[RPG] Elysium

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|1076 p.E.|
|Mandolei System - freier Raum|


"Du kannst den Alarm nun abstellen Baharras."
"Verstanden Doktor. Soll ich stattdessen Musik abspielen? Wie wäre es mit dem Phantom der Oper?"
Doktor Larissa Kirchhofs Lippen verzogen sich bei diesem Vorschlag zu einem warmen Lächeln und sie nickte. Die letzten zwei Wochen waren nicht gerade erfreulich für sie gewesen, doch Baharras, die künstliche Intelligenz ihres Schiffes - dem leichten Forschungskreuzer Lady of the Lake - wusste stets sie aufzuheitern. Nun stand Larissa Kirchhof mutterseelenallein im Hauptlabor ihres Schiffes und genoss den Klang des Musicals, den die fürsorgliche KI für sie abspielte. Natürlich war Baharras nur eine künstliche Intelligenz der vierten Stufe, was bedeutete, dass er nicht zum Empfinden von Emotionen fähig war, wenngleich er sie simulieren konnte. Doch nicht erst einmal hatte Doktor Kirchhof sich insgeheim gefragt, ob Baharras zu den wenigen KIs gehören könnte, die es geschafft hatten sich selbstständig über ihre Stufe hinaus zu entwickeln. Sie hatte diesen Gedanken stets verdrängt, denn wäre Baharras tatsächlich fähig, sich in die oberen Stufen der künstlichen Intelligenz zu bewegen, müsste man ihn abschalten. Die Menschheit hatte einmal den Fehler gemacht empfindungsfähige KI zu entwickeln und hatte dafür aufs bitterste bezahlen müssen.
Larissas Lächeln verwandelte sich in ein schiefes Grinsen, als ihr aufging, wie irrelevant diese Dinge geworden waren, nun, wo die Lady of the Lake zusammengeschossen, einen Schweif aus Atemluft und Trümmern hinter sich herziehend durchs All trieb und eine nefalanische Entermannschaft, angeführt von General Marakas persönlich, sich Schott für Schott durch den Schiffsrumpf zu ihr vor arbeitete. Immerhin würden sie unterwegs keine Crewmitglieder ermorden können, denn diese hatten das Schiff längst verlassen.
"Na wartet nur", murmelte Larissa, "Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt."
"Verzeihung Doktor, hatten sie etwas gesagt?", meldete Baharras sich umgehend.
"Schon gut mein Freund. Ich habe nur daran gedacht, wie das hier ausgehen wird."
Entspannt lies sie sich in den bequemen Sessel hinter ihrem persönlichen Schreibtisch sinken. Dabei beugte sie sich etwas vor, stützte den Ellenbogen auf dem Tisch und ihr Kinn auf der dazugehörigen Hand ab. So konnte sie in den Spiegel blinken, der auf dem Schreibtisch stand und mit seinem goldverzierten Rahmen so gar nicht zu der steril weißen Umgebung des Labors passen wollte. Aus dem polierten Spiegel blickte ihr aus tiefgrünen Augen eine junge Frau in den mittleren Zwanzigern entgegen, der Strähnen ihres schulterlangen, blauen Haars ins Gesicht fielen. Erneut musste Larissa lächeln, denn wenn sie auch wie eine junge Frau aussah, war sie doch in Wahrheit über ihren neunzigsten Geburtstag hinaus. Sie war eine der ersten Personen, die mit der neusten Generation des lebensverlängernden Kirchhof-Verfahrens, das ihr berühmter Vorfahr Professor Ladinas von Kirchhof entwickelt hatte, behandelt worden war. Sie hatte also, an ihrem zu erwartenden Alter gemessen, gerade einmal die Jugend hinter sich gelassen. Ein beängstigender Gedanke, wie sie fand, wenn man bedachte, dass es Planeten gab, bei deren Bevölkerung die durchschnittliche Lebenserwartung bei 23 T-Jahren lag.

Doch all diese Überlegungen wurden nun akademisch. Orange Funken sprühend begann sich die Sauerstofflanze der nefalanischen Entermannschaft durch das Schott des Labors zu schneiden. Man sparte sich den Aufwand, das komplette Schott zu zerschneiden und zerstörte einfach nur mit vier kurzen Schnitten die massiven Verschlussbolzen, die das Schott fest verankerten.
"Ich wünschte, sie hätten das Schiff ebenfalls verlassen, Doktor." Merkte Baharras an, was Larissa dazu wehleidig aufzuschauen.
"Bitte Baharras, fang damit jetzt nicht wieder an. Wir haben das nun lang und breit ausdiskutiert und ich habe meine Entscheidung getroffen. Zumal es nun wohl eh zu spät wäre für eine Planänderung."
"Ja, Doktor", erwiderte Baharras, "Das ist es vermutlich..."

Der Funkenregen der nefalanischen Sauerstofflanze erstarb, nachdem der vierte Schnitt vollendet war. Irgendwie schaffte Larissa es, nach Außen hin den Ausdruck völliger Gelassenheit zu wahren, als sie sich von ihrem Sessel erhob und um den Schreibtisch herum in die Mitte des Labors wanderte, wobei sie ihren weißen Laborkittel zurecht zupfte, unter dem sie nahezu leger eine schwarze Bluse trug. Dann schwang das Schott zum Labor mit einem heftigen Stoß auf. In der Öffnung des Schotts zeichneten sich die Gestalten von sechs Soldaten ab, die eilig ins Labor hinein drängten. In ihren schwer gepanzerten Raumkampfanzügen waren sie gut über zwei Meter groß, ihre Gesichter hinter einem massiven Visier verborgen. Zwei orange leuchtende Kameras saßen dort in dem Visier, wo sich ihre Augen befinden müssten und darunter saß eine Atemmaske mit integriertem Lautsprecher. Ihre gepanzerten Stiefel stampften schwer auf dem Kunststoffdeck des Hauptlabors, als sie hinein stürmten, Laborutensilien, Tische und Stühle umwarfen und in einem Halbkreis um Doktor Kirchhof stehen blieben, die schweren Sturmgewehre fest auf die unbewaffnete Frau gerichtet.
Aus dem Korridor vor dem Labor wehte dabei der beißende Qualm von verbranntem Metall und Kunststoff herein, den die Arbeiten mit der Sauerstofflanze verursacht hatten und hüllte alle Anwesenden in einen qualmigen Schleier, durch den der orange Schein aus den nefalanischen Helmkameras noch versteckt wurde. Die Mündungen aller sechs Waffen waren zielsicher auf den Kopf des Doktors gerichtet, doch keiner der Soldaten machte Anstalten abzudrücken. Stattdessen warteten sie ab, ebenso wie Doktor Kirchhof selbst.
Für die Wissenschaftlerin war es klar, dass diese Männer ihr nichts antun würden, solange sie blieb, wo sie war. Zu lange war sie gejagt worden, um nun von ein paar unbedeutenden Sturmsoldaten gefangen genommen zu werden. Der Mann, der hinter der zwölfjährigen Hetzjagd auf Doktor Kirchhof steckte, würde es sich nicht nehmen lassen, sie persönlich darüber zu informieren, dass sie nun seine Gefangene war.

General Harmond Marakas trat durch das Schott, wie ein wahrer Befehlshaber. Seine Panzerstiefel knirschten, als er über die von seinen Soldaten zu Boden geworfenen Laborutensilien schritt, wobei er seinen Blick nicht einmal senkte, um zu schauen, worauf er dort trat. Anders als seine Soldaten trug er keinen Helm, denn er wollte, dass Doktor Kirchhof sein Gesicht sah, sehen konnte, was ihr verdammter Leibwächter -möge seine verdammte Leiche auf ewig durch die Kälte des Alls treiben - aus seiner rechten Gesichtshälfte gemacht hatte. Wie zu heiß gewordenes und dann wieder erstarrtes Plastik war die ganze Gesichtshälfte verformt. Haare, Ohr und sogar die Lippen waren zu einer grässlichen Maske verschmolzen, die das Gesicht des Generals entstellte. Auf seinem rundlichen Kopf mit dem kantigen Kiefer wuchsen nur noch wenige graue Haare und sein rechtes Auge war durch ein grobes Implantat ersetzt worden. Dieses Implantat war das einzige Zugeständnis, welches der Mann sich machte. Jeder wusste, dass jemand von seinem Stand sich ohne weiteres einer chirurgischen Restauration unterziehen konnte und noch andere Mittel besaß, um jedweden Schaden an seinem Körper zu beheben, doch Marakas verzichtete auf diese Möglichkeit und trug seine schaurige Verstümmelung wie einen Orden.
Unwillkürlich musste Larissa Kirchhof an das Phantom der Oper denken, deren Klänge noch immer durch das Labor hallten. Auch in dieser uralten Geschichte ging es um einen entstellten Mann, doch war dieser von Liebe getrieben worden und nicht von dem Egoismus, der Männern wie General Marakas innewohnte.
Die Arme auf dem Rücken verschränkend blieb der General mittig von seinen Soldaten vor Doktor Kirchhof stehen. Fast eine halbe Minute betrachtete er die Frau schweigend und sie erwiderte seinen Blick unbeeindruckt. Im Gegensatz zu ihr wirkte er wie ein Mann im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, war jedoch auch bereits über 150 Jahre alt und lediglich mit dem Kirchhof-Verfahren vierter oder fünfter Generation behandelt worden. Mit einer der Gründe, aus denen General Marakas Larissa Kirchhof hasste. Nicht, dass es dem Nefalaner um Schönheit ging, doch wie die meisten hochrangigen Militärs seiner Nation sah er auf alles 'hinab', das sich ihm in irgendeiner weise überlegen zeigte.

"Nun, Doktor", begann der General endlich zu sprechen, "Wie es aussieht, haben sie ihre Fähigkeiten dieses eine mal überschätzt."
Fast schon gleichmütig lächelnd sah Larissa dem General in die Augen - das kybernetische und das natürliche mit der matt grauen Iris - und antwortete, "Oder mein Glück."
"Vielleicht auch das. Doch wie wir es auch nennen, sie stehen mit dem Rücken zur Wand, Doktor. Sie haben sich gut geschlagen. Kaum jemand hat es je geschafft sich unserem Griff derart lange zu entziehen, doch nun ist es vorbei. Ich denke daher, es ist nicht nötig, dass wir das leidige Heldenspiel spielen. Wir beide wissen natürlich, dass sie mir niemals freiwillig die Geheimnisse der Kybernetischen Ferntransition aushändigen werden und ich bin auch nicht so naiv zu glauben, sie hätten den Schlüssel dazu hier irgendwo in ihren Datenbänken abgespeichert. Oh nein, so etwas Bedeutendes werden sie im Kopf behalten und nur in ihrem Kopf. Aber sie wissen auch, dass ihr Willen unter der Zuwendung unserer Interrogatoren irgendwann brechen wird."
Larissa musste schwer schlucken, denn genau so, wie der General es sagte, war es auch. Sie hatte ihren wissenschaftlichen Durchbruch nirgendwo verzeichnet. Zumindest nicht zur Gänze. Natürlich hatte sie die tausende Seiten umfassenden Theorien und Erkenntnisse ihrer Forschung dokumentiert, doch der Schlüssel zum eigentlichen Durchbruch, den bewahrte sie in ihrem Verstand auf.
Mit einem dezenten Nicken antwortete Larissa dem General: "Sie haben recht. Zumindest was den Aufbewahrungsort der Schlüsselsequenz angeht." Noch immer schaffte es Larissa, ihr sanftes Lächeln auf den Lippen zu behalten, obwohl sie sich offensichtlich am Ende ihres Lebens befand. Oder war es gerade deswegen?, fragte sie sich. Die Dinge hatten eine alles überschattende Endlosigkeit erreicht, die ihren Mut zur Unerschütterlichkeit festigte. Als sie sich dessen bewusst wurde, schaffte sie es sogar sich noch sicherer zu geben, als sie weiter sprach. "Allerdings irren sie sich, was ihre Interrogatoren angeht, General. Keiner von ihnen wird auch nur einen Finger an mich legen, denn ich werde nicht mit ihnen nach Nefalan kommen."
"Meine Liebe, ich fürchte, da bleibt ihnen gar keine andere Wahl.", erinnerte sie General Marakas mit einem gehässigen Grinsen im Gesicht.
"Ich denke doch.", warf ihm Larissa unbeirrt entgegen, "Wie sie bereits so treffend anmerkten, stehe ich mit dem Rücken zur Wand. Das erlaubt einem eine ganz andere Sicht auf die Dinge."
General Marakas schürzte spöttisch die Reste seiner Lippen, als die gut 20 Zentimeter kleiner Frau vor ihm diese Worte aussprach. "Ich würde eher sagen, die Unausweichlichkeit ihrer Lage vernebelt ihnen die Sicht auf die Dinge. Sie werden jetzt mit uns kommen. Wehren sie sich nicht, dann bleiben ihnen Schmerzen erspart." Der General klang kein bisschen, als würde er Doktor Kirchhof irgendetwas ersparen wollen, vor allem nicht Schmerzen.
"Einen Moment noch." Rief Larissa so laut, dass selbst die gedrillten nefalanischen Soldaten, die sich soeben vorgeschoben hatten, um sie zu packen, inne hielten. General Marakas war indes bereits im Gehen begriffen, doch er drehte sich noch einmal halb um und sah die Doktorin an. "Ja?"
Ein letztes mal holte Larissa tief Luft, bevor sie ihren Häschern entgegen warf, "Sie wollen meine Erfindung missbrauchen, um unendliche Macht zu erlangen, doch sie haben dabei noch nicht mal erkannt, dass all dies einmal zu etwas größerem gehören sollte, das nun dank ihnen auf immer der Traum einiger Visionäre bleiben wird. Ihr Nefalan seid so von eurem Egoismus, Machthunger und Selbsterhaltungswillen eingenommen, dass euch gar nicht in den Sinn kommt, was manche Menschen zu tun bereit sind, einfach nur um das Richtige zu tun. Es gibt nur eine Möglichkeit zu verhindern, dass Menschen wie ihnen jemals meine Errungenschaft in die Hände fällt: Indem ich die Schlüsselinformation vernichte. Darum werde ich nicht mit ihnen kommen General und auch sie werden dieses Schiff nicht verlassen!"
General Marakas riss sein verbliebenes Auge weit auf, als ihm klar wurde, wie sehr er sich in seinem Gegenüber getäuscht hatte. Ihm blieb keine Zeit mehr darauf einzugehen oder nach einem Ausweg zu suchen. Mit einem gleißenden Blitz detonierte die Fusionsflasche des Hauptkraftwerks der Lady of the Lake.
Das Heck des 340 Meter langen Forschungskreuzers hörte augenblicklich auf zu existieren. Eine Reihe von Explosionen setzte sich über den filigranen Rumpf des Kreuzers bis zu seinem schnittigen Bug fort, schleuderte dabei Rumpfplatten hinaus und verteilte die Trümmer des Kreuzers im All, bis nur noch das geschmolzene Wrack des Schiffes wie das Skelett eines gewaltigen Tieres im Weltraum trieb. Doktor Larissa Kirchhof wurde ebenso ins Vakuum hinaus geschleudert, wie General Harmond Marakas und seine Männer, wo die Kälte des Alls ihre Körper zu Eisstaturen gefrieren lies.

~~~​

Kapitän Hisman starrte bestürzt auf den Plot - die holografische Vorrichtung zur Darstellung der Umgebung im Weltraum auf Schiffsbrücken. Sie benötigte eine gefühlte Ewigkeit, um ihre Fassung vollends wieder zu erlangen. Zum Glück waren alle anderen auf der Brücke ebenso von der Explosion der Lady of the Lake überrumpelt, wie sie.
Mit trockener Kehle fragte sie ihren Taktischen Offizier, "Irgendwelche Spuren von Rettungskapseln oder dem Sturmshuttle von General Marakas?"
Im Grunde wusste Kapitän Hisman, dass die Chancen dafür gegen Null gingen, doch sie musste fragen. Alleine schon fürs Protokoll.
"Nein Ma'am. Keine Überlebenden.", antwortete ihr Taktischer Offizier nach kurzem Schweigen. Weder ihm, noch irgendjemand anderem auf dem Schiff fiel das Signal auf, das exakt 3,57 Sekunden von einem kleinen Überlichtsender zwischen den Trümmern der Lady of the Lake ausging, bevor der Sender sich selbst zerstörte.
 

J-Nought

4ever Jack
Der Tod ist groß
Wir sind die Seinen,
Lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen
Wagt er zu weinen
Mitten in uns.​

Die blutbedeckten Zähne des Mannes knirschten vor Schmerzen. Seine aufgeplatzten Lippen formten geräuschlose Worte, die aus Hass und Flüchen bestanden, und seine kräftige Finger schlossen sich um den scharfen Klinge, welche tief in seine Brust eingedrungen war. Sein Gesicht war durch verzweifelte Pein zu einer grässlichen Grimasse verzerrt. Mit seinen Augen, die beinahe aus ihren Höhlen zu quellen schienen, starrte er die weißgekleidete Mörderin an. Für einen Moment hielt diese inne, um sich dann ein leichtes Lächeln zu gönnen. In einer fließenden Bewegung wurde das kalte Schwarz aus dem Brustkorb gezogen, um kurz darauf den tätowierten Schädel vom Körper zu trennen. Der rechte Fuß drückte den kopflosen Leib von sich, so dass der Stumpf die bleiche Wandfarbe mit einem feuchten Rot verkleidete. Mit einem schnellen, kurzen Schlag wurde die tiefschwarze Klinge vom daran klebendem Blut befreit, bevor sie in ihre Scheide, die quer hinten an der Hüfte befestigt war, verschwand.
Lilafarbene Augen hatten die fehlerlose Anmut in stummer Ehrfurcht mitverfolgt und begegneten dem blau-grünen Paar, welches sie im nächsten Moment wachsam musterte. Eine blonde Strähne wurde mit einem Finger unter das Stirnband geschoben, während das bedächtige Auftreten ihrer Schritte durch die reine Stille des Raumes schwang. Die harten Gesichtszüge, die einer steinernen Büste glichen, erhellten sich, als die schmalen Lippen ein warmes Lächeln formten.
„Alles heil überstanden, mein Engel?“
Das gerade erst sechzehnjährige Mädchen nickte ernst. Sie hatten es überstanden.
„Gib mir eine Minute.“
Die Frau aktivierte das Kom und übermittelte, dass das Missionsziel erreicht worden war. Man sollte sie nun abholen. Unterdessen blickte sich das Mädchen in dem Raum, dessen Wände deutliche Spuren der letzten Sekunden trugen, um.
Alle waren tot. Bis auf sie selbst.
Einige abgetrennte Gliedmaßen, die meisten davon Köpfe, lagen neben ihren Körpern verstreut in der Lagerhalle und die vielen zähflüssigen Blutlachen fingen langsam in der staubigen Luft an zu trocknen.
Die kleinen Händen hielten immer noch eisern den Griff der dünnen Schneide, von welcher der letzte rote Tropfen auf den rauen Betonboden herabfiel und sich dort mit anderen sammelte. Das Mädchen folgte dem Beispiel der Frau und verstaute die scharfe, schmale Waffe in der Scheide an ihrem Rücken. Behandschuhte Finger legten sich in einer, für sie, mütterlichen Geste auf ihren glatt geschorenen Kopf, um diesen zu streicheln, stoppten aber inmitten dieser so untypischen Zärtlichkeit. Die vorher noch sanfte Hand hatte eine stählerne Faust gebildet. Ihre Augen trafen sich und das ernst gewordene Gesicht der Frau erwärmte sich durch ein flüchtiges Lächeln.
„Du bist ein talentiertes Mädchen, mein Engel“, sagte die Frau mit ihrer tiefen, weiblichen Stimme, dann flüsterte sie drei kaum hörbare Worte, „Ein richtiger Todesengel.“
Stolz erfüllte die jugendliche Brust und ihr Gesicht mit seinen feinen Zügen begann zu strahlen, was jedoch ebenso schnell erlischte wie es erschienen war. Die augmentierten, hellgrauen Augen wandten sich abrupt von dem Mädchen ab und wanderten eindringlich durch den vom Kampf gezeichneten Raum. Etwas erregte ihre Aufmerksamkeit, so dass sie auf den Ausgang der Halle zuschritt. Eine schlichte Pistole aus einem Oberschenkelhalfter ziehend, visierte sie die Quelle ihres Misstrauens an. Die Jugendliche folgte ihrer Überwacherin mit geringem Abstand. Ihre rechte Hand ruhte auf dem Griff ihres Schwertes, um es in weniger als einem Lidschlag ziehen zu können.
Ein Mann schien sich immer noch an sein Leben zu klammern. Bleich und schwer atmend mit erschöpftem Gesicht. Mit dem unaufhaltsam näher kommendem Tod ringend, lag er angelehnt an einer Wand und flüsterte Gebete an einen Gott. Seine Fingernägel kratzten über den groben Betonboden, als er der beiden Gestalten gewahr wurde und seine Gebete wurden intensiver.
„Steck deine Waffe weg“, sagte die blonde Frau.
Das Mädchen dachte, dass dem Mann diese Worte galten, doch eine Geste gab ihren Fehler zu erkennen. Die hungrige Klinge wurde wieder von seiner Scheide aufgenommen.
„Nimm die Pistole.“
Der ernste Ton duldete keinerlei Widerspruch und die Waffe wurde empfangen. Auch ohne einen Befehl wusste die Sechszehnjährige, was sie tun musste.
Ein tiefes Einatmen, dann hob sie die Pistole. Das Ende des Laufes zielte auf die von Schweissperlen benetzte Stirn. Zwei braune Pupillen versuchten sie zu durchdringen, sie umzustimmen. Sie zu überzeugen. Doch seine Hoffnung hallte leer durch die zerstörte Halle in den unteren Ebenen. Finstere Gewissheit erfüllte den Mann. Eine Bewegung, die schon unzählige Male ausgeführt worden war, wurde ausgelöst und eine Kugel verließ ihre Brüder.
„Mitten in uns.“
Leyla atmete aus.


|1111 p.E.|
|Nocturn System - Planet Nocturn|
|Sektor Sigma A - Anlage N/270 des Novus Konzerns - Eingangshöhe: 350 Meter|


Der Schädel platzte. Der Mann hatte nicht einmal die Chance zu schreien. Gehirnmasse, Knochen und Armorplast flogen in mehreren Stücken durch die Luft, als Leyla mehrere Schüsse in den Kopf gefeuert hatte. Ein weiterer Sicherheitssoldat in seiner matten, weißgefärbten Uniform konnte gerade noch in den Lauf sehen, da zerriss es krachend den hinteren Teil des Helms, aus dem warmes, flüssiges Blut an die kalten, stählernen Wände klatschte. Bevor das leere Magazin zischend aus der Pistole geschleudert wurde, zerbrach das Metall der Waffe das Schutzglas und bohrte sich zwischen die Augen des dritten Soldaten bis zu seinem Hirn. Drei Männer starben in wenigen Sekunden durch die Hand von Leyla Arden, die sich im Gang umschaute, während um sie herum der Alarm heulte. Die Haare ihres unbedeckten Körpers stellten sich bei der kühleren Luft auf. Ihre Brustwarzen versteiften sich merklich. Leyla schluckte. Eilig nahm sie eines der am Boden liegenden Sturmgewehre auf, um das Magazin zu überprüfen. Kein Schuss hatte sich aus dieser gelöst, so dass Leyla kein Volles einwechseln musste.
Auch wenn sie diese Art von Waffe nicht bevorzugte, blieb ihr keine Zeit für eine Alternative. Ein sich immer noch in Todeskrämpfen windender Soldat, dem das Blut in Strömen über das zerschmetterte Gesicht lief, wurde um seine Pistole erleichtert. Das Sturmgewehr umgeschnallt und die Pistole in ihren Händen rannte Leyla mit ihren nackten Füßen über das Stahlgitter. Kameras folgten interessiert ihrem schnellen Lauf, sobald sie in deren Sichtfeld kam.
Sie hatte Dr. Kell getötet.
Das Warum konnte sie sich noch nicht erklären, aber die Konsequenzen waren ihr bewusst.
Eine Tür wollte sich gerade vor ihr schließen, doch gelang es Leyla mit einem geschickten Sprung durch die noch offene Mitte in den dahinterliegenden Raum zu hechten. Sie landete schmerzhaft auf dem harten Boden, von dem sie sich sofort abstieß und sich angespannt umschaute. Sie war allein. Noch.
Nach einer kurzen Analyse der Örtlichkeit bemerkte sie den Aufzug, der sie vor zwei Stunden auf diese Etage gebracht hatte. Mit dem Griff ihrer Pistole zerstörte sie die Konsole der Tür, aus der sie gekommen war, um daraufhin jede Kamera mit gezielten Schüssen ebenfalls nutzlos zu machen. Beim Rufen des Aufzuges musste Leyla feststellen, dass dies ebenso unmöglich war, wie das Hacken der dafür angebrachten Konsole. Man hatte jeglichen Zugriff gesperrt und sie hatte nicht die Mittel das zu ändern. Leyla merkte auf.
Wie vermutet, war man ihr gefolgt und versuchte nun vergeblich die unbrauchbare Tür zu öffnen. Es würde einige Zeit dauern, bis sie dieses Problem lösen würde, doch darauf konnte Leyla nicht warten. Zwei Lüftungsschächte zu ihrer linken und rechten Seite erregten ihre Aufmerksamkeit.
Intuitiv entschied sie sich für die linke Seite. Das Entfernen der Schutzgitter erreichte sie durch den Gewehrkolben und ihre Kraft. Um mehr Zeit zu gewinnen, hatte sie beide Luftschächte geöffnet. Das Sturmgewehr zurücklassend, legte sie sich auf den kalten Untergrund und spürte, wie ihre von unzähligen Schweissperlen bedeckte Haut mit einem unangenehmen Schmatzen aufsetzte. Für einen Moment schloss Leyla ihre Augen, dann krabbelte sie in den schwach beleuchteten Schacht.

Ein grauenvolles Donnern erschütterte Nocturns Megastadt und den dunklen Himmel, der nicht enden wollende Wassermassen herabfallen ließ. Abertausende Lichter vermochten kaum den dichten Regen zu durchdringen, nur die heftigen Blitzschläge konnten die Markopole für kurze Augenblicke hell erleuchten. Zwischen zwei der vielen riesigen Wolkenkratzer, deren Spitzen vom Boden kaum zu sehen waren, auf einer verbindenden Querstrebe, an der Kabel und strahlende Leuchtreklamen befestigt waren, standen sich Leyla und eine Frau gegenüber. Im Gegensatz zu Leyla war die andere Frau in einem enganliegenden, weißen Kampfanzug gehüllt, an dem jeder Wassertropfen abperlte, da er keinen Halt fand. Nicht einer der Beiden bewegte sich im strömenden Regen, der unaufhörlich auf ihre Körper klatschte, selbst als ein dröhnender Flieger vorbeiflog, sondern starrte in die Augen des Anderen. Nach langem Schweigen öffneten sich Leylas aufgesprungene Lippen.
„Joy...“, murmelte Leyla.
„Es ist vorbei“, entgegnete ihr die blonde Frau in einem endgültigen Ton.
Die Pistole im Anschlag zielte Leyla auf den Kopf der eindrucksvollen Gestalt, die ihr gegenüberstand. Ihr weißer Kampfanzug hob sich von den dunklen, schwarzen Fassaden dieser unbarmherzigen Stadt ab und schien beinahe leicht zu schimmern.
„Lass mich gehen“, sagte Leyla ernst, auch wenn sie insgeheim wusste, dass diese Frau das nicht zulassen würde.
„Du weißt, dass ich das nicht kann.“
Die Frau, namens Joy, machte ein paar anmutende Schritte auf Leyla, die ihren Griff um ihre Waffe festigte, zu, dann hob sie ihre Hand, so als würde sie Leyla um Einhalt gebieten.
„Mein Engel“, sagte die Frau mit stählerner Entschlossenheit, „Es ist vorbei. Gib auf.“
Leyla spürte, wie ihre Gefühle nach ihrem Verstand zu greifen versuchten. Irritiert unterdrückte sie diese fremdartige Emotionen, da wurde sie durch ein Projektil in das Jetzt gerissen. Die Kugel jagte durch ihre Schulter und die Überraschung ließ Leyla unbeholfen straucheln. Ihre gezogene Pistole fallen lassend, sprintete die Frau mit übermenschlicher Geschwindigkeit auf sie zu und rammte ihr das Knie brutal in den Bauch. Die Attacke presste Leyla die Luft aus dem Brustkorb, als ein Faustschlag sie mit voller Wucht zu Boden warf. Keuchend stemmte sich Leyla hoch, da trafen sie mehrere Schläge ihren Körper. Zwar gelang es Leyla einige abzuwehren, doch letztlich sank sie auf die Knie und spuckte Blut, das sogleich durch den strömenden Regen weggewaschen wurde. Ein weiteres mächtiges Donnern ließ die Luft erbeben. Der Lärm von unzähligen Regentropfen tobte um Leyla, die mit zitternden Gliedern um ihr Bewusstsein kämpfte, dennoch konnte sie das Ziehen einer scharfen Klinge hören. Bedächtig schritt die Frau mit der geschmeidigen Waffe in ihren Händen neben sie. Kurz darauf fühlte Leyla den todbringenden Stahl an ihrem Hals. Tief einatmend wurde die Waffe gehoben.
„Joy?“, sagte Leyla, der Wasser vom Gesicht herablief, so dass sie immer wieder blinzeln musste.
Die Frau stoppte ihren endgültigen Hieb. Langsam wanderten ihre Augen über die gebrochene Leyla, die nackt vor ihr im prasselnden Regen kniete. Sie sah das Kind mit dem geschorenem Kopf, dass durch das viele harte Training auf die Knie gefallen war und nach Luft keuchte.
„Wir werden uns wiedersehen“, sprach Joy in einem entschlossenen, endgültigen Ton.
Leyla nickte stumm, dann ließ sie sich von der Strebe in dunklen Abgrund fallen.

Der Aufschlag war hart. Sie rutschte. Ihre Finger versuchten auf dem groben Metall zu greifen, doch sie glitten auf der vom Regen nassgewordenen Oberflächen immer wieder ab. Unter ihr drohte sie eine gähnende, dunkle Leere zu verschlingen. Endlich fand ihre rechte Hand einen sicheren Halt und sie zog sich langsam über das eiserne Rohr auf eine Querstrebe zwischen zwei riesigen Gebäuden. Zahlreiche Lichter versuchten die Nacht zum Tag zu machen, doch wirkten diese nicht so wärmend wie heiße Sonnenstrahlen, denen es selten gelungen war, die schmutzige Luft von Nocturn zu durchdringen. Entkräftet blieb sie liegen, während unzähligen Regentropfen auf ihren nackten, geschundenen Leib prasselten. Sie hoffte, dass die Tropfen ihren Schmerz wegwaschen würden. Die Kälte des rostigen Stahls unter ihr oder des herabfallenden Wassers über ihr spürte sie kaum, nur jeden Muskel ihres Körpers, die wie Feuer brannten. Trotzdem ließen Blutverlust und Kälte sie allmählich zittern. Das Geschoss aus der Pistole von Joy war tief in ihre Schulter eingedrungen und dort zerborsten. Sie hatte schon schlimmere Schmerzen durchmachen müssen, aber sie hatte auch früher die Gewissheit, dass der Konzern ihr, wenn möglich, helfen würde. In ihrem Inneren konnte sie spüren, wie ihre Implantate, die sie zu einer besseren Assassine machen sollten, versuchten den Blutverlust zu kompensieren und ihren Körper vor einem Wundschock zu bewahren.
Erschöpft wollte sie ihre Lider schließen, doch ihr Geist verweigerte dem Körper einen Moment der Entspannung. Mit zusammengebissenen Zähnen richtete sich Leyla auf und folgte dem eisernen Balken zu einer verschmutzten Fassade, die mit einem hässlichen Graffiti beschmiert worden war. Sie presste ihre nasse Haut auf das raue Gestein und begann sich an diesem in Richtung einer Gasse zu schieben. Ein Polizeiflieger flog mit heulenden Sirenen und dröhnenden Triebwerken an ihr vorbei, was die Fassade zum Zittern brachte. Ihre feuchten Haare wirbelten im entstandenen Wind, während sie ihren Atem anhielt. Eine Entdeckung durch die Polizei würde nur noch unnötige Probleme verursachen und so riskierte sie keine Bewegung ihres Körpers. Als der Flieger verschwunden war, setzte Leyla ihren Weg fort, bis sie schließlich in die Gasse sprang. Sie landete sicher auf dem verdreckten, brüchigen Beton, wo sie sich aufmerksam umsah.
Sie war nicht allein.
Auf einem Müllcontainer sitzend, rauchte ein dunkelhäutiger Mann eine Zigarette, hatte jedoch bei Leylas plötzlichem Erscheinen den angerauchten Stummel vor Überraschung in eine Pfütze fallen gelassen. Obwohl Leyla eine attraktive Frau war, so schienen die Wunden und ihre Nacktheit den 40 jährigen Mann eher zu verstören als anzuziehen. Eine nackte, verletzte Frau bedeutete meistens Ärger und den wollte keiner in dieser düsteren Makropole haben. Nach einem raschen Analyse der Örtlichkeit schätzte Leyla, dass sie sich noch über den niederen Ebene von Nocturn befinden musste. Sie richtete sich auf und schritt auf den immer noch gaffenden Schwarzen zu. Aufgeschreckt zückte er aus der Innentasche seines ledernen, dunkelblauen Mantels einen Schockstab und deutete mit der knisternden Waffe auf Leyla.
„Ich hab keine Ahnung, wer du bist, aber halt dich bloß fern von mir“, drohte er ihr mit finsterer Miene.
Leyla näherte sich dem Glatzkopf mit ernsten, deutlichen Worten, die keine Widerrede dulden würden.
„Gib mir deine Klamotten, sonst werde ich dich töten.“
Der Mann hatte es geahnt, stellte sich allerdings auf einen Kampf ein und festigte seinen Stand. Er war kein Amateur, das konnte Leyla spüren, aber eine Herausforderung würde dieser Kerl auf keinen Fall sein.
