So eine Top-Liste ist ja auch schwer zusammenzustellen und entblößt im schlimmsten Fall sogar die Unwissenheit des Zusammenstellenden. Denn wer sich nur oberflächlich auskennt, kommt dann möglicherweise mit Conan- und Naruto-Filmen daher. Allerdings, wenn ich dich richtig verstanden habe, soll das gar nicht verurteilt werden sondern eher der Erweiterung des "Kanons" dienen, über Katsuhiro Otomo, Hayao Myazaki, Mamoru Oshii und Osamu Tezuka hinausgehen.
Also ... Dann will ich es mal probieren, und eine Liste veröffentlichen, die teilweise aus den Klassikern besteht, teilweise aber auch Perlen enthält, die man eher nicht im Kanon vermuten würde, aber einen hohen persönlichen Stellenwert besitzen. Mein wichtigstes Bestreben ist es, Filme zu finden, die sich irgendwie abheben, ob von den Animationen, dem ganzen Design oder der Erzählung. Oft ist diesen Filmen kein durchschlagender Erfolg vergönnt, wenn aber doch, dann freut mich das umso mehr. Hierzulande ist es schwerer, die Auswahl an Animes, die es bis zur Veröffentlichung oder sogar einem Kinorelease schaffen, ist dünn. Wohl oder übel, und weil mir die Zeit fehlt, mich tiefer damit zu befassen, umfasst meine Liste nur die wenigen Filme, die wir im Westen "halt so kennen", von der ein oder anderen Ausnahme mal abgesehen, die jedoch nichts daran ändert, dass wohl kein Anime-kundiger Japaner diese Toplist unterschreiben würde. In diesem Sinne: hier meine höchst subjektive, eklektische, unvollständige, aus völliger Unwissenheit zusammengeschusterte Toplist!
Platz 10: Genius Party/Beyond
Man möge mir verzeihen ... Kaum erreichen wir Platz 10 und schon breche ich die erste und einzige Regel dieser Toplist - dass es sich um einen Spielfilm handelt! Genius Party und Genius Party Beyond sind zwei Kurzfilmsammlungen aus dem Hause Studio 4°, meinem erklärten Lieblings-Animationsstudio. Diversen Anime-Regisseuren wird die Chance gegeben, sich mal so richtig auszutoben und das Ergebnis ist verrückt, experimentell, nicht immer pointiert oder unterhaltsam, aber in jedem Fall ungewöhnlich (für westliche Sehgewohnheiten).
Platz 9: Memories
Eine weitere Kurzfilmsammlung, unter Beteiligung von Katsuhiro Otomo, sowie Satoshi Kon und das alles wieder unter dem Hause Studio 4°.
Platz 8: Animatrix
Die Matrix-Trilogie ist meine Bibel. Wenn ich mich recht entsinne, war Animatrix sogar der Grund, wieso ich überhaupt erst auf Studio 4° gekommen bin, denn, wie könnte es anders sein, haben auch die wieder ihre Finger im Spiel. Animatrix ist nicht einfach nur ein inhaltsleeres Spinoff, oder Merchandising for japanese customers only, sondern die Hintergrundgeschichte zur Matrix-Trilogie. Entstanden unter der Federführung der Wachowskys liefert diese Kurzfilmsammlung (es wird die letzte in dieser Liste sein, versprochen!) einen faszinierenden Einblick in die bewegte Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Mensch und Maschine, aber auch in die Psyche der Menschen und ihren Götterkomplex.
Platz 7: Perfect Blue
Ein Thriller nach westlicher Gangart, wie er nicht besser hätte von Brian dePalma, Paul Verhoeven oder David Lynch hätte geschrieben werden können. Satoshi Kon war der Takashi Miike des Animes.
Platz 6: Das wandelnde Schloss
Mein erster Ghibli ... in der Tat. Deswegen und auch nur deswegen ist Ghibli hier vertreten, denn obwohl ich ihre Filme sehr ansehlich und zart-schmelzend süß finde, habe ich Schwierigkeiten, die Geschichten oder die malerischen Bilder zu behalten. Ghibli ist für mich der Biedermeier des Animes. In Erinnerung bleiben mir ihre fantastischen, detailreichen und flüssigen Animationen.
Platz 5: Die Tragödie der Belladonna
Erst vor kurzem bei RapidEyeMovies in einer 4K-Remastered-Edition erschienen, in Zusammenarbeit mit einem amerikanischen Filmrestaurationsteam. Osamu Tezuka war für seine belanglosen Unterhaltungsfilmchen berühmt, hatte aber durchaus künstlerische Ambitionen. Mit seiner "Animerama"-Trilogie wollte er, in Anlehnung an den in Japan boomenden Pinku Eiga-Film, Animes für ein erwachsenes Publikum drehen - ein Novum zu damaliger Zeit. Heraus kamen drei frivol-frech-lüsterne Filme, von denen oben gezeigter den Abschluss und traurigen Niedergang Tezuka's eigenen Animationsstudios Mushi Productions bildet. Zuvor bereits hatte er das Studio verlassen, er war in diesen Film also schon nicht mehr involviert. Aber es mag die Untergangsstimmung der Mitarbeiter gewesen sein, die sicher waren, dass sie ihre Jobs verlieren würden oder auch ein besonderer Zeitgeist, das Ergebnis ist ein wilder Mix aus Andy Warhol, Jugendstil und Hippietum - etwas, was heute so gut wie unmöglich geworden ist.
