darkblood
Gläubiger
Ich habe mich auch Mal daran gemacht, meine erste Geschichte zu schreiben.
Es handelt sich derzeit nur um das erste Kapitel, welches noch nicht all zu spannend ist.
Namen von Personen und Orten sind noch nicht fest und können sich evtl. noch mal ändern,
da ich mich nicht an Namen aufhalten wollte.
Kommentare und Kritik bitte hier rein:[Diskussion]
Update: 05.04.16
Lange ... sehr lange ist es her... und nein ich habe nie aufgehört an dieser Geschichte zu schreiben an der mir persönlich sehr viel liegt.
Leider hatte ich immer nur wenig zum schreiben weswegen die Fertigstellung entsprechend lange gedauert hat.
Fals es noch Leute gibt die Interesse haben, findet ihr hier die nächsten Kapitel: https://www.sofurry.com/view/972532
Dort wird derzeit recht zügig im Abstand von einigen Tagen auch der Rest hochgeladen.
Es handelt sich derzeit nur um das erste Kapitel, welches noch nicht all zu spannend ist.
Namen von Personen und Orten sind noch nicht fest und können sich evtl. noch mal ändern,
da ich mich nicht an Namen aufhalten wollte.
Kommentare und Kritik bitte hier rein:[Diskussion]
Update: 05.04.16
Lange ... sehr lange ist es her... und nein ich habe nie aufgehört an dieser Geschichte zu schreiben an der mir persönlich sehr viel liegt.
Leider hatte ich immer nur wenig zum schreiben weswegen die Fertigstellung entsprechend lange gedauert hat.
Fals es noch Leute gibt die Interesse haben, findet ihr hier die nächsten Kapitel: https://www.sofurry.com/view/972532
Dort wird derzeit recht zügig im Abstand von einigen Tagen auch der Rest hochgeladen.
Rianna zog sich ein Kleid aus ihrem Schrank an, schaute in den Spiegel, der auf einer Kommode stand und band sich die kastanienbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie ging durch die Tür auf den Flur, und stieg dann die Treppe hinunter in den Wohnbereich, wobei bei fast jedem Schritt eine der Stufe knarrte.
„Ich bin dann weg“, sagte sie zu ihrer Stiefmutter, die gerade am Tisch saß und eine Hose ihrer Brüder flickte. „Ist in Ordnung“, antwortete ihr Silvia. „Ach, falls du deine Brüder siehst, sag ihnen, dass sie sich darauf einstellen können, ihre Sachen zukünftig selber zu flicken, wenn ich diese Woche noch einmal ein Hemd oder eine Hose von ihnen nähen muss.“
„Werde es ausrichten, falls ich einen von beiden sehe “, erwiderte Rianna. „Falls es bis dahin nicht schon zu spät ist.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Rianna und ging durch die Tür nach draußen.
Nun stand sie vor einem, für diesen Ortsteil von Horin üblichen Fachwerkhaus und wurde kurz von der Sonne geblendet, da es im inneren recht dunkel war. Für einen Moment genoss sie den noch frühen Sommermorgen und ging dann die gepflasterte Straße entlang zum Marktplatz, an dem sich auch der Krämerladen ihres Vaters befand. Dort bog sie auf die Straße, die sie am Handwerkerviertel vorbei zum Haupttor führte.
Eigentlich war es auch das einzige Tor im Palisadenzaun, welcher den Ort umgab. Diese Palisaden wurden errichtet, da es in dieser Gegend oft zu Banditenüberfällen kam.
Horin selbst lag in einem Tal des Beohgebirges, welches eine natürliche Grenze der beiden Königreiche Ah und Beh bildete. Das Tal erreichte man nur über zwei Pässe, einem aus nordwestlicher Richtung der nach Ah führte und der andere im Osten mit dem man nach Beh kam. Der nördliche und südliche Rand des Tals wurden durch Berge begrenzt, während es nach Westen steil bergab ins Vorgebirge ging.
Am Tor angekommen, traf Rianna dann auch auf Alia, welche sich gerade mit einem der Torwachen unterhielt. Sie hatte, wie fast immer, eine leichte Lederrüstung an - in den für den hier ansässigen Spähposten üblichen braun-grünen Farben. Ein Langbogen und ein Köcher mit Pfeilen hingen über den Schultern auf ihrem Rücken, und ein einfaches Kurzschwert war am Gürtel auf ihrer linken Seite mit einem Lederriemen befestigt. Alia verabschiedete sich von der Wache, als sie Rianna herannahen sah und grüßte sie: „Ah, pünktlich wie immer. Na dann, lass uns losgehen.“
Sie gingen an einigen Getreidefeldern vorbei, die zu dieser Jahreszeit noch grün waren und kamen schließlich zu einer Weggabelung. An dieser wandten sie sich nach Westen zum Wald. Sie schienen nicht zu bemerken, dass sie, seit sie den Ort verlassen hatten, von zwei Personen verfolgt wurden. Dies dachten zumindest ihre Verfolger.
Einige Zeit, nachdem die beiden den Wald betreten hatten, blieben sie stehen und schauten sich um. „Hinter dem Baum, der neben dem Wegweiser steht?“, fragte Rianna eigentlich nur, um es von Alia bestätigt zu bekommen. „Richtig“, antwortete sie nur knapp.
Rianna ging ein paar Schritte vom Weg ab in den Wald hinein und blieb vor einem moosbewachsenem Stück Waldboden stehen. Sie schaute sich noch einmal kurz um und kniet sich dann ins Laub. Mit einem ihrer Meinung nach viel zu lauten Knarren öffnete sie eine unter dem Moos versteckte Falltür. Kurz dachte sie darüber nach, ob sie sich nicht etwas Öl von ihrem Vater oder Horst, dem Schmied, besorgen sollte, um die Scharniere der Tür zu ölen. Sie schob diesen Gedanken für den Augenblick beiseite und nahm dann aus einer Kiste, die in der nun offen liegenden Grube versteckt war, einen in ein Leinentuch eingewickelten Langbogen und einen Köcher mit Pfeilen.
Dann richtete sie sich wieder auf, knöpfte ihr Leinenkleid auf und zog es aus. Darunter kam eine Lederrüstung, wie sie Alia trug, zum Vorschein. Das Kleid legte sie zusammen mit dem Tuch, in den der Bogen eingewickelt war, wieder sorgsam in die Kiste. Rianna schloss die Falltür und verteilte etwas von dem umherliegenden Laub darüber, um sie wieder vor neugierigen Blicken zu verstecken.
Anschließend spannte Rianna die Sehne auf den Bogen, was ihr aufgrund des weichen Waldbodens nicht gerade leicht viel. Nachdem sie dies jedoch geschafft hatte, nahm sie einen Pfeil, legte ihn an, zielte auf den Baum hinter dem ihre Verfolger lauerten, und schoss. Dies alles geschah in einer Geschwindigkeit, die selbst Alia beeindruckte. Es war nicht so, dass sie es selbst nicht mindestens genauso schnell hätte bewerkstelligen können. Doch für einen Anfänger wie Rianna, mit der sie erst ein paar Mal geübt hatte, war dies eine beachtliche Leistung.
In der Zwischenzeit hatte auch der Pfeil sein Ziel gefunden und war mit einem lauten Knall in den anvisierten Baum eingeschlagen, wo er die erhoffte Wirkung zeigte. Denn beide Verfolger kamen hinter dem Baum hervorgestolpert und wollten Richtung Horin weglaufen.
„Halt!“, rief Alia den beiden hinterher. „Oder der nächste Pfeil trifft einen von euch!“ Augenblicklich blieben beide stehen, und die beiden Frauen gingen langsam auf sie zu.
„Na, was denkst du, was sollen wir mit den beiden Halunken machen?“, fragte Alia laut genug, sodass es die beiden Betreffenden auch hören konnten. „Sollen wir sie zum Hauptmann bringen und sehen, ob es für die Zwei ein Kopfgeld gibt? Wobei, so mickrig, wie die beiden aussehen, wird das wohl nicht der Fall sein. Vielleicht sollten wir sie doch erschießen und hier im Wald vergraben.“
Daraufhin liefen die beiden Erwischten auf Rianna zu.
„Nein, bitte, bitte nicht! Wir tun es auch nie wieder!“, flehten sie ihre Schwester an und umklammerten sie dabei, sodass sie sich kaum noch bewegen konnte.
„Was macht ihr eigentlich hier draußen? Ihr wisst doch, dass ihr nicht ohne Begleitung in den Wald gehen dürft!“, ermahnte Rianna ihre beiden jüngeren Brüdern.
„Wir sind nicht alleine. Ihr seid doch bei uns!“, kam als Antwort vom jüngeren Kay.
„Genau!“, bestätigte Jacob nickend, „Außerdem wollen wir wissen, wo ihr hingeht!“
„In Ordnung“, sagte Rianna resignierend und schüttelte dabei den Kopf, „Wenn ihr niemanden etwas verratet, könnt ihr mitkommen und zusehen. Ansonsten sage ich unserem Vater, dass ich euch dabei erwischt habe, wie ihr alleine im Wald herumgelaufen seid.“ Die beiden Jungs grinsten sich gegenseitig an und nickten dann Rianna zu.
Währenddessen hatte sich Alia dem Pfeil im Baum zugewandt. Nur mit großer Mühe konnte sie ihn aus dem Stamm der Eiche ziehen, in den er fast eine Handbreit eingedrungen war. Enttäuscht musste sie jedoch feststellen, dass der Pfeil unbrauchbar war, da die Spitze abgebrochen war und noch immer tief im Stamm fest steckte.
Alia warf den Rest des Pfeils weg und sagte lächelnd zu Rianna: „Wenn du so weiter machst, wirst du wohl bald mir Unterricht geben müssen.“
Nun gingen alle Vier tiefer in den Wald hinein, bis sie an eine einfache Holzbrücke kamen, die über einen breiten Bach führte. Allerdings überquerten sie diese nicht, wie Kay feststellen musste. Denn er war schon vorgelaufen und wartete nun am anderen Ende ungeduldig auf den Rest der Gruppe. Stattdessen bogen Rianna und Alia kurz vor der Brücke auf einen unscheinbaren Pfad, der dem Bachlauf folgte.
„Wohin gehen wir eigentlich?“, wollte Kay wissen, welcher sie mit diesen Worten wieder eingeholt hatte und diesmal bei den anderen blieb.
„Das wirst du gleich sehen“, erwiderte Alia gelassen. „Wir sind schon fast da.“
Der Bach, an dem sie entlanggingen, entsprang einer Quelle in den nahen Bergen. Er war kristallklar und dadurch, dass er nicht besonders tief war, konnte man ohne Probleme bis auf den Grund sehen und jegliches Leben in ihm beobachten.
Auch außerhalb des Wassers blühte das Leben. Überall schwirrten Insekten herum oder saßen auf Blättern und Schilfhalmen. Man hörte das Quaken von Fröschen und ab und zu zeigte sich das ein oder andere Tier, welches auf der Suche nach Wasser hier hergekommen war, um seinen Durst zu löschen.
Weiter abwärts mündete der Bach in einen großen See, welcher ringsum vom Wald umgeben war. Der See selbst war zwar an den Ufern zunächst sehr flach, wurde aber meist nach wenigen Schritten zunehmend tiefer.
Am nördlichen Ufer lag die Hütte von Nyrion. Er lebte sehr zurückgezogen und kam nur manchmal nach Horin auf den Markt. Dort tauschte er dann meistens einige Fische, die er hier am See gefangen hatte, gegen irgendwelche Gegenstände ein, die er brauchte.
