
Sie versuchte ihrer rätselhaften Passagierin in die Augen zu schauen, doch Leyla hatte ihren Blick ins All hinter der Cockpitscheibe gerichtet und lies auf ihrem Gesicht nichts erkennen, was Thalia Aufschluss über ihre Gefühle oder Gedanken gegeben hätte. Also fuhr Thalia einfach fort, "Ich kenne mich nicht sonderlich mit Novus oder den nocturnischen Konzernen aus und finde sie allesamt auch etwas gruselig, soweit ich sie kenne. Ich muss sagen, dass ich nicht damit gerechnet habe, wie groß deine Probleme wirklich sind." Thalia lies ihre Augen über Leylas athletischen Körper wandern, lies sie auf den sichtbaren Augmentierungen verweilen, bevor sie weitersprach, "Ich habe dich für eine hochgezüchtete Kämpferin aus den Arenen der tiefen Ebenen oder ein Mitglied irgendeiner nocturnischen Cybergang gehalten. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem nocturnische Polizeieinheiten mein Schiff stürmen wollten und Strato-Fighter mir meine schöne Rover zerschossen haben."
Leyla, deren Blick noch immer in die Tiefe des Alls gerichtet war, hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch als Thalia nun aufstand und sich dem Ausgang zuwendete, fragte sie, "Also möchtest du, dass ich dein Schiff nun doch verlasse?"
"Nein", verneinte Thalia leise, "Ich stehe zu meinem Wort."
Sie schritt zum Ausgang und rief dann, "Komm. Ich muss dir etwas zeigen."
Ohne noch einmal nach Leyla zu schauen, ging Thalia den Gang hinunter. Nach nur wenigen Augenblicken hatte Leyla sie bereits eingeholt, um ihr im Abstand von einigen Metern schweigsam zu folgen.
Thalia führte Leyla hinunter in den Maschinenraum und stand nun mit ihr zusammen vor einer großen verrosteten Rohrleitung, die im unteren Teil der Maschine verschwand, die laut Thalia den Kern des Überlichtantriebs ausmachte. Das andere Ende des Rohrs verschwand irgendwo im Boden.
"Das ist die Hauptkühlung", erklärte Thalia, die direkt neben dem großen Überlichtantrieb stand, mit lauter Stimme über den stampfenden und zischenden Lärm der arbeitenden Maschinen hinweg, "Einfaches Wasser wird unter enormen Druck hindurch gepumpt. Im Inneren der Hauptantriebsmaschine nimmt es den dort herrschenden Wärmeüberschuss auf und leitet ihn über ein Rohrsystem an die Außenhülle des Schiffes weiter, wo die Hitze an den Weltraum abgegeben werden kann. Würde dies nicht geschehen, würde sich das Innere des Schiffes auf mehrere hundert Grad erhitzen."
Leyla betrachtete die Leitung eingehend und lauschte Thalias Worten, doch sie konnte noch nicht wirklich erschließen, worauf die Frau hinaus wollte. Geduldig lies sie Thalia fortfahren.
"Wie dir im Cockpit sicherlich bereits anhand der sich nicht bewegenden Sterne aufgefallen ist, stehen wir still." Leylas Blick verriet Thalia, dass dem nicht so war, doch sie führte ihre Erklärung einfach fort, "Während du geschlafen hast, hat das Kühlsystem versagt und ich musste den Überlichtantrieb abschalten."
Mit einem Griff nach unten zog Thalia an einer schweren stählernen Bodenluke, unter der ein schmaler Leiterschacht zum Vorschein kam. Sie stieg ohne Umschweife hinunter und Leyla folgte ihr kurz darauf, noch immer unschlüssig, was Thalia mit ihrer Erzählung letztendlich bezwecken wollte.
Der Schacht führt 8 Meter hinab zu einer geräumigen Kammer, die Größer war, als jeder andere Raum, den Leyla bisher auf diesem Schiff zu Gesicht bekommen hatte. In der Kammer war ein großer Tank aufgehängt, der von stählernen Streben in der Schwebe gehalten wurde und beinahe die gesamte Kammer ausfüllte. Rohrleitungen verliefen an mehreren Stellen an den Wänden und führten ins innere des Tanks.
