[Biete] Slime Taoshite 300-nen, Shiranai Uchi ni Level Max ni Nattemashita [LN][GER][27/??][Update 10.2.22]

Edward Teach

Anime-Pirat
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Halkaras vermuteter Weggang

»Entschuldige bitte, große Meisterin, aber könnte ich meinen Essensdienst übermorgen mit deinem heute tauschen?«​
Es war am Morgen des fünften Tages nach dem Fest, und unsere alltägliche Ruhe war wiedergekehrt, als Halkara diese Frage stellte.​
»Ja, das ist in Ordnung. Gibt es übermorgen etwas Bestimmtes?«​
»Ich will nach Naskute.«​
Naskute war die Nachbarstadt von Flatta und lag etwas über eine Stunde zu Fuß entfernt. Auch ich ging hin und wieder dorthin, wobei die Betonung auf „hin und wieder“ liegt. Zum Einkaufen war es zu weit, und da es keine wirklich große Stadt war, gab es dort auch kaum Sachen, die ich unbedingt haben wollte. Es war ein unauffälliger Ort, den man als ein etwas größeres Flatta beschreiben konnte. Klar, da er nicht wirklich weit entfernt war, wäre es auch komisch gewesen, wenn der Ort ganz anders gewesen wäre.​
»Wieso willst du denn dahin?«​
»Zu einer Vorbesichtigung. So, ich gehe dann mal die Blumen gießen!«​
Halkara stand auf und war im Nu verschwunden. Das machte es schwierig zu fragen, um was für eine Besichtigung es sich handelte ... Am folgenden Tag während der Mittagspause blätterte Halkara im Wohnzimmer einen Stapel Blätter durch.​
»Hmmm, so viel Platz möchte ich schon haben. Nein, wenn schon, dann vielleicht sogar noch etwas mehr. Aber ich schätze, das muss ich direkt mit dem Immobilienmakler verhandeln ...«, hörte ich sie sagen.​
Wie, Immobilienmakler? Wollte sie ein Grundstück oder ein Gebäude kaufen? Hieß das etwa ... Wollte Halkara ein Haus kaufen und sich selbstständig machen?! Ehrlich gesagt, hatte ich schon eine leise Vorahnung gehabt. Die ganze Zeit über hatten wir Halkara wie einen Witz Chara behandelt. Natürlich hatte sie selbst die Gründe dafür geliefert, aber selbst dann war es vermutlich nicht lustig für sie gewesen, ständig der Gegenstand von Witzen und Kommentaren zu sein. Wenn es um ihre Fähigkeiten als Apothekerin ging, konnte ich versichern, sie immer als vollwertig behandelt zu haben. Aber ... ihr Privatleben und andere Dinge waren so chaotisch, dass es im Endeffekt so wirken konnte, als würde ich sie ständig kritisieren ... Was sollte ich tun? Sollte ich sie bitten, nicht zu gehen? Allerdings hatte sie bisher mit keinem Wort erwähnt, dass sie vorhatte auszuziehen, also wäre es doch komisch, wenn ich sie zum Bleiben drängte? Außerdem war sie erwachsen und es stand ihr frei zu entscheiden, wie sie ihre Zukunft gestalten wollte. Es war etwas anderes, als seinem Kind, das sein Studium antreten wollte, zu sagen, es solle von zu Hause aus zur Uni gehen. Während ich mir den Kopf zerbrach, war Halkara wieder irgendwohin verschwunden.​
»Beruhige dich ... Beruhige dich ... Es ist noch nicht klar, dass es das ist, was du denkst ...«​
Ich überlegte, ob es sich vielleicht nur um ein Missverständnis handelte, und sah mir die Papiere an, die Halkara dagelassen hatte.​
Es waren Immobilieninformationen der Stadt Naskute. Und einiges davon war rot angemarkert.​
»Wah! Das sieht ernst aus!«​
Da kam Laika herbeigelaufen. Sie wirkte aufgeregt. Noch dazu blickte sie unruhig um sich.​
»Meisterin Azusa, hast du ein paar Minuten Zeit für mich?«​
»Ja, was ist los?«​
»Ich bin mir noch nicht sicher, aber kann es sein, dass Halkara plant, dieses Haus zu verlassen?«​
»Glaubst du das auch, Laika?!«​
Da es kein Thema war, das wir hier besprechen sollten, gingen wir in mein Zimmer.​
»Ich bin vor Kurzem in den Raum gegangen, in dem Halkara ihre Medizin herstellt. Und da habe ich gehört, wie sie sagte: „Am nächsten Ort werde ich mehr Platz haben.“ Ich vermute, damit meinte sie ihren nächsten Wohnsitz ...«​
»Vermutlich ... Sie hat also doch vor, hier auszuziehen ...«​
Da sie bereits eine selbstständige Apothekerin war, hatte es nicht viel gegeben, das ich ihr beibringen konnte. Hatte ich mich überhaupt wie eine Lehrmeisterin verhalten? Ich hatte so meine Zweifel.​
»Ich habe ein wenig Recherchen über die Stadt Naskute betrieben. Sie ist niedriger gelegen als wir hier, weshalb der Wald in der Nähe der Stadt dichter ist und reich an Heilkräutern zu sein scheint. Ich frage mich, ob das der Grund ist, weshalb sie wegziehen will ...«​
Laika und ich schwiegen eine Weile.​
»Sollten wir sie bitten, nicht zu gehen?«​
Ich wusste nicht, was wir tun sollten, also fragte ich Laika.​
»Das solltest du entscheiden, Meisterin Azusa. Nur...das letztendliche Entscheidungsrecht liegt bei Halkara. Wir glauben zwar, wie eine Familie zusammenzuleben, sind aber keine echte.«​
Das stimmte. Noch dazu hatte Halkara weder mit mir noch mit Laika direkt über ihre Pläne gesprochen. Das bewies, dass sie nicht einmal hin und hergerissen war. Ihre Entscheidung stand mehr oder weniger fest.​
»Ja. Danke, Laika. Ich habe für mich eine Antwort gefunden.«​
Ich lächelte traurig.​
»Und wie lautet diese Antwort ... ?«​
»Bleibst du bitte kurz hier? Ich rufe meine Töchter.«​
Ich kam mit Falfa und Shalsha zurück, die in ihrem Zimmer gesessen und schwierige Bücher gelesen hatten.​
»Also, zunächst einmal: Was ich jetzt sage, dürft ihr auf keinen Fall Halkara erzählen. Ist das klar?«​
»Ja!«​
»Gut.«​
Die Zustimmung meiner Töchter hatte ich. Ich erzählte ihnen, dass Halkara offenbar vorhatte auszuziehen.​
»Waaas?! Halkara will weggehen?!«​
Falfa sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen.​
»Pssst, Falfa. Ja, leider ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch.«​
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte Shalsha.​
»Ich habe gehört, wie Halkara sagte: „Es wird langsam Zeit für mich, neu anzufangen“.« Also doch. Dann mussten auch wir alles tun, was wir tun konnten.​
»Hört zu. Diese Entscheidung trifft Halkara für ihr eigenes Glück, also sollten wir sie nicht daran hindern. Aber selbst wenn sie von hier weggeht, können wir für schöne Erinnerungen sorgen, nicht wahr?«​
Falfa nickte lebhaft.​
»Lasst uns morgen Abend zum Abschied eine große Überraschungsparty für sie veranstalten!«​
»Wieso morgen Abend?«​
Das war eine gute Frage, Laika.​
»Weil Halkara am Tag darauf in die Stadt zu einem Immobilienmakler geht. Falls unsere Idee sie rührt, könnte sie sich vielleicht doch noch entscheiden hierzubleiben.«​
Es war also nicht nur eine Abschiedsparty, sondern gleichzeitig unsere letzte Chance, Halkara zum Bleiben zu bewegen.​
»Die Abschiedsparty sollten wir machen, aber Abschied nehmen will ich nicht. Das ist es, was ich ehrlich empfinde.«​
Wir hatten praktisch nur einen Tag und ein bisschen Zeit. Also mussten wir in Windeseile alle Vorbereitungen treffen.​
»Laika, bitte koche uns ein gutes Party-Essen.«​
»In Ordnung. Aber welche Gerichte mag Halkara eigentlich?«​
»Hm. Sie liebt gute Drinks mehr als Essen ... Aber ich glaube, sie mag Gemüse. Wahrscheinlich, weil sie eine Elfe ist.«​
»Stimmt. Dann werde ich so viel Gemüse wie möglich ins Menü packen.«​
»Und ich fliege los und kaufe teure Getränke.«​
Wann sollte man Geld ausgeben, wenn nicht zu solchen Gelegenheiten? Ich würde bis Vitamei, die Hauptstadt der Provinz Nanterre, fliegen und Alkohol kaufen, der so teuer war, dass es Halkara umhauen würde.​
»Und was sollen Shalsha und ich machen, Mama?«​
Mal sehen ... die beiden ... Richtig, sie sollten das Privileg, das Kinder genossen, maximal nutzen.​
»Ihr beiden schreibt einen Brief.«​
»Was meinst du?«​
»Ihr schreibt Halkara einen Brief und lest ihn ihr laut vor. > Es war schön, mit dir zusammenzuleben. Wir haben diese und jene Erinnerungen... und so weiter und so fort.«​
Das musste enorm wirken. Vielleicht würde sie es sich dann anders überlegen mit dem Ausziehen ...​
»Weißt du was, Mama, Shalsha kann auch richtig gute Porträts zeichnen!«​
Das war eine interessante, aber gleichzeitig irgendwie schockierende Nachricht, die da von der älteren Schwester kam.​
»Huch? Davon wusste ich ja gar nichts ...«​
»Shalsha ist es peinlich, ihre Bilder zu zeigen, sie versteckt sie deshalb immer. Und in letzter Zeit hat sie auch nicht gemalt. Wahrscheinlich weißt du es deswegen nicht, Mama.«​
Shalsha schien sich unwohl zu fühlen, weil Falfa die Sache ausgeplaudert hatte, und zog ihre Brauen düster zusammen.​
»W... Wenn ich gut geworden bin, werde ich die Bilder anderen zeigen ... Bis dahin halte ich sie unter Verschluss ...«​
Ich wollte diese Bilder furchtbar gerne sehen. Es waren die Bilder meiner Tochter. Natürlich wollte ich sie sehen.​
»Du, Shalsha, kannst du sie mir zeigen? Wenn du nichts dagegen hast? Ich würde sie zu gerne sehen. Ich würde so gerne diese unbekannte Seite von dir kennenlernen.«​
»Gut. Aber sag nicht, sie seien gut, wenn sie es nicht sind. Eine falsche Wahrnehmung vernebelt das Auge, das sonst die Wahrheit erkennen würde.«​
»Verstanden, ich verspreche es. Ich werde dich nicht täuschen, Shalsha.«​
Shalsha nickte, sagte: „Ich hole sie“, und lief in ihr Zimmer.​
»Das sind sie ...«​
Als Shalsha zurück war, streckte sie mir unsicher eine Art Skizzenbuch entgegen. Die Zeichnungen waren nicht koloriert, aber sie waren sagenhaft gut. Es waren auch einige realistische Porträts darunter. Wahrscheinlich handelte es sich um Leute, die Shalsha früher einmal in der Stadt kennengelernt hatte. Einige davon schienen auch sie selbst, Shalsha, darzustellen.​
»Also, wir reden hier nicht von Bildern, über die eine Mutter Oh, wie toll sagt, um ihr Kind zu loben. Die Sachen sind richtig gut ... Und nicht nur das, man spürt richtig die Seele der Modelle ... Bei dieser Person wird einem klar vermittelt, dass sie ein gutes Herz hat ...«​
Laika hatte sich vor gelehnt, um die Bilder auch sehen zu können, und sagte erstaunt: »Sie könnte sofort bei einem Künstler in die Lehre gehen ... Dieses Talent sollte unbedingt gefördert werden.«​
»Sie sind noch nicht gut genug, um sie anderen Leuten zu zeigen. Mir ist das peinlich ...«​
Wenn sie das hier nicht vorzeigen konnte, würde ich gerne von ihr wissen, welche Dimension sie erreichen musste, um ihrer Meinung nach präsentabel zu sein. Ich legte meine Hände auf Shalshas Schultern.​
»Shalsha, ich ernenne dich hiermit zur Porträtzeichnerin von Halkara. Es kann ruhig etwas unausgefeilt sein, aber zeichne eins. Auch wenn sie sich entscheidet, von hier wegzugehen, wird das bestimmt ein Schatz fürs Leben für sie.«​
»Gut. Ich tue, worum du mich bittest, Mutter«.​
Shalsha nickte.​
»Aber versprich mir, nicht gucken zu kommen, bis ich fertig bin. Es ist noch viel peinlicher, wenn jemand ein Bild von mir sieht, das noch in Arbeit ist.«​
»Ich werde auf keinen Fall gucken. Ich verspreche es. Ich werde mich nicht so verhalten wie der Mann in Der dankbare Kranich.«​
»Der dankbare Kranich«?​
»Ein Märchen. Ein weiblicher Kranich wird aus einer Falle befreit und erscheint in Menschengestalt, um die Wohltat zu vergelten. Sie webt ein Tuch für ihren Retter, aber obwohl dem Retter gesagt wurde, er dürfe nicht ins Zimmer schauen, tut er es. Er entdeckt, dass sie als Kranich die Arbeit verrichtet, und sie verlässt ihn.«​
»Ah. Die Geschichte ähnelt einer Sage aus dem Süden.«​
Das war eine geisteswissenschaftliche Aussage, die ich nicht ganz nachvollziehen konnte ... Aber jedenfalls schien es eine ähnliche Geschichte zu geben.​
Nachdem nun im Großen und Ganzen feststand, was wir vorbereiten wollten, ging ich noch am selben Tag los, um die Getränke zu kaufen. Ich erstand eine Flasche Wein für 300.000 und eine Flasche Schnaps für 500.000 Gold.(Entspricht etwa 2.400 und 4.000 Euro.) Ich wollte nicht darüber nachdenken, wie vielen Schleimen das entsprach. Ich hatte genug Ersparnisse. Ich hätte ihr auch zehn Flaschen kaufen können.​
Dann kam der nächste Morgen und der Tag der Party war da.​
Es gab allerdings noch ein Problem. Wenn Halkara den ganzen Tag über zu Hause bliebe, könnten wir nichts vorbereiten.​
»Halkara, ich würde heute Nachmittag gerne Pilze sammeln gehen. Könntest du mir dabei helfen?«​
»Ja, in Ordnung, große Meisterin!«​
Okay, der Plan, Halkara aus dem Haus zu schaffen, hatte funktioniert. Wir aßen zu Mittag und brachen in Richtung Wald auf. Ich war schon oft in diesem Wald gewesen, lange bevor Halkara aufgetaucht war. Aber die Namen so einiger Pilze hatte ich erst von ihr gelernt.​
»Heute sind wir aber spät dran mit dem Pilze sammeln. Normalerweise machen wir das vormittags.«​
»Ach, ich habe so meine Gründe.«​
Der Gedanke, dass es das letzte Mal sein könnte, dass wir zusammenarbeiteten, machte mich ein wenig melancholisch.​
»Du siehst irgendwie traurig aus, große Meisterin. Ist etwas passiert?«​
»Ach, man könnte sagen, ich habe über eine Trennung nachgedacht.«​
»Oh. Geht es um den Todestag eines Geliebten oder so etwas?«​
Halkara hatte da etwas missverstanden. Aber das war auch kein Wunder.​
»Nein, das nicht, aber eine Trennung kann manchmal schon plötzlich kommen, nicht wahr?«​
»Ja, das stimmt. Und auch die Seite, die sich trennen will, zerbricht sich den Kopf darüber, wann sie etwas sagen soll.«​
Oh, wenn das keine Anspielung war ...​
»Ich habe ein einigermaßen außergewöhnliches Leben geführt, aber ich nehme mir immer vor, mich sauber zu trennen. So, dass die Trennung für beide Seiten einen Sinn hat, sozusagen. Und dass man einen Schritt nach vorne tun kann, ohne Reue mit sich herumzuschleppen.«​
»Ja, das verstehe ich ...«​
»Huch, weinst du etwa, große Meisterin?«​
»N... Nein, tue ich nicht ..«​
Langsam wurde es dunkel. Vermutlich waren die Vorbereitungen abgeschlossen.​
»Wollen wir nach Hause gehen?«​
»Ja, große Meisterin!«​
Wahrscheinlich würde sie mich nur noch wenige Male so rufen.​
Als wir zu Hause ankamen, sagte ich:​
»Warte mal einen Moment draußen«, und ging hinein, um den anderen mitzuteilen, dass wir wieder da waren. Dann ging ich zur Eingangstür zurück.​
»Tut mir leid, dass du warten musstest. Gehen wir rein.«​
»Aha ... Was ist denn los?«​
Halkara trat mit verwundertem Gesichtsausdruck ins Haus.​
Als Nächstes öffnete sie die Wohnzimmertür.​
»Vielen Dank für alles, Halkara!«​
Alle lächelten und sprachen im Chor. Dann begannen diejenigen, deren Hände frei waren, zu klatschen.​
»Ahm, was ist das hier bitte ... ? Da hängt auch ein Schild mit der Aufschrift Gib auch in Zukunft dein Bestes, Halkara!«...« Halkaras Augen flatterten unruhig hin und her. Die Überraschung war uns geglückt. Wunderbar, nun konnte Teil zwei des Plans beginnen. Falfa trat zu Halkara vor.​
»Ich werde dir jetzt einen Briefvorlesen.«​
»Was? Einen Brief?!«​
»Liebe Halkara! Du hast mir viele leckere Säfte zubereitet. Du hast mir auch viele interessante Dinge über Pflanzen erzählt, und jetzt macht es mir großen Spaß, Pilze zu betrachten. Du bist zwar ein bisschen schusslig, aber dafür wirst du niemals wütend auf jemanden und du warst immer nett zu uns. Als ich erfahren habe, dass du wegziehst, hat mich das sehr traurig gemacht. Wenn es möglich ist, möchte ich, dass du hierbleibst und mir noch viele interessante Geschichten erzählst. Aber ich wünsche mir auch, dass du an einem neuen Ort viele neue Dinge tun kannst ... Vielleicht wird es manchmal schwierig für dich werden ... aber Lass dich nicht unterkriegen und behalte dein Läch ... Uh ... Uuuuuh ... Bitte geh nicht weeeg ... !«​
Von Gefühlen überwältigt, begann Falfa zu weinen. Es wäre komisch gewesen, meiner weinenden Tochter „Gut gemacht!“ zuzurufen, aber vermutlich hatte sie es geschafft, Halkara zu rühren.​
»Den schenke ich dir!«​
»Oh ... D ... Danke ..«​
Halkara nahm den Brief an sich.​
»Ähm, was um alles in der Welt ist ..«​
Dann war Shalsha an der Reihe.​
»Ich habe an dich gedacht und das hier gezeichnet, Halkara.«​
Es war ein Bild von Halkara, wie sie im Medizinzubereitungsraum saß. Wie erwartet war es sagenhaft gut. Man erkannte darauf auch Halkaras Beruf.​
»Uuuhm, also ... vielen Dank ...«​
Halkara war perplex, nahm das Bild aber an.​
»So, das war genug fürs Herz. Jetzt wollen wir feiern und fröhlich sein!«​
Ich stellte die Flaschen auf den Tisch.​
»Hier haben wir den Wein Tränen einer Göttin für 300.000 Gold und den Schnaps Pracht für 500.000 Gold! Das war wirllich ein Rieseneinkauf, also genieße den Geschmack, bevor du betrunken bist!«​
»Waaaaaaas?! Große Meisterin, ist das eine Art Fehler oder so was …?«​
»Nein, es ist kein Fehler! Du planst doch, nach Naskute zu ziehen! Deswegen feiern wir heute deinen Neuanfang!«​
Halkara war plötzlich kreidebleich geworden.​
»Was ist? Fängst du auch gleich an zu weinen? Das kannst du gerne. Wir sind schließlich deine Familie, und wir bleiben eine Familie, auch wenn wir getrennt sind!«​
»Ihr habt das missverstanden! Ich habe nicht vor auszuziehen!«​
Halkaras Aufschrei hallte durchs Zimmer. Wir starrten sie verdutzt an.​
»Huch? Aber du gehst doch morgen nach Naskute zu einem Immobilienmakler?«​
»Ja schon, aber ich habe nicht vor auszuziehen.«​
»Was dann? Oder willst du nur dann ausziehen, wenn du ein geeignetes Haus findest?«​
War das in etwa so, als wenn man die Kündigung bei seiner Firma erst einreichte, nachdem man die Zusage für einen neuen Arbeitsplatz in der Tasche hatte?​
»Nein, ich meine, ich habe überhaupt nicht vor auszuziehen! Ich gehe zum Makler, weil ich in Naskute eine Medizin- und Getränkefabrik bauen möchte!«​
Ach ja. Hatte sie nicht vor langer Zeit einmal gesagt, sie denke über eine Fabrik nach ..?​
»Huch ... Das heißt, alles war ein Missverständnis von unserer Seite aus …?«​
»Sieht so aus. Ich habe zumindest vor, weiterhin in diesem Haus zu leben.«​
Mit anderen Worten: Dies war keine Abschiedsparty mehr.​
»Aaah! Ich hätte mir gar keine Sorgen machen müssen.«​
Ich ließ die Schultern sinken. Ich fühlte mich erschöpft.​
»Und ich habe 800.000 Gold nur für Getränke verbraten ...«​
»Es tut mir leid, Meisterin Azusa. Ich hätte nach Beweisen suchen sollen, die den Verdacht bestätigen.«​
»Hallo?! Irgendwie benehmt ihr euch, als sei ich an der Sache schuld, kann das sein? Ist das nicht total komisch?!«​
Zum Glück reagierten in solchen Situationen Kinder rein und ehrlich.​
»Du gehst also nicht weg! Ich freue mich so sehr!«​
Falfa umarmte Halkara.​
»Oh ... Danke! Endlich habe ich das Gefühl, dass sich jemand freut!«​
Richtig. Wir hatten unzweifelhaft Grund, froh zu sein, und mussten nur den Grund für die Party ändern.​
»Hiermit beginnen wir mit der „Herzlichen Glückwunsch, Halkara bleibt bei uns-Party!“ Nehmt euch alle ein Glas mit Wein oder Saft zum Anstoßen!«​
Das Abendessen an jenem Tag war außerordentlich üppig.​
»Aaah, dieser Wein ist unheimlich rund und ausgereift. Unwiderstehlich!«​
»Natürlich ist er das. Trink und vergieße Tränen der Rührung. Einen so teuren Wein habe ich so gut wie noch nie getrunken.«​
Höchstens, wenn ich mal ins Dorf zu einer Veranstaltung eingeladen worden war und eine besondere Flasche geöffnet wurde.​
»Das Essen schmeckt auch wahnsinnig gut. Sind diese Gerichte etwa alle auf meine Vorlieben abgestimmt?«​
»Ja, ich habe bewusst beim Kochen darauf geachtet, deinen Geschmack zu treffen. Ich persönlich hätte gerne noch ein paar Fleischgerichte mehr gehabt. Greif zu, ich möchte nicht, dass etwas übrig bleibt.«​
Laika trug ein Gericht nach dem anderen herein. Erst erschienen mir die einzelnen Teller nicht so groß, aber sie hatte sich wohl dafür entschieden, mit der Anzahl der Gerichte zu beeindrucken.​
Laut Halkara lag Naskute gerade noch in einer Entfernung, die man täglich hin und zurück zu Fuß bewältigen konnte, und da sie die Direktorin war, wäre es gar nicht nötig, jeden Tag hinzugehen, wenn die Arbeit erst einmal gut lief.​
»Aber kostet der Bau einer Fabrik nicht Unsummen?«​
»Ich investiere das Geld, das ich bisher verdient habe. Aber ich habe es so arrangiert, dass ich keine Schulden haben werde, selbst wenn das Unternehmen erfolglos sein sollte, also ist dieser Teil sicher. Schließlich gibt es mehrere Risikofaktoren zu bedenken, wenn ich mich auf Neuland begebe ...«​
Was Management anging, wirkte Halkara zuverlässig, also würde das Unternehmen vermutlich florieren. Außerdem hatte sie in der Vergangenheit schon einmal Erfolg gehabt.​
»Naskute liegt am Fuß eines Gebirges. Deshalb fließt dort Grundwasser ein und macht die Stadt reich an Quellwasser. Wenn ich dieses Wasser benutze, könnte ich Gesundheitsdrinks wie den Nährschnaps in großen Mengen verkaufen!«​
Diesen Teil hatte sie offensichtlich gründlich durchdacht.​
»Außerdem ist die Zahl der Arbeitskräfte in Flatta begrenzt, aber in Naskute könnte ich etwa zehn Leute anstellen. Und wenn Einwohner von Naskute für mich arbeiten, habe ich neue Arbeitsplätze geschaffen. Das ist nicht schlecht, oder?«​
»Verstehe. Dann sieh mal zu, dass das Unternehmen die neue Attraktion von Naskute wird.«​
»Ja! Ich werde arbeiten, und wie!«​
Nach drei Minuten war Halkara allerdings so betrunken, dass man kein konstruktives Gespräch mehr mit ihr führen konnte ...​
»Ich vermute, es wird ein Erfolg«, sagte Laika mit einem Lächeln, als würde sie über Halkara wachen.​
»Du hast recht. Vielleicht sollten wir noch mal eine Party geben, wenn die Fabrik angelaufen ist.«​
Wir hatten den Neustart eines Familienmitglieds gefeiert. Alles war gut ausgegangen.​

