[Diskussion] Wahl - Wahlrecht - Verantwortung

Terry_Gorga

Der Eine, der Viele ist
Otaku Veteran
Ah, okay. Ich habe ja schon ein wenig vermutet, dass auch ich gemeint gewesen sein könnte, vor allem wegen dem „falsch wählen“, fand es dann aber seltsam, dass nach dem Verständnis von Demokratie gefragt worden ist. In diesem Thread haben ja nur OTA-Q, Woggelwoggel und ich ihr Verständnis von Demokratie dargelegt.
Und der erste Satz hätte so auch von mir sein können, denn der Grund für diesen Thread war ja letztlich, dass ich das Verständnis einiger Leute von Demokratie eben auch erschreckend und beunruhigend finde. Darum habe ich das Thema hier überhaupt begonnen.
Das du dieses Verständnis von Demokratie hast, das mag sogar positiv sein, denn damit denkst du nicht nur an dein eigenes Wohl, sondern versuchst weiter zu sehen. Und ich stimme dir insofern zu - es wäre wünschenswert, wenn viele Menschen diese Fähigkeiten hätten und auch anwenden würden.
Fakt ist aber, das dies eine Fähigkeit ist, die weder trainiert noch gewünscht ist in dieser Politik. Denn die Wahlergebnisse sind systematische Konsequenzen unseres Schul- und Bildungssystems, das nicht darauf ausgelegt ist, Weitblick, Reflektionsvermögen oder Empathie zu trainieren. Sondern das auf Anpassung und auf Gleichschaltung ausgelegt ist. Kreativität und Intelligenz fehl am Platze!
Damit bleibt nur Ellenbogengesellschaft und Kurzsichtigkeit übrig - die Dinge, die zur Folge haben, dass die Menschen nun so wählen, wie sie wählen, nämlich nicht nach Vernunft sondern nach den Dingen, die sie kennen und durch die Indoktrination unseres Systems für faktisch richtig halten. Unsere politische Elite hat durch Etablierung dieses Systems selber die Konsequenzen zu verantworten, dass sie nun sich selber indirekt dadurch schaden. Und an der Türkei sehen wir sogar, wie ein System sich durch solch eine Art von Selbstmanipulation regelrecht abschaffen kann.

Deine Konsequenz, den Bürgern dann ihr Wahlrecht abzusprechen, indem du sie auf Fähigkeiten prüfst, die ihnen systematisch aberzogen werden, ist deswegen durch und durch falsch. Du kannst ein Problem nicht lösen, indem du ein Symptom bekämpfst, während die Wurzel ganz woanders liegt.
Denn die Konsequenz wäre die Abschaffung des demokratischen Wahlrechts und Etablierung eines (Bildungs)Elitensystems - so, wie die Präsidialherrschaft in der Türkei oder die Feudalherrschaft im Adel von vor 500 Jahren. Das wäre keine demokratische Legitimation im Sinne von Volkswille und Mehrheit mehr, sondern eine Herrschaftsstellung weniger "Auserwählter" über die breite Masse an Menschen.

Wie Waltikon geschrieben hat: „Bei Wahlen geht es doch längst nicht mehr um Inhalte, es geht nur noch darum, wer sich besser präsentieren kann.“
Woggelwoggel hat es mit „Aber ich erwarte, dass man zu seinen Entschlüssen durch Information und Abwägung kommt und dementsprechend auch eine Begründung für seine Meinung liefern kann.“ beschrieben.
Ich habe es u.a. „postfaktisch“ genannt.
So weit sind wir also gar nicht auseinander:oO:

Derzeit ist das eben leider und zunehmend mehr nicht so. Die hier schon genannten Länder Polen, Türkei und USA, aber auch Ungarn und Großbritannien, morgen vielleicht Italien und Österreich, haben nun schon ihre Probleme dank dieses pervertierten Verständnisses von Demokratie, das derzeit die Runde macht. Die sind mir alle erstmal mehr oder weniger egal. Aber es kann auch das Land betreffen, in dem ich lebe und dann ist es mir nicht mehr egal.
Ich sehe keine Perversion der Demokratie, auch wenn ich der 5 %-Hürde extrem kritisch gegenübergestellt bin und die parlamentarische Demokratie, ohne direkte Einflussnahme des Volkes, sowie ohne Möglichkeit, ein Amt direkt abzuwählen, sehr kritisch sehe. Denn die Mechanismen, die der Demokratie zugrunde liegen, das heißt, freie Wahl, geheime Wahl, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit usw. sind nach wie vor vorhanden und garantiert. Es mangelt also nicht an den Prinzipien. Es mangelt an den Grundlagen, diese Prinzipien zur Entfaltung zu bringen.

Was das bedeutet, weiß ich nun nicht. Ich finde, die Türkei ist aktuell ein erschreckend gutes Beispiel dafür, zu was die derzeitige Form von Demokratie nun führen kann. Immerhin ist Erdogan ja nominell demokratisch gewählt worden. Man kann froh sein, dass es bisher noch keine Volksabstimmung zu Todesstrafe für die ganzen "Verräter" in der Türkei gegeben hat.
Und selbst wenn das käme, auch das wäre demokratisch. Menschenverachtend, entwürdigend und barbarisch, aber demokratisch.
Das ist nun mal die Konsequenz, wenn du dein Volk gezielt verdummen lässt und es indoktrinierst. Und davon sind wir hier ja auch nicht weit entfernt.
Nicht die Wählerschaft muss sich ändern, sondern die Parteien und die politische Elite. Sonst ist der Einzug der AfD in den Bundestag nicht nur konsequent, sondern sogar verdient.