Das Ziel der Gruppe war eine kleine Bucht, die am südöstlichen Teil des Sees lag. Hier gab es einen Kiesstrand und das Wasser war höchstens hüfttief. Des Weiteren grenzte der Wald nicht, wie fast überall sonst, direkt am Ufer, sondern an einer Wiese.
Auf dieser Wiese stand eine sichtlich schon sehr alte Eiche, welche weitaus größer war als die Bäume des umgebenen Waldes. Darunter stand eine Zielscheibe aus Stroh, welche auf einem Holzgestell befestigt war.
Dort angekommen nahm Alia die Zielscheibe, welche, wie man nun erkennen konnte, auf der Rückseite an einem Fassboden befestigt war. Alia hängte die Scheibe an ein Seil, welches sie kurz zuvor über einen Ast geworfen hatte und zog sie bis etwa auf Brusthöhe. Dann verknotete sie das andere Ende des Seils am Baumstamm und überprüfte, ob alles festhielt.
Gerade als Rianna fragen wollte, was die Späherin denn dort mache, erklärte diese: „Heute üben wir das Schießen auf ein sich bewegendes Ziel. Da du ja eben beeindruckend unter Beweis gestellt hast, dass du auch weit entfernte Holzköpfe triffst, “, Alia musste dabei grinsen und fuhr fort, „dachte ich mir, dass dies eine sinnvolle Steigerung des Schwierigkeitsgrades wäre. Denn die wenigsten deiner Ziele werden starr wie ein Baum dastehen und darauf warten, dass du auf sie feuerst.“
Alia nahm ein zweites Seil, welches ebenfalls an der Zielscheibe befestigt war, stellte sich neben den Stamm und sorgte dafür, dass die Scheibe langsam, aber gleichmäßig hin und her pendelte. Ohne eine weitere Erklärung bat sie Rianna darum, anzufangen.
Ein wenig irritiert darüber, was sie denn jetzt tun sollte, nahm Rianna ihren Bogen in die Hand und legte einen Pfeil auf. Als sie den Bogen spannte und mit dem Zielen begann, schwang sie erst mit der Scheibe mit. Da ihr das aber schon aufgrund der Position, die sie zum Ziel hatte, sehr schwer fiel und es sehr viel Kraft kostete, merkte sie recht schnell, dass es so nicht funktionieren würde. Also entspannte sie den Bogen wieder und setze kurzdarauf zu einem neuen Versuch an. Diesmal visierte sie jedoch einen der Scheitelpunkte an und schwang nichtmehr mit der Scheibe mit.
Ein paar Schwünge wartete sie noch ab, bis sie sich sicher war, auf den richtigen Punkt zu zielen. Als die Scheibe diesen Punkt erreichte, schoss Rianna ihren Pfeil ab. Er verfehlte aber trotz der relativ kurzen Entfernung knapp sein Ziel, da die Zielscheibe bereits wieder in die entgegengesetzte Richtung schwang.
Kay und Jacob, die sich währenddessen hinter ihrer Schwester in die Wiese gesetzt hatten und gespannt darauf warteten, ob sie traf, sprangen sofort auf und wollten das Ergebnis begutachten. Da der Pfeil entgegen ihrer Erwartungen nicht das Ziel getroffen hatte, suchten sie dahinter weiter. Dank der weißen Befiederung fanden sie ihn recht schnell, gut hundert Schritt entfernt, im Gras liegen.
Wie eine Trophäe hielten die beiden den Pfeil hoch und kamen dann schließlich damit zurück, um ihn ihrer Schwester zurückzugeben.
„Danke euch beiden, “ sagte sie mit einem leichten Kopfnicken. „Das wäre aber nicht nötig gewesen. Denn ich hab hier doch noch einen ganzen Haufen davon.“, und deutet dabei auf den Köcher auf ihrem Rücken, in dem sich noch 14 Pfeile befanden.
Kay und Jacob grinsten sich abermals gegenseitig an, zuckten dann aber mit den Schultern und setzten sich wieder hinter ihre Schwester auf den Boden.
Rianna wunderte sich immer wieder darüber, wie es ihre beiden Brüder schafften, sich scheinbar wortlos untereinander zu verständigen. Sie schob diesen Gedanke jedoch beiseite und wandte sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck wieder Alia zu. Sie war sich nicht sicher, was sie falsch gemacht hatte.
Alia hatte in der Zwischenzeit aufgehört, am Seil zu ziehen und sagte: „Du darfst nicht erst dann schießen, wenn du dein Ziel im Visier hast, sondern musst auch bedenken, dass der Pfeil einige Zeit braucht, bis er sein Ziel erreicht. Dementsprechend ist es nun umso wichtiger, die richtige Entfernung zu deinem Gegner einzuschätzen, seine Geschwindigkeit und die Richtung, in die er sich bewegt. Daher musst du auf den Punkt Zielen, an dem sich dein Gegner befindet, wenn auch dein Pfeil dort ankommt.“ Mit diesen Worten begann sie wieder, die Zielscheibe in Schwung zu setzen und bat Rianna, weiterzumachen.
All diese Punkte beachtend, traf Rianna jetzt auch die Scheibe - sehr zur Freude ihrer beiden Brüder. Allerdings noch nicht ins Schwarze.
Die darauffolgenden Versuche wurden zwar von Mal zu Mal besser, jedoch änderte Alia nun auch häufig die Geschwindigkeit, mit der sie die Scheibe zog, wodurch die Aufgabe wieder bedeutend schwieriger wurde. Rianna traf zwar ab und zu auch mal die Mitte, jedoch schienen dies eher Zufallstreffer zu sein.
Als sich Rianna eine ganze Weile später resignierend und völlig erschöpft auf die Wiese legte, hatte sie es immerhin ein paar Mal hintereinander geschafft, einen Volltreffer zu landen.
Alia, die mittlerweile die verschossenen Pfeile eingesammelt hatte und diese ihrer Besitzerin übergab, sagte: „Für den Anfang nicht schlecht. Beim nächsten Mal werden wir die Distanz aber mindestens verdoppeln.“
Rianna, die gerade dabei war, ihre Pfeile sorgfältig in den Köcher einzuordnen, seufzte bei diesen Worten. Dann reichte sie der Späherin eine Hand und bat diese, ihr hoch zu helfen.
„Na, stell dich mal nicht so an“, sagte Alia gespielt entrüstet, während sie ihrer Schülerin aufhalf. Dann stemmte sie ihre Hände auf ihre Hüften. „Für das, was du in den letzten Wochen gelernt hast, habe ich Monate oder teilweise sogar Jahre gebraucht, um es so zu beherrschen. Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass die hier nicht ganz unschuldig daran sind.“, fügte sie hinzu und deutete dabei auf Riannas rubinrote Augen.
„Kann gut sein, “ stimmte ihr Rianna zu. „Wir haben ja schon feststellen dürfen, dass meine Augen um einiges besser sind als die der meisten.“
„Einschließlich meiner eigenen. “, bestätigte die Späherin. „Und ich kann immerhin behaupten, mit die besten in unserem Trupp zu haben.“ *
Kay und Jacob hatten sich nach einiger Zeit gelangweilt zum Ufer des Sees begeben, um die dortige Insektenwelt näher zu erforschen und auch das ein oder andere Exemplar einzufangen. Rianna hatte sie jedoch vorher noch dazu ermahnt, vorsichtig zu sein. Als die beiden Brüder bemerkten, dass die Frauen aufbrechen wollten, kamen sie fröhlich miteinander plaudernd wieder zurück zum Waldrand.
Gemeinsam gingen sie nun wieder am Bach vorbei bis zur Straße, und von dort aus zurück zu Riannas Versteck. Dort legte sie ihren Bogen und den Köcher wieder zurück und nahm ihr Kleid heraus, um es erneut über der Rüstung zu tragen.
So umgezogen ging es nun weiter. Als sie den Rand des Waldes erreichten und in Sichtweite von Horin gelangten, liefen die beiden Brüder plötzlich los und schienen sich ein Wettrennen miteinander zu liefern.
„Die haben es aber eilig“, bemerkte Alia und Rianna reckte sich, um ihnen nachzusehen. Da die beiden jedoch schnell, auf Grund des hochwachsenden Getreide, aus dem Sichtfeld ihrer Schwester verschwanden, konnte sie weder sagen, wer gewann, noch was das Ziel war.
Kurz nachdem die beiden Frauen das Tor erreicht hatten, verabschiedete sich Alia. Sie ging in eine Seitengasse, welche sie zu dem Gebäude führen würde, in dem sie und ihr Spähtrupp stationiert waren.
Rianna ging weiter Richtung Markt, bis sie hörte, dass jemand nach ihr rief. Nachdem sie sich umgesehen hatte und bemerkte, dass Horst sie heranwinkte, kehrte sie um und ging zurück zur Schmiede. Dort angekommen, sah sie, wie Horst an der Esse stand und mit einer Zange nach ein paar im Feuer liegende Eisenstangen sah. Er war eine stämmiger Mann mit Glatze, der - abgesehen von einer Lederschürze - nichts am Oberkörper trug. Da er augenscheinlich noch nicht mit dem Ergebnis zufrieden war, legte er die Stangen zurück ins Feuer. Dann drehte er sich wieder um und ging auf Rianna zu, die vor der Schmiede stehen geblieben war.
„Könntest du deinem Vater ausrichten, dass er bitte zu mir kommen soll? Ich bin mit seiner Bestellung so gut wie fertig, aber ich müsste vorher noch ein paar Kleinigkeiten mit ihm klären“, sagte er. Rianna kam sich langsam wie ein „Laufbursche“ vor, antwortete aber stattdessen: „Ich werde es ihm ausrichten! Gibt es sonst noch etwas?“
„Nein, das war alles“, erwiderte Horst und wandte sich wieder seiner Schmiede zu. Rianna dagegen ging wieder weiter und da sie sowieso auf dem Weg nach Hause am Laden ihres Vaters vorbeikam, gab sie ihm auch direkt Bescheid.
Zu Hause angekommen, begab sie sich erst einmal in ihr Zimmer und entledigte sich dort ihrer Lederrüstung, welche sie in eine Truhe unter ihrem Bett verstaute. Nach einiger Zeit bat ihre Stiefmutter Silvia sie darum, ihr bei den Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen. *
Später erzählte Riannas Vater Otwin bei einem Teller mit heißem Eintopf aus Kartoffeln, Gemüse und Fleisch, dass in den nächsten Tagen wieder die Handelskarawane eintreffen würde. Otwin war ein relativ großer aber auch korpulenter Mann mit schwarzen Haaren und einem gepflegten Vollbart.
„Kannst du bitte auf den Laden aufpassen?“, bat er seine Tochter, „Erick und ich holen währenddessen die Wahren ab, die wir beim letzten Besuch der Karawane bestellt hatten.
Und vielleicht gibt es ja sonst noch etwas, was man von den Händlern gebrauchen könnte.“
Rianna sagte ihrem Vater mit einem Kopfnicken zu. Glücklicherweise dauerte es noch einige Tage, bis sie sich wieder mit Alia treffen würde, weswegen sie sich also keine Ausrede einfallen lassen musste.
Einen Tag später traf die betreffende Handelskolonne spät abends ein und errichtete auf einer Wiese vor dem Tor ihr Lager.
Die Karawane, die vier Mal im Jahr hier vorbei kam und zwischen den beiden Hauptstädten der Königreiche Ah und Beh reiste, bestand aus gut einem Dutzend Wagen verschiedenster Bauarten, die vorwiegend von Pferden gezogen wurden.
Obwohl die Händler sich auch durchaus zu verteidigen wussten, wurden sie stets von einer Gruppe Söldnern begleitet. Diese Söldner waren zumeist kampferprobte Veteranen und saßen entweder mit auf einem der Wagen, die sie beschützen sollten, oder ritten mit ihren Pferden nebenher.
