[Biete] Wimmern

LittleFiskyBlack

Ordenspriester
dann will ich auch mal eine geschichte hier zeigen ^^ ist etwas älter, ich glaub ich war 15, als ich das geschrieben habe. vielleicht gefällt es euch ja


Das Baby weinte. Es weinte schon wieder.
Katrin eilte durch das Zimmer und nahm das Baby aus seiner Wiege. Sie wickelte es sanft in die alte Schmusedecke, die noch aus ihrer eigenen Kindheit stammte, und drückte das Kind vorsichtig an ihre Schulter.
„Scht“, versuchte Katrin das Baby zu beruhigen. „Ist doch alles gut. Mami ist ja da.“ Sie ging, mit dem Baby auf dem Arm, im Zimmer auf und ab. Es war dunkel und stickig. Sie hatte die Vorhänge schon seit der Geburt ihres geliebten Kindes – Eric – nicht mehr aufgezogen. Warum hatte sie es noch gleich getan?
Ach ja. Weil ihr kleiner Wonneproppen sonst von allen beobachtet werden könnte.
Das Sonnenlicht drang gedämpft durch die ockerfarbenen Samtvorhänge. Staub flog auf.
„Hast du Hunger?“, fragte Katrin und hielt Eric sein Fläschchen hin. Sie hatte ihn schon vor langer Zeit abgestillt.
Eric wollte nichts trinken. Er weinte nur.
Katrin ging mit ihm durch das Haus; normalerweise schlief er dabei ein. Ihr Haus lag abgeschieden im Wald, viele Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Früher lungerten hier oftmals Kinder herum, da das Gerücht die Runde gemacht hatte, Katrins Wohnung sei ein Geisterhaus.
Völliger Unsinn. In diesem Haus gab es nichts. Nur Katrin und ihr Baby, ihr geliebter Eric. Es gab eine Zeit, Katrin konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann, da hatte Eric immer gebrüllt. Katrin war dann oft sehr wütend gewesen und hatte mit ihm geschimpft, aber das hatte es nur noch schlimmer gemacht. Hinterher hatte sie sich immer geschämt, dass sie laut geworden war.
Aber er brüllte schon lange nicht mehr. Er weinte nur noch.
Als er nach fünf Minuten noch immer nicht eingeschlafen war, ging sie in die Küche und drehte den Wasserhahn so auf, dass der Strahl nicht einmal einen Finger breit war. Sie hielt das Köpfchen ihres süßen kleinen Erics unter den Wasserstrahl, nur für ein paar Sekunden. Eric zappelte mit den Füßen, wie er es damals getan hatte, hörte damit aber nach kurzer Zeit wieder auf. Und er hatte aufgehört zu weinen. Wenn Eric nicht einschlafen konnte und weinte, hielt sie immer seinen Kopf unter lauwarmes Wasser.
Katrins Mann hatte sie verlassen, als er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Aber sie brauchte ihn nicht. Natürlich, es hatte Tränen gegeben, aber sie hatte gelernt, allein auf sich und ihr Baby aufzupassen. Sie brauchte niemanden. In die Stadt ging sie nicht, niemals. Alles, was sie benötigte, stellte sie selbst her: Essen baute sie in ihrem Garten hinter dem Haus an, Wasser zweigte sie von dem Bach ab, wenn die Wasserrohre nicht funktionierten, was in letzter Zeit immer häufiger geschah, Strom bekam sie von einem alten Generator im Keller, der schon seit vielen Jahren ratterte und wohl bald seinen Geist aufgeben würde; dann würde sie improvisieren müssen. Mit der Medizin war es etwas schwierig. Sie kannte zwar alle Kräuter in- und auswendig und was für heilende Wirkungen sie hatten, nur wuchsen nicht alle in der näheren Umgebung. Ob es weiter weg noch andere Kräuter gab, wusste sie nicht. Sie durfte nicht zu weit von zu Hause fortgehen. Wer sollte denn dann auf Klein Eric aufpassen? Mitnehmen durfte sie ihn auch nicht.
Er könnte gesehen werden.
Katrin ging zurück in das Wohnzimmer, wo die Eichenholzwiege stand, und deckte Eric zu. Sie beobachtete ihn mit einem stolzen Mutterlächeln. Mamas kleiner Liebling. Sie atmete tief durch, ging wieder in die Küche und bereitete das Abendessen zu. Sie schälte gerade die Kartoffeln, als sie außerhalb des Zimmers eine Bewegung zu sehen glaubte. Sie lief zur Wiege, versicherte sich, dass es Eric gut ging, öffnete die Tür und stellte sich auf die Veranda, die unter ihren Füßen träge knarrte.
„Ich weiß, dass ihr hier seid!“, rief sie in den Wald. „Verschwindet! Ihr werdet mir niemals mein Kind rauben, ihr Bastarde!“ Sie starrte mit wütend aufgerissenen Augen in alle Richtungen, versuchte, eine Bewegung oder ein Geräusch, und sei es noch so klein, wahrzunehmen.
Nichts. Augenscheinlich nichts. Katrin wollte nachsehen, gründlich nachsehen; diese neugierigen Teufel waren verdammt clever. Aber sie hielt inne. Etwas hatte ihr Aufsehen erregt. Es war ein Laut, leise, und es klang wie ein Weinen.
Sie waren im Haus.
Katrin stürzte ins Haus. Einmal nicht richtig aufgepasst und jetzt ...
Gott sei Dank. Eric lag in seiner Wiege und weinte. Eric weinte schon wieder. Sie nahm ihren Sohn, in die Decke eingewickelt, auf den Arm, schloss die Wohnungstür ab und durchsuchte das Gebäude.
Niemand war da. Keiner dieser Wichte. Nur sie, nur Eric, der leise weinte.
Katrin lief in die Küche, drehte den Wasserhahn auf, dass der Strahl nicht mal einen Finger breit war, und hielt seinen Kopf darunter.
„Niemals werden sie dich mir wegnehmen“, flüsterte sie, während das Wimmern ihres Lieblings leiser wurde. So wie damals. „Niemals, hörst du? Du bist doch mein Sonnenscheinchen.“ Katrin würde Eric mit ihrem Leben verteidigen. Sie liebte alles an ihm: Die kleinen Händchen und Füßchen. Die niedlichen verfaulten Zähne, die lose in seinem Mund hingen, auch wenn es nur noch drei waren. Die aufgedunsene, schleimige Haut, die an manchen Stellen schon die darunter liegenden Knochen durchscheinen ließ. Die schwarzen Höhlen, in denen früher einmal blaue Augen fröhlich gestrahlt hatten und nun vorwurfsvoll ins Nichts blickten.
Als sie über ihr wunderschönes Baby nachdachte, fiel ihr auf, dass sie ihn noch immer unter das Wasser hielt. Erschrocken drehte sie den Hahn ab.
„Nicht!“, rief sie aus und konnte nicht mehr atmen. Noch einmal würde sie ihren Liebling nicht zu lange unter Wasser halten.
So wie damals.
 

