wesentlich schlimmer hätte entscheiden können. Ich könnte sogar über dein jetziges Verhalten hinwegsehen, wenn es einmalig bleiben würde!“, fuhr Rianna fort. „Dennoch war es eine Entscheidung, die gegen meinen Willen getroffen wurde! Deswegen, und weil ich die Bevormundung meines Vaters nicht länger ertragen kann, gehe ich weg. Aber wenn du meinen Brief wirklich gelesen hast, solltest du das eigentlich wissen!“
„Ist es denn wirklich so schlimm für dich?“, fragte Aaron.
„Natürlich ist es das!“, antwortete sie, bevor sie aber weitersprechen konnte, vernahm sie hinter sich ein Geräusch, welches vom Schlagen kräftiger Flügel verursacht wurde. Als sie sich schließlich umdrehte, sah sie, wie Turmalon wieder vom See her auf die Wiese, auf der sie standen, zuflog. Sie ging einige Schritte zur Seite, um ihm Platz zur Landung zu machen. Auch Aaron, Erick und die beiden Kundschafter wichen einige Schritte nach hinten zurück, als sie sahen, was da auf sie zukam und Erick rief: „Rianna, komm weg da!“ Rianna jedoch blieb wo sie war und beobachtete Turmalon, wie er sachte neben ihr landete.
„Alles in Ordnung?“, fragte der schwarze Drache.
„Ja, wir haben gerade über dich geredet!“, antwortete sie laut genug, sodass es alle hören konnten. Es dauerte jedoch einen Moment, bis jeder diese Anspielung verstand.
„Ach, ist das so?“, fragte Turmalon erstaunt, woraufhin Rianna nickte und auf ihn zuging.
„Wieso bist du zurückgekommen?“, wollte Rianna wissen und legte ihre rechte Hand an seinen Hals. „Nicht so, dass ich mich nicht darüber freue!“
„Ich hab gesehen, wie die vier dort vorne auf den Weg hierher waren und bin dann umgekehrt. Ich wusste nicht, was sie vorhatten“, erklärte Turmalon und musterte dabei eindringlich Aaron und die anderen, nach Anzeichen suchend, ob sie eine Gefahr darstellten.
„Gut, dass du wieder da bist“, gestand Rianna, „ich glaube, ohne deine Hilfe werde ich hier nicht wegkommen!“
„Du gerätst gerne in Schwierigkeiten, kann das sein?“, scherzte Turmalon. Rianna fing daraufhin an, verlegen zu lächeln und erwiderte: „Nicht öfter wie du, Turmalon!“
Aaron, welcher sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, kam nun langsam auf die beiden zu. Als er jedoch von Turmalon angeknurrt wurde, blieb er auf gebührendem Abstand zum Drachen stehen und sagte: „Bitte, Rianna, komm weg von dieser Bestie! Ich will nicht, dass sie dich verletzt.“ Nun ging Turmalon knurrend auf Aaron los. Dieser wollte nach hinten ausweichen, stolperte dabei aber und fiel auf den Boden.
„Nein, nicht!“, griff Rianna ein und Turmalon reagierte augenblicklich. „Lass ihn bitte in Ruhe!“ Daraufhin schnaubte der Drache Aaron an und sagte dann: „Pass auf, was du sagst! Ich würde sie niemals verletzen!“
Rianna eilte zu Aaron und reichte ihm eine Hand, um ihm aufzuhelfen. „Ich werde nicht wieder mit dir zurückgehen! Hast Du das jetzt verstanden?“, erkundigte sich Rianna. „Oder muss er es dir noch einmal erklären?“, und wies dabei auf Turmalon. Dann drehte sie sich um und ging auf den Drachen zu.
„Wäre es möglich, dass ich dich begleiten kann?“, fragte sie ihn.
Turmalon fing an zu lächeln und gestand: „Natürlich ist es das. Bevor ich mich vorhin von dir verabschiedet hatte, wollte ich dich eigentlich dasselbe fragen. Allerdings hatte ich Zweifel daran, dass du mitkommen würdest und habe mich dann dazu entschieden, es nicht zu tun. Dazu sollte ich aber noch schnell etwas holen.“ Dann drehte er sich zum See um.
„Und ihr solltet, solange ich weg bin, keine Dummheiten anstellen! Ich werde nicht lange brauchen“, sagte er an die Gruppe um Aaron und hob wieder ab, um zur gegenüberliegenden Seite des Sees zu fliegen.
Rianna ging derweilen zu ihrem Bruder, doch bevor sie etwas sagen konnte, meinte Erick: „Ich habe unserem Vater versprochen, dich wieder mit nachhause zu bringen. Also wie kann ich dich überzeugen?“
„Überzeuge Vater, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen kann.“, erwiderte sie.
„Du weißt, dass dies sehr schwierig wird, Rianna“, antwortete Erick.
„Was glaubst du, wieso ich hier bin?“, sagte Rianna und wandte sich ihm wieder ab. „Ich wollte dich eigentlich darum bitten, allen auszurichten, dass ich in absehbarer Zeit nicht vorhabe, wieder zurückzukommen…“
„Das reicht!“, schrie Aaron. Er deutete den beiden Spähern an, Rianna zu packen und sagte weiter: „Wenn sie nicht freiwillig mitkommen will, nehmen wir sie eben gegen ihren Willen mit.“
„Das würde ich an eurer Stelle unterlassen.“, mischte sich nun Nyrion ein, welcher das ganze bisher stillschweigend beobachtet hatte. „Es ist nicht sehr klug, einen Drachen zu verärgern! Er hat doch deutlich gemacht, dass ihr sie in Ruhe lassen sollt!“
„Sei still, alter Mann! Und ihr beeilt euch lieber, ich will weg sein, bevor dieser Drache wieder hier auftaucht“, brüllte Aaron die anderen an und drängte sie zur Eile; dabei merkte man ihm deutlich seine Nervosität an.
„Glaubst du im Ernst, einem Drachen zu Fuß entkommen zu können?“, fragte Nyrion.
„Wenn er wieder auftaucht, wird er es bereuen!“, drohte Aaron und zog sein Schwert.
„So mutig warst du aber eben nicht, als er direkt vor dir stand“, erinnerte ihn Rianna.
„An eurer Stelle würde ich mich beeilen!“, sagte Nyrion, der zum See hinaussah. „Dort hinten kommt jemand, dem es sicherlich nicht gefallen wird, wenn er das hier sieht.“
Wie der alte Mann sagte, näherte sich Turmalon bereits wieder dem Grundstück, mit den Vorderpranken etwas festhaltend. Nun gerieten Karl und Friedrich in Panik und ließen Rianna wieder los. Dies wiederum gefiel Aaron nicht, weswegen er sie anschnauzte: „Was tut ihr zwei denn da?“
„Entschuldige, aber wir sind hergekommen, um sie von ein paar Banditen zu befreien. Nicht um den Zorn eines Drachens auf uns zu ziehen!“, erklärte Karl. „Wenn du dich mit ihm anlegen willst, bitte! Aber lass uns aus der Sache raus!“
Kurz darauf landete Turmalon auf der Wiese. Er hatte den Sattel dabei, den Rak’Zunaih mitgebracht hatte und legte ihn vor sich auf den Boden. Er bemerkte, dass Rianna bei ihrem Bruder und den anderen stand. Da er aber nichts ungewöhnliches bemerkte, wartete er ab, dass sie wieder zurückkommen würde. Das tat sie dann auch umgehend. Einzig und allein Aaron versuchte sie daran zu hindern und packte sie am Arm. Doch ein drohendes Knurren von Turmalon reichte aus, dass er sie wieder losließ.
„Wo hast du denn den Sattel her?“, fragte Rianna neugierig und betrachtete ihn genauer. Er war einem Pferdesattel recht ähnlich und bestand aus Leder. An der Seite waren vier Lederriemen, mit dem man ihn befestigte.
„Eigentlich hab ich die Riemen zerrissen und den Sattel weggeworfen. Jedoch scheint ihn Rak’Zunaih wieder gefunden zu haben und hat sie erneuert“, erklärte Turmalon. „Platziere ihn über meinen Vorderbeinen und führe die Riemen davor und dahinter zusammen.“
Als Rianna den Sattel anhob, ächze sie kurz wegen dessen Gewicht. Dann befestigte sie ihn, wie es Turmalon ihr beschrieben hatte und überzeugte sich anschließend davon, dass er fest saß. Dann legte sich der Drache auf den Boden, damit Rianna einfacher aufsteigen konnte.
Nachdem sie sich auf dem Sattel niedergelassen hatte, richtete er sich wieder auf und sagte: „Steck deine Füße in die Schlaufen an der Seite und zieh sie fest.“ Auch hier befolgte sie seine Anweisungen und sagte anschließend: „Wir können los, ich bin fertig! Hoffentlich bin ich nicht zu schwer für dich.“
„Im Gegensatz zu dem, was ich vorher tragen musste, bist du ein Leichtgewicht. Also mach dir keine Sorgen darum.“, entgegnete Turmalon und machte sich abermals zum Abflug bereit.
„Was soll das werden? Wo willst du hin?“, fragte Aaron, der nun auf die beiden zugelaufen kam.
Rianna verdrehte die Augen und seufzte: „Ich denke, das habe ich jetzt ausreichend erklärt! Komm Turmalon, lass uns endlich von hier verschwinden!“
„Dann halte dich gut fest!“, warnte Turmalon. Er stieß sich vom Boden ab und entfaltete seine Flügel. Gemeinsam flogen sie über den See hinweg und verschwanden dann Richtung Norden.

„Wir sollten zurückkehren und Bericht erstatten“, schlug Friedrich vor.
„Nein! Wir verfolgen sie!“, wandte Aaron in einem harschen Ton ein. „Wir werden nicht ohne meine Verlobte zurückgehen!“
„Willst du sie zu Fuß verfolgen? Sei nicht dumm, Aaron! Wir haben weder die Ausrüstung für eine solche Unternehmung dabei, noch wissen wir, wo sie hinwollen“, erklärte Karl.
„Das haben wir schnell geklärt!“, erwiderte Aaron und ging geradewegs auf Nyrion zu. Er packte ihn grob an den Armen und fragte wutentbrannt: „Wo wollten sie hin? Los, sprich, sonst werde ich dich …“ Aaron wurde mitten im Satz unterbrochen, als er von Nyrion überwältigt und auf den Boden geworfen wurde. Die Kraft, die der alte Mann aufbrachte, erschreckte Aaron, sodass er versteinert liegen blieb.
„Sonst wirst du was?“, fragte Nyrion gelassen. „Sprich niemals eine Drohung aus, die du nicht im Stande bist, umzusetzen! Nun, wie auch immer. Turmalon wollte nach Westen weiterreisen. Rianna wird wohl nichts gegen diese Pläne einzuwenden haben, weswegen er vermutlichdiesen Weg einschlagen wird. Jedoch hatte er nicht genauer beschrieben, wohin er möchte. Allerdings glaube ich auch, dass es dies selbst nicht so genau weiß.“
„In Ordnung. Danke für die Information“, bedankte sich Erick, welcher nun auch die anderen dazu drängte, endlich nach Horin zurückzukehren. „Wir sollten jetzt wirklich gehen. Je länger wir warten, desto schwieriger wird es, meine Schwester wiederzufinden!“
„Ach, etwas möchte ich noch loswerden!“, sagte der alte Einsiedler. „Es hätte auch gereicht, wenn ihr mich freundlich gefragt hättet. Man muss nicht immer jemandem drohen, wenn man etwas von ihm wissen will. Manchmal reicht es aus, wenn man höflich bittet!“ Aaron funkelte Nyrion böse an, während dieser sein Geschirr einsammelte und sich nach einer knappen Verabschiedung in sein Haus begab.
„Das wird er noch büßen" grummelte Aaron.
„Was ist dir jetzt wichtiger? Deine Ehre wiederzuerlangen oder dass wir Rianna finden?“, fragte Erick, woraufhin sich Aaron zusammenriss und den anderen folgte.
Die vier Männer machten sich eilig auf den Weg zurück nach Horin.
Als sie auf die Straße dorthin abbogen, sahen sie, wie gut ein Dutzend Wachleute aus dem Tor ihnen entgegengelaufen kamen. Nachdem die Wachen die Gruppe erreicht hatte, fragte Karl den Hauptmann, was los sei und ob sie Hilfe bräuchten.
Der Hauptmann zeigte Richtung Norden zum Friedhof und sagte dann: „Dieses Biest ist vorhin hier aufgetaucht! Wir wollen es von hier vertreiben, bevor es größeren Schaden anrichtet.“
Die vier sahen rüber zum Friedhof und entdeckten sofort, von was der Mann sprach. Dort hatte sich doch tatsächlich der Drache, mit dem Rianna eben davongeflogen war, niedergelassen.
„Ihr wärt besser weitergeflogen!“, stieß Aaron hervor und rannte den Wachen nach, die bereits weitermarschiert waren. Doch kaum hatte er sie eingeholt, sah man, wie sich der Drache wieder in die Lüfte erhob. Er flog direkt auf die Wachleute zu, die panisch auseinanderstoben, da sie befürchteten, von ihm angegriffen zu werden. Der Drache jedoch flog lediglich über sie hinweg auf Horin zu. Dort zog er für eine Weile seine Kreise, drehte dann nach Westen ab und verschwand.
„Das darf doch nicht wahr sein!“, schrie Aaron, der gerade aus einem Getreidefeld gekrochen kam, in das er in Deckung gesprungen war. „Los, hinterher!“
„Wir waren uns doch einig, dass es keinen Zweck hat, ihn zu Fuß zu verfolgen!“, erinnerte ihn Karl, weswegen Aaron dem Späher einige böse Blicke zuwarf. Er ignorierte dies jedoch und forderte den Rest seiner Gruppe und zusätzlich den Hauptmann auf, ihm zu folgen.
Sie gingen geradewegs zum Haus des Bürgermeisters.
Als sie in das Empfangszimmer eintraten, war Osman damit beschäftigt, einige Papiere, welche über seinen Schreibtisch verteilt waren, zu durchstöbern. Otwin, der ebenfalls noch anwesend war, kauerte in einem Sessel in der Ecke des Zimmers und grübelte vor sich hin. Er sprang sofort auf, als er sah, wer das Zimmer betrat.
„Habt ihr sie gefunden? Geht es ihr gut?“, wollte er augenblicklich wissen.
„Ja, wir haben Rianna gefunden“, antwortete ihm sein Sohn, „und offensichtlich geht es ihr auch sehr gut.“
„Wo ist sie denn?“, fragte Otwin aufgeregt. „Wieso habt ihr sie nicht mitgebracht?“
„Nun, ich weiß nicht, inwiefern ihr den Tumult mitbekommen habt, der draußen wegen eines Drachen am Friedhof herrschte. Was dies angeht, wird Ihnen der Hauptmann eher weiterhelfen können. Aber Ihre Tochter scheint mit genau diesem Drachen von hier davon geflogen zu sein“, erklärte Karl.
„Meine Tochter wurde von einem Drachen entführt?“, fragte Otwin schockiert. „Ich dachte, ein paar Banditen würden sie festhalten!“
„Was mit den angeblichen Banditen ist, wissen wir nicht.“ erläuterte der Kundschafter, „Jedoch wurde sie von dem Drachen nicht entführt! Im Gegenteil. Sie hat ihn vollkommen freiwillig begleitet.“
Otwin sah den Späher ungläubig an, weswegen Erick bestätigte: „Er hat recht, Vater, die beiden gingen sehr vertraut miteinander um. Mir kam es nicht so vor, als würde er sie zu etwas zwingen.“
Anschließend erklärte die Gruppe, was sonst noch vorgefallen war, seit sie diesen Raum verlassen hatten.

