Leider ist da in den Medien und im Netz eine seltsame, ja sogar kuriose, Diskussion zu dem Thema entbrannt. Soviel ich gelesen habe, basiert die Begriffskombination "Ermächtigungsgesetz 2.0" auf einer von einigen Mitgliedern einer Attac-Regionalgruppe (
www.attac.de) versendeten Postkarte an Claudia Roth und Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen). Darauf war nebst dem Bild des Reichstagsgebäudes der Slogan "ESM und Fiskalpakt. Ermächtigungsgesetz 2.0" abgebildet (siehe auch:
http://www.attac.de/aktuell/neuigke...m-mit-ermaechtigungsgesetz-ab/?no_cache=1&L=2). Der bundesweite Koordinierungskreis von Attac hat in einem Brief an die Mitglieder des Bundestages klargestellt, das ihm dieser Vergleich zu weit gehen würde, gleichwohl aber dazu aufgefordert, daß eine "eine grundsätzliche und scharfe inhaltliche Kritik an Fiskalpakt und ESM" weiterhin nötig sei. Der Brief kann als PDF auf der obigen Seite eingesehen oder heruntergeladen werden.
Kurios ist in diesem Fall, daß die Abstandnahme des Koordinierungskreises vom Slogan wohl auch einen, für Attac weiteren, unagenehmen Grund haben könnte. Die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation Attac, die 1998 in Frankreich gegründet wurde, und sich (frei übersetzt) "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen" nennt (90.000 Mitglieder in 50 Ländern), hatte zunächst eine Tobin-Steuer zum Nutzen der Bürger auf ihrer Agenda (internationale „Solidaritätssteuer“ zur Kontrolle der Finanzmärkte, benannt nach dem US-amerikanischen Ökonomen James Tobin, der Ende der 1970er Jahre Steuer in Höhe von 0,1 % auf spekulative internationale Devisengeschäfte vorgeschlagen hatte). Mittlerweile umfaßt der Tätigkeitsbereich von Attac auch die Handelspolitik der WTO, die Verschuldung der Dritten Welt und die Privatisierung der staatlichen Sozialversicherungen und öffentlichen Dienste. Attac ist somit eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich die Verteidigung von Demokartie und Bürgerrechten auf die Fahne geschrieben hat.
Unangenehm für Attac ist wohl, daß sich auch die NPD dieses Themas angenommen hat, und in ihrer ihr eigenen Art und Weise mit diesem Slogan und für sich und ihre politischen Ziele wirbt. So kann man die Wortkombination "Ermächtigungsgesetz 2.0" auf vielen rechtgerichteten Blogs und Internetseiten wiederfinden. In den dortigen Texten bemängeln die jeweiligen Autoren ebenfalls lautstark den Demokratieverlust und die weitreichenden Einbußen für den heimischen Sozialstaat und deren Unabhängigkeit gegenüber Brüssel. Kurios ist ist in diesem Fall also, daß man als zur Demokratie aufrufender und an die freiheitlichen Grundrechte gemahnender Bürger auf diese Art sehr schnell als Rechte Socke verschrien werden kann. Dieser Trick ist allerdings auch denjenigen Kritikern bekannt, die es jemals gewagt haben Israels Politik gegenüber den Palistinensern oder seinen Anreinerstaaten in Frage zu stellen. Diese freien Meinungsäußerer wurden (und werden) dann ebenso schnell als Neonazis diffamiert, wie dies vielleicht bald auch die Kritiker des Fiskalpaktes/ESM zu spüren bekommen werden.
Für mich ist seit langem klar, daß die NPD mit ihren Ablegern auf der Straßen nur deshalb so schwer zu bekämpfen oder gar zu verbieten sind, weil sie von den etablierten Parteien gerne dazu benutzt werden, Andersdenkende in solchen Fällen politisch in deren Nähe rücken zu können. Ist man in diesem unseren demokratischen Ländle dann erst mal durch die Massenmedien als Rechter oder Neonazi gebrandmarkt, kann man höchstens noch versuchen, seine ehemals vielleicht weiße Weste öffentlich von den braunen Flecken zu säubern und einen medienwirksamen Kotau (Bezeichnung für einen ehrerbietigen Gruß im Kaiserreich China) auf's Parkett zu legen. Mit der Äußerung seiner rechtskonformen Meinung ist dann erst mal Essig. Und das ist schon ziemlich seltsam.
Daß sich jedoch auch ernstzunehmende und prominente Kritiker in den Reihen von Wirtschaftswissenschaftlern befinden, mag man anhand der Klage von Prof. Dr. Wilhelm Hankel vor dem Obersten Gerichtshof in Karlsruhe sehen (siehe dazu auch: Diskussion zum "ESM - Ermächtigungsgesetz des Bundestags für die Finanzdiktatur der EU" / Video auf dem Blog Bundes Pro @ 08.07.2012 – 16:03:22
http://bundes.blog.de/2012/07/08/esm-ermaechtigungsgesetz-bundestags-finanzdiktatur-eu-14067889/ zwischen Prof. Dr. Wilhelm Hankel und dem Leiter der Wissensmanufaktur Andreas Popp im Gespräch mit Michael Vogt). Empfehlen möchte ich in diesem Zusammenhang auch die morgige Sendung im TV "Vor Ort - Klage gegen Fiskalpakt/ESM" Dienstag, 10. Jul · 09:45-10:30 auf PHOENIX.