Als Leyla von der Leiter sprang, landeten ihre Füße platschend im Wasser. Der Boden stand beinahe knietief unter Wasser. Dank ihrer Cyberaugen, mit denen sie auch im Dämmerlicht der kaum beleuchteten Kammer noch gut sehen konnte, war sie sich des Wasser bewusst gewesen, doch da Thalia ebenfalls einfach hinein gesprungen war, hielt Leyla es für unbedenklich, ihr zu folgen. Die eisige Kälte des Wassers lies sie jedoch erschaudern. Überrascht stellte die ehemalige Assassine fest, dass es sich um Salzwasser handelte.
"Dies ist der Kühlwassertank", hallte Thalias Stimme durch die Kammer. Leyla konnte sie irgendwo auf der anderen Seite der Kammer ausmachen, "Wie du siehst, ist er ausgelaufen. Die automatischen Systeme haben das meiste Wasser ins All abgepumpt, um Schäden zu verhindern. Leider scheint das System jedoch einen kleinen Defekt zu haben, denn ich wurde erst informiert, als der Überlichtantrieb zu überhitzen drohte."
"Und was heißt das jetzt? Können wir nicht weiterfliegen? Es müsste doch einen Ersatztank oder so geben.", fragte Leyla, als sie seit einigen Minuten das erste Mal wieder etwas von sich gab. Sie stand fröstelnd im Wasser und sah Thalia an, die ihr durch das Wasser entgegen watete.
Flüchtig huschte etwas wie Verlegenheit über Thalias Gesicht.
"Nunja", antwortete sie zögern, "Diese Schiffsklasse besitzt, wie die meisten Schiffe, die auf dieses alte Kühlsystem zurückgreifen, tatsächlich einen Ersatztank."
"Aber? Wo liegt das Problem?"
"Dieses Schiff stellt eine Ausnahme da. Ich habe den Ersatztank entfernt, um Platz für...", Thalia hielt kurz inne, "Für zusätzliche Fracht zu schaffen."
"Aha..."
Beide Frauen schwiegen kurz. Thalia war sich selbst nicht ganz sicher, welche Art der Erwiderung sie auf ihre Worte erwartet hatte. Plötzlich wurde ihr gewahr, dass sie beide noch immer im kalten Wasser standen und sich anschwiegen. Anschluss zu ihren vorherigen Worten suchend, begann Thalia wieder zu sprechen, "Ich habe den Tank bereits repariert. Schätze mal, er wurde durch die hohen G-Kräfte bei unserer Flucht von Nocturn beschädigt. Das Kühlsystem sollte also wieder laufen, sobald wir Wasser finden, mit dem wir es betreiben können."
Thalia griff an die Leiter und stieg an ihr wieder empor. Kaltes Wasser tropfte von ihrer nassen Kleidung herab und traf auf Leyla, die ihr folgte. Beim Klettern rief Thalia nach unten, "Wir haben Glück im Unglück. Bevor ich den Antrieb abschalten musste, konnte ich uns noch in ein Sternensystem bringen. Es gibt hier eine Welt, auf der erfolgreich Terraforming betrieben wird. Laut der Datenbank gibt es dort auch große Mengen Wasser." Behände zog Thalia sich aus dem Schacht in den Maschinenraum hoch und sah dann hinab auf Leyla, die noch ein paar Sprossen zu erklimmen hatte. Erst als diese kurz inne hielt, wurde Thalia bewusst, dass sich die Assassine dadurch bedroht fühlen könnte, und zog sich etwas vom Schacht zurück.
Wenige Augenblicke später glitt Leyla regelrecht aus dem Schacht hervor, mit ihrem wachsamen Blick nach Thalia suchend. Thalia hatte sich neben ein Gebläse gestellt, aus dem warme Luft strömte und hob beschwichtigend die Hände. Sie wollte die Assassine auf keinen Fall noch weiter provozieren. Um den kritischen Moment zu überbrücken, sprach sie schnell weiter, "Zur Zeit sollte fast die gesamte Nordhalbkugel eine Steppe mit vielen Flussläufen sein. Wir sollten keine Schwierigkeiten haben, uns etwas von dem Wasser abzuzweigen."