Rianna fand das Gefühl, auf Turmalons Rücken durch die Luft zu fliegen, unglaublich. Zu Beginn jedoch, als sie vom See losflogen, hielt sich Rianna krampfhaft am Sattel fest, da sie ständig Angst hatte, runterzufallen. Glücklicherweise war der Weg durch die Luft zum Friedhof nur sehr kurz, trotz, wie Turmalon beteuerte, der sehr langsamen Geschwindigkeit, mit der er flog. Rianna hatte ihn, kurz nachdem sie den See hinter sich gelassen hatten, danach gefragt, ob es für ihn in Ordnung wäre, dort kurz zu landen, da sie ein letztes Mal das Grab ihrer verstorbenen Mutter besuchen wollte. Als sie am Friedhof ankamen und Rianna von Turmalon herabgestiegen war, zitterten ihre Beine so sehr, dass sie sich einen Moment am Drachen abstützen musste. Sobald sie jedoch wieder laufen konnte, ohne Angst haben zu müssen, dass sie stolperte, begab sie sich zum Grab. Dort verharrte sie einen Augenblick in Gedanken und verabschiedete sich, als die Alarmglocken aus Horin erklangen. Rianna eilte zurück zu Turmalon, der vor den Friedhofsmauern auf sie wartete. Nachdem sie wieder auf seinem Rücken Platz genommen und ihre Füße festgeschnallt hatte, hob der Drache abermals ab.
„Entspann dich!“, hörte Rianna Turmalons Stimme sagen. „Dir wird nichts passieren, ich passe schon auf dich auf. Also genieße einfach den Flug.“ Rianna konnte sich nicht erklären, wieso, aber sie war jetzt tatsächlich sehr viel lockerer, weswegen sie sich nun auch die Zeit nahm, die Umgebung zu beobachten. Turmalon hatte gerade damit begonnen, über Horin zu kreisen, was eine Menge Unruhe auf die Straßen des Ortes brachte. Die meisten Bewohner flüchteten in nahegelegene Häuser, andere blieben an Ort und Stelle stehen und sahen ungläubig in die Luft. Manche der mit Bögen bewaffneten Wachen auf den Türmen versuchten, Turmalon mit ihren Pfeilen zu treffen, verfehlten ihn aber bei weitem.
„Reagieren die Menschen immer so, wenn sie dich sehen?“, wollte Rianna wissen.
„Ja!“, übermittelte Turmalon ihr und drehte ab.
Diese Antwort erfüllte Rianna mit Wut. Wut darüber, dass die Menschen ihn für etwas vertreiben oder sogar töten wollten, für das er nicht verantwortlich war.
„Daran sollten wir etwas ändern!“, erklärte Rianna und lehnt sich nach vorne, um seinen Hals zu umarmen. Damit wollte sie ihm zeigen, dass er nicht alleine war. Ohne Vorwarnung machte Turmalon eine Seitwärtsrolle, woraufhin Rianna einen kurzen Schrei ausstieß und ihn noch fester umklammerte.
„Mach das nie wieder!“, ermahnte sie ihn, doch statt zu antworten, grinste er nur.

Als sich die Sonne langsam dem Horizont näherte, hatten die beiden bereits die ersten Ausläufer des Beohgebirge erreicht.
„Wir sollten uns langsam ein Lager für die Nacht suchen“, schlug Turmalon vor. „Du wirst mit Sicherheit müde sein!“
„Du hast recht“, bestätigte Rianna. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so anstrengend ist, auf einem Drachen zu reiten. Aber wo willst du landen? Ich sehe hier weit und breit nur Felsen.“
„Ja, und? Wenn es ein wenig Schutz bietet, reicht das doch“, meinte Turmalon unbekümmert.
Rianna schüttelte den Kopf und erwiderte: „Ich erwarte ja kein bequemes Bett, aber wenn ich die Nacht auf dem nackten Fels verbringe, werde ich morgen früh noch erschöpfter sein als jetzt!“
„Entschuldige, das habe ich nicht bedacht.“, rechtfertigte sich der Drache. „Dann werden wir wohl noch ein wenig suchen müssen. Hältst du noch so lange durch?“
„Natürlich!“, versicherte ihm Rianna. „Schließlich bist du es, der hier die ganze Arbeit leistet.“
Als es begann zu dämmern, entdeckte Rianna eine Rauchsäule und machte Turmalon darauf aufmerksam, woraufhin er darauf zuflog.
„Ein Lagerfeuer?“, fragte sie sich. „Vielleicht finde ich ja dort einen Platz zum Schlafen.“
„Ich glaube nicht, dass man sehr erfreut sein wird, mich dort zu sehen!“, erwiderte Turmalon.
„Setzt mich einfach in der Nähe ab“, schlug sie vor, „den Rest gehe ich dann zu Fuß.“
Nachdem sie dann aber näher herankamen, bemerkte Rianna, dass der Rauch nicht wie angenommen von einem Lagerfeuer kam, sondern von einem Pferdefuhrwerk, welches in Flammen stand. Sie bat Turmalon etwas schneller zu fliegen, da sie nun wissen wollte, was dort unten vor sich ging. Turmalon legte seine Flügel an, ähnlich wie ein Raubvogel, der sich auf seine Beute stürzte. Nun schoss der Drache regelrecht ihrem Ziel entgegen. Kurz vor dem Lager breitete er seine Schwingen wieder aus, und begann dieses zu umkreisen. Rianna erkannte nun, dass die Wagen, die sie sah, zu der Karawane gehörten, die vor nicht ganz einer Woche noch in Horin gewesen war. Die Erklärung dafür, dass immer mehr der Wagen anfingen zu brennen, war, dass sie von Soldaten des benachbarten Königreichs angegriffen wurden. Dies irritierte Rianna, da sie wusste, dass die Händler mit beiden Reichen Handel betrieben. Aber vor allem deswegen, weil Eboria und Calay eigentlich im Frieden miteinander waren, und diese Handlung der Soldaten aus Calay auf dem Boden von Eboria mit Sicherheit Konsequenzen haben würde. Rianna sah, dass es unter den Händlern und deren Begleitschutz bereits Verletzte und sogar schon Tote gab. Wohingegen sie bei den Soldaten noch keinerlei Verluste erkennen konnte.
„Wir müssen ihnen irgendwie helfen“, beschloss Rianna, überlegte aber noch, wie sie das bewerkstelligen sollten. Die Karawane hatte wohl in einer Talsenke unmittelbar neben der Straße bereits ein Lager für die Nacht aufgeschlagen, bevor sie angegriffen wurden. Die Angriffe selbst fanden nur in dem der Straße am nächsten liegenden Teil des Lagers statt.
„Kannst du im hinteren Teil des Lagers landen?“, wollte Rianna wissen.
„Aber sicher doch!“, bestätigte Turmalon ihr. „Aber was hast du vor?“
„Vieleicht können wir die Soldaten auf Grund deiner Anwesenheit einschüchtern oder besser noch verjagen.“, antwortete Rianna.
„Einen Versuch ist es wert. Ich weiß auch schon, wie ich es machen werde!“, teilte der Drache ihr mit und gab einen ohrenbetäubendes Brüllen von sich. Dies schreckte, wie erhofft, die meisten Kämpfenden auf, die sofort in den immer dunkler werdenden Abendhimmel aufsahen. Da sich Turmalon mittlerweile aber kaum noch ausmachen ließ, erkannte niemand, woher dieses Geräusch kam.
Kurz darauf landete er mitten im Lager, wo er direkt ein weiteres Brüllen von sich gab. Dabei streckte er seinen Hals so weit nach oben, wie er konnte, und ließ seine Flügel ausgebreitet, um so groß und bedrohlich wie möglich zu wirken. Das Licht der in Flammen stehenden Wagen tat dabei sein Übriges.
Zu Riannas und Turmalons Verwunderung begannen die Soldaten plötzlich, kurz zu jubeln, als sie erkannten, was dort gelandet war. Was jedoch noch viel fataler war: durch den Schrei des Drachens wurden einige der, wohl eher kampfunerfahreneren, Händler und Söldner abgelenkt und blickten hinter sich. Dies nutzten die Soldaten gnadenlos aus.
„Jetzt auch noch ein Drache!“, hörte Rianna einen verletzten Mann neben sich rufen, welcher an ein Rad gelehnt war, „Wir sind verloren!“ *
„Das lief ja mal überhaupt nicht wie geplant“, stellte Rianna frustriert fest und stieg von Turmalon herunter. „Ich befürchte, wir haben die Sache nur noch verschlimmert. Denkst du, dass du ihnen helfen kannst, sich zu verteidigen?“
Der Drache gab ein tiefes Grummeln von sich und sagte dann: „Nun gut. Aber ich brauche Platz!“ Mit diesen Worten hob er wieder ab.
Rianna ging sofort auf den verletzten Mann am Rad zu und sagte: „Keine Angst! Wir wollen euch helfen.“ Der Mann sah sie jedoch nur ungläubig an, und da sie ihn nicht versorgen konnte, überlegte sie, wie sie ihre Worte in die Tat umsetzten sollte. Vom Schwertkampf hatte sie nicht im Ansatz genug Ahnung, um sich gegen die, ihrer Meinung nach, gut trainierten Soldaten behaupten zu können. Ganz davon abgesehen, dass sie derzeit kein Schwert besaß.
Den Bogen wollte sie auch nicht benutzen, da dieser unweigerlich zu schweren bis tödlichen Verletzungen führen würde. Dieses Risiko wollte Rianna nicht eingehen, sie wollte keine Menschen töten. Andererseits dachte sie sich dann, dass die Soldaten, die sie nicht verletzten wollte, gerade dabei waren andere Menschen zu töten.
„Was ist passiert? Wieso greifen euch die Calay-Soldaten an?“, wollte sie vom Verletzten wissen. Dieser sah sie immer noch misstrauisch an, sagte aber dennoch: „Nichts! Wir haben nichts getan. Wir waren gerade dabei, uns hier für die Nacht einzurichten, als sie die Straße entlangkamen. Und als wir sie dann fragten, was sie hier in Eboria zu suchen hatten, griffen sie uns an!“
Dies reichte Rianna aus, um auch ihre letzten Zweifel zu überwinden. Sie nahm den Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf. Jedoch fiel es ihr schwer, ein Ziel auszumachen, da die beiden kämpfenden Parteien dicht beieinander standen und sie nicht versehentlich den Falschen treffen wollte. Also wartete sie ungeduldig darauf, dass sich eine Gelegenheit bot.
Und diese kam. Als einer der Söldner nach hinten stolperte und auf den Boden fiel, schoss sie sofort auf den Soldaten, der gerade nachsetzen wollte und rettete so den Söldner vorerst das Leben. Dieser sah kurz nach hinten, um herauszufinden, woher der Pfeil gekommen war und bedankte sich dann bei Rianna mit einem deutlichen Kopfnicken. Kurz darauf sprang er wieder auf, um dem Soldaten, welcher wegen des Pfeils in seiner Brust ins Taumeln geraten war, den Rest zu geben. Letztlich trat er den Toten von sich weg und stürzte sich wieder in den Kampf. Auch Rianna suchte sich bereits ein neues Ziel, beobachtete dann aber, wie die Leiche des gefallenen Soldaten anfing zu brennen. Allerdings beschloss sie, dem später auf den Grund zu gehen und unterstütze wieder die Kämpfer der Karawane.
Turmalon landete derweil im Rücken der Soldaten. Diese hatten ihn zwar bemerkt, schienen sich aber nicht um ihn zu kümmern. Er konnte ohne Probleme dicht an sie heran, ohne dass sich einer zur Verteidigung umdrehte. Die Soldaten schienen ihn sogar zu begrüßen und machten ihm Platz, so als ob sie ihn einladen wollten, direkt vorne mitzumischen. Dies nahm er dann auch dankend an, und konnte ohne weiteres kurz hintereinander drei von ihnen außer Gefecht setzen. Er schlug sie einfach mit seinen Vorderpranken nieder.
Vor den ihm nun gegenüberstehenden Händlern und Söldnern wich er zurück, um ihnen zu zeigen, dass er nicht gegen sie kämpfen wollte. Diese beäugten die Situation einen Moment argwöhnisch, entfernten sich dann aber ihrerseits von Turmalon und eilten ihren Kameraden zur Unterstützung. Den Drachen ließen sie jedoch nicht aus den Augen.
Turmalon ignorierte das und suchte sich ebenfalls den nächsten Gegner. Diesmal jedoch waren die Soldaten vor ihm auf der Hut. Sie versuchten, sich gegen ihn zu verteidigen, sobald er in ihre Nähe kam, konnten jedoch kaum etwas seinen kräftigen Schlägen mit den Pranken entgegensetzen. Dennoch musste der Drache auch ein paar Treffer einstecken. Vor allem dann, wenn die Soldaten versuchten, seine Hiebe mit dem Schwert zu blocken oder diese gänzlich zu verhindern, indem sie gegen seine Beine schlugen. Zum Glück konnten sie ihn mit ihren Hiebwaffen trotz ihrer Bemühungen kaum verletzen.
Da die Soldaten jetzt klar unterlegen waren, was sowohl die Stärke als auch ihre Anzahl anging, zogen sie sich mit einem Mal zurück. Dies kam so plötzlich und ohne Vorwarnung, dass die Leute der Karawane für einen Moment nur perplex da standen und den Soldaten hinterhersahen. Turmalon lief ihnen hinterher, bis ihm einfiel, dass es ja ihr eigentliches
Ziel war, sie in die Flucht zu schlagen. Er brüllte ihnen eine weiter Drohgebärde hinterher und kehrte dann zurück zum Lager.
Dort wurde er allerdings nicht sehr freundlich empfangen. Der vorwiegende Teil der Söldner hatte sich mit gezogenen Waffen zwischen ihm und dem Lager aufgestellt.
Turmalon blieb auf gebührendem Abstand, fragte aber: „Was soll das? Wieso wollt ihr mich nicht durchlassen?“
„Weil ich nicht wüsste, was du hier verloren hast!“, antwortete ihm einer der Söldner. „Also mach, dass du wieder dort hinkommst, von wo du hergekommen bist!“
„So zeigt ihr also eure Dankbarkeit?“, fauchte Turmalon sie an. „Das hätte ich mir ja auch vorher denken können!“
„Bleib ruhig, Turmalon! Ich denke, sie haben nur Angst und wissen nicht anders damit umzugehen“, rief Rianna, die nun zwischen den Söldnern hervorgeeilt kam und sich zwischen sie und dem Drachen stellte. Dann sagte sie an die Söldner gerichtet: „Aber er hat recht! So dankt ihr jemandem, der euch zur Hilfe gekommen ist? Er hätte auch weiterfliegen können und nicht sein Leben riskieren müssen, nur um eures zu retten! Also seid doch bitte so freundlich und erweist ihm wenigstens eure Dankbarkeit.“
Die meisten der Söldner senkten ihre Waffen und begannen kurz miteinander zu diskutieren, dann sagte derselbe, der auch vorher das Wort ergriffen hatte: „Ich muss zugeben, dass du recht hast. Bevor ihr gekommen seid, stand es ziemlich schlecht um uns. Obwohl wir zu Beginn schnell einige von ihnen erledigen konnten, so waren sie doch in der Überzahl, und nicht jeder hier hat viel Kampferfahrung. Also gut, ich denke, ich kann im Namen aller sprechen und bedanke mich für eure Hilfe. Ich heiße übrigens Gerald, und bin so etwas wie der Anführer hier. Sagt also, was ihr von uns wollt!“
Rianna begann zu lächeln und antwortete: „Wir waren lediglich auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz.“
„Das sollte sich einrichten lassen“, erwiderte Gerald. „Aber zunächst sollten wir uns um die Verletzten kümmern. Und es sollte jemand den anderen Bescheid sagen, dass sie wieder aus ihren Verstecken kommen können, vor allem diese Tabea! Wir könnten jetzt ihr Wissen und ihre Tränke gebrauchen.“
„Tabea ist noch bei euch?“, bemerkte Rianna.
„Falls sie nicht geflohen ist, ja“, erwiderte Gerald. „Wieso? Was brauchst du von ihr?“
„Wir dürften gleich eine Überraschung für sie haben!“, antwortete Rianna. „Das kann aber noch einen Moment warten.“ Sie folgte den anderen und half ihnen bei der Versorgung der Verwundeten.
Turmalon hatte sich derweilen neben einem Lagerfeuer in der Mitte des Lagers hingelegt und beobachtete das Treiben, da er ohnehin nicht helfen konnte.
Nach einer Weile kam ein Mann zu Gerald gerannt und sagte zu ihm: „Tabea weigert sich, aus ihrem Wagen zu kommen. Sie hat sich darin eingeschlossen.“
„Lasst es mich einmal versuchen“, schlug Rianna vor, „vielleicht ist ihre Neugier, herauszufinden, wieso ich hier bin, größer als ihre Angst!“
„Bitte, wenn du glaubst, dass es funktioniert“, sagte Gerald.
Rianna begab sich zum Wagen von Tabea, klopfte an die Tür an und wartete auf eine Antwort. Da sie aber keine bekam, klopfte sie erneut und sagte dann: „Tabea, ich bin es, Rianna! Macht bitte die Tür auf, Ihr werdet gebraucht!“ Es dauerte einen Augenblick, dann hörte man auf der anderen Seite der Tür, wie jemand einen Riegel löste. Die obere Hälfte der Tür flog auf und Tabea warf einen Blick nach draußen. „Rianna! Wie kommst du denn hierher?“, fragte sie überrascht. Rianna zeigte in Turmalons Richtung und Tabea versuchte zu erkennen, auf was sie da zeigte.
Sofort sprang auch die untere Hälfte der Tür auf und die alte Frau rannte so schnell sie konnte, auf Turmalon zu. Als sie ihm näher kam, begann sie ihn sich genauer anzusehen. Man sah ihr die Freude ganz klar an. Für Rianna war es allerdings wichtiger, dass sie bei der Versorgung half und sagte daher: „Mir ist klar, dass Ihr lange nach einem Drachen gesucht habt, weswegen Ihr Anliegen bestimmt auch noch einen Tag warten kann. Wir werden auch morgen noch hier sein. Jetzt aber benötigen die Männer und Frauen hier eure Fähigkeiten als Heilerin.“
Murrend sah Tabea ein, dass Rianna recht hatte und ohnehin vorher keine Ruhe geben würde. Daher sagte sie: „Ist ja gut, ich hab es verstanden! Aber damit das klar ist, du wirst mir bei der Versorgung helfen.“ Die alte Frau ging zurück zu ihrem Wagen, drehte sich aber nochmals zu Rianna um und sagte leicht verstimmt: „Ich sagte doch gerade, dass du mir helfen sollst! Also komm mit!“ Sofort eilte sie Tabea hinterher.
In ihrem Wagen kramte die alte Frau in den Regalen herum. Sie holte einige Male verschiedene Flaschen heraus, sah sich deren Etiketten an und stellte sie dann wieder zurück, bis sie die Richtige gefunden hatte. Dies wiederholte Tabea noch einige Male, bis sie alles zusammenhatte. Dann nahm sie aus der Kommode Verbände, Nadeln und Faden.
„Ich gehe mal davon aus, dass du weißt, wie man Verletzungen reinigt und versorgt?“, sagte Tabea und gab Rianna einige der Verbände, eine Flasche mit einer Flüssigkeit und einen Tiegel mit derselben Salbe, die sie ihr auch in Horin gegeben hatte. „Mit dem Alkohol aus der Flasche säuberst du die Wunde“, erklärte Tabea, „und was du mit der Salbe machen musst, weißt du ja hoffentlich noch.“ Rianna nickte und Tabea fuhr fort: „Gut, dann kümmere du dich um die leichten Wunden. Ich übernehme den Rest.“
Es dauerte fast die halbe Nacht, bis alle versorgt waren und Rianna sich endlich ausruhen konnte. Sie hatte sich bei jemandem ein paar Decken geliehen, damit sie sich selbst ein Nachtlager errichten konnte und ging damit zu Turmalon.
„Endlich fertig?“, fragte er, worauf sie ihm nur noch zunickte. „Könntest du mir bitte noch den Sattel abnehmen? Und dann ruhst du dich bitte endlich aus! Du siehst nämlich aus, als würdest du gleich im Stehen einschlafen!“
„Schön, dass du dich so um mich sorgst“, entgegnete Rianna ihm erschöpft, „aber genau das hatte ich gerade vor.“
Nachdem sie Turmalon vom Sattel befreit hatte, legte sie ein paar Decken auf den, erdigen Boden, und bettete sich dann darauf. Doch kaum hatte sie sich hingelegt, schlief sie auch schon ein. Daher bemerkte sie auch nicht mehr, wie Turmalon sich direkt neben sie legte, seinen Hals und den Schwanz um sie herum platzierte und einen seiner Flügel wie eine Zeltplane über sie ausbreitete.