Ich habe nichts von Entzug des Wahlrechts geschrieben. Ich bin lediglich dafür, dass man eine gewisse Eignung hat und die auch nachweist. Die braucht man für alles andere auch. Im bürokratischen Deutschland braucht man quasi für alles einen Schein oder eine Genehmigung, warum also nicht dafür ? Man braucht sogar einen Holzleseschein, wenn man im Wald Äste aufsammeln will:rolleyes: oder einen Führerschein für ein Segway. Ich wiederhole mich...
Was alles totaler Schwachsinn ist.
Lassen wir uns das noch einmal auf der Zunge zergehen - weil es Menschen gibt, die ein an und für sich funktionierendes System nicht in deinem Sinne nutzen, möchtest du sie durch die Einführung eines schwachsinnigen Zertifikats indirekt vom Wählen ausschließen, mit der Begründung, dass solch ein Schwachsinn bereits in anderen Gebieten vorhanden ist. Wow...

Ich wäre ja der Meinung, Dinge, die nicht dem Menschen oder einem bestimmten Zweck dienen, rigoros abzuschaffen, anstatt solche Konzepte auch noch auszuweiten. Aber wir leben ja in einer Demokratie - hier kann ja jeder seine eigene Meinung haben.

Ich wüsste gerne, warum ein pauschales Wahlrecht für jeden Bio-Deutschen so ein hohes Gut sein soll, völlig ungeachtet von dessen Eignung oder Fähigkeit dazu.
Dann schau dir mal die Geschichte die Entwicklung der Demokratie und besonders die deutsche Geschichte der letzten 100 bis 150 Jahre an. Vielleicht kannst du Wahlrecht und Demokratie etwas mehr wertschätzen, wenn du weißt, wie die Verhältnisse davor waren und wie viele Menschen dafür ihr Leben lassen mussten, um diese Rechte zu erkämpfen.

Einfach nur aus Prinzip, weil ist halt so ? Selbst der sprichwörtliche Dorfdepp (Nicht aufregen, ist nicht gut für den Blutdruck:) Ich nehme den Begriff nur, weil man den eben kennt und sich vorstellen kann, was ich damit meine) darf wählen.
Das funktionierte mal, als es noch überschaubare Informationen gab, als Politiker sich zumindest den Anschein gaben, Inhalte zu haben, als nicht von allen Seiten Meinungsmacher und Populisten auf die Leute eingewirkt haben.
Jetzt funktioniert das nicht mehr und viele sogenannte Demokratien sind keine mehr, eben weil Demokratie keine Mittel hat, sich gegen Populisten oder tumbes Protestwählen zu wehren. Bisher noch keine, die wirklich eine ernsthafte gewesen ist, aber das kommt vielleicht auch bald.
Dem setze ich entgegen, dass Demokratie sehr Wohl Mittel und Wege hätte, solchen Populisten zu begegnen. Ich sage nur freie Presse, Bildung und Reife.
Wie es um diese Fertigkeiten bestellt ist, habe ich aber schon im ersten Abschnitt geschrieben, womit sich der Kreis wieder schließt.
Demokratie oder ein mangelndes Verständnis davon ist nicht unser Problem. Unser Problem lautet: "Bildungswüste und Bevormundung".
 
Zuletzt bearbeitet:

Filp

คนสร้างความยุ่งยาก
Otaku Veteran
Denn die Wahlergebnisse sind systematische Konsequenzen unseres Schul- und Bildungssystems, das nicht darauf ausgelegt ist, Weitblick, Reflektionsvermögen oder Empathie zu trainieren. Sondern das auf Anpassung und auf Gleichschaltung ausgelegt ist. Kreativität und Intelligenz fehl am Platze!
Komische Schulen hast du besucht, ich kenne es anders aus meiner Schulzeit und auch bei meinen Kindern ist es genau das Gegenteil, viel mehr sogar als bei mir.
 

ota-Q

Philanthrop
Otaku Veteran
Bin soeben auf den Artikel gestoßen und musste an dieses Thema hier denken. :oO:
Dem zweiten Punkt stimme ich klar zu, Politiker sind nicht die Herren des Volkes, sondern seine Diener.

Das mit der Wahlbeteiligung ist allerdings nicht so einfach. Das Problem bei tiefer Wahlbeteiligung ist jenes, dass das Ergebnis viel stärker von Wählermobilisierung abhängt als von der Meinung des Volkes. Einfach gesagt, Lügen und Angstmacherei wird zunehmend effizienter, was zu guten oder schlechten Entscheidungen führen kann. Auf jedenfalls sind sie leichter zu manipulieren als sie sein sollten. Und das Beispiel mit Nordkorea ist völliger Blödsinn.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben