Das Dilemma der japanischen Eisenbahn
Weil sich ja sonst niemand hier zu Wort äußert...
Wer sich das Cabview des Shimakaze angesehen hat, mag sich Fragen gestellt haben, was ich aber kaum glaube.
Wir haben in Japan nur Privatgesellschaften, keine staatlichen wie die ursprüngliche JGR / Japan Government Railraod und deren Nachfolger, die Japan National Railroad, mehr. Alle sieben aus der Teilung der JNR hervorgegangenen Gesellschaften sind privat, einige von ihnen, so wie die JR East, die JR Central und die JR West sind komplett privat, die anderen drei, also die JR Hokkaido, die JR Shikoku und die JR Kyushu müssen nach wie vor von der staatlichen Verwaltungsgesellschaft gestützt werden, weil sie nicht profitabel arbeiten. Die JR Freight ist ebenfalls komplett privat.
JR West, Central und East halten ihre Gleisanlagen in Schuss und verfügen über neues Fahrzeugmaterial, das auch ständig erneuert wird. Die JR Hokkaido ist dabei, sich zu berappeln, auch weil der Shinkansen kommt, und auf den Hauptstrecken fährt auch schon neues Material, auf den Nebenstrecken ist das Material noch sehr alt. Das gilt vom Prinzip her auch für die JR Shikoku und die JR Kyushu, die aber beide über recht altes Material und ein teils marodes Gleisnetz verfügen, wobei die JR Kyushu durch besondere Farbgebung der Züge, Namensgebungen und spezielles Interieur versucht, Kunden zu gewinnen und die Eisenbahn in ihrem Bereich attraktiver zu machen. Die JR Shikoku läßt sogar Züge und Linien von Unternehmen sponsern. Richtig schlecht geht es eigentlich nur der JR Shikoku, auch auf Grund des dünnen Gleisnetzes, das nicht alle Teile der Insel abdeckt, und ein Shikansen ist auf der Insel weder geplant noch zu erwarten.
Wenn man sich dagegen die Privatgesellschaften anguckt, gibt es drei Kategorien. Zum einen die grossen Privaten wie die Kintetsu oder das Keikyo Web (Seite 1), die (fast) das gesamte Scheinennetz auf Normalspur umgerüstet haben und damit breitere, komfortablere und auch schnellere Züge fahren können und denen es deshalb richtig gut geht, was sich im Zustand des Gleisnetzes und dem Alter der Fahrzeuge niederschlägt.
Dann gibt es die kleinen privaten Anbieter auf Nebenstrecken, die von der ehemaligen JGR / JNR übernommen wurden, und die zwar ihre Region bedienen, damit aber nicht reich werden können, und die auch nicht auf Normalspur umrüsten können, weil sie sich Anlagen und Gleise in bestimmten Bereichen mit den JR Gesellschaften teilen müssen. Das Gleisnetz ist nicht wirklich gut und das fahrbare Material schon sehr in die Jahre gekommen. Dafür gibt es in diesem Thread ja schon genug Beispiele.
Dann als Drittes die Privaten, die bestimmte Regionen oder Strecken exklusiv bedienen, sich aber grosse Teile des Streckennetzes mit den JR Gesellschaften teilen, wie z.B. die Odakyu Electric Railway Co., Ltd. (小田急電鉄株式会社) mit ihren Romance Cars, die auf den ersten Seiten dieses Threads (u.a. beim Post mit dem Doppelgleis) erwähnt wurde. Das Streckennetz ist top, weil ja viele Teile von der JR unterhalten werden, und das Fahrzeugmaterial neu und attraktiv für Kunden. Es wäre für solche Gesllschaften gut, wenn sie auf die Normalspur aufrüsten könnten, das können sie aber nicht, weil sie auf die JR angewiesen sind.
Und jetzt kommt das wirkliche Dilemma. So manch eine private Gesllschaft mit unabhängigem Gleisnetz macht es den JR Gesellschaften vor, was die Normalspur an Vorteilen bringt, breitere Züge, mehr Komfort und höhere Geschwindigkeit, im Gegensatz zu den JR Zügen, die schmaler sind, wegen der schmaleren Spur ständig schwanken und bei denen in aller Regel bei 90 oder 120 km/h, im Extremfall bei 130 km/h Schluss ist.
Nur: leider können die JR Gesellschaften alle nicht auf die Normalspur umrüsten, zumindest nicht eine allein sondern höchstens alle gleichzeitig, wobei diverse Privatgesellschaften mitzuziehen wären.
Angenommen, die reiche JR East mit Tokyo als Zentrum würde auf die Normalspur umrüsten, das würde alle Verbindungen, bei denen Züge anderer JR Gesellschaften oder Privatgesellschaften, vor allem im Tokyoter Nahverkehr, sich Gleisabschnitte mit der JR East teilen, kappen.
Wenn z.B. die JR Freight einen Container von Nagasaki auf Kyushu nach Sapporo auf Hokkaido fahren wollte, würde der Transport auf Schmalspur beginnen, im Bereich der JR East müßte der Container auf einen anderen Zug mit Normalspur umgeladen werden (Umspuren geht ja nicht), um dann für Hokkaido wieder auf einen Zug mit Schmalspur umgeladen zu werden. Das bedeutet drei Waggons und drei Lokomotiven sowie jede Menge kostenintensiver Umladearbeiten nur für einen Transport, der im Moment theoretisch durchlaufen könnte.
Also, wenn eine der Gesellschaften auf die Normalspur gehen wollte, dann müßten das ALLE JR Gesellschaften sowie alle im Streckennetz der JR fahrenden Privatanbieter gleichzeitig tun, wobei auf einen Schlag das komplette fahrbare Material aller dieser Gesellschaften, angefangen bei den Triebzügen, über die Lokomotiven, die Güterwaggons, bis zu den Servivefahrzeugen etc. zu erneuern wäre.
Und genau das geht nicht, aus Kostengründen, von Seite der Fahrzeugproduzenten her nicht, und aus zeitlicher Sicht auch nicht. Der Fehler mit der Schmalspur, der einst gemacht wurde, läßt sich einfach in der Zeit des heutigen Massenverkehrs nicht wieder gutmachen.
Deshalb ist das ganze Shinkansennetz mit seiner Normalspur auch komplett vom anderen Schienennetz getrennt / autark, von der zukünfigen gemeinsamen Nutzung des Seikan-Tunnels einmal abgesehen.
Die Entscheidung für die Schmalspur mag einst aus finanziellen und topografischen Gründen, zumindest in den bergigen Flusstälern, gerechtfertigt gewesen sein, allerdings ist sie heute nicht mehr zeitgemäß. Dumm ist bloss, dass man sie nicht mehr korrigieren kann...
Selbst die kleine Hakone Tozan Line (箱根登山鉄道線) (Seite 7) mit ihrer Bergbahn mit 80 ‰ Steigung und dem kleinsten Radius von 30 m konnte auf Normalspur umrüsten und fährt gut damit, es gibt also keine topografischen Hindernisse für eine Umstellung mehr.
Aber wenn man sich nur mal vorstellt, was es bedeuten würde, eine der langen Tokyoter Vorortverkehrsstrecken umzurüsten, mit ihrem 2-Minuten-Takt. 2 Stunden Fahrzeit = 60 Züge mit 12 Waggons = 720 Waggons, in beiden Richtungen also 120 Züge = 1440 Waggons, dazu die Fahrzeuge, die gerade stehen, gewartet werden müssen, gewaschen werden etc., und das nur bei einer von zig Linien. Dann bekommt man ein Bild davon, in welcher Kostenregion man sich bewegen würde...