Endlich hatten Alia und Riam nach fast einer Woche das Beohgebirge hinter sich gelassen und erreichten nun den Wald von Kebor, welcher zu Calay gehörte. Sie waren hergekommen, um herauszufinden, ob die Behauptungen, dass sich Calay auf einen Krieg vorbereitete, der Wahrheit entsprachen. Dazu wollten sie unter anderem in die nahegelegene Stadt Kebor, in der sich auch eine Garnison befand. Dort würden sie mit Sicherheit etwas herausfinden. Aufgrund dessen waren sie auch wie normale Reisende gekleidet, um sich so frei wie möglich bewegen zu können.
„Wir sollten den Pferden nochmal eine Pause gönnen“, schlug Riam vor, als sie an einem Bach vorbei kamen. „Danach können wir bis Kebor durchreiten und sollten noch vor Einbruch der Nacht dort angekommen sein.“
„Einverstanden!“, erwiderte Alia und beide stiegen ab, um die Pferde zum Bach zu führen.
„Was denkst du? Stimmen die Gerüchte?“, wollte Riam wissen und ging dabei ein wenig auf und ab, um sich die Beine zu vertreten.
„Zuzutrauen wäre es König Adrian ja“, antwortete Alia nachdenklich. „Du weißt ja selbst, wie sehr die Beziehungen zu Eboria leiden, seit er auf dem Thron sitzt. Aber es geht hier nicht darum, was ich denke, sondern um das, was tatsächlich der Fall ist.“
Riam nahm ein Schluck aus seinem Wasserschlauch, während er Alia zuhörte. und verzog wegen des abgestandenen Wassers das Gesicht. Er kippte den restlichen Inhalt des Schlauches weg und trat an den Bach heran um ihn mit frischem Wasser zu füllen. Dann bedeutete er Alia, ihm auch ihr Gefäß zu geben, um es nachzufüllen. Dieses warf sie ihm auch sogleich zu, doch statt es zu fangen, landete es im Bach. Die dadurch entstandenen Spritzer schossen Riam bis ins Gesicht. Alia musste bei diesem Anblick sofort anfangen zu lachen, und auch Riam begann zu grinsen, nachdem er sich mit der Hand durchs Gesicht gefahren war. Er fischte den Beutel aus dem Wasser und befüllte auch ihn. Dann warf er ihn zurück zu seiner Besitzerin, die ihn mit einem Ächzen auffing.
„Genug herumgealbert!“, sagte Alia. „Wir sollten jetzt weiter.“