Dieser zusätzliche Schutz machte die Karawane aber auch für Reisende interessant, um sicher von einem Ort zum anderen zu gelangen.
An dem darauffolgenden Tag herrschte ein reges Treiben zwischen dem Lager und dem Marktplatz.
Rianna hatte sich schon früh im Laden eingefunden. Dieser bestand aus einem großen Lagerbereich im hinteren Teil, in dem alle möglichen Gegenstände darauf warteten, verkauft zu werden, und einen kleinen abgetrennten Bereich, in dem die Geschäfte abgewickelt wurden. Das Lager konnte man durch eine große Doppeltür erreichen, die zu einer Gasse führte und den Verkaufsbereich betrat man durch eine normale Tür vom Marktplatz aus.
Weil die neu eingetroffenen Händler für die meisten Bewohner Horins derzeit am interessantesten waren, wurde es Rianna mit der Zeit langweilig. Um sich daher die Zeit zu vertreiben, begann sie damit, den Laden, in dem ein heilloses Chaos herrschte, etwas aufzuräumen.
Alles lag wild verteilt auf und neben den Tischen und Regalen. >>Dass man hier überhaupt etwas findet, grenzt an ein Wunder<<, dachte sie sich.
Unterbrochen wurde sie nur ab und zu von einem der Händler, die ihre Waren verkaufen wollten; diese verwies Rianna aber an ihren Vater. Manchmal kamen dann aber auch doch Leute aus dem Dorf, die die verschiedensten Waren haben wollten, welche man meistens nach ein wenig Sucherei auch fand. Anschließend trug Rianna den getätigten Verkauf in ein Buch mit braunem Einband, mittels einer Feder, die sie in ein Fass mit schwarzer Tinte tauchte. Das Buch befand sich stets unter dem Tresen. Vermerkt wurde, was wann und für wie viel an wen verkauft wurde.
Der Umstand, dass sie sowohl lesen, schreiben als auch rechnen konnte, verdankte sie ihrem Vater, da er der Meinung war, dass seine Kinder nicht als dumme Bauerntölpel gelten sollten. Dies war jedoch eine seiner wenigen positiven Ansichten.
Denn Otwin konnte sehr streng und vor allem laut werden, wenn es darum ging, was Rianna tun und lassen durfte, im Gegensatz zu dem, was ihre Brüder durften. Allein, dass sie alle paar Tage mit Alia unterwegs sein konnte, kostete sie einiges an Überredungskunst. Und wenn ihr Vater erfuhr, was sie dort machen würde, wäre auch wieder schnell Schluss damit.
Derweilen war es später Nachmittag, als jemand den Laden betrat und an der Tür stehen blieb. Da niemand zu sehen war, räusperte sich die Person kurz und brachte dann ein quäkendes „Hallo?“ von sich.
Rianna, die gerade damit beschäftigt war, einige der neuen Waren in die Regale im Lager einzusortieren, antwortete: „Ich komme sofort“, und legte einen Wollstoffballen beiseite.
Sie betrat den vorderen Teil und sah eine alte Frau. Die tiefen Falten im Gesicht, die weißen Haare und eine stark gekrümmte Haltung spiegelten ein hohes Alter wider.
Und dennoch, als sie Rianna sah, spurtete sie in einem Tempo zu ihr, welches man einer so gebrechlich wirkenden Person nicht mehr zutrauen würde. Dabei stolperte sie beinahe über den Stock, welchen sie als Gehilfe nutzte. Bei Rianna angekommen, begann die Unbekannte sie genauer zu begutachten und bevor die Händlerstochter fragen konnte, was das denn sollte, fragte die Frau: „Wann und wo hast du ihn getroffen?“
Sichtlich irritiert fragte Rianna ihrerseits: „Wen soll ich getroffen haben?“
Da deutete die Alte auf Riannas Augen und sagte: „Das sind die Augen eines Drachen, die bekommt man nicht einfach so und sind auch keine Laune der Natur. Also noch einmal: Wann und wo hast du den Drachen getroffen?“
„Die habe ich seit meiner Geburt“, antwortete darauf Rianna.
„Und deine Mutter?“, fragte sie nun. „Hat sie dir nicht erklärt, woher oder wieso du sie hast?“
„Ich habe meine Mutter nie kennengelernt, “ sagte Rianna ein wenig gereizt von dem Verhör. „Sie soll kurz nach meiner Geburt gestorben sein und soweit ich weiß, hatte sie normale braune Augen.“
Die Frau trat nun einen Schritt zurück und man konnte einen Anflug von Bedauern in ihrem Gesicht sehen. Allerdings war sich Rianna nicht sicher, ob wegen des Todes ihrer Mutter oder weil sie die Frage der Frau nicht beantworten konnte.
„Nun, das konnte ich ja nicht…“, fing die Alte an zu stottern. „Mein Beileid, es tut mir leid, dass ich dich so bedrängt habe.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte wieder aus dem Laden.
Überwältigt von der Situation, stand Rianna noch eine ganze Weile da und fragte sich, was dies zu bedeuten hatte.
Sie bemerkte nicht, wie ihr Vater durch die Tür vom Lager hinter sie trat.
„Ah, du hast hier aufgeräumt. Sehr schön, wurde auch mal wieder Zeit.“, sagte er aufrichtig beeindruckt zu ihr, da er sich über das vorher herrschende Durcheinander vollkommen bewusst war, allerdings zu faul war, es in Ordnung zu bringen.
„Gab es etwas Besonderes, von dem ich wissen sollte?“, wollte er anschließend wissen.
Rianna, die bis gerade eben immer noch auf die Tür gestarrt hatte, erwachte nun langsam aus ihrer Starre und antwortete zögerlich: „Etwas … etwas Besonderes …? Äh, nein, nichts, alles in Ordnung.“
„Gut, Erick und ich haben soweit alles zusammen. Wir räumen jetzt noch die restlichen Waren ins Lager ein. Du kannst also gehen, falls du hier fertig bist.“
„Ja, ich war soweit fertig“, sagte Rianna und ging Richtung Tür.
Zu Hause ging Rianna die alte Frau und das, was sie gesagt hatte, nicht mehr aus dem Kopf.
Rianna war erstaunt, aber auch ein wenig schockiert/geschockt darüber, dass sie nun wusste, woher ihre ungewöhnlichen Augen kamen. Allerdings ergaben sich nun jede Menge neue Fragen für sie, die beantwortet werden wollten. Sie zerbrach sich immer mehr den Kopf darüber und konnte deswegen nicht einschlafen. Daher beschloss Rianna, am nächsten Tag die alte Frau aufzusuchen und hoffte, dass sie ihr die eine oder andere Frage beantworten konnte.
>>Sie ist wahrscheinlich eine der Händlerinnen aus der Karawane oder reist zumindest mit ihnen<<, dachte sich Rianna, >>Es sollte also nicht allzu schwer werden, sie zu finden.<<
Am nächsten Morgen fiel es Rianna sehr schwer, aus dem Bett zu kommen. Normalerweise war sie die Erste, die aufstand. Sie holte dann Wasser aus dem Dorfbrunnen, um es dann im Kessel über dem Feuer zu erhitzen. Bis dahin war dann auch meist ihre Stiefmutter wach. Gemeinsam bereiteten sie dann das Frühstück vor und weckten den Rest der Familie.
Doch heute waren es Riannas jüngere Brüder, die sie weckten.
Jegliche Fragen, ob es ihr nicht gut ging oder etwas nicht stimmte, beantwortete sie nur damit, dass sie schlecht geschlafen hatte, sonst aber alles in Ordnung war.
Nachdem sie sich gestärkt hatte, ging sie ohne Umweg zum Lager der Händler, welches auch langsam zum Leben erwachte. Rianna fragte die erstbeste Person, die sie traf und nicht aus Horin stammte, nach der Frau.
In diesem Fall war es einer der Söldner. Er musste zwar kurz überlegen, schien aber zu wissen, wen Rianna meinte und sagte mit rauer, aber freundlicher Stimme: „Hmm, du meinst bestimmt die verrückte alte Kräuterhexe.“ Rianna musste dieser Umschreibung innerlich zustimmen, wenn man danach ging, wie sich die Frau gestern verhalten hatte. Weiterhin sagte der Söldner: „Ich glaube, ihr Wagen steht dort drüben an den Palisaden“, und zeigte dabei auf einen Schindelwagen, welcher am Rand des Lagers stand. Sie bedankte sich bei ihm und ging dann in die ihr gewiesene Richtung. Als, so hoffte Rianna zumindest, nicht ganz ernst gemeinte Warnung, rief ihr der Mann noch hinterher: „Sei aber vorsichtig! Nicht, dass sie dir deine hübschen Augen für eine ihrer Tränke braucht.“
Der Wagen vor dem sie nun stand, war etwas größer als die der anderen Händler und schien dem Bewohner auch als Schlafplatz zu dienen. Alle anderen hingegen hatten die Nacht in Zelten verbracht, aus denen der größte Teil des Lagers bestand.
An der linken Seite des Wagens befand sich eine Tür, vor der eine kleine Treppe auf dem Boden stand, womit man die Tür bequem erreichen konnte. Rechts und links der Tür war jeweils ein Fenster, deren Läden geschlossen waren. Davor hingen jeweils Kästen, in denen Blumen wuchsen, oder besser gesagt Kräuter, wie Rianna erkannte, als sie genauer hinsah. Am hinteren Ende des Wagens waren zwei Fässer befestigt, in denen sich vermutlich ein Wasservorrat befand. Aus einem Metallrohr, welches als Schornstein diente, quoll bereits Rauch - was vermuten ließ, dass der Bewohner bereits wach war.
Rianna schritt an die Tür, klopfte gut hörbar daran und ging wieder ein paar Schritte zurück. Einige Momente später öffnete sich die obere Hälfte der Tür und die alte Frau schaute heraus auf Rianna.
Ein wenig erleichtert fing sie an zu lächeln und sagte: „Ich habe gehofft, dass du kommen würdest. Ich muss allerdings gestehen, dass ich nicht so schnell mit dir gerechnet habe. Zuerst möchte ich mich aber nochmals wegen meines unhöflichen Verhaltens von gestern entschuldigen. Und zweitens würde ich mich gerne mit dir unterhalten. Du hast bestimmt einige Fragen. Also komm doch bitte herein. Ich habe gerade einen Kräutertee aufgesetzt, falls du eine Tasse möchtest.“
Sie hatte nun auch die untere Türhälfte geöffnet und bat Rianna hereinzukommen.
Im Inneren sah sich Rianna erst einmal um.
Der vordere Teil war voller Regale, in denen sich allerlei Tiegel, Töpfe und Flaschen mit diversen getrockneten oder in Flüssigkeiten eingelegten Kräutern, Früchten oder Dingen befanden, die Rianna auf Anhieb nicht identifizieren konnte. Außerdem stand vor einem der Fenster eine Kommode mit vielen Schubladen und einer Arbeitsplatte aus Stein. Daneben war ein gusseiserner Ofen platziert, in dem Feuer brannte und oben drauf stand eine Tonteekanne, in der das Wasser bereits hörbar kochte.
Im hinteren Teil des Wagens, in den die Frau sie nun lotste, stand vor dem anderen Fenster ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen, gegenüber war ein Schrank und am Ende ein Bett und eine verschließbare Truhe.
Rianna setzte sich auf den Stuhl, welcher der Tür am nächsten war und sagte zu der alten Frau, die damit begonnen hatte, etwas in den Regalen zu suchen: „Ich weiß noch gar nicht, wie Sie heißen. Mein Name ist Rianna.“
„Ach natürlich, wie unhöflich von mir. Was musst du bloß von mir denken!“, erwiderte sie. Inzwischen hatte sie auch zwei Tassen aus dem Regal genommen und stellte diese zusammen mit der Teekanne auf den Tisch.