 
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Ein Geist erscheint

Halkaras Projekt entwickelte sich nach Plan, und dann war es endlich so weit und die Fabrik stand kurz vor ihrer Inbetriebnahme. Es war zwar von einer Fabrik die Rede, aber weder verliefen riesige Rohre durch das Gebäude, noch waren modernste Roboter am Fließband im Einsatz. Diese Art von Industrie gab es hier nicht. Grundsätzlich unterschied es sich nicht von einem normalen Laden. Es handelte sich vielmehr um eine etwas größere Form von Heimproduktion, sogar die Etiketten wurden von Hand auf die Flaschen geklebt. Was den Bau der Fabrik an sich betraf, so war er in nur fünf Tagen beinahe komplett abgeschlossen gewesen, da Laika ein paar Drachen Bekannte angesprochen und auch selbst mitgeholfen hatte. Halkara hatte daraufhin gesagt:​
»Ich habe Baukosten gespart, also werde ich den teuren Wein von der Abschiedsparty bezahlen ...«, aber ich fand, darüber sollte sie sich keine Gedanken machen.​
Später, wenn sie Gewinn machte, konnte sie mich gerne einladen.​
Ein fertiggestelltes Gebäude machte allerdings eine Fabrik noch nicht einsatzbereit. Eine Weile war Halkara sehr damit beschäftigt, ein Liefersystem für die nötigen Zutaten auszuarbeiten und die Ausstattung bereitzustellen. Sie arbeitete von frühmorgens bis spät in die Nacht und war völlig erschöpft. Was den Arbeitsweg anging, flog Laika sie in Drachengestalt hin und zurück. Schließlich war es gefährlich, jemanden mit Halkaras Figur nachts alleine herumlaufen zu lassen.​
»Ahm, arbeitest du nicht zu viel? Du darfst auf keinen Fall an Überarbeitung sterben ...«​
»Nein, nein, wenn ich erschöpft bin, muss ich nur eine Flasche Nährschnaps trinken, dann kann ich eine Weile weitermachen. Aber in letzter Zeit ist mein Konsum an Nährschnaps tatsächlich gestiegen ...«​
Das klang überhaupt nicht gut! Ich konnte nicht tatenlos zusehen, ohne mich einzumischen, nur weil sie erwachsen war!​
»Ab jetzt wirst du abends um acht Uhr nach Hause kommen!​
Das ist ein Befehl deiner Lehrmeisterin!«​
»Hmmm ... Wenn ich das tue, verzögert sich die Arbeit ...«​
»Dann stell Leute ein und regele das irgendwie anders! Wenn du dich übernimmst, kippst du wirklich noch um! Umkippen ginge ja noch, aber wenn du daran stirbst, war's das!«​
»Große Meisterin, in dem Punkt wirst du nicht nachgeben, oder …?«​
Da ich sehr entschlossen gesprochen hatte, waren Halkaras Augen vor Überraschung geweitet.​
»Naja, schließlich bin ich selbst schon mal an Überarbeitung gestorben ...«​
In meinem vorigen Leben in Japan war ich eines Tages plötzlich zusammengebrochen. Als ich Halkara erzählte, wie bitter ich dies bereute, nahm ihr Gesicht einen ernsten Ausdruck an.​
»Verstanden. Ich werde auch darauf achten, dass meine Angestellten eine gute Balance zwischen Privat- und Arbeitsleben finden! Und auch ich werde mir freie Tage nehmen!«​
So hatte ich Halkara halb gezwungen, ihre katastrophale Arbeitssituation zu verbessern, und dachte, einer Inbetriebnahme der Fabrik stünde nun nichts mehr im Wege. Doch …​
»Ich finde einfach nicht genug Angestellte ...«​
Es war am Morgen, und Halkara sah aus, als ginge sie auf eine Beerdigung.​
»Wieso? Zahlst du so schlecht?«​
»Von wegen! Im Gegenteil, ich biete deutlich mehr als das durchschnittliche Gehalt dort!«​
Was gab es dann für einen Grund? Mieden die Leute den Job, weil er eher ungewöhnlich war? Ob man in dieser ländlichen Umgebung konservativ war?​
»Immer wieder erscheint etwas. Das Gelände ist bekannt dafür.«​
»Was denn? Meinst du, dass Quellwasser austritt?«​
»Nein, das brauchen wir ja. Ich meine einen Geist ...«​
Halkara sprach in absichtlich gruseligem Ton.​
»Ein Geist, soso. Gibt es so was denn wirklich?«​
Ehrlich gesagt war ich nicht überzeugt.​
»Ich habe es zunächst auch nicht geglaubt. Aber gestern habe ich ihn selbst gesehen. Ich war nachts am Arbeiten, als ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen mit kurzem Haar ...«​
Halkaras Geschichte war folgendermaßen:​
Vor mehreren hundert Jahren hatte dort ein Kaufmann gelebt, der bankrottgegangen war. Es hieß, er habe versucht, seine fünfzehnjährige Tochter in eine Art Bordellviertel zu verkaufen, um zu Geld zu kommen. Die Tochter, der man gesagt hatte, sie werde einen reichen Adligen heiraten, befand sich in freudiger Aufregung, doch als der Tag kam, erfuhr sie von ihrem wahren Schicksal. Es hieß, sie habe sich in ihrer Verzweiflung erhängt. Die Folge war, so hieß es, dass seither der Geist des Mädchens an diesem Ort erschien und Ärger machte. Das waren ziemlich viele „Es hieß“, aber bei solchen Geschichten, die auf Hörensagen basierten, war es schwierig, exakte Informationen zu bekommen. Da konnte man nichts machen. Jedenfalls war es in Naskute eine berühmte Geschichte und es reichte schon, den Ort zu nennen, um Leute davon abzuhalten, dort zu arbeiten.​
»Ich hatte mich schon gewundert, warum das Grundstück so günstig war ...«​
»Sieht so aus, als hätte man dir eine Problemimmobilie angedreht ...«​
Halkara mochte eine fähige Managerin sein, aber in solchen Dingen war sie unachtsam.​
»Wenn dieser Geist verschwinden würde, wären alle Probleme gelöst! Ich muss unbedingt etwas tun!«​
»Das ist theoretisch richtig.«​
»Also, große Meisterin, würdest du mir helfen?«​
»Was?«​
Ich wiegelte ab.​
»Diese Art Geschichten liegt mir nicht .. . Ich meine, man könnte verflucht werden oder so ...«​
Ich war einfach nicht immun gegenüber Gruselgeschichten ... Flüche, verwunschene Dörfer und Ähnliches waren schlichtweg nicht mein Ding.​
»Aber du bist eine Hexe, dir passiert nichts! Und wenn man so stark ist wie du, würde auch ein Geist die Flucht ergreifen! Exorziere den Geist, bitte!«​
Das sagte sie so einfach ...​
Unter den Zaubern, die ich ausführen konnte, war keiner, der mit Exorzismus zu tun hatte. War das nicht ein Job für Geistliche? Ich beschloss, jemanden zu fragen, der sich damit auskannte.​
Und so wandte ich mich an Shalsha, die in Geisteswissenschaften sehr bewandert war.​
»Geister werden in der Wissenschaft als entkörperlichte, isolierte Seelen bezeichnet. Es ist ein Sammelbegriff für Seelen, die ihre biologischen Körper verlassen haben.«​
»Das ist ziemlich speziell und schwer verständlich. Kannst du es ein bisschen einfacher ausdrücken?«​
»Es gibt zwei Arten von isolierten Seelen. Eine ist an den Ort gebunden, an dem sie gestorben ist, und kann sich von dort kaum weg rühren.«​
Aha, eine Art Hausgespenst also.​
»Die andere Art kann sich relativ frei bewegen und fliegt aus eigenem Willen überall herum. Im vorliegenden Fall wird der Geist immer am selben Ort gesichtet, weshalb es sich vermutlich um Typ eins handelt.«​
»Also sozusagen ein Hausgespenst. Wie kann man dagegen vorgehen?«​
»Es ist nicht unmöglich, ihn mithilfe von religiösen Items zu vertreiben, aber solange der Geist keine klare Feindschaft gegenüber Menschen zeigt, dürfen Geistliche das grundsätzlich nicht tun. Schließlich würde das einer Schändung von Seelen gleichkommen.«​
Das heißt, wir mussten uns selbst um die Sache kümmern.​
Ich ging zu Halkara zurück und berichtete ihr von meinem Gespräch mit Shalsha.​
»Also gut. Wir werden nachts hingehen und uns die Sache angucken.«​
»Oh, vielen Dank, große Meisterin!«​
»Allerdings nur, wenn wir Unterstützung kriegen.«​
»Unterstützung?«​
»Ich rufe Beelzebub.«​
Als hochrangiger Dämon konnte sie sich unmöglich vor Geistern fürchten. Den Zauber, mit dem man sie herbeirufen konnte, kannte ich bereits. Um nicht zu sagen, sie hatte mir bei unserer ersten Begegnung von sich aus erzählt:​
»Man kann mich übrigens mit einem Zauber rufen«, und ihn mir beigebracht. Ich hatte ihn noch nie benutzt, aber da sie auch aufgetaucht war, als wir das Café betrieben, vermutete ich, dass sie gerne zu speziellen Gelegenheiten eingeladen werden wollte. Laika hatte einmal gesagt:​
»Bei den Dämonen hat sie eine so hohe Position, dass es wahrscheinlich schwierig für sie ist, Freunde zu finden. Bestimmt gibt es Leute, die sich bei ihr einschmeicheln, weil sie mächtig ist, aber richtige Freunde sind etwas anderes.«​
Damit könnte sie ziemlich richtigliegen. Deshalb würde ich nicht zögern, Beelzebub zu rufen. Ich trat nach draußen, zeichnete einen magischen Kreis und rezitierte einen besonderen Zauberspruch.​
»Vosanosanonnjishidau Veiani Enlira!«​
Die Worte klangen rätselhaft, da sie nicht nur Dämonisch, sondern noch dazu Altdämonisch waren. Ich wusste zwar nicht recht, was sie bedeuteten, aber bei Zaubersprüchen reichte es, wenn die Wörter richtig ausgesprochen wurden. Dem magischen Kreis entstieg unheilvoller, schwarzer Dunst. Vermutlich war das ein Erfolg. Ich fand diesen Zauber denkbar hexenmäßig und wartete auf eine Reaktion. Und wartete. Wartete ganz ruhig. Fünf Minuten vergingen. Nun, dies war nicht die Zaubertür, die ein gewisser Katzenroboter besaß. (Anspielung auf den Manga Doraemon.) Wahrscheinlich dauerte es noch ein bisschen, bis sie erschien.​
»Am besten gehe ich erst mal zurück ins Haus.«​
Als ich das Haus betrat, war dort Beelzebub, die aus irgendeinem Grunde bis auf die Haare klitschnass war. Mich überkam das vage Gefühl, mir einen fetten Schnitzer geleistet zu haben, und ich schloss leise die Tür. Die Tür wurde wieder geöffnet.​
»He, du hast mich doch gerufen. Warum gehst du weg?«​
»Ach, ich ... Ich dachte, vielleicht hab ich etwas falsch gemacht ..«​
»Das hast du! Guck, was deinetwegen mit mir passiert ist! Deine Aussprache war so schlecht, dass ich an den falschen Ort gerufen wurde!«​
Ach so. Dieser Dämonenzauber rief Beelzebub also direkt herbei.​
»Wieso ist überhaupt an einem Vormittag lauwarmes Wasser in eurer Badewanne? Ich bin mitten da rein verfrachtet worden. Eine Katastrophe!«​
»Wir heben immer das Wasser vom Vortag auf, um das Feld zu bewässern und so. Sehr ökologisch, oder?«​
»Ja, sehr ökologisch, aber katapultiere mich nicht da rein!«​
Die Worte dieses Zaubers waren in Altdämonisch und die Aussprache war nun mal leider schwierig. Es gab auch unheimlich viele Intonationsmöglichkeiten ...​
Beelzebub sprach übrigens fließend unsere Sprache. Dämonisch war allerdings eine ganz andere Sprache und sie war zudem auch ziemlich schwierig zu schreiben.​
»Es tut mir leid. Vor dem nächsten Mal werde ich gründlich üben.«​
»Mann, Mann, Mann ... Obwohl es seltsam ist, dass ein Mensch einen Dämonenzauber anwenden kann, den er erst einmal vorgeführt bekommen hat ... Du scheinst also doch ein gewisses Talent zu haben ...«​
Das könnte natürlich. an meinem Level 99 liegen. Halkara beeilte sich, Beelzebub etwas zu trinken zu bringen. Auch sie hatte offenbar nicht gedacht, dass Beelzebub so schnell hier sein würde.​
»Und? Was gibt es?«​
Beelzebub war völlig durchnässt und schlecht gelaunt. Das war die schlechteste Ausgangssituation, um sie um etwas zu bitten.​
»Dazu wird Halkara etwas sagen.«​
»Waas?! Große Meisterin, bitte spiel nicht mir den Ball zu!«​
Nun, aber es war Halkaras Anliegen, also musste sie sich jetzt darum kümmern.​
»Ich werde nicht sauer, also sag, was du zu sagen hast.«​
»Gut, dann erzähle ich es dir ... Ich baue eine Fabrik in einer nahe gelegenen Stadt. Aber es spukt dort und das bereitet mir Probleme ... Ähm, also da dachte ich mir, wenn ein Dämon wie du käme, könnte der Geist Angst kriegen ... und das Problem wäre vielleicht gelöst ...«​
»Wegen so einer unbedeutenden Kleinigkeit habt ihr mich gerufen?!«​
»Du hast gesagt, du wirst nicht sauer! Es ist unfair, jetzt sauer zu werden!«​
Was den Punkt betraf, hatte Halkara recht. Aber auch Eltern sagten oft, sie würden nicht wütend werden, wenn man ihnen die Wahrheit sagte, und dann wurden sie es doch. Auch meine Eltern hatten Haarspalterei betrieben und behauptet, sie seien nicht wütend geworden, sie hätten nur geschimpft.​
»Oooh, Mann ... Da wird man direkt aus einer Konferenz über Landwirtschaftliche Förderung herausgerufen und dann das ... Ich wette, die Bürokraten nörgeln nachher an mir herum ...«​
Wir hatten sie offenbar aus einer ziemlich wichtigen Sitzung herausgeholt.​
»Aber nun bin ich eben hier und kann es nicht ändern. Bringt mich zur Fabrik. Ich werde diesen Geist zusammenschlagen.«​
Da es der Geist eines jungen Mädchens war, wünschte ich mir, sie würde nicht gleich so weit gehen und sie zusammenschlagen.​
»Also, der Geist erscheint nur nachts. Würdest du bitte so lange warten?«​
»Warum ruft ihr mich dann nicht wenigstens erst am Abend?!« Beelzebub explodierte erneut.​
»Entschuldige bitte. Aber ich wusste nicht, dass wir dich mit dem Zauber direkt herrufen würden.«​
»Stimmt auch wieder ... Das ist meine Schuld ... Dann gebt mir bis heute Abend ein unbenutztes Zimmer ... Ich werde in der Zeit Unterlagen für die Konferenz vorbereiten, an denen keiner etwas aussetzen kann.«​
Wir warteten gespannt auf den Abend und riefen sie dann. Beelzebub klagte:​
»Wenn es etwas später am Abend geworden wäre, hätte ich die Unterlagen fertig bekommen ...«​
Offensichtlich hatte sie die ganze Zeit gearbeitet. Wie auch in Flatta, liefen in Naskute spätabends nur wenige Menschen herum. In der Stadt war es still und dunkel. Und selbstverständlich gab es in dieser Welt keine Neonreklame oder Ähnliches. Die Nacht war zum Schlafen da. Es war falsch, um diese Zeit zu arbeiten. Deshalb war ich gegen Überstunden. Hört auf zu arbeiten, wenn die Sonne untergegangen ist! Mist. Da kamen schon wieder Erinnerungen an mein voriges Leben hoch ... In der Fabrik war es gespenstisch still.​
»Sag mal, Azusa. Du lebst doch schon seit dreihundert Jahren, bist also selbst so was wie ein Monster. Wozu brauchst du mich eigentlich?«​
»Ich komme nicht gut klar mit Gespenstern und so. Ich kann nichts besiegen, was keinen Körper hat.«​
»Aber Falfa und Shalsha sind doch auch eine Ansammlung von Schleimseelen ... Nun, vielleicht lassen sich diese Dinge nicht logisch erklären.«​
Beelzebub schritt stramm voran. Und ich wusste, dass ich die richtige Person angesprochen hatte . Da in dieser Welt nichts elektrisch betrieben wurde, war es nachts in einem menschenleeren Gebäude völlig still. Wenn doch wenigstens das Geräusch eines Kühlschranks oder eines Ventilators zu hören gewesen wäre ... Das hätte mich ein bisschen beruhigt. Da ich nicht den Mut hatte, im völligen Dunkel herumzulaufen, hatte ich Handlaternen mitgebracht. Richtig, gab es nicht einen Zauber, mit dem man dunkle Zimmer erleuchten konnte? Den sollte ich mir besser mal vornehmen ...​
»Uuuh, ich glaube, es spukt hier ...«​
»Bist du bescheuert? Ihr habt mich gerufen, weil es spukt, oder? Wenn kein Geist erscheint, kann ich ihn auch nicht besiegen.«​
Dieser Dämon war eine wahre Pragmatikerin.​
»Du, Beelzebub, kann ich deine Hand halten?«​
»Meine Hand halten ... ? Hmmm, na gut, mach, was du willst. Es fühlt sich an, als wenn wir peinliche kleine Mädchen wären ... aber verlieren kann ich schließlich auch nichts dabei«, sagte Beelzebub und streckte ihre rechte Hand nach hinten aus.​
Sie war wirklich der Typ verlässliche ältere Schwester.​
»Große Meisterin, bitte halte auch meine Hand!«​
Halkara griff nach meiner rechten Hand, und so gingen wir zu dritt Händchen haltend weiter, was einigermaßen seltsam aussehen musste. Wenn wir nebeneinander gegangen wären, hätten wir uns gegenseitig im Weg gestanden, weshalb wir nacheinander gingen, während wir tiefer ins Gebäude vordrangen.​
»So aneinandergereiht sind wir ganz schön schwer ... Ich fühle mich, als wäre ich zu einem Tausendfüßler Dämon geworden ... Das ist ein Dämon, bei dem mehrere Körper aneinander gekettet sind. Die meisten erstarren vor Furcht, wenn sie so einen das erste Mal sehen.«​
»K... Keine gruseligen Geschichten bitte!«​
»Ja, ja, schon gut. Wenn euer mickriger kleiner Geist auftaucht, werde ich schon nicht verlieren, also macht euch keine Sorgen.«​
Ich bekam nichts mit, weil ich auf den Boden starrte, aber Beelzebub schien sich in der Gegend umzusehen, während wir vorangingen.​
»Ach ja, sag mal, Halkara: Wo genau taucht der Geist eigentlich immer auf?«​
»Er erschien in dem Zimmer da vorne, als ich darin gearbeitet habe.«​
»Verstehe, verstehe. Dann werden wir uns zuerst den Raum vornehmen.«​
»Aber es ist unheimlich da. Wollen wir es nicht lassen?«​
»Jetzt reißt euch gefälligst zusammen, ihr zwei! Ihr habt mich gerufen, damit ich mir die Sache vornehme, warum schlagt ihr jetzt vor, alles abzubrechen?!«​
Von der Logik her hatte Beelzebub absolut recht, aber solche Dinge waren nun mal nicht rational zu erklären. Deswegen konnte man Halkara keinen Vorwurf machen.​
»Ich gehe jetzt in den Raum da hinten und sehe mich um.«​
»B. .. Bitte nicht! Heben wir ihn uns wenigstens bis zum Schluss auf! Bitte! Bitte!«​
»Halkara könnte recht haben ... Wir könnten ein Wortspiel spielen und uns erst mal aufwärmen, bevor wir hineingehen ...«​
»Ihr seid ja total bekloppt ... Überhaupt, man kann sich nicht mit einem Wortspiel aufwärmen. Spielen nicht für gewöhnlich Mädchen solche Spiele, wenn ihnen die Gesprächsthemen ausgegangen sind …??«​
Beelzebub, die ganz vorne lief, stürmte wie ein Berserker weiter. So wie es aussah, hätten wir die Sache Beelzebub alleine überlassen können, aber wir waren schon so weit vorgedrungen, dass wir Angst hatten, ohne sie umzukehren, also konnten wir nichts tun. Wir betraten besagten Raum, in dem es spuken sollte. Im selben Moment erloschen die Flammen der Laternen ohne ersichtlichen Grund.​
»Waaaaaaaaaaaaaaah! ! ! ! ! !«
»U aaaaaaah! ! ! !«​
»Große Meisterin, hilf miiiiiiir!« Halkara und ich schrien zur selben Zeit laut auf.​
»Haltet die Klappe! Ihr seid ja ein größeres Ärgernis als der Geist!«​
Beelzebub brüllte und steigerte so mit ihrer Stimme den Lärm zusätzlich.​
Dann bemerkte sie wie nebenbei:​
»Oh, aber ein Geist ist auch hier.«​
»Uoaaaaaaah!!!!! Ein Geeeeeiiiiist!!!«
»Ayeeeeeeeee!!!!!!!!!!!!«​
»Ich mach mir in die Hoseeeeeeen! Ich kann nicht meeeeeeehr! ! ! ! !«​
»Ihr seid so was von zu laut! Regt euch gefälligst ab! Das ist doch nur ein Geist! Die Seele einer toten Frau! Was, bitte, ist daran so gruselig?!«​
»Genau das ist gruselig! Jetzt mal umgekehrt - wieso macht es dir nichts aus?«​
Vermutlich war sie genervt, denn Beelzebub schüttelte meine Hand ab. Bitte nicht! So hatte ich noch mehr Angst!​
»Wahrscheinlich habt ihr Angst, weil ihr sie nicht sehen könnt. Dann werde ich Abhilfe schaffen. Wartet mal.«​
»Wie? Was hast du vor ... ? Gibt es einen Zauber, der Angst verpuffen lässt?«​
»Nein.«​
So einen praktischen Zauber gab es also nicht.​
»He, Frauengeist! Zeig dich! Das kannst du doch wohl?! Du hast dich die ganze Zeit immer wieder gezeigt, also erzähl mir nicht, dass es nicht geht! He! Du! Antworte gefälligst!«, brüllte Beelzebub in die Dunkelheit.​
»Ich bin Beelzebub, ein hochrangiger Dämon. Ich bin die Landwirtschaftsministerin des Dämonenreichs, und als solche besitze ich die Macht, dein Grab in einen Ablage Platz für Pferdeäpfel zu verwandeln! Ich werde jeden einzelnen Ort, an den du schöne Erinnerungen hast, mit Pferdemist zuschütten!«​
Das waren schlichtweg ganz abscheuliche Gemeinheiten!​
»Außerdem ist es für einen hochrangigen Dämon ein Leichtes, Geistern Schaden zuzufügen. Du wirst mehr leiden als damals, als du gestorben bist. Ist das in Ordnung für dich? Zeig dich, bevor ich von zehn auf null runtergezählt habe, oder ich bringe dich um!«​
Sie drohte einem Geist, ihn umzubringen!​
»Zehn, neun ... drei, zwei, eins, null!«​
Und sie hatte mächtig verkürzt! Sie hatte die meisten Zahlen ausgelassen! Da hörte man etwas im Zimmer klappern, es schien von einem Tisch auszugehen.​
»Waaaah! Der Geist ist wütend!«​
»Oho, der Tisch bewegt sich. Ja, und? Was ist so unheimlich daran, wenn sich ein Tisch bewegt? Ergibt sich etwa ein Nachteil für mich, wenn sich ein Tisch bewegt? Sprich, Geist!«​
Beelzebub sprach mit drohender Stimme.​
»Wenn du etwas zu sagen hast, komm und zeig dich. Was immer in deiner Vergangenheit vorgefallen ist, wenn du aus Selbstsucht Leuten, die hierherkommen, Angst einjagst, bist du nicht besser als Ungeziefer. Dann werde ich dich, ohne auch nur im Geringsten zu zögern, vernichten.«​
Beelzebub war mehr als stark. Ich war ehrlich froh, sie mitgenommen zu haben. Irgendwie kam es mir vor, als wenn sich meine Angst nach und nach legte. Was Halkara betraf, hatte sie sich fest an mich geklammert und stammelte zitternd:​
»Ihr Götter, ihr Götter, helft mir ... Ich tue alles, wirklich alles ...«​
Dabei verließen wir uns gerade nicht auf Götter, sondern auf einen Dämon.​
»Ach was. Bist du unzufrieden? Willst du mich etwa verfluchen? Vergiss es. Ein einfacher Mädchengeist kann einen hochrangigen Dämon nicht verfluchen. Umgekehrt kann aber ich dich mit einem Fluch belegen. Möchtest du das?«​
Allen Menschen, die Probleme mit einem Geist hatten, konnte ich nur wärmstens empfehlen, einen hochrangigen Dämon hinzuzuziehen. Nüchtern betrachtet war es für einen Geist eigentlich auch gar nicht möglich, Furcht einflößender als Beelzebub zu sein.​
»Oh. Du willst fliehen? Das lasse ich nicht zu! Du entkommst mir nicht!«​
Der Geist schien sich zu fürchten. Aber Beelzebub würde den Geist niemals davonkommen lassen.​
»He, warte!«​
Beelzebub spreizte ihre Flügel und flatterte in Richtung Decke. Es war zu dunkel, um es deutlich zu erkennen, aber so wirkte es jedenfalls.​
»Was ist los? Werdet ihr jetzt kämpfen?!«​
»Nein! Ich werde sie einfach abschlachten!«​
Sie sprach wie ein Teufel. Oh ... stimmt, sie war ja auch einer.​
»So, du erbärmlicher Geist. Jetzt wirst du dafür büßen, dass du mich verhöhnt hast.«​
Was war das nur? Irgendwie hatte ich langsam das Gefühl, dem Geist beistehen zu müssen. Der arme Geist ...​
»Ähm, ich würde es vorziehen, wenn du nichts machst, was einen Fluch auf uns lenken könnte ...«​
»Mach dir keine Sorgen! Wenn ich den Geist auslösche, gibt es das Subjekt, das den Fluch ausführen kann, nicht mehr und somit wirst du auch nicht verflucht!«​
Oje! Das hörte sich wie Mord an!​
»Gut, ich habe sie gefangen! Zündet die Laternen an!« Halkara und ich gehorchten.​
»Wah! Da ist etwas!«​
Da war eine neue Person an Beelzebubs Seite. Obwohl ich nicht wusste, ob es korrekt war, die Gestalt als „Person“ zu bezeichnen. Sicher war nur, dass es sich um ein 15- oder 16-jähriges Mädchen handelte, das den Tränen nahe war.​
»H... Helft mir ... Ich wusste nicht, dass ein Teufel wie sie auftauchen würde ...«, sagte sie mit zitternder Stimme.​
»Große Meisterin, aus irgendwelchen Gründen scheine ich etwas zu sehen, was eigentlich nicht zu sehen sein sollte.«​
Halkara wirkte fassungslos.​
»Habe ich etwa zu viel Alkohol getrunken und beginne zu halluzinieren …?«​
Sie fand also selbst, dass sie genug trank, um sich solche Sorgen zu machen.​
»Ich sehe sie auch. Das ist es also nicht, glaube ich.«​
»Hast du auch zu viel getrunken, große Meisterin?«​
Sie sollte besser aufhören, den Alkohol dafür verantwortlich zu machen. Beelzebub schwebte hinab, den Geist im Schwitzkasten.​
»Geister sind normalerweise für das menschliche Auge unsichtbar, können sich aber sichtbar machen, wenn sie wollen. Ich vermute, die hier hat sich überlegt, es sei besser für sie, wenn sie euch um Hilfe bittet.«​
»Ahm, Beelzebub, heißt das, dass dieses Mädchen besagter Geist ist ... ?«​
Obwohl sie nun sichtbar war, versteckte sich Halkara hinter mir.​
»Näheres müsst ihr sie selbst fragen.«​
Es fühlte sich seltsam an, einen Geist zu fragen, ob er ein Geist war, aber wenn wir es nicht taten, kämen wir keinen Schritt voran. Wir baten den Geist, zunächst auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Je nach Lichteinfall sah das Mädchen manchmal halb durchsichtig aus, aber das lag bestimmt daran, dass es ein Geist war.​
»Wie heißt du?«​
»Rosalie ... Ich bin der Geist des Mädchens, das sich in dem Haus, das früher hier stand, umgebracht hat«, sagte das Mädchen barsch. Dann begann sie, uns von ihrem Leben zu erzählen.​
»Mir wurde gesagt, ich würde einen Adligen heiraten. In der Stadt war ich als hübsch und damenhaft bekannt, deshalb habe ich diese traumhafte Geschichte geglaubt. Aber mein gemeiner Vater und meine fiese Mutter haben mich angelogen ...«​
Die Arme. Sie war von ihren eigenen Eltern verraten worden.​
»Dabei waren viele Männer in der Stadt hinter mir her. Ob ich glücklich geworden wäre, wenn ich einfach mit einem der Typen durchgebrannt wäre ... ? Aber egal. Das ist sowieso Geschichte.«​
»Gut, wir haben verstanden, was passiert ist. Aber warst du wirklich mal damenhaft?«​
Ihre Sprache war grob und auch jetzt saß sie breitbeinig da.​
»Nachdem ich ein Geist geworden war ... bin ich mit der Zeit verroht.«​
So wie sie beim Sprechen ihr Gesicht wegdrehte, schien es ihr peinlich zu sein zuzugeben, dass sie rebellisch geworden war.​
»Das klingt überzeugend. Wenn ein junges Mädchen von den eigenen Eltern verraten wird, kann so eine Veränderung schon eintreten«, meinte Beelzebub.​
»Das hier ist mein Revier. Ich habe es die ganze Zeit beschützt und Fremde ferngehalten, weil sie verdammt noch mal hier nichts zu suchen haben ... Und dann seid ihr aufgetaucht.«​
Damit war die Geschichte im Großen und Ganzen erzählt. Wir wussten, wer der Geist war, und der Geist hatte sich ergeben, also war der Fall eigentlich so gut wie gelöst.​
»Und Rosalie, nicht wahr? Was möchtest du jetzt machen?«​
»Wie. Was meinst du mit „machen“?«​
Wir hatten noch nichts über ihre Zukunft gehört. Bisher war es nur um ihre Vergangenheit gegangen.​
»Ach so, ich kann sie in einer Sekunde auslöschen, damit sie nicht leidet. Soll ich?«​
»Vorschlag abgelehnt!«​
Diese Helferin ließ aber auch wirklich die fiesesten Sprüche los!​
»Wieso? Sie leidet und ist an diesen Ort gebunden, weil sie eine Seele hat. Wenn ich ihre Existenz lösche, kann sie allem Leid entfliehen. Für jemanden, der ins Nichts zurückkehrt, gibt es die Qualen von Leben, Krankheit, Alter und Tod nicht mehr.«​
»Ich wünschte, du würdest nicht mit Gewalt die Ideen des Buddhismus in die Realität umsetzen wollen.«​
»Dann geh in eine Kirche und bitte einen Geistlichen, für die Besänftigung ihrer Seele zu beten. Das wird sie läutern und sie wird sich nicht mehr länger in dieser Welt aufhalten.«​
Das hieß, wir würden dafür sorgen, dass sie ordentlich diese Welt verließ. Auf den ersten Blick klang das richtig, aber ...​
Rosalie schlang fest ihre Arme um sich.​
»Nein ...«​
Ihre Stimme klang gepresst.​
»Ich will noch nicht ausgelöscht werden ...«​
Rosalies Stimme zitterte stärker, als unsere Stimmen gezittert hatten, als wir uns vor dem unbekannten Geist fürchteten. Eigentlich klar. Natürlich wollte sie sich nicht auflösen.​
»Dass sich ein Geist in dieser Welt aufhält, ist schon unlogisch. Dein Wunsch ist eigensinnig und egoistisch.«​
Beelzebub war eine zu harte Pragmatikerin. Manche Dinge konnte man eben nicht so einfach lösen.​
»Wie wäre es, wenn du hierbleibst, Rosalie?«, fragte ich schlicht. Wenn sie Angst hatte sich aufzulösen, war das die einzige Alternative.​
»W ... Wirklich ... ? Aber ich störe doch, oder ... ?«​
Rosalie wirkte eher ungläubig als erfreut.​
»Wenn du hier Ärger machen willst, würde ich natürlich​
»Nein, einen Moment mal! rufen, aber wenn du nur da bist, richtest du keinen Schaden an. Du verursachst nicht mal Kosten für Essen, Licht, Heizung oder Steuern. Dann ist es doch kein Problem, oder?«​
»Hmmm, kein Schaden, soso. Wenn dieser Geist die richtige Einstellung behält, könnte es vielleicht funktionieren.«​
Auch Beelzebub schien keine besonderen Einwände zu haben.​
»Bedeutet das, der Geist bleibt an meinem Arbeitsplatz ... ?«​
Halkara zitterte deutlich sichtbar. Sie schien ihre Angst noch nicht überwunden zu haben. Bei mir waren diese Gefühle deutlich verebbt, nachdem ich den Geist zu Gesicht bekommen hatte. Beelzebubs Annahme, dass meine Angst verfliegen würde, wenn ich sie sehen könnte, schien richtig gewesen zu sein.​
»Warum nicht? Wenn nachts mal eingebrochen werden sollte, könnte sie sogar die Einbrecher vertreiben.«​
»Das kann schon sein, aber ... Aber wenn ich nicht weiß, ob sie da ist oder nicht, kann ich mich nicht entspannen ...«​
»Und wenn sie die ganze Zeit über sichtbar bliebe?«​
»Das wäre auch komisch! Und außerdem ... ! Normale Menschen reagieren auf die bloße Anwesenheit eines Geists sofort ablehnend und würden hier nicht arbeiten wollen!«​
»Oh, damit könntest du recht haben ...«​
Komm und arbeite bei uns. Wir bieten einen lustigen Arbeitsplatz mit einem Gespenst! Nein, das würde nicht funktionieren. Dies war eine Fabrik, und solange wir das Geisterproblem nicht gelöst hatten, konnte der Betrieb nicht aufgenommen werden. Auch wenn Halkara sich an den Geist gewöhnen könnte, würde das das grundsätzliche Problem nicht lösen.​
»Ich glaube, es ist nicht gut, wenn ich hier bin ... Geister sind nun mal echt lästig ...«​
Jetzt redete auch Rosalie negativ daher. Ich hätte ihr gerne gesagt, dass das nicht wahr sei, aber es war nun mal eine Tatsache, dass sie den Fabrikbetrieb behindern würde. Dieses Problem musste gelöst werden.​
»Ach, richtig. Kannst du dich nicht von dieser Fabrik wegbewegen?«​
»Nö, geht nicht. Ich habe noch nie das Grundstück um dieses Haus herum verlassen, in dem ich mich umgebracht habe.«​
Wie Shalsha gesagt hatte, konnten sich ortsgebundene Geister nicht fortbewegen.​
»Es gibt eine Methode«, sagte Beelzebub.​
»Ja, nicht wahr? Es gibt wirklich keine Methode ... Moment, wie war das - es gibt eine?!«​
»Ja. Was Studien über Seelen betrifft, sind wir Dämonen euch um Längen voraus. Wenn sich eine Seele nicht fortbewegen kann, müssen wir sie eben transportieren. So kompliziert ist es nicht.«​
Wenn sie sich nicht bewegen konnte, mussten wir sie transportieren - das war theoretisch verständlich, die Frage war nur, wie man es anstellte.​
»Nun rück schon raus! Was soll ich machen?!«​
Auch Rosalie schien Interesse zu haben.​
»Die Seele muss von einem lebenden Menschen Besitz ergreifen und mit dieser Person weggehen. Wenn ein passender Ort erreicht ist, scheucht man den Geist wieder raus. Es ist wie ein Umzug, für den man einen Menschen benutzt.«​
»Hmmm, sie muss von jemandem Besitz ergreifen, ja? Also, ich möchte nicht so gern besessen werden ...«​
»Jeder Geist kann versuchen, jemanden in Besitz zu nehmen.​
Es kommt allerdings auf den Menschen an und es funktioniert nicht bei jedem. Es ist zum Beispiel so gut wie sicher, dass es bei dir nicht klappt, Azusa.«​
Beelzebub richtete ihre Augen auf Rosalie.​
»Ich hab das mit dem Besitzergreifen noch nie probiert ...«​
»Es ist, als wenn du in den Kopf des anderen eintauchst. Probier es aus. Du wirst nicht sterben, wenn es nicht klappt.«​
»Verstanden. Ich bin bereit ... Du kannst jederzeit kommen.« Ich schloss die Augen und bereitete mich vor.​
»G... Gut, ich komme ...«​
PASCHUNK!
Ich hörte einen Laut, als wenn etwas von meinem Kopf abgeprallt wäre, und dann sah ich, wie Rosalie keuchend vor mir stand.​
»Was war das ... ? Das war total anstrengend ... So fertig war ich das letzte Mal, als ich noch lebendig war ...«​
»Um es kurz zu sagen: Menschen mit außerordentlichen Fähigkeiten bieten keine Lücke, durch die man von ihnen Besitz ergreifen kann. Auch Menschen mit absolutem Selbstvertrauen sind hart zu knacken. Es muss jemand mit schwachem Willen sein, der sich leicht von anderen beeinflussen lässt, sonst wird es schwierig. Das heißt ...«​
Beelzebub wandte sich zu Halkara um.​
»Ähm ... Darf ich fragen, weshalb du mich ansiehst?«​
»Ich bin mir fast sicher, dass es bei dir klappen würde.«​
»W... Was?! Kann es sein, dass das eine indirekte Beleidigung war?!«​
»Wieso indirekt? Du wirkst willensschwach und bist die Lückenhaftigkeit in Person.«​
»Das ist zu fies, und zwar in mehrfacher Hinsicht!«​
Langsam näherte sich Rosalie Halkara.​
»Tut mir leid, aber sei so gut und hilf mir.«​
»Ich will nicht! Ich komme nicht gut klar mit spiritistischen Phänomenen und so was! Wenn ich nachts aufwache, mag ich nicht mal auf Toilette gehen!«​
»Dann nehme ich wieder von dir Besitz und bringe dich zur Toilette.«​
»Aber genau das macht es doch so gruselig!«​
Während Halkara noch sprach, machte Rosalie einen Satz und tauchte in ihren Kopf ein. Und war plötzlich verschwunden. War das nun ein Erfolg?​
»Hey, ich kann das hier bewegen.«​
Das war Halkaras Stimme, aber die Sprechweise war komplett anders als sonst. Und sie bewegte ihre Hände so steif wie ein Roboter. Es sah ganz so aus, als sei Rosalie in sie hineingefahren.​
»Es hat geklappt! Wie schön!«​
»Es fühlt sich komisch an, nach so langer Zeit wieder einen Körper zu haben ... Außerdem hat dieser hier unglaublich schwere Brüste.«​
Halkara (?) hob ihre Brüste von unten mit den Händen an.​
Was natürlich zeigte, dass sie genug zum Anheben besaß.​
»Gut, gut. Jetzt müssen wir uns nur noch von der Fabrik wegbewegen und alles ist geklärt.«​
Klar, Rosalie konnte jetzt von der Fabrik fortgehen, aber es gab da noch ein Problem.​
»Und wohin wollen wir sie bringen?«​
Das hatten wir noch überhaupt nicht besprochen.​
»Zu dir nach Hause. Wohin sonst? Du hast vorgeschlagen, sie zu retten, also übernimm gefälligst die Verantwortung.«​
»Ja, das stimmt wohl. Außerdem sind wir es ja, die sie von hier vertreiben, weil es so besser für uns ist. Also gut.«​
Ich streckte eine Hand aus.​
»Rosalie, möchtest du in meinem Haus wohnen?«​
»D... Darf ich ... ? Wirst du keinen Ärger bekommen?«​
»Du warst unglücklich, als du gestorben bist. Willst du dann nicht zumindest nach deinem Tod glücklich werden?«​
Ich hatte zu viel über dieses Mädchen erfahren, als dass ich es sich selbst überlassen konnte. Ungelenk bewegte Rosalie Halkaras Arm und gab mir die Hand.​
»Damit ist es abgemacht. Auf gutes Zusammenleben!«​
Ich schüttelte Rosalies Hand und schenkte ihr mein schönstes Lächeln. Sie fühlte sich bestimmt unsicher, und sie war eine sehr lange Zeit einsam und allein gewesen. Ich musste behutsam mit ihr umgehen.​
»Oh ... J ... Ja, danke ...«​
Rosalie bedankte sich und wurde rot dabei.​
»Mein Haus hat viele Zimmer, und ich vermute, auch ein Geist kann bequem darin leben. Die anderen Mitbewohnerinnen wissen zwar noch nichts, aber sie sind alle sehr nett, also denke ich, dass es funktionieren wird.«​
Plötzlich stieß Beelzebub einen tiefen, resignierten Seufzer aus.​
»Azusa, du bist wirklich eine Menschenfängerin ... Noch dazu machst du das alles fast unbewusst. Das macht es noch schwieriger, damit umzugehen.«​
»Huch? Ich verstehe nicht. Bist du genervt von mir?«​
»Ich habe dich nur auf meine eigene Art gelobt. Bei berechnenden Menschen schimmern ihre Absichten immer durch, aber du rechnest überhaupt nicht. Das sind die schlimmsten Typen.«​
Wenn sie mich schon lobte, wäre es mir lieber, sie würde es auf eine verständlichere Art tun.​
»Ä... Ähm, Azusa ... so heißt du doch? Darf ich dich vielleicht Big Sis nennen?«​
»Na ja, vom Aussehen her bin ich wohl die Ältere. Meinetwegen. Nenn mich, wie du möchtest.«​
»Ich werde dir für immer folgen, Big Sis ... Wenn dir irgendetwas zustoßen sollte, werde ich dich mit meinem Leben beschützen!«​
»Mit deinem Leben beschützen? Aber du bist doch bereits tot.«​
Ich hatte es nur als Witz aufgefasst, aber ...​
»Ach was, wenn ich mir so wie jetzt einen Körper leihe, kann ich mich bewegen!«​
Rosalie warf sich in die Brust. Da es sich um Halkaras Brust handelte, wirkte es äußerst beeindruckend.​