Kýestrika

Otakuholic
Otaku Veteran
hmm, der Text stimmt mich nachdenklich.
Stilistisch habe ich nichts anzumäkeln. Allerdings kam mir die Beschreibung, dass sie sich ihr Essen etc. pp. selbst anbaut, etwas zu naiv vor. DAs hätte man vielleicht etwas weiter ausführen könnnen. Schließlich muss sie ja auch irgendwo die Saat herhaben udn es verarbeiten können.
Das Ende war eher weniger überraschend für mich. Schon recht am Anfang habe ich mir so etwas ähnliches gedacht, einfach weil es doch zu verdächtig war.
Ansonsten hat mir der Text gut gefallen, auch wenn ich meine, mal so etwas ähnliches gelesen zu haben.

Gruß
Kýestrika
 

LittleFiskyBlack

Ordenspriester
danke erstmal fürs lesen. ja, die sache mit dem selbstanbauen von ihrem essen gefällt mir persönlich auch nicht so, aber irgendwie wollte ich noch verdeutlichen, dass sie ganz und gar nichts mit der außenwelt zu tun haben will.
könnte vielleicht das ende für dich nicht so überraschend gewesen sein, weil du so etwas bereits gelesen zu haben glaubst? oder ist es so offensichtlich? würde mich interessieren
 

Kýestrika

Otakuholic
Otaku Veteran
Hmm, weiß nicht, meiner Meinung nach ist es einfach offensichtlich, dass mit dem Kind etwas nicht stimmt, spätestens, als sie es unter den Wasserhahn hält. Anfänlich dachte ich noch, dass das Kind ne Behinderung hat und die Geschichte zu einer Zeit spielt, in der man mit Behinderten umging, wie in der Nazizeit. Aber spätestens beim Wasserhahn dachte ich mir, dass so was in der Art kommen wird.
 

Susanoo

Gottheit
Also der Text ist gut geschrieben.
Das Ende hat mich aber irgendwie überrascht, man bekommt zwar ziemlich am Anfang mit das irgendwas nicht stimmen kann, aber das ihr Baby tot ist war eigentlich nicht offensichtlich, ich hätte eher auf eine Behinderung oder irgendwas Abnormales (Baby ist ein Riesenkäfer oder so) gewettet. Naja es ist eigentlich nicht verwunderlich das sich ein Baby beruhigen kann wenn Wasser über den Kopf läuft, jedes Baby hat so seine Eigenarten ^^.
Was aber komisch ist und was ich mir nicht vorstellen kann, dass man ein Baby mit einem fingerdicken Wasserstrahl ertränken kann :huh:
 

LittleFiskyBlack

Ordenspriester
@ Kýestrika
hm okay, danke dafür

@ Susanoo
doch das geht, wenn man es falsch und zu lange hält. sieh es so, kleine kinder können auch in pfützen ertrinken
 

Shishiza

Sehr brave Fee^^
Teammitglied
Mod
Es ist eine traurige Geschichte, und ich denke, das dieses Ende mehr als nur klar war, denn warum sollte dann niemand ihr Kind noch sehen? Diese Frau wollte ihr totes Kind nicht hergeben, weil sie es nicht wahr haben. Mich wundert es nur, warum sie immer noch ein weinen hört.

Aber schön geschrieben^^
 
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