„Mein Name ist Tabea, meines Zeichens Kräuterkundige und Heilerin“, stellte sie sich mit einer Verbeugung vor und setzte sich dann auf den freien Stuhl.
Einige Zeit saßen sich beide schweigend gegenüber, bis Tabea die Kanne nahm, beiden einschenkte und das Wort ergriff. „Nun, wieso bist du zu mir gekommen?“, fragte sie und nahm einen Schluck vom Tee.
„Dasselbe könnte ich Sie auch fragen“, antwortete Rianna daraufhin, „und vor allem, was genau wollten Sie von mir?“
„Was ich von dir wollte, sagte ich ja bereits in eurem Laden. Ich suche nach einem Drachen. Und gehört habe ich von dir, als einer der Händler, welcher dich offensichtlich gesehen hatte, von dir erzählte. Er schwärmte von einem hübschen Mädchen mit einer sehr ungewöhnlichen Augenfarbe, welches in einem der Läden am Marktplatz arbeiten würde. Er schien einen Schreck bekommen zu haben, als du ihn angesehen hattest, weswegen er schnell wieder aus eurem Laden verschwand. Jedoch schien er es hinterher bereut zu haben, dass er dich nicht angesprochen hatte.“
„Und daher wussten Sie direkt, dass meine Augen die eines Drachen sind?“, fragte Rianna weiter.
„Nein, dessen war ich mir erst sicher, als ich sie mir persönlich angesehen hatte. Eine solche Pupillenform entsteht nur dann, wenn sie mit Hilfe von Drachenmagie verändert wird.“
„Aber wieso sollte ein Drache das getan haben?“, fragte Rianna.
„Um einen Sehfehler zu korrigieren oder sogar Blindheit zu heilen. Manchmal aber auch nur, um die vorhandenen Sehkraft zu verbessern, aber gerade dann geschah es nicht uneigennützig für den jeweiligen Drachen. Meist verlangten sie irgendetwas dafür, dabei konnte es sich jedoch um alles Mögliche handeln, vom kleinen Gefallen bis hin zur völligen Ergebenheit. Was der Grund in deinem Fall ist, kann ich dir nicht beantworten. Wenn du, wie du sagtest, sie seit deiner Geburt hast, wird deine Mutter wohl Kontakt mit einem Drachen gehabt haben, als sie mit dir schwanger war. Da sie aber scheinbar nie mit jemandem darüber gesprochen hat, weiß wohl nur noch der Drache, welcher die Magie gewirkt hat, über die Gründe Bescheid“, antwortet Tabea.
„Es gibt doch aber seit mehr als 100 Jahren keine Drachen mehr. Wie sollte meine Mutter also einen getroffen haben?“, fragte Rianna irritiert.
„Die meisten wurden damals getötet, das ist richtig, aber es gibt noch welche. Nur entweder verbergen sich die wenigen, die es noch gibt, vor uns oder leben auf den anderen Kontinenten, wo sie nicht gejagt werden“, erzählte die alte Frau mit einem Hauch von Trauer in der Stimme.
„Wieso werden sie denn überhaupt gejagt?“, wollte Rianna nun wissen.
„Die genauen Gründe kenne ich leider nicht. Aber als die Drachen damals plötzlich anfingen, unsere Dörfer anzugreifen und bis auf die Grundmauern niederzubrennen, verhängte der damalige König ein Kopfgeld auf jeden erlegten Drachen. Gleichzeitig sandte er seine Armeen aus, um sie anzugreifen, da er wusste, dass ein Drache nicht von einem einzelnen Ritter getötet werden konnte. Nicht so, wie man es in manchen Geschichten zu hören bekommt.
Dennoch starben damals viele der sowieso schon seltenen Wesen, allerdings noch viel mehr Soldaten und Abenteurer bei dem Versuch, einen Drachen zu töten.
Das Merkwürdige war, dass die Drachen wie gesagt anfingen, unsere Dörfer oder auch Händlerkarawanen, wie diese hier, anzugreifen. Denn eigentlich sind die meisten von ihnen sehr friedvoll. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, jedoch nur selten und, soweit ich mich erinnere, nicht zu dieser Zeit. Des Weiteren waren sie auch weit intelligenter als die meisten Menschen, und aufgrund dessen, dass sie sehr alt wurden, auch wesentlich weiser.
Aggressiv wurden sie lediglich, wenn man sie angegriffen hat oder man ihren Hort unerlaubterweise betrat“, erklärte Tabea.
„Wieso ist es so wichtig für dich, einen zu treffen?“, fragte Rianna und leerte danach ihre Tasse.
„Ich brauche etwas von ihnen “, sagte Tabea kurz und bündig. „Mehr werde ich dazu aber nicht sagen.“ Sie schenkte jedem noch einmal eine Tasse vom Tee ein und fragte dann ihrerseits: „Hast du noch andere Fähigkeiten an dir bemerkt, außer der, dass du, wie ich mir denken kann, besser als andere sehen kannst?“
Rianna grübelte lange darüber und sagte schließlich: „Im Augenblick wüsste ich nichts Besonderes… außer vielleicht, dass es mir sehr leicht fällt, mir neue Fähigkeiten anzueignen.“
Tabea dachte über diese Antwort einen Moment nach und sagte dann: „Jemandem wie dir dürfte es sogar sehr leicht fallen, magische Fähigkeiten zu erlernen und zu wirken. Grundsätzlich kann das zwar jeder, aber den Meisten fällt es eher schwer. Ausnahmen gibt es wie bei allem natürlich auch hier, und da du durch Magie verändert wurdest, müsste es dir umso einfacher fallen.“
„Wie sollte das funktionieren?“, entgegnete Rianna irritiert. „Nur weil ich durch Magie verändert wurde, kann ich sie auch besser kontrollieren? Das macht für mich keinen Sinn.“
Tabea musste über diese Feststellung lachen und sagte: „Wie ich sehe, hast du auch ihre Auffassungsgabe bekommen. Es gibt einige Unterschiede zwischen der Magie der Menschen und die der Drachen. Einer zum Beispiel ist, dass eine Pflanze einige Tage später verblühen würde, wenn ein Mensch sie mithilfe der Magie aus einem Samen heranwachsen lässt und sie bis zur Blüte bringt, da ihre Lebensspanne von ihm verkürzt wurde.
Wenn ein Drache einen solchen Zauber wirkt, wird sie mindestens so lange blühen, wie sie gebraucht hätte, vom Samenkorn bis zur Blüte heranzuwachsen - eher noch viel länger. Die Pflanze wird mit Magie durchtränkt und zehrt auch von dieser zusätzlichen Energie, während sie bei Menschen nach dem Wirken fast gänzlich verpufft.
Wieso das so ist, liegt wahrscheinlich daran, dass Drachen schon sehr viel länger mit Magie umgehen und es auch von Natur aus können.“
„Gibt es etwas, das Sie mir beibringen könnten?“, wollte Rianna nun wissen.
„Du meinst etwas, außer der Kräuterkunde, und wie man mit ihrer Hilfe Wunden und Krankheiten heilt?“, fragte Tabea und Rianna nickte mit dem Kopf. „Naja, ich könnte dir zeigen, wie man einen guten Kräutertee wie diesen kocht. Aber ich denke, das ist auch nicht in deinem Sinne. Was Magie angeht, kann ich dir nichts beibringen, da ich mich nie praktisch damit auseinandergesetzt habe.“
„Und woher wissen Sie dann soviel darüber?“, fragte Rianna enttäuscht.
„Alles, was ich weiß, kommt aus Büchern. Aber eigentlich ist dieses Wissen nur sehr oberflächlich. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, solltest du einen Magiekundigen aufsuchen.“, sagte sie, erhob sich und ging zu einem der Regale, um dort etwas rauszuholen.
„Falls ich alle deine Fragen beantwortet habe, bitte ich dich jetzt, zu gehen. Ich habe noch etwas zu erledigen. Aber bevor du gehst, gebe ich dir noch etwas.“, fügte Tabea hinzu und kam mit einem kleinen Tontiegel zurück, welchen sie Rianna in die Hand drückte.
„Du siehst mir nicht wie ein Mädchen aus, das sich später einmal nur um den Haushalt und ihre Kinder kümmern möchte. Hier drin befindet sich eine Salbe, mit deren Hilfe Wunden besser verheilen und die verhindert, dass diese sich entzünden. Trage sie einfach auf den Verband auf, mit dem du die Wunde verbindest oder zur Not auch direkt auf die Wunde.“
Mit der Salbe in der Hand, verabschiedete sich Rianna von Tabea und ging durch die Tür nach draußen.
Da es erst Mittag war, wollte sich Rianna die Angebote der anderen Händler anschauen.
Sie ging zu den Markständen, die von der Straße, die aus Horin führte, bis in etwa der Mitte des Lagers reichten. Dort, wo am Abend zuvor noch ein großes Lagerfeuer gebrannt hatte, jetzt aber nur noch vereinzelt Flammen aus dem verkohlten Holzüberreste züngelten.
Rianna schritt die einzelnen Stände ab. Größtenteils bestanden diese nur aus einem einfachen Brett, welches auf zwei Kisten lag und auf dem die Waren zum Verkauf dargeboten wurden.
Stoffe wie Wolle, Samt und Seide, Gewürze, getrocknetes und gepökeltes Fleisch, Alkohol, Schmuck, Rüstungen und Waffen, aber nichts, was Rianna wirklich interessierte, weswegen sie sich dann doch auf den Heimweg machte.
Am Tag darauf wollte sich Rianna wieder mit Alia treffen und ihr auch gleich von den Neuigkeiten berichten, die sie erfahren hatte. Allerdings wartete Alia nicht wie üblich vor dem Tor auf sie.
Ungeduldig beobachtete Rianna die Händler und Söldner, welche gerade dabei waren, ihr Lager abzubrechen und damit schon fast fertig waren.
Deswegen beschloss Rianna auch sofort loszugehen. Denn sie wusste, dass die Karawane in ihre Richtung durch den Wald weiterziehen würde. Rianna wollte nicht, dass man sie dabei sah, wie sie ihre Sachen aus dem Versteck nahm.
Sie bat eine der Wachen, falls Alia noch auftauchen sollte, der Späherin Bescheid zu sagen, dass sie schon vorgegangen war und machte sich dann rasch auf den Weg Richtung Wald. Als sie an ihrem Versteck ankam und es öffnete, fand sie darin eine Nachricht und las sie.
Hallo Rianna,
kann mich heute leider nicht mit dir treffen.
Habe einen Auftrag bekommen und werde wahrscheinlich
die nächsten 2-3 Wochen nicht da sein.
Konnte dir leider nicht auf anderem Wege Bescheid geben,
da die Sache eilig ist und ich früh los musste.
Übe ruhig ohne mich weiter.
Alia
„Das erklärt dann auch, wieso sie nicht da war“, dachte sich Rianna, nahm ihre Sachen aus der Grube und ging weiter zum See.
Die Zielscheibe hing immer noch mit dem Seil am Baum. Jedoch konnte sie ohne jemanden, der für sie am Seil zog und so das Ziel in Schwung brachte, nicht weiter üben. Da Rianna aber auch noch nicht schon wieder zurückkehren wollte, beschloss sie einfach den Rest des Tages hier zu genießen. Sie legte ihre Sachen vor den mächtigen Stamm der Eiche, entledigte sich ihrer Rüstung und sprang in den See, dessen kühles Wasser ihr bei diesem heißen Sommertag richtig gut tat.