 
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Edward Teach

Anime-Pirat
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Das Halkara Rosalie Trennmanöver

Die Sache war geklärt und nun ging es zurück in unser Haus auf der Hochebene. Da Halkara nicht fliegen konnte, ging Beelzebub Laika holen, damit wir sie auf ihren Drachenrücken setzen konnten. Beelzebub hatte Laika die Situation erklärt und sich gleich darauf im Gästezimmer schlafen gelegt. Danke für deinen Einsatz bis spät in die Nacht, Beelzebub! Nach einer Weile erschien Laika am verabredeten Treffpunkt am Stadtrand.​
»Ich bin Rosalie, der Geist. Du bist Laika, oder? Schön dich kennenzulernen, Sis!«​
»Es fühlt sich komisch an, das aus Halkaras Mund zu hören ... Und dein Blick ist ganz anders ...«​
»Ich bin nur im Moment hier drin. Wenn wir im Haus angekommen sind, werde ich raus gehen.«​
Kurz darauf waren wir zu Hause. Laikas Flugfähigkeiten waren wirklich hilfreich. Da Falfa und Shalsha noch nicht ins Bett gegangen waren, stellte ich sie Rosalie vor.​
»Danke, dass ihr mir helfen wollt. Ihr seid also die Töchter von Big Sis!«​
»Ja, freut mich!«​
»Ich begegne zum ersten Mal einem Spektralwesen. Sehr interessant.«​
Die beiden hatten offensichtlich überhaupt keine Angst vor Geistern. Nun, Falfa und Shalsha waren schließlich auch so etwas wie eine Ansammlung erlegter Schleimseelen, also waren sie irgendwie verwandt. Geister oder Schleimgeister es waren eben Geister.​
»Ich würde gern wissen, wie du aussiehst, Rosalie. Komm doch raus, ja?«​
»Ich möchte auch gern mit eigenen Augen einen Geist sehen.«​
»Verstanden! Dann werde ich mich euch jetzt zeig ... Urgh ...«​
Rosalies Gesicht - oder genau genommen Halkaras Gesicht wurde blass.​
»Ist irgendetwas passiert, Rosalie? Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen scheint es nichts Gutes zu sein.«​
»Naja, ich habe von jemandem Besitz ergriffen, schön ... aber wie komme ich hier wieder raus?«​
Das war eine sehr gute Frage.​
»Hä? Kann man das nicht ganz einfach machen, so wie wenn man ein Schloss auf und zu sperrt?«​
»Ich hab eben noch nie zuvor von jemandem Besitz ergriffen ... Deswegen bin ich auch noch nie aus jemandem rausgegangen.«​
Also verhielt es sich quasi wie bei einer Krakenfalle. Der Krake schlüpfte in einen speziellen Topf hinein, kam aber nicht wieder raus. Das war allerdings nicht witzig.​
»Ist das nicht ziemlich ungut, wenn es so bleibt …?«​
Halkara würde sauer werden, wenn man sie die ganze Zeit über lenkte, und sie hatte schließlich für morgen auch Pläne. Ich ging sofort los, um Beelzebub zu wecken.​
»Hmmm... Was ist? Ich bin gerade erst eingeschlafen ...«​
»Wir möchten Rosalie aus Halkaras Körper holen. Wie macht man das?«​
Ich dachte, Beelzebub würde wissen, wie man vorgehen musste.​
»Was? Kann sie nicht einfach raus schlüpfen?«​
Oh nein! Sie hatte genau so wenig Ahnung wie ich!​
»Komm! Komm schnell! Denk zusammen mit mir nach!«​
»Zieh nicht so an meinem Arm! Au, au!«​
Ich schleppte Beelzebub zur mit Rosalie gefüllten Halkara.​
»Ich komm nicht raus ... Als wenn ich in einer Kiste eingesperrt wäre ... Mist.«​
»Wahrscheinlich war eure Übereinstimmung zu hoch. Ich habe noch nie gehört, dass jemand nicht mehr raus kann ...«​
»Sag mal, könnte es sein, dass das irgendwie gesundheitsschädigend für Halkara ist?«​
»Wenn eine fremde Seele einen vollen Tag lang in einem drin ist, belastet das den Körper. Im schlimmsten Fall ... stirbt der Körper.«​
Die Situation war ja unfassbar übel!​
Wir beriefen sofort eine Familienkonferenz ein und setzten uns an den Tisch.​
»Also, wie es aussieht, beträgt unser Zeitlimit, um Halkara heil hierher zurückzuschaffen, etwa zwanzig Stunden. Ich möchte, dass wir alle unsere Köpfe benutzen und das Problem lösen. Wirklich. Bitte helft alle mit ..«​
Rosalie war noch blasser als zuvor. Klar, sie lief schließlich Gefahr, als Mörderin zu enden.​
»Ich will niemanden umbringen, der mir geholfen hat ... Verdammt, bevor ich so was Schamloses tue, erhänge ich mich lieber noch einmal!«​
»Auf keinen Fall! Wenn du das tätest, würde Halkara sterben!«​
Ich beruhigte Rosalie. Ruhig ... ganz ruhig ... So wie es aussah, würden wir wohl die ganze Nacht aufbleiben und uns die Köpfe zerbrechen müssen.​
»Ähm, wie wäre es hiermit?«​
Als Erste hob Laika die Hand.​
»Wenn das hier so ähnlich ist, als wenn etwas in einer Box feststeckt, könnte man nicht draufhauen, damit es hinausfällt?«​
»Hm. Ob ein physikalischer Stoß einen Geist hinaus befördern wird?«​
Beelzebub verschränkte die Arme und legte den Kopf zweifelnd zur Seite. Es erinnerte tatsächlich an eine Methode, mit der man vor Urzeiten Fernseher repariert hatte. Aber ...​
»Besser, als nichts tun. Probieren wir es aus!«​
»Meisterin Azusa! Wenn du oder ich einfach so auf sie draufhauen, stirbt Halkara!«​
Stimmt ... In solchen Fällen war ein hoher Status tatsächlich ein Hindernis ...​
Wir beschlossen, dass Shalsha das Schlagen übernehmen sollte.​
»Pass auf, du musst sanft zuschlagen, ja? Aber immerhin so fest, dass eine Seele raus schlüpfen kann.«​
»Das sind schwierige Konditionen ...«​
Das fand ich auch, obwohl ich es selbst gesagt hatte.​
»Gut, ich tue es. Entschuldige bitte, Halkara.«​
BAMM! BAMM! BAMM!
»Au! Auaaa!«​
Den Schmerz schien Rosalie zu spüren. Es war allerdings Halkaras Körper, der den Schaden abbekam.​
»Und? Glaubst du, du kannst raus?«​
»Ne, sieht irgendwie nicht danach aus ... Au! Auuu!«​
»Shalsha, stopp! Wir brechen den Plan ab!«​
Als Nächstes meldete sich Falfa.​
»Ich weiß was, ich weiß was! Wir erschrecken sie! Wenn sie erschrickt, kann Rosalie bestimmt raus!«​
Tatsächlich gab es die Redewendung „Ich dachte, mir springt das Herz heraus“, um zu beschreiben, wie jemand erschrak. Wenn die Rosalie-Halkara einen Schreck bekam, sprang vielleicht auch die Seele heraus. Das Problem war, wie man sie überraschen sollte. Schließlich hatte Rosalie eben von der Idee gehört.​
»Falfa hat eine tolle Idee!«​
Wir beschlossen, diese tolle Idee in die Tat umzusetzen. Mit meinem Levitationszauber stieg ich langsam in den Nachthimmel auf, Rosalie-Halkara im Schlepptau.​
»B... Bitte, könntest du langsam stoppen ... ? Das ist unfassbar hoch ...«​
»Ach ja, glaubst du, du kannst jetzt raus? Oder steckst du noch fest?«​
»Es geht nicht ... Ich schaffe es nicht raus aus Halkara ...«​
Die Höhe allein reichte also nicht.​
»Nichts zu machen. Dann gehen wir zu Stufe zwei über.«​
»Was, es gibt eine Stufe zwei?«​
Die Aktion hatte keinen Sinn, wenn Rosalie nicht erschrecken würde, deshalb hatte ich ihr nichts davon erzählt.​
»Ja. Ich lasse dich von hier fallen.«​
»Waaaaaaas?! B. .. Bitte nicht. Alles, nur das nicht!«​
»Keine Sorge, Laika in Drachengestalt fängt dich auf.«​
»H ... Hilfe! M ... Man will mich töten! Die Angst vor dem Sturz wird mich umbringen!«​
»Keine Sorge. Du bist schon tot, Rosalie, du kannst nicht vor Schock sterben. Tut mir leid, aber es geht um Halkaras Leben! He, wenn du so zappelst, fällst du runter.«​
»Du hast doch sowieso vor, mich fallen zu lassen. Waaaaah!« Ja, da war was dran. Und so ließ ich sie los.​
»U aaaaaaaaaaaaaaah!«​
Nach einem markerschütternden Schrei hörte ich Laikas Stimme „Alles in Ordnung!“ sagen. Ich schwebte langsam hinab und überprüfte die Jage.​
»Hat es geklappt? Ist die Trennung vollzogen?«​
»Ich dachte, ich mach mir in die Hosen, Big Sis.«​
Eine bleiche Rosalie lag ausgestreckt auf Laika. Sie war noch immer in Halkaras Körper.​
»Das hat also auch nicht funktioniert ...« Danach probierten wir noch allerlei aus.​
Zum Beispiel riefen wir am nächsten Morgen einen Geistlichen aus dem Dorf und versuchten eine Art Exorzismus. Der Geistliche murmelte segensreiche Worte. Es war so ähnlich, als wenn in Japan ein buddhistischer Priester Sutras las.​
»Graaaaaaah! Ich sterbe! Das bringt mich um!«​
Da wir Gefahr liefen, Rosalie auszulöschen, bevor sie aus dem Körper treten konnte, bliesen wir auch dieses Unternehmen ab. Es ging auf Mittag zu und wir hatten noch immer keine Lösung gefunden. Beelzebub meinte:​
»Wenn wir sie nicht langsam rauskriegen, könnte sich das negativ auf Halkara auswirken. Jetzt kommt es auf die Stärke von Halkaras Seele an ..«​
»Wir haben keine Zeit mehr, aber weil wir nicht geschlafen haben, arbeitet mein Verstand immer schlechter.«​
Auch Laika wirkte niedergeschlagen. Dass sich aber auch keine Lösung fand ... Falfa und Shalsha waren dermaßen übermüdet, dass wir sie ins Bett schickten.​
»Ich bin auch müde ... Aber wenn ich jetzt einschlafe, wird Halkara sterben ... Hm? Moment mal ..«​
Konnte es sein, dass ich eben einen Anhaltspunkt gefunden hatte?​
»Sag mal, Laika, wenn Halkara Alkohol trinkt, schießt sie sich doch oft die Lichter aus, oder?«​
»Ja. Auch während der Stehparty lag sie irgendwann am Boden und schlief.«​
»Wenn wir sie jetzt, während zwei Seelen in ihr sind, zum Schlafen bringen, könnte es dann nicht sein, dass nur Rosalie einschläft und Halkara wieder die Kontrolle übernimmt?«​
Mein Vorschlag war in keiner Weise wissenschaftlich fundiert. Es war einfach nur eine Idee.​
»Stimmt. Im Moment ist Rosalie ständig im Wachzustand. Es wäre durchaus einen Versuch wert, sie schlafen zu schicken.«​
Uns blieb ohnehin nichts anderes übrig, als alle möglichen Methoden auszuprobieren. Nach dem Motto „Probier oder stirb“ sozusagen.​
Wir flößten Halkaras Körper mit Rosalie in ihm drin jede Menge Alkohol ein.​
»Ich habe so gut wie noch nie Alkohol getrunken ..«​
»Kein Problem, das ist Halkaras Körper. Trink wie ein Loch!«​
Normalerweise machte Halkara beim vierten Glas schlapp. Ob es daran lag, dass sie die Nacht nicht geschlafen hatte, oder weil Rosalie in ihr steckte, jedenfalls wurde sie heute früher als sonst rot.​
»Huch, es gibt dich ja fünf Mal, Big Sis!«​
Sie musste ziemlich betrunken sein. Ihr Blick war zumindest komisch. Kurz nachdem sie mit dem dritten Glas begonnen hatte, fiel Rosalie vornüber auf den Tisch. Nachdem sie umgekippt war, beobachteten wir sie aufmerksam. Schließlich hob sie langsam das Gesicht.​
»Huch? Ich kann mich gar nicht erinnern, etwas getrunken zu haben. Noch dazu ist es Mittag. Was ist los?«​
»Das ist Halkara!« »Sie ist wieder da!« »Oho, es hat gewirkt!«​
»Hm? Wieso guckt ihr alle so wohlwollend, obwohl ich aus einem Rausch aufgewacht bin? Übrigens bin ich total schlapp. Ich fühle mich, als wenn etwas an mir dran klebt ...«​
Tja, genau das war ja auch der Fall ...​
»Wenn Halkaras Bewusstsein noch klarer wird, könnte es klappen ... In so einem Zustand ist es schwierig, jemanden besetzt zu halten.«​
»Aber was können wir konkret tun?«​
Wir waren fast am Ziel. Nur noch ein Schritt bis zur Lösung. Was konnte man machen, damit sich Halkaras Bewusstsein noch stärker durchsetzte?​
»Das überlasst mal mir! Es gibt eine Methode, die einen auf furchtbar ärgerliche Weise wach macht!«​
Diesmal schien Beelzebub eine Idee zu haben. Sie ergriff Halkaras Hand und zog sie mit sich fort.​
»Komm mal mit. Jetzt gleich!«​
»Wie? Aber da ist das Badezimmer ... Das Wasser von gestern​
wird schon abgekühlt sein ...«​
»Genau das ist das Gute daran!«​
Beelzebub packte Halkara und warf sie in die Badewanne.​

PlaTSCH!​
Wasser spritzte hoch und gleich darauf erschien Halkaras Gesicht.​
»Was soll das ... ? Jetzt bin ich komplett wach!«​
»So ist es. Deswegen konntest du dich auch sauber abtrennen.«​
Hinter Halkara schwebte Rosalies durchscheinende Gestalt.​
»Huch... Ich bin draußen …?«​
Rosalie sah verblüfft aus.​
»Hurra! Das Trennmanöver hat geklappt!«​

Letztendlich war die Methode: „Bring Rosalies Bewusstsein zum Schlafen und schärfe Halkaras Bewusstsein, wenn es zum Vorschein kommt“ erfolgreich gewesen. Durch den Rausch und den anschließenden Schlaf war Rosalies Bewusstsein, das bis dahin im Vordergrund gestanden hatte, zurückgetreten. Es war mit Halkaras Bewusstsein getauscht worden, und wir hatten dann einen Zustand geschaffen, in dem Rosalie nicht mehr in dem Körper bleiben konnte. Nachdem sich einmal die Logik erschlossen hatte, war es eigentlich nicht sehr überraschend.​
»Bevor wir es noch einmal probieren, sollten wir ein paar weitere Nachforschungen anstellen, aber wenn wir Rosalie einfach gleich ins Bett gesteckt und schlafen gelassen hätten, wäre Halkara vielleicht aufgewacht und wir wären so schon mit der Sache fertig geworden. Die Nacht über durchzuarbeiten ist eben nicht gut. Es ist einfach nicht so effizient.«​
»Aber wenn ich nicht im Bad gelandet wäre, als ich herbeigerufen wurde, wäre mir diese letzte Idee vielleicht nicht gekommen. Mein Pech hat sich als Glück herausgestellt. Und weil der Schaden für mich nicht so groß war, kann man sogar sagen, dass es rundum ein Gewinn war.«​
Beelzebub sah ungeheuer stolz aus. Nun, ihr Verdienst war tatsächlich so groß, dass sie stolz auf sich sein konnte, also war das in Ordnung. So kam dieser Fall gut und sicher zum Abschluss.​
»Ich glaube, wir sind alle müde. Lasst uns bis heute Nachmittag um fünf schlafen.Danach sprechen wir weiter ...«​
Meine Meinung wurde geteilt und jede verzog sich für ein paar Stunden in ihr Bett.​
»Also, ich stelle erneut vor: Das ist der Geist Rosalie. Sie wird mit uns in diesem Haus wohnen.«​
Alle saßen um den Tisch herum und wir begannen mit der Vorstellungsrunde. Obwohl Rosalie ein Geist war, hatte sie sich pflichtbewusst auf einen Stuhl gesetzt. Da sie sich nach Belieben sichtbar machen konnte, war sie in einem Zustand, in dem sie jeder sehen konnte.​
»Ich bin Rosalie. Es tut mir leid, dass ich vorhin so viel Ärger verursacht habe! Bitte akzeptiert mich als Freundin!«​
Alle hießen Rosalie mit Applaus willkommen. Man konnte sagen, was man wollte, die Mitglieder dieses Haushalts waren extrem anpassungsfähig, also würde Rosalie bestimmt bald bei uns leben können, ohne sich fehl am Platz zu fühlen.​
»Sag mal, kannst du dich denn hier frei bewegen?«​
»Ja, überall auf dem Grundstück kann ich mich frei bewegen, auch im Garten. Ich habe es übrigens sogar ein Stück raus aus dem Garten geschafft. Ich vermute sogar, ich komme jetzt überall hin.«​
Huch? War ein Hausgespenst nicht an ein Gebäude gebunden?​
»Vermutlich ist ihre Gebundenheit an den Ort, an dem sie gestorben ist, verloren gegangen, als wir sie von dort wegbewegt haben. Jetzt ist sie einfach nur ein Geist, der nichts mit Hass und Rachegefühlen zu schaffen hat.«​
Stimmt, dieser Ort hatte nichts mit Rosalies Groll zu tun.​
»Dann ist es also besser für dich geworden. Mal sehen ... beziehe doch bitte ein leer stehendes Zimmer im ersten Stock des Blockhausbereichs. Na ja, ich sage beziehen, aber du bist ja ein Geist. Wir werden je nach deinem Geschmack Sachen hineinstellen oder raus räumen.«​
»Verstanden! Ich danke dir, Big Sis! Das vergesse ich dir nie, mein ganzes Leben lang nicht!«​
Mir war rätselhaft, wie lange »ein ganzes Leben lang« von jemandem bedeutete, der bereits gestorben war .​
»Ähm, ich möchte nicht vorlaut sein, aber wird sich etwas an dem Plan mit den Kochdiensten ändern?«​
Laika war wirklich ernsthaft. Ein Klassensprecher-Typ.​
»Kochdienstplan? Ich glaube nicht, dass Rosalie kochen kann.«​
Sie könnte es zwar, wenn sie den Körper eines anderen in Besitz nähme, aber wenn dieser Jemand dadurch müde würde, hätte die Aktion keinen Sinn.​
»Nun, es ist nicht unmöglich.«​
Ein Glas, das auf dem Tisch stand, schwebte langsam nach oben.​
»Wenn ich so Messer und Teller bewege, könnte ich schon Essen zubereiten. Für den Geschmack kann ich aber nicht garantieren, weil ich so lange nicht mehr gegessen habe ...«​
»Aha. Es wäre schon hilfreich, wenn du kochen könntest, nur ... sollten wir sie wirklich dazu verpflichten?«​
Irgendetwas störte mich an dem Gedanken.​
»Mutter, die Koch- und Putzdienste ergeben sich, weil man isst und die Zimmer schmutzig macht. Aber Rosalie ist ein Geist. Sie isst nicht und macht auch nichts dreckig. Aus diesem Grund ist es falsch, sie in die Pflicht zu nehmen.«​
Shalsha drückte formell und steif aus, was mich beschäftigt hatte. Musste Rosalie die Arbeit tun, nur weil sie es konnte?​
»Nein, Big Sis, das ist nicht richtig! Ich werde wie die anderen alle Haushaltsdienste machen!«​
Rosalie stand von ihrem Stuhl auf. Genau genommen schwebte sie nach oben.​
»Ich werde in diesem Haus wohnen. Auch wenn ich ein Geist bin, wohne ich dann genauso hier wie ihr! Dann muss ich auch zurückzahlen, was ich dafür schulde!«​
In Rosalies Augen brannte so etwas wie Leidenschaft. Es sah so lebendig aus, dass man kaum glauben konnte, dass sie ein Geist war.​
»Tut mir leid, Rosalie. Mein Denkfehler. In dem Fall werden wir dich bitten, zu tun, was du tun kannst.«​
Es stimmte. Wenn man gesagt bekam, man habe keine Pflichten den anderen gegenüber, hatte man eher ein schlechtes Gewissen, als dass man sich freute. Es war viel gesünder, dafür zu sorgen, dass sich niemand schuldig fühlte, um lange gut miteinander auszukommen.​
»Ja, Big Sis! Und auch alle anderen: Sagt, wenn ich etwas für euch tun kann! Vielleicht gibt es Dinge, die ich übernehmen kann, gerade weil ich ein Geist bin!«​
»Ja, danke schon mal!«​
»Ich wäre interessiert daran, spezielle Sichtweisen von Geistern zu erfahren.«​
Shalsha wirkte so, als würde sie ernsthaft Studien zu Geistern betreiben und etwas zu dem Thema schreiben wollen.​
»Und du, Rosalie, kannst dich auch immer an uns wenden, wenn du Fragen hast.«​
»Ähm ... und nimm nicht so oft von mir Besitz, ja …?«​
Für Halkara ging es schließlich um ihr Leben ... Alles in allem, so schien es, waren Geister wohl hauptsächlich angsteinflößend, weil man sie nicht sah, aber die sichtbare Rosalie würde bestimmt immer mehr akzeptiert werden.​
»Auch ich werde euch Informationsmaterial über Geister zukommen lassen, auf das ich stoße. Nun, aber für die nächste Zeit dürfte es keine Probleme geben, denke ich.«​
»Du hast uns auch diesmal unheimlich geholfen, Beelzebub. Und das, obwohl du so beschäftigt bist. Es tut mir leid.«​
»Nun, da das Problem dank mir gelöst wurde, war es wohl richtig von dir, mich zu rufen.«​
Ich sollte Beelzebub demnächst wohl besser ein Geschenk machen. Über einen Jahresvorrat an Nährschnaps würde sie sich bestimmt sehr freuen.​
»So, jetzt ist erst mal alles geklärt. Wollen wir nicht ein Fest feiern, um unser neues Familienmitglied willkommen zu heißen?«​
Doch bevor ich aufstehen konnte, erregte Rosalie meine Aufmerksamkeit. Rosalie weinte. Sie weinte sogar heftig.​
»Was hast du? Was ist passiert? Hast du dich an etwas Schlimmes erinnert?«​
»Ach, es ist nur ... Meine Eltern haben mich verraten, und ihr, mit denen ich nicht blutsverwandt bin, rettet mich ...«​
Freudentränen tropften auf den Boden. Sobald sie ihn berührten, verschwanden sie allerdings. Die Tränen eines Geists enthielten keine reale Feuchtigkeit. Diese Tränen existierten nur, um Rosalies Gefühle auszudrücken. Vielleicht war dieses Haus dazu da, Sonderlinge aufzunehmen. Schließlich war auch ich eine irreguläre Existenz, also konnte ich, wenn ein sonderbarer Jemand ankam, diesem auch die Hand reichen. Und ich hatte vor, dies auch in Zukunft zu tun.​
»Wenn man nur lange genug lebt ... können einem auch solche schönen Dinge passieren ... Ich bin so froh ...«​
»Du meinst wohl: wenn man lange genug tot ist.«​
Den Kommentar konnte sich Beelzebub nicht verkneifen.​

An jenem Abend schmissen wir eine handfeste Party, um Rosalie zu feiern. Wir hatten erst kürzlich für die Halkara Party eine Menge eingekauft, und es war ein Einfaches, eine zweite Feier damit zu bestreiten. Da allerdings der Ehrengast nichts aß, hielten wir das Essen simpel.​
»Es gibt doch Stellen im Haus, die menschliche Hände und Augen nur schwer erreichen. Ich hingegen kann auch solche Ecken gut mit einem Putzlappen wischen!«​
Rosalie machte aktiv Werbung für die Dinge, bei denen ein Geist hilfreich sein könnte. Jeder hatte irgendetwas, das er gut konnte. Ich war zuversichtlich, dass Rosalie bald zu einem unverzichtbaren Familienmitglied im Haus auf der Hochebene werden würde. Dann ging Rosalie zu Halkara und verbeugte sich tief vor ihr.​
»Ich habe dir mächtigen Ärger bereitet, Sis Halkara! Es tut mir wirklich, wirklich leid!«​
»Oh... das reicht, Lass gut sein. Ich war schließlich ohnmächtig und kann mich nicht mehr genau erinnern, was mit mir passiert ist ... Obwohl ich geträumt habe, dass Shalsha mich ganz schön geschlagen hat und dass man mich vom Himmel fallen gelassen hat.«​
Nun, das war alles wirklich passiert ...​
»Sis Halkara, bitte schlag mich, bis du zufrieden bist ...« Rosalie streckte ihr ihren Kopf entgegen.​
»E. .. Entschuldige, aber was soll das werden?«​
»Ich habe dir Ärger bereitet, und wenn du mich nicht schlägst, ist die Sache nicht richtig im Lot!«​
»Nein, schon gut! Ich stehe nicht drauf, Leute zu schlagen und so ...«​
Halkara geriet in Verlegenheit. Rosalie hatte das Temperament eines Straßengang-Mitglieds.​
»Los, schlag mich, Sis!«​
»Ich sagte doch, da steh ich nicht drauf! Wenn ich wählen müsste, wäre es mir sogar lieber, geschlagen zu werden!«​
Was war das jetzt für ein Spruch?!​
»Na ja, das habe ich mir in meinem ganzen Leben vielleicht nur acht Mal gedacht! Eine kleine Verirrung!«​
Das war aber eine seltsame Zahl ...​
»Und außerdem kann ich dich gar nicht schlagen, weil du ein Geist bist. Also Lass uns das Thema jetzt beenden.«​
Das hatte Halkara clever zusammengefasst.Ja, es war die sauberste Art, die Sache zum Abschluss zu bringen.​
»Und wenn du etwas in Richtung Wiedergutmachung meinst, wäre mir lieber, du tätest etwas, das mir nützt. Du bist doch ein Geist, Rosalie, und siehst auch Dinge, die wir nicht sehen, oder?«​
»Ja, da kann ich dir behilflich sein, soviel du willst.«​
»Dann hilf mir doch bitte, wenn ich Heilkräuter sammeln gehe. Im Wald gibt es viele Stellen, die mir nicht gleich auffallen. Vielleicht schlummern da noch Kräuter, die ich übersehen habe.«​
»Verstanden! Ich werde dir helfen, versprochen!«​
Oh! Gut gemacht, Halkara! Sie hatte Rosalies besondere Eigenschaften gut erfasst! Danach kamen meine Töchter angelaufen. Rosalie schien Leute auf natürliche Weise anzuziehen.​
»Sag mal, möchtest du vielleicht irgendwohin? Falfa wird dich herumführen.«​
Wenn ich darüber nachdachte, war Rosalie die ganze Zeit über in diesem Haus gewesen und hatte die Außenwelt schon lange nicht mehr gesehen.​
»Hmm, mal sehen. Ich war die ganze Zeit im Haus eingesperrt, also würde ich gerne irgendwohin gehen, wo die Aussicht schön ist. Ich würde auch gerne reisen.«​
»Ja, gut. Dann Lass uns zusammen verreisen!«​
Ich weiß nicht, ob die Bezeichnung „schüchtern“ auf sie zutraf, aber einem Mädchen wie Rosalie, das sich lange zurückgezogen hatte, tat die extrovertierte Falfa sicherlich gut.​
»Ich würde gerne detailliert von dir erfahren, wie die Weltsicht eines Geists aussieht. Es interessiert mich sehr.«​
Klar, das war der Punkt, der Shalsha beschäftigte. Schließlich gab es nicht viele Gelegenheiten, sich mit einem echten Geist zu unterhalten.​
»Ich würde sogar gerne die Geisterwelt besuchen.«​
»Das ist unheimlich, sei bitte etwas vorsichtiger!«​
Ich konnte nicht zulassen, dass Shalsha starb, also mischte ich mich ins Gespräch ein.​
»Du kannst dich dafür interessieren, aber du musst auf jeden Fall zurückkommen, ja?! Du kannst nicht einfach wegbleiben, verstanden?«​
»Ja. Reisen sind schön, wenn man ein Zuhause hat, in das man zurückkehren kann.«​
Dann war es ja gut. Aber Forschertypen neigten eben dazu, Grenzen auszureizen ...​
»Ich weiß sowieso nichts über andere Geister und kann dir nicht wirklich jemanden vorstellen. Ich war die ganze Zeit allein dort, wo mein früheres Haus gestanden hat.«​
Rosalie war also wirklich sehr einsam gewesen. In dem Fall war es wohl das Beste, sie mit möglichst vielen Leuten bekannt zu machen.​
»Gut! Es ist zwar keine Reise, aber wie wäre es, wenn wir uns erst mal unser Umfeld vornehmen?«​

Gleich am nächsten Morgen brach ich mit Rosalie ins Dorf Flatta auf. Es wäre aber gelogen, wenn ich behauptet hätte, nicht unsicher zu sein. Schließlich waren die Menschen, die noch nie einen Geist gesehen hatten, in der Überzahl. Vielleicht würden sie sich fürchten. Es bestand die Gefahr, dass man Rosalie mied und sie sich schlecht fühlen würde. Trotzdem fand ich es nicht richtig, sie versteckt zu halten. Da war es besser, nicht länger zu warten und schnell aktiv zu werden, um die Leute nach und nach an Rosalie zu gewöhnen.​
Schließlich war nicht davon auszugehen, dass die Einstellung der Leute gegenüber Geistern in zehn Jahren plötzlich offener werden würde. Vielleicht war dies auch Rosalie bewusst, jedenfalls wirkte sie angespannt.​
»Glaubst du, die Leute werden mich akzeptieren, Big Sis?«​
»Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber gerade weil wir es nicht wissen, müssen wir es versuchen. Es wäre doch traurig, wenn sich nur der Ort geändert hätte und du dich nun ins Haus auf der Hochebene zurückziehen müsstest.«​
»Nein, wenn ich an die lange Zeit denke, die ich ganz alleine verbracht habe, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich bin euch allen sehr dankbar.«​
Rosalies Antwort freute mich. Mist! Wenn sie einen Körper gehabt hätte, hätte ich sie jetzt umarmt! Das war doch Betrug, dass sie nicht „umarmbar“ war! Wie sich herausstellte, hatten Rosalie und ich uns umsonst gesorgt.​
»Oh, diesmal ist also ein Geist zur Familie dazugekommen.«​
»Sieh mal einer an, schon wieder so ein hübsches Mädchen!«​
Die Dorfbewohner reagierten überaus angenehm. Sie waren kein bisschen verängstigt.​
»Sag mal, sind alle Leute in dieser Welt so freundlich? Ich fühle mich wie ein Idiot, dass ich meine Zeit als Geist so lange allein in diesem Haus verbracht habe ...«​
»Ja, ich hätte auch gedacht, dass sie ein bisschen misstrauischer sein würden ...«​
Rosalie und ich sahen uns an, irritiert davon, wie gut es lief. Später, als wir zum Bürgermeister gingen und ihm davon erzählten, antwortete er lachend:​
»Ha ha ha, das ist doch kein Wunder! Schließlich seid ihr alle keine normalen Menschen. Keiner würde jetzt noch Angst vor einem Geist haben. Für uns normale Menschen seid ihr alle aus demselben Holz geschnitzt.«​
»Ehrlich gesagt stimmt das ...«​
Es sah so aus, als würde sich Rosalie ohne Probleme ins Dorf integrieren können. Es dauerte nicht lange und Rosalie begann, ins Dorf oder in den Wald zu gehen, wenn sie die Zeit dafür fand. Da sie sich so lange verbarrikadiert hatte, wirkte auf sie alles ungewöhnlich und neu.​
Nebenbei erwähnt konnten wir Rosalie nicht sofort zum Kochen einteilen, weshalb sie derjenigen, die Dienst hatte, erst einmal half. Am Anfang konnte sie das Gemüse nur sehr grob schneiden, aber nach und nach verbesserte sie ihre Technik. Gut mit einem Messer hantieren zu können, verlieh ihr auch beträchtliche kämpferische Fähigkeiten.​
»Ja, die Scheiben sind wirklich sehr fein geschnitten! Mit noch ein bisschen mehr Übung kannst du bald einen Zwiebelsalat zubereiten.«​
»Das habe ich nur deinen Anweisungen zu verdanken, Big Sis! Ha!«​
Was war das für ein seltsamer Ausruf am Ende gewesen? An ihren Straßenslang hatte ich mich noch nicht gewöhnt. Ich fragte mich sowieso, wo sie diese Straßengang-Kultur herhatte, wo sie doch die ganze Zeit allein gewesen war. Oder war das etwas, das man sich von selbst aneignete?​
»Später werde ich den Dachboden putzen! Ich werde ein feuchtes Putztuch steuern und alles sauber machen!«​
»Diese Fähigkeit von dir ist wirklich hilfreich. Bitte behalte das bei!«​
Dank Rosalie sah es so aus, als wenn sich die Hygienesituation in diesem Haus ziemlich verbessern würde. Wenn man an ein Hexenhaus dachte, stellte man sich ein gruseliges Haus in einem düsteren Wald vor, aber ich zog es vor, dass meins gründlich sauber und offen war. Während unseres Café Projekts hatten wir die Terrasse entdeckt. Eine Teeparty um die Mittagszeit draußen auf der Terrasse wäre doch auch schön. Außerdem war es durchaus nichts Schlechtes, wenn man sich nur durch eine Teeparty auf der Terrasse ein bisschen wie eine Celebrity fühlen konnte.​

Während Rosalie sich langsam bei uns einlebte - kämpfte Halkara in ihrer neuen Umgebung ihren ganz eigenen Kampf. Sie warb in Naskute Mitarbeiter für die Fabrik an. Leider schien es bisher noch nicht gut zu laufen. Auch heute kam sie mit hängenden Schultern nach Hause. Kurz danach begann sie zu trinken, also war sie vermutlich ziemlich frustriert.​
»Oh, es liegt so viel Ärger vor mir ...«​
»Wieso klappt es nicht, obwohl wir den Fall Rosalie gelöst haben?«​
»Natürlich habe ich erzählt, dass das Gespensterproblem behoben ist. Es ist nur so, dass niemand tatsächlich einen Geist gesehen hat. Deswegen glauben sie mir irgendwie nicht ...«​
Das war ein ziemlich vertracktes Problem.​
Wenn auf einer Straße ein großer Stein läge, der den Verkehr behinderte, würde jeder verstehen, dass das Problem gelöst wäre, wenn der Stein weggeräumt wäre. Aber es war schwierig, Leute davon zu überzeugen, dass es an einem Ort, über den gemunkelt wurde, es spuke dort, jetzt eben nicht mehr spuke.​
»Wie wäre es dann, wenn du den Spieß umdrehst und Rosalie präsentierst? Wenn man sie sieht, fürchtet man sich weniger und die Leute werden verstehen, dass sie nicht mehr dort ist.«​
»Das ist es!!!«​
Halkaras Stimme war jetzt unglaublich lebhaft.​
»Verstanden! Ich werde dich begleiten und triumphierend mit dir in die Stadt zurückkehren!«​
Auch Rosalie, die um uns herum geschwebt war, klang enthusiastisch. Triumph war nicht unbedingt gefragt, aber nun ja ... Da ich mir Sorgen machte, beschloss ich, sicherheitshalber mitzugehen. Und so hielten wir in Naskute eine Geister-Präsentation ab. »Hey Leute! Ich bin Rosalie. Ich habe mich vor langer Zeit an der Straße da hinten umgebracht! Jetzt lebe ich bei meiner Big Sis, der Hexe der Hochebene! Ich wohne nicht mehr hier, also macht euch keine Gedanken!«​
»Hallooo! Ja, das ist wirklich und wahrhaftig der Geist, der sich früher auf dem Fabrikgelände herumgetrieben hat! Guckt mal, wie süß sie ist, kein bisschen gruselig! Übrigens - da wir nun festgestellt haben, dass sich in der Fabrik keine Geister aufhalten, könnte man sogar sagen, es ist sicherer, hier zu arbeiten, als woanders! Kommt und arbeitet in der Fabrik!«​
Rosalie und Halkara liefen laut rufend durch die Stadt.​
»Huch? Was ist da los?«​
»Sie soll ein Geist sein.«​
»Stimmt, sie sieht irgendwie durchsichtig aus.«​
Was die beiden da riefen, klang ziemlich seltsam, weswegen sich eine Menge Leute versammelten, die sie für Komiker oder Entertainer hielten.​
»Sie haben angebissen, Rosalie. Würde es dir etwas ausmachen, wenn sie dich anfassen?«​
»Man kann mich nicht anfassen.«​
»Nein, aber genau darum geht es!« Halkara schien eine Idee zu haben.​
»Will jemand mal einen Geist anfassen? Dann tretet vor! Sie ist wirklich komplett durchscheinend!«​
Daraufhin wurde ein kleines Mädchen von seinem Großvater gebracht, um Rosalie zu berühren.​
»Oh! Ich bin durch sie hindurchgegangen!«​
Die mysteriöse Erfahrung machte das Mädchen ganz aufgeregt.​
»Ja, oder? Du darfst aber nicht sterben, Kleine. Bleib gesund, okay?«​
»Ja, Geistermädchen!«​
Ob das nun der Kleines-Mädchen-Effekt war oder nicht, aber die Leute sahen mit warmen Blicken auf die Szene. Man schien langsam zu begreifen, dass Rosalie ein guter Geist war.​
»Sie ist kein bisschen unheimlich.«​
»Und absolut kein böser Geist.«​
Ihre Unterstützungsrate stieg. Das war eine gute Entwicklung. Jetzt schien Rosalie eine Idee zu haben. Sie richtete ihre Augen auf ein altes Ehepaar und schwebte zu ihnen.​
»Sagt, ihr beiden. Gibt es nicht Stellen im Haus, die euch Probleme beim Putzen bereiten?«​
»Ja, wir kommen nicht an die hohen Fenster dran ... Auch nicht, wenn wir uns auf einen Stuhl stellen ««​
»Dann werde ich einen Putzlappen bewegen und dort für euch​
sauber machen!«​
Die Gesichter des Ehepaars hellten sich auf.​
»Das wäre eine große Hilfe! Danke!«​
»Sagt mir schnell eure Adresse! Ich erledige das gleich!«​
Nun riefen auch andere Leute Rosalie zu:​
»Darf ich dich auch bitten?«, und: »Bei mir zu Hause sind Spinnweben an der Decke ...«​
»Schon gut, okay! Ich erledige das der Reihe nach, also wartet!«​
Rosalie strahlte. Ich konnte ihre energische Stimme klar hören.​
»Selbst als Geist kann man noch für die Menschen leben, nicht wahr, Halkara?«​
»Große Meisterin, sie ist ein Geist. Sie lebt nicht mehr.«​
»Sei nicht so kleinlich.«​
»Natürlich macht es mehr Spaß, von Leuten geschätzt zu werden als gehasst. Ich habe mir auch zum Ziel gesetzt, mein Unternehmen so zu managen, dass es dem Wohle der Stadt dient.« Halkara klang wie eine anständige Unternehmerin.​
Zumindest eine Person war schon mal durch Halkaras Fabrik glücklich geworden.​
Von da an ging Rosalie einmal pro Woche in die Stadt und half als Touristenattraktion aus.​
Ich wünschte ihr, der fröhlichste Geist der Welt zu werden!​


 
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Edward Teach

Anime-Pirat
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Die Fabrik wird eröffnet