Einige Zeit später war endlich die Mauer von Kebor am Ende des Waldes zu sehen.
„Sobald wir in der Stadt sind, ruhen wir uns aber erst einmal eine Nacht aus, bevor wir uns umhören“, schlug Riam vor und Alia sagte nickend: „Eine hervorragende Idee!“
Kurz bevor sie den Waldrand erreichten, stellte sich ihnen eine Gruppe von sechs Männern in den Weg und zogen ihre Waffen.
„Na hervorragend, Wegelagerer! Das hat uns gerade noch gefehlt!“, seufzte Riam.
„Nein, eben nicht! Sieh dir an, was für Wappenröcke sie tragen!“, erwiderte Alia erstaunt, „Das sind Soldaten aus Eboria!“
„Stimmt! Aber was haben die hier zu suchen?“, wollte Riam wissen.
„Lass es uns herausfinden!“, antworte ihm Alia daraufhin.
Beide ritten an die Soldaten heran und Alia sagte zu ihnen: „Seid gegrüßt, Soldat. Wir sind Späher aus Horin, mit dem Auftrag herauszufinden, ob es in Calay tatsächlich Vorbereitungen für einen Angriff auf Eboria gibt. Deswegen verlange ich zu erfahren, was ein Trupp Soldaten aus Eboria hier zu suchen hat! Wo ist euer vorgesetzter Offizier?“
Die angesprochen Soldaten reagierten nicht auf ihre Frage, und bevor Alia sie nochmals wiederholen konnte, tauchten weitere Männer neben und hinter ihnen auf, sodass die beiden Kundschafter nun umstellt waren. Geistesgegenwärtig trieben sie ihre Pferde zum Galopp an, um durch die vor ihnen stehenden Soldaten durchzubrechen. Alia gelang dies ohne Probleme, jedoch hörte sie, wie Riams Pferd aufschrie, als es von einem Schwert am Bein getroffen wurde und zu Boden ging. Riam kam schnell auf die Beine und zog sein Schwert, um die Schläge der Soldaten zu parieren. Er war nicht der beste Schwertkämpfer, aber für diese Männer schien es zu reichen, zumindest solange es nicht zu viele waren.
„Komm her!“, rief ihm Alia zu, die stehen geblieben war und wollte, dass Riam zu ihr auf ihr Pferd stieg. Dies befolgte er auch sofort und rannte, so schnell er konnte, auf sie zu. Sie reichte ihm die Hand und zusammen mit einem kräftigen Sprung schaffte er es auf den Rücken des Tieres. Alia trieb ihr Pferd sofort wieder an. Sie verließen den Wald, kamen jedoch nicht sehr viel weiter, da nun auch ihr Tier zu Boden ging. Nachdem auch die Eboria-Soldaten den Waldrand passierten, hörte man in Kebor ein Horn ertönen. Alia stand auf, und noch etwas benommen von dem Sturz, sah sie ein Messer im Oberschenkel des Pferdes stecken. Sie bemerkte, dass Riam noch am Boden lag und sich bemühte hochzukommen, da sein Fuß unter dem Reittier feststeckte. Zum Glück konnte sie das Pferd jedoch zum Aufstehen bewegen, indem sie das Messer aus dem Bein zog. Alia half Riam auf, allerdings hatten die Soldaten sie mittlerweile wieder eingeholt. Wegrennen konnten sie nicht, da Riam wegen seines Fußes mit Mühe gerademal gehen konnte, und Alia wollte ihn keinesfalls im Stich lassen. Ihre einzige Möglichkeit war also, sich zu verteidigen.
Wie Riam schon feststellte, waren diese Soldaten nicht sonderlich gut ausgebildet, weshalb die beiden vorerst die Oberhand behielten. Dies konnte sich jedoch schnell wieder ändern, wenn man die bloße Anzahl an Gegnern betrachtete. Es hatten sich mittlerweile gut zwei Dutzend Soldaten versammelt. Allein der Umstand, dass sie wie Kinder kämpften, denen man zum ersten Mal ein Schwert in die Hand gedrückt hatte, machte diesen Vorteil wieder wett. Jedoch drohten sie nun eingekreist zu werden. Als dies geschah, kämpften beide Rücken an Rücken, allerdings waren sie so sehr damit beschäftigt, die Schläge der Soldaten abzuwehren, dass sie gar nicht dazukamen, selbst anzugreifen. Sie hatten also keine Chance, diesen Kampf zu gewinnen.
Einen Moment später erklang weiter Kampflärm unmittelbar neben ihnen. Dies lenkte Riam einen Augenblick ab, da ihn interessierte, woher dieser kam. Jedoch kam ihm diese Neugierde teuer zu stehen. Einer der Soldaten nutzte diesen Moment der Unaufmerksamkeit und rammte ihm sein Schwert tief in den Bauch. Ungläubig tastete er nach der Wunde und sah dann das Blut an seiner Hand. Die Soldaten hatten allerdings keine Zeit mehr, ihm auch noch den Rest zu geben, da sie nun von den Wachen aus Kebor schnell zurückgedrängt wurden. Es dauerte nicht lange, bis die Hälfte der Soldaten am Boden lag, was die andere Hälfte dazu veranlasste, die Flucht zu ergreifen. Schnell verteilten sie sich und rannten wieder Richtung Wald und verschwanden dort. Die Wachen machten keine Anstalten, sie zu verfolgen, stattdessen rief einer: „Schnell, holt einen Heiler!“
Erst da bemerkte Alia, das Riam schwer verletzt war. Augenblicklich riss sie dem am Boden liegenden Späher das Hemd hoch und presste einen Verband, den sie aus ihrer Taschen genommen hatte, auf die Wunde.
„Halte durch!“, flehte Alia ihn an, „ du hast ja gehört, Hilfe kommt gleich!“ Sie tauschte den mittlerweile blutdurchtränkten Verband gegen einen neuen aus, der sich aber genauso schnell mit Blut vollsog.
Dann kamen etwa ein Dutzend Soldaten durch das Tor herangeritten und einer von ihnen sagte: „Wie ich sehe, habt ihr alles unter Kontrolle.“
„Ja, diese Soldaten waren ungewöhnlich leicht außer Gefecht zu setzen. Allerdings sind einige von ihnen zurück in den Wald geflohen“, antwortete der Angesprochene. „Außerdem wurde einer von denen, welche die Angreifer verfolgen, schwer verletzt. Ich habe aber bereits nach einem Heiler schicken lassen!“
„In Ordnung“, antwortete der Reiter. Dann sagte er zu den Männern, die mit ihm auftauchten: „Verfolgt sie und nehmt sie, wenn möglich, gefangen!“
Sofort ritten die restlichen Reiter los und verfolgten die Soldaten.
Dann stieg er ab, ging auf Alia zu und sagte zu ihr: „Meine Männer werden sich um ihn kümmern! Kommt, ich würde mich gerne mit euch unterhalten.“ Er bedeutete einem der Wachen, sich dem Verletzten anzunehmen.
„Mein Name ist Geron, ich bin Kommandant der hiesigen Garnison!“, stellte sich der Reiter vor. „Ich würde gerne erfahren, wer ihr seid und wieso euch diese Soldaten angegriffen haben!“
„Wir sind einfache Reisende“, antwortete Alia und man konnte Gerons Gesichtsausdruck entnehmen, dass ihm diese Antwort nicht genügte. Er ließ sie dennoch erst zu Ende reden: „Diese Männer haben uns kurz vor dem Waldrand abgepasst und ohne erkennbaren Grund angegriffen.“
„Das ist alles?“, hinterfragte Geron und sie nickte ihm lediglich zu. Dann flüsterte ihm eine der Wachen zu, sodass Alia es nicht mitbekam: „Für einfache Reisende konnten sie sich erstaunlich gut gegen die Soldaten halten. Diese haben zwar wie Anfänger gekämpft, aber selbst dann muss man viel Erfahrung haben, um gegen so viele gleichzeitig bestehen zu können.“ Geron stimmte ihm zu und sagte dann zu Alia: „Ihr kommt erst einmal mit uns mit, für mich hört sich das noch nicht ganz schlüssig an, was ihr da erzählt. Wenn meine Männer wiederkommen und hoffentlich einige Gefangene mitbringen, können wir die Sache bestimmt klären.“
„Sind wir auch eure Gefangenen?“, wollte Alia wissen.
„Erst einmal seid ihr meine Gäste“, antwortete der Kommandant, „bis ich etwas anderes sage!“
„Also doch Gefangene“, dachte sich Alia, sagte aber nichts mehr.
Plötzlich hörte man, wie eine der Wachen aufschrie, welche sich über eine der Leichen gebeugt hatte, um diese zu untersuchen. Alle Gefallenen hatten begonnen, bis zur Unkenntlichkeit zu verbrennen.

Zum zweiten kommt jetzt noch das versprochene "nicht Jugendfreie" Kapitel.
Dazu muss ich jedoch zugeben, dass es recht kurz ist und glaube, das es mir nicht ganz so gut gelungen ist. Aber lest und entscheidet selbst.
Und zur Vorwarnung! Folgende Inhalte: Oral, M/F(Drache/Mensch)

Es war mitten in der Nacht, als Rianna nassgeschwitzt aufwachte. Die Decken, mit denen sie sich eigentlich vor der nächtlichen Kälte schützen wollte, hatte sie - wohl im Schlaf - von sich geworfen und ihre gesamte Kleidung klebte an ihrem Körper. Ihr war heiß wie noch nie und die schwüle Luft machte es keinesfalls besser. Es war zwar Sommeranfang, aber in den Bergen war es selten so warm wie jetzt, vor allem nicht nachts und schon gar nicht, wenn der Tag zuvor eher mild war.
Sie setzte sich auf und sah sich irritiert um, konnte aber kaum etwas erkennen. Das, was sie jedoch sah, begann ihr aber Angst zu machen. Sie befand sie merkwürdigerweise in einer kleinen Höhle, die nicht mal einen Ausgang zu haben schien. Rianna fragte sich, wie sie hierhergekommen war und versuchte sich erst einmal zu beruhigen. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, versuchte sie aufzustehen. Dabei stieß sie jedoch mit dem Kopf gegen die Decke der Höhle. Rianna zuckte zusammen und hocke sich wieder auf den Boden. So klein wie die Höhle war, hätte sie sich auch denken können, dass sie nicht sonderlich hoch war. Nun versuchte sie durch Ertasten etwas zu finden, was sie wegen der Dunkelheit vielleicht übersehen hatte.
Rianna fühlte zuerst nach dem, was sich über ihr befand und spürte etwas Weiches, Lederartiges. Ihr dämmerte langsam, was los war und wo sie sich befand. Sie tastete weiter ihre Umgebung ab und spürte dann die schuppige Haut von Turmalon. Er hatte sich wohl, zu ihrem Schutz, um sie herum zusammengerollt und so die vermeintliche Höhle gebildet, in der sie nun lag.
Nun, da Rianna wusste, dass ihr keinerlei Gefahr drohte, konnte sie sich auch wieder völlig entspannen. Sie lehnte sich gegen seinen Körper und atmete einige Male tief durch. Dabei bemerkte sie einen Geruch, welcher ihr zwar schon die ganze Zeit in der Nase lag, ihn aber erst jetzt bewusst wahrnahm. Es war ein sehr intensiver, aber keineswegs unangenehmer Duft, welcher sie langsam betörte. Rianna beschloss, die Quelle des Geruches auszumachen. Da aber der gesamte Raum, in dem sie sich befand, davon regelrecht durchtränkt war, konnte sie sich nicht allein auf ihren Geruchssinn verlassen.
Vorsichtig kroch Rianna umher und fand sich schließlich an Turmalons Kopf wieder, welcher er auch unter seinem Flügel vergraben hatte. Sie spürte, wie sein Atem über ihre nasse Haut strich und ihr dort ein wenig Kühlung verschaffte. Allerdings kam ihr hier der Geruch nicht mehr so intensiv vor, sodass sie sich sicher war, hier nicht den Ursprung zu finden.
Sie tastete sich an seinem Bauch entlang, der ihr offen zugewandt lag. Die glatten, trockenen Schuppen glitten unter ihren Fingern hinweg, bis sie plötzlich auf etwas Feuchtes stießen. Sofort zog Rianna ihre Hand zurück. Sie verrieb die glitschige wirkende Flüssigkeit zwischen ihren Fingern und roch dann daran. Sie hatte den Ursprung ihrer, immer stärker werdenden Erregung endlich gefunden. Nun nahm Rianna die Finger in den Mund, um auch den Geschmack zu kosten. Sie umspielte ihre Finger mit der Zunge und nahm ein salziges und zugleich süßes Aroma auf, welches in ihr einen wohligen Schauer verursachte.
Rianna betrachtete nun die Stelle, welche sie eben berührt hatte und fand dort zu ihrer Überraschung etwas, was sie an ihren eigenen Intimbereich erinnerte.
„Nanu?“, wunderte sich Rianna leise. „Ich dachte, du bist ein männlicher Drache!“
Zärtlich berührte sie den Schlitz und fuhr ihn mit dem Finger entlang bis zu seinem vorderen Ende. Dort lugte, wie nicht anders von ihr erwartet, eine kleine Spitze heraus. Diese nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger, drückte sie sanft zusammen oder zwirbelte sie leicht hin und her. Rianna wusste von sich selbst nur zu gut, welches Vergnügen es bereitete, sich dort zu berühren. Und da sie ohnehin an nichts anderes mehr denken konnte, entledigte sie sich ihrer Kleidung, die sie sowieso nur noch als störend empfand.
Danach wanderte eine Hand zu ihrer eigenen Lustperle und bearbeitete diese auf dieselbe Art wie zuvor bei Turmalon. Dabei empfand sie jede Berührung um ein vielfaches intensiver als sie es gewohnt war. Gleichzeitig streichelte sie mit der anderen Hand wieder über den Spalt des Drachen und drang vorsichtig mit einem Finger ein.
Zu Riannas Überraschung begann die Spitze plötzlich zu wachsen. Sie beobachtete verblüfft, wie langsam erst die Eichel und dann der Schaft aus dem Spalt herauswuchs. Ihr streckte sich nun ein unterarmlanger Drachenpenis entgegen, welchen sie nun mit Freude verwöhnen wollte.
Behutsam begann Rianna, die spitz zulaufende Eichel zu küssen und mit ihrer Zunge zu umkreisen. Ein Gewitter der Erregung durchströmte ihren Körper, als sie kurz von ihm abließ, um ein weiteres Mal den unvergleichlichen Geschmack aufzunehmen, den sein gesamtes Glied benetzte.
Gierig stürzte sie sich wieder auf sein Gemächt und kümmerte sich nun um den Schaft, der aussah, als hätte er mehrere Knoten hintereinander, deren Umfang zur Wurzel hin zunahmen. In mehreren Zügen leckte sie seiner gesamten Länge entlang. Dann nahm sie ihre Hände zu Hilfe. Rianna glitt mit ihnen von der Spitze bis zum Ansatz und setzte wieder oben an, sobald sie das Ende des Gliedes erreichte. Dabei fuhr sie auch über die kleinen, spitzen Stacheln, die sich rund um den Eichelkranz befanden. Sie spürte, dass sie weich genug waren, sodass man sich nicht daran verletzen konnte, wie sie zunächst befürchtet hatte. Sie nahm daher die Spitze wieder in den Mund und versuchte diesmal, so viel wie möglich aufzunehmen, konnte jedoch nur die Eichel selbst mit ihren Stacheln unterbekommen. Genüsslich saugte und lutschte sie daran, während sie gleichzeitig den Rest des Penis weiter mit ihren Händen bearbeitete.
Rianna erschrak, als plötzlich etwas Feuchtes ihre Scham berührte. Es dauerte einen Moment, bis sie nachsehen konnte was es war, da sich die Stacheln hinter ihren Zähnen wie Widerhaken festgesetzt hatten und sie sich erst davon befreien musste. Dann aber konnte sie sehen, wie Turmalon mit seinem Kopf an sie herangekommen war und mit seiner langen, schmalen Zunge an ihr herumzüngelte.
„Du duftest herrlich“, ließ er sie wissen, woraufhin sie ihm zulächelte.
Zum Dank für dieses Kompliment machte sie dort weiter, wo sie aufgehört hatte.
Turmalon revanchierte sich seinerseits damit, dass er begann, mit seiner Zunge die vor ihm kniende Schönheit zu verwöhnen. Rianna spreizte ihre Beine ein wenig, um ihm den Zugang zu erleichtern, als sie spürte, wie er dort zugange war.
Er begann damit, ihre Schamlippen zu umspielen und fuhr gelegentlich auch durch ihren Spalt, drang aber nicht in sie ein. Rianna fing an zu stöhnen oder versuchte es zumindest, den der „Knebel“ in ihrem Mund dämpfte ihre Geräusche. Nach einiger Zeit strich er mit seiner rauen Zunge über ihren überempfindlichen Schambereich und trieb sie bis kurz vor ihren Höhepunkt. Kurz davor hörte er jedoch auf, um Riannas Behandlung für eine Weile zu genießen.
Enttäuscht darüber, das Turmalon ihr keine Erlösung verschafft hatte, musste sie nun selbst Hand anlegen, um diese zu bekommen. Sie führte zwei ihrer Finger in sich ein und massierte gleichzeitig ihren Kitzler. Schnell war sie wieder kurz vor ihrem Höhepunkt, schaffte es aber nicht, die Schwelle zu überschreiten, egal wie sehr sie sich bemühte. Andererseits hatte es für Rianna auch einen gewissen Reiz, dies solange nicht zu können. Nach einer Weile wandelte sich dieser Reiz jedoch in Verzweiflung, weswegen sie auch ihre zweite Hand zu Hilfe nehmen und ganz von Turmalons Gemächt ablassen wollte.
„Nein, mach bitte weiter!“, bat Turmalon Rianna.
Sie hielt einen Moment inne und spürte dann seine Zunge zwischen ihren Beinen. Diese Mal fand das flexible Organ den Weg in ihr Inneres. Langsam glitt er immer wieder in sie ein und aus, jedoch nicht sehr tief, konnte ihr aber erneut ein gedämpftes Stöhnen entlocken. Auf diese Weise motiviert, bemühte sie sich wiederum, ihm zu seiner Erleichterung zu verhelfen.
Es dauerte nicht lange, dann spürte sie, wie Turmalons Glied anfing zu zucken und auch sie selbst endlich über die Schwelle trat. Rianna war klar, was jetzt kommen würde und wollte sich wieder von seiner Eichel befreien. Da sich die Stacheln diesmal verhärtet hatten und sich auch vom Schaft abspreizten, gelang ihr dies jedoch nicht so schnell wie beim letzten Mal.
Der erste Schub seines Samens schossen ihr direkt in den Rachen und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn zu schlucken. Erst nach drei weiteren Ladungen schaffte Rianna es, sich von ihm zu lösen. Sie lehnte sich zurück und während sie ihrem eigenen, lang ersehnten Orgasmus erlag, entlud sich Turmalon weiter und verteilte seinen Samen über ihr. Da sie von ihrem Höhepunkt übermannt wurde, legte sie sich auf den Boden, um sich auszuruhen. Es würde einige Zeit dauern, bis sich Rianna erholt hätte, doch hielt das Turmalon nicht ab, weiter zu machen. Da ihr gesamter Körper mit seinem Samen bedeckt war, begann er nun sie sauber zu lecken. Er begann bei ihren Beinen und wanderte nach und nach immer höher. Bevor er jedoch ihre Scham erreichte, wechselte er zu ihren Armen. Auch diese säuberte er abwechselnd und bahnte sich einen Weg bis zu ihren Brüsten. Mit ihnen ließ er sich jedoch besonders viel Zeit. Er umschlang sie mit der langen Zunge und knetete sie durch. Gleichzeitig umspielte er mit der Spitze ihre Brustwarzen, was Rianna erneut dazu veranlasste, leise aufzustöhnen. Sie griff nach ihrer anderen Brust, an der sich noch sein Sperma befand und massierte es in sie ein. Mit der andern Hand strich Rianna über ihren, noch immer glitschigen Bauch und spielte dann mit ihrer Lustperle. Nach einer Weile folgte Turmalon ihrer Hand und löste sie dort ab. Wieder spielte er mit ihr und führte sie schnell zu ihrem zweiten Orgasmus, der ihren ganzen Körper zum Erzittern brachte. Dies kostete sie ihre restliche Kraft und schlief daher, wenige Augenblicke später, erschöpft ein.
Turmalon befreite sie noch vorsichtig, ohne sie wecken zu wollen, von den letzten Spuren ihres Liebesspiels. Dann legte auch er sich wieder hin und schlummerte wieder ein.
 