Rianna schwamm eine ganze Weile, bis ihr langsam die Kräfte schwanden und begab sie sich dann wieder ans Ufer. Schließlich legte sich unter den Baum auf die Wiese und lies sich von der warmen Sommerluft trocknen. Dabei schlief sie jedoch ein.
Am Abend schrak Rianna auf, als sie von einem lauten Donnern geweckt wurde. Zuerst dachte sie an ein Gewitter. Da sie aber keine Regenwolken am mittlerweile abendroten Himmel entdeckte, musste es etwas anderes gewesen sein.
Also zog sie sich wieder ihre Rüstung an, nahm ihren Bogen und den Köcher und wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause gehen. Sie blieb jedoch stehen, als sie bemerkte, wie sich etwas im Wald rechts von ihr bewegte.
Ihr stockte der Atem, als sie in ein ihr sehr wohl bekannt vorkommendes Paar Augen blickte, welches auch sie entdeckt hatte.
Daraufhin gab die Kreatur mit tief grollender Stimme nur ein Wort von sich: „MENSCH!“
„Ich bin dann weg“, sagte sie zu ihrer Stiefmutter, die gerade am Tisch saß und eine Hose ihrer Brüder flickte. „Ist in Ordnung“, antwortete ihr Silvia. „Ach, falls du deine Brüder siehst, sag ihnen, dass sie sich darauf einstellen können, ihre Sachen zukünftig selber zu flicken, wenn ich diese Woche noch einmal ein Hemd oder eine Hose von ihnen nähen muss.“
„Werde es ausrichten, falls ich einen von beiden sehe “, erwiderte Rianna. „Falls es bis dahin nicht schon zu spät ist.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Rianna und ging durch die Tür nach draußen.
Nun stand sie vor einem, für diesen Ortsteil von Horin üblichen Fachwerkhaus und wurde kurz von der Sonne geblendet, da es im inneren recht dunkel war. Für einen Moment genoss sie den noch frühen Sommermorgen und ging dann die gepflasterte Straße entlang zum Marktplatz, an dem sich auch der Krämerladen ihres Vaters befand. Dort bog sie auf die Straße, die sie am Handwerkerviertel vorbei zum Haupttor führte.
Eigentlich war es auch das einzige Tor im Palisadenzaun, welcher den Ort umgab. Diese Palisaden wurden errichtet, da es in dieser Gegend oft zu Banditenüberfällen kam.
Horin selbst lag in einem Tal des Beohgebirges, welches eine natürliche Grenze der beiden Königreiche Ah und Beh bildete. Das Tal erreichte man nur über zwei Pässe, einem aus nordwestlicher Richtung der nach Ah führte und der andere im Osten mit dem man nach Beh kam. Der nördliche und südliche Rand des Tals wurden durch Berge begrenzt, während es nach Westen steil bergab ins Vorgebirge ging.
Am Tor angekommen, traf Rianna dann auch auf Alia, welche sich gerade mit einem der Torwachen unterhielt. Sie hatte, wie fast immer, eine leichte Lederrüstung an - in den für den hier ansässigen Spähposten üblichen braun-grünen Farben. Ein Langbogen und ein Köcher mit Pfeilen hingen über den Schultern auf ihrem Rücken, und ein einfaches Kurzschwert war am Gürtel auf ihrer linken Seite mit einem Lederriemen befestigt. Alia verabschiedete sich von der Wache, als sie Rianna herannahen sah und grüßte sie: „Ah, pünktlich wie immer. Na dann, lass uns losgehen.“
Sie gingen an einigen Getreidefeldern vorbei, die zu dieser Jahreszeit noch grün waren und kamen schließlich zu einer Weggabelung. An dieser wandten sie sich nach Westen zum Wald. Sie schienen nicht zu bemerken, dass sie, seit sie den Ort verlassen hatten, von zwei Personen verfolgt wurden. Dies dachten zumindest ihre Verfolger.
Einige Zeit, nachdem die beiden den Wald betreten hatten, blieben sie stehen und schauten sich um. „Hinter dem Baum, der neben dem Wegweiser steht?“, fragte Rianna eigentlich nur, um es von Alia bestätigt zu bekommen. „Richtig“, antwortete sie nur knapp.
Rianna ging ein paar Schritte vom Weg ab in den Wald hinein und blieb vor einem moosbewachsenem Stück Waldboden stehen. Sie schaute sich noch einmal kurz um und kniet sich dann ins Laub. Mit einem ihrer Meinung nach viel zu lauten Knarren öffnete sie eine unter dem Moos versteckte Falltür. Kurz dachte sie darüber nach, ob sie sich nicht etwas Öl von ihrem Vater oder Horst, dem Schmied, besorgen sollte, um die Scharniere der Tür zu ölen. Sie schob diesen Gedanken für den Augenblick beiseite und nahm dann aus einer Kiste, die in der nun offen liegenden Grube versteckt war, einen in ein Leinentuch eingewickelten Langbogen und einen Köcher mit Pfeilen.
Dann richtete sie sich wieder auf, knöpfte ihr Leinenkleid auf und zog es aus. Darunter kam eine Lederrüstung, wie sie Alia trug, zum Vorschein. Das Kleid legte sie zusammen mit dem Tuch, in den der Bogen eingewickelt war, wieder sorgsam in die Kiste. Rianna schloss die Falltür und verteilte etwas von dem umherliegenden Laub darüber, um sie wieder vor neugierigen Blicken zu verstecken.
Anschließend spannte Rianna die Sehne auf den Bogen, was ihr aufgrund des weichen Waldbodens nicht gerade leicht viel. Nachdem sie dies jedoch geschafft hatte, nahm sie einen Pfeil, legte ihn an, zielte auf den Baum hinter dem ihre Verfolger lauerten, und schoss. Dies alles geschah in einer Geschwindigkeit, die selbst Alia beeindruckte. Es war nicht so, dass sie es selbst nicht mindestens genauso schnell hätte bewerkstelligen können. Doch für einen Anfänger wie Rianna, mit der sie erst ein paar Mal geübt hatte, war dies eine beachtliche Leistung.
In der Zwischenzeit hatte auch der Pfeil sein Ziel gefunden und war mit einem lauten Knall in den anvisierten Baum eingeschlagen, wo er die erhoffte Wirkung zeigte. Denn beide Verfolger kamen hinter dem Baum hervorgestolpert und wollten Richtung Horin weglaufen.
„Halt!“, rief Alia den beiden hinterher. „Oder der nächste Pfeil trifft einen von euch!“ Augenblicklich blieben beide stehen, und die beiden Frauen gingen langsam auf sie zu.
„Na, was denkst du, was sollen wir mit den beiden Halunken machen?“, fragte Alia laut genug, sodass es die beiden Betreffenden auch hören konnten. „Sollen wir sie zum Hauptmann bringen und sehen, ob es für die Zwei ein Kopfgeld gibt? Wobei, so mickrig, wie die beiden aussehen, wird das wohl nicht der Fall sein. Vielleicht sollten wir sie doch erschießen und hier im Wald vergraben.“
Daraufhin liefen die beiden Erwischten auf Rianna zu.
„Nein, bitte, bitte nicht! Wir tun es auch nie wieder!“, flehten sie ihre Schwester an und umklammerten sie dabei, sodass sie sich kaum noch bewegen konnte.
„Was macht ihr eigentlich hier draußen? Ihr wisst doch, dass ihr nicht ohne Begleitung in den Wald gehen dürft!“, ermahnte Rianna ihre beiden jüngeren Brüdern.
„Wir sind nicht alleine. Ihr seid doch bei uns!“, kam als Antwort vom jüngeren Kay.
„Genau!“, bestätigte Jacob nickend, „Außerdem wollen wir wissen, wo ihr hingeht!“
„In Ordnung“, sagte Rianna resignierend und schüttelte dabei den Kopf, „Wenn ihr niemanden etwas verratet, könnt ihr mitkommen und zusehen. Ansonsten sage ich unserem Vater, dass ich euch dabei erwischt habe, wie ihr alleine im Wald herumgelaufen seid.“ Die beiden Jungs grinsten sich gegenseitig an und nickten dann Rianna zu.
Währenddessen hatte sich Alia dem Pfeil im Baum zugewandt. Nur mit großer Mühe konnte sie ihn aus dem Stamm der Eiche ziehen, in den er fast eine Handbreit eingedrungen war. Enttäuscht musste sie jedoch feststellen, dass der Pfeil unbrauchbar war, da die Spitze abgebrochen war und noch immer tief im Stamm fest steckte.
Alia warf den Rest des Pfeils weg und sagte lächelnd zu Rianna: „Wenn du so weiter machst, wirst du wohl bald mir Unterricht geben müssen.“
Nun gingen alle Vier tiefer in den Wald hinein, bis sie an eine einfache Holzbrücke kamen, die über einen breiten Bach führte. Allerdings überquerten sie diese nicht, wie Kay feststellen musste. Denn er war schon vorgelaufen und wartete nun am anderen Ende ungeduldig auf den Rest der Gruppe. Stattdessen bogen Rianna und Alia kurz vor der Brücke auf einen unscheinbaren Pfad, der dem Bachlauf folgte.
„Wohin gehen wir eigentlich?“, wollte Kay wissen, welcher sie mit diesen Worten wieder eingeholt hatte und diesmal bei den anderen blieb.
„Das wirst du gleich sehen“, erwiderte Alia gelassen. „Wir sind schon fast da.“
Der Bach, an dem sie entlanggingen, entsprang einer Quelle in den nahen Bergen. Er war kristallklar und dadurch, dass er nicht besonders tief war, konnte man ohne Probleme bis auf den Grund sehen und jegliches Leben in ihm beobachten.
Auch außerhalb des Wassers blühte das Leben. Überall schwirrten Insekten herum oder saßen auf Blättern und Schilfhalmen. Man hörte das Quaken von Fröschen und ab und zu zeigte sich das ein oder andere Tier, welches auf der Suche nach Wasser hier hergekommen war, um seinen Durst zu löschen.
Weiter abwärts mündete der Bach in einen großen See, welcher ringsum vom Wald umgeben war. Der See selbst war zwar an den Ufern zunächst sehr flach, wurde aber meist nach wenigen Schritten zunehmend tiefer.
Am nördlichen Ufer lag die Hütte von Nyrion. Er lebte sehr zurückgezogen und kam nur manchmal nach Horin auf den Markt. Dort tauschte er dann meistens einige Fische, die er hier am See gefangen hatte, gegen irgendwelche Gegenstände ein, die er brauchte.
Das Ziel der Gruppe war eine kleine Bucht, die am südöstlichen Teil des Sees lag. Hier gab es einen Kiesstrand und das Wasser war höchstens hüfttief. Des Weiteren grenzte der Wald nicht, wie fast überall sonst, direkt am Ufer, sondern an einer Wiese.
Auf dieser Wiese stand eine sichtlich schon sehr alte Eiche, welche weitaus größer war als die Bäume des umgebenen Waldes. Darunter stand eine Zielscheibe aus Stroh, welche auf einem Holzgestell befestigt war.
Dort angekommen nahm Alia die Zielscheibe, welche, wie man nun erkennen konnte, auf der Rückseite an einem Fassboden befestigt war. Alia hängte die Scheibe an ein Seil, welches sie kurz zuvor über einen Ast geworfen hatte und zog sie bis etwa auf Brusthöhe. Dann verknotete sie das andere Ende des Seils am Baumstamm und überprüfte, ob alles festhielt.