Nachdem die Stadt Naskute Rosalie akzeptiert hatte, schien sich das Problem um Halkaras Arbeitskräftemangel ebenfalls zu lösen.​
»Ich habe zehn Leute gefunden, die für mich arbeiten werden!«​
Genau eine Woche nachdem wir Rosalie mit in die Stadt genommen hatten, erstattete Halkara Bericht.​
»Das heißt, die Fabrik kann bald in Betrieb genommen werden, oder?«​
»Ja! Ich habe schon einen voraussichtlichen Starttermin für das >Halkara Pharma Werk< Naskute!«​
»Halkara Pharma« ...​
Das war also der Firmenname.​
»Jetzt kann ich wieder mit der Massenproduktion von Nährschnaps beginnen! Ich bin so motiviert!«​
Der Nährschnaps war ein von Halkara entwickelter Energydrink, der bereits in einer anderen Provinz ein gigantischer Verkaufshit gewesen war. Er nannte sich zwar „Schnaps“, aber es war kein Alkohol darin enthalten. Schon früher hatte Halkara ihr Apothekerinnenwissen angewandt, um verschiedene Produkte zu entwickeln. Sie war von Natur aus geschäftstüchtig. Und dieser Geschäftssinn hatte zu dem großen Erfolg ihres Nährschnapses geführt. Später hatte sie fälschlicherweise geglaubt, der hochrangige Dämon Beelzebub trachte ihr nach dem Leben, und ihre erste Fabrik geschlossen. Seither war diese stillgelegt.​
»Jetzt werde ich mir eine goldene Nase verdienen! Den Gewinn werde ich aber natürlich auch der Stadt zugutekommen lassen! Erst einmal werden >Halkaras exquisite Wasserbrunnen< gebaut und dafür sorgen, dass sowohl Einwohner als auch Durchreisende umsonst so viel gutes Wasser trinken können, wie sie wollen! Als Nächstes werde ich eine >Halkara Halle< bauen, in der regelmäßig Theateraufführungen stattfinden! Ich denke, in fünfzig Jahren wird man eine Bronzestatue von mir errichtet haben!«​
Eine Bronzestatue fand ich zwar unnötig, aber mir gefiel, dass sie Dinge tun wollte, die der Stadt zugutekamen.​
»Ach richtig. Hast du dir eine Gewerbelizenz besorgt?«​
In solchen Dingen war Halkara ein wenig nachlässig, weshalb ich es vorzog nachzuhaken.​
»Ich habe gehört, dass dieser Adlige, der Gouverneur von Nanterre, ziemlich heikel ist, wenn es um Geld geht. Ich hoffe, er hat nicht zu viel verlangt von dir.«​
Die Gegend, in der wir lebten, war idyllisch und nett, aber das galt nicht für die gesamte Provinz. Gerade über den Gouverneur hatte ich bisher nicht viel Gutes gehört.​
»Ha! Mach dir keine Sorgen! Ich habe alles ordentlich eingereicht! Ich habe die Papiere bei einem Beamten von Nanterre abgegeben! Kein Problem!«​
Halkara warf sich stolz in die Brust. So wie es wirkte, hatte sie wohl wirklich alles erledigt.​
»Nur ... als ich die Papiere abgegeben habe, hat er was Komisches gefragt. Ob ich ein Geschenk dabei hätte oder so was.«​
»Sieht so aus, als wenn man ein Bestechungsgeschenk von dir gefordert hätte, oder?«​
»Tjaaa, wie es scheint, fordert man in dieser Provinz so etwas in der Art ein. Ich kenne mich da nicht so aus, also habe ich ihnen erst mal einen Haufen essbarer Wildgräser geschickt.«​
Halkara klang unbekümmert.​
»Wildgras?«​
»Ja. In meiner Heimat ist es üblich, Wildgräser oder Obst zu verschenken, wenn man sich jemandem vorstellt. In diesem Sinne habe ich ihnen Wildgräser für etwa eine Woche geschenkt.«​
»War er denn damit einverstanden? Obwohl ... Es ist auch ärgerlich, ihnen widerstandslos und brav ein Bestechungsgeschenk zu geben ..«​
Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl.​
»Die Wildgräser sind köstlich, also freut er sich bestimmt. Sie sind ein wenig bitter, aber genau das ist das Gute an ihnen.«​
»Ähm, Halkara ... ? Wenn irgendetwas vorfallen sollte, gib uns frühzeitig Bescheid, ja?«​
Halkara war der Typ, der verlässlich Ärger anzog. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es diesmal ohne irgendwelche Zwischenfälle ablaufen würde.​
»Aaach, große Meisterin, du bist über behütend! Ich bin ja wohl wirklich erwachsen, und es gibt überhaupt kein Problem. Außerdem haben wir doch in Flatta und Umgebung einen guten Ruf.«​
Ja, in Flatta und der nahen Umgebung. Aber die Hauptstadt von Nanterre, Vitamei, lag einigermaßen weit entfernt und ich fragte mich, ob dort Nachrichten über uns angekommen waren. Und selbst wenn, glaubte man dort, dass es eine mächtige Hexe und deren Anhang wirklich gab? Aber Halkara sah keinerlei Gefahr, also ließ ich die Sache fürs Erste ruhen. Wenn meine Sorgen unbegründet waren, umso besser. Ein paar Tage später nahm Halkaras Fabrik ihren Betrieb auf. Da der Markt am Anfang noch nicht so groß war, produzierte sie zunächst in kleinerer Zahl. Sie verkaufte ihre Produkte in Naskute und Umgebung und beobachtete, wie sie ankamen. Ihr Produktsortiment bestand aus dem Nährschnaps und anderen Gesundheitsdrinks. Viele hatten komische Namen wie »So bitter! Quelle der Gesundheit« oder »Müdigkeits Zerschmetter Lösung«​
Die Produkte verkauften sich sehr solide. Auch wenn sie noch unbekannt waren, hatten sie offensichtlich etwas an sich, das die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zog. Halkara hatte wirklich ein Händchen dafür, Dinge zu verkaufen. Sie wusste einfach genau, wie die Käufer fühlten. Eine Woche nach dem Start der Fabrik hatten sich die Verkaufszahlen bereits verdoppelt. Laut Halkara war es sogar denkbar, eine zweite Fabrik zu eröffnen, wenn sich die erste gut entwickelte. Vermutlich hatte sie dafür auch schon einen konkreten Plan. Von mir aus gab es nichts zu sagen, solange Halkara Spaß an der Arbeit hatte. Übrigens ging Halkara zwar in die Fabrik und half mit, aber in Zukunft wollte sie den gesamten Arbeitsprozess ihren Angestellten überlassen und sich ganz ihrer Aufgabe als Direktorin widmen. Sie war wirklich mehr Managerin als Apothekerin.​
»Also, wenn das so weitergeht, könnte ich bald sogar eine ganze Stadt aufkaufen! Das Geschäft entwickelt sich wirklich gut.«​
Jeden Tag, wenn Halkara nach Hause kam, erzählte sie fröhlich, wie es lief.​
»Hier, Falfa und Shalsha, ich habe euch etwas mitgebracht. Es sind seltene Bücher. Ich habe Order gegeben, die Buchläden der Provinz zu durchforsten.«​
»Wah! Halkara, das ist toll!«​
»Herzlichen Dank, Halkara.«​
Beide freuten sich sehr, da es sich offensichtlich um Bücher handelte, die sie noch nicht kannten.​
»Für euch, große Meisterin und Laika, lasse ich gerade nach edlen Tropfen suchen. Dann kann ich mich für die Feier revanchieren, die ihr für mich ausgerichtet habt!«​
»Du gibst ganz schön viel Geld aus.«​
»Wenn verdientes Geld nicht ausgegeben wird, stagniert die Wirtschaft! Was ich tue, nennt sich korrekte wirtschaftliche Aktivität!«​
Halkara schien wirklich in Bestform zu sein.​
Doch eine weitere Woche später passierte es. Laika kam am Abend aufgeregt zurück.​
»Huch, Laika, du kommst früher nach Hause als sonst.«​
Um Halkara zur Arbeit und zurück zu bringen, pendelte Laika in Drachengestalt zwischen der Hochebene und der Stadt hin und her.​
»Es ist schrecklich, Meisterin Azusa! Es heißt, Halkara sei von dem Gouverneur, diesem Aristokraten, festgenommen worden! Sie stehe im Verdacht, ein Verbrechen begangen zu haben!«​
»Ich hatte so eine böse Ahnung ... Also doch!«​
So wie es aussah, sollten wir besser sofort in die Stadt aufbrechen ...​
Ich nahm Falfa und Shalsha und auch Rosalie mit und wir flogen auf Laikas Rücken los in Richtung Naskute. Ich wollte meine Töchter nicht alleine zu Hause lassen, und außerdem kannte sich Shalsha mit Geschichte und Charakter dieses Landes gut aus. Halkaras Fabrik war gesperrt und wurde von streng dreinblickenden Soldaten mit Speeren bewacht. Sie schienen aus einer anderen Stadt zu sein, vielleicht aus der Hauptstadt der Provinz. Ich sah eine junge Frau, die die Fabrik aus der Ferne besorgt betrachtete, und sprach sie an.​
»Entschuldige, weißt du etwas über diese Fabrik?«​
»Ja ... ich habe dort gearbeitet.«​
Da war ich auf eine dankbare Informationsquelle gestoßen.​
»Wir sind Halkaras Familie. Kannst du uns sagen, was passiert ist?«​
Die Angestellte führte uns zu sich nach Hause und erklärte uns dort die Jage.​
»Wir haben heute wie immer gearbeitet. Dann, kurz nach Mittag, stürmte eine Gruppe Soldaten herein. Sie sagten, sie würden die Direktorin auf Befehl des Gouverneurs verhaften. Sie habe sich schuldig gemacht, weil sie ohne Lizenz Medikamente verkaufen würde oder so ...«​
»Aber Halkara hat gesagt, sie habe den Antrag eingereicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ohne Lizenz gearbeitet hat.«​
Falfa hatte recht. Ich hatte es auch von Halkara gehört.​
»Es besteht kein Zweifel. Das ist eine Intrige, um Halkara zu schaden!«​
Da ich die Worte ungewohnt laut ausgerufen hatte, zuckte die Fabrikangestellte zusammen.​
»Entschuldige. Ich erlebe so etwas zum ersten Mal.«​
»Nein, nein, ich habe nur Angst, dass man uns draußen hört ... Ich glaube, der Gouverneur ist auch da, um die Soldaten zu beaufsichtigen ...««​
Was? Dann konnten wir ja gleich direkt verhandeln. Wir begaben uns zum Amtsgebäude, in dem der Gouverneur übernachtete. Allerdings standen dort Wachsoldaten und ließen uns nicht hinein. Aber wir traten nicht gleich den Rückzug an. Wir wollten warten, bis der Gouverneur herauskäme, und dann mit ihm sprechen. So könnten wir vielleicht bewirken, dass man Halkara freiließ. Während es ein paar Minuten lang hin und her ging - »Lasst uns nur kurz mit ihm sprechen«​
»Nein!« -, versammelten sich hinter uns die Einwohner der Stadt. Genau darauf hatte ich gehofft. Prinzipiell sprach man wohlwollend von der Hexe der Hochebene, Halkaras Fabrik und Rosalie. Es sollte also möglich sein, die Volksmeinung für unsere Seite zu gewinnen.​
»Es ist ganz schön laut hier.«​
Endlich kam ein Mann heraus, der der Gouverneur zu sein schien. Er hatte einen auffälligen Schnurrbart, der sich wie ein umgedrehtes V auffächerte.​
»Ich bin Golder, der Gouverneur der Provinz. Ich werde euch ebenfalls verhaften lassen für den Versuch, eine Verbrecherin mit Gewalt zu befreien, ohne die Gerichtsverhandlung abzuwarten.«​
Daraufhin trat Shalsha einen Schritt vor.​
»In diesem Fall bestand keine Notwendigkeit, die Verdächtige so eilig in Haft zu nehmen. Man muss nur die Unterlagen inspizieren. Aus diesem Grunde fordern wir die Freilassung von Halkara.«​
Das war unsere Shalsha! Sie kannte sich auch mit Anklagen aus!​
»Ich habe diese Inhaftierung kraft meines Amtes beschlossen. Ich hatte eine Mahnung ausgesandt, aber keine Antwort erhalten, weshalb ich diese Schritte durchgeführt habe.«​
Gouverneur Golders Tonfall war arrogant.​
»Das kann nicht sein! Halkara würde niemals die Fabrik weiterlaufen lassen, wenn sie eine Mahnung erhalten hätte!«, rief Laika entrüstet. Es war, als hätte sie ausgesprochen, was ich fühlte.​
»Wenn ihr Einwände habt, können wir die Sache vor Gericht klären. Wir haben nichts anderes getan, als ein rechtmäßiges Verfahren einzuleiten! Wenn ihr behauptet, sie sei unschuldig, dann legt Beweise für ihre Unschuld vor!«​
Von hinten hörte man die Bewohner rufen:​
»Du hast jemanden mit Gewalt festgenommen, der kein Bestechungsgeld gezahlt hat, gib's zu!«​
»Und das Gericht steckt mit dir unter einer Decke!«​
»Genau! So ist es!«​
Oh Mann, das waren ja vor neuzeitliche Verhältnisse. Wie es aussah, hatte die Gewaltenteilung hier keinen Einzug gehalten. Halkara hatte kein Bestechungsgeld gezahlt und war dadurch in sein Visier geraten.​
»Die Sache wird jedenfalls vor Gericht untersucht. So lauten die Regeln. Wenn es Dokumente gibt, die ihre Unschuld beweisen, dann legt sie vor. Aber auch wenn es welche gäbe, würden wir schnell herausbekommen, dass ihr sie gefälscht habt. Ha ha ha!«​
Wie dieser verdammte Mistkerl lachte! Selbst wenn wir Halkaras Zimmer durchsuchten und Dokumente fänden, die ihre Lizenz bestätigten, würde sich wahrscheinlich herausstellen, dass es problematische, ungültige Papiere waren. Diese würden dann als Fälschung zurückgewiesen werden und Halkaras Schuld wäre bewiesen. So war wohl ihr Plan.​
»Jedenfalls ist bei uns kein Antrag eingegangen. Nun, aber wenn ihr viele Millionen Gold spenden würdet, könnte sich ein verloren gegangenes Dokument wiederfinden.«​
Wenn wir Halkara retten wollten, sollten wir also zahlen. Dieser Typ unterschätzte uns ganz gewaltig.​
»Ach, ich würde den Prozess zu gerne bald abhalten. Schließlich muss auch die Fabrik, die illegal operiert hat, von der Provinz konfisziert werden.«​
»Was?! Halkara hat so viel Herzblut in diese Fabrik gesteckt! Sie zu konfiszieren wäre mehr als grausam!«​
Laika war so wütend, dass sie kurz davor war, Flammen zu speien. Wir konnten allerdings nicht noch mehr Druck ausüben. Das würde sich für uns nur nachteilig auswirken.​
»Gouverneur, wenn Sie vorhaben die Gerechtigkeit zu verbiegen, hoffe ich, dass Sie sich auch die Konsequenzen klargemacht haben?«​
Ich sprach ruhig und ohne meine Gefühle zu zeigen.​
»Ach richtig, du bist diese Betrügerin, die sich Hexe der Hochebene nennt. Wahrscheinlich hast du einfach das Gerücht gestreut, du seist die Stärkste der Welt, und damit eine Menge Geld gescheffelt. Ich vermute, du hast genug für einen Notfall beiseite geschafft, was?«​
Er hatte also von mir gehört, glaubte aber nicht an mich. Nun, dies war ein Zeitalter ohne Fernsehen und Internet.​
»Nun? Wenn du wirklich die Stärkste bist, willst du die Gefangene nicht mit Gewalt befreien?«​
»Nein. Wir werden vor Gericht beweisen, dass wir im Recht sind. Ein Sieg vor Gericht ist schließlich der sicherste.«​
Ich wollte ein verwegenes Lächeln aufsetzen, aber es gelang mir nicht. Stattdessen starrte ich den Gouverneur böse an. Gouverneur Golder verschwand selbstgefällig grinsend im Gebäude.​
Er hatte sich eine Familie zum Feind gemacht, die man besser nicht zum Feind haben sollte. Unsere außergewöhnlichen Kräfte konnten noch für etwas anderes angewandt werden als zum Kämpfen. Ich blickte zu Rosalie.​
»Rosalie, ich brauche deine Hilfe.«​
»Hä? Meine?«​
Rosalie sah verblüfft aus.​
»Ja, mit deinen Fähigkeiten können wir den Prozess hundertprozentig gewinnen.«​
Der Tag des Prozesses war im Nu da. Alle Familienmitglieder nahmen als Zeuginnen an der Verhandlung teil. Wir würden auf jeden Fall mit einem „Unschuldig!“ gewinnen. Nein, wir wollten noch mehr als das. Und dafür hatten wir alles Nötige getan. Endlich wurde die Gerichtsverhandlung eröffnet. Der vorsitzende Richter und vier weitere traten ein. Der vorsitzende Richter führte durch die Verhandlung und alle fünf würden über das Urteil abstimmen. Viele von ihnen hatten Verbindungen zum Gouverneur. Deswegen war die Sache ganz und gar nicht gerecht. Übrigens hatten wir über Shalshas Beziehungen einen ziemlich angesehenen Anwalt angeheuert.​
Gouverneur Golder saß ebenfalls im Saal und wollte sich offensichtlich alles ansehen. Wir würden diesem Kerl schon zeigen, was passierte, wenn man sich uns zum Feind machte. Plötzlich erhob sich ein Richter, der eigentlich in Verbindung zu Golder stand.​
»Ähem, also ich ... Ich meine, sie ist unschuldig. Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn! Wir können schließlich nichts verurteilen, was total sinnlos ist! Das nennt sich logische Vernunft! Die Sonne sieht alles!«​
Der Richter sprach überhaupt nicht wie ein Richter und im Saal erhob sich ein Raunen.​
Ja, richtig. Rosalie steckte in ihm.​
Diesen Prozess konnten wir gar nicht verlieren. Schließlich hatten wir Rosalie. Für sie war es auch ein Leichtes gewesen, vor Beginn des Verfahrens überall einzudringen und die nötigen Dokumente einzusammeln.​
»Ich werde euch Beweise vorlegen, warum es komplett falsch wäre, sie schuldig zu sprechen! Hey, ich habe festgestellt, dass die Angeklagte Halkara alle nötigen Dokumente beim Gouverneur eingereicht hat! Es liegt also überhaupt kein Vergehen vor!«​
Der alte Richter, in dem Rosalie steckte, schmetterte einen Packen Dokumente auf den Tisch. Sofort war der Gerichtssaal in Aufruhr. Niemand hatte mit so einer Entwicklung gerechnet. Hätte er diese Dokumente doch nur im Vorfeld vernichtet! Unser Gegner war nachlässig gewesen.​
»Die sind gefälscht! Sie können nicht existieren!«, brüllte Gouverneur Golder.​
Wenn sich diese Papiere als echt erwiesen, hatte die Gouverneurs Seite ein Problem. Es lag auf der Hand, dass er verzweifelt war.​
»Nun ja, aber dreißig Rechtsexperten haben uns schriftlich bestätigt, dass es sich um Originale handelt. Hier sind die Zertifikate!«​
Diesmal zückte der Rosalie-Richter die Echtheitszertifikate. Hierbei hatten uns Shalshas Beziehungen geholfen. Shalsha kannte viele Universitätsprofessoren, und die hatten uns diese Bescheinigungen ausgestellt. Da an den Dokumenten tatsächlich nichts gefälscht war, hatten sowieso alle sofort erklärt, dass sie echt seien.​
»Ehrlich gesagt ist durch diese Papiere die Sache klar! Halkara hat eine Genehmigung erhalten und daraufhin ihre Fabrik betrieben und Medizin hergestellt. Das kann kein Verbrechen sein! Wenn ihr daraus eins machen wollt, dann probiert es doch! So, ich gehe mal eben auf Toilette.«​
Eine kleine Weile später hörte man draußen ein lautes Platschen. Das Geräusch kam von Rosalie, die in den Teich des Gerichtsgartens tauchte. Damit war es ihr vermutlich gelungen, den Körper des Richters zu verlassen. Nun schlüpfte sie in den nächsten. Wenn sie die ganze Zeit über nur in einem steckte, hätte das unnatürlich gewirkt. Kurz darauf erschien ein verwirrt aussehender, nasser Richter und setzte sich auf seinen Platz.​
Dann setzte der zweite Richter zu einer Rede an.​
»Oh, seht nur, dieser Richter hat allerhand Dokumente aufgehoben! Und alle beweisen, dass der Gouverneur Bestechungsgelder angenommen hat! Das haut mich jetzt echt um!«​
Wieder breitete sich Unruhe im Saal aus.​
»Das ist alles erfunden! Eine Verschwörung!«, schrie Gouverneur Golder mit bleichem Gesicht. Klar konnte er das nicht auf sich beruhen lassen.​
»Na ja, aber die Rechtsexperten haben ebenfalls garantiert, dass diese Dokumente als Beweise zulässig sind. Und nicht nur einer oder zwei. Man kann nicht einfach behaupten, die Papiere seien gefälscht, wenn so viele das Gegenteil sagen!«​
»Wann habt ihr die Dokumente gestohlen?!«​
»Gestohlen? Das heißt, Sie haben sie also besessen? Sie wussten von der Existenz der Papiere und haben behauptet, es gäbe sie nicht?«​
Der Gouverneur machte ein Gesicht, als wolle er sich auf die Zunge beißen.​
»Der Bösewicht hat also sein wahres Gesicht gezeigt. Wie es scheint, ist das Spiel aus, was?«​
Da betrat jemand hastig den Raum. Wahrscheinlich war es ein Untergebener des Gouverneurs.​
»Schlimme Neuigkeiten! Gerade ist eine Anklageschrift gegen den Gouverneur hereingekommen! Sie ist von Adligen und Politikern unterschrieben!«​
Wir hatten die politischen Gegner Golders abgeklappert und ihnen die Dokumente gezeigt, die die Bestechungen bewiesen. Die Feinde unseres Feindes waren unsere Freunde, und so hatten sie uns gerne unterstützt. Und so schnell, wie Laika sich fortbewegen konnte, hatte es nur wenige Tage gedauert, die nötigen Unterschriften zusammen zu kriegen. Da alles auf glasklaren Beweisen beruhte, konnten wir nach Belieben angreifen. Der Rechtsanwalt und der Staatsanwalt hatten nichts mehr zu tun. Das Event war zu einer „Zerschmettert den korrupten Gouverneur“ Party geworden.​
»So, Angeklagte Halkara! Ich vermute, es gibt viel, was du uns erzählen möchtest, also hau jetzt alles raus!«​
Halkara nickte langsam und stand auf. Auf ihrem Gesicht stand deutlich zu lesen: Das Ding ist gewonnen. Auch sie hatte in den Kampfmodus umgeschaltet.​
»Aaalso, ich habe definitiv die nötigen Dokumente ausgefüllt und abgegeben. Und dann wurde so eine Art Bestechungsgeschenk von mir verlangt. Ich kenne mich nicht gut aus mit so was, also habe ich nichts Richtiges geschickt. Und dann wurde ich plötzlich verhaftet. Völlig ohne Grund. Also, nicht mal wilde Gräser wachsen ohne Grund. So geht das doch nicht! Aber dass die Herren Richter unanfechtbare Papiere vorgelegt haben, hat mir jetzt wahnsinnig geholfen. Also, ich finde, böse Schurken sollten vom Himmel bestraft werden. Das war es auch schon. Ach ja, wenn ich meine Lizenz zurückerhalte, möchte ich wieder Nährschnaps und andere Produkte verkaufen und würde mich über eure Unterstützung freuen. Das ist alles, was ich zu sagen habe.«​
Der letzte Teil war pure Werbung. Aber wie auch immer, die Sache war entschieden. Doch der letzte Schlag stand noch aus.​
Wieder kam einer, der wie ein Untergebener des Gouverneurs aussah, hastig hereingerannt.​
»Ich muss etwas melden! Vor dem Gerichtsgebäude hat sich eine große Menge versammelt ... Sie fordern faire Gerichtsverhandlungen und die Entlassung des Gouverneurs ...«​
Wir hatten alle Ämter besucht und um Unterstützung gebeten, und dies war das Ergebnis. Es gab viele Menschen, die wütend auf den korrupten Gouverneur waren. Sie hatten nur geschwiegen, weil sie nicht die Kraft hatten, ihn alleine zu bekämpfen. Deswegen hatten wir so viele Leute zusammengetrommelt, dass es als Gruppe möglich war, sich zu äußern. Der Hauptteil der Leute kam aus der Umgebung, aus Flatta und Naskute. Wenn ich hier um etwas bat, wurde es mir praktisch bedingungslos gewährt. Und die Dorf- und Stadtbewohner waren auch in andere Gegenden gegangen und hatten zur Demonstration aufgerufen.​
Unser Sieg war perfekt.​
Der Staatsanwalt sagte, man müsse noch einmal von vorn beginnen, da der Prozess im Chaos versunken sei, aber anders gesehen hieß dies, dass ihm keine andere Maßnahme einfiel, als abzubrechen und neu anzufangen. Da perfektes Beweismaterial vorlag, konnte der Gouverneur nicht mehr bei seiner Aussage bleiben, dass alles Unsinn war, und er begann stattdessen zu behaupten, er habe die Dokumente vergessen. In diesem Moment stand Halkaras Unschuld fest. Aber damit war es noch nicht zu Ende. Golder gab zwar noch an Ort und Stelle seinen Rücktritt als Gouverneur bekannt, aber natürlich genügte das nicht, und so wurde er direkt nach Verlassen des Gerichtsgebäudes festgenommen.​