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darkblood

Gläubiger
Kapitel 5

Unsanft wurde Rianna von einem Hämmern geweckt. Langsam richtete sie sich auf, um nach der Quelle des Lärmes zu suchen und entdeckte, wie jemand mit einem Hammer das Rad einer Kutsche bearbeitete. Es dauerte einen Moment, bis ihr wieder bewusst wurde, wo sie war. Der Mann mit dem Hammer war aber nicht der Einzige. Um sie herum waren die meisten Mitglieder der Karawane damit beschäftigt, die Spuren der gestrigen Geschehnisse zu beseitigen.
Ein Blick in den Himmel verriet Rianna, dass sie später wach wurde, als sie es gewohnt war.
Die Sonne war schon lange aufgegangen, stand aber noch lange nicht im Zenit.
Als nächstes sah sie sich nach Turmalon um, welcher nicht mehr zu sehen war. Dies veranlasste sie endlich dazu, aufzustehen und sich in der näheren Umgebung nach dem Drachen umzusehen. Doch sie konnte ihn nirgends entdecken.
„Wenn du deinen Drachen suchst, der lässt ausrichten, er hätte Hunger und ist vorhin losgeflogen, um zu jagen!“, sagte ein Söldner, der bemerkte, wie sie sich hektisch umsah.
Rianna beruhigte sich wieder von dem kurzen Schrecken, dankte dem Söldner für die Auskunft und ging zurück zu ihrem Nachtlager. Hier befreite sie die Decken, auf denen sie geschlafen hatte, von Staub und Dreck und faltete sie zusammen. Rianna wollte sie möglichst bald ihrem Besitzer zurückgeben. Dabei begann sie jedoch langsam, ebenfalls Hunger zu bekommen, was sie von ihrem knurrenden Magen bestätigt bekam. Also nahm Rianna ihre Tasche vom Boden, um dort etwas Essbares herauszuholen. Doch hatte sie die Tasche noch nicht ganz geöffnet, als ihr klar wurde, dass sie nichts darin finden würde um ihren Hunger zu stillen.
Eigentlich hatte sie zuhause vorgehabt, einige Lebensmittel aus der Vorratskammer mitnehmen. Da Silvia sie aber in ihrem Zimmer dabei erwischt hatte, wie sie ihre Sachen zusammengepackt hatte und dann dort eingeschlossen wurde, musste Rianna diese Vorhaben jedoch wieder aufgeben. Leider hatte sie es auch völlig versäumt, sich stattdessen wo anders ein paar Vorräte zu besorgen. Nur gut, dass sie nun bei den Händlern war, bei denen sie sich immerhin etwas kaufen konnte. Der Grund, weshalb sie hier war, war dafür natürlich weniger erfreulich. Zunächst brachte sie aber die geliehenen Sachen zurück.
„Ich danke Ihnen für die Decken“, sagte Rianna zu einem kleineren Mann, der damit beschäftigt war, seine Pferde, die seinen Wagen zogen, zu füttern.
„Nichts zu danken!“, antwortete der Händler. „Nachdem du und dein Drache uns gestern Abend das Leben gerettet haben, war das das Mindeste, was ich für euch tun konnte! Wenn es sonst noch etwas gibt, was ihr braucht, scheut euch nicht zu fragen.“
„Ja, da gibt tatsächlich noch etwas, das ich bräuchte.“, erwiderte Rianna. Dabei verzog der Händler jedoch sein Gesicht, als ob er seine Aussage bereits bereuen würde und diese lediglich einer vorgetäuschten Hilfsbereitschaft halber geäußert hatte. In Wahrheit schien er jedoch zu hoffen, dass Rianna nichts mehr benötigen würde.
„Ich war bei meiner Abreise so in Eile, dass ich meine Essensvorräte habe liegen lassen“, fuhr Rianna fort. „Falls Ihr also etwas habt, was ihr entbehren könntet, wäre ich euch sehr dankbar dafür.“
Der Mann überlegte einen Moment und entgegnete dann: „Nein, leider nicht! Ich habe meine Vorräte selbst ein wenig knapp für diese Reise bemessen.“
„Trotzdem danke“, sagte Rianna und verabschiedete sich vom Händler.
Sie wollte gerade weitergehen, als Gerald sie ansprach: „Hallo! Gestern Abend kam ich ja nicht mehr dazu, aber ich würde mich gerne mit euch unterhalten.“
„Meinetwegen gerne“, erwiderte Rianna. „Worüber wollt ihr denn mit mir reden?“
„Kommt zunächst einmal mit mir mit!“, sagte Gerald und bat sie, ihm zu folgen, „Es muss ja nicht jeder mitbekommen, was wir miteinander zu besprechen haben!“
Beide gingen auf die Straße zu, auf der sie am Abend zuvor gegen die Soldaten aus Calay gekämpft hatten.
„Eine Kundschafterin aus Horin, die mit einem Drachen unterwegs ist!“, stellte Gerald fest. „Eine Kombination, die mit Sicherheit ihre Vorzüge hat, wenn man bedenkt, wie schnell man sich in der Luft fortbewegt kann und sich dabei keinerlei Gedanken machen muss, ob das Gelände auch passierbar ist. Nein, man fliegt einfach darüber hinweg und kann so alle Probleme, die auf dem Boden lauern, umgehen. Und als Waffe ist er auch äußerst schlagkräftig, wie man ja sehen konnte. Dennoch war mir nicht bekannt, dass Horin einen Drachen sein eigen nennt! Andererseits wusste ich auch nicht, dass Soldaten anfangen zu brennen, nachdem man sie getötet hat.“
Beide blieben nun auf dem Weg stehen und man konnte sehen, wovon er sprach. Überall um sie herum lagen verbrannte Leichen. Rianna schätzte, dass es etwas mehr als ein Dutzend waren und sagte dann: „Ja, dieses … Phänomen habe ich auch beobachtet und konnte es kaum glauben.“ Sie trat an einen der verbrannten Köper heran und betrachtete ihn genauer. Außer der menschenähnlichen Form war jedoch nicht mehr viel zu erkennen.
„Ich sollte erwähnen, dass ich zwar aus Horin komme, wie Ihr richtig vermutet habt, aber ich bin keine Späherin.“, gestand Rianna. „Dass ich eine ihrer Rüstungen trage, liegt an einer guten Freundin. Sie ist Späherin und da sie mich im Bogenschießen ausgebildet hat, gab sie mir diese, da man sich darin besser bewegen kann als in einem Kleid.“ Dabei sah sie Gerald direkt an und dieser konnte nun das erste Mal deutlich in ihre Augen sehen. „Und um noch etwas klarzustellen: Turmalon ist weder in meinem noch in sonst jemandes Besitz!“, fuhr sie in einem scharfen Ton fort. „Daher bitte ich Euch, solche Aussagen in Zukunft zu unterlassen! Besonders ihm gegenüber!“ Rianna beruhigte sich wieder und fragte dann: „Aber das war doch nicht alles, worüber Sie mit mir sprechen wollten, nicht wahr?“
Gerald schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, mir ist gestern noch etwas Merkwürdiges an den Soldaten aufgefallen!“
„Merkwürdiger als grundlos anzugreifen?“, erkundigte sich Rianna. „Oder, dass sie in Flammen aufgehen?“
„Nun, mir ist aufgefallen, wie sie sich Eurem Drachen gegenüber verhalten haben“, antwortete Gerald und Rianna sah ihn durchdringend an. „Die Soldaten hatten ihm zu Beginn kaum Beachtung geschenkt, schienen sogar davon auszugehen, dass er mit an ihrer Seite kämpfen würde. Erst später, als sie merkten, dass er gegen sie war, wehrten sie sich gegen ihn. Mich würde interessieren, wieso sie das getan haben!“
„Ich kann mich erinnern. Als wir im Lager landeten, begannen die Soldaten zu jubeln!“, fügte Rianna hinzu. „Ich habe keine Erklärung dafür. Ob Turmalon das kann, weiß ich nicht! Allerdings bin ich mir sicher, dass er ebenso überrascht darüber war wie Sie und ich.“
„Das wird er mir dann selbst bestätigen müssen.“, erwiderte Gerald. „Wo ist er überhaupt? Ich habe nur mitbekommen, dass er eben das Lager verlassen hat.“
„Er ist zum Jagen unterwegs.“, entgegnete Rianna. „Aber weshalb interessiert Euch das überhaupt?“
Nun war es Gerald, der die Fassung verlor: „Ich habe gestern Abend vier gute Männer und einige Händler verloren, drei weitere sind schwer verletzt. Dabei ist nicht einmal sicher, ob sie den nächsten Tag noch erleben werden. Fast alle anderen hier haben irgendwelche Verletzungen davongetragen. Hinzu kommt, dass vier Wagen der Händler abgebrannt sind. Ich würde einfach gerne wissen, wieso wir gestern von etwa drei Dutzend Soldaten ohne Grund angegriffen worden sind. Es waren zwar zum größten Teil die miserabelsten Kämpfer, gegen die ich je antreten musste, dennoch hat ihre schiere Überzahl diesen Nachteil wieder ausgeglichen. Und der Einzige, der mir möglicherweise ein paar Antworten geben kann, ist Euer Drache!“
Rianna war erschrocken über die Tatsachen, die ihr Gerald gerade unterbreitete. Ihr war zwar klar, dass die Leute hier Verluste zu beklagen hatten, jedoch hatte sie dies noch nicht verinnerlicht. Plötzlich wurde Rianna bewusst, dass das Leben nicht immer so läuft, wie man es gerne hätte. Sie hatte, bis auf ihre Mutter, keinerlei Verluste erfahren müssen, und nie einen nahen Verwandten betrauert. Selbst den Tod ihrer Mutter hatte sie nicht als solchen wahrgenommen, da diese ja kurz nach Riannas Geburt verstorben war. Rianna wurde schwindelig, weshalb sie sich auf den Boden setzte. Diese Erkenntnis musste sie jetzt erst einmal verarbeiten.
„Was ist los?“, wollte Gerald wissen, der sie nun besorgt ansah. „Geht es Euch nicht gut?“
Rianna schüttelte den Kopf und sagte: „Doch, mit mir ist alles in Ordnung. Allerdings frage ich mich, ob ich das Richtige getan habe.“
„Um ehrlich zu sein, hätte Euer Erscheinen gestern zwar etwas besser laufen können“, sagte Gerald, „dennoch, woher solltet ihr beiden auch wissen, wie man auf euch reagiert? Außerdem konntet ihr uns ja schließlich helfen und daher denke ich, dass es nicht ganz falsch gewesen sein kann!“
„Danke, aber das habe ich nicht gemeint“, erwiderte Rianna und stand wieder auf. „Es tut mir leid wegen euren Männern und dass ich die Fragen nicht beantworten konnte.“
„Ich verstehe“, sagte Gerald und wirkte dabei enttäuscht. „Ich habe ohnehin nicht erwartet, dass ich ein paar Antworten bekomme. Aber Ihr könnt mit Sicherheit auch nachvollziehen, warum ich frage!“
„Selbstverständlich kann ich das“, entgegnete Rianna, „und ich würde euch auch wirklich gerne weiterhelfen. Wenn Turmalon nachher wieder zurückkehrt, werde ich ihn darauf ansprechen und dann mitteilen, was er darüber weiß. Oder kommt einfach zu uns und fragt ihn selbst.“
„Einverstanden. Ich sehe jetzt erst einmal nach meinen Männern“, erklärte Gerald. „Wir sehen uns dann später!“
Kurz darauf tauchte Tabea zwischen den Überresten zweier verbrannter Pferdeanhängern auf und ging auf Gerald und Rianna zu.
„Tabea! Zu dir wollte ich gerade kommen“, sagte Gerald und begrüßte die alte Frau.
„Dann hätte ich mir den Weg ja sparen können!“, meinte Tabea trocken und ignorierte seinen Gruß. „Rianna, meine Liebe, schön dich zu sehen. Dann war der Weg ja nicht ganz umsonst“, sagte sie nun wesentlich freundlicher. „Wo ist denn der Drache? Ich habe ihn nirgends gesehen!“
„Wieso will eigentlich jeder wissen, wo Turmalon ist?“, fragte sich Rianna, sagte aber stattdessen: „Er ist unterwegs, sollte aber bald wieder auftauchen.“
„Ah ja, das ist gut! Ich kann es kaum noch erwarten, ihn mir genauer anzusehen“, erklärte die alte Frau und man merkte ihr an, wie aufgeregt sie war. Dies legte sich jedoch schnell, als sie sich erneut an Gerald wandte: „Die drei Verletzten sollten wieder auf die Beine kommen. Was sie jetzt aber erst einmal brauchen, ist Ruhe!“
„Dann werden wir heute hier bleiben!“, schlug der Karawanenanführer kurz entschlossen vor. „Ich denke, die meisten werden diese Pause wegen der gestrigen Kämpfe begrüßen.“
Die Drei sahen in den strahlend blauen Vormittagshimmel, nachdem ein Schatten über sie hinwegflog. Dieser gehörte natürlich zu Turmalon, der im hinteren Teil des Lagers landete.
„Na endlich!“, stieß Tabea erfreut hervor und machte sich sogleich auf den Weg zum Drachen. Gerald folgte ihr, und Rianna war abermals erstaunt darüber, wie schnell die alte Frau sein konnte, wenn sie wollte. Dabei musste man bedenken, dass sie sich eben noch nur mit Hilfe ihres Gehstock, auf den sie sich stützte, bewegen konnte. Rianna fragte sich, ob Tabea allen nur etwas vorspielen würde. Im Grunde konnte es ihr aber auch egal sein, schließlich schadete die alte Frau damit auch niemanden.
Als Rianna wieder zu den beiden aufschloss, war Tabea damit beschäftigt, sich Turmalon genauestens von Kopf bis Schwanz anzusehen. Dem Drachen, der noch etwas von seiner Jagdbeute im Maul trug, schien diese ungewohnte Aufmerksamkeit nicht zu behagen. Hilfesuchend sah er Rianna an und fragte: „Was will diese Frau von mir?“
„Wunderbar!“, meinte Tabea und tänzelte leichtfüßig um den Drachen herum. Gleichzeitig wurde sie von diesem die ganze Zeit über skeptisch beobachtet.
„Es ist aber ungewöhnlich, dass ein Drache seines Alters alleine unterwegs ist!“ erklärte Tabea. „Normalerweise bleiben sie, bis sie ausgewachsen sind, bei den Eltern, da bis dahin ihre Schuppen noch nicht ausgehärtet sind und daher noch nicht so viel Schutz bieten. Wobei ich nicht bestreiten will, dass sie auch jetzt schon nicht ganz leicht zu durchdringen sind. Außerdem lernen sie auch währenddessen alles Nötige von ihnen. Sag schon, was ist mit deinen Eltern passiert?“
„Das geht sie nichts an!“, sagte Turmalon zu Rianna.
„Bist du etwa deswegen so abgemagert?“, fragte die alte Frau und tätschelte Turmalon dabei ein paar Mal mit der Hand auf den Bauch, woraufhin er sich zu ihr umdrehte und sie anknurrte.
„Na, na, mein Kleiner! Wer wird denn hier gleich sauer werden? Keine Angst, ich werde dir schon nichts tun!“, witzelte Tabea und fuhr damit fort, ihn sich zu betrachten.
„Ich werde ihr aber gleich etwas antun, wenn sie so weiter macht!“, meinte Turmalon.
„Bleib ruhig und sei doch froh darüber, dass es auch Menschen gibt, die sich darüber freuen können, einen Drachen zu sehen“, erwiderte Rianna.
„Wenn alle ihre Freude so zum Ausdruck bringen werden, ist es mir lieber, wenn die Leute mich nicht mögen!“, entgegnete Turmalon ihr.
„Was soll das denn jetzt heißen?“, verlangte Rianna in einem aufgebrachten Tonfall zu erfahren. Gerald und Tabea, die gerade damit beschäftigt waren, Turmalons Flügel zu inspizieren, sahen sie nun überrascht an.
„Was soll was heißen?“, fragte Gerald.
Erst jetzt wurde Rianna klar, das nur sie dies hören konnte, wenn Turmalon sich mit ihr auf der Gedankenebene unterhielt. Verlegen schaute sie auf den Boden und sagte: „Ach nichts! Ich habe nur laut gedacht!“