Gerade als Rianna fragen wollte, was die Späherin denn dort mache, erklärte diese: „Heute üben wir das Schießen auf ein sich bewegendes Ziel. Da du ja eben beeindruckend unter Beweis gestellt hast, dass du auch weit entfernte Holzköpfe triffst, “, Alia musste dabei grinsen und fuhr fort, „dachte ich mir, dass dies eine sinnvolle Steigerung des Schwierigkeitsgrades wäre. Denn die wenigsten deiner Ziele werden starr wie ein Baum dastehen und darauf warten, dass du auf sie feuerst.“
Alia nahm ein zweites Seil, welches ebenfalls an der Zielscheibe befestigt war, stellte sich neben den Stamm und sorgte dafür, dass die Scheibe langsam, aber gleichmäßig hin und her pendelte. Ohne eine weitere Erklärung bat sie Rianna darum, anzufangen.
Ein wenig irritiert darüber, was sie denn jetzt tun sollte, nahm Rianna ihren Bogen in die Hand und legte einen Pfeil auf. Als sie den Bogen spannte und mit dem Zielen begann, schwang sie erst mit der Scheibe mit. Da ihr das aber schon aufgrund der Position, die sie zum Ziel hatte, sehr schwer fiel und es sehr viel Kraft kostete, merkte sie recht schnell, dass es so nicht funktionieren würde. Also entspannte sie den Bogen wieder und setze kurzdarauf zu einem neuen Versuch an. Diesmal visierte sie jedoch einen der Scheitelpunkte an und schwang nichtmehr mit der Scheibe mit.
Ein paar Schwünge wartete sie noch ab, bis sie sich sicher war, auf den richtigen Punkt zu zielen. Als die Scheibe diesen Punkt erreichte, schoss Rianna ihren Pfeil ab. Er verfehlte aber trotz der relativ kurzen Entfernung knapp sein Ziel, da die Zielscheibe bereits wieder in die entgegengesetzte Richtung schwang.
Kay und Jacob, die sich währenddessen hinter ihrer Schwester in die Wiese gesetzt hatten und gespannt darauf warteten, ob sie traf, sprangen sofort auf und wollten das Ergebnis begutachten. Da der Pfeil entgegen ihrer Erwartungen nicht das Ziel getroffen hatte, suchten sie dahinter weiter. Dank der weißen Befiederung fanden sie ihn recht schnell, gut hundert Schritt entfernt, im Gras liegen.
Wie eine Trophäe hielten die beiden den Pfeil hoch und kamen dann schließlich damit zurück, um ihn ihrer Schwester zurückzugeben.
„Danke euch beiden, “ sagte sie mit einem leichten Kopfnicken. „Das wäre aber nicht nötig gewesen. Denn ich hab hier doch noch einen ganzen Haufen davon.“, und deutet dabei auf den Köcher auf ihrem Rücken, in dem sich noch 14 Pfeile befanden.
Kay und Jacob grinsten sich abermals gegenseitig an, zuckten dann aber mit den Schultern und setzten sich wieder hinter ihre Schwester auf den Boden.
Rianna wunderte sich immer wieder darüber, wie es ihre beiden Brüder schafften, sich scheinbar wortlos untereinander zu verständigen. Sie schob diesen Gedanke jedoch beiseite und wandte sich mit einem fragenden Gesichtsausdruck wieder Alia zu. Sie war sich nicht sicher, was sie falsch gemacht hatte.
Alia hatte in der Zwischenzeit aufgehört, am Seil zu ziehen und sagte: „Du darfst nicht erst dann schießen, wenn du dein Ziel im Visier hast, sondern musst auch bedenken, dass der Pfeil einige Zeit braucht, bis er sein Ziel erreicht. Dementsprechend ist es nun umso wichtiger, die richtige Entfernung zu deinem Gegner einzuschätzen, seine Geschwindigkeit und die Richtung, in die er sich bewegt. Daher musst du auf den Punkt Zielen, an dem sich dein Gegner befindet, wenn auch dein Pfeil dort ankommt.“ Mit diesen Worten begann sie wieder, die Zielscheibe in Schwung zu setzen und bat Rianna, weiterzumachen.
All diese Punkte beachtend, traf Rianna jetzt auch die Scheibe - sehr zur Freude ihrer beiden Brüder. Allerdings noch nicht ins Schwarze.
Die darauffolgenden Versuche wurden zwar von Mal zu Mal besser, jedoch änderte Alia nun auch häufig die Geschwindigkeit, mit der sie die Scheibe zog, wodurch die Aufgabe wieder bedeutend schwieriger wurde. Rianna traf zwar ab und zu auch mal die Mitte, jedoch schienen dies eher Zufallstreffer zu sein.
Als sich Rianna eine ganze Weile später resignierend und völlig erschöpft auf die Wiese legte, hatte sie es immerhin ein paar Mal hintereinander geschafft, einen Volltreffer zu landen.
Alia, die mittlerweile die verschossenen Pfeile eingesammelt hatte und diese ihrer Besitzerin übergab, sagte: „Für den Anfang nicht schlecht. Beim nächsten Mal werden wir die Distanz aber mindestens verdoppeln.“
Rianna, die gerade dabei war, ihre Pfeile sorgfältig in den Köcher einzuordnen, seufzte bei diesen Worten. Dann reichte sie der Späherin eine Hand und bat diese, ihr hoch zu helfen.
„Na, stell dich mal nicht so an“, sagte Alia gespielt entrüstet, während sie ihrer Schülerin aufhalf. Dann stemmte sie ihre Hände auf ihre Hüften. „Für das, was du in den letzten Wochen gelernt hast, habe ich Monate oder teilweise sogar Jahre gebraucht, um es so zu beherrschen. Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, dass die hier nicht ganz unschuldig daran sind.“, fügte sie hinzu und deutete dabei auf Riannas rubinrote Augen.
„Kann gut sein, “ stimmte ihr Rianna zu. „Wir haben ja schon feststellen dürfen, dass meine Augen um einiges besser sind als die der meisten.“
„Einschließlich meiner eigenen. “, bestätigte die Späherin. „Und ich kann immerhin behaupten, mit die besten in unserem Trupp zu haben.“ *
Kay und Jacob hatten sich nach einiger Zeit gelangweilt zum Ufer des Sees begeben, um die dortige Insektenwelt näher zu erforschen und auch das ein oder andere Exemplar einzufangen. Rianna hatte sie jedoch vorher noch dazu ermahnt, vorsichtig zu sein. Als die beiden Brüder bemerkten, dass die Frauen aufbrechen wollten, kamen sie fröhlich miteinander plaudernd wieder zurück zum Waldrand.
Gemeinsam gingen sie nun wieder am Bach vorbei bis zur Straße, und von dort aus zurück zu Riannas Versteck. Dort legte sie ihren Bogen und den Köcher wieder zurück und nahm ihr Kleid heraus, um es erneut über der Rüstung zu tragen.
So umgezogen ging es nun weiter. Als sie den Rand des Waldes erreichten und in Sichtweite von Horin gelangten, liefen die beiden Brüder plötzlich los und schienen sich ein Wettrennen miteinander zu liefern.
„Die haben es aber eilig“, bemerkte Alia und Rianna reckte sich, um ihnen nachzusehen. Da die beiden jedoch schnell, auf Grund des hochwachsenden Getreide, aus dem Sichtfeld ihrer Schwester verschwanden, konnte sie weder sagen, wer gewann, noch was das Ziel war.
Kurz nachdem die beiden Frauen das Tor erreicht hatten, verabschiedete sich Alia. Sie ging in eine Seitengasse, welche sie zu dem Gebäude führen würde, in dem sie und ihr Spähtrupp stationiert waren.
Rianna ging weiter Richtung Markt, bis sie hörte, dass jemand nach ihr rief. Nachdem sie sich umgesehen hatte und bemerkte, dass Horst sie heranwinkte, kehrte sie um und ging zurück zur Schmiede. Dort angekommen, sah sie, wie Horst an der Esse stand und mit einer Zange nach ein paar im Feuer liegende Eisenstangen sah. Er war eine stämmiger Mann mit Glatze, der - abgesehen von einer Lederschürze - nichts am Oberkörper trug. Da er augenscheinlich noch nicht mit dem Ergebnis zufrieden war, legte er die Stangen zurück ins Feuer. Dann drehte er sich wieder um und ging auf Rianna zu, die vor der Schmiede stehen geblieben war.
„Könntest du deinem Vater ausrichten, dass er bitte zu mir kommen soll? Ich bin mit seiner Bestellung so gut wie fertig, aber ich müsste vorher noch ein paar Kleinigkeiten mit ihm klären“, sagte er. Rianna kam sich langsam wie ein „Laufbursche“ vor, antwortete aber stattdessen: „Ich werde es ihm ausrichten! Gibt es sonst noch etwas?“
„Nein, das war alles“, erwiderte Horst und wandte sich wieder seiner Schmiede zu. Rianna dagegen ging wieder weiter und da sie sowieso auf dem Weg nach Hause am Laden ihres Vaters vorbeikam, gab sie ihm auch direkt Bescheid.
Zu Hause angekommen, begab sie sich erst einmal in ihr Zimmer und entledigte sich dort ihrer Lederrüstung, welche sie in eine Truhe unter ihrem Bett verstaute. Nach einiger Zeit bat ihre Stiefmutter Silvia sie darum, ihr bei den Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen. *
Später erzählte Riannas Vater Otwin bei einem Teller mit heißem Eintopf aus Kartoffeln, Gemüse und Fleisch, dass in den nächsten Tagen wieder die Handelskarawane eintreffen würde. Otwin war ein relativ großer aber auch korpulenter Mann mit schwarzen Haaren und einem gepflegten Vollbart.
„Kannst du bitte auf den Laden aufpassen?“, bat er seine Tochter, „Erick und ich holen währenddessen die Wahren ab, die wir beim letzten Besuch der Karawane bestellt hatten.
Und vielleicht gibt es ja sonst noch etwas, was man von den Händlern gebrauchen könnte.“
Rianna sagte ihrem Vater mit einem Kopfnicken zu. Glücklicherweise dauerte es noch einige Tage, bis sie sich wieder mit Alia treffen würde, weswegen sie sich also keine Ausrede einfallen lassen musste.
Einen Tag später traf die betreffende Handelskolonne spät abends ein und errichtete auf einer Wiese vor dem Tor ihr Lager.
Die Karawane, die vier Mal im Jahr hier vorbei kam und zwischen den beiden Hauptstädten der Königreiche Ah und Beh reiste, bestand aus gut einem Dutzend Wagen verschiedenster Bauarten, die vorwiegend von Pferden gezogen wurden.
Obwohl die Händler sich auch durchaus zu verteidigen wussten, wurden sie stets von einer Gruppe Söldnern begleitet. Diese Söldner waren zumeist kampferprobte Veteranen und saßen entweder mit auf einem der Wagen, die sie beschützen sollten, oder ritten mit ihren Pferden nebenher.
Dieser zusätzliche Schutz machte die Karawane aber auch für Reisende interessant, um sicher von einem Ort zum anderen zu gelangen.
An dem darauffolgenden Tag herrschte ein reges Treiben zwischen dem Lager und dem Marktplatz.
Rianna hatte sich schon früh im Laden eingefunden. Dieser bestand aus einem großen Lagerbereich im hinteren Teil, in dem alle möglichen Gegenstände darauf warteten, verkauft zu werden, und einen kleinen abgetrennten Bereich, in dem die Geschäfte abgewickelt wurden. Das Lager konnte man durch eine große Doppeltür erreichen, die zu einer Gasse führte und den Verkaufsbereich betrat man durch eine normale Tür vom Marktplatz aus.
Weil die neu eingetroffenen Händler für die meisten Bewohner Horins derzeit am interessantesten waren, wurde es Rianna mit der Zeit langweilig. Um sich daher die Zeit zu vertreiben, begann sie damit, den Laden, in dem ein heilloses Chaos herrschte, etwas aufzuräumen.