Der Fall war geklärt, und da Halkaras Unschuld bewiesen war, wurde sie sofort freigelassen.​
»I... Ihr habt mich gerettet ... Ich hatte solche Angst ...«​
Kaum hatte Halkara mich entdeckt, traten Tränen in ihre Augen. Sie hatte lange Zeit allein ausgeharrt. Sie musste sich sehr unsicher gefühlt haben. Ich klopfte Halkara auf die Schulter und nahm sie in den Arm.​
»Du bist jetzt sicher. Der Schurke ist weg.«​
»Vielen Dank, große Meisterin ...«​
Hinter mir standen die anderen Familienmitglieder und sahen besorgt zu Halkara.​
»Sieh mal, Halkara, ich war es nicht alleine. Alle haben mitgemacht, um dich zu retten.«​
Diesmal hatte jede eine Aufgabe erfüllt. Shalsha zum Beispiel hatte zu den Professoren Kontakt aufgenommen und Laika hatte uns in Drachengestalt hin und her geflogen. Rosalie war in die Richter gefahren und hatte die bösen Taten des Gouverneurs aufgedeckt, und Falfa hatte Halkara besucht, um sie aufzumuntern. Unser Sieg war eindeutig das Ergebnis unseres Familien Teamplays.​
»Ich danke euch allen von Herzen ... Ich habe gelernt, wie hart die Gesellschaft sein kann ...«​
Irgendwie kam mir der Ausdruck unpassend vor, aber gut ... Diesmal umarmte Halkara Laika. Normalerweise mochte Laika Körperkontakt nicht so sehr, aber ein Fall wie dieser schien eine Ausnahme zu sein und sie erwiderte die Umarmung herzlich.​
»Wir haben das Böse bestraft. Jetzt gibt es niemanden mehr, der dir etwas antun will.«​
»Ich liebe euch alle! Familie ist so wichtig ...«​
Halkara umarmte auch Falfa und Shalsha fest, indem sie eine rechts und die andere links in den Arm nahm.​
»Du hast dich gut gehalten, Halkara!«​
»Danke, Falfa! Die Pfannkuchen, die du mir ins Gefängnis gebracht hast, waren lecker!«​
»Ich freue mich, dich wohlbehalten wiederzusehen ...«​
»Shalsha, vielen Dank für deine Mitarbeit!«​
Ja, das war schön - ungestörte Familienzeit. Es war hart gewesen, aber nun, da alles vorbei war, konnte man sagen, dass der Vorfall eine gute Gelegenheit gewesen war, unseren Zusammenhalt zu beweisen. Da spürte ich die Anwesenheit einer weiteren Person.​
»Es muss hart für dich gewesen sein ...«​
Vor uns stand ein unbekannter Mann mittleren Alters. Wer war das? Er sah einigermaßen hochrangig aus. Ach so, es war einer der Richter von vorhin. Aber wieso sprach er Halkara an?​
Oh ja, richtig.​
»Ähm ... Und wer sind Sie bitte?«​
Halkara sah verdattert aus. Rosalie musste immer noch in dem Richter drinstecken. Eine andere Möglichkeit war nicht denkbar.​
»Ich bin so froh, dass es dir gut geht! Das ist großartig, Mann!« Noch im Körper des Mannes, stürmte Rosalie vor, um Halkara zu umarmen.​
»Wah! Einen Moment bitte! Wenn mich ein Mann umarmt, muss ich mich vorher mental darauf vorbereiten! Oh, du riechst ... so typisch ältlich ...«​
Kein Wunder, der Körper gehörte dem Richter.​
»Rosalie, warte, warte! Du bist noch nicht draußen! Das ist der Körper eines anderen!«​
Ich versuchte hastig, sie zu stoppen, aber Rosalie war so aufgeregt, dass sie nicht zuhörte. Sie war tatsächlich noch näher am Wasser gebaut als Halkara, denn ihre Augen glänzten verdächtig. Sie schien wirklich ein warmherziger Typ zu sein.​
»Ich bin so froh, dass du frei bist ... Ich habe dir vor Kurzem so viel Ärger bereitet und mir solche Sorgen gemacht ... wirklich ... Ich bin so froh!«​
»Au, au! Die Bartstoppeln kratzen! Was soll das sein, eine neue Art Psycho Angriff? !«​
In der Tat, plötzlich von einem seltsamen, fremden Mann umarmt zu werden, konnte einem zusetzen, egal ob man männlich oder weiblich war. Wenn ich ein Mann wäre, wäre mir das auch unangenehm.​
»Huch ... Seltsam ... Mir wird so komisch ...«​
»Ahm, was hast du denn, Rosalie …?«​
»Also ... Wenn ich dich so umarme, wird mir warm ... Um es ganz direkt zu sagen, bin ich ganz erregt. Es fühlt sich an, als wenn es nicht mein eigener Körper wäre.«​
Es war ja auch nicht ihr Körper.​
»Ob das Liebe ist ... ? Nein, wir sind beide Frauen, das ist es wohl nicht ... Aber ich würde dich am liebsten stundenlang so halten ...«​
»Weil das ein männlicher Körper ist! Das sind männliche Instinkte! Bitte Lass das jetzt und halt Abstand!«​
»Männlich ... ? Oh, ich bin ja noch in dem Richter drin. Es tut mir leid, Sis !«​
Kurz darauf schlüpfte Rosalie aus dem Richter, indem sie sich Wasser aus dem Brunnen über den Kopf goss. Halkara hielt sich noch eine Weile die Wange.​
»Uuh, diese kratzigen Stoppeln sind schlimm ... Wenn ich so gefoltert würde, würde ich sogar Dinge gestehen, die ich nicht getan habe ...«​
»Es tut mir wirklich leid, Sis Halkara ... Du kannst mir später eine reinhauen!«​
Die hierarchiebewusste Rosalie verbeugte sich in einem fort.​
»Ich kann dir keine reinhauen, weil du ein Geist bist, und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun. Schließlich hast du einen riesigen Beitrag zu meiner Rettung geleistet.«​
Da die Richter ganz offensichtlich mit dem Gouverneur unter einer Decke gesteckt hatten, war es das Beste gewesen, sie mit Gewalt auf unsere Seite zu ziehen, und dafür hatten wir Rosalies Hilfe gebraucht.​
»So. Dann wollen wir uns mal vom Gericht verabschieden. Gehen wir alle gemeinsam nach Hause.«​
Für den Prozess waren wir bis in die Provinzhauptstadt Vitamei gekommen.​
»Ja ... Das Gefängnisbett war hart ...«​
Halkara erinnerte sich an ihre schreckliche Umgebung und sah trostlos drein.​
»Du musst dich allerdings noch einmal bedanken.«​
»Bei wem denn?«​
»Mit einem Wort: allen.«​
Als wir aus dem Gerichtsgebäude traten, hatten sich viele Dorf- und Stadtbewohner, die extra für den heutigen Tag hierher geeilt waren, versammelt.​
Einige von ihnen hatten Spruchbänder aufgerollt, auf denen »Halkara ist unschuldig« oder »Der Gouverneur ist korrupt« stand.​
»Nicht nur die Familienmitglieder waren Verbündete. Es haben noch viel mehr Leute an uns geglaubt.«​
»Oh ... Das ist ein toller Anblick ...«​
Halkara wirkte bewegt, als sie auf ihre Unterstützer sah. Dann rief die Menge im Chor:​
»Halkara, du hast deine Zeit in Haft ehrenhaft abgesessen!​
Willkommen zurück!«​
»Also, nur damit das klar ist: Ich bin unschuldig,ja?! Ihr dürft da nichts verwechseln!«​
Auch bedingt durch den Sturz des Gouverneurs war Halkaras Fall in aller Munde. Wenn ich ins Dorf Flatta kam, wurde ich stets mit einem​
»Das muss sehr aufregend gewesen sein!« bedacht, und auch Halkara wurde in Naskute mehrfach. angesprochen.​
Nun, eigentlich verständlich, weil dort die Fabrik stand. Doch auch anderswo, in der gesamten Provinz, sprach man offensichtlich über den Fall. Ich hatte es nicht selbst bemerkt, aber Shalsha, die mit vielen Professoren in Verbindung stand, berichtete das, also musste es stimmen. Ich befürchtete, dass wieder Typen auftauchen könnten, die ihr Augenmerk auf die „Hexe der Hochebene“ gerichtet hatten, aber vielleicht wurde es nicht so schlimm, da ich den Fall nicht mit blanker Gewalt gelöst hatte. Hätten wir Halkara gewaltsam befreit, hätte das zu einer Art Großkrieg mit harten Bandagen führen können. Dass wir auch in dem Fall wahrscheinlich gewonnen hätten, machte unsere Familie so Furcht einflößend.​
»Shalsha hat ebenfalls von dem Fall profitiert. Ich habe Professoren angeschrieben, zu denen ich bisher Abstand gehalten hatte, weil ich zu schüchtern war, und jetzt ist der Kontakt hergestellt.«​
»Wirklich, Shalsha? Das ist toll!«​
Shalsha zeigte es nicht offen, aber als ihre Mutter konnte ich erkennen, dass sie sich freute.​
»Dank der Sache habe ich auch die Gelegenheit erhalten, meine Arbeit lesen zu lassen.«​
»Deine Arbeit?«​
Shalsha legte ein Papierbündel von etwa dreißig Seiten auf den Tisch. Auf dem ersten Blatt stand: „Theorie der Schleimkultur, Shalsha Aizawa“. Das „Aizawa“ rührte daher, dass es früher mein Nachname gewesen war, aber seit ich in dieser Welt war, hieß ich nur „Hexe der Hochebene“ oder „Meisterin Azusa“ und kaum einer nannte mich mehr so.​
»Ich habe die kulturhistorische Bedeutung der Existenz von Schleimen Punkt für Punkt dargelegt.«​
»Unglaublich ... Damit hast du dich also beschäftigt, Shalsha.​
Du hast nicht nur Bücher gelesen, sondern selbst geschrieben ...«​
Über den Inhalt konnte ich nichts sagen, aber von außen sah es nach einer richtigen wissenschaftlichen Abhandlung aus.​
»Die Arbeit basiert auf dem neuesten Forschungsstand und ist gut geworden, glaube ich.«​
»Aha. Sag mal, wie viele Leute betreiben eigentlich Schleim-Forschung?«​
»Im kulturhistorischen Bereich sind es mit mir zwei im ganzen Königreich.«​
»Das Feld ist mehr als speziell!«​
Es wirkte nicht so, als könne man damit Geld verdienen, und ein Geschäft ließ sich damit auch nicht aufziehen, deshalb war die Anzahl der Leute, die sich damit befassten, wohl begrenzt.​
»Momentan denken Schleim-Forscher verschiedener Fachbereiche darüber nach, eine wissenschaftliche Tagung abzuhalten. Wenn die zustande käme, wäre das ein großer Schritt in der Geschichte der Schleim-Forschung. Shalsha hofft sehr darauf.«​
»Verstehe ... Viel Glück ...«​
In Japan hatte es auch Forschungen in vielen verschiedenen Bereichen gegeben, und hier in dieser Welt schien es nicht anders zu sein. Vielleicht würde auch ich einmal eine solche Tagung besuchen, wenn ich Shalsha begleitete.​
»Also, Shalsha, kannst du mir heute beim Kochen helfen?«​
Es war bald Mittag und ich sollte langsam anfangen.​
»Helfen?«​
»Ja. Es sind zwei Wochen vergangen, seit Halkara freigelassen wurde, und ich dachte, es wäre an der Zeit für ein spezielles Essen, als Zeichen der Anerkennung für das, was sie durchgemacht hat.«​
Es waren zwar nur ein paar Tage gewesen, aber Halkara war diesem Haus entrissen worden und hatte gelitten. Ich wollte diese Erfahrung schnell mit positiven Erinnerungen überschreiben.​
»Das ist eine wunderbare Idee. Shalsha möchte dir gerne dabei helfen.«​
»Schön. Darf ich dich dann bitten, das Gemüse zu schneiden?«​
Wir waren schon eine Weile mit den Vorbereitungen beschäftigt, als der Gast, den ich gerufen hatte, eintraf.​
»Da bin ich.«​
Beelzebub trat ein. Sie trug eine große Kiste.​
»Was ist das für eine Kiste?«​
»Ich habe auf dem Weg hierher in Naskute vorbeigeschaut und eine Kiste Nährschnaps gekauft.«​
»Du kaufst ja ein, als müsstest du etwas aus deiner Kindheit kompensieren! Das nenne ich einen Megakonsumenten!«​
»Damit werde ich eine Weile auskommen. Aber in ungefähr drei Tagen gehe ich noch einmal einkaufen. Ich bin froh, dass die Fabrik auf Massenproduktion umgestellt hat.«​
Mit solch leidenschaftlichen Fans würde die Fabrik wohl nicht pleitegehen.​
»Sehr löblich, dass ihr den größten Nährschnaps-Fan der Dämonenwelt gerufen habt. Wenn ihr mich auch gerufen hättet, als Halkara verhaftet wurde, hätte ich den üblen Gouverneur für euch im Nu in Stücke gerissen.«​
»Genau deswegen haben wir es nicht getan.«​
Es wäre ein größeres Problem gewesen, wenn wir zu weit gegangen wären und die Leute gedacht hätten: Dämonen sind Furcht einflößend, und die Hexe, die mit Dämonen abhängt, ist ebenfalls Furcht einflößend. Beelzebub war ein Nährschnaps-Freak, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie jemandem verziehen hätte, der ein Delikt erfunden und den Fabrikbetrieb gestoppt hatte.​
»Da es eine besondere Gelegenheit ist, werde ich dämonisches Essen für euch kochen. Erst einmal werden diese Kartoffeln gedämpft und zerdrückt.«​
Die Vorbereitungen für das Abendessen schritten voran. Laika und Falfa kamen dazu, und auch Rosalie bewegte ein Messer und schnitt Gemüse. Es sollte mehrere Schmorgerichte und Eintöpfe geben. Wir kochten wirklich allerhand.​
»Ich werde dämonische Hausmannskost zubereiten. Das Gericht heißt „Hölleneintopf“.«​
Das klang nun überhaupt nicht heimelig und sogar eher unheimlich scharf.​
»Man schmeißt ziemlich scharfe Gewürze rein, also wird eure Zunge taub werden.«​
»Also ist es wirklich scharf!«​
»Das Gericht wärmt einen und ist gesund. Allerdings hat man am Tag darauf Durchfall.«​
Und das kochte man in Familien?​
Während Beelzebub mitgebrachte Zutaten in den Topf warf, wurde der Inhalt immer röter. Wenn niemand davon essen würde, entstünde bestimmt eine unangenehme Atmosphäre. Ich wünschte, sie würde etwas Gewöhnlicheres kochen. Trotz dieser Befürchtung verging die Zeit und ...​
»Meisterin Azusa, es ist Zeit, sie abzuholen. Ich gehe dann mal.«​
Es war Zeit für Laika, in Richtung Halkara aufzubrechen.​
»Ja, danke. Mit dem Essen sind wir gleich fertig!«​
Jetzt musste Halkara nur noch die vielen Gerichte sehen und gerührt sein. Allerdings ...​
Wir warteten und warteten, aber Halkara und Laika kamen nicht zurück. Das Essen wurde langsam kalt. Gut, das konnte man wieder aufwärmen.​
»Sag, Azusa, sie wird doch nicht schon wieder verhaftet worden sein?«, fragte Beelzebub.​
»Das kann nicht sein ... Selbst Halkara würde doch nicht ... Hm, aber bei Halkara ist nichts unmöglich ...«​
Ärger bedeutete Halkara, und Halkara bedeutete Arger - sie waren miteinander verbunden. Ich hoffte, dass sie nicht in einen größeren Zwischenfall verwickelt worden war ...​
»Also, euer alter Gouverneur wurde entlassen, aber wie ist sein Nachfolger? Wenn es einer ist, der dem alten nahestand, könnte er zur Abschreckung an Halkara ein Exempel statuieren wollen.«​
Ich war überhaupt nicht an Politik interessiert und hatte nicht an den nächsten Gouverneur gedacht.​
»Schon sein Vorgänger war dämlich genug, einer Freundin der Hexe der Hochebene ein Vergehen anzuhängen. Er wusste nicht, wie furchterregend Hexen sind. Der nächste könnte den gleichen Fehler wiederholen ...«​
»Was soll ich tun? Was ist, wenn sie Halkara umgebracht haben oder so was?!«​
»Ich würde gerne sagen, dass du dir zu viele Gedanken machst, aber ...«​
Die fröhliche Atmosphäre verwandelte sich plötzlich in eine bedrückende.​
»Beruhige dich, Mama! Laika ist doch hingeflogen. Wenn etwas nicht stimmt, würde sie gleich zurückkommen.«​
Falfas Worte beruhigten mich ein bisschen.​
»Du hast recht. Warten wir auf Laika. Im Moment können wir nichts anderes tun ...«​
Talk zu betreiben. Die allgemeine Gemütslage war bleischwer. Schließlich war es zwei Stunden nach der Zeit, um die Halkara üblicherweise nach Hause kam.​
»Fuaaah ... Halkara ist aber spät dran.«​
Falfa begann zu gähnen. Oje. Jetzt wurde sie müde ...​
»Ähm, wollen wir Anwesenden nicht schon mal etwas essen?​
Es gibt mehr als genug.«​
»Shalsha wartet.«​
Meine ernsthafte Tochter stimmte mir nicht zu.​
»Ich möchte, dass Halkara sich an meinem Hölleneintopf satt isst, also werde ich auch warten.«​
Wenn sie davon viel aß, würde sie sich garantiert den Magen verderben ...​
»Je länger man wartet, desto mehr zieht die Schärfe in die Zutaten und das Gericht wird immer besser. Es ist die Art Essen, die am zweiten Tag noch leckerer schmeckt. Kein Problem.«​
Halkara ... Auch wenn du nach Hause kommst, erwartet dich die Hölle. Schließlich war es drei Stunden später als sonst.​
»Ssss ... Chrrr ...«​
Falfa war eingeschlafen. Da ich sonst nichts tun konnte, legte ich eine Decke über sie. Ich überlegte, sie in ihr Zimmer zu tragen und ins Bett zu legen, aber wenn die Party später doch steigen würde und sie nicht dabei wäre, wäre Falfa sicherlich traurig. Ich beschloss, sie zu wecken, wenn Halkara nach Hause kam.​
»Hmmm, die Sache verunsichert mich ... Soll ich mal nachschauen gehen?«, schlug Rosalie vor.​
»Aber Geister können sich in diesem Raum nicht mit Hochgeschwindigkeit fortbewegen, oder? Es wäre nicht gut, wenn ihr euch verpassen würdet ...«​
»Ich werde dem Hölleneintopf ein Upgrade verpassen. Dann sollte ich ihn wohl besser Super- Hölleneintopf nennen. Der ist nämlich noch extrem viel schärfer.«​
Mit diesen Worten verschwand Beelzebub in Richtung Küche.​
Ich gab auf. Sollte sie ihn so Höllen scharf machen, wie sie wollte.​
Aber nun war es wirklich sehr spät ... Wenn sie auch in einer weiteren Stunde nicht zurück wäre, sollten wir zumindest überprüfen, ob sie in Sicherheit war. Ich glaubte nicht, dass sie mit Laika an ihrer Seite einen Kampf verlieren würde, aber es gab keine Garantie, da es in dieser Welt so einige grauenhafte Wesen gab. Gerade als ich das dachte ... meinte ich, Drachenschwingen schlagen zu hören. Eilig stürzte ich hinaus. Es war Halkara, die auf Laika in Drachengestalt saß!​
»Es ist spät geworden ... tut mir leid ...« Halkara stieg torkelnd von Laikas Rücken. »Was war denn los? Du wirkst völlig erschöpft.«​
»Also, wir haben doch jetzt einen neuen Gouverneur für unsere Provinz.«​
Was, hatte der sich etwa wirklich irgendwie gerächt?​
»Dem neuen Gouverneur haben der Nährschnaps und andere Produkte gut gefallen, und als er sie ins Schloss mitgenommen hat, hat auch der König Gefallen daran gefunden, heißt es ... Und jetzt ist ein offizieller Auftrag von der Regierung gekommen ...«​
»Von der Regierung?!«​
»Das Meeting darüber ging furchtbar lang ... Und weil es eben ein Staatsauftrag ist, konnte ich die Sache nicht einfach auf morgen vertagen ... Deswegen musste ich so viele Überstunden machen ...«​
»Wenn ich gewusst hätte, dass es so spät wird, wäre ich zwischendurch nach Hause gekommen, aber da ich keine Ahnung hatte, wann es enden würde ... Entschuldigt, ich habe die Lage wohl falsch eingeschätzt.«​
Laika hatte wieder Menschengestalt angenommen und senkte ihren Kopf. Es war nicht Laikas Fehler gewesen, also hatte ich ihr nichts vorzuwerfen.​
»Oh, ach so. Also war es grundsätzlich ein positives Problem.«​
Die Sorgen hätte ich mir sparen können.​
»Puuuh, ich bin total kaputt ... Ich brauche heute kein Abendessen, ich will einfach nur ins Bett ...«​
»Nein, das geht nicht.«​
Ich führte Halkara in das Party Zimmer. Dort war das Essen schön angerichtet.​
»Huch, was ist das?«​
»Du hast viel durchgemacht. Deswegen haben wir beschlossen, ein Festessen zu veranstalten. Es ist allerdings viel später geworden als geplant.«​
»Vielen Dank, große Meisterin!«​
Halkara umarmte mich fest. Ich hatte mich langsam daran gewöhnt, aber ihre Oberweite war wirklich unfassbar elastisch. Das war etwas, von dem man sagte, es gefalle Männern. Aber Frauen konnten es wohl auch ganz gut finden. Ich war in einer reinen Mädchen Highschool gewesen, und einige in meiner Klasse hatten anderen die Brüste gedrückt.​
»Sag mal, welche Cup Größe trägst du eigentlich?«​
»Was meinst du mit Cup?«​
Aha. Hier gab es also keine Maßeinheiten für die Oberweitengröße. Aber auch ohne war bei ihr sofort klar, dass ihre sehr groß war. Während ich mit Halkara sprach, wachte Falfa auf.​
»Oh, Halkara. Du bist wieder zu Hause?«​
»Jetzt sind wir vollzählig! Lasst uns feiern, um Halkara zur Überwindung aller Schwierigkeiten zu gratulieren und ihr alles Gute für die weitere Entwicklung ihres Geschäfts zu wünschen!«​
Alle bekamen Gläser in die Hand.​
»Gut gemacht, Halkara! Weiter so!«​
Ein leichter Tränenschleier lag über Halkaras Augen. Ihr Gesicht sah schön und erwachsen aus, und sie wirkte ein bisschen anders als der Witz Chara, der sie sonst war.​
»Dank euch kann ich meiner Arbeit als Direktorin nachgehen. Wirklich und ehrlich ... vielen, vielen Dank ...«​
»So, und jetzt greif zu! Du bist die Direktorin, und man wird es dir nachsehen, wenn du morgen mal später zur Arbeit kommst. Zur Chef-Zeit!«​
»Ja! Ich werde auf jeden Fall alles essen! Wir haben ein großes Projekt abgeschlossen, daher bin ich sowieso in Feierlaune!«​
In diesem Moment erschien ein heftig brodelnder Topf auf der Bildfläche.​
»Ich habe die Schärfe zehnfach erhöht.«​
Beelzebubs Worte klangen beunruhigend.​
»Ähm ... Beelzebub ... Was ist das für ein Gericht?«​
»Es heißt Hölleneintopf und ist dämonische Hausmannskost.​
Du musst das unbedingt essen. Es ist ein Geschenk für dich von einem Nährschnaps-Fan.«​
Beelzebub schöpfte den tiefroten Eintopf auf einen Teller.​
»Ist das nicht scharf?«​
»Keine Sorge. Die Dosis ist nicht tödlich.«​
Das waren keine Worte, die im Zusammenhang mit Essen fallen sollten. Ängstlich nahm Halkara einen Bissen.​
»Oh, so scharf ist es garni ... Wah! Es brennt nach! Er brennt ganz fürchterliiich!«​
»Es ist noch ganz viel da. Du hast gesagt, du würdest alles essen. Das klang sehr vielversprechend.«​
»Warte! Das habe ich aus der Situation heraus gesagt! Ich wusste nicht, dass es das hier gibt!«​
»Willst du damit etwa sagen, dass du nicht essen kannst, was ich gekocht habe?«​
Oh, das lief jetzt gar nicht gut.​
»Ich bin satt und habe langsam genug, glaube ich ...«​
»Ich auch...«​
»Ich bin ein Geist und kann leider nichts essen.«​
»Falfa ist zu müde, um viel zu essen ...«​
»Vor dem Schlafengehen sollte man sich mit dem Essen zurückhalten. So hat Shalsha es gelernt.«​
»Versucht ihr etwa alle, euch unauffällig zu drücken?! H...​
Helft mir!«​
Am nächsten Tag hatte Halkara einen verdorbenen Magen und konnte nicht in die Fabrik gehen. Aber gerade in hektischen Zeiten war es wichtig, sich freizunehmen, auszuruhen und die Kondition wiederherzustellen. Übrigens hatte Halkara wegen des scharfen Essens ungewöhnlich zurückhaltend getrunken, weshalb sie am nächsten Tag keinen Kater hatte. Wahrscheinlich war es unter dem Strich gut für ihre Gesundheit gewesen.​
»Puuuh, ich denke, ich werde einen Drink entwickeln, der hilft, wenn man zu scharf gegessen hat ...«​
Halkara nahm einen selbst gemachten Medizin-Mix aus Pilzen und Kräutern ein und seufzte.​