„Sehr laut, um genau zu sein.“, bemerkte Gerald und war nicht überzeugt von dieser Erklärung. „Und nach nichts hat es sich ebenfalls nicht angehört!“
Nun kam Tabea auf Rianna zu und musterte sie. „Er hat telepathisch mit ihr gesprochen! Sehr Interessant! Wobei es für einen Drachen nicht ungewöhnlich ist, auf diese Weise zu kommunizieren. Es ist so viel einfacher, jemandem ein gedankliches Bild von dem zu zeigen, was man meint, als es in Worten auszudrücken. Natürlich können auch Gespräche auf diese Weise miteinander geführt werden.“
„Ist das wahr?“, fragte Gerald interessiert und Rianna nickte mit dem Kopf.
„Darf man dann erfahren, was er gesagt hat, dass du deswegen so aufgebracht warst?“, erkundigte sich Gerald nun.
„Er meinte nur, dass es ihn stört, wie Tabea um ihn herumspringt und ihn überall anfasst“, erklärte Rianna.
„Ich bitte um Verzeihung!“, entschuldigte sich Tabea. „Ich war nur so aufgeregt, endlich wieder einem Drachen zu begegnen, dass ich ganz meine Manieren vergessen habe.“
„Das kommt bei ihr scheinbar öfter vor!“, dachte sich Rianna, sagte aber nichts.
„Dürfte ich dich um etwas bitten?“, fragte nun Tabea den Drachen. Der jedoch gab ein Schnauben von sich, legte die Bergziege, die er immer noch im Maul hatte, auf den Boden und sagte dann: „Nachher, vielleicht!“
Tabea machte Anstalten, darauf etwas zu erwidern, überlegte es sich dann aber anders.
„Ich habe mir gedacht, dass du ebenfalls Hunger hast“, sagte Turmalon und stupste dann mit der Schnauze die Ziege an. „Die sollte problemlos für dich reichen!“
„Ja, danke!“, seufzte Rianna. „Den hab ich tatsächlich! Leider hab ich aber keine Ahnung, wie ich das Tier ausnehmen soll!“
„Das ist kein Problem“, mischte sich Gerald ein und winkte einen der Söldner herbei.
„Wenn Ihr erlaubt? Dieser Mann wird euch den besten Eintopf daraus zaubern, den ihr je gegessen habt!“, behauptete Gerald und klopfte dem Mann dabei auf die Schultern.
„Meinetwegen gerne“, willigte Rianna ein. „Allerdings möchte ich ja nicht unhöflich erscheinen, aber das wird doch mit Sicherheit etwas dauern, bis es fertig ist und eigentlich könnte ich jetzt schon etwas zu essen vertragen!“
„Kein Problem!“, erklärte Gerald und wandte sich dann an den neben ihm stehenden Mann. „Nimm die Ziege und mach was Feines daraus. Bring ihr aber vorher etwas von unseren Vorräten.“ Der Mann näherte sich langsam der Ziege, die vor Turmalon lag und ließ den Drachen dabei nicht aus den Augen. Er schulterte das erlegte Tier und verschwand hinter einem der Wagen. Kurze Zeit später kam er mit zwei Fladenbroten, Dörrfleisch und einem Stück Käse zurück und gab es Rianna. Sie bedankte sich bei ihm, und er machte sich dann an die Zubereitung des Eintopfes.
„Nun zu dir und deinem Anliegen, alte Frau!“, grummelte Turmalon.
„Ich würde dich gerne um einige deiner Schuppen und etwas Blut bitten. Ich brauche es für … einen Trank.“, erwidert Tabea.
„Nein!“, fauchte Turmalon wütend die Frau an. „Niemals wirst du oder sonst irgendjemand wieder etwas von meinem Blut bekommen!“
Tabea stolperte vor Schreck einige Schritte vom Drachen weg. Fragend sah sie Rianna an, aber auch sie schien über diese Reaktion verblüff zu sein und konnte nur mit den Schultern zucken. Sie wandte sich wieder an Turmalon und fragte: „W ... wieso nicht? Wo ist denn das Problem?“
Bis auf ein lautes Schnauben gab er ihr jedoch keine Antwort.
„Vielleicht weiß ich doch, was los ist.“, sagte Rianna und kramte in ihrer Tasche. Sie holte die Drachenträne hervor und zeigte sie Tabea. „Ich denke, es hat was mit diesem Stein und dessen Entstehung zu tun!“
„Der sieht ja interessant aus!“, meinte die alte Frau. „Darf ich ihn mir einmal genauer ansehen?“
Gerade als Rianna den tropfenförmigen Stein Tabea übergeben wollte, griff Turmalon ein und fauchte abermals: „Nein! Sie wird diesen Stein nicht bekommen. Rianna, steck ihn bitte wieder weg!“
Erschrocken zuckte Rianna zurück und sah Turmalon verwundert an. Dann tat sie, worum er gebeten hatte und die Träne verschwand schnell wieder in der Tasche. Dies schien ihn wieder ein wenig zu besänftigen, allerdings wandte er sich von der Gruppe ab und suchte sich offenbar einen Platz, an dem er seine Ruhe hatte.
„Ich glaube, ich werde später noch einmal mit meinen Fragen wiederkommen!“, meinte Gerald. „Ich habe ohnehin noch anderes zu tun.“ Dann ging er eilig los und verwickelte die erste Person, die ihm über den Weg lief, in ein Gespräch.
Tabea sackte auf dem Boden zusammen und fing an zu schluchzen: „Nach so langer Zeit hatte ich endlich gehofft, meinem Ziel ein Stückchen näher zu kommen und jetzt das.“
„Es tut mir leid, Tabea!“, sagte Rianna und half der alten Frau wieder auf. „Ich bin mir mittlerweile zwar sicher, was mit ihm los ist, aber ich weiß nicht, ob es ihm recht ist, wenn ich euch dies erzähle. Wie ihr euch sicher denken kannst, hängt es mit dem schwarzen Stein zusammen.“
Tabea nickte lediglich und schaute in die Richtung, in die Turmalon gegangen war. Dieser hatte derweilen abseits vom Lager eine ruhige Stelle gefunden und sich dort hingelegt.
„Ich hatte meine Suche schon aufgegeben.“, fing Tabea an zu erzählen. „Eigentlich war ich wieder auf dem Weg nach Hause. Jahrzehntelang bin ich auf der Suche nach einem Drachen sowohl durch Eboria als auch Calay gereist. Habe jedes Gerücht, welches mir zu Ohren gekommen ist, auf seinen Wahrheitsgehalt geprüft. Jeden bekannten Hort aufgesucht, in der Hoffnung, dort einen Hinweis auf den Verbleib seines ehemaligen Besitzers zu finden. Und nun, wo ich endlich gefunden habe, wonach ich so lange suchte, wird mir meine Bitte verwehrt!“
„Ich könnte ja noch einmal versuchen, ihn umzustimmen“, schlug Rianna vor. „Allerdings glaube ich kaum, dass ich viel Erfolg haben werde. Zumindest, was das Blut von ihm angeht! Würden euch die Schuppen nicht genügen?“
Tabea sah Rianna wieder ein wenig erwartungsvoller an und sagte: „Würdest du das wirklich für mich tun?“ Rianna nickte ihr zu.
„Hmm … nur die Schuppen? Nun, es würde mir zumindest etwas Zeit verschaffen!“, erwiderte Tabea.
„Zeit?“, fragte Rianna irritiert. „Inwiefern verschaff euch das mehr Zeit?“
„Ach, nicht so wichtig! Aber was ich noch fragen wollte: Wie habt ihr beiden euch eigentlich kennen gelernt?“, wollte Tabea nun plötzlich wissen.
„Ich habe ihn kurz nach eurer Abreise aus Horin kennengelernt. Er wurde am Bein verletzt und war kaum im Stande, zu laufen. Ich hatte ihn daher so gut ich konnte versorgt, und glaub mir, er war zu mir anfangs genauso abweisend wie zu euch.“, antwortete Rianna.
„Ah ja, sehr schade, dass ich zu der Zeit schon wieder unterwegs war, aber dafür seid ihr ja jetzt hier“, erwiderte Tabea. „Dann hoffe ich mal, dass du ihn umgestimmt bekommst. So, ich möchte dich jetzt nicht weiter aufhalten.“
Tabea begab sich rasch wieder in das Zelt, in dem die drei Schwerverletzten lagen. Rianna hingegen ging zu Turmalon. Er sah auf, als er bemerkte, dass jemand auf ihn zukam. Nachdem er aber erkannte, dass es Rianna war, legte er den Kopf wieder auf den Boden. Sie setzte sich zu ihm und lehnte sich mit dem Rücken an seine Brust. Keiner von beiden sagte etwas. Rianna sah zum Himmel und betrachtete die wenigen Wolken, die am Himmel langsam über sie hinwegzogen. Turmalon beobachtete kurz, was sie tat, schloss dann aber seine Augen und döste vor sich hin. Nach einer Weile lehnte sich Rianna gegen sein Vorderbein und begann, das Lichtspiel auf den Schuppen zu verfolgen. Wie die scheinbar schwarzen Schuppen begannen, Rot zu schimmern, je nachdem, wie das Licht der Sonne darauf fiel. Sie fuhr mit den Fingern einigen Mustern und Linien auf seiner Brust nach, die sie glaubte, dort zu erkennen, sich aber mit jeder Berührung zu ändern schienen. Als Rianna anfing, mit dem Finger gegen die Wachstumsrichtung der Schuppen zu streichen, fühlten sie sich nicht mehr so glatt an. Sie stellten sich ein wenig auf und kratzten regelrecht über ihre Haut. Turmalon gab ein kurzes Schnauben von sich, als sie begann, mit der ganzen Handfläche so über seine Schuppen zu fahren. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, weiter zu machen.
„Hey! Hör auf, das kitzelt!“, beschwerte sich Turmalon nach einiger Zeit.
„Jetzt sagt bloß nicht, dass unser großer Drache hier kitzlig ist!“, stellte Rianna amüsiert fest und machte um einiges wilder weiter. Dabei lösten sich auch ein paar der Schuppen und fielen zu Boden. Darunter sah man jedoch, dass bereits Neue nachwuchsen. Was wohl bedeutete, so vermutete Rianna zumindest, dass sie ohnehin bald ausgefallen wären.
Auf einmal sprang Turmalon auf, sodass Rianna, die noch immer gegen sein Bein lehnte, nach hinten auf den Boden fiel. Er sprang um sie herum und stellte sich dann über sie. Nun lag Rianna zwischen seinen Vorderpranken. Er neigte seinen langen Hals so, dass er sie direkt ansehen konnte und sagte ernst: „Ich sagte, du sollst damit aufhören!“
Rianna sah ihn nun eingeschüchtert an, doch bevor sie etwas erwidern konnte, brummte er: „Jetzt muss ich mich wohl revanchieren!“ Dabei fing er an zu grinsen und begann mit seiner rauen Zunge über Riannas Gesicht zu lecken.
„Ja … in Ordnung… du hast gewonnen!“, sagte Rianna kichernd und Turmalon hörte auf mit seiner Art der Bestrafung. Er machte ein paar Schritte nach hinten, damit Rianna wieder aufstehen konnte. Allerdings hockte sie sich nur hin und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.
„Immerhin kann ich es mir für heute sparen, das Gesicht zu Waschen!“, meinte Rianna zum Spaß und rieb sich die Hand am Ärmel.
„Ich kann auch noch den Rest sauber machen, wenn du willst?“, entgegnete Turmalon und streckte daraufhin seine Zunge wieder raus.
„Nein, danke!“, erwiderte Rianna und hob abwehrend ihre Hände. „Einmal am Tag reicht!“
„Schade!“, sagte Turmalon enttäuscht und legte sich vor sie wieder auf den Boden.
Als Rianna aufstehen wollte, bemerkte sie, dass sie eine von Turmalons Schuppen in der Hand hielt. Sie sah sich ein wenig um und sammelte so viele ein, wie sie fand. Am Ende hatte sie eine Handvoll dieser Plättchen in verschiedensten Größen gesammelt.
„Was hast du damit vor?“, wollte Turmalon wissen, welcher sie beim Einsammeln aufmerksam beobachtet hatte.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich diese Schuppen Tabea gebe?“, fragte Rianna und erwartete schon fast, dass er sofort wieder ablehnen würde. Jedoch überlegte er einen Moment und sagte dann: „Von mir aus kann sie sie haben. Aber nur die Schuppen! Falls ich merken sollte, dass sie mir in irgendeiner Art zu schaden versucht, wird sie dies bereuen! Sag ihr das!“
„Ich werde es ihr ausrichten“, versprach Rianna und machte Anstalten, zum Lager zurückgehen zu wollen.
„Gehst du etwa jetzt schon zu ihr?“, wollte Turmalon wissen.
„Ja, ich hab es ihr versprochen!“, antwortete sie ihm, worauf er nur noch ein Grummeln von sich gab.
Rianna klopfte an die offenstehende Tür von Tabeas Wagen und trat ein. Die alte Frau war wiedermal damit beschäftigt, irgendetwas in ihren Regalen zu suchen und bekam gar nicht mit, dass Rianna hereingekommen war. Daher räusperte sie sich und sagte dann: „Ich habe ein paar Schuppen bekommen. Ich hoffe, es sind nicht zu wenige.“
„Sehr schön. Leg sie einfach auf den Tisch“, entgegnete Tabea, ohne ihre Suche zu unterbrechen. „Und mach dir über die Menge mal keine Sorgen, mir hätte eine genügt. Aber es kann nie schaden, einen Vorrat zu besitzen.“
„Ich soll außerdem noch etwas ausrichten. Wenn Turmalon bemerken sollte, dass ihr sie gegen ihn verwendet, würdet ihr es bereuen!“, wiederholte Rianna die Worte des Drachen und legte dann die Schuppen auf den Tisch. Daraufhin hörte Tabea auf, in ihren Regalen zu kramen und sah Rianna verblüfft an.
„Was denken die Leuten nur immer über mich?“, fragte Tabea und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich bin doch keine Hexe und verfluche oder verzaubere niemanden! So etwas liegt gar nicht in meinem Interesse.“
Rianna wusste darauf keine Antwort und konnte nur mit den Schultern zucken.
„Nun gut! Wenn es ihn beruhigt! Ich werde mit den Schuppen nichts machen, dass ihm Schaden könnte“, versprach Tabea und wendete sich wieder ihren Regalen zu. „Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich habe zu tun.“
Rianna nahm an, dass sich Turmalon mit diesem Versprechen vorerst zufrieden geben würde und verließ daher wieder den Schindelwagen. Jedoch war sie kaum die Stufen vor der Tür hinabgestiegen, als Tabea bereits wieder nach ihr rief: „Einen Moment bitte, Rianna! Ich hätte doch noch eine Bitte!“
Weshalb sie also wieder umkehrte und abermals den Wagen betrat. Diesmal stand Tabea vor dem kleinen Schrank und nahm etwas aus einer der nun offenen Schubladen. Dann kam sie mit einer leeren, kleinen Glasflasche auf Rianna zu, drückte ihr diese in die Hand und sagte: „Halt das mal einen Moment und gib mir deine rechte Hand!“
Rianna wusste zwar nicht, was die alte Frau vorhatte, gab ihr aber dennoch die Hand. Tabea griff den Zeigefinger und drehte ihn, sodass Riannas Handinnenfläche nach oben zeigte. Dann passierte alles sehr schnell. Tabea stach mit einer Nadel in Riannas Finger, nahm die Flasche aus Riannas Hand und fing die wenigen Tropfen Blut, welche hervorgequollen kamen, damit auf.
„Danke, das war’s schon!“, erklärte Tabea unbekümmert. „Und keine Angst! Auch hiermit werde ich nichts machen, was dir oder ihm schaden wird!“
Rianna sah derweilen auf die winzige Einstichwunde und hielt demonstrativ den Finger hoch, als sie die Aussage von Tabea hörte.
„Naja, mal abgesehen von diesem kleinen Pikser!“