Alles lag wild verteilt auf und neben den Tischen und Regalen. >>Dass man hier überhaupt etwas findet, grenzt an ein Wunder<<, dachte sie sich.
Unterbrochen wurde sie nur ab und zu von einem der Händler, die ihre Waren verkaufen wollten; diese verwies Rianna aber an ihren Vater. Manchmal kamen dann aber auch doch Leute aus dem Dorf, die die verschiedensten Waren haben wollten, welche man meistens nach ein wenig Sucherei auch fand. Anschließend trug Rianna den getätigten Verkauf in ein Buch mit braunem Einband, mittels einer Feder, die sie in ein Fass mit schwarzer Tinte tauchte. Das Buch befand sich stets unter dem Tresen. Vermerkt wurde, was wann und für wie viel an wen verkauft wurde.
Der Umstand, dass sie sowohl lesen, schreiben als auch rechnen konnte, verdankte sie ihrem Vater, da er der Meinung war, dass seine Kinder nicht als dumme Bauerntölpel gelten sollten. Dies war jedoch eine seiner wenigen positiven Ansichten.
Denn Otwin konnte sehr streng und vor allem laut werden, wenn es darum ging, was Rianna tun und lassen durfte, im Gegensatz zu dem, was ihre Brüder durften. Allein, dass sie alle paar Tage mit Alia unterwegs sein konnte, kostete sie einiges an Überredungskunst. Und wenn ihr Vater erfuhr, was sie dort machen würde, wäre auch wieder schnell Schluss damit.
Derweilen war es später Nachmittag, als jemand den Laden betrat und an der Tür stehen blieb. Da niemand zu sehen war, räusperte sich die Person kurz und brachte dann ein quäkendes „Hallo?“ von sich.
Rianna, die gerade damit beschäftigt war, einige der neuen Waren in die Regale im Lager einzusortieren, antwortete: „Ich komme sofort“, und legte einen Wollstoffballen beiseite.
Sie betrat den vorderen Teil und sah eine alte Frau. Die tiefen Falten im Gesicht, die weißen Haare und eine stark gekrümmte Haltung spiegelten ein hohes Alter wider.
Und dennoch, als sie Rianna sah, spurtete sie in einem Tempo zu ihr, welches man einer so gebrechlich wirkenden Person nicht mehr zutrauen würde. Dabei stolperte sie beinahe über den Stock, welchen sie als Gehilfe nutzte. Bei Rianna angekommen, begann die Unbekannte sie genauer zu begutachten und bevor die Händlerstochter fragen konnte, was das denn sollte, fragte die Frau: „Wann und wo hast du ihn getroffen?“
Sichtlich irritiert fragte Rianna ihrerseits: „Wen soll ich getroffen haben?“
Da deutete die Alte auf Riannas Augen und sagte: „Das sind die Augen eines Drachen, die bekommt man nicht einfach so und sind auch keine Laune der Natur. Also noch einmal: Wann und wo hast du den Drachen getroffen?“
„Die habe ich seit meiner Geburt“, antwortete darauf Rianna.
„Und deine Mutter?“, fragte sie nun. „Hat sie dir nicht erklärt, woher oder wieso du sie hast?“
„Ich habe meine Mutter nie kennengelernt, “ sagte Rianna ein wenig gereizt von dem Verhör. „Sie soll kurz nach meiner Geburt gestorben sein und soweit ich weiß, hatte sie normale braune Augen.“
Die Frau trat nun einen Schritt zurück und man konnte einen Anflug von Bedauern in ihrem Gesicht sehen. Allerdings war sich Rianna nicht sicher, ob wegen des Todes ihrer Mutter oder weil sie die Frage der Frau nicht beantworten konnte.
„Nun, das konnte ich ja nicht…“, fing die Alte an zu stottern. „Mein Beileid, es tut mir leid, dass ich dich so bedrängt habe.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und eilte wieder aus dem Laden.
Überwältigt von der Situation, stand Rianna noch eine ganze Weile da und fragte sich, was dies zu bedeuten hatte.
Sie bemerkte nicht, wie ihr Vater durch die Tür vom Lager hinter sie trat.
„Ah, du hast hier aufgeräumt. Sehr schön, wurde auch mal wieder Zeit.“, sagte er aufrichtig beeindruckt zu ihr, da er sich über das vorher herrschende Durcheinander vollkommen bewusst war, allerdings zu faul war, es in Ordnung zu bringen.
„Gab es etwas Besonderes, von dem ich wissen sollte?“, wollte er anschließend wissen.
Rianna, die bis gerade eben immer noch auf die Tür gestarrt hatte, erwachte nun langsam aus ihrer Starre und antwortete zögerlich: „Etwas … etwas Besonderes …? Äh, nein, nichts, alles in Ordnung.“
„Gut, Erick und ich haben soweit alles zusammen. Wir räumen jetzt noch die restlichen Waren ins Lager ein. Du kannst also gehen, falls du hier fertig bist.“
„Ja, ich war soweit fertig“, sagte Rianna und ging Richtung Tür.
Zu Hause ging Rianna die alte Frau und das, was sie gesagt hatte, nicht mehr aus dem Kopf.
Rianna war erstaunt, aber auch ein wenig schockiert/geschockt darüber, dass sie nun wusste, woher ihre ungewöhnlichen Augen kamen. Allerdings ergaben sich nun jede Menge neue Fragen für sie, die beantwortet werden wollten. Sie zerbrach sich immer mehr den Kopf darüber und konnte deswegen nicht einschlafen. Daher beschloss Rianna, am nächsten Tag die alte Frau aufzusuchen und hoffte, dass sie ihr die eine oder andere Frage beantworten konnte.
>>Sie ist wahrscheinlich eine der Händlerinnen aus der Karawane oder reist zumindest mit ihnen<<, dachte sich Rianna, >>Es sollte also nicht allzu schwer werden, sie zu finden.<<
Am nächsten Morgen fiel es Rianna sehr schwer, aus dem Bett zu kommen. Normalerweise war sie die Erste, die aufstand. Sie holte dann Wasser aus dem Dorfbrunnen, um es dann im Kessel über dem Feuer zu erhitzen. Bis dahin war dann auch meist ihre Stiefmutter wach. Gemeinsam bereiteten sie dann das Frühstück vor und weckten den Rest der Familie.
Doch heute waren es Riannas jüngere Brüder, die sie weckten.
Jegliche Fragen, ob es ihr nicht gut ging oder etwas nicht stimmte, beantwortete sie nur damit, dass sie schlecht geschlafen hatte, sonst aber alles in Ordnung war.
Nachdem sie sich gestärkt hatte, ging sie ohne Umweg zum Lager der Händler, welches auch langsam zum Leben erwachte. Rianna fragte die erstbeste Person, die sie traf und nicht aus Horin stammte, nach der Frau.
In diesem Fall war es einer der Söldner. Er musste zwar kurz überlegen, schien aber zu wissen, wen Rianna meinte und sagte mit rauer, aber freundlicher Stimme: „Hmm, du meinst bestimmt die verrückte alte Kräuterhexe.“ Rianna musste dieser Umschreibung innerlich zustimmen, wenn man danach ging, wie sich die Frau gestern verhalten hatte. Weiterhin sagte der Söldner: „Ich glaube, ihr Wagen steht dort drüben an den Palisaden“, und zeigte dabei auf einen Schindelwagen, welcher am Rand des Lagers stand. Sie bedankte sich bei ihm und ging dann in die ihr gewiesene Richtung. Als, so hoffte Rianna zumindest, nicht ganz ernst gemeinte Warnung, rief ihr der Mann noch hinterher: „Sei aber vorsichtig! Nicht, dass sie dir deine hübschen Augen für eine ihrer Tränke braucht.“
Der Wagen vor dem sie nun stand, war etwas größer als die der anderen Händler und schien dem Bewohner auch als Schlafplatz zu dienen. Alle anderen hingegen hatten die Nacht in Zelten verbracht, aus denen der größte Teil des Lagers bestand.
An der linken Seite des Wagens befand sich eine Tür, vor der eine kleine Treppe auf dem Boden stand, womit man die Tür bequem erreichen konnte. Rechts und links der Tür war jeweils ein Fenster, deren Läden geschlossen waren. Davor hingen jeweils Kästen, in denen Blumen wuchsen, oder besser gesagt Kräuter, wie Rianna erkannte, als sie genauer hinsah. Am hinteren Ende des Wagens waren zwei Fässer befestigt, in denen sich vermutlich ein Wasservorrat befand. Aus einem Metallrohr, welches als Schornstein diente, quoll bereits Rauch - was vermuten ließ, dass der Bewohner bereits wach war.
Rianna schritt an die Tür, klopfte gut hörbar daran und ging wieder ein paar Schritte zurück. Einige Momente später öffnete sich die obere Hälfte der Tür und die alte Frau schaute heraus auf Rianna.
Ein wenig erleichtert fing sie an zu lächeln und sagte: „Ich habe gehofft, dass du kommen würdest. Ich muss allerdings gestehen, dass ich nicht so schnell mit dir gerechnet habe. Zuerst möchte ich mich aber nochmals wegen meines unhöflichen Verhaltens von gestern entschuldigen. Und zweitens würde ich mich gerne mit dir unterhalten. Du hast bestimmt einige Fragen. Also komm doch bitte herein. Ich habe gerade einen Kräutertee aufgesetzt, falls du eine Tasse möchtest.“
Sie hatte nun auch die untere Türhälfte geöffnet und bat Rianna hereinzukommen.
Im Inneren sah sich Rianna erst einmal um.
Der vordere Teil war voller Regale, in denen sich allerlei Tiegel, Töpfe und Flaschen mit diversen getrockneten oder in Flüssigkeiten eingelegten Kräutern, Früchten oder Dingen befanden, die Rianna auf Anhieb nicht identifizieren konnte. Außerdem stand vor einem der Fenster eine Kommode mit vielen Schubladen und einer Arbeitsplatte aus Stein. Daneben war ein gusseiserner Ofen platziert, in dem Feuer brannte und oben drauf stand eine Tonteekanne, in der das Wasser bereits hörbar kochte.
Im hinteren Teil des Wagens, in den die Frau sie nun lotste, stand vor dem anderen Fenster ein einfacher Tisch mit zwei Stühlen, gegenüber war ein Schrank und am Ende ein Bett und eine verschließbare Truhe.
Rianna setzte sich auf den Stuhl, welcher der Tür am nächsten war und sagte zu der alten Frau, die damit begonnen hatte, etwas in den Regalen zu suchen: „Ich weiß noch gar nicht, wie Sie heißen. Mein Name ist Rianna.“
„Ach natürlich, wie unhöflich von mir. Was musst du bloß von mir denken!“, erwiderte sie. Inzwischen hatte sie auch zwei Tassen aus dem Regal genommen und stellte diese zusammen mit der Teekanne auf den Tisch.
„Mein Name ist Tabea, meines Zeichens Kräuterkundige und Heilerin“, stellte sie sich mit einer Verbeugung vor und setzte sich dann auf den freien Stuhl.
Einige Zeit saßen sich beide schweigend gegenüber, bis Tabea die Kanne nahm, beiden einschenkte und das Wort ergriff. „Nun, wieso bist du zu mir gekommen?“, fragte sie und nahm einen Schluck vom Tee.