 
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Ein Kleid für einen Geist

Es war am Morgen nach der Feier für Halkara. Als ich das Frühstück für die Familie zubereitete, kam Beelzebub, die aus irgendwelchen Gründen draußen gewesen war, durch die Haustür herein.​
»Wo warst du denn?«​
»Ich habe einen kleinen Spaziergang gemacht. Die Luft der Hochebene ist so frisch und angenehm. Besonders, wenn man am Tag zuvor etwas getrunken hat. Es hilft, den Schalter wieder umzulegen.«​
Ein Morgenspaziergang klang unheimlich gesund und sehr undämonisch.​
»Früher, als wir gegen dieses Land Krieg geführt haben, sagte man uns Dämonen nach, wir würden oft nachts auftauchen, aber nachtaktiv zu leben ist nicht sehr gesund. Ich predige den anderen Dämonen immer, früh aufzustehen und früh schlafen zu gehen.«​
»Es wäre schrecklich, in einer Welt zu leben, in der man schon am frühen Morgen auf der Hut vor Dämonen sein muss. Lass uns auch in Zukunft in Frieden zusammenleben.«​
»Mach dir keine Sorgen, es gibt überhaupt keine Pläne, einen Krieg zu beginnen. So wie euer Land nicht vorhat, Dämonengebiet zu besetzen, glauben auch wir nicht, den gesamten Kontinent beherrschen zu müssen. Das wäre bei der enormen Größe viel zu unpraktisch. Auch wenn man den Service bedenkt, den das Volk von der Verwaltung hat, ist das, was wir jetzt haben, genau richtig.«​
Diese Konversation reichte schon, um davon ausgehen zu können, dass kein Angriff durch die Dämonen zu befürchten war.​
»Richtig. Der Tag der Übergabe des Dämonen-Verdienstordens steht nun fest. Komm vorbei und nimm ihn an.«​
»Ach, du meinst den in der Kategorie Frieden, oder?«​
Ich hatte einmal einen Kampf zwischen zwei Drachenstämmen beigelegt, und das hatte aus unerfindlichen Gründen Anerkennung bei den Dämonen gefunden, weshalb mir nun dieser Orden verliehen werden sollte. Es war offensichtlich eine Ehre, aber da ich außer Beelzebub keine Verbindungen zur Dämonenwelt hatte, kannte ich keine Details.​
»Dann nehme ich ihn gerne entgegen. Sag mir bitte noch das genaue Datum.«​
Ich war keine Angestellte, weshalb sich der Termin nicht mit Arbeit überschneiden konnte. In dem Punkt war mein jetziger Lebensstil wirklich privilegiert. Zu meiner Zeit als Firmensklavin war es schon mal passiert, dass am Tag eines Konzerts unerwartet Arbeit hereingeschneit kam und ich auf den Kosten für mein Ticket sitzen geblieben war. Beelzebub nannte einen Termin in drei Wochen. Das war relativ bald.​
»Gut. Ich werde Halkara sagen, sie solle dafür sorgen, dass sie an dem Tag freihat und nicht in die Fabrik muss.«​
»Ja. Wir werden allerhand Essen vorbereiten und auf euch warten.«​
Bei diesen Worten bekam ich ein mulmiges Gefühl.​
»Ähm ... Es sind aber nicht alle dämonischen Speisen scharf, oder …?«​
Gestern hatte Halkara würgend und mit den Worten „Meine Lippen schwellen an ... Können wir nicht Honig rein geben?“ den Hölleneintopf gegessen. Wenn alle Gerichte scharf wären, hätten wir ein Problem.​
»Nein, es ist nicht alles scharf, keine Sorge. Wenn ihr Süßes bevorzugt, werde ich darauf achten, dass vorwiegend süße Gerichte zubereitet werden.«​
»Danke. Die Essgewohnheiten unterscheiden sich ja von Region zu Region ziemlich stark.«​
Schließlich würde es uns auch leidtun, wenn wir nicht essen konnten, was man freundlicherweise für uns gekocht hatte.​
So war unsere Teilnahme an der Verleihungsfeier des Dämonen-Verdienstordens offiziell beschlossen. Da ich noch nie Dämonengebiet betreten hatte, war ich recht neugierig. Früher wäre ich nervös gewesen, aber Beelzebubs Verhalten nach zu urteilen würden wir wohl keine Probleme bekommen. Nur Halkara war ängstlich.​
»Ich habe einfach ein ungutes Gefühl ... Ist es in Ordnung, wenn ich an dem Tag zufällig Bauchschmerzen bekomme?​
»Hast du so eine Angst, dass du dich krank stellen willst?«​
»Ich vermute, sie werden uns seltsames Essen servieren ...​
Sie hat zwar gesagt, es soll nichts Scharfes geben, aber ich befürchte, am Ende bedeutet es nur: nicht so scharf wie das andere Ding...«​
Die schlimme Erfahrung vom letzten Mal hatte sie misstrauisch gemacht.​
»Huch? Du willst dich krank stellen, Halkara?«​
Falfa hatte ihre Worte aufgeschnappt.​
»Das war nur so ein Ausdruck, Falfa. Ich habe das Gefühl, mein Bauch könnte zufällig an dem Tag wehtun ...«​
Halkara versuchte offensichtlich, die Sache wieder hinzubiegen.​
»Keine Sorge!«​
Falfa schlug sich mit der Hand kräftig vor die Brust.​
»Falfa ist sehr verschwiegen! Ich werde den Dämonen auf keinen Fall sagen, dass du dich nur krank stellst! Glaub mir! Ich werde allen sagen, dass du nicht nur so tust!«​
»Nein, Lass das! Wenn du extra betonst, ich würde mich nicht krank stellen, ist das verdächtig!«​
»Ich verstehe gut, wie du dich fühlst, Halkara, also mach dir keine Sorgen! Das Essen, das Beelzebub gekocht hat, hat dir zugesetzt, oder? Du mochtest es nicht, und deswegen willst du diesmal nicht mitkommen, nicht wahr?«​
»N... Naja ... So gesehen hast du schon recht, aber ...«​
»Ich werde es Beelzebub ganz beiläufig beibringen!«​
Kalter Schweiß trat auf Halkaras Stirn. Ich klopfte ihr locker auf die Schulter.​
»Gib auf, Halkara. Wenn das so weitergeht, wird Falfa wirklich erzählen, dass du dich krank stellst und zu Hause geblieben bist. Und dann könnte es sein, dass die Dämonen dir das übel nehmen ...«​
»Denkst du das auch? Das läuft gar nicht gut ... Das ist so ein Fall, in dem jemand versichert, nie und nimmer etwas zu sagen, und dann doch redet ..«​
So eine Art Witz gab es doch auch in Japan. Es musste ein universelles Problem sein.​
»Verstanden ... Ich werde teilnehmen und mich dabei fühlen, als würde ich vom Spitzturm von Carrard springen ...«​
Halkara hatte sich entschieden, doch mitzukommen, und sie zitierte ein Sprichwort, das einem japanischen ähnelte - demnach fühlte man sich bei einem schwierigen Entschluss so, als wenn man von der Plattform eines gewissen, hoch gelegenen Tempels sprang. Aber nun stand fest, dass die ganze Familie mitkam, und das war doch erfreulich.​
»Wir können die Festkleidung anziehen, die wir uns für die Drachenhochzeit gekauft haben, also wäre der Punkt auch geklärt.«​
Seit dem letzten Mal war unsere Familie allerdings gewachsen. »Tut mir leid, Big Sis ...«​
Rosalie kam zu mir geschwebt.​
»Aber ich habe kein Partykleid ...«​
»Ach ja, stimmt. Dann gehen wir noch mal ins Dorf oder in die Stadt und kaufen ... Huch?«​
Wie kaufte man ein Kleid für einen Geist? Konnte sie überhaupt eins tragen?​
»Wenn ich so darüber nachdenke, trägst du die ganze Zeit über diese Stadtmädchen-Kleidung. Kann sich deine Kleidung denn ändern?«​
»Seit ich ein Geist geworden bin, trage ich immer dieses Outfit. Keine Ahnung, wie ich mich umziehen könnte ...«​
Ups! An so ein Problem hatte ich überhaupt nicht gedacht! Da ich nicht wusste, was ich tun sollte, fragte ich Laika und Shalsha. Ich vermutete, dass die beiden sich auch in diesem Bereich gut auskannten.​
»Ob es einen Laden gibt, der Kleidung für Geister verkauft?«​
»Ich habe nicht die geringste Ahnung ...«​
»So ein Fall kommt nicht einmal in Märchen vor.« Fehlanzeige. Aber es war einfach nicht nett, Rosalie als Einzige in Alltagskleidung an der Sache teilnehmen zu lassen ... Ich fragte also auch in Bekleidungsläden in der Stadt nach.​
»Kleidung für Geister ... ? Nun ja, Geister können nicht bezahlen, also wäre das kein sinnvolles Geschäft ..«​
So lautete die Reaktion. Nun. Das war durchaus nachvollziehbar. Selbst wenn man Kleidung für Geister herstellen könnte, würde man damit kein Geld verdienen, also tat es auch keiner. Danach besuchte ich einen Gelehrten, den mir Shalsha vorgestellt hatte und der sich gut mit Geistern auskannte. Der ehrwürdige Gelehrte mit dem schneeweißen Bart sagte Folgendes:​
»Ein Geist ist eine Seele, die in dieser Welt verblieben ist und eine ähnliche Gestalt besitzt wie zu Lebzeiten. Deshalb ist auch das, was wie Kleidung aussieht, ein Teil des Geists. Dass man einen Geist an sich nicht austauschen kann, liegt auf der Hand. Demnach gibt es auch keine ernst zu nehmende Methode, seine Kleidung auszutauschen.«​
Auch dem musste ich zustimmen. Das, was wie Kleidung aussah, war eine Erinnerung aus Rosalies Leben. Wenn Rosalie zu Lebzeiten Partykleider getragen hatte, und sich bis ins Detail daran erinnern könnte, wäre es aber vielleicht möglich, dass sich ihr Outfit in Festkleidung verwandelte. Doch das war nahezu undenkbar. Partykleider trug man nur, wenn man ausging, also war es unwahrscheinlich, dass die Erinnerungen an diese gegen die Erinnerungen an die Alltagskleidung ankamen.​
Es waren zwar nur ein paar Tage, aber in dieser Zeit hatte ich so konzentriert nach einer Lösung gesucht, dass Rosalie persönlich mich ansprach.​
»Es ist schon gut, Big Sis ... Was nicht geht, geht nicht ...«​
»Rosalie, du denkst dir sicher, du musst es einfach nur schlucken. Aber es ist nicht richtig, dass jemand, der nichts Böses getan hat, etwas runter schlucken muss.«​
In meiner Zeit als Firmensklavin hatte ich bis zum Abwinken Dinge geschluckt, was so viel bedeutete, wie das Denken aufzugeben. Wenn man ständig Dinge hinunterschluckte und aufgab, wäre die Zivilisation für immer auf dem Stand der Steinzeit stehen geblieben.​
»Du würdest dich doch auch gerne schön machen wie wir anderen, oder, Rosalie?«​
So gefragt zögerte Rosalie eine Weile und nickte dann. »Ja, schon, wenn ich die Chance hätte ...«​
»Siehst du? Dann Lass uns nach einer Methode suchen! Nicht so schnell aufgeben!« »Aber ... Wie sollen wir das anstellen? Bestimmt gibt es nicht mal irgendeinen komischen Zauber, der so was kann.«​
»Das ist es!«​
Ich schrie laut auf.​
»Ich muss einen Zauber benutzen!«​
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen solchen Zauber gibt.«​
»Ein alter Feldherr sagte mal: Wenn der Kuckuck nicht singen will, bringe ich ihn zum Singen. Also: Wenn es keinen Zauber gibt, werde ich einen erschaffen.«​
»Kuckuck? Ist das so etwas wie ein Cockatrice, der die Fähigkeit hat, Dinge zu versteinern?«​
»Oh, vergiss es ... Das ist ein Spruch aus meinem vorherigen Leben ...«​
Ich beschloss, einen Zauber zu erschaffen, mit dem man die Kleidung eines Geists verändern konnte. Schließlich konnte ich einen Zauber aus dem Nichts erschaffen. Nun war ich gefragt und musste zeigen, was eine Hexe mit ihren schon unfair vielen Fähigkeiten konnte. Doch bereits kurz nachdem ich begonnen hatte nachzuforschen, stellte ich fest, dass die Sache richtig schwierig war. Ein Zauber, der auf Geister wirkte, war an sich schon eine ziemlich spezielle Angelegenheit. Und die Kleidung verändern zu wollen, war noch spezieller. Es gab keinerlei ähnlichen Zauber. Und da es ein Zauber war, der direkt in eine Seele eingriff, bestand zudem die Gefahr, Rosalie zu schaden, wenn ich einen Fehler machte. Das war selbst mit meinem Cheat Status eine schwierige Aufgabe ... Die Zeit verging wie im Flug. Bereits in zwei Tagen wollten wir uns auf den Weg machen. Und endlich gab es in Sachen Zauber Fortschritte zu vermelden. Zumindest einen Anhaltspunkt für eine geeignete Methode hatte ich gefunden. Nun musste ich die Idee nur noch umsetzen. Ich überreichte Rosalie ein Kleid. Es war weiß, und das Design war schlicht gehalten.​
»Hier, Rosalie.«​
»Ahm, was soll ich damit machen, Big Sis? Du kannst es mir gerne zeigen, aber ich kann es nicht anziehen ...«​
»Sieh dir das Kleid erst einmal ganz genau an und präge es dir fest ein. Danach stellst du dir dich vor, wie du das Kleid trägst. Ganz so, als wenn du es wirklich anhast und auf einer Party herumläufst. Sieh es als mentales Training.«​
Rosalie schien mir nicht folgen zu können.​
»Big Sis, hast du dich jetzt etwa in den Spiritualismus geflüchtet? Nach dem Motto: Wer glaubt, wird gerettet werden, oder so?«​
Von einem Geist für okkultistisch gehalten zu werden fühlte sich seltsam an.​
»Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mit einem Zauber deine Vorstellungen verstärken könnte. Wenn du es schaffst, zwei Tage lang mit deiner Vorstellung, wie du das Partykleid trägst, das alte Bild von dir zu überschreiben, müsste sich dein Äußeres verändern können.«​
Mein ernstes Gesicht schien Rosalie zu motivieren.​
»Verstanden. Ich werde zusehen, dass sich deine Mühen auszahlen!«​
»Das ist die richtige Einstellung. Wer glaubt, wird nämlich tatsächlich gerettet!«​
Und so betrachtete Rosalie das Kleid rund um die Uhr und betrieb ziemlich hartes mentales Training. Sie sah es sich aus verschiedenen Winkeln an und lief im Haus herum, als wenn sie sich auf einer Party befände.​
Laika zuckte zusammen, als sie einmal auf Rosalie stieß, die „Hier findet gerade eine Stehparty statt . .. eine Stehparty ...“ murmelte. Aber in gewissem Sinne war es normal, dass Geister Menschen erschreckten. Also passte auch das.​
Endlich war der Moment gekommen, den Zauber anzuwenden. Ich zog einen ziemlich seltsam geformten magischen Kreis im Garten. Er war oval. Normalerweise galt: Je näher man an einem perfekten Kreis dran war, desto besser. Aber es hieß auch, um auf einen Geist einzuwirken, war es so besser. Bei meinen Recherchen war ich zu diesem Ergebnis gekommen. Rosalie stand außen, dicht an der Kante des magischen Kreises. Direkt vor ihr auf dem Boden lag das Kleid. So konnte sie bis zum letzten Moment ihr mentales Training betreiben.​
»Ich fange an.« »Ja, Big Sis. Bitte.«​
Ich stimmte meinen neu erschaffenen Zauber an.​
»Erleuchte das Dunkel, das sich zwischen dieser Welt und der nächsten Welt erstreckt ... Lass die ausgestreckte Hand die andere Seite erreichen ...«​
Ich beendete den Zauberspruch ohne besondere Vorkommnisse. Nun würden wir sehen, ob es funktioniert hatte oder nicht. Da ich den Zauber zum ersten Mal anwandte, hatte ich keine Ahnung, wie es ausgehen würde.​
»Funktioniere, Zauber! Verändere dich, Rosalie!«​
Das gehörte nicht direkt zum Zauberspruch, aber ich schloss die Augen und rief die Worte laut aus. Als ich vorsichtig die Augen wieder öffnete ... stand dort Rosalie in dem Partykleid! Es war sogar prächtiger als das Kleid, das ich ihr gegeben hatte, und mit herrlicher Spitze versehen.​
»Oh ... Oh, Big Sis ... Es hat geklappt! Damit kann ich auf einen Ball gehen, verdammt!«​
Rosalie war zu Tränen gerührt. Und ich weinte gleich mit.​
»Ich bin so froh! Jetzt kannst du im Partykleid ins Dämonengebiet gehen! Abgesehen von deiner Art zu reden, bist du eine richtige Prinzessin!«​
»Vielen, vielen Dank!«​
Wir umarmten einander fest. Da Rosalie ein Geist war, schlüpften meine Arme durch sie durch, aber um solche Kleinigkeiten kümmerten wir uns nicht. Das war eben die Art, wie wir uns umarmten, und Schluss. Eine Luft-Umarmung.​
»Big Sis, sind kleine Änderungen möglich?«​
»Hm? Möchtest du dem Kleid etwas hinzufügen?«​
»Ich dachte, ein Schriftzug auf dem Rücken wie > Hier kommt Rosalie würde mir gefallen ..«​
Gut, diesen Vorschlag würde ich definitiv ablehnen ...​
Zwei Naturgeist-Schwestern, die aus den gesammelten Seelen von Schleimen geboren wurden. Die ältere Falfa ist ein unbekümmertes Mädchen, das ihren Gefühlen gegenüber ehrlich ist. Die jüngere Shalsha ist aufmerksam und nimmt Rücksicht auf andere. Beide lieben ihre Mama Azusa​
Ein junges Elfenmädchen und Azusas zweiter Lehrling. Ihr beneidenswert perfektes Äußeres und ihr gelegentlich reifes Benehmen wird von der Familie (besonders von Azusa) bewundert ... Und doch ist sie unverändert diejenige in der Familie, die ständig ins Fettnäpfchen tritt.​
Ein hochrangiger Dämon, auch Herr der Fliegen genannt. Sie liebt den von Halkara hergestellten Nährschnaps und Falfa und Shalsha, als wenn es ihre Nichten wären und pendelt deshalb häufig zwischen dem Dämonenreich und dem Haus in der Hochebene hin und her. Für Azusa ist sie so etwas wie eine verlässliche „große Schwester“.​







