[Diskussion] Jack Reacher

Hoellenspass

Ordenspriester
Vor einiger Zeit habe ich mir die ersten drei Romane der Jack-Reacher-Reihe von Lee Child gekauft und mittlerweile mit ein paar Monaten Abstand voneinander gelesen. Das lag vor allem daran, dass ich gehört hatte, dass sie ziemlich an die alten Hardboiled-Romane von Hammett oder Chandler erinnern sollten, die ich sehr liebe, und natürlich spielte es auch mit herein, dass sie durchweg positiv besprochen werden. Ich hingegen bin da einigermaßen hin und her gerissen. Einerseits gibt es vieles, was mir gefällt, zum Beispiel mag ich die Balance zwischen Action und Ermittlung. Im Grunde geht es ja immer darum, dass Reacher zufällig zwischen die Fronten irgendeines großangelegten Verbrechens gerät und sich dann auf die Seite der Unschuldigen schlägt. Das ist zwar nicht unbedingt originell, funktioniert aber immer sehr gut, und während Reacher um sein Leben kämpft, kommt er immer wieder zu sehr interessanten Schlussfolgerungen – auch wenn ich die eine oder andere Enthüllung schon lange vor ihm herausgefunden habe, wie die Sache mit der Brille im ersten Band, die meiner Meinung nach einfach nur offensichtlich war. Besonders mag ich es, dass es oft um soziale Gerechtigkeit geht. In zwei der drei Romane, die ich bisher gelesen habe, geht es um rücksichtslose Geschäftsmänner, beziehungsweise korrupte Angestellte des öffentlichen Dienstes, die über Leichen gehen, um ihre Ziele zu erreichen und sich mit unlauteren Tricks an der Gesellschaft bereichern.

Allerdings war ich auch von vielem weniger begeistert, und das meiste davon kann man allein darauf zurückführen, dass sämtliche Charaktere bis ins Lächerliche überzeichnet sind. Das beginnt schon mit Reacher selbst. Er ist ja nicht nur ein brillanter Ermittler, er kennt sich auch noch in allen Bereichen aus, von Geographie bis Geschichte, kann mit jeder Waffe umgehen, ist Scharfschütze auf Weltmeisterniveau und ist zudem noch gutaussehend as fuck und so muskelbepackt, dass es mit bloßen Händen Stahlstangen verbiegen kann. Ja, das Ganze wird natürlich durch seine Vergangenheit erklärt, aber trotzdem ist mir das doch ein bisschen zu viel. Ich meine, alle Frauen liegen ihm zu Füßen, sogar in Situationen, in denen das völlig unglaubwürdig ist, wie die Polizistin im ersten Teil, die sich offenbar in ihn verliebt, während er auf ihrer Polizeistation in Untersuchungshaft sitzt, und sofort mit ihm ins Bett springt, nachdem er entlassen wird, obwohl ich in der ganzen Zeit vorher keine Chemie zwischen ihnen gespürt habe. Dafür muss man aber zugeben, dass das Frauenbild in den Romanen erstaunlich gut ist. Abgesehen davon, dass sie sich ohne jede Erklärung sofort von Reacher angezogen fühlen, sind sie unabhängig, stark und selbstständig, gebildet und vernünftig. Keine von ihnen ist die hilflose „Damsel in Distress“, die nur dazu da ist, um von Reacher gerettet zu werden, sondern sie stehen für sich selbst ein, mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

Dann gibt es da noch die Antagonisten, und die sind so übertrieben boshaft, dass ich sie einfach nicht ernst nehmen kann. Zumindest in den ersten drei Teilen gibt es ja niemanden, der auch nur ansatzweise als realistischer Charakter mit ambivalenten Zügen oder fehlgeleiteten Ambitionen gezeichnet wäre, stattdessen sind es ausnahmslos gewissenlose Soziopathen, die manchmal einfach nur aus Spaß foltern. Außerdem haben sie alle gemeinsam, dass sie ihre eigenen Männer töten, sobald sie einmal versagen. Ist das nicht eigentlich völlig dumm? Gibt es so viele Verbrecher, die für ihn arbeiten wollen, dass er sich das leisten kann? Wo findet er die? Schaltet er eine Anzeige in der Zeitung? Und spricht es sich nicht vielleicht irgendwann mal rum, dass es nicht sonderlich gesund ist, für ihn zu arbeiten? Und bedeutet eine unnötige Leiche nicht nur Schwierigkeiten, weil sie durch irgendwelche Indizien die Polizei auf ihn aufmerksam machen könnte? Mir ist klar, dass es sie bedrohlich und unberechenbar erscheinen lassen soll, aber um ehrlich zu sein, verdrehe ich bei so was nur die Augen.

Damit hat die Reihe an sich alles, was ich auch schon an James Bond nicht ausstehen kann: einen Held mit nahezu übermenschlichen Fähigkeiten, eine kurzlebige und sofort wieder vergessene Liebesgeschichte und einen Gegenspieler, der nur wie eine billige Karikatur wirkt und meistens auch schon durch einen körperlichen Makel als Ausgestoßener stigmatisiert wird.

Jetzt würde ich gerne von euch wissen, wie haben euch die Romane gefallen? Findet ihr, dass es sich lohnt, die Reihe noch weiterzulesen? Und – ganz besonders – könnt ihr mir noch mehr Bücher empfehlen, die sich am klassischen Hardboiled-Stil orientieren und vielleicht etwas elaborierter sind?
 
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