Karl und Friedrich warteten jetzt schon seit einer gefühlten Ewigkeit am Tor auf Aaron und Erick.
„Also dafür, dass er gestern noch den Drachen zu Fuß verfolgen wollte, lässt er sich heute ziemlich viel Zeit“, meinte Karl und schaute ungeduldig von seinem Pferd die Straße entlang.
Friedrich zuckte daraufhin nur mit den Schultern. Ihn schien es nicht zu stören, dass sie warten mussten.
„Na endlich! Da kommen sie!“, sagte Karl, als er Aaron heranreiten sah. „Naja, zumindest einer von beiden.“
Nachdem der Sohn des Bürgermeisters die beiden Späher erreicht hatte, fragte Karl: „Wieso hat das denn so lange gedauert? Wir wollten uns doch kurz nach Sonnenaufgang hier treffen! Ach, was soll’s, wir müssen ja ohnehin noch auf Erick warten“, und gab dabei einen frustrierten Seufzer von sich.
„Nein, müssen wir nicht! Erick wird nicht mitkommen. Sein Vater wollte nicht, dass er mit uns kommt. Das ist auch der Grund, warum ich so spät bin“, erklärte Aaron. „Ich hatte mit Otwin noch eine Diskussion deswegen.“
„Dann lasst uns keine Zeit mehr verlieren und endlich losreiten!“, schlug Karl vor und machte sogleich den Anfang. „Ich hoffe, du hast nichts vergessen! Denn wir werden ziemlich lange unterwegs sein.“
Aaron schüttelte den Kopf und erwiderte: „Von dem, was du mir empfohlen hast, habe ich alles dabei!“
Einige Zeit später begegnete den drei Männern im Wald eine Frau, die ebenfalls in ihre Richtung ritt. Sie schien in Gedanken zu sein und bemerkte daher nicht, wie die Gruppe ihr immer näher kam.
„Ich verstehe aber immer noch nicht, wieso wir auf diese Weise reisen! Du könntest doch genauso gut …“, mitten im Satz brach sie ab und blickte hinter sich. „Oh! Guten Morgen, die Herren.“
Die drei Männer hatten die Frau nun erreicht und passten sich ihrer Geschwindigkeit an.
„Guten Morgen, werte Dame“, grüßte Karl freundlich zurück. „Ihnen ist doch hoffentlich bewusst, dass, wenn sie diesem Weg weiter folgen, sie die nächsten Tage im Gebirge unterwegs sein werden, bis sie das nächste Dorf erreichen!“
„Ja, dessen bin ich mir durchaus bewusst“, antwortete die Frau.
„Und dennoch reist Ihr alleine?“, fragte Karl. „Dann solltet Ihr aber auch wissen, dass es dort sehr gefährlich sein kann. Vor allem für eine Frau, die alleine unterwegs ist. Dabei sind die Banditen, die sich in den Höhlen verstecken, noch das kleinste Übel.“
„Ich weiß ihre Führsorge sehr wohl zu schätzen, aber leider habe ich keine andere Wahl!“, erwiderte die Frau, „Mein Mann ist schon vor einigen Jahren ums Leben gekommen und ich lebe seitdem alleine in unserem kleinen Haus im Wald. Leider wurde mein Heim vor kurzem plötzlich von einer kleinen Gruppe Banditen überfallen. Zum Glück konnte ich noch fliehen, als sie mich kurz aus den Augen gelassen hatten.. Und nun bin ich auf dem Weg zu Verwandten und hoffe, dass sie mich für eine Zeit aufnehmen, bis ich wieder alleine zurechtkomme.“
„Das klingt schrecklich“, bedauerte Friedrich aufrichtig.
„Ja, aber es ist nicht unser Problem!“, fügte Aaron harsch hinzu. „Wir haben es eilig und können uns nicht auch noch hierum kümmern!
„Wenn du dich eben nicht verspätet hättest, wären wir auch schon viel weiter!“, meinte Karl mahnend. „Außerdem haben wir sowieso in nächster Zeit den gleichen Weg. Daher können wir sie genauso gut begleiten.“
„Sie wird uns doch nur aufhalten!“, wandte Aaron nun ein.
„Und wenn schon!“, erwiderte Karl, „Ich kann und will es nicht verantworten, wenn ihr unterwegs etwas passiert!“
„Großartig! Und was ist, wenn meiner Verlobten etwas passiert?“, brüllte Aaron. „Könnt ihr das verantworten?“
„Oh, ich bin mir sicher, dass sie in guten Händen ist!“, bemerkte Karl gelassen.
„In guten Klauen wäre treffender“, scherzte Friedrich und gab einen kurzen Lacher von sich.
Karl schaute ihn dabei schief an, musste dann aber auch grinsen und fuhr fort: „Außerdem solltest du dir besser überlegen, was du zu ihr sagst, wenn wir sie gefunden haben. Denk daran, du wirst sie überreden müssen, dass sie mit uns mitkommt. Denn ich vermute, wenn du sie nicht überzeugen kannst, wirst du nicht nur sie gegen dich haben!“ Aaron gab daraufhin nur noch ein Murren von sich.

„Ich nehme euer überaus großzügiges Angebot dankend an“, sagte die Frau lächelnd. „Und macht euch keine Sorgen, der alte Gaul hier ist noch ganz gut auf Trapp!“
Genau in diesem Augenblick blieb ihr Pferd stehen und blickte hinter sich auf seine Reiterin.
Man konnte den Eindruck gewinnen, als würde es ihr diese Bemerkung übel nehmen. Daher sagte die Frau: „Entschuldige, dass mit dem Gaul war nicht so gemeint! Und jetzt los, bevor wir die Herren wirklich noch aufhalten.“