„Dasselbe könnte ich Sie auch fragen“, antwortete Rianna daraufhin, „und vor allem, was genau wollten Sie von mir?“
„Was ich von dir wollte, sagte ich ja bereits in eurem Laden. Ich suche nach einem Drachen. Und gehört habe ich von dir, als einer der Händler, welcher dich offensichtlich gesehen hatte, von dir erzählte. Er schwärmte von einem hübschen Mädchen mit einer sehr ungewöhnlichen Augenfarbe, welches in einem der Läden am Marktplatz arbeiten würde. Er schien einen Schreck bekommen zu haben, als du ihn angesehen hattest, weswegen er schnell wieder aus eurem Laden verschwand. Jedoch schien er es hinterher bereut zu haben, dass er dich nicht angesprochen hatte.“
„Und daher wussten Sie direkt, dass meine Augen die eines Drachen sind?“, fragte Rianna weiter.
„Nein, dessen war ich mir erst sicher, als ich sie mir persönlich angesehen hatte. Eine solche Pupillenform entsteht nur dann, wenn sie mit Hilfe von Drachenmagie verändert wird.“
„Aber wieso sollte ein Drache das getan haben?“, fragte Rianna.
„Um einen Sehfehler zu korrigieren oder sogar Blindheit zu heilen. Manchmal aber auch nur, um die vorhandenen Sehkraft zu verbessern, aber gerade dann geschah es nicht uneigennützig für den jeweiligen Drachen. Meist verlangten sie irgendetwas dafür, dabei konnte es sich jedoch um alles Mögliche handeln, vom kleinen Gefallen bis hin zur völligen Ergebenheit. Was der Grund in deinem Fall ist, kann ich dir nicht beantworten. Wenn du, wie du sagtest, sie seit deiner Geburt hast, wird deine Mutter wohl Kontakt mit einem Drachen gehabt haben, als sie mit dir schwanger war. Da sie aber scheinbar nie mit jemandem darüber gesprochen hat, weiß wohl nur noch der Drache, welcher die Magie gewirkt hat, über die Gründe Bescheid“, antwortet Tabea.
„Es gibt doch aber seit mehr als 100 Jahren keine Drachen mehr. Wie sollte meine Mutter also einen getroffen haben?“, fragte Rianna irritiert.
„Die meisten wurden damals getötet, das ist richtig, aber es gibt noch welche. Nur entweder verbergen sich die wenigen, die es noch gibt, vor uns oder leben auf den anderen Kontinenten, wo sie nicht gejagt werden“, erzählte die alte Frau mit einem Hauch von Trauer in der Stimme.
„Wieso werden sie denn überhaupt gejagt?“, wollte Rianna nun wissen.
„Die genauen Gründe kenne ich leider nicht. Aber als die Drachen damals plötzlich anfingen, unsere Dörfer anzugreifen und bis auf die Grundmauern niederzubrennen, verhängte der damalige König ein Kopfgeld auf jeden erlegten Drachen. Gleichzeitig sandte er seine Armeen aus, um sie anzugreifen, da er wusste, dass ein Drache nicht von einem einzelnen Ritter getötet werden konnte. Nicht so, wie man es in manchen Geschichten zu hören bekommt.
Dennoch starben damals viele der sowieso schon seltenen Wesen, allerdings noch viel mehr Soldaten und Abenteurer bei dem Versuch, einen Drachen zu töten.
Das Merkwürdige war, dass die Drachen wie gesagt anfingen, unsere Dörfer oder auch Händlerkarawanen, wie diese hier, anzugreifen. Denn eigentlich sind die meisten von ihnen sehr friedvoll. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, jedoch nur selten und, soweit ich mich erinnere, nicht zu dieser Zeit. Des Weiteren waren sie auch weit intelligenter als die meisten Menschen, und aufgrund dessen, dass sie sehr alt wurden, auch wesentlich weiser.
Aggressiv wurden sie lediglich, wenn man sie angegriffen hat oder man ihren Hort unerlaubterweise betrat“, erklärte Tabea.
„Wieso ist es so wichtig für dich, einen zu treffen?“, fragte Rianna und leerte danach ihre Tasse.
„Ich brauche etwas von ihnen “, sagte Tabea kurz und bündig. „Mehr werde ich dazu aber nicht sagen.“ Sie schenkte jedem noch einmal eine Tasse vom Tee ein und fragte dann ihrerseits: „Hast du noch andere Fähigkeiten an dir bemerkt, außer der, dass du, wie ich mir denken kann, besser als andere sehen kannst?“
Rianna grübelte lange darüber und sagte schließlich: „Im Augenblick wüsste ich nichts Besonderes… außer vielleicht, dass es mir sehr leicht fällt, mir neue Fähigkeiten anzueignen.“
Tabea dachte über diese Antwort einen Moment nach und sagte dann: „Jemandem wie dir dürfte es sogar sehr leicht fallen, magische Fähigkeiten zu erlernen und zu wirken. Grundsätzlich kann das zwar jeder, aber den Meisten fällt es eher schwer. Ausnahmen gibt es wie bei allem natürlich auch hier, und da du durch Magie verändert wurdest, müsste es dir umso einfacher fallen.“
„Wie sollte das funktionieren?“, entgegnete Rianna irritiert. „Nur weil ich durch Magie verändert wurde, kann ich sie auch besser kontrollieren? Das macht für mich keinen Sinn.“
Tabea musste über diese Feststellung lachen und sagte: „Wie ich sehe, hast du auch ihre Auffassungsgabe bekommen. Es gibt einige Unterschiede zwischen der Magie der Menschen und die der Drachen. Einer zum Beispiel ist, dass eine Pflanze einige Tage später verblühen würde, wenn ein Mensch sie mithilfe der Magie aus einem Samen heranwachsen lässt und sie bis zur Blüte bringt, da ihre Lebensspanne von ihm verkürzt wurde.
Wenn ein Drache einen solchen Zauber wirkt, wird sie mindestens so lange blühen, wie sie gebraucht hätte, vom Samenkorn bis zur Blüte heranzuwachsen - eher noch viel länger. Die Pflanze wird mit Magie durchtränkt und zehrt auch von dieser zusätzlichen Energie, während sie bei Menschen nach dem Wirken fast gänzlich verpufft.
Wieso das so ist, liegt wahrscheinlich daran, dass Drachen schon sehr viel länger mit Magie umgehen und es auch von Natur aus können.“
„Gibt es etwas, das Sie mir beibringen könnten?“, wollte Rianna nun wissen.
„Du meinst etwas, außer der Kräuterkunde, und wie man mit ihrer Hilfe Wunden und Krankheiten heilt?“, fragte Tabea und Rianna nickte mit dem Kopf. „Naja, ich könnte dir zeigen, wie man einen guten Kräutertee wie diesen kocht. Aber ich denke, das ist auch nicht in deinem Sinne. Was Magie angeht, kann ich dir nichts beibringen, da ich mich nie praktisch damit auseinandergesetzt habe.“
„Und woher wissen Sie dann soviel darüber?“, fragte Rianna enttäuscht.
„Alles, was ich weiß, kommt aus Büchern. Aber eigentlich ist dieses Wissen nur sehr oberflächlich. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, solltest du einen Magiekundigen aufsuchen.“, sagte sie, erhob sich und ging zu einem der Regale, um dort etwas rauszuholen.
„Falls ich alle deine Fragen beantwortet habe, bitte ich dich jetzt, zu gehen. Ich habe noch etwas zu erledigen. Aber bevor du gehst, gebe ich dir noch etwas.“, fügte Tabea hinzu und kam mit einem kleinen Tontiegel zurück, welchen sie Rianna in die Hand drückte.
„Du siehst mir nicht wie ein Mädchen aus, das sich später einmal nur um den Haushalt und ihre Kinder kümmern möchte. Hier drin befindet sich eine Salbe, mit deren Hilfe Wunden besser verheilen und die verhindert, dass diese sich entzünden. Trage sie einfach auf den Verband auf, mit dem du die Wunde verbindest oder zur Not auch direkt auf die Wunde.“
Mit der Salbe in der Hand, verabschiedete sich Rianna von Tabea und ging durch die Tür nach draußen.
Da es erst Mittag war, wollte sich Rianna die Angebote der anderen Händler anschauen.
Sie ging zu den Markständen, die von der Straße, die aus Horin führte, bis in etwa der Mitte des Lagers reichten. Dort, wo am Abend zuvor noch ein großes Lagerfeuer gebrannt hatte, jetzt aber nur noch vereinzelt Flammen aus dem verkohlten Holzüberreste züngelten.
Rianna schritt die einzelnen Stände ab. Größtenteils bestanden diese nur aus einem einfachen Brett, welches auf zwei Kisten lag und auf dem die Waren zum Verkauf dargeboten wurden.
Stoffe wie Wolle, Samt und Seide, Gewürze, getrocknetes und gepökeltes Fleisch, Alkohol, Schmuck, Rüstungen und Waffen, aber nichts, was Rianna wirklich interessierte, weswegen sie sich dann doch auf den Heimweg machte.
Am Tag darauf wollte sich Rianna wieder mit Alia treffen und ihr auch gleich von den Neuigkeiten berichten, die sie erfahren hatte. Allerdings wartete Alia nicht wie üblich vor dem Tor auf sie.
Ungeduldig beobachtete Rianna die Händler und Söldner, welche gerade dabei waren, ihr Lager abzubrechen und damit schon fast fertig waren.
Deswegen beschloss Rianna auch sofort loszugehen. Denn sie wusste, dass die Karawane in ihre Richtung durch den Wald weiterziehen würde. Rianna wollte nicht, dass man sie dabei sah, wie sie ihre Sachen aus dem Versteck nahm.
Sie bat eine der Wachen, falls Alia noch auftauchen sollte, der Späherin Bescheid zu sagen, dass sie schon vorgegangen war und machte sich dann rasch auf den Weg Richtung Wald. Als sie an ihrem Versteck ankam und es öffnete, fand sie darin eine Nachricht und las sie.
Hallo Rianna,
kann mich heute leider nicht mit dir treffen.
Habe einen Auftrag bekommen und werde wahrscheinlich
die nächsten 2-3 Wochen nicht da sein.
Konnte dir leider nicht auf anderem Wege Bescheid geben,
da die Sache eilig ist und ich früh los musste.
Übe ruhig ohne mich weiter.
Alia
„Das erklärt dann auch, wieso sie nicht da war“, dachte sich Rianna, nahm ihre Sachen aus der Grube und ging weiter zum See.
Die Zielscheibe hing immer noch mit dem Seil am Baum. Jedoch konnte sie ohne jemanden, der für sie am Seil zog und so das Ziel in Schwung brachte, nicht weiter üben. Da Rianna aber auch noch nicht schon wieder zurückkehren wollte, beschloss sie einfach den Rest des Tages hier zu genießen. Sie legte ihre Sachen vor den mächtigen Stamm der Eiche, entledigte sich ihrer Rüstung und sprang in den See, dessen kühles Wasser ihr bei diesem heißen Sommertag richtig gut tat.
Rianna schwamm eine ganze Weile, bis ihr langsam die Kräfte schwanden und begab sie sich dann wieder ans Ufer. Schließlich legte sich unter den Baum auf die Wiese und lies sich von der warmen Sommerluft trocknen. Dabei schlief sie jedoch ein.
Am Abend schrak Rianna auf, als sie von einem lauten Donnern geweckt wurde. Zuerst dachte sie an ein Gewitter. Da sie aber keine Regenwolken am mittlerweile abendroten Himmel entdeckte, musste es etwas anderes gewesen sein.
Also zog sie sich wieder ihre Rüstung an, nahm ihren Bogen und den Köcher und wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause gehen. Sie blieb jedoch stehen, als sie bemerkte, wie sich etwas im Wald rechts von ihr bewegte.
Ihr stockte der Atem, als sie in ein ihr sehr wohl bekannt vorkommendes Paar Augen blickte, welches auch sie entdeckt hatte.
Daraufhin gab die Kreatur mit tief grollender Stimme nur ein Wort von sich: „MENSCH!“
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