Nach wenigen Sekunden lag der Mann mit schaumigen Mund am Boden, während Leyla ihm seine Kleidung abnahm. Sie war etwas zu breit für sie geraten, dennoch erfüllte sie ihren Zweck. Sie zog die Leiche zu dem Container, wo sie den schlaffen, entkleideten Körper reinhievte. Diese letzte Kraftanstrengung brachte Leyla zum Straucheln und sie musste sie an einer Wand abstützen, um nicht zu fallen. Farbige Sternen tanzten vor ihren Augen und sie blinzelte verwirrt. Ihr Körper hatte sein Limit erreicht und brauchte Ruhe. Sie atmete tief ein, dann entschied sie sich für eine kurze Rast. Neben dem Container Platz nehmend, zog sie den Mantel enger und schloss ihre Lider.
 

Captain Hero

Puppetmaster
VIP
|1111 p.E.|
|Nocturn System - Planet Nocturn|
|Sektor Sigma A - Irgendwo in einer Hintergasse - Höhe: 300 Meter|


Hustend spuckte Thalia dreckiges Wasser aus, das sie geschluckt hatte, nachdem sie vier Meter durch die Luft gesegelt und schmerzhaft mit dem Bauch auf dem vom Dreckregen nassen Metallboden gelandet war. Sie stieß einen Fluch aus, der mehr oder weniger in ihrem Husten unterging, und drehte sich auf den Rücken, um dorthin zu schauen, von woher sie 'angeflogen' gekommen war. Dort befand sich eine Tür, die in das Innere des Wohnturms führte und in dieser Tür stand eine Gestalt, die viele Leute wohl eher als Kreatur bezeichnet hätten. Thalia musste zugeben, dass es ihr ebenfalls schwer fiel, dieses Ding als Menschen zu bezeichnen, denn es war gut zwei Meter dreißig groß, muskelbepackt und am ganzen Körper mit rostroten Schuppen gepanzert. Thalia konnte noch immer die Klauen der Kreatur in ihrem Nacken spüren, mit denen Thalia gepackt und durch die Luft aus der Tür hinaus befördert worden war.
Jetzt zeigte das Ding - oder mehr der Kerl, denn Thalia wusste, dass es sich einfach um einen Menschen handelte, der chirurgische modifiziert worden war, handelte - mit einer seiner Klauen auf Thalia und zischte, "Du hast den Boss gehört: Der Vertrag bleibt bestehen. Du hast dein Schiff bekommen, jetzt wollen wir die Ware, sonst..." Der Echsenmann schlug die Tür von innen zu und lies Thalia im Regen stehen... oder eher liegen.
Von dem Schmerz des Aufpralls und der Müdigkeit durch den Ärger der letzten Tage ächzend richtete Thalia sich auf. Mit einer ihrer Hände wischte sich ihr klitschnasses Haar fort, das in ihrem Gesicht klebte, um dann kurz die Schweißerbrille, die sie eigentlich immer halb zur Zierde, halb aus praktischen Gründen, auf der Stirn trug, zurecht zu rücken.
Scheiße, was mach ich jetzt?, dachte Thalia sich verdrossen. Das Schiff, das sie von Manak und seinem Syndikat erhalten hatte, war der reinste Schrotthaufen, sogar schon bevor der Zoll ihr das Schiff zusammen geschossen hatte und sie ihre Fracht hatte abwerfen müssen. Eine Fracht, die wiederum Manak gehörte und von Thalia nach Nocturn geliefert werden sollte. Nun trieb die Fracht irgendwo im All um Nocturn herum, sofern der Zoll sie noch nicht gefunden hatte, wovon Thalia jedoch nicht ausging. Manak hatte vor seinen Männern und Thalia eine ziemliche Nummer daraus gemacht, Thalia zu verdeutlichen, wie gefährlich er war und wie leid es ihm täte, wenn er an Thalia demonstrieren müsste, was er mit unzuverlässigen Geschäftspartnern zu tun pflegte. Das war leider auch der Knackpunkt für Thalia. Manak befand sich noch nicht sehr lange in seiner Funktion als Syndikats Unterboss und so fühlte er sich dazu gedrängt, sein Durchsetzungsvermögen zu beweisen. Also würde er erhebliche Mittel einsetzen, um Thalia fertig zu machen, falls sie ihm nicht bald die Ware lieferte.
"Also erstmal das Schiff wieder in Gang bringen. Na das kann ja heiter werden..."

Verdrossen setzte Thalia sich in Bewegung, um die schmutzige Gasse zu verlassen und zu ihrem Schiff - oder was davon übrig war - zurück zu kehren. Auf keinen Fall wollte sie länger als nötig in dieser Gegend bleiben, denn hier befand man sich gerade einmal 300 Meter über dem Erdboden. Was auf Nocturn bedeute, dass man sich in ganz fix in ganz schlechter Gesellschaft wiederfinden konnte. Der Planet war über und über mit kolossalen, Kilometer hohen Türmen bedeckt, die von den ersten menschlichen Kolonisten vor gut achthundert Jahren bereits so vorgefunden worden waren und heute von den über 200 Milliarden Menschen, die auf Nocturn lebten, bewohnt wurden. Zwischen den Türmen befanden sich Plattformen und Brücken, die ganze Straßenzüge bildeten und von Leben nur so wimmelten. Dadurch entstanden in unregelmäßigen Abständen Ebenen, die die Stadt der Höhe nach einteilten. Als Faustregel galt, je höher man kam, umso sicherer und luxuriöser wurde das Leben. Dementsprechend wurde es auch gefährlicher und schmutziger, je weiter man nach unten kam. Bei lediglich 300 Metern, der Höhe, auf der Thalia sich zur Zeit befand, steckte man schon ordentlich im Dreck. Grund genug also, schleunigst von hier zu verschwinden.

Bevor sie sich jedoch auf den Weg machte, wollte Thalia sich noch eine Zigarette anstecken - eines der wenigen Dinge, denen die Menschen wohl immer treu bleiben werden. Und damit nahm das Schicksal seinen Lauf.
Die Müdigkeit und ein Moment der Unachtsamkeit ließen ihr das Zippo aus der Hand gleiten. Im Versuch, es vor einem Sturz in die Pfützen unter ihr zu bewahren, griff Thalia dem Zippo nach, bekam es jedoch nicht vernünftig zu fassen und schlug es stattdessen durch die Luft. Knallend kollidierte das Feuerzeug mit einem Müllcontainer, wo es zu Boden fiel und im Dreck landete.
Verdutzt und durchaus ein wenig über ihr eigenes Ungeschick amüsiert blieb Thalia einen Moment lang einfach stehen, den Müllcontainer und das Feuerzeug am Boden vor ihm anblinzelnd.
"Is klar..." Grummelte sie, als sie zu dem Container herüber ging und sich hinkniete, um das Feuerzug aufzuheben. Just in diesem Moment wurde sie sich der beiden verdreckten Stiefel bewusst, die hinter dem Container hervor ragten. Mit dem schmutzigen Feuerzeug in der Hand erhob Thalia sich rasch wieder, um einen Blick um den Container herum zu werfen. Die junge Frau, die dort im Dreck lag, trug zerlumpte, viel zu große Klamotten und schien zu schlafen. Oder war sie tot?
"Hey du..." Sagte Thalia, um die Frau zu wecken. Als diese sich nicht regte, versetzte Thalia ihr einen leichten Tritt und wiederholte ihre Worte, "HEY DU! Du solltest hier nicht herumlungern. Da kanns einem ganz schnell schlecht gehen."
Ein leises Ächzen entwich der unbekannten Frau am Boden. In diesem Moment wurde Thalia sich der Farbe des Regenwassers um die Frau herum gewahr. In das ölig, brackige Braun des Regens, hatte sich ein roter Schlier gemischt, der unter den Container floss. Die rote Flüssigkeit, die sich in das Regenwasser mischte, hatte ihren Ursprung unter dem faltigen Stoff der übergroßen Kleidung, den die unbekannte Frau trug. Scharf die Luft einziehend starrte Thalia für einen kurzen Moment auf die offensichtlich verletzte Frau, bevor sie sich abwand und auf den Weg aus der Gasse hinaus machte. "Nenene... DAS brocke ich mir jetzt nicht auch noch ein!"
Thalia kam genau zehn Meter weit, bevor sie fluchend innehielt, einen Moment in den düsteren, von Wolkenkratzern und Smog verdeckten Himmel hinauf blickte, um sich den lauwarmen Schmutzregen ins Gesicht rieseln zu lassen und dann kopfschüttelnd in die Gasse zurückzukehren und sich noch mehr Ärger einzubrocken.
 

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|1111 p.E.|
|Nocturn System - Planet Nocturn|
|Sektor Sigma A - Raumhafen - Öffentliche Verladedocks - Höhe: 420 Meter|


Der Alptraum riss Leyla aus ihrem unruhigen Schlaf. Blitzschnell fuhr sie mit ihrem Kopf hoch, was jedoch mit einem dumpfen Schlag endete und Leyla wieder in das weiche Polster beförderte. Langsam wurde sie der metallischen Decke, die sich knapp einen Meter über ihr befand, gewahr. Eine Delle hatte sich gebildet, die Leyla mit zusammengezogenen Augenbrauen misstrauisch musterte, während bunte Sterne vor ihren Augen flimmerten. Es war ihr bereits jetzt klar geworden, dass dies nicht die kleine Gasse, in der sie sich zum Ausruhen hingelegt hatte, war. Dessen ungeachtet schien dies auch kein Traum zu sein, da nicht nur ihr Kopf, sondern auch bei Bewegung des rechten Armes ihre Schulter schmerzte. Die Schusswunde war jedoch säuberlich versorgt und verbunden worden. Sie rollte sich aus dem Schlafplatz, der aussah, als hätte man ihn in die Wand gestanzt, und scannte aufmerksam ihre Umgebung, indes sie ihre gerötete Stirn rieb. Es war ein kleines, notdürftig eingerichtetes Krankenzimmer, was Teil eines Raumschiffes sein musste. Drähte und Schläuche, die meisten farblos und grau, bildeten zusammengequetscht die Wand, auch wenn einige Flächen durch Stahlplatten verdeckt worden waren. Ihr Blick fiel auf eine weiße Plastikschale, gefüllt mit blutigen Verbänden, einer leere Spritze, Nadel und Fadenresten. Diese stand auf einer Platte, die man aus der Wand ziehen und als Ablage nutzen konnte. Ihr Blick fiel auf ein Skalpell, das unweit von ihr auf einem Tisch, der intensiv nach Desinfektionsmittel stank, in der Mitte des rechteckigen Raumes neben anderen medizinischen Utensilien lag. Das schmutzige, gedämpfte Licht flackerte leicht, als sich Leyla von der schäbigen Pritsche mit ihrer fleckigen Matraze erhob und zum glatten, gereinigten Tisch schritt. Offenbar konnte man diesen Tisch auch für Operationen und nicht nur zur Ablage von chirurgischem Werkzeug nutzen. Wachsam achtete Leyla auf jedes Geräusch um sich herum, darauf wartend ein durch Menschen verursachtes zu vernehmen. Ihre modifizierten Finger umschlossen das scharfe Messer und wogen die für Leyla unübliche Waffe behutsam. Auf dem Tisch entdeckte Leyla noch ein Datenpad, das wie die meisten seiner Art ein schmales, bläuchliches Rechteck aus einer Glas- und Kunststoffmischung war. Es war auf Standby geschaltet worden und reagierte sofort auf die Berührung von Leylas Fingern. Beim Durchsuchen der gespeicherten Daten fand sie eine Auflistung der Bordfracht, Eigenschaften des Schiffes sowie dessen Aufbau. Sich die Informationen einprägend, schaltete Leyla das Datenpad wieder auf Standby und legte es beiseite. Jemand hatte sie auf dieses Schiff gebracht. Diese Person oder Personen galt es nun zu finden.
Bevor Leyla den Raum verließ, überpürfte sie ihre implantierten Waffen. Das Gift hatte man ihr bereits in Novus Station entfernt, doch ihre Neuralpeitsche war ihr noch in bester Qualität erhalten geblieben. Der Ein- und Ausbau dieser Vorrichtung nahm seine Zeit in Anspruch, im Gegensatz zu dem Auffüllen der Gifttanks, so dass die meisten Novus-Wissenschaftler nur den Gebrauch dieser Waffe sperrten. Allerdings hatte Leyla bereits seit langer Zeit in Erfahrung gebracht, wie man diese Sperre lösen konnte.
Der Bewegungssensor erfasste Leyla und öffnete seine Schleusen automatisch, um den Weg zu dem Gang dahinter freizugeben. Leyla, die einen Teil der geklauten Kleidung noch an ihrem Körper trug, musste beim Durchqueren des schmalen Ganges darauf achten, dass sie nicht über einige der am Boden verlaufenden Kabel stolperte. In leicht gebeugter Kampfhaltung bewegte sich Leyla durch den schwach beleuchteten Gang mit seiner kalten, grauen Oberfläche, die gelegentlich einen rötlichen Rost aufwies. Sie erreichte eine Küche, in der immer noch der Geruch von einer Mahlzeit schwebte und in dessen Spüle dreckiges Geschirr schwamm. Eine hässliche Tischplatte, die aus der Wand stand und als Esstisch dienen musste, war befleckt durch Speisereste, auch wenn sie halbherzig abgewischt worden war. Zwei Stühle, die in den Boden festgeschraubt waren, hatten kleine Messerschnitte in ihrer Plastiklehne, die bestimmt beim Warten auf die Mahlzeit entstanden sind.
Es war bereits das zweite Mal, dass Leyla das Innere eines Raumschiffes zu sehen bekam. Zu dem ersten Mal kam es zufälligerweise. Ihr Auftrag war nicht wie geplant verlaufen. Wegen einer Falschinformation konnte das Ziel Leyla täuschen und sich auf sein Raumschiff retten. Nur durch eine gewagte Aktion gelang es Leyla gewaltsam in dieses einzudringen und das Ziel auszuschalten. Dieses Raumschiff unterschied sich deutlich von dem anderen aus der Vergangenheit. Es schien verbrauchter zu sein und es war in keinster Weise luxuriös eingerichtet worden. Man konnte durch das Skelett sehen und die Eingeweide dieses Schiffes beobachten, was man bei dem anderen durch verzierte Wände verhindert hatte.
Nach wenigen Minuten hörte Leyla das Zischen eines Schweissgerätes in der Ferne. In einem Gang vor ihr, kniete eine Frau am Boden vor einer geöffneten Luke, wo sie möglicherweise versuchte etwas zu reparieren. Ihr Tanktop sowie ihre Hose, die für gewöhnlich Arbeiter trugen, waren mit schwarzen und grauen Flecken bedeckt. Getrockneter Schweiss glänzte auf ihrer Haut und Muskeln, die sich unter dieser abzeichneten, bedeuteten Leyla, dass diese Frau ihre Zeit nicht mit Sitzen verbrachte. Ihr langes, dichtes Haar, das in letzter Zeit nicht mit Seife in Kontakt getreten war, hing zu einem Zopf gebunden an ihrem Rücken herab und tänzelte bei ihren Bewegungen leicht.
Leyla offenbarte sich der Frau, indem sie mit dem Finger hörbar an die stählerne Wand klopfte, als diese wieder mit der Arbeit aufhörte, um einen genervten Ton auszustoßen. Für einen Moment starrten sich die zwei Frauen stumm an. Beide schienen auf eine Reaktion ihres Gegenübers zu warten. Leyla brach schließlich das Schweigen.
„Du beantwortest mir meine Fragen oder ich werde dich dazu bringen und töten“, sagte Leyla ernst und in deutlicher Kampfhaltung.
Die Frau nickte deutlich, nachdem sie ihre Schutzbrille vom Gesicht geschoben hatte.
„Wer bist du?“
„Thalia“, antwortete sie.
„Und weiter?“
„Thalia Alexandra Nebula.“
Obwohl Leyla die vielen Namen in ihrem Kopf durchging, so war doch keiner dabei der diesem glich. Sie waren sich noch nie begegnet, das war sicher.
„Wo bin ich?“
„Auf meinem Schiff...“, sie machte eine Pause, „Oder was noch davon übrig ist.“
„Hast du mich hierher gebracht?“
„Hab ich und versorgt hab ich deine Wunde auch“, sie grinste, „War übrigens ein glatter Durchschuss.“
Leyla verzog keine Miene, als diese Thalia sie breit angrinste, was sie schnell verschwinden ließ. Allerdings entspannte sich Leyla etwas, auch wenn sie immer noch sehr misstrauisch blieb. Sie hatte schon einige verräterische Menschen in ihrem Leben angetroffen, woher wusste sie, dass diese nicht dazugehörte?
„Mein Name ist Lilith Gant“, begann Leyla vorerst ihren Namen zu verbergen, „Sind wir noch auf Nocturn? Wenn ja, wo?“
Die Besitzerin des Schiffes kratzte sich am Hals, so als würde sie über ihre nächste Worte nachdenken und schaltete daraufhin den noch immer glühenden Schweissbrenner aus, um ihn beiseite zu legen.
„Wir sind noch auf Nocturn. So schnell kommt man nicht von diesem Planeten“, sagte sie mit plötzlich verbitterter Stimme, „Wir befinden uns gerade in einem öffentlichen Verladedock im Sektor Sigma A.“
Mit einem verstehendem Nicken schwieg Leyla für einen Moment. Die Frau schien sie offenbar in der Gasse gefunden zu haben und hatte sie - durch eine Emotion dazu gedrängt - hierher gebracht. Sie hatte vielleicht ihr Leben gerettet, aber das machte sie nicht zu einer vertrauten Person. Zu einem Freund.
