Elitenwechsel in Deutschland
Deutschland steckt mitten in einem Elitenwechsel. Und während noch längst nicht ausgemacht ist, ob die Krise und das Versagen erheblicher Teile unserer Wirtschaftselite überhaupt einen Austausch der Köpfe nach sich ziehen werden, viel weniger noch der Ideen, machen sich in der Kultur längst nicht nur neue Namen, sondern auch neue Themen und eine neue Sprache bemerkbar.
Der Hamburger Fatih Akin ist einer der wichtigsten deutschen Filmregisseure und sammelt Feridun Zaimoglu; Foto: AP
Bild vergrössern Beispiellos in der aktuellen deutschen Literatur, der deutschen Öffentlichkeit jedoch noch wenig bekannt: Feridun Zaimoglu auch international angesehene Preise. Die Sprachwucht und -wut der Romane von Feridun Zaimoglu sind beispiellos in der aktuellen deutschen Literatur. In den Erzählungen von Emine Sevgi Özdamar verschränken sich idiomatisch Deutsches und Türkisches zu einem manchmal magischen neuen Deutsch. Und Navid Kermani ist einer der bedeutenden öffentlichen Denker in diesem Land.
Aber es geht um viel mehr als diese wenigen Namen, und Deutschland hat davon mehr zu gewinnen – so schön auch das ist – als ein paar internationale Filmpreise und Erfolgstitel auf den Buchmärkten der Welt. Schon jetzt machen "Menschen mit Migrationshintergrund" ein knappes Fünftel der deutschen Wohnbevölkerung aus, in Städten wie Stuttgart und Frankfurt am Main schon mehr als 40 Prozent. Weniger bekannt und statistisch noch höchst unzureichend erfasst ist die Bildungsbeteiligung dieser neuen Deutschen.
Enorme soziale Dynamik durch Migranten
Um nur das Beispiel der großen türkischen Gemeinschaft zu nehmen: In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl türkischer Studierender an deutschen Universitäten mehr als verdoppelt. Forscher nehmen sogar an, dass sie sich in Wirklichkeit verdreifacht hat, weil für die offiziellen Zahlen immer noch der Pass entscheidend ist und eingebürgerte türkischstämmige Studenten damit aus der Statistik fallen.
Symbolbild Migration und Bildung; Foto: dpa
Bild vergrössern Wille zum sozialen Aufstieg - während 14 Prozent der deutschen Unterschichtskinder erklären, sie wollten das Abitur machen, sind es bei den Migrantenkindern derselben Schicht fast doppelt so viele, 27 Prozent. Hinter diesen Zahlen steht eine enorme soziale Dynamik, ein großer Aufstiegswille. Viel öfter als unter ethnisch Deutschen sind es unter den Türken nicht die Kinder von Eltern mit Abitur und Studium, die in die Hörsäle drängen, sondern die von Putzfrauen und Arbeitern: In Nordrhein-Westfalen hatte schon in den 90er Jahren die Hälfte der türkischen Studierenden Eltern, die lediglich die Grundschule besucht haben. Und während 14 Prozent der deutschen Unterschichtskinder erklären, sie wollten das Abitur machen, sind es bei den Migrantenkindern derselben Schicht fast doppelt so viele, 27 Prozent.
Diese Zahlen sind ebenso real wie die zu Schulversagen, Zwangsehen, Armut und den Sprachproblemen von Migranten, um die der herrschende Integrationsdiskurs seit Jahren kreist. Nicht zu Unrecht, aber allzu ausschließlich. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die kritischen Fragen an die deutsche Realität nicht mehr nur von einer Handvoll Schriftsteller und Filmemacher mit persischen, türkischen, bulgarischen und russischen Namen gestellt werden, sondern von vielen gebildeten und gut ausgebildeten Bürgern – und Wählern –, die deren Migrationsgeschichte teilen. Ihre Fragen und die Antworten darauf werden das Land verändern. Und es ist auch klar, warum nur sie sie stellen können.
Wer die Erfahrung von Fremdheit und oft genug auch von Ausgrenzung gemacht hat, für den ist "soziale Gerechtigkeit" mehr als eine Leerformel auf Wahlplakaten. Und ob Macht und Chancen in seinem Land gerecht, wenigstens sachgerecht verteilt sind, das fragt sich ein Biodeutscher aus dem oberbayerischen Tutzing vermutlich seltener als Menschen, deren Hautfarbe ihnen auf der Wohnungssuche schadet und deren fremde Namen ihnen schon die Bewerbung verhageln.