Alia lag in einem Bett eines der Gasthäuser von Kebor und wartete darauf, dass Geron, der Kommandant der hiesigen Garnison, sie endlich zu sich rufen würde. Sie wollte wissen, wie es Riam ging. Außerdem wollte sie die Wache loswerden, welche ihr auf Schritt und Tritt folgte und sie daran hinderte, ihrem Auftrag nachzukommen. Geron hatte ihr die Wahl gelassen, dass sie entweder in den Kerker geworfen oder von der Wache begleitet wird, solange bis er wüsste, was wirklich vorgefallen war. Sie hatte sich für das kleinere Übel entschieden und konnte sich so zumindest fast überall frei in der Stadt bewegen. Immerhin kam Geron für ihre Unterbringung auf, jedoch kam ihr der Raum, in dem sie sich nun befand, nur unwesentlich besser vor als eine Zelle - mit dem Unterschied, dass sie diese Zelle jederzeit verlassen konnte. Nun lag sie in dem kleinen, spärlich eingerichteten Zimmer und grübelte darüber, was gestern passiert war.
Als es an der Tür klopfte, schreckte Alia auf, da sie tief in ihren Gedanken versunken war und antwortete dann: „Herein!“
Ihr zweiter Schatten öffnete die Tür und trat ins Zimmer. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass Alia es war, die vor ihm auf dem Bett lag, sagte er: „Geron erwarte Euch. Wir sollen unverzüglich zu ihm kommen!“
„Das wurde aber auch Zeit“, erwiderte Alia und stand auf. Nachdem beide den Raum verlassen hatten, schloss sie die Tür zum Zimmer ab und gingen dann zügig einem schmalen Flur entlang, die Treppe hinunter durch den halbvollen Schankraum des Gasthauses nach draußen. Alia sah zum Himmel und das Wetter spiegelte ihre Stimmung wieder. Düstere Regenwolken waren aufgezogen und kündeten ein baldiges Unwetter an. Aber immerhin hatte es noch nicht angefangen zu regnen.
Das Gasthaus, in dem Alia untergebracht war, lag mitten im Handwerker- und Händlerviertel, allerdings befand sich die Garnison am anderen Ende der Stadt. Deswegen wollte sich Alia auch beeilen, dort hinzukommen. Dies erwies sich jedoch auf der engen, dafür aber stark belebten Straße als gar nicht so einfach. Mehrfach mussten sie sich durch Menschenansammlungen, die sich vor einem der vielen Markstände gesammelt hatten, hindurchdrängen. Oder Sie warteten darauf, bis sich vollbeladene Karren, die kaum schmäler als die Straße waren, durch eine Engstelle hindurch gezwängt hatten. (*)
Erst als sie den Hauptmarktplatz erreichten, kamen sie wieder schneller voran, da sie den Leuten hier trotz des Gedränges einfacher ausweichen konnten. Das zeigte, dass sich die Handelsbeziehungen zwischen Eboria und Calay im Gegensatz zu den Politischen kaum verändert hatten. Jeder, der über den Bergpass ins Nachbarland wollte, oder wie Alia und Riam, von dort kam, machte hier in Kebor einen Zwischenhalt.
Mit jedem Schritt, den sich Alia und ihre Wache nun vom Markt entfernten, wurde die Straße immer ruhiger, bis sie vor dem Tor der Mauer standen, welche die Garnison umgab. Alias Begleitung wechselte ein paar Worte mit der Torwache und man ließ sie durch eine kleine Seitenpforte auf den Appellplatz, der bis auf einige Soldaten, die sich miteinander unterhielten, nahezu leer war. Außerdem standen hier mehrere Gebäude, die wie Alia vermutete, Unterkünfte, Lageräume, Ställe und als Waffenkammern genutzt wurden!
Alia wurde zu einem kleineren Gebäude, das sich links vom Tor befand, geleitet (). Darin wurde sie von Geron empfangen, welcher die Wache bat, vor der Tür zu warten.
„Ich befürchte, dass ich leider keine guten Nachrichten für Euch habe, Alia“, begann der Kommandant zu berichten, und bat ihr den Stuhl ihm gegenüber an. Alia konnte sich schon denken, was geschehen war und setzte sich sogleich . Dann fragte sie: „Es ist wegen Riam, habe ich recht?“
Geron nickte verhalten mit dem Kopf und fuhr fort: „Ja, Ihr Gefährte ist heute Morgen an seiner Verletzung gestorben! Der Heiler sagte, dass die Wunde zu tief war. Er hat alles versucht, doch leider konnte er ihm nicht mehr helfen. Seid Euch meinem Mitgefühl gewiss.“
Alia nahm diese Neuigkeit ziemlich gefasst auf, da sie einerseits schon damit gerechnet hatte und es andererseits nicht der erste Kamerad war, der an ihrer Seite gefallen war.
Diese Gleichmütigkeit bemerkte auch Geron und sagte: „Sein Tod scheint Euch ja nicht besonders nahezugehen !“
„Ich habe zwar bis zuletzt gehofft, dass er es schaffen wird, aber um ehrlich zu sein, war mir auch klar, wie gering die Chance dazu war“, erwiderte Alia bekümmert. „ Es bereitet mir durchaus Kummer. Jedoch ist dies weder der richtige Ort noch der Zeitpunkt, um zu trauern.“
„Wahre Worte!“, antwortete Geron beeindruckt. „Jedoch erwartet man solche Worte nicht von einfachen Bauern, Reisenden oder als was auch immer Ihr Euch darstellen wollt. Sondern von kampferfahrenen Soldaten oder Söldnern, die wissen, wann man sich eine Ablenkung leisten kann!“
Geron schien beobachten zu wollen, wie Alia darauf reagierte. Sie jedoch blieb ruhig und wartete ab, was er noch zu sagen hatte.
„Kommen wir jetzt zu dem, was gestern Nachmittag passiert ist und weshalb ihr hier seid!“, erklärte Geron.
Alia begann zu seufzen und erwiderte: „Das habe ich doch gestern Abend schon alles erzählt!“
„Vielleicht ist Euch ja seitdem etwas Neues eingefallen“, vermutete Geron und Alia schüttelte den Kopf. „Dann sollte es Euch wenigstens freuen, dass wir die Pferde wieder einfangen konnten. Sie wurden zu den Ställen gebracht und werden dort versorgt. Ach, und bevor ich es vergesse!“ Der Hauptmann griff rechts neben sich unter den Tisch und holte etwas hervor, was er vor sich warf. Dann fuhr er fort: „Dies hattet Ihr noch in der Satteltasche!“
Geron hatte Alias gesamte Ausrüstung auf den Tisch geworfen und starrte sie nun durchdringend an. Sie war sich nicht sicher, ob er wusste, was er da gefunden hatte. Sie fühlte sich ertappt, wollte aber dennoch nicht die Wahrheit über den eigentlichen Grund, wieso hier waren, preisgeben. „Ja, dies ist meine Ausrüstung! Aber es ist doch nicht verboten, sich zu schützen. Vor allem nicht, wenn man durch das Beohgebirge reist!“
„Haltet Ihr mich für so dumm, dass ich nicht weiß, woher diese Rüstung stammt?“, fragte Geron energisch. „Also los, heraus damit! Wieso werden zwei Späher aus Eboria von ihren eigenen Soldaten angegriffen?“
Alia sah keinen Sinn mehr darin, es ihm zu verheimlichen, daher antwortete sie: „Ich weiß es nicht! …“ Geron schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, wodurch Alia kurz aufschreckte. Doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie fort: „ … wir sind zu zweit aus Horin hierhergekommen, da wir herausfinden sollten, ob etwas an den Gerüchten stimmte, dass König Adrian, Calay auf einen Krieg vorbereiten würde. Kurz bevor wir Kebor erreichten, stellten sich uns die Soldaten in den Weg. Wir gaben uns zu erkennen und verlangten zu erfahren, was sie hier zu suchen hatten. Die Soldaten griffen uns ohne jede Vorwarnung an und den Rest kennt Ihr ja bereits!“
Geron lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und faltete seine Hände auf dem Bauch zusammen. Er musterte Alia eine Zeit lang einschätzend und rief dann „Wache!“

„Hallo, ihr beiden!“, grüßte Gerald Rianna und Turmalon. Sie hatte sich wieder an seine Brust gelehnt und aß gerade aus einer Holzschale den Eintopf, den Gerald für sie hatte machen lassen, während Turmalon in der Sonne döste.
„Ich hoffe, es schmeckt!“, bemerkte er und Rianna nickte ihm zu, da sie gerade einen weiteren Bissen genommen hatte. „Sehr schön! Ich sagte ja, dass er gut ist. Deswegen bin ich aber nicht hier! Hast du mit ihm schon über das merkwürdige Verhalten der Soldaten gesprochen?“
Rianna schüttelte den Kopf und schluckte hastig den Bissen herunter. Dann sagte sie: „Nein, habe ich noch nicht! Entschuldige bitte, ich habe nicht mehr daran gedacht.“
„Macht nichts! Deswegen bin ich ja jetzt hier“, entgegnete Gerald und betrachtete dann den Drachen. „Ist er wach? Ansonsten kann ich auch später noch einmal kommen.“
„Nicht nötig, den bekomm ich schon wach.“, versprach Rianna und rieb wie am Morgen mit der Hand über Turmalons Brust.
„Habe ich nicht gesagt, dass du das sein lassen sollst?“, brummte der Drache, ließ seine Augen aber geschlossen. „Oder muss ich dich nochmal daran erinnern, was geschieht, wenn du weitermachst?“
„Nein, musst du nicht. Jedoch scheint es die einfachste Methode zu sein, dich zu wecken“, antwortete Rianna amüsiert. „Außerdem würde sich Gerald gerne mit dir unterhalten!“
Nun erhob Turmalon seinen Kopf, um auf derselben Augenhöhe wie Gerald zu sein und wartete darauf, was der Anführer der Karawane zu sagen hatte. Es dauerte jedoch einen Augenblick, bis Gerald verstand, das Turmalon seine Fragen erwartete.
„Mir ist gestern Abend aufgefallen, wie die Soldaten, die uns angegriffen haben, sich dir gegenüber verhalten haben.“, fing Gerald an zu erklären. „Was sie getan haben, solltest du ja noch wissen. Was mich interessiert ist, ob du eine Ahnung hast, wieso sie sich so verhalten haben.“
Turmalon schien einen Moment darüber nachzudenken und antwortete: „Nein ich habe Keine Erklärung dafür!“
Es verging wieder einige Zeit, bis Gerald begriff, dass dies alles war, was der Drache dazu zu sagen hatte und er die ernüchternde Antwort verdaut hatte.
„Es muss doch einen Grund geben, warum sie gejubelt haben als sie dich sahen oder sie dich anfangs ignorierten, als du begonnen hast, sie anzugreifen!“, fuhr Gerald verzweifelt nach einer Antwort suchend fort. „Ich meine, das Erste, was ich dachte, als ich dich sah, war: ‚Das werden wir nicht überleben! Es wäre das Letzte gewesen, was ich getan hätte, mich über den Anblick eines Drachens zu freuen. Selbstverständlich bin ich nun dankbar darüber, dass ich mich geirrt habe und du uns geholfen hast. Dennoch, ich verstehe es nicht!“
„Es gibt mit Sicherheit eine Erklärung dafür“, erwiderte Turmalon. „Jedoch habe ich keine! Ich kann mich nicht erinnern, dass ich diese Männer jemals zuvor gesehen habe.“
Gerald begann rot anzulaufen, doch bevor er etwas sagen konnte, mischte sich Rianna ein: „Beruhige dich bitte! Ich habe dir heute Morgen bereits gesagt, dass wir uns das selbst nicht erklären konnten!“
Gerald stand da, mit einem wutverzerrten Gesicht und starrte auf Turmalon.
„Du hast ja Recht!“, gab Gerald schließlich zu und beruhigte sich langsam wieder. „Ich suche nun mal den Verantwortlichen für das, was passiert ist und gebe den Falschen die Schuld dafür. Entschuldigt bitte!“ Dann drehte er um und ging zurück ins Lager.
„Ich muss gestehen, dass es mich auch langsam interessiert, was das alles zu bedeuten hat“, gestand Rianna und aß daraufhin den restlichen Inhalt ihrer Schale.
„Wir können ja nach den Soldaten Ausschau halten, wenn wir gleich weiterfliegen“, schlug Turmalon vor. „Vielleicht können wir sie ja dazu ‚überreden‘, uns ein paar Antworten zu geben, falls wir sie überhaupt finden.“
„Einverstanden!“, stimmte Rianna zu. „Komm, wir verabschieden uns aber vorher noch.“
Turmalon war zwar nicht sonderlich begeistert von der Idee, folgte Rianna aber kommentarlos. Zuerst ging sie zu Tabeas Wagen. Nachdem sie an deren Tür angeklopft hatte und sich die obere Türhälfte öffnete, erschien jedoch zu Riannas Überraschung, nicht Tabea.
Eine junge Frau, etwas älter als Rianna mit kurzem schwarzen Haar, schaute aus der Tür und sagte dann: „Hallo Rianna, kann ich dir helfen?“
„Du kennst mich?“, fragte Rianna erstaunt.
Die Frau hielt einen Moment inne und antwortete dann: „Tabea hat schon recht viel über dich erzählt! Schade, dass ich erst jetzt das Vergnügen habe, dich kennenzulernen. Ich bin Erina und bin Tabeas Gehilfin ().“ Sie reichte Rianna zum Gruß die Hand.
Rianna ergriff die Hand und fragte dann: „Wie kommt es denn, dass ich dich bisher weder hier noch in Horin gesehen habe?“
„Tabea hält mich ganz schön auf Trab! Sie ist nun mal nicht mehr gut zu Fuß und daher erledige ich das Meiste, was anfällt, für sie“, erklärte Erina, woraufhin Turmalon auf sie zukam. „Und du bist dann mit Sicherheit Turmalon!“ Doch statt ihr auf die Frage zu antworten, erklärte er misstrauisch: „Ihr riecht aber genau wie die alte Frau!“
„Wir wohnen und reisen ja auch schon seit einigen Jahren zusammen in diesem Wagen!“, erwiderte Erina. „Da sollte das doch normal sein, oder nicht?“
„Ist ja auch nicht so wichtig!“, gestand Rianna. „Ist Tabea denn da?“
„Nein, ist sie nicht. Sie hat nicht gesagt, wo sie hinwollte.“, sagte Erina. „Ich kann ihr gerne etwas ausrichten, ansonsten würde ich dich bitten, wieder zu gehen, denn ich muss jetzt weiterarbeiten.“
„Wir wollten uns nur verabschieden!“ sagte Rianna und wies auf Turmalon. „Für uns gibt es hier nichts zu tun. Außerdem ist er ein wenig ungeduldig und würde gerne weiterziehen.“
„Oh, nun, wenn das so ist, wieso wartet ihr nicht einen Moment? Ich bin sicher, dass Tabea gleich wieder zurück sein wird“, meinte nun Erina. Sie ging wieder von der Tür weg und rief dann aus dem inneren des Wagens: „Einen Augenblick bitte! Ich komme gleich wieder!“
„Wollen wir so lange warten?“, fragte Rianna Turmalon. Dieser schüttelte den Kopf und antwortete: „Wer weiß, wann die alte Frau wieder auftaucht. Ich wollte möglichst schnell weiter!“
„Kein Problem!“, entgegnete Rianna. „Ich hätte mich zwar gerne persönlich verabschiedet, aber es reicht auch, wenn Erina einfach unsere Grüße ausrichtet.“
„Hier, fang!“, rief Erina plötzlich, die wieder an der Tür erschienen war. Sie warf eine faustgroße Kugel in Turmalons Richtung und als er mit dem Maul nach ihr schnappte, platzte sie und hüllte seinen Kopf in eine gelbliche Staubwolke. Zusätzlich zu dem, was er ins Maul bekommen hatte, atmete er auch wegen der Überraschung etwas von dem Staub ein. Dadurch musste der Drache lauthals niesen. Er schüttelte kurz dem Kopf und fragte dann: „Was ist das … für… ei…“ Turmalon schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können, sackte dann langsam zusammen und legte sich auf dem Boden nieder.
„Was ist los?“, rief Rianna und lief auf Turmalon zu.
„Es tut mir leid, Rianna! Aber ihr lasst mir gerade keine andere Wahl!“, sagte Erina, die nun hinter Rianna stand und eine zweite, etwas kleinere Kugel vor ihrem Gesicht zerdrückte. „Keine Angst, ihr werdet nur für eine Weile schlafen. Spätestens morgen früh sollte die Wirkung nachgelassen haben.“
Rianna wollte noch etwas darauf erwidern, aber das Letzte, was sie noch mitbekam, war, wie Erina ihren ermüdenden Körper auffing und an Turmalon lehnte.
 
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darkblood

Gläubiger
Lange ... sehr lange ist es her... und nein ich habe nie aufgehört an dieser Geschichte zu schreiben an der mir persönlich sehr viel liegt.
Leider hatte ich immer nur wenig zum schreiben weswegen die Fertigstellung entsprechend lange gedauert hat.
Fals es noch Leute gibt die Interesse haben, findet ihr hier die nächsten Kapitel: https://www.sofurry.com/view/972532
Dort wird derzeit recht zügig im Abstand von einigen Tagen auch der Rest hochgeladen.
 
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