Thalia unterbrach die nachdenkliche Stille, die nur durch die gedämpften Geräusche des Schiffes untermalt wurde, indem sie Leyla eine Option vorschlug.
„Die Laderampe steht offen. Du kannst gehen, wenn du willst“, sie stoppte und leckte sich über ihre trocken gewordenen Lippen, „Du siehst aber aus, als würdest du Hilfe brauchen.“
„Hilfe?“
Leyla zog die Augenbrauen hoch. Diese Frau hatte nicht die geringste Ahnung, was für Probleme eingetreten waren und welche Konsequenzen diese wahrscheinlich für sie haben würden. Allerdings konnte auch Leyla Zeit zum Nachdenken bekommen. Eine kleine Verschnaufpause. Sie musste die nächste Schritte sorgfältig planen. Der Konzern sowie auch Joy würden dies ebenfalls. Doch woher sollte sie wissen, dass Verrat am Ende ihres Aufenthalts warten würde?
Intuitiv wog Leyla es ab.
Und traf eine Entscheidung.
„Ich bleibe.“
 

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"Passt"
Damit zog Thalia sich ihre Schweißerbrille wieder vors verdreckte Gesicht, fuhr mit dem linken Zeigefinger unter deren Band entlang, um ihren Sitz anzupassen und beugte sich zu der Öffnung in der Wand vor ihr vor. Fauchend und blitzend erwachte das Schweißgerät in ihren Händen erneut zum Leben und warf einen flackernden Schein in den mehr schlecht als recht beleuchteten Gang, als Thalia es an die bereits wieder erkaltete Schweißnarbe setze, die auf einem Rohr in der Wand verlief. Langsam führte sie die Flamme des Werkzeugs am Rohr entlang, wobei sie eine glühende Spur zog, die einmal um einen Handflächen großen Abschnitt herum führte, über den sich ein Riss zog, der jeden erfahrenen Raumfahrer schlucken lies.
Die etwa einen Finger lange Perforation war nicht von Außen verursacht worden, denn die Ränder des Risses waren von Innen nach Außen gebogen und machten den Eindruck, als wäre ein Gegenstand mit hoher Geschwindigkeit durch ihn hindurch gefahren. Tatsächlich handelte es sich bei dem Rohr um die Luftdruckleitung eines veralteten Systems zur Innendruckstabilisation, die auf diesem Schiff noch Verwendung fand. Kurz gesagt sorgte es dafür, dass der Druck, der von Innen auf die Außenwände des Schiffes wirkte, im Weltraum und innerhalb von Planetenatmosphären der gleiche blieb.
Dafür war enorm viel Druck notwendig und dieser hatte sich nun, als Thalias Schiff von den Bordwaffen der Zollschiffe durchlöchert worden war und sich eines der Druckausgleichsventile verkeilte, seinen Weg nach draußen über die schwächste Stelle des Systems gesucht - an diesem Punkt dieses Rohres, wo das Material aus irgendeinem Grund am schwächsten war. Ein kleines, ausgefranstes Loch in der Wand hinter Thalia verdeutlichte, welche Energie dahinter steckte und wollte einen gar nicht daran denken lassen, was mit einem Menschen geschehen würde, der zufällig dort gestanden hätte und dem ausgesetzt gewesen wäre.

Die Gedanken an diese kleine, unangenehme Vorstellung hatte Thalia beinahe die Frau vergessen lassen, die sich mit ihr im Gang befand und noch immer das Skalpell in ihrer Hand hielt, offenbar unschlüssig darüber, was nun zu tun war.
Lilith Gant... Thalia würde den Namen im Netz recherchieren, wenn sie dazu noch Gelegenheit bekam, solange sie sich auf Nocturn befanden. Sicher, auf Nocturn lebten 200 Milliarden Menschen und die gesamte Unterschicht, die fast 50% der Bevölkerung ausmachen sollte, war nicht elektronisch erfasst. Doch diese Lilith sah nicht wirklich wie jemand aus, der sich in seinem bisherigen Leben Sorgen um Unterkunft oder Ernährung machen musste, ganz zu schweigen von den Implantaten, die, selbst wenn sie nur medizinischer Natur waren, wovon Thalia nicht wirklich ausging, ein kleines Vermögen gekostet haben mussten.

"Achja Lili", rief Thalia über das Fauchen des Schweißbrenners hinweg, "Dass du an Bord bleiben darfst heißt natürlich auch, dass du mit anpacken wirst. Es gibt einiges zu tun und wenn du deinen Teil beiträgst, kommen wir doppelt so schnell von diesem Planeten fort, was sicherlich auch in deinem Interesse liegt."
Die glühende Schweißnarbe war nun vollendet und wieder an ihrem Ursprung angelangt, so dass Thalia das Gerät abschaltete und zur Seite legte, um dann mit ihren Fingern in den Spalt zu greifen und den abgelösten Rohrmantel anzuheben. Kurz betrachtete Thalia das schwere Metallstück, wobei sie es in der Hand drehte, dann warf sie es neben sich in den Gang und sah endlich wieder zu Lilith auf.
"Du stehst ja immer noch da. Wie wäre es, wenn du als erstes mal dieses Skalpell dort weglegst und wir uns dann was zu futtern machen? Ich könnte jetzt echt ein Spiegelei mit Bratkartoffeln vertragen." Meinte Thalia gut gelaunt, wobei sie betont langsam aufstand, um die Situation jetzt ja nicht entgleisen zu lassen. Thalia sah, wie Lilith sich minimal anspannte, als sie die schwere Pistole in dem Holster an Thalias Hüfte erblickte. Bewusst hielt Thalia ihre Hand von der Waffe fern, um Lilith nicht zu provozieren. Zwar rechnete sie sich ganz gute Chancen aus, die Pistole zu ziehen und abzufeuern, bevor Lilith auch nur die Hälfte des Weges zu ihr zurück gelegt hatte, doch konnte es immer anders kommen, als man dachte. Außerdem wollte Thalia es unbedingt vermeiden noch weiter Löcher in ihr Schiff zu ballern. Auch wenn es ein Gerücht war, dass im Inneren eines Schiffes abgefeuerte Waffen die Außenwand durchschlagen können, so konnten dabei immer noch Geräte, Leitungen und Rohre beschädigt werden, die zwischen den schweren Schottwänden und den dünnen inneren Verkleidungsplatten lagen, welche in Thalias Schiff mittlerweile fast gänzlich fehlten.
"Also?"
 

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Mit gebrochenem Kiefer lag der Mann am Boden und rührte sich nicht. Eine Frau, die scheinbar in irgendeiner Weise mit diesem bedauerlichen Menschen in einer Beziehung stand, kniete daneben, während sie ihm unter Tränen beruhigend zuredete. Leyla war jenem Szenario bereits entschwunden, um sich näher mit der gerade gestohlenen Credcard zu beschäftigen. Ihre Annahme hatte sich bestätigt, denn diese Karte besaß eine silberne Kennzeichnung, was nur vermögenden Kunden gegönnt wurde. Zwar stand diese hinter der Goldenen und Schwarzen, aber in diesem Bezirk musste sich Leyla vorerst damit zufrieden geben. Glücklicherweise diente nur ein Fingerabdruck zur Freigabe der Karte. Leyla war sich sicher, dass der bestohlene Mann mit seinem Einkommen einen neuen Daumen kaufen konnte. Auch wenn dieser nun augmetisch sein würde. Sie verstaute die Karte und den abgetrennten Finger in die schäbige Jackentasche, die sich von Thalia geborgt hatte und schritt duch die Gassen auf eine Brücke zu.
Nocturns alten Brücken, die die hohen Türme verbanden, wurden wegen ihres soliden und breiten Baus meist als Marktplätze genutzt. Allerdings traf man diese nur in den unteren Bezirken der Makropole an und es überraschte Leyla, dass sie einen auf dieser Ebene gefunden hatte. Die Brückenmärkte waren bekannt für ihre unterschiedlichen Waren bei denen man zwar nicht wusste, woher sie stammten, aber auch nicht nachfragte. Neugierde schien Kunden wie Verkäufern fremd zu sein, was Leyla in ihrer jetzigen Situation nur dienlich sein konnte. Als sie das rege Treiben auf den alten Brücken erreichte, beäugte sie misstrauisch den bewölkten Himmel über ihr. Es würde an diesem Tag wieder Regen geben, das konnte man förmlich in der schmutzigen Luft schmecken. Leyla musste sich an die letzte Konfrontation mit dem Novus Assassinen erinnern und presste die Zähne aufeinander, so dass sich die Muskeln an ihrem Kiefer hervorhoben. Sich durch die Menschenmassen drängelnd und schiebend, warf Leyla gleichzeitig Blicke auf die Waren, die in den Häuschen, welche an den Rändern der Brücke gebaut worden waren, feilgeboten wurden. Die Häuschen waren besser konstruiert worden als man sich aus Erzählungen vorstellen würde, denn sie wurden mit der Zeit immer wieder ausgebessert beziehungsweise erweitert. Mittlerweile wirkten viele so solide wie die Brücke unter ihnen selbst.
Nach wenigen Minuten der Sucherei entdeckte Leyla, was sie interessierte, da stieg ihr ein verlockender Geruch in die Nase. Ein Nudelstand, der mit seinem länglichen Bau in der Mitte der Brücke aufgestellt worden war, sorgte sofort für ein unangenehmes Magenknurren. Leyla entschied sich für eine Mahlzeit, die sie dringend benötigte. Wer wusste, wie lang ihre kleine Einkaufstour dauern würde?
Sie nahm Platz auf einem der abgenutzten Barhocker, von denen die meisten bereits von Menschen, die schmatzend ihre dampfenden Schüsseln ausschabten, eingenommen wurden. Eine schlitzäugige Frau mit starkem Unterebenen Akzent bemerkte den neuen Gast und fragte Leyla, was sie zu essen wünschte. Sie entschied sich für eine Nudelsuppe mit Gemüsebrühe. Das hatte sie auch gerne bei Novus gegessen. Die Frau nickte, wischte sich den Schweiss mit dem Armrücken von der Stirn und heftete die neue Bestellung zu den weiteren Papierfetzen, die über den Herden hingen. Nach wenigen Minuten stellte eine metallische Hand die Schüssel vor ihr auf den Tresen und reichte ihr eine billige Decodertafel. Sie zückte die silberne Credcard, strich diese über die Tafel und wartete auf die Registrierung. Ein Piepen signalisierte, dass die Karte noch nicht gesperrt war. Daraufhin kramte Leyla den Daumen hervor und presste ihn auf das gekennzeichnete Viereck. Der Mann mit dem augmetischen Unterarm schien der abgerissene Daumen nicht zu stören. Nachdem der Geldbetrag überwiesen worden war, wünschte er Leyla einen guten Appetit. Sie hatte Glück gehabt, eine silberne Credcard gefunden zu haben. Mit einer goldenen oder gar schwarzen hätte sie nicht einmal in dieser Gegend irgendwas bezahlen können. Sich zwei Plastikessstäbchen aus einer bereitgestellten Schale nehmend, begann sie sich heißhungrig über die warme Mahlzeit herzumachen.
Mit gefülltem Magen, aber auch leichter Übelkeit, da sie zu hastig gegessen hatte, reichte Leyla die leere Schüssel der Frau, die vorher ihre Bestellung aufgenommen hatte, und wandte sich wieder den anderen Ständen zu. Die gebotene Kleidung bei einem Stand weckte ihr Interesse und sie näherte sich diesem. Die dürre Verkäuferin, die um die Mitte Dreißig war, lächelte Leyla begrüßend an, um dann nach ihrer Größe zu fragen. Die Blicke, welche die Frau ihr zuwarf, zeugten von Misstrauen, aber auch Neugierde. Obwohl Leylas Kleidung verwaschen und gebraucht aussah, so wirkte sie selbst völlig anders. Sie hatte diese Reaktionen bisher unzählige Male erlebt. Teils Neugier und Interesse, aber auch eine gewisse Furcht vor dem Unbekannten. Augmentation war keine Seltenheit, doch nur wenige konnten sich solche Exemplare leisten, die an die Qualitätsstufe von Leylas herankamen. Das Erste, was jedem sofort bei Leyla auffiel waren ihre künstlichen Augen. Leyla wollte keine Zeit verschwenden und machte der Frau auf ihre direkte Art klar nach was sie suchte.
Während die Frau hinter einem fleckigen, orangen Plastikvorhang, der scheinbar das Lager sein sollte, verschwand, musterte Leyla einige der aushängenden Sachen. Nach dem Anprobieren in einer engen Umkleide, die diesmal durch Stoffvorhang verdeckt wurde, entschied sich Leyla für einige Stücke, darunter zwei Trikotanzüge und eine gefütterte Weste mit vielen Taschen.
Nachdem der Kauf abgewickelt worden war, sah sich Leyla noch eine zeitlang auf dem Markt um und verließ diesen anschließend mit ein paar gefüllten Tüten in beiden Händen. Auf dem Rückweg zu dem Verladedock, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Presse und Internet, ob dort eventuell etwas über die vergangene Nacht berichtet wurde. Sie wäre überrascht gewesen, wenn sie tatsächlich fündig geworden wäre, aber Novus erlaubte sich in dieser Sache keine Bloßstellungen. Selbst wenn dies einen oder mehrere Morde benötigen würde.
Als Leyla das Ladedock erreichte, sah sie Thalia, die sich mit einem Mann in einem schmutzigen Overall eher ungewollt unterhielt, was dieser Mann aber schlichtweg nicht zu bemerken oder zu ignorieren schien. Leyla wollte sich nicht einmischen und stieg derweil in das Schiff hinein. Sie kehrte zu der Krankenstation, aus der sie aufgewacht war, zurück und legte die Einkäufe vor sich hin. Aus einer Tüte fischte sie einen kleinen Block sowie einen Bleistift heraus. Dann begann sie sich bequem hinzulegen und konzentrierte sich auf das Sodoku-Rätsel.
 
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Vier Minuten später hatte Thalia ihr Liegezeit Problem mit der Dockverwaltung geklärt und kehrte ebenfalls in das Schiff zurück, wobei sie vorsichtshalber die Zugangsrampe schloss. Man konnte ja nie wissen...
Sich nach ihrer neuen Passagierin umschauend, fand sie diese schließlich auf der Krankenstation mit einem Sudoku-Heft vor sich. Thalia blieb lächelnd im Türrahmen stehen, wo sie sich gelassen anlehnte und zweimal aufs Metall klopfte, bevor sie sagte, "Wohl kaum."
Lilith sah mit einem Ruck zu Thalia auf und musterte sie eingehend. Die instinktive Suche nach Waffen und nach potentiellen Angriffs- oder Fluchtmöglichkeiten, wann immer jemand neues den Raum betrat. Das war etwas, was Thalia heute nicht zum ersten Mal in ihrem Leben sah. Eine Angewohnheit, die sich die meisten zu eigen machte, die in den Schatten oder am Rande der Legalität leben mussten.
Thalia entschied sich, vorerst nicht darauf einzugehen. Stattdessen fuhr sie mit dem fort, was sie sowieso sagen wollte.
"Du willst auf meinem Schiff mitreisen? Dann wirst du arbeiten. Außer natürlich, du kannst die ISE blechen, die so eine Reise kostet. Und das..." Thalia lies den Blick ihrer hellbraunen Augen über Lilith und deren Einkauf wandern, von dem sie sich sicher war, dass er gestohlen oder anderweitig illegal beschafft worden war. "Das bezweifle ich."
"Ich könnte dich auch einfach töten, wenn du mich nicht bringst, wohin ich will." Warf Lilith ein, wobei sie sich auf der Pritsche aufrichtete und ihr Rätsel zur Seite legte. Den Stift behielt sie wie beiläufig in der Hand. In ihren Bewegungen lag kaum noch etwas von dem Schmerz, den eine Verletzung, wie die ihre, verursachen musste.
"Jaja... das kannst du sicherlich. Nur bin ich dann tot und du sitzt immer noch auf diesem schmutzigem Planeten fest, nur dann leider ohne jemanden, der dieses Schiff zum Fliegen bringen kann." Freundlich lächelnd hielt Thalia ihrem Gast die rechte Hand hin, welche von Öl und Dreck dunkel war, um der Frau, die offenbar gerade über Thalias Worte nachdachte, aufzuhelfen und zugleich ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Lilith lies sie jedoch einfach abblitzen und stand eigenständig auf. Den Stift nun endlich ablegend sah sie Thalia ins ebenfalls schmutzige Gesicht und fragte fast schon enerviert, "Dann sag schon, was soll ich machen?"

|Etwa sieben Stunden später...|

Der Hammer fuhr noch dreimal auf die Stützstange nieder, bevor Thalia beschwichtigend die Hand zu Lilith hob, die mit dem Hammer in der Hand zweieinhalb Meter über dem Boden des sekundären Maschinenraums auf zwei Metallstreben hockte. "Warte, warte..." Rief Thalia ihr zu, wobei sie ihren Blick prüfend über das Gestänge, dass einen Teil des unter der Decke hängenden Turbinenblocks stützen sollte. "Höm... Gerader wirds wohl nicht mehr. Können wir so lassen, denke ich."