Leyla, die sich mittlerweile wieder entspannt hatte, sah davon ab, sich neben Thalia in den warmen Luftstrom zu stellen, um die Klamotten zu trocknen und verweilte bei der Bodenluke.
"Terraforming? Das klingt nach einer Menge Geld und Konzernen.", stellte Leyla mit ernster Stimme fest, doch Thalia winkte ab, "Keine Sorge. Das sind harmlose Siedler, die von einem Konzern Ausrüstung und Geld bekommen haben, um einen Planeten nutz- und bewohnbar zu machen, damit er irgendwann für die Geschäfte des Konzerns genutzt werden kann. Kann um die hundert Jahre dauern sowas. Solange ist der Planet für alles und jeden ziemlich uninteressant. Außerdem handelt es sich bei dem Konzern nicht um Novus."
"Nun gut. Aber ich würde gerne vorher noch etwas essen."
"Klar."
|1111 p.E.|
|Agrippa System - Orbit von Agrippa III|
|Vier Stunden später|
Die matt-gelblich schimmernde Kugel mit dem Namen Agrippa III schob sich langsam vor die Scheibe des Cockpits. Thalia schenkte ihr kaum Beachtung, da sie mit den Instrumenten vor sich beschäftigt war und soeben den Landeanflug einleitete. Schon trat die Rover in die äußere Atmosphäre des Planeten ein. Ein brutales Beben durchlief das Schiff, rüttelte Thalia und Leyla in ihren Sitzen durch und lies beide sich wünschen, sie hätten beim vorangegangenen Essen nicht ganz so sehr reingehauen, während auf den Armaturen zwischen ihnen der Höhenzähler ins Bodenlose stürzte.
Vor der Cockpitscheibe verfärbte sich die Luft zu einem feurigen Rot-Orange. Durch das beständige Vibrieren des Schiffes wanderte Leylas Metallteller über die Armaturen, auf denen sie ihn abgestellt hatte und bevor die Assassine ihn daran hindern konnte, stürzte er zu Boden, um sogleich wieder abzuheben und dank der zeitweiligen Schwerelosigkeit, die auf dem herab rasenden Raumschiff eintrat, der Decke entgegen zu steigen. Beinahe zeitgleich schrillte eine kreischende Sirene auf und um die zwanzig roten und gelben Lichter blinkten den beiden Frauen im Cockpit entgegen.
"Keine Sorge", rief Thalia über den Lärm hinweg. Ihre Schweißerbrille war ihr über die Augen gerutscht. "Nur ein paar alte Maschinen, die sich unter der Belastung verziehen." Sie legte noch ein paar Hebel um und prüfte die Anzeigen eingehender, bevor sie hinzufügte, "Und zwei der Landekufen sind ausgefallen!"
Wenig später machte sich genau dies bemerkbar, als Thalia die Rover unsanft aufsetzen lies. Das gesamte Schiff bekam dabei eine unangenehme Schieflage. Auf ihrem Weg zur Ausstiegsrampe mussten sich Thalia und Leyla an den Wänden festhalten, um nicht regelmäßig zu stürzen.
"Ich glaube, das wars so langsam mit meinem Schiff...", murmelte Thalia, als sie den Schalter zum Öffnen der Rampe betätigte, wobei sie zu Leyla sah, die es irgendwie schaffte aufrecht zu stehen, ohne sich festzuhalten.
Thalia hatte sich eine khakifarbene fest Hose und eine ebenfalls khakifarbene Weste über ihrem schwarzen Shirt angezogen. An ihrem Gürtel hing nebst drei Ersatzmagazinen ein Hohlster mit einer Dominon T7, einer schweren Kampfpistole, darin. In dem linken ihrer festen Stiefel steckte außerdem ein kurzes Kampfmesser.
Sie schritten gemeinsam die Rampe hinunter und traten auf den heißen Sand des Planeten.
"Sagtest du nicht etwas von Flussläufen und Steppe?", fragte Leyla trocken.
"So stand es zumindest in der Datenbank.", seufzte Thalia, "Schöne Scheiße..."
Verdrossen lies Thalia den Blick schweifen. Vor ihnen befand sich eine kleine Ansammlung von heruntergekommenen Hütten und Zelten am Fuße eines kleinen Felsens, darum herum Sand soweit das Auge reichte.