[Diskussion] Messer im Herz

TheDarkness2

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Giallo, kein anderes Wort löst so ein wohliges Kribbeln in den Herzen der Horror Fans aus. Die italienischen Thriller waren vor allem eins: Provokativ. Extreme Gewaltdarstellung traf explizite Pornographie. Visuelle Trips trafen auf komplexe Strukturen. Es war ein Wechselbad der Gefühle und dann verschwand das Genre im Untergrund bis es dann ganz seinen Sinn verlor. Die Zeiten änderten sich und es stellte sich heraus das der Giallo nicht mit der Zeit gehen konnte. Unter anderem wegen seiner Sicht auf Frauen, Transsexuelle und das LBGT Movement. Es gab einige Bemühungen das Genre wieder nach oben zu bringen indem man es zähmte, mit eher mäßigem Erfolg. Und jetzt gibt es Messer im Herz aus Frankreich, die auch dafür verantwortlich waren das der Horror wieder härter wurde nachdem er durch Scream für über 1 Jahrzehnt verweichlicht wurde.

Anne ist Schwulenpornoproduzentin, damit allerdings wenig erfolgreich. Sie ist in Louis verliebt die bei ihr im Schneideraum arbeitet. Als eine Mordserie losbricht inspiriert Anne das dazu den Stoff als Hardcore Porno umzusetzen und sie kopiert dabei die Ereignisse die sich rundherum um die Mordserie ereignen. Doch der Killer ist noch nicht fertig und Anne muss herausfinden wer es ist bevor sie selbst ein Messer abbekommt oder ihr das Personal ausgeht...

Erstmal bricht der Film das größte Tabu des Giallo und stellt Schwule und Tanssexuelle in einem positiven Kontext da, ja geradezu wertfrei aber auch als Bürde. Der Film spielt kurz vor der AIDS Krise und Schwule wurden damals noch inhaftiert, zwangstherapiert und zur Not mit Gewalt dazu bewogen die "natürliche" Art der Fortpflanzung zu nutzen. Das wird ebenfalls im Film wieder gespiegelt mit der Hintergrundgeschichte des Killers die immer wieder in verstörenden Negativ Aufnahmen über den Bildschirm fragmentartig flimmert nur um sich am Schluss in all ihrer Abscheulichkeit zu offenbaren. Es war tatsächlich ein langer Weg für LBGT und die damit einhergehenden Rechte. Hier wird mit viel Fingerspitzengefühl eine Welt gezeigt die damals verboten und stigmatisiert war. Und sie etabliert Hoffnungsfiguren, die zeigen das sie sich nicht einschüchtern lassen und ihren Weg gehen.

Und noch ein Tabu wird gebrochen: Die rohe pervertierte Gewalt des Genres wird geradezu lächerlich gemacht. Es gibt wenig Gore, der Killer schlägt schnell zu und ist dabei auch nicht besonders kreativ. Er benutzt einen Dildo mit Schnappklinge um seine Opfer zu töten. Es bewegt sich auf dem Niveau etwa auf dem Level des ersten Freitag der 13. Das heißt man sieht ein wenig, aber niemals so drastisch, ausufernd und schockierend wie in den berühmten Vorbildern. Damit nimmt man dem Film sämtliche Kontroverse, was Absicht war wenn ich den Film nochmal betrachte. Denn der Film setzt dafür auf ein anderes Steckenpferd.

Das Visuelle. Giallo waren immer für ihre Farbkontraste, ihre Kamerawinkel und -einstellungen bekannt. Dieser Film orientiert sich sichtlich an Suspira oder Inferno. Ein wilder und ungezügelter Rausch aus Farben, Kontrasten, Winkeln und Einstellungen. Allerdings übertreibt man es nicht wie bei Rob Zombies Lord of Salem, sondern setzt das Ganze gezielt ein so das man die maximale Wirkung damit erzielen kann. Und das funktioniert großartig. Hier punktet der Film und beweist das man nicht unbedingt Gewalt braucht, denn ein Giallo kann auch von seiner Atmosphäre leben wenn man diese richtig aufbaut und in Szene setzt.

Wer allerdings ein Problem damit hat Schwule in allen möglichen Stellungen beim Sex zu sehen sollte einfach Abstand nehmen. Denn der Film ist sehr grafisch und detailreich was diese Szenen angeht. Man wird zum Voyeur degradiert der Zeuge von etwas Alltäglichem und Normalen wird, das aber längst nicht von allen Menschen so gesehen wird. Hier wird man zum Voyeur der entweder weg schauen oder es sich ansehen kann. Das Ganze ist geschmackvoll in Szene gesetzt und auch hier eher mit Fingerspitzengefühl inszeniert.

Der Killer selbst ist ebenfalls ein Genrebruch. In jedem anderen Genre hätte der Killer aus Schwulenhass gemeuchelt. Hier nicht. Er ist traumatisiert weil sein Vater ihn damals mit seinem Liebhaber erwischt hat und diesen brutal ermordert hat. Um dann seine Spuren zu verwischen hat er die Leiche und seinen Sohn in eine Scheune gesperrt und diese angezündet. Der Sohn entkam, verlor seine Erinnerung bis ein Film von Anne diese zurückgebracht hat. Die Grenze verschwamm und der überlebende Sohn nahm die Schauspieler ins Visier. Das ist tiefgründig in diesem Genre und erneut gibt es keine Schuldzuweisung. Der Vater handelte aufgrund der Abnormität seines Sohnes, die damals auch als diese erkannt war. Der Sohn selbst entdeckt die erste Liebe, ist aber verstört weil die gesamte Gesellschaft ihm sagt das es falsch ist es sich für ihn aber richtig anfühlt. Beide handeln aus ihren Überzeugungen heraus mit schrecklichen Konsequenzen.

Insgesamt kann ich Messer im Herz nur empfehlen. Es ist ein schwieriger Film bei dem man den Kopf einschalten muss. Aber es lohnt sich, es ist definitiv eine Weiterentwicklung des Genres in die richtige Richtung. Schaut ihn euch an, es lohnt sich.
 
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