Thalia trat drei Schritte zurück, um noch einmal das gesamte Gebilde zu betrachten. Es handelte sich im Grunde um eine improvisierte Stütze, die eingefügt worden war, nachdem man aus irgendeinem Grund den tertiären Maschinenblock, der für gewöhnlich den Primären stützte, aus dem Schiff entfernt hatte. Vertrauenerweckend sah das ganze bei weitem nicht aus, aber wer in dieser Hinsicht zart besaitet war, sollte sowieso keinen eingehenderen Blick auf Thalias Schiff werfen.
Mittlerweile war Lilith mit einem geschmeidigen Sprung, der so manchen Akrobaten neidisch gemacht hätte, von dem Stützgestänge gesprungen, um eine weitere Stange vom Boden aufzuheben, die nun, wo die Vorrichtung gerade war, eingeschraubt werden konnte, um der ganzen Sache Halt zu geben.
Alles in allem konnte Thalia sich nicht über die Hilfe Liliths beklagen. Die Frau hatte zwar offensichtlich noch nie eingehendere Erfahrungen mit dem Schiffsbau gemacht, packte jedoch überall mit an, wo sie wusste, was zu tun war oder dies erklärt bekam. Und dabei vollbrachte sie auch noch stets das Kunststück, Thalia, die Tür, ihren eigenen Rücken und ihre Arbeit im Auge zu behalten. Diese an Paranoia grenzende Wachsamkeit amüsierte Thalia zwar einerseits, andererseits beunruhigte es die Frau aber auch, da das Verhalten sicherlich nicht von Ungefähr kam und seine Gründe hatte. Was hatte diese Frau getan, dass sie sich so verfolgt fühlte?
Dieser Gedanke beschäftigte Thalia schon eine Weile. Ebenso die Frage, ob sie Lilith danach fragen sollte. Ein weiteres Mal verschob Thalia den Zeitpunkt zur Lösung dieser Fragen auf später, um sich wichtigeren Dingen zu widmen.
"Ich würde sagen, wir sind hier fertig, Lilith. Schraub die Stütze da noch an und dann komm hoch in die Kombüse. Ich mach uns was zu essen. Danach fliegen wir los."

Mit dem Geräusch des arbeitenden Elektroschraubers in Liliths Händen hinter sich verließ Thalia den Maschinenraum und machte sich auf den Weg zur Kombüse. Unterwegs sah sie noch kurz in der Speisekammer des Schiffes vorbei, wo sie den Kisten ein paar Tüten und Beutel entnahm. Eigentlich konnten die Zutaten über ein automatisches System von der Kombüse aus angefordert werden. Das System hatte nicht mal mehr funktioniert, als Thalia das Schiff vom Syndikat entgegengenommen hatte.
In der Kombüse holte sie vier Schüsseln und zwei Becher aus den Schränken und stellte sie vor sich ab. Dann breitete sie die Speisetüten aus der Speisekammer vor sich aus. Mit einem verschmitzten Lächeln lass sie die Aufschrift der Beutel. 'Kartoffelbrei', 'Hackbraten', 'Fleischsoße' sowie 'Spargel' stand dort geschrieben.
"Na, warum nicht?" Murmelte sie, wobei sie die Beutel aufriss und deren Inhalt in jeweils eine der Schüssel füllte. Die drei Beutel für Kartoffelbrei, Hackbraten und Fleischsoße enthielten verschiedenfarbige Pulver, während aus dem Spargelbeutel kleine, grün-weiße Briketts fielen.
In jede der Schüsseln füllte Thalia noch etwas Wasser und je zwei Pillen, die sie aus einer Dose im Schrank nahm und die all die Nährstoffe enthielten, die den synthetischen Nahrungsmitteln, die dem gemeinen Bürger Nocturns oder Raumfahrer heutzutage zur Verfügung standen, fehlten. Vor sich hinsummende lies Thalia die vier Schüsseln im Auto-Koch verschwinden, zog die vier Tüten über das Scannfeld des Geräts, damit dieses die Zubereitungsdauer ablesen konnte und machte sich davon, um nach etwas Trinkbarem zu suchen.
 

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Langsam kam die rasante Drehung des Elektroschraubers zu einem Ende, nachdem Leyla ihn mit dem Schiebeknopf ausgeschaltet hatte. Immer leiser wurde das geräuschvolle Werkzeug, bis es schließlich völlig verstummte. Leyla verfolgte aufmerksam mit ihren lilafarbenen Augen diesen Vorgang und legte dabei ihren Kopf, der völlig frei von Gedanken war, leicht zur Seite. Den Schrauber sorgsam in eine schmierige Stahlkiste ablegend, erhob sich Leyla von ihrer Kniehaltung und knackste mit ein paar Knochen als sie sich zu dehnen begann. Sie stieß einen Seufzer aus und betrachtete die Arbeit, die sie und Thalia verrichtet hatten. Obwohl Leyla nicht beurteilen konnte, ob ihre Ausbesserungen auch etwas erreicht hatten, so schien doch die Besitzerin des Schiffes zufrieden zu sein. Leyla hatte dabei die eher groben Aufgaben, welche pure Kraft beanspruchten, erhalten. Auch wenn Leyla in ihrer Ausbildung geschult worden war, dass sie auf elegante, tödliche Perfektion in ihre Bewegungen zu achten habe, so verlor sich diese in den ungewohnten stumpfen Tätigkeiten, die Thalia von ihr verlangte. Leyla war sich sicher, dass sie noch genug Gelegenheit erhalten würde, ihr eigentliches Können dieser Frau zu präsentieren. Entweder zu ihrem Nutzen oder nicht.
Mit einem fleckigem Tuch ihre Hände säubernd, ging sie aus dem Maschinenraum in einen der engen, metallischen Gänge des kleinen Raumschiffes. Bis auf gedämpftes Surren und Piepsen konnten Leylas verbessertes Gehör nur ihre Schritte über den gelegentlich mit einem Ölfilm bedeckten Boden vernehmen. Die Finger, welche größtenteils befreit von Schmutz, fuhren über den kalten, glatten Stahl der Wände.
Es war eine typische Geste, die sie mittlerweile schon unbewusst vollzog, von ihr. Schon immer berührte sie gerne Oberflächen mit den Händen, in der Auffassung, dass jener spezielle Sinn dadurch eine Übung erhielt. Jedoch tat sie dies auch in neuen Umgebungen, um ein Gefühl für diese Fremde zu erhalten. Vielleicht war es das Kind, welches nie eines sein durfte, oder der Perfektionist in ihr, der danach strebte sich immer wieder neu zu übertreffen. Sie konnte es nicht sagen.
Eine Antwort darauf hatte sie bisher nicht gefunden.
Nach kurzer Zeit konnte sie das Kochen von Wasser vernehmen und betrat die kleine, dürftig eingerichtete Küche des Raumschiffes. Thalia stand an dem Plattenherd, wo sie gedankenverloren in die dampfende Flüssigkeit starrte. Sie bemerkte Leyla erst, als diese auf einem der am Boden befestigten Stühle Platz genommen hatte, da dieser unangenehm unter dem aufsetzenden Gewicht zu quietschen begann. Ein Gesicht, das von getrockenetem Schweiss glänzte, wendete sich zu Leyla um und begrüßte sie mit einem flüchtigen Lächeln.
„Die Mahlzeit ist gleich fertig“, sagte Thalia und leckte sich über ihre trockenen Lippen.
Eine Mahlzeit konnte man diese Brühe wohl kaum nennen. Bei Novus sorgten die Führung stets dafür, dass die besonderen Einheiten bessere Lebensmittel zum Essen bekamen, als die breite Masse auf Nocturn. Aufgrund der großen Bevölkerung und begrenzten Nahrungsbeschaffung durch Raumschiffe von anderen Planeten konnte die meisten Menschen nur davon träumen etwas anderes als Pulver- oder Ersatznahrung auf den Teller zu haben.
Während Thalia die Schüsseln mit der Brühe auffüllte, musterte Leyla die Frau eingehend. Ihre wilden Haare, deren dunkles Rot beinahe lilafarben zu sein schien, waren lang und zu einem dicken Zopf geflochten worden. Meist hing dieser an ihrem Rücken herab, aber sie hatte Thalia auch schon gesehen, wie sie ihn über eine ihrer Schultern gelegt hatte. Der Körper war schlank und kräftig, was zeigte, dass sie sich nicht nur mit den Arbeiten an Raumschiffen beschäftigte. So waren auch ihre Hände besaßen nicht die selbe Weiblichkeit, wie die von Leyla, sondern verdeutlichten auch das grobe Handwerk. Dennoch hatte diese Thalia eine anziehende, weibliche Ausstrahlung, die nicht nur von wohlgeformten Brüsten – Leyla bemerkte den etwas größeren Unterschied zu ihrem eigenen Paar - und ihrem festen Hintern ausging. Das Auffälligste an dieser Frau war allerdings ihr interessantes Gesicht mit seinen feinen Zügen, was im Widerspruch zu ihrer normalen Tätigkeit stand. Matte Tätowierungen, die Leyla völlig fremd waren und deren Ursprung sie nicht feststellen konnte, bedeckten die obere Gesichtshälfte und graue Augen, die offenbar schon viele Dinge gesehen haben mussten, schimmerten voller Selbstbewusstsein. Trotzdem hatte Leyla auch Sorgen in ihnen erkannt, als sie gemeinsam mit den Reparaturen am Schiff beschäftigt waren. Waren es nur die Schäden ihres Schiffes, was diese Frau plagte, fragte sich Leyla und wich mit ihrem Blick aus, bevor sich Thalia zu ihr umgedreht hatte.
„Ich hoffe, du hast Hunger.“
Die klare, dampfende Suppe vor ihr abstellend, setzte sich die Technikerin ihr gegenüber, wo sich ihre Augen trafen. Das würzige Aroma der Mahlzeit vermischte sich mit dem süßlichen Schweissgeruch der beiden Frauen und signalisierte Leyla, dass eine Dusche dringend nötig war. Nachdem sie stumm ihre nährstoffreiche Brühe ausgelöffelt hatten, erhob sich Leyla von ihrem Stuhl und legte die leere Schale in die Spüle.
„Ich brauche ein Handtuch.“
„Sicher“, Thalia versorgte ebenfalls ihren Teller in der Spüle, „Ich bringe dir gleich eines, sobald du das Geschirr abgewaschen hast.“
Leyla hob demonstrativ eine ihrer Augenbrauen, was Thalia mit einem Augenrollen entgegnete.
„Bitte“, sagte sie und verschwand aus der Küche ohne ein weiteres Wort.
 
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Eine Dusche und eine Mütze Schlaf später machte Thalia sich im Cockpit daran die Systeme ihres Schiffes hochzufahren. Zu ihrer Verwunderung musste sie lediglich noch zwei kleinere Reparaturen vornehmen, bevor sie theoretisch startbereit waren. Dennoch hatte sie das ganze gut genug abgelenkt, um erst einmal nicht weiter an ihre merkwürdige und irgendwie auch faszinierende Passagierin zu denken. Das hatte sie in den letzten Stunden nämlich fast durchgehend getan. Diese Frau - Lilith - war ein Rätsel für sich. Eigentlich, so dachte Thalia sich, schien sie sogar ganz nett zu sein, wäre sie nicht so schweigsam, teils gar abweisend. Dazu kam diese stete Wachsamkeit, die nahezu an Paranoia grenzte und Thalias Einschätzung nach einen guten Grund haben musste. Der Name, soviel war Thalia sich sicher, war jedenfalls falsch. Thalia hatte sich die Zeit genommen den Namen Lilith Gant über einen ihrer Kanäle zu prüfen. Tatsächlich gab es 107 Frauen und zwei Männer auf Nocturn, die so hießen und namentlich registriert waren. Vier von den Frauen und beide Männer waren laut Register mit Implantaten ausgestattet. Dabei handelte es sich jedoch ausschließlich um medizinische und kosmetische Modifikationen, wohingegen die Implantate Liliths zumindest teilweise anderer Natur waren, wie Thalia schnell festgestellt hatte, als sie bereits bei der Behandlung von Liliths Schussverletzung einen genaueren Blick riskiert hatte.
Im Moment war Thalia all dies noch recht. Sollte die Frau sich doch schützen, wenn sie es für nötig hielt.

Seufzend lies Thalia ihren Blick zu der Frontscheibe ihres kleinen Cockpits wandern. Draußen war es düster, laut der Zeitanzeige an den Armaturen vor Thalia sogar Nacht. Sie machte sich nichts daraus. Überwiegend auf Raumschiffen zu leben brachte es mit sich, dass man einen ziemlich konfusen Tages-Rhythmus hat.
Sie legte ihren Finger mit den Worten, "Na dann wollen wir mal. Hat ja auch lang genug gedauert.", auf den Knopf für den Kom-Kanal, auf dem die regionale Flugüberwachung bereits eingestellt war. Es war im Grunde möglich - und auf einem Planeten wie Nocturn nicht ungewöhnlich -ohne Starterlaubnis abzuheben, doch wer dies tat fiel auf und ging zudem noch ein erhebliches Risiko ein. Also verzichtete Thalia darauf, wenn möglich. Behutsam drückte sie den Kom-Knopf und sprach in den Raum hinein, "Hier Rover ATX-Zero Nine D-Four Pi Lambda an Flugüberwachung Sigma A. Erbitten Starterlaubnis und Korridor Zuweisung."
Mit einem beherztem Gähnen lehnte Thalia sich in ihre Sitz zurück. Die Flugüberwachung würde einen Moment brauchen, um auf ihre Anfrage zu reagieren, da auf Nocturn selbst mitten in der Nacht unheimlich viel Luftverkehr stattfand. Zumal bereits in der Luft befindliche Objekte für gewöhnlich Priorität hatten.
Derweil lies Thalia ihren Blick durch das Innere des Cockpits schweifen. Es war für ein Schiff dieser Größe angemessen groß, was bedeutete, dass es genau zwei gepolsterte Sitze mit H-Gurten und Anschlüssen für Fliegeranzüge, die meisten Konsolen in doppelter Ausführung, Raum für knapp eineinhalb Personen zum stehen und einen weiteren Notsitz gab. Die beiden gepolsterten Sitze, welche für Piloten und Co-Piloten gedacht waren, befanden sich nebeneinander und wurden von einem niedrigem Ausleger der Armaturen getrennt. Wie überall im Schiff war es hier nicht gerade sauber. Sitze und Armaturen waren staubig, teils gar ölig, aber daraus machte sie sich nicht wirklich etwas. Genau genommen hatte sie es selbst bereits wieder geschafft, schmutzige Finger und Öl ins Gesicht zu bekommen, obwohl sie vor dem Schlafengehen erst geduscht hatte.

"Hier Flugkontrolle. Rover ATX-Zero Nine D-Four Pi Lambda.", knisterte es aus den alten Lautsprechern über Thalia, "Starterlaubnis verweigert. Im Moment herrscht ein allgemeines Startverbot aufgrund der Bombenanschläge am Linus Hospital. Halten sie sich bereit für weitere Informationen. Das Verbot ist voraussichtlich nur von kurzer Dauer."
"Verstanden Flugkontrolle. Rover ende.", erwiderte Thalia nachdenklich. Ihre flinken Händen waren längst dabei die Stichworte 'Linus', 'Hospital' und 'Anschlag' über die abgegriffene Tastatur, die zum Monitor für den Netzzugang des Schiffes gehörte, vor sich ins Netz einzuspeisen. Prompt wurden ihr mehrere News-Seiten angezeigt, von denen sie wahllos drei öffnete. Mit dem Trackball in der Hand scrollte sie rasch durch die Nachrichten Artikel, wobei sie auch nicht wirklich mehr erfuhr, als dass es vor knapp 30 Minuten einen Bombenanschlag mit mehreren Toten am Linus Hospital - eines der größten Krankenhäuser des Bezirks - gab. Über Täter oder genaue Opferzahlen war bisher nichts bekannt.

"Was ist los?"
Lilith war eingetreten. Sie war noch dabei, sich mit einem lilafarbenem Handtuch die Haare zu trocknen und trug im Moment lediglich so etwas wie einen Trikotanzug und ein paar Socken.
"Morgen. Setz dich." Grüßte Thalia sie, wobei sie sich lediglich kurz zu Lilith umdrehte, um dann wieder auf den kleinen Monitor vor sich zu schauen. "Irgendwelche Deppen haben eine Bombe am Linus Hospital gezündet. Deswegen gibt es im Moment ein allgemeines Startverbot."
Thalia merkte, wie Lilith, die sich mittlerweile auf dem Co-Piloten Sitz niedergelassen hatte, aufhorchte.
"Startverbot? Wie lange?", fragte sie eine Spur zu hastig.
Thalia zuckte mit den Schultern und antwortete, "Keine Ahnung. Dauert vermutlich nicht lange. Hast dus eilig?"
Lilith antwortete nicht darauf. Stattdessen warf sie einen wachsamen Blick aus dem Fenster des Cockpits.