Platz 4: Tekkonkinkreet
Der Amerikaner Michael Arias möchte einen Anime drehen. Er lebt in Japan und jeder, der von diesem Traum hört, lacht ihn aus. Ein Westler möchte einen Anime machen? Unmöglich! Studio 4° (ach, die schon wieder) hört ihm zu und gibt ihm eine Chance. Herausgekommen ist ein Anime, der nicht nur in der besten Tradition des Anime steht (wobei ich mich nicht rühmen kann, etwas davon zu verstehen), sondern auch so originell und eigenständig ist, dass er wohltuend heraussticht. Wer genau hinsieht, erkennt die 3D-simulierte Großstadt, die fantastische Kameraflüge ermöglicht - eine Technik, die uns auch bei einem weiteren Titel auf dieser Liste begegnen wird. Wer auf Metaphysik steht, kommt hier voll auf seine Kosten, stellen die Brüder doch zwei Seiten einer Münze, Ying und Yang, das Helle und das Dunkle dar.
Platz 3: Jin Roh
Das ist jetzt ziemlich peinlich und eigentlich dürfte ich das gar nicht tun, aber ... Diesen Film habe ich nie gesehen. "Was!?", tönt es mir da entgegen, "Wie kann man einen Film derart hoch einstufen, ohne ihn je gesehen zu haben? Solche Vorschusslorbeeren hat kein Film verdient!"
Und das stimmt auch. Ich kenne lediglich Bilder aus dem Film und diverse Trailer. Was mir sofort zusagte, war die Stimmung, die diese Bilder erzeugen und der Animationsstil, der noch eine andere, eine ältere Schule ist, die, von den frühen Disneyklassikern inspiriert, viel Wert auf Detailfülle, Realismus, Bewegung legt. Das ist keine Entschuldigung, deswegen halte ich jetzt ganz schamhaft meinen Mund und mache weiter.
Platz 2: Mindgame
Hach ... Mein Erweckungs-Anime. Es ist seltsam, von "Erweckung" zu sprechen, aber ich bin mir sicher, jeder kann das nachvollziehen. Es gibt einfach bestimmte Filme, die dringen so tief in dich hinein, dass du das Gefühl hast, du wärest ohne sie nie komplett gewesen. Mindgame ist so ein Film für mich. Es geht darum, wie wir unser Leben leben und wie Wahrnehmung unsere Realität und Entscheidungen beeinflusst. Ich stehe halt tierisch auf diesen existenzialistischen Scheiß, er berührt mich. Dazu kommt ein wirklich abgefahrenes Design, eine sehr abstrahierte Animationstechnik und der Einsatz von CGI (Referenz zu Tekkonkinkreet), der sich nicht darin erschöpft, irgendwelche Autobots oder Panzer zu animieren. Natürlich wieder Studio 4°, Regisseur war Masaaki Yuasa, der in den Folgejahren die beiden beachtlichen Animeserien "Kaiba" und "Kemonozume" schuf, zwei weitere Lieblinge von mir, die seine Kreativität und erzählerische Intuition unter Beweis stellen.
Platz 1: Akira
Eine Topliste ohne Akira ist keine Topliste, Punkt. Eigentlich müsste Mindgame hier stehen, aber vor der Professionalität, zeichnerischen Genialität, Spannungsfülle und ohrenbetäubenden Imposanz Akira's muss jeder andere Anime einfach kapitulieren. Hier vibriert jedes Bild vor Radikalität, hier reißt dich nicht allein die Erzählung, sondern der Soundtrack, das postapokalyptische Szenario, die Flüssigkeit der Animationen vom Hocker. Akira ist die japanische "Klapperschlange" und John Carpenter wäre stolz auf diesen Ableger. Wobei ... und das ist seltsam ... kaum einer, den ich kenne, der Animes mag, kennt diesen Film oder möchte ihn sehen. Ich weiß auch nicht, woran das liegt. Das Thema kann es nicht sein, denn Actionfilme oder Dystopien reizen mich sonst auch nicht. Aber die Animationen sprechen doch für sich! Es ist jedes mal wie ein Schlag ins Gesicht, wenn jemand auf diese Empfehlung nur mit einem "Uff ..." reagiert. Ist Akira so schwere Kost? Kam mir eigentlich nicht so vor. Mir scheint das bloße Alter ein Problem zu sein, da alte Filme automatisch mit Langeweile assoziiert werden. Aber über diese ignorante Einstellung kann man nur ohnmächtig den Kopf schütteln und zu den Göttern beten, dass dieses Unrecht gesühnt werde.
Noch ein kleines Nachwort zu dieser Liste:
Sie ist mehr oder weniger willkürlich und spontan zusammengestellt worden. Die Animes, die ich auch wirklich gesehen habe, sind Titel, die mir nach dem Ansehen nicht sofort wieder aus dem Hinterstübchen gepurzelt sind, es sind (teilweise) Filme, die mich wochenlang beschäftigten, dessen Bilder sich mir regelrecht in die Netzhaut brannten. Andere wiederum stehen nur drin, weil mir keine besseren Namen eingefallen sind, um die Liste zu vervollständigen (ich wage es nicht, "vervollkommnen" zu sagen). Nehmt mich bitte nicht zu wörtlich oder die Reihenfolge zu ernst, denn jeder Anime gibt einem auf seine Weise etwas. Sich nur nach Toplisten zu richten, verdirbt den Geschmack.