 

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Sprengladungen. Leyla rümpfte die Nase. In Novus war sie auch in dieser Art von Zerstörung geschult worden, doch ihre Sympathie hatte es nie gewonnen. Sie suchte den Nahkampf, das war ihr Metier, nicht das entfernte Zünden von Ladungen. Dennoch musste sie einige Male Sprengstoffe benutzen, wenn dieses ausdrücklich von ihrer Führung befohlen worden war. Damit hatte sie auch ihre Ziele erreicht, aber trotz dem stellte sie sich lieber einem Feind entgegen. Nur das garantierte das Ableben des Zieles mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit, was man von Explosionen nicht unbedingt behaupten konnte. Vor etwa 5 Jahren war sie Zeugin einer dieser besonderen Vorfälle geworden. Nathalem Tenkh, ein aufstrebender, ambitionierter Politiker, wollte die Macht der Konzerne auf Nocturn schwächen, speziell von Novus, die gerade enormen Einfluß gewonnen hatten. Leyla erhielt den Auftrag einen jungen Assassinen zu begleiten und ihn bei der Ausschaltung von Tenkh zu überwachen. Die Novusführung wollte es wie einen Unfall aussehen lassen, da Tenkh eine gefährliche Sympathie aufgebaut hatte, die ihn eigentlich vor Attentaten schützen sollte. Nach der nötigen Planung wurde eine Rede in einem Gebäude für die Mordaktion gewählt. Ein Flieger wurde ohne das Wissen des Piloten mit explosivem Material ausgestattet und sollte durch gezielte Sprengung in das Gebäude stürzen. So geschah es letztendlich auch. Kurz vor dem Ende der Rede im High Delta Tower, durchbrach ein brennender Flieger der Transporterklasse die dicke, gepanzerte Glaswand und verwandelte den Saal in eine Flammenhölle. Das Feuer und die Trümmer brachten den Menschen, die unglücklicherweise anwesend waren, einen grausamen Tod. Nathalem Tenkh überlebte schwer verletzt. In einem hochgesicherten Krankenhaus fand er schließlich die Erlösung durch Leyla.
Ihre noch feuchten Haare abtrocknend, erhob sich Leyla von dem Stuhl, dessen Leder schon an vielen Stellen rissig geworden war, um das Handtuch zu versorgen. Die warme Dusche hatte sich herrlich angefühlt. Eine willkommene Erholung nach den letzten Strapazen, die sie gerne länger ausgekostet hätte, wenn Thalia nicht gewesen wäre.
„Stehst du immer noch unter dem Ding? Nimm am besten gleich noch ein kräftigen Schluck, denn so wie du das Wasser verschwendest, haben wir bald nichts mehr zu trinken“, hatte sie in den dampfigen Duschraum gerufen und Leyla zum Aufhören bewegt.
Thalia wendete sich zu Leyla um, als diese wieder das Cockpit betrat. Den Reißverschluss ihres Trikotanzuges an ihrem Rücken vom Hinternansatz bis zum Hals hochziehend, musterte Leyla die Steuerkonsolen und Bildschirme im Cockpit. Sie war durchaus fähig einen Flieger zu steuern, aber von der Handhabung eines Raumschiffes wusste sie kaum etwas. Außerdem hasste es Leyla zu fliegen. Sie fühlte sich in solchen Sitautionen angreifbarer und schwächer als auf dem Boden.
Ein Dröhnen von entfernten Turbinen erregte Leylas Aufmerksamkeit. Ihre Arme verschränkend, suchten ihre Augen den Ursprung dieses Geräusches. Es dauerte nicht lange, da erspähte sie drei Flieger, die vor ihnen auf die Landungsplattform zusteuerten.
„Jäger der Nocturnbehörden“, sagte Leyla und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, „Das gefällt mir nicht.“
Sie spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten und ein Gefühl von Gefahr sich näherte. Ihr sechster Sinn schrie es förmlich in ihr, dass sie von hier verschwinden musste.
„Wir müssen hier weg.“
„Warte“, sagte Thalia, die offensichtlich nicht begreifen wollte, was sich bald vor ihnen abspielen würde.
„Verschwende keine Zeit. Starte...“
Leyla stoppte in ihrem Satz, als einer der orangefarbigen Bildschirme aufleuchtete und eine Annahmebestätigung verlangte. Mit einem Klicken erlaubte Thalia die Übertragung, eine Frequenz erschien und die Lautsprecher an den Seiten des Bildschirmes gaben knisternd eine leicht verzerrte Stimme wieder.
„Rover ATX-Zero Nine D-Four Pi Lambda, hier spricht Sergeant Husk von dem nocturnischen Sondereinsatzkommando. Auf ihrem Raumschiff hält sich eine Terroristin auf. Öffnen Sie ihre Ladeluke und geben Sie uns Einlass, sonst müssen wir uns gewaltsam Zutritt verschaffen.“
 

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Thalia staunte nicht schlecht, als dieser Sergeant Husk ihr tatsächlich erzählte, ihre Passagierin wäre eine Terroristin. Verbunden mit den eben im Netz gelesenen Neuigkeiten ergab sich dabei ein interessantes Bild, zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten mochten die Teile dann doch wieder nicht so recht zusammenpassen. Das Timing der Polizei war doch etwas zu gut, wenn man bedachte, dass der Anschlag erst etwa 35 Minuten her sein sollte.
Außerdem konnte Thalia gut darauf verzichten, dass ein Sturmkommando der Polizei Spezialkräfte ihr Schiff auf den Kopf stellte und dabei unter Umständen die eine oder andere Sache fand und auch Lilith schien, ganz gleich, ob sie nun besagte Terroristin war oder nicht, auf keinen Fall in Kontakt mit den Einheiten des Sergeants kommen zu wollen.
"Starte endlich dieses Schiff!", forderte sie erneut. Sie befand sich irgendwo hinter Thalias Pilotensessel, ohne dass Thalia sagen konnte, wo genau, da sie sich seit Husks Kontaktaufnahme nicht mehr umgedreht hatte.
Thalia hob die rechte Hand, um Lilith zu beschwichtigen und aktivierte dann mit der anderen Hand die Verbindung zu Sergeant Husk. Mit so autoritärer und gefasster Stimme, wie es ihr im Moment möglich war, fing sie an zu sprechen.
"Sergeant Husk. Hier spricht Kapitän Nebula von der Rover. Wagen sie es nicht mein Schiff zu betreten. Dies ist ein Vertragsschiff des Orpheus Konglomerats von Myran und liegt daher außerhalb ihrer Befugnisse. Bleiben sie und ihre Männer von meinem Schiff fern, wenn sie nicht wollen, dass die Handelsliga ihren Arsch grillt."
Auf einmal war Thalia verdammt froh über darüber, dass das Syndikat ihrem Schiff bei der Beschaffung eine Eintragung in das Vertragsregister der Liga spendiert hatte, auch wenn die Zugehörigkeit zum Konglomerat gefälscht war, wodurch der Ligaschutz nichtig wurde, sollte die Fälschung ans Licht kommen. Die sogenannte Handelsliga war eine irrsinnig einflussreiche Vereinigung von Handelsunternehmen und freien Kapitänen, die die Interessen eben dieser schützte und sogar über eine eigenständige Flotte verfügte. Dass die Rover bei der Liga als Vertragsschiff registriert war bedeutete, dass das Schiff Liga Territorium darstellte und Thalia als Kapitänen die oberste Autorität vor Ort war. Jedenfalls rein rechtlich gesehen und auch nur solange die Fälschung ihrer Zugehörigkeit zum Konglomerat nicht aufflog.
Umso mehr überraschte sie die Antwort des Sergeants auf ihre Warnung.
"Negativ Rover.", knisterte seine Stimme aus dem Lautsprecher, "Ihr Schutz wurde von der Liga aufgehoben. Ich sende ihnen den Beschluss. Sie haben noch 30 Sekunden uns an Bord zu lassen, dann verschaffen wir uns Zugang."
Prompt erschien eine Datei auf dem kleinen Monitor, die zu Thalias Überraschung die Worte des Sergeants bestätigte. Vollkommen überrumpelt las Thalia das Dokument drei mal. Es war nicht so, dass die Fälschung aufgeflogen war. Ihr Status war von der Liga einfach aufgehoben worden, ohne Angabe von Gründen.
"Wie zum Teufel...", murmelte sie. Von so etwas hatte Thalia noch nie gehört, geschweige denn es für möglich gehalten.

Lilith hatte nun offenbar genug. "Thalia. Starte. Das. Schiff. JETZT!", sagte sie mit einer kalten, überraschend ruhigen Stimme. Die tödliche Endgültigkeit, die Liliths Worte begleitete, machte klar, dass sie keine Widerrede dulden würde. Es gab keinen Zweifel daran, was Lilith tun würde, wenn Thalia weiterhin tatenlos blieb. Sie töten.
Thalia schloss die Augen und holte tief Luft. Die Ereignisse überrollten sie gerade. Die Aufhebung ihres Liga Status, Sergeant Husk, dessen Stimme sie knisternd daraufhin wies, dass ihre Zeit ablief, Lilith, die ihr auf Thalias eigenem Schiff damit drohte sie zu töten, wenn sie nicht sofort startete. Es wurde von allen Seiten Druck auf Thalia aufgebaut. Sie hasste es, wenn dies geschah und häufig tat sie dann sehr dumme Dinge, die sie im Nachhinein doch lieber nicht getan hätte. So auch jetzt.
Mit einem mal lies sie die Luft wieder aus ihrer Lunge entweichen, dann drückte sie auf den Auslöser für den Nachbrenner ihres Schiffes.

Für gewöhnlich lief der planetare Start eines kleinen Schiffes wie der Rover so ab, dass der Anti-Gravitationsantrieb - oder auch AG-Antrieb - gestartet wurde, wodurch das Schiff vom Boden abhob und eine Höhe erreicht, in der die Nutzung von Brennstoffantrieben keine Gefahr für die Umgebung darstellte. Durch die kombinierte Kraft des AG-Antriebs und der Brennstofftriebwerke verließ das Schiff dann die Atmosphäre. Sobald der höhere Orbit des Planeten erreicht war, wurden AG-Antrieb und Brennstofftriebwerke abgeschaltet und auf den jeweiligen Unterlichtantrieb des Schiffes gewechselt.
Neben diesen Antrieben verfügten manche Schiffe, so auch Thalias Rover, über sogenannte Nachbrenner. Eine Erweiterung der Brennstofftriebwerke, die in der Lage war kleinere Schiffe augenblicklich drastisch zu beschleunigen und meistens auf kleineren Kampfschiffen oder Bergungs- und Bergbauschiffen genutzt wurde. Es gab gute Gründen dafür, diese Erweiterung nicht innerhalb einer planetaren Atmosphäre und schon gar nicht auf einem Landefeld einzusetzen. Thalia hatte es dennoch getan.

Die unbezwingbare Macht vielfacher G-Kräfte presste Thalia in den Pilotensitz, während Lilith hinter ihr zurück geschleudert und mit einem Knall gegen die Rückwand des Cockpits gerammt wurde. Eine Werkzeugkiste, die zuvor frei unter Thalias Sitz gestanden hatte, schlug scheppernd eine handbreit neben ihrem Kopf auf.
Hinter Thalias Schiff entstand ein Feuerball, als der Nachbrenner die Brennstofftriebwerke zündete, deren blau-weißer Antriebsstrahl gegen die Rückwand des zu den anderen Seiten offenen Landefeldes schlug und zurück geworfen wurde. Mit dem kreischenden Geräusch von Metall, das man über Metall schleift, wurde Thalias Schiff funkensprühend von seinen eigenen Antriebe über das Landefeld geschoben. Nach einer gewissen Strecke, auf der die Landekufen des Schiffes herumliegende Schläuche, Kabel, Werkzeugkisten, Ausrüstungswagen und einige andere Sachen, die auf einem Landefeld so herumlagen, mitgerissen oder aus dem Weg gerammt hatten, war der Rand der Landeplattform erreicht. Die Fassaden der gegenüberliegenden kilometerhohen Hochhäuser zogen als verschwommene Lichter am Cockpitfenster vorbei, als die Rover in die Häuserschlucht stürzte. Da der Nachbrenner das Schiff nur nach vorne und nicht nach oben beschleunigte, gab es nichts, was es in der Luft hielt. Es war ein Glück, dass der Flugverkehr für Raumschiffe im Moment gesperrt war und kleinere Fluggeräte im Startbereich der Landefelder sowieso keine Flugerlaubnis hatten.
Ein Schrei drang an Thalias Ohr, als Lilith erneut durch das Cockpit Innere geschleudert wurde. Thalia blendete ihn vollkommen aus, da sie ebenfalls gegen die G-Kräfte ankämpfte und mit aller Macht versuchte, die Hand an den Anlasser des AG-Antriebs zu legen. Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es Thalia den Knopf zu drücken. Der AG-Antrieb sprang augenblicklich an. Wie von einer unsichtbaren Hand aufgefangen endete der Sturz der Rover, wodurch sie für einen Moment in der Luft hing. Der Nachbrenner hatte sich mittlerweile automatisch abgeschaltet, um Überhitzung vorzubeugen.
Mit hastigen Griffen warf Thalia die konventionellen Brennstofftriebwerke der Rover an, wodurch sie erneut einen Satz machten und nun wieder vorwärts schossen. 160 Stundenkilometer und schnell steigend las Thalia von den Anzeigen über ihr ab, denen sie erst jetzt Beachtung schenkte. Auch fiel ihr erst jetzt auf, wie viele Warnlichter leuchteten. Der kriminelle Start hatte alle möglichen Systeme des Schiffes überbeansprucht.
Noch hält es, schoss ihr eine Redewendung der Nomaden, unter denen sie aufgewachsen war, durch den Kopf.

Mittlerweile war der AG-Antrieb soweit hochgefahren, dass Thalia sich relativ gut in ihrem Sitz bewegen konnte und auch Lilith sollte nun weniger unter den G-Kräften leiden, wenngleich Thalia hoffte, dass Lilith vorerst irgendwo sitzen blieb und sich festhielt, denn es würde schnell wieder ungemütlich werden, wie sich bald zeigte.
Die Rover hatte keine 500 Meter Steigflug zurückgelegt, da blinkte die Kom-Verbindung an Thalias Armaturen erneut auf. Nach kurzem Zögern bestätigte sie die Annahme.
"Hier spricht StratFightNine Sigma A von der Flugkontrolle. Wir sind angewiesen sie abzufangen und zur Landung am Sigma A Zolldepot zu eskortieren. Schalten sie umgehend ihre Brennstofftriebwerke ab und fliegen sie mit AG. Befolgen sie unsere Anweisungen oder wir eröffnen das Feuer." Fast zeitgleich sah Thalia, wie ein pfeilförmiges Kampfflugzeug neben der Rover in Position ging. Es handelte sich um einen so genannten Strato-Fighter, der in der Lage war bis in die obersten Schichten der Atmosphäre eines Planeten zu fliegen und mit seinen Waffen sogar Raumschiffe zu beschädigen. Die Piloten dieser Maschinen gehörten angeblich zu den besten Kampfpiloten überhaupt und wurden auch nach dem Kriterium 'Verantwortungsbewusstsein' ausgewählt. Die Männer und Frauen, die mit überschall-schnellen Kampfjets zwischen und über den mit Milliarden Menschen bevölkerten Türmen Nocturns flogen und kämpften mussten jederzeit voll dabei und zurechnungsfähig sein.
Thalia überraschte die Warnung, dass man sie abschießen würde, daher sehr. Ein Absturz ihres Schiffes über dem dicht besiedelten Nocturn würde hunderte Tote zur Folge haben. Offenbar war es der Polizei wirklich ernst oder es war ein Bluff, wovon eher auszugehen war.
"StratFightNine", erwiderte Thalia mit der Absicht etwas Zeit zu schinden, "Ich habe raffiniertes Dex geladen. Wollen sie mich ernsthaft abschießen? Bedenken sie die Konsequenzen für die Menschen unter uns."
Das Dex hatte sie zwar nicht wirklich an Bord, aber Thalia hoffte, dass sie den Mann zumindest für einen Augenblick hinhalten konnte.
"Ich hoffe wirklich, dass wir das vermeiden können.", antwortete StratFightNine erstaunlich freundlich, "Befolgen sie einfach meine Anweisungen und niemand muss zu Schaden kommen. Auch sie nicht."
Thalia glaubte dem Kerl sogar, dass er die Sache möglichst friedlich abwickeln wollte, aber die Behörden würden sicherlich anders mit ihr umspringen, nach dem, was sie heute bereits hingelegt hatte. "Lilith halt dich fest!", warnte Thalia ihre Passagierin dieses mal.
Sorry, StratFightNine, dachte sie bei sich, als sie den Steuerknüppel ihres Schiffs zur Seite riss.

Als Kapitän Nebula rief, "Lilith halt dich fest!", waren diese Worte definitiv nicht für StratFightNine bestimmt gewesen, dennoch war er dankbar dafür sie zu hören, denn sie gaben ihm den Bruchteil einer Sekunde an Vorwarnzeit ein, den er benötigte, um nicht zu sterben. Wie eine gewaltige Ramme schwangen mehrere tausend Tonnen flüchtender Kleintransporter mit dem unscheinbaren Namen Rover seitlich auf ihn zu. Gerade noch konnte StratFightNine sein S18 Skylord Strato-Fighter zur Seite und nach unten wegkippen lassen, bevor die Rover den Raum ausfüllte, an dem er sich sonst selbst befunden hätte. Jetzt flog er direkt unter der flüchtenden Maschine.
"Oh scheiße... Nine alles okay bei dir? Ich kann dich nicht ausmachen! NINE?", die Stimme von StratFightNines Geschwaderkollegen und Wingman schallte aufgeregt aus dem Kom-Stecker in StratFightNines Ohr. Seine Position unter der Rover haltend beschwichtigte er seinen Wingman mit den knappen Worten, "Bin okay. Manöver Lukas ausführen."
Die Bestätigung seines Wingmans erfolgte umgehend. Dieser würde nun seine inner-atmosphärischen Geschwindigkeitsvorteil nutzen und sich weiter vorne auf der voraussichtlichen Fluchtroute des Kleintransporters positionieren, während StratFightNine die direkte Verfolgung fortsetzte.
Kaum war die Bestätigung eingegangen lies StratFightNine sich hinter die Rover zurückfallen. Durch das Heads-up-Display seines Helms und die zusätzlichen, auf sein Cockpitfenster projizierten Informationen hindurch konnte er das Heck der Rover mit ihren drei weit auseinander befindlichen Triebwerken, zwischen denen sich die Verladerampe befand, nun so nah vor sich sehen, dass er das Gefühl hatte, er müsse nur die Hand ausstrecken.
Noch immer flog die Rover mit mehreren hundert Kilometern pro Stunde durch die gewaltigen Häuserschluchten Nocturns, anstatt sich einfach darüber zu erheben. Die Pilotin wusste offenbar ganz genau, dass ihre Verfolger sich hüten würden hier mit schweren Waffen auf sie zu schießen. Sie würde tief fliegen, bis die Antriebe ihres Schiffes bereit waren sie ins All zu bringen, um in kurzer Zeit die Strecke bis zu dem Punkt zurück legen zu können, an dem die Strato-Fighter sie nicht weiter verfolgen könnten. StratFightNine verspürte eine plötzlich in ihm aufwallende Abscheu dagegen, wie diese Frau die Doktrin der Strato-Fighter, die dem Schutz der Bevölkerung dienen sollte, ausnutzte. Andererseits musste er zugeben, dass die Idee an sich ziemlich gerissen war. Aber so würde er nicht mit sich spielen lassen. Für einen kurzen Augenblick erwog er Kapitän Nebula noch einmal zu kontaktieren und zur Aufgabe aufzufordern, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Die Frau hatte ihren Standpunkt klar gemacht. Wurde Zeit, dass er dies nun ebenfalls tat.
StratFightNines behandschuhter Zeigefinger schnippte die kleine rote Abdeckung über dem Abzug an seinem Steuerknüppel zurück, während er mit der anderen Hand einen weiteren Schalter betätigte, mit dem er die kleine Maschinenkanone in der Schnauze seines Fliegers als aktive Waffe auswählte und mit sogenannten Ghost-Geschossen lud. Ghost-Munition hatte den großen Vorteil, dass sie sich bei Kontakt mit Sauerstoff schnell auflöste. Für den unwahrscheinlichen Fall also, dass StratFightNine sein Ziel verfehlen sollte, würde die Munition nicht weit genug fliegen, um irgendjemanden zu schaden, der sich zufällig in der Gegend befand. Außerdem war diese Munition zwar durchschlagskräftig, aber nicht stark genug, um ein Schiff wie die Rover tatsächlich zum Absturz zu bringen. Außer natürlich man traf irgendetwas kritisches.
StratFightNine zog den Abzug...

Die Rover bockte unter Thalias Händen und eine schrille Sirene kreischte auf, signalisierte, dass irgendjemand dabei war ein hübsches Muster in das Heck von Thalias Schiff zu ballern. Dem Gefühl nach ging Thalia nicht davon aus, dass irgendein signifikanter Schaden angerichtet worden war, wenn man mal von den Löchern absah, die sich nun im Rumpf der Rover befanden und die im Vakuum des Weltalls zu einem echten Problem werden konnten. Die meisten Schiffe verfügten über ein System, welches in solch einem Fall die betroffene Sektion automatisch verriegelte. Bei Thalias schönem Schiff war dies im Grunde nicht anders, wenn man davon absah, dass die Automatik des Systems zur Zeit defekt war.
Ohne sich umzudrehen, rief Thalia nach hinten, "Lilith. Du musst runter zum Heckladeraum und an den zentralen Steuerkasten der Hecksektion. Du weißt schon. Der große Kasten mit der abgeblätterten roten Farbe an dem wir bei der Reparatur von Schott 19 gearbeitet haben. Geh da hin und löse die Notverriegelung aus! Und beeil dich. In knapp zwei Minuten gehe ich auf Maximalschub und bringe uns aus der Atmosphäre. Dann solltest du irgendwo angeschnallt sitzen oder dich verdammt gut festhalten!"
Erneut bockte das Schiff, als StratFightNine einen weiteren Strom Geschosse in Rovers Heck feuerte.
 

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Den metallischen Geschmack von Blut in ihrem Mund spürend, hatte Leyla das Cockpit verlassen und kämpfte mit ihrem Gleichgewicht. Die brutale Schubkraft des Raumschiffes war völlig überraschend gekommen und hatte sie hart gegen die hintere Schottwand des Cockpits geworfen. Von der Bisswunde in ihrer Backe abgesehen, meldete sich der stechende Schmerz in ihrer Schulter wieder und veranlasste Leyla den betroffenen Arm auf ihrem Weg zum Schaltkasten so wenig wie möglich zu benutzen. Immer wieder ließen die heftigen Flugmanöver Thalias Leyla straucheln, was sie nur in ihrer Abneigung gegenüber fliegenden Vehikeln bestärkte. Zwar bekam sie nach kurzer Zeit ein Gefühl dafür ihr Gleichgewicht zu halten, verlor es aber dann doch immer wieder, sobald Thalia vorne im Cockpit das Steuer - nach Leylas Meinung - dilettantisch missbrauchte. Wieder stürzte sie und prallte gegen eine der offenliegenden Wände, wo sie sich mit dem rechten Arm in einem Durcheinander von verschiedenfarbigen Kabeln, die sich aus ihren schwachen Haltungen gelöst hatten, verfing. Leyla wollte sich gerade mit einem kräftigen Ruck aus den quer verlaufenden, dünnen Kabeln reißen, da dämmerte ihr, dass das möglicherweise eine dumme Idee sein mochte. Obwohl sie immer noch hin und her gerüttelt wurde, gelang es Leyla schließlich sich aus dem Bündel zu befreien, ohne dabei einen der Stränge zu beschädigen.
Leylas Gedanken überschlugen sich. Wie konnten die Behörden so schnell auf sie aufmerksam werden? Warum wollten sie sie festnehmen? Novus konnte nicht verantwortlich dafür sein. Es war einfach untypisch für einen Konzern die Behörden einzuschalten, wenn es um einen ihrer ausgebildeten Mörder ging. Normalerweise hätte Leyla eine Kugel im Kopf von einem entfernten Scharfschützen oder die Klingen mehrerer augmentierte Nahkämpfer erwartet, doch nicht das plumpe Eingreifen der Polizei. Es galt herauszufinden, wer dahinter steckte.
Ein Kabel riss plötzlich lautstark vor ihr entzwei und zuckte wie eine Peitsche blitzend in der Luft. Leyla konnte gerade noch einem gefährlichen Stromschlag entgehen und wich geschickt dem knallendem Kabelende aus.
Sie würde es herausfinden. Vorausgesetzt sie überlebte das hier.
Endlich kam der Schaltkasten in Sicht und Leyla kämpfte sich die letzten Meter zu ihm vor. Metallteile und lose Dinge, wie Kanister oder kleine Kisten, rutschten über die ölig schimmernden Bodenplatten, wo Leyla darauf achtete, dass ihr nicht die Beine weggezogen wurden. Am Kasten angelangt, brach sie diesen mit einem Flachschraubenzieher gewaltsam auf und betätigte den Schalter. Sofort suchten Leylas Augen den Raum nach einem Platz, an dem sie sich sicher festmachen konnte, als eine knisternde, abgehackte Stimme durch einen abgenutzten Lautsprecher dröhnte.
„Lilith, ich... reife Leistun... pass auf... wir werden... Maximalsch...“
„Ich verstehe kein Wort! Verdammt nochmal!“
Keine Antwort. Offenbar funktionierte die Sprechanlage nur in eine Richtung.
Leyla fing mittlerweile an dieses Wrack von einem Raumschiff zu hassen. Mit einem kräftigen Ruck riss sie einen Gurt aus seiner Befestigung und verließ mit diesem schnell den Raum. An einer Säule, inmitten des nächsten Raumes, der scheinbar für Besprechungen oder ähnliches genutzt wurde, band sich Leyla eilig mit dem abgerissenen Gurt fest und wartete auf den Maximalschub.
 

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"StratFightNine. Sie haben Erlaubnis und Befehl zum Einsatz schwerer Waffen. Ziel ausschalten."
Die Worte drangen just in dem Moment aus StratFighterNines Kommunikationsanlage, als die Rover von ihrer Pilotin in einem steilen Winkel nach oben gezogen wurde. Bisher hatte sie es geschafft mit ihrem weitaus größerem Schiff StratFightNines Beschuss weitestgehend auszuweichen und ihn sogar beinahe abgehängt. Auch den Plan, das Schiff weiter voraus abzufangen, hatte sie vereitelt, indem sie zuvor in eine andere Richtung ausgewichen war.
Mit einem brutalen Zug an seinem eigenen Steuerknüppel riss StratFightNine seinen Strato-Fighter in einen nahezu senkrechten Steigflug, in dem er der Rover folgte. Es war ganz klar, was gleich folgen würde. Das kleine Raumschiff trat in die letzte Phase vor der Zündung ihrer Brennstofftriebwerke ein. Mit dem Wissen, dass ihm nur noch wenige Sekunden blieben, das Schiff abzufangen, feuerte StratFightNine erneut seine Ghost-Geschosse ab. In einem blitzenden Strom beharkten sie die hintere Verladeschleuse der Rover und wanderten eine Spur grober Löcher hinter sich herziehend dem rechten Haupttriebwerk der Rover entgegen. Bevor sie es jedoch erreichen und signifikant beschädigen konnten, barst ein Flammenball aus allen drei Triebwerken hervor. Einen gewaltigen Schweif aus Qualm hinter sich herziehend, der vom Alter der ihn erzeugenden Maschinen zeugte, wurde die Rover um ein Vielfaches beschleunigt dem Himmel empor gehoben.
Die schmutzige Fahne aus Rauch und Feuer verdeckte StratFightNines Sichtfeld und lies ihn auf Instrumentenflug gehen.
"StratFightNine. Ich wiederhole: Erlaubnis und Befehl zum Einsatz schwerer Waffen. Setzen sie ihre Plasmarakete ein.", kam der Befehl erneut aus dem Funk. Der Finger des Piloten ruhte bereits auf dem Abschussknopf der verheerenden Waffe, die das fliehende Schiff bei einem Treffer garantiert aufhalten und zum Absturz bringen würde. Auch die Zielerfassung hatte die Rover bereits aufgeschaltet und zeigte eine Trefferchance von 97,94% an. Innerlich wog StratFightNine ab, ob er den Schuss riskieren konnte und welchen Schaden der Absturz des Schiffes anrichten würde. Konnte der Schaden, den die Flüchtigen irgendwann anrichten mochten, größer sein, als der, den der Absturz eines mehrere tausend Tonnen schweren, mit Treibstoff befüllten Schiffes in einer Supercity mit über 1000 Einwohnern pro Quadratmeter anrichten würde? Noch immer lag StratFightNines behandschuhter Finger entspannt auf dem Abzug, als etwas geschah.
Abermals drang die Aufforderung der Kommandozentrale in StratFightNines Ohr und auch sein Partner meldete sich, "Verdammt Nine. Nun mach schon! Ich bin nicht in Schussweite. Nine? NINE?! SCHEISSE NINE!!! Verdammt! Mayday, mayday. Strato-Fighter stürzt ab. StratFightNine stürzt ab!"

Sergeant Husk legte das Handmikro in seiner Hand wieder auf den Tisch der Kom-Anlage und verließ die mobile Kommandozentrale seiner Einsatzgruppe. In dem Versuch die soeben geschehenen Ereignisse mit den ihm zugestandenen Informationen in Einklang zu bringen legte er die Stirn in Falten, wobei sich seine buschig weißen Augenbrauen kräuselten.
Mit klatschenden Schritten eilte der alte Sergeant über das verregnete Landefeld hinüber zu der Schwebelimousine, die bereits seit zehn Minuten am Rand der Plattform stand. Die Limousine hatte eine Frau gebracht, die nun unbeeindruckt vom Regen mit verlorenem Blick neben dem Fahrzeug stand und ebenfalls wartete. Sergeant Husk war ihr schon zuvor begegnet. Daher wusste er, dass die hochgewachsene Frau mit ihren schulterlangen blonden Haaren, die sie mit einem Band im Zaum hielt, deutlich älter sein musste, als sie schien. Er vermied es beim Sprechen in die stahlblauen Augen zu schauen.
"Das Fluchtschiff hat soeben die Atmosphäre verlassen. Der Strato-Fighter, der es aufhalten sollte, ist bedauerlicher Weise abgestürzt. Die Ursache ist noch unklar, jedoch hat es sich wohl nicht um Beschuss gehandelt. Der Pilot konnte sich mit seinem Fallschirm retten. Sobald er aufgesammelt wird, wissen wir also mehr."
"Ich verstehe, Sergeant", Husk misslang es, dem Blick der Frau weiter auszuweichen, als diese ihn ansah und mit ihren Augen fixierte, "Ein bedauerlicher Umstand, der diese Angelegenheit um ein Vielfaches verkomplizieren wird. Ich danke ihnen dennoch für ihren Einsatz und den ihrer Männer."
Sergeant Husk nickte. Ihm war bewusst, dass diese Frau sich in Wahrheit nichts aus ihm oder einem seiner Männer machte. Er würde ziemlich froh sein, wenn sie in ihrer Limousine verschwunden war. Daher teilte er ihr noch knapp mit, dass die Raumsicherheit informiert und ein Abfangschiff auf dem Weg war. Dann verabschiedete er sie und sah ihr nach, wie sie in ihre Limousine stieg und davon fuhr.

Die Lederpolster quietschten, als Joy sich in ihren nassen Klamotten auf der Rückbank des Schwebefahrzeugs niederließ. Sie zog sich das Band aus den durchnässten Haaren und legte es auf ihr linkes Knie. An ihren schweigsamen Fahrer gerichtet sagte sie, "Fahren wir zurück. Hier können wir nichts mehr ausrichten."
"Ja Ma'am."
"Und stellen sie mich zur Zentrale durch. Ich muss eine Eingabe machen."
Selbst im Inneren des Fahrzeugs war das beständige Prasseln des Regens zu hören. Joy lauschte ihm, während sie auf die gewünschte Verbindung wartete.

Joys 'Eingabe' wurde von ihrem Wagen zur Zentrale ihres Arbeitgebers geleitet, wo eine Funkassistentin sie dem leitenden Aufseher überbrachte, der sie wiederum bestätigte und in eine Order umwandelte. Wenige Augenblicke später nahmen zwölf hoch bezahlte Spezialisten ihre Arbeit auf. Sie forderten Gefallen ein, beriefen sich auf Abkommen und erinnerten an ausstehende Schulden. Wenig später war die organisations-interne Order zu einem Ersuchen an das Oberkommando der nocturnischen Raumsicherheit geworden, wo sie mit sanftem Nachdruck Admiral Belius - Kommandant der nocturnischen Raumwache - vorgelegt wurde. Von dort gelangte sie, lediglich 14 Minuten nach Joys erstmaliger Kontaktaufnahme, direkt auf die Isabella, eine Raumfregatte der Interceptor-Klasse unter dem Kommando von Kapitän Kyle Lonius mit dem Befehl, ein flüchtendes Frachtschiff mit einer gefährlichen Terroristin an Bord abzufangen und zu zerstören, bevor es außer Reichweite gelangte.
Bisher hatten sich die Interceptor Fregatte und das flüchtende Frachtschiff, das unter dem Kommando einer Schmugglerin mit dem Namen Thalia Nebula stand, ein hartes Rennen geliefert. Kapitän Lonius war sich sicher, dass er das flüchtende Schiff abfangen konnte. Sein Waffenoffizier hatte es bereits aufgeschaltet und zählte die Sekunden bis zum Erreichen der Schussreichweite her. Als der Mann bei 'Zwanzig' angelangt war, erreichte die von Joy in Gang gesetzte Kette von Ereignissen den Kapitän. Der Assistent des Kommunikationsoffiziers kam zu ihm herüber gelaufen und reichte ihm eine Datentafel. Mit einem knappen Nicken nahm Lonius sie entgegen und überflog sie. Auf seiner Stirn zeichneten sich sichtlich Falten ab, als er die Hintergründe dessen zu erschließen versuchte, was er gerade las. Nachdem er sie ein zweites Mal überflogen hatte, zuckte er lediglich mit den Schultern und rief, "Waffenaufschaltung aufheben und Verfolgung abbrechen. Wir fliegen nach Hause. Achja... und bringen sie mir einen Kaffee."
Seine Brückenoffiziere sahen ihn für einen Moment verwundert an, was er ihnen bei weitem nicht verübeln konnte, führten seine Befehle dann jedoch aus und brachen die Verfolgung ab. Seinen frisch eingeschenkten Kaffee entgegen nehmend sah Kapitän Lonius zu, wie das von ihm verfolgte Schiff die Gravitationsgrenze des Systems überschritt und auf Überlichtgeschwindigkeit beschleunigte.
 

Captain Hero

Puppetmaster
VIP
Kopfschüttelnd sah Thalia von der Liste in ihren Händen auf. Sie hatte die letzte Stunde damit verbracht die Schäden an ihrem Schiff zu katalogisieren. Erstaunlicherweise gab es keinerlei kritische Schäden, was wohl für das Wohlwollen der armen Sau sprach, die StratFightNine gesteuert hatte und am Ende abgeschmiert war.
Thalia hatte noch immer nicht verarbeitet, was dort in der Luft über Nocturn geschehen war. In einem Moment war der Kerl noch direkt hinter der Rover gewesen und dann war er schon vom Himmel getrudelt. Thalia war sich keiner Handlung bewusst, die dies hätte verursachen können. Sie hoffte inständig, dass der Kerl sich raus geschleudert hatte und dass der Flieger nicht mitten in irgendeinen Markt oder ähnliches geklatscht war.
Die seltsamen Ereignisse waren damit jedoch noch nicht vorüber gewesen. Nach der Verfolgungsjagd durch Nocturns Häuserschluchten, war es im Weltraum weiter gegangen. Eine leichte Fregatte hatte sich schon auf Abfangkurs befunden, um Thalias Flucht aufzuhalten. Die Fregatte war der Rover bis an den Rand des Systems gefolgt und hatte immer mehr aufgeholt. Thalia war von Anfang an klar gewesen, dass das Kampfschiff sie einholen würde und sie den Rest der Strecke, bis zum Überlichtpunkt, für fast eine Minute Ausweichmanöver fliegen müsste. Umso überraschender war es dann gewesen, als das Kampfschiff wenige Sekunden vor Waffenkontakt die Verfolgung abgebrochen hatte.

Mit dem Gefühl, sich in ganz große Schwierigkeiten begeben zu haben, als sie Lilith aus der Gasse zog, legte Thalia die Liste mit den Schäden weg. Nicht nur, dass nun irgendwer, der Einfluss auf Polizei und Raumstreitkräfte hatte, hinter ihr und ihrem Schiff her war, auch die Fracht des Syndikats, die sie auf der Flucht vor dem Zoll im Nocturn System verloren hatte, konnte sie nun nicht mehr bergen. Damit hatte sie das Syndikat sicherlich nicht glücklich gemacht.
Thalia stand auf, band sich mit einer geschickten Bewegung ihr langes Haar zurück und verließ das dunkle Cockpit der Rover. "Lilith!?", rief sie ihre seltsame Passagierin, als sie den Hauptkorridor hinunter lief, "Lilith?! Aaah Lilith." Thalia lies ihren Blick durch das Zimmer schweifen, dass die Frau sich genommen hatte. Lilith saß auf dem Bett, hatte ein Bein zu sich heran gezogen, das andere ausgestreckt und die Arme zwischen Kopf und Wand verschränkt, den Blick ihrer lila Augen gedankenversunken auf die Wand gerichtet. Erneut fiel Thalia auf, wie Lilith sich kaum merklich anspannte, wenn sie den Raum betrat. Beinahe vergleichbar mit einem Tier, dass sich auf eine nahende potenzielle Gefahr vorbereitete.
"Kommst du bitte mal in den Aufenthaltsraum?"
Lilith nickte.

Drei Minuten später betrat Lilith den Aufenthaltsraum. Thalia stand an der kleinen Küchenzeile und rührte sich Kakaopulver in die wasserlösliche Pulvermilch, um die Tasse dann in der Mikrowelle verschwinden zu lassen. Als sie sich umdrehte, wartete Lilith noch immer am Eingang zum Gemeinschaftsraum.
"Setz dich.", forderte Thalia ihre Passagierin mehr auf, als dass sie es anbot.
"Ich stehe lieber.", lehnte Lilith ab.
"Wie du willst.", meinte Thalia schulterzuckend, wobei sie sich selbst setzte, den Stuhl nach hinten kippte und die Füße auf den Tisch legte. "Du wirst dich sicherlich freuen zu erfahren, dass wir unsere Verfolger vorerst abgeschüttelt haben. Bis wir wieder auf Unterlichtgeschwindigkeit gehen, können wir nicht gefunden werden. Wohin genau es nun gehen soll, weiß ich noch nicht. Ich habe einen Kurs Richtung galaktischen Süden gesetzt. Alles weitere entscheide ich später."
Lilith hatte aufmerksam zugehört, nickte stumm und wollte sich zum Gehen umdrehen, doch Thalia hielt sie auf. "Moment. Ich bin noch nicht fertig. Ich möchte von dir wissen, wer dir an den Kragen will und warum."
Die Beine vom Tisch nehmend, kippte Thalia wieder mit dem Stuhl nach vorne und sah Lilith eindringlich an. Diese überlegte kurz und erwiderte dann mit durchaus überzeugter Stimme, "Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich denke, es handelt sich bei der ganzen Sache um eine Verwechslung. Vielleicht..."
"Nein, tust du nicht und das wissen wir beide!", fiel Thalia ihr schroff ins Wort. Schnell genug, um Lilith's stets präsente Anspannung auf ein neues Level zu steigern, fuhr Thalia von ihrem Stuhl hoch und stützte eine Hand auf den Tisch. "Lass es mich deutlich ausdrücken", begann Thalia, während sie ihre Schweißerbrille, die ihr beim ruckartigen Aufstehen ins Gesicht gerutscht war, wieder hoch schob, "Ich habe dich verblutend aus der Gosse gezogen und mir damit offenbar einen Arsch voll Ärger eingebrockt. Die Polizei wollte mein Schiff stürmen, Strato-Fighter haben Löcher in meine Rover geballert und ich musste mir eine Verfolgungsjagd mit einem Kriegsschiff liefern! Nicht zu vergessen, dass man mir mitgeteilt hat, eine Terroristin befände sich auf meinem Schiff. Du wirst mir also verzeihen, wenn ich gerade etwas kurznervig bin und keine Lust auf Lügengeschichten habe! Ich will Antworten, sonst...!"
Thalia klang ein wenig aufgebracht, als sie sprach, war aber noch weit von einem wirklichen Wutanfall entfernt. Sie hatte ihren Satz mittendrin abgebrochen und sah Lilith jetzt an. Beim Sprechen war Thalia um den Tisch herum auf Lilith zu gegangen, was diese deutlich alarmiert hatte. Diese Frau hatte definitiv ein Problem mit allem, was sich auch nur im geringsten feindselig verhielt.
Sich selbst zügelnd holte Thalia einmal tief Luft, dann sah sie Lilith mit weichem Blick an, bevor sie wieder sprach und sich ihr erneut näherte. "Hör zu Lilith... Du steckst bis zum Hals in Schwierigkeiten, wovon ich in dem Moment ausging, in dem ich dich gefunden habe. Ich kann auch verstehen, dass du mir nicht gleich auf die Nase gebunden hast, wie groß diese Schwierigkeiten tatsächlich sind. Das ist jetzt aber vorbei. Wenn du Hilfe von mir willst - und ich bin mir sicher, du brauchst Hilfe - dann wirst du mir erzählen, was hier vor sich geht und mit wem du es dir warum verscherzt hast." Mittlerweile stand Thalia vor Lilith und konnte ihr direkt in die Augen schauen. Sie hielt den Blickkontakt einen Moment lang aufrecht und wandt sich dann ab, um zur Mikrowelle zu gehen, die mit einem Klingen verkündet hatte, dass ihr Eieruhr abgelaufen war. "Du musst mir nicht jetzt sofort antworten. Ich gebe dir bis morgen Mittag Zeit, dir zu überlegen, wie es von nun an abläuft. Ob du mir meine Fragen beantwortest oder ob ich dich bei der nächstbesten Gelegenheit in der Pampa aussetzen soll."
Thalia war mit der heißen Kakaotasse in der Hand zu Lilith zurückgekehrt und drückte ihr diese in die Hand. "Trink und denk über meine Worte nach. Ich gehe mich vorerst aufs Ohr hauen."
Damit lies Thalia ihre Passagierin alleine, um sich selbst ein wenig Schlaf zu gönnen.
 
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J-Nought

4ever Jack
Sie öffnete ihre Augen. Zuerst war es schwarz, dann wurde dies mit einem Lidschlag geändert. Die hochentwickelten Cyberaugen, die beinahe jeder der Novus Assassinen implantiert bekommen hatte, ermöglichten ihr eine herausragende Sicht in tiefster Dunkelheit. Immer wieder wenn Leyla über diese Besonderheit nachdachte, fragte sie sich, wie wohl ihre einstige Augenfarbe ausgesehen haben musste. War es ein schimmerndes, klares Blau wie das weite Meer, was sie auf Gemälden und Fotografien gesehen hatte? Oder konnte es ein giftiges Grün gewesen sein, dass den Betrachter in seinen Bann ziehen würde? Egal, wie sehr Leyla versuchte sich zu erinnern, so kam sie nicht auf die Antwort. Ihre Kindheit vor Novus war kaum noch in ihrem Geist erhalten. Das, was die Zeit geformt hatte, waren Fragen ohne Antworten. Leyla war immer zu Joy gegangen, wenn sie diese Art von Fragen beschäftigten. Fragen über ihre Vergangenheit. Über eine Entscheidung, die sie nicht treffen durfte.
Eine Entscheidung. Diesmal musste sie eine treffen.
Leyla richtete sich in ihrer Liege auf und fuhr sich mit den Händen über die glatte, reine Haut ihres Gesichtes. Der Versuch Schlaf in diesem Stahlkoloss zu finden, fiel ihr schwerer als sie sich gedacht hatte. Immerhin war ihr das Gefühl in Gängen und Räumen zu leben, wo kaum ein Sonnenstrahl sein Licht eindringen lassen konnte, nicht unbekannt. Aber egal wie oft sie sich hin und her drehte, die Decke über ihren Leib zog oder den Kopf frei von Gedanken machte, es gelang ihr nicht. Vielleicht, weil das letztere sie immer wieder heimsuchte und nicht in Ruhe ließ.
Seufzend suchte sie den Einschaltknopf einer krummen, dürren Tischlampe, die schon leichte Roststellen aufwies, und erhellte dadurch ein klein wenig den so unfreundlich wirkenden Raum. In ihrer Kabine bei Novus hatte Leyla nicht viel Dekorationen, aber ein Gemälde von einer Bucht mit Aussicht auf ein unendliches Meer sowie eine eingerahmte Skizze von ihr selbst, die ihr ein junger Soldat geschenkt hatte, gaben ihrem Zimmer doch etwas Heimliches und Vertrautes. Etwas, das dieser Hülle um sie herum nicht bewirken konnte. Noch nicht.
Ihre Kehle fühlte sich rau an und so suchte sie ein Trinkflasche, die ihr Thalia vor wenigen Stunden übergeben hatte. Nach kurzer Zeit fand sie diese und griff nach dem glatten Plastik, das mit stillem, gekühltem Wasser gefüllt war. Sie leerte die Flasche in einem Zug, ohne auch nur einmal abzusetzen. Daraufhin schraubte sie den Verschluß wieder zu und legte das Gefäß wieder an seinen ursprünglichen Platz.
Die Hände auf ihren Hüften ablegend, beobachtete sie ihr Zimmer. Genauergenommen war es nicht ihr Zimmer, sondern der Ort an dem sie vor gut einem Tag aus dem Schlaf gerissen wurde. Die zylinderförmige Krankenstation, mit seinen beiden in die Wand eingestanzten Liegen und der Operationsfläche inmitten des Raumes. Zwar hatte ihr Thalia einen Raum angeboten, doch nachdem dort Leyla vergeblich versucht hatte Ruhe zu finden, kehrte sie zu diesem bekannten Platz zurück. Vielleicht war es die Gewohnheit auf Nocturn einen geschützten Rückzugspunkt zu haben, vermutete sie. In letzter Zeit konnte sie nur alles vermuten. Nichts war wirklich mehr sicher für sie.
Ihr Blick fiel auf das Bett mit der dünnen Decke. Sie würde sicher in der nächsten Zeit keinen Schlaf finden, also entschloss sie sich etwas anderes zu tun. Sie schlüpfte in eine lockere Hose und schritt Barfuß über den glatten, leicht verdreckten Metallboden hinaus in einen Gang, der von einer zitternden Lampe erhellt wurde. Auch wenn Leyla sich mit nur einer weiteren Person auf dem Raumschiff befand, so konnte sie doch mehr Leben in dem Stahl und Kabeln hören, als sie vermutet hätte. Meist waren es die brummenden Luftaufbereiter, die man zuerst und am lautesten hören konnte, im Gegensatz zu den anderen feineren Geräuschen: Das leichte Vibrieren und Knarzen von Metallplatten, das Gurgeln von mit Flüssigkeit gefüllten Schläuche oder Zischen von Türen, die durch einen Knopfdruck oder per Bewegungsmelder den Weg freigaben. Nach kurzer Zeit betrat Leyla das Cockpit, wo sie sich in den geflickten Ledersessel, der für den Co-piloten gedacht war, seufzend sinken ließ. Den Anblick vor ihr musterte sie mit neugierigen Augen. Von Nocturn aus hatte sie kaum Sterne sehen können und jetzt, so schien es für sie, konnte sie alle sehen. Kindliche Bewunderung erfüllte ihre Brust und eine flüchtige Gänsehaut überfiel sie, während sie langsam durch das verstärkte Glas des Cockpits in das atemberaubende Weltall starrte.
Leyla gönnte sich ein Lächeln. Ihre Entscheidung stand fest.

Ein Rütteln an der Schulter brachte Leyla blitzartig dazu die schuldige Hand dafür zu fassen und schmerzhaft umzudrehen. Völlig perplex musste Leyla feststellen, dass sie im Cockpit eingeschlafen war und nun den Arm von Thalia in einem für ihre Gelenke gefährlichen Griff hielt. Thalia schien trotzdem angespannt Fassung zu bewahren, auch wenn es ihr einen kurzen Schrei entlockt hatte.
„Hattest du einen Alptraum?“
„Nein.“
„Willst du mich umbringen?“
„Hatte ich nicht vor.“
„Dann lass mich bitte los.“
Sie zögerte etwas, bevor sie den Arm von Thalia freigab und diese einen sicheren Schritt zurückmachte. Die rote Stelle an ihrem Arm reibend, starrte Thalia in die lilafarbenen Augen von Leyla wie diese in ihre hellbraunen. Auf eine ihr unerklärliche Weise, spürte Leyla eine seltsame Verbundenheit, die beide plötzlich füreinander hatten. Sie schienen einander nicht mehr allzu fremd zu sein. Dieser flüchtige Gedanke irritierte Leyla und sie verscheuchte jenen so schnell wie er aufgetaucht war. Die Raumfahrerin atmete tief ein, dann nahm sie neben der Assassine auf dem Pilotenstuhl Platz, wo sie ihr weiterhin fest ins Gesicht blickte. Sie war gekommen, um Antworten zu bekommen und sie würde nicht eher gehen. Das sagten nicht nur ihre Augen.
„Also... Lilith“, begann sie.
Leyla unterbrach sie.
„Nicht Lilith. Leyla... Leyla Arden.“
Thalia nickte und fing nochmal von vorne an.
„Das ahnte ich bereits...“, sie seufzte, „Leyla, wie hast du dich entschieden? Willst du noch eine zeitlang bei mir bleiben oder so schnell wie möglich verschwinden?“
Es dauerte ein paar Lidschläge, bevor sie der Pilotin mit entschlossener Stimme antwortete.
„Ich bleibe.“
Ein Lächeln umspielte die vollen Lippen von Thalia und ihre Zügen erhielten einen zufriedenen Ausdruck.
„In Ordnung. Das ist aber nicht alles, was ich wissen wollte. Ich muss mehr über dich erfahren. Wir sind zu zweit mitten im Weltraum. Egoisten kommen hier nicht weit und schon gar nicht zusammen auf einem Raumschiff. Also, kannst du mir jetzt auch sagen, was dich mitten in der regnerischsten Nacht in eine vergessene Gasse von Nocturn gebracht hat?“
Leyla war nie eine Frau großer Emotionen gewesen, so zeigte sie auch diesmal nicht mal ein Muskelzucken, als sie zu einer unangenehmen Erklärung aufgefordert wurde. Trotzdem drehte sie ihren Kopf weg, um die unveränderte Unendlichkeit zu sehen und geeignete Worte zu finden. Sie wusste, dass Thalia mehr erfahren wollte als nur ihren wahren Namen, wenn Leyla weiterhin auf ihrem Schiff bleiben durfte.
„Das Warum kann ich dir noch nicht sagen.“
„Weil?“
Sie blickte ihr wieder ins Gesicht.
„Weil ich es nicht weiß.“
Zu Leylas Überraschung ging Thalia nicht weiter darauf ein, aber Leylas Stimme und Ernsthaftigkeit ließen keinen Zweifel daran, dass sie die Wahrheit sagen musste. Leyla war noch nie eine erfolgreiche Redekünstlerin wie vergleichsweise Joy gewesen. Zwar hatte ihre Lehrmeisterin es versucht aus ihr herauszubringen, doch die Versuche blieben vergebens. Sie war eine Frau der Taten, nicht der Worte.
„Was kannst du mir mit Sicherheit sagen?“, fragte Thalia nach einer kurzen Pause.
„Dass ich eine Assassine im Dienste des Novus Konzerns war.“
 
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