 
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Ein Leviathan kommt vorbei

Endlich war der Tag da, an dem wir in Richtung Dämonenland aufbrechen wollten. Wir waren allerdings noch im Haus und in unserer alltäglichen Kleidung. Es war geplant, dass Beelzebub uns abholen kam. Sie hatte gesagt, die Reise werde eine Weile dauern, also wollten wir uns erst umziehen, wenn wir angekommen waren. Nur Rosalie war wegen des Zaubers bereits im Party-Outfit.​
»Sie müsste bald kommen. Wir haben zwar keine genaue Zeit ausgemacht, aber ...«​
Ich hatte ein Buch gelesen, während wir auf Beelzebub warteten, aber irgendwie war ich unruhig.​
»Sie wird schon bald da sein. Ich gehe jetzt zum dritten Mal nachsehen, ob wir überall abgesperrt haben.«​
Da Laika sehr gewissenhaft war, überprüfte sie immer wieder die Schlösser der Fenster und des Hintereingangs. Es gab wohl kaum jemanden, der in dieses Haus einbrechen würde, aber falls es doch geschah, wäre das unangenehm. Es ging also nichts über Genauigkeit. Übrigens hatte ich unser Haus auch noch mit demselben Verbrecher abwehrenden Bannkreis umgeben, mit dem ich vor einiger Zeit das Dorf versehen hatte.​
»Hoffentlich hassen mich die Dämonen nicht ... Hoffentlich hassen sie mich nicht ...«​
Ich wünschte, Halkara würde sich ein bisschen mehr bemühen, Spaß an der Sache zu haben. Falfa und Shalsha freuten sich schlichtweg darüber auszugehen, sie kamen nicht zur Ruhe und schwirrten aufgeregt umher. Plötzlich wurde das Sonnenlicht, das hineingeschienen hatte, überschattet. Ob sich eine dicke Wolke über die Sonne geschoben hatte? Aber es blieb draußen dunkel.​
Ich fragte mich, ob sich ein plötzlicher Regenschauer ankündigte, und trat hinaus. Als ich zum Himmel aufsah, merkte ich, dass das nicht der Grund war.​
»Was ist das?!«​
Etwas unfassbar Großes, ein mehr als gigantisches Etwas, hatte die Sonne verdunkelt. War es ein Weltraum-Schlachtschiff? Nein, wir würden doch ganz sicher nicht zusammen ins Weltall aufsteigen. Und irgendwie sah das Ding zudem eigentlich eher wie ein Lebewesen aus. Auch die restlichen Familienmitglieder kamen heraus, um zu sehen, was los war. Alle erstarrten bei dem Anblick.​
»Laika, weißt du, was das ist?«​
»Ein ... Dämon vielleicht? Irgendetwas an ihm ähnelt auch uns Drachen ...«​
In dem Moment stieg jemand von oben herab. Beim Näherkommen erkannte ich Beelzebub.​
»Entschuldigt, dass ihr warten musstet. Ich bin gekommen, um euch abzuholen. Und jetzt möchte ich, dass ihr hier hochkommt. Es wäre umständlich, hier zu landen, also Laika, bring alle in deiner Drachengestalt hierher, ja? Danach werdet ihr bis ins Dämonenreich geflogen.«​
»Beelzebub, was ist das da oben …?«​
Das gigantische Etwas bedeckte den ganzen Himmel.​
»Ein Leviathan.«​
»Huch? Ist ein Leviathan nicht ein Meeresmonster?«​
»Mutter, laut einer gewissen Theorie ist ein Leviathan eine Art Drache«, erklärte mir die gelehrte Shalsha.​
»Ich weiß nicht, ob sie mit Drachen verwandt sind, aber Leviathane sind ultragroße Dämonen, die fliegen können. Vielleicht hält man sie für Meeresungeheuer, weil sie manchmal ins Meer tauchen, um Urlaub zu machen«, sagte Beelzebub.​
»Diese Größe ist mir einfach zu viel ...«​
Wie viel aß dieses Wesen bloß, um sich am Leben zu halten ... ? Die nicht fliegenden Familienmitglieder stiegen auf Laikas Rücken. Rosalie und ich benutzten unsere eigenen Flugfähigkeiten (obwohl es fraglich war, ob man bei Rosalie von Flugfähigkeiten sprechen konnte), um zum Leviathan hoch zu schweben. Wie man es von einem derart riesigen Wesen erwarten würde, war der Rücken breit und flach. Und darauf standen mehrere Gebäude. Ich hatte schon gehört, dass Leute Wale für Inseln gehalten hatten, und dies war wohl so ein ähnlicher Fall.​
»Ist ein Leviathan denn so etwas wie ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff ... ?«​
»Nicht ganz, aber allzu sehr daneben liegst du damit auch nicht. So, ich bringe euch jetzt zur Unterkunft für Ehrengäste. Ihr könnt auch raus aufs Deck gehen, aber passt auf, dass ihr nicht hinter das Sicherheitsgeländer tretet und runter fallt. Es sieht zwar flach aus, aber wenn sich der Leviathan bewegt, besteht die Gefahr, dass es plötzlich steil wird.«​
»Mutter, Shalsha ist unheimlich aufgeregt.«​
Ihr Gesichtsausdruck hatte sich kaum verändert, aber Shalshas Stift tanzte eifrig über das Heft, das sie sich für Notizen mitgenommen hatte. Sie hatte anscheinend vor, ein Protokoll über Leviathane zu verfassen.​
Zunächst einmal wurden wir von Beelzebub zu den Zimmern, oder eher dem Gebäude für Ehrengäste geführt. Die unheimlichen, gesichtsähnlichen Dekorationen dort waren wohl Dämonen-Stil. Ansonsten lag ein teuer aussehender Teppich auf dem Boden und darauf stand ein prächtiger Tisch. Es gab auch einige Betten.​
»Ein Leviathan kann sich nicht so schnell fortbewegen, deshalb werdet ihr heute hier übernachten.«​
»Wir werden also schon während der Reise bewirtet.«​
»Außerdem haben wir eure Essgewohnheiten berücksichtigt und werden hauptsächlich Geflügel und Gemüse servieren. Keine Sorge, es ist auch nichts scharf.«​
Ein Glück. Beelzebub schien bemüht, sich uns anzupassen.​
»Das zweite Geschoss ist der Speisesaal, das dritte Geschoss der Aussichtsbereich. Wer die Landschaft vom Himmel aus genießen will, kann später dorthin gehen. Jetzt zeige ich euch die Räume nebenan.«​
Unsere Familie folgte ihr im Gänsemarsch. Das benachbarte Gebäude sah aus wie ein Casino. Es Jagen allerhand Kartenspiele und Brettspiele aus.​
»Ist das eine Spielbank?«​
»Genau. Damit liegst du richtig. Aber heute werden wir sie nicht öffnen, weil ihr die einzigen Gäste seid ... und weil es sehr gefährlich ist.«​
Halkara sah enttäuscht aus.​
»Was meinst du mit sehr gefährlich?«​
»Wenn du dich ins Spiel rein steigerst und haushoch verlierst, wird dir dein letztes Hemd weggenommen. Wenn Dämonen spielen, meinen sie es immer ernst. Selbst Ehrengästen gegenüber würden sie nicht absichtlich verlieren. Es ist schon oft passiert, dass jemand im Casino nicht nur sein Vermögen verloren hat, sondern auch die Rechte an sich selbst und als Schuldensklave endete.«​
Beelzebub blickte kurz zu Halkara hinüber.​
»Wenn Halkara ihr ganzes Vermögen verlieren würde, wäre es mir, die sie eingeladen hat, unangenehm ...«​
Halkara schien diese Worte nicht gehört zu haben, denn sie sagte:​
»Aaach, wenn es ein Spielcasino gäbe, würde ich mein Vermögen verdoppeln.«​
Es wäre schlimm, wenn sie stattdessen umgekehrt ihre Fabrik aufgeben müsste, also war ich froh, dass es nicht geöffnet hatte ...​
Dann gingen wir weiter in das Gebäude nebenan. Es war kaum übertrieben zu sagen, dass sich beinahe eine ganze Stadt auf dem Rücken des Leviathans befand. Ich erkannte sofort, was wir hier hatten. Es gab nämlich zwei Umkleideräume, einen für Männer und einen für Frauen.​
»Hier ist der große Baderaum. Ihr könnt so lange in Ruhe baden, bis wir ankommen.«​
»Sehr schön. Wir werden später darauf zurückkommen.«​
»Da wir schon mal hier sind, wollt ihr einen Blick rein werfen? Schließlich wird es gerade von niemandem genutzt.«​
Wir gingen durch den Umkleideraum und betraten das Bad. Wir zogen nur die Schuhe aus. Aber aus irgendwelchen Gründen war dort bereits jemand.​
»Huch ... ? Ich dachte, um diese Zeit würde niemand kommen ..«​
Die Sprecherin sah wie ein junges Mädchen aus, aber da ihr etwas aus dem Kopf wuchs, konnte sie kein normaler Mensch sein. Aber wer war sie, dass sie hier mitfuhr?​
»He du, du bist im Dienst. Würdest du wohl aufhören blauzumachen und arbeiten?!«​
»Es tut mir leid, Boss ...«​
Sie senkte ihren Kopf. Das Mädchen stieg mit einem lauten Platschen aus dem Bad.​
»Freut mich, euch kennenzulernen. Ich bin der Leviathan Vania. Im Moment habe ich Menschengestalt angenommen, aber ich wechsele mich mit meiner Schwester Fatla mit dem Fliegen und der Wartung ab. Gerade ist meine ältere Schwester Fatla mit dem Fliegen dran.«​
Die Erklärung war schön und gut, aber wenn sie von jemandem kam, der splitterfasernackt war, konnte man nicht wirklich entspannt zuhören ... Doch sie hatte einen wirklich straffen, schönen Körper ... Fast wie eine Puppe.​
»Vania, hör auf, nackt zu reden! Du benimmst dich wie ein Barbar!«​
»Es tut mir leid, Boss!«​
Vania stieg zurück in das Badebecken.​
»Übrigens ist die Wasserqualität dieses heißen Quellwassers dämonisch, also seid bitte vorsichtig.«​
»Dämonisches Wasser? Davon habe ich noch nie gehört.« Ich kannte nur alkalisch und schwach sauer.​
»Hmmm, also kurz gesagt macht es die Haut glitschig und glatt.«​
»Ah, das ist ziemlich üblich bei Thermalquellen.«​
»Wenn man allerdings im Bad einschläft und mehrere Stunden drin bleibt, löst man sich auf.«​
Oh, Hilfe!​
»Natürlich nur, wenn man stundenlang drinsitzt. Ich glaube nicht, dass jemand sieben oder acht Stunden am Stück badet, also braucht ihr euch nicht groß Gedanken zu machen.«​
Laika legte ihre Hand auf Halkaras Schulter.​
»Halkara, geh bitte nicht allein baden. Ich werde dich begleiten.«​
»Ah, schon wieder. Du vertraust mir nicht, oder?«​
Auch ich sah vor meinem inneren Auge, wie Halkara im Bad einschlief und am nächsten Morgen als breiige Suppe aufgefunden wurde. Wir mussten Vorkehrungen treffen, damit dies nicht Realität wurde ...​
»Halkara, wie es scheint, ist das Dämonenreich ein Ort, in dem Flüchtigkeitsfehler nicht wiedergutzumachende Konsequenzen haben können. Sei hundertmal vorsichtiger als sonst, ja?«​
»Hundertmal ... ? Schon gut, verstanden ... Ich werde vorsichtig sein!«​
So zurechtgewiesen würde sich selbst Halkara zusammenreißen. »Vania ist auch für das Essen zuständig. Wenn wir schon dabei sind, erzähle uns auch hierzu etwas.«​
»Natürlich. Heute möchte ich das Menü rund um Geflügel herum aufbauen.«​
Das klang normaler als erwartet. Sie nahmen also tatsächlich Rücksicht auf uns.​
»Wir haben heute gute Cockatrice- Eier rein bekommen, also würde ich die gerne verwenden.«​
»Wie ... Kann man einen Cockatrice essen ...2«​
Wenn man so wollte, konnte man die Tiere als Geflügel bezeichnen, aber durfte man die essen? In der Menschenwelt gab es sie überhaupt nicht.​
»Laika? Hast du schon mal Cockatrice gegessen?«​
»Nein, da habe ich auch keinerlei Erfahrung ...«​
»Cockatrice Eier sind eine Delikatesse. Die Schale ist lila, aber der Inhalt ähnelt einem Hühnerei. Ihr müsst sie unbedingt probieren. Es handelt sich übrigens um Cockatrice, aus denen ihre Fähigkeit, mit Blicken zu versteinern, raus gezüchtet wurde!«​
Mir war ein Rätsel, wie man dem Cockatrice die Fähigkeit des Versteinerns nehmen konnte, vermutete aber, es war so ähnlich, wie aus einem Wildschwein ein Schwein zu machen.​
»Und wir haben auch ein Ei vom Vogel Roch rein bekommen!«​
Das wurde ja immer absurder!​
»Ist das nicht riesengroß ...2«​
»Ja. Weil es zu groß ist, teilen die Köche das Ei untereinander auf, bevor sie ihren Anteil mit an Bord nehmen. Wir haben einen Vertrag mit einem Roch, der gute Eier legt, also könnt ihr viel erwarten.«​
»Ihr habt also direkt mit dem Roch einen Vertrag ...« Das waren ganz schön viele Kulturschocks ...​
»Und das Gemüse ist ebenfalls von allerbester Qualität, gezüchtet von Alraunen. Es ist sehr süß und der Eigengeschmack ist hervorragend erhalten. Freut euch auf das Abendessen!«​
Vania lächelte freundlich. Ihr tatsächliches Alter war mir nicht bekannt, aber ihr Lächeln hatte noch etwas Kindliches. Soweit ich es richtig in Erinnerung hatte, waren Alraunen eine Art Pflanzengeister, die sich fortbewegen konnten. Im Dämonenland schien es eine Vielzahl verschiedener Kreaturen zu geben.​
»Also gut, Vania. Du wirst später eine schriftliche Entschuldigung darüber abgeben, dass du während deiner Dienstzeit gebadet hast.«​
Beelzebub lächelte ebenso wie Vania bei dieser beiläufigen Bemerkung.​
»Waaas?! Aber ... Ich habe doch alles so schön erklärt. Sieh es mir bitte nach ...«​
»Nein. Wenn du dich falsch verhältst, fällt das auf mich als deine Vorgesetzte zurück. Schreib eine Entschuldigung dafür, dass du die Arbeit geschwänzt hast. Verstanden?«​
Wir sahen die niedergeschlagene Vania noch aus den Augenwinkeln, als wir den Baderaum verließen. Nun, wenn wir noch geblieben wären, hätte sie nicht aus dem Bad steigen können.​
»Damit habe ich euch alles gezeigt, glaube ich. Wollen wir jetzt gemeinsam in den Aussichtsbereich gehen? Dort ist es interessanter, wenn es noch nicht dunkel ist.«​
So begaben wir uns in das dritte Stockwerk des Gebäudes, in dem wir auch übernachten würden. Der Aussichtsbereich war kein Deck, sondern ein normaler Raum. Allerdings lagen in alle Richtungen so etwas wie Ferngläser aus. Bevor sie uns erklärt wurden, sah ich in eines davon hinein.​
»Oooh, was für eine herrliche Aussicht!«​
Vor meinen Augen breitete sich ein Ausblick aus, wie ich ihn früher einmal aus einem Flugzeug heraus gesehen hatte. Berge und Städte waren ganz klein. Von hier aus erkannte man, dass der Großteil des Landes grün war. Die von Städten eingenommenen Gebiete waren eher klein. Die Menschen lebten eng zusammen mit der Natur.​
»Waaaaah! Was ist das?! Mir wird ganz schwindlig!«​
»Uiii! Shalsha, komm her und guck auch!«​
»Diese Landschaft muss dokumentiert werden. Ich werde später etwas darüber schreiben.«​
»So hoch sind wir aufgestiegen ... ? Aber selbst in dieser Höhe gibt es kein Himmelreich«, meinte Rosalie.​
Während die anderen jubelten, blieb nur Laika ruhig.​
»Laika, du steigst manchmal selbst in solche Höhen auf, nicht wahr?«, fragte Beelzebub.​
»Wenn man unterhalb der Wolken fliegt, besteht mitunter die Gefahr eines Blitzeinschlags, deshalb fliege ich in solchen Fällen so hoch wie möglich. Das mindert auch das Risiko, mit meinesgleichen zusammenzustoßen, oder mit den Roch-Vögeln, die vorhin erwähnt wurden.«​
Während ich ihr zuhörte, wurde mir wieder einmal klar, dass das, was ein Drache als normal empfand, wirklich ungewöhnlich war.​
»Das war's von meiner Seite an Erklärungen. Wenn ihr etwas braucht, wendet euch an Vania. Ich werde im Verwaltungsgebäude für das Personal arbeiten. Zum Abendessen komme ich dazu.«​
»Ja, vielen Dank. Ich hatte nicht erwartet, dass wir schon auf dem Weg ins Dämonengebiet in den Genuss deiner Gastfreundschaft kommen würden.«​
Solch perfekten Service erfuhr ich selbst als Hexe nicht oft. Was auf der anderen Seite klar war, denn sosehr sich die Dorf oder Stadtbewohner auch bemühen mochten, sie konnten keinen Leviathan fliegen lassen.​
»Es zeigt nur, wie groß dein Verdienst ist. Für eine kleine, hilfsbereite Tat bringt man keinen Leviathan zum Einsatz. Du hast einen langjährigen Drachenkonflikt beendet. Das ist etwas, wofür du in die Geschichte eingehst. Du könntest dich noch stolzer geben, als du es tust.«​
Derart mit Lob überschüttet zu werden war mir ein bisschen peinlich.​
»Ich werde zusehen, dass ich mich bei der Verleihungsfeier nicht blamiere.«​
Wir entspannten uns in unserem Zimmer, und bald war es Zeit für das Abendessen. Wie angekündigt, schien Beelzebub zusammen mit uns essen zu wollen. Es war also eine Dinnerparty mit einer hochrangigen Regierungsbeamtin. Vania brachte das Essen auf einem roll baren Tisch herein.​
»Hier kommt das heutige Dinner. Wir starten mit einem Salat aus zwanzig verschiedenen Gemüsesorten!«​
Es war eine Mischung aus Gemüsen in frischen bunten Farben, die in einem schön anzusehenden Muster angerichtet waren. Man hatte beinahe mehr Freude daran, sich das Gericht anzusehen, als es zu essen.​
»Ooh, es beginnt ja schon prächtig!«​
»Ja. Dämonische Gerichte zur Bewirtung von Gästen müssen erst einmal optisch beeindrucken. Besonders, wenn eine Speise als Muster dargestellt werden kann, bemühen wir uns, sie entsprechend anzurichten«, sagte Vania.​
»Genau. Dies hier ist wie ein magischer Kreis geformt, mit dem man den Geist anderer beeinflussen kann,« ergänzte Beelzebub.​
Das klang nicht gerade vertrauenerweckend ...​
»Es wird euch keinerlei Schaden zufügen, wenn ihr davon esst. Und es ist nicht scharf gewürzt, also greift unbesorgt zu.« Scharf war es wirklich nicht, aber es schienen viele verschiedene Kräuter drin zu sein, die dem Gericht einen ungewohnten Geschmack verliehen.​
»Uuh... Falfa mag das nicht so gern ...«​
»Schwester, wenn du beim Essen wählerisch bist, wirst du nicht wachsen. Uh ... Das ist bitter ...«​
Für Kinder war dieser Salat wohl zu heftig.​
»Oh, ihr Armen ... Vania, bereite etwas anderes zu, dass die beiden Kinder stattdessen essen können!«, befahl Beelzebub. Beelzebub verwöhnte meine beiden Töchter immer.​
»V... Verstanden!«​
Kurz darauf wurde frittiertes Hühnchen mit Honigsoße serviert. Dass sie einer Bestellung wie dieser sofort nachkommen konnte, zeigte, dass Vania ganz ohne Frage eine überaus talentierte Köchin war.​
»Oh ja, das schmeckt gut!«​
»Köstlich ... Davon kann ich jede Menge essen.«​
Eigentlich hätte ich es lieber gesehen, wenn meine Töchter mehr Gemüse gegessen hätten, aber dies war ein Festmahl, also gut.​
»Als Nächstes serviere ich eine Cremesuppe aus gestampften Bohnen. Ich habe verschiedene Gewürze hinzugefügt, um den leicht grasigen Geschmack zu übertönen.«​
Der Geschmack war in der Tat komplex und würzig. Es erinnerte ein wenig an Ethno- Küche.​
»Das brennt ein bisschen. Falfa schafft das nicht ..,«​
»Schwester, du lehnst zu viele Sachen ab. Oh ... das ist wirklich schwierig ..«​
Wieder war der Geschmack für die Kinder ungewohnt. Erst wenn man erwachsen war, konnte man wohl Gerichte wie diese als lecker empfinden.​
»Vania, serviere den beiden etwas anderes!«​
»Aber ich habe nicht genug Zeit, um jetzt mit einer Suppe zu beginnen ..«​
»Es wird ja wohl Obst geben. Bereite eine Obstplatte zu!«​
»V... Verstanden!«​
Vania lief wieder davon und kehrte mit vier verschiedenen aufgeschnittenen Obstsorten zurück, die mit einer süßen Soße übergossen waren.​
»Mmmh, das schmeckt süß. Falfa liebt das.«​
»Der Säuregehalt ist angenehm. Von diesem Geschmack kann man nicht genug bekommen.«​
Vania strich sich mit einem „Puh, ein Glück ...“ erleichtert über die Brust. Wir bereiteten der Küche wohl einigen Stress. Das tat mir leid ...​
»Das nächste Gericht sind gewürzte Cockatrice Rühreier, die man in Salatblätter einrollt. Oh ... Wenn die Mädchen keinen Salat mögen, können sie das Ei einfach so essen ..«​
»Mama, können wir das machen?«​
»Nein. Wenigstens das könnt ihr richtig essen. Das ist nicht sehr höflich der Person gegenüber, die euch das Gericht serviert.«​
Wenigstens die Salatblätter sollten sie essen.​
»Als Nächstes kommt ein Omelett aus Roch-Ei! Es ist samtig und schmeckt unvergleichlich. Genießt es!«​
Diesmal brachte Vania die Omeletts mit einem Ausdruck höchster Selbstsicherheit herein.​
Na, dann wollte ich gleich mal kosten. Zu Omeletts hatte ich schließlich eine eigene Meinung.​
»Ich glaube, das ist die leckerste Eierspeise, die ich in meinem ganzen Leben gegessen habe!«​
Der Geschmack war unheimlich intensiv! Und je mehr man davon aß, desto kraftvoller entwickelte er sich!​
»Ich hätte auch nicht gedacht, dass Omeletts dieser Klasse existieren ... Da muss ich noch viel an mir arbeiten ...«​
Auch Laika war erstaunt. Klar, Omeletts waren ja auch ihr Steckenpferd.​
»Laika, da kann man nichts machen. Die Qualität der Zutaten ist einfach auf einem ganz anderen Niveau. Die Zubereitung eines Roch-Omeletts kostet tausendmal mehr als die eines normalen Omeletts«, sagte Beelzebub.​
»Tausendmal so viel!«​
Die Zahl schockierte Laika.​
»Ja, selbstverständlich sind sie lecker. Ganz ehrlich, wenn Vania mit diesen Zutaten etwas zubereiten würde, das nicht schmeckte, müsste sie eine weitere schriftliche Entschuldigung abgeben.«​
»Uuh ... Wenn man unter Lady Beelzebub arbeitet, kann man sich keine Nachlässigkeit erlauben ...«​
»Und das wagst du zu sagen, nachdem du ein Bad genommen hast?!«​
Wie es schien, war Beelzebub eine strenge Chefin.​
»Das war ganz schön lecker. Und das Menü war tatsächlich um Geflügeleier-Speisen herum aufgebaut.«​
Und nun noch ein Dessert zum Abrunden. Nicht schlecht.​
»Nein, es kommt noch etwas. Als Nächstes wird Hammelfleisch in Teigkruste serviert. Vania, trag es auf!«​
»Ja, ich bin sofort damit da!«​
Oh, es kam also noch mehr ... Danach wurden noch etwa fünf Gänge serviert, das Dessert ausgenommen, und ich war papp satt. Falfa und Shalsha hielten sich die vollen Bäuche. Halkara sagte:​
»Ich habe zu viel gegessen ..., und nahm ein Kräutermittel zur Verdauung ein.​
»Vielen Dank, Vania. Du hast uns wundervoll bekocht.«​
»Ach, nein, nein. Gäste auf höchstem Niveau zu bewirten, ist meine Arbeit. Ich freue mich, wenn es euch geschmeckt hat.«​
Diese Dämonin hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Sie sah zufrieden aus, wie jemand, der sein Bestes gegeben hat.​
»Wohl wahr. Was das Bewirten der Gäste angeht, hast du zweifelsohne bestanden. Gut gemacht, Vania.«​
»Vielen Dank, Lady Beelzebub!«​
So gelobt, senkte Vania lächelnd ihren Kopf. In Momenten wie diesen merkte man, dass Beelzebub einen hohen Rang hatte. Bei den Dämonen war Beelzebub Leviathanen übergeordnet.​
»Damit ist deine Arbeit größtenteils erledigt.«​
»Huch? Ist noch etwas offen? Ach ja, du meintest wohl den Abwasch.«​
»Nein, die schriftliche Entschuldigung.«​
»Hast du das immer noch nicht vergessen? Ich dachte, du hättest mir verziehen, weil ich so gut gekocht habe ..«​
»Bist du bekloppt? Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Ich erwarte einen wundervollen Text, aus dem die Reue herausströmt und der mein Herz rührt. Sonst wird deine Bewertung schlechter ausfallen, merk dir das. Das war kein Scherz. Ich meine es ernst!«​
»Verstanden ...«​
Vania hatte Augen wie ein toter Fisch, als sie sich zurückzog.​
»Zu deinen Untergebenen bist du ganz schön streng.«​
»Es ist ihre Schuld, weil sie während ihrer Dienstzeit geschwänzt und ein Bad genommen hat. Wenn du darüber verärgert gewesen wärst, Azusa, hätte sich das zu einem politischen Problem entwickeln können. Meine strenge Reaktion war also notwendig!«​
In gewissen Dingen war Beelzebub äußerst hart.​
An dem Tag schliefen wir in prunkvollen Betten. Da wir keine Einzelzimmer hatten, sondern ein großes, machte ich die seltene Erfahrung, mit allen anderen im selben Zimmer zu schlafen. Da ergab sich ein kleines, für Reisen typisches Problem. Zwanzig Minuten nachdem wir ins Bett gegangen waren, begann Shalsha sich unruhig zu regen.​
»Mutter ... Shalsha kann in einem fremden Bett nicht schlafen ...«​
Verstehe. Shalsha hatte eine sensible Seite.​
»Wie wäre es mit Schäfchen zählen?«​
»Ich habe es schon probiert, aber dann wanderten meine Gedanken zu der ikonografischen Bedeutung von Schafhirten und ich konnte erst recht nicht einschlafen.«​
Ich verstand nur, dass sie an etwas Kompliziertes gedacht hatte. Gut, am besten zeigte ich mich jetzt mütterlich.​
»Willst du dann bei mir schlafen, Shalsha? Du kannst in mein Bett kommen.«​
Shalsha nickte. Sie umklammerte mich fest und schlief ein. Mich zu umarmen wirkte sich auf sie offensichtlich sehr beruhigend aus. Was auch bedeutete, dass sie gut einschlafen konnte. Doch nun wachte Falfa auf, die bisher allem Anschein nach problemlos geschlafen hatte.​
»Ich bin wach geworden vor Durst ...«​
Gasthöfe hatten eine stärkere Klimaanlage als normale Häuser, weshalb man öfter mal Durst bekam.​
»Huch, Shalsha ist nicht da. Wohin ist sie gegangen?«​
»Shalsha schläft hier bei mir im Bett.«​
»Das ist unfair! Falfa will auch bei Mama schlafen!«​
Klar, das musste so kommen.​
»Ja, in Ordnung. Aber sei leise. Wenn du so laut sprichst, weckst du noch die anderen.«​
Falfa sagte laut: „Ja!“ Laika reagierte darauf mit einem »Hmmm ...« und regte sich, schlief aber wieder ein. Gut, gut.​
Auch Falfa klammerte sich fest an mich. Als Mutter machte es mich glücklich, aber ob ich so gut schlafen konnte ... ? Eher nicht.​
»Big Sis, soll ich ein Lied singen?«​
Rosalie schwebte herbei. Da sie ein Geist war, musste sie nicht schlafen.​
»Nein, danke. Es würde mich eher wach machen, glaube ich.« Während wir uns so unterhielten, setzte sich Halkara kerzengerade in ihrem Bett auf.​
»Wenn man Durst hat, wacht man ständig auf ...« Offensichtlich war es nicht möglich, in einem ungewohnten Bett gut zu schlafen.​
»Ich habe Räucherstäbchen mit entspannender Wirkung mitgebracht, die einen guten Schlaf fördern. Soll ich die benutzen? GÄÄÄHN ...«​
»Ja, das ist gut! Benutze sie!«​
Wenn es um Pflanzen ging, lag Halkara immer richtig. Sie hatte sicherlich gutes Räucherwerk parat. Sie machte alles fertig, sagte dann aber plötzlich:​
»Wenn ich schon wach bin, werde ich ein nächtliches Bad nehmen«, nahm ihr Handtuch und zog mit schläfriger Miene ab.​
So, jetzt wollte ich aber wirklich schlafen! Der sanfte Duft der Räucherstäbchen lockerte alle Anspannung. Ja, das würde sicher gut wirken. So würde ich bis zum Morgen durchschlafen ... Noch ein kleiner Schritt und ich wäre eingeschlummert!​
»Hmmm, in einer Herberge wird man immer durstig ...«​
Diesmal wurde Laika wach. Da alle zeitversetzt aufwachten, konnte ich einfach nicht in Ruhe schlafen! Und doch probierte ich es noch einmal. Vorhin war ich immerhin beinah weg gedämmert. Ich konnte schlafen, ich konnte bestimmt schlafen! Da kam Halkara herein.​
»Haaah, nächtliche Bäder sind eine prima Sache. Dieses Mädchen, Vania, war mit mir drin. Das Badewasser war richtig angenehm. Jetzt, wo ich schön aufgewärmt bin, werde ich schnell unter die Decke schlüpfen und schlafen!«​
Sommers wie Winters konnte man direkt nach einem Bad gut schlafen. Es hieß, im Sommer sei es angenehm, weil der Körper durch Verdampfungswärme oder so ähnlich ein wenig abkühle, und im Winter sei es gut, weil das Bad den Körper aufwärme. Das galt natürlich nur für denjenigen, der gebadet hatte.​
»Oh Mann . .. Du hast mich beim Reinkommen wieder geweckt, Halkara ...«​
»Es tut mir leid! Ich dachte, ihr schlaft alle schon, und habe nicht aufgepasst ...«​
Aber auch ich war irgendwann müde geworden und schlief schließlich ein. Jetzt musste ich nur noch tief durchschlafen, aber ...​
»Guten Morgen, Mama! Es ist Morgen!«​
Diesmal war es Falfa, die schon früh wach geworden war, die mich weckte.​
»Ach, ist das so ... ? Wenn möglich, hätte ich gerne ein bisschen länger geschlafen ...«​
Auf meiner anderen Seite begann sich nun auch Shalsha zu rühren und ich gab auf.​
»Aber die Sonne draußen ist wunderschön!«​
Falfa öffnete das Fenster. Dort sah man tatsächlich den Sonnenaufgang. Die Aussicht von hoch oben war wirklich nicht übel. Meine Stimmung hob sich. Zwischenzeitlich war auch Laika aufgestanden.​
»Wie schön. Der Anblick macht mich ganz sentimental.«​
»Wollen wir nicht in den Aussichtsraum, wenn es so schön ist?«​
Wir sahen vom Aussichtsraum aus nach unten hinab. Der Leviathan flog über Ödland. Wir hatten das Territorium des Königreichs hinter uns gelassen und näherten uns vermutlich langsam dem Dämonengebiet. Die Landschaft sah überhaupt nicht öde und trostlos aus, sondern hatte eher etwas Erhabenes.​
»Das fühlt sich richtig wie eine Sightseeingtour an. Das gefällt mir«, sagte ich.​
»Ich bin nur ein winziges Fleckchen in diesem riesigen Ödland. Ich spüre, wie weit die Welt ist.«​
Shalsha machte einen für sie typischen literarischen Kommentar.​
»Falfa hat noch nie eine Landschaft wie diese gesehen. Wie interessant!«​
Ihre Schwester hingegen drehte auf und hüpfte aufgeregt herum.​
»Auch ich bin noch nie bis zu diesem Ödland geflogen. Es fühlt sich seltsam an. Jetzt realisiere ich erst, wie weit es bis ins Dämonenreich ist.«​
»Man denkt nicht, dass sich ein derart leeres Gebiet so lang erstrecken kann. Selbst wenn keine Städte vorhanden sind, gibt es normalerweise Wälder, Hügel oder sonst etwas«, sagte ich.​
Ich war zwar etwas früher aufgestanden als geplant, aber so eine Erfahrung hatte durchaus etwas für sich.​
»Big Sis, sollten wir Sis Halkara nicht wecken?«, fragte Rosalie.​
»Hmmm, vielleicht wäre es besser, sie schlafen zu lassen, aber es ist auch nicht gut, sie auszuschließen. Würdest du sie also wecken?«​
Erst wirkte Halkara müde, aber bald sah auch sie gebannt auf die Landschaft.​
»Und? Was sagst du dazu, Halkara?«​
»Ich habe Hunger.«​
Ihre Antwort brachte mich zum lachen. Sie hatte recht, essen war ebenso wichtig, wie seine Gedanken schweifen zu lassen.​
Danach war Frühstückszeit und wir machten uns auf zum Speisesaal. Dort war allerdings nichts vorbereitet. Ruch? Hatten wir uns etwa in der Zeit geirrt? Kurz darauf trat Beelzebub ein.​
»Sag mal, das war doch die Uhrzeit, zu der es Frühstück geben sollte, oder?«​
Beelzebub sah sich suchend um, dann marschierte sie mit hochgezogenen Schultern davon. Ein paar Minuten später kam eine den Tränen nahe Vania herein - nein, sie weinte bereits.​
»Es tut mir leid, es tut mir leid! Ich beginne sofort mit den Vorbereitungen. Bitte wartet nur zehn Minuten in eurem Zimmer!« Offensichtlich hatte sie verschlafen.​
»He, du weißt, was mit dir geschieht, wenn du mich noch mal blamierst, oder?«​
»G ... Gnade ...«​
Ein ernsthaft wütender Dämon wirkte so, als würde er nicht davor zurückschrecken, jemanden hinzurichten, was wirklich Furcht einflößend war ... Ich hoffte, es würde nicht schmerzhaft oder blutig für Vania enden ...​
»Ich vermute, ich muss dein Gehalt für ein halbes Jahr kürzen.«​
Das klang einigermaßen vernünftig. Dennoch war es eine strenge Strafe.​
»Oh nein, alles, nur das nicht ... Ich habe dieses Jahr neue Möbel gekauft und bin knapp bei Kasse ...«​
»Statt mit mir zu verhandeln, mach dich gefälligst an die Vorbereitungen! An die Arbeit, aber schnell!«​
»J... Jawohl ... Es tut mir leid ...«​
Auch wenn es Vanias Schuld gewesen war, tat sie mir doch ein wenig leid.​
»Wir sind so viele. Können wir helfen? Wir könnten wenigstens den Tisch decken.«​
»Nein«, antwortete Beelzebub sofort.​
»Ihr seid von uns Dämonen offiziell geladene Gäste. Wenn herauskommt, dass ich zugelassen habe, dass ihr den Tisch deckt, ist das nicht nur für mich persönlich eine Schande, sondern für das gesamte Dämonenvolk. Ihr dürft auf keinen Fall helfen.«​
Aha, es ging also darum, das Gesicht zu wahren.​
»Übrigens, ich kann Vanias Hörner kürzen und euch überreichen, wenn ihr es wünscht.«​
»Nein, nein, vielen Dank! Sieh mal, es scheint ihr doch leidzutun!«​
»Nun gut. Bitte seid so gut und wartet noch ein bisschen. Ich werde bei den Frühstücksvorbereitungen helfen ...«​
Beelzebub verschwand ebenfalls in der Küche. Es war hart, zwei Dämonen so verzweifelt unter Druck zu sehen, aber da uns streng untersagt worden war zu helfen, konnten wir nichts machen. Vielleicht legte ich mich noch mal aufs Ohr.​
»Und ich hatte noch so ein ungutes Gefühl ...«​
Halkara schien sich an etwas erinnert zu haben.​
»Was meinst du damit?«​
»Als ich nachts ins Bad ging, traf ich dort auf Vania. Ich habe sie gefragt, ob es in Ordnung für sie sei, so spät noch zu baden, wenn sie morgens früh raus müsse, und ob sie dann mit den Vorbereitungen hinkäme. Sie hat mir versichert: „Ich verschlafe ganz sicher nicht! Keine Sorge!“ In dem Moment habe ich Ärger befürchtet ...« Anscheinend gab es auch unter Dämonen Typen wie Halkara, die gerne ins Fettnäpfchen traten. Soweit es mich betraf, war ich dankbar, weil ich noch ein bisschen Schlaf bekommen konnte.​
Zum Frühstück gab es in Blätter gewickeltes gebratenes Hühnchen. Auch gestern war ein Gericht serviert worden, das man in Salatblätter einrollte. Ob Dämonen diese Art zu essen mochten?​
»Das schmeckt sehr gut. Laika, wollen wir das nicht zu Hause auch machen? Außer dass das Fleisch wohl in einer geheimen Soße mariniert wurde, lässt sich das problemlos nach kochen, denke ich.«​
»Das stimmt. Lass es uns ausprobieren.«​
Auch meine Töchter wiederholten mehrfach, wie gut es ihnen schmeckte, wir hatten also eine gute Entdeckung gemacht. Nur Halkara meinte: »Es ist lecker, aber ist das Fleisch nicht ein bisschen zu scharf ...2«​
»Das ist das Fleisch, das ich zubereitet habe. Es war nicht genug Zeit, als dass Vania es alleine geschafft hätte, also habe ich mitgekocht.«​
»Der Teil, den du zubereitet hast, schmeckt eindeutig anders, Beelzebub ...«​
Es war gar nicht so, dass die Dämonen gerne scharf aßen - es war einfach nur Beelzebub ... Nach dem Essen liehen wir uns Kartenspiele aus dem Casino und spielten unter uns als Familie. Wenn wir nicht um Geld spielten, waren wir schließlich auf der sicheren Seite.​
Es gab viele verschiedene Spiele, sodass uns nicht langweilig wurde. Schließlich näherten wir uns dem Dämonenreich, wie Beelzebub uns erklärte.​
»Ihr solltet wieder in den Aussichtsbereich gehen und es euch von dort aus ansehen. Es ist ziemlich interessant.«​
Es war in der Tat ein imposanter Anblick. Dort, wo das Dämonengebiet begann, gab es eine Mauer, und diese Wand war unglaublich dick, hoch und lang. Wie viel Zeit mochte es gekostet haben, dieses Ding zu bauen?​
»Die Dämonen aus früheren Zeiten haben ernsthaft befürchtet, von den Menschen ausgerottet zu werden. Als Gegenmaßnahme haben sie sich dem Bau einer robusten Burgmauer gewidmet. Ehrlich gesagt war das vergeudete Zeit. Die Menschen sind nie bis hierher vorgedrungen, und jetzt steht die Mauer einfach nur noch da.«​
Es war so etwas wie eine Popup Version der Chinesischen Mauer. Hinter der Mauer konnte man vereinzelt Dämonendörfer sehen. Ich wusste nicht, wie lange es noch dauerte, bis wir ankamen, aber es war klar, dass wir uns dem Ziel näherten. Nach etwa einer Stunde begann das „Schiff“ langsam mit dem Landeanflug.​
»Wir werden jetzt landen. Ein Leviathan kann nicht in einer Stadt landen, also werdet ihr hier in eine Kutsche umsteigen.« Dieser Teil lief also so ähnlich wie an einem Flughafen. Im abgelegenen „Flughafen“ wurden wir in eine Kutsche verfrachtet und waren endlich auf dem Weg zu dem Schloss, das auch die königliche Hauptstadt der Dämonen war. Der Name der Hauptstadt lautete Vanzeld. Es war eine riesige Festungsstadt. Innerhalb der Festung tummelten sich verschiedenste Dämonen. Viele von ihnen sahen aus wie Menschen und hatten Hörner wie Beelzebub, aber einige sahen auch aus wie Tiere, die auf zwei Beinen gingen, einige wie Mischwesen aus Mensch und Tier und einige waren einäugig.​
»Das Dämonenvolk ist eine Ansammlung verschiedener Gattungen. Man kann sich bei dem Wort „Dämon“ nicht ein bestimmtes Erscheinungsbild vorstellen. Und diejenigen, die nicht in Städten wohnen können, weil sie zu nah an Tieren dran sind oder Schleim-ähnlich, werden wie wilde Tiere behandelt.«​
»Verstehe. Naja, Schleime gehen wirklich nicht in Läden und kaufen Brot. Wobei ich nicht mal weiß, ob sie Brot essen.«​
Die Stadt war nicht sehr viel anders strukturiert als eine menschliche, und die Straßen waren ordentlich mit Kopfstein gepflastert und gepflegt.​
»Wir werden jetzt Schloss Vanzeld betreten. Obwohl wir uns genau gesagt bereits im Schloss befinden.«​
»Das ist wohl so in Festungsstädten. Die Burgstadt wird auch als Teil der Festung angesehen, nicht wahr?«​
Da es in Japan so gut wie keine Festungsstädte gab, hatte man dort im Allgemeinen die Vorstellung, dass ein Schloss mitten in der Stadt oder auf einem Hügel stand.​
»Als Erstes müsst ihr die Dämonenkönigin kennenlernen. Die Verleihungsfeier findet morgen statt, ich kann euch danach also noch die Stadt zeigen.«​
Diese schwerwiegenden Worte waren ganz locker und beiläufig aus Beelzebubs Mund gekommen.​
Hatte sie wirklich »Dämonenkönigin« gesagt?​






 
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Huch, ich habe die Dämonenkönigin besiegt!

»Wie, Dämonenkönigin?«​
Als Beelzebub diese Worte sagte, reagierte ich sofort mit einer Rückfrage. Ich hatte nicht erwartet, dass wir einer derart furchterregend klingenden Person begegnen könnten.​
»Die Medaille wird vom Staatsoberhaupt überreicht. Selbstverständlich tritt dann die Dämonenkönigin auf den Plan. Keine Sorge, unsere Herrscherin ist eine herzensgute Person.«​
»D ... Dämonenkönigin? Was soll ich nur tun ... ?«​
Seit sie das Wort gehört hatte, schwitzte Halkara aus Gründen, die nichts mit Hitze zu tun hatten.​
»Wenn ich mir einen Schnitzer erlaube, werde ich umgebracht ... Man wird mir die Haut abziehen und mich danach ins Feuer werfen ...«​
»So etwas tut sie nicht! He, wenn du unsere Dämonenkönigin beleidigst, werfe ich dich ins Feuer!«​
Sie würde also sowieso im Feuer landen? Ich konnte allerdings nicht abstreiten, dass Halkara patzen und den Zorn der Dämonenkönigin auf sich ziehen könnte.​
»Halkara, bitte benimm dich ordentlich. Es wäre gut, wenn du dich mit dem Trinken zurückhalten würdest. Du könntest dich sonst auf die Dämonenkönigin übergeben oder so was ...«​
Es war schon einmal vorgekommen, dass Halkara Beelzebub, die sich um sie gekümmert hatte, beinahe auf den Rücken gebrochen hatte.​
»Verstanden ... Ich werde meine gute Kinderstube präsentieren ... Ich werde jeden Satz mit einer untertänigen Floskel beenden „wenn es Euch beliebt“.«​
»Das klingt total seltsam. Lass es.«​
Auch Laika hatte ein wenig Haltung angenommen, als sie von der Dämonenkönigin hörte. Es schien uns alle ein wenig nervös zu machen. Eine Königin zu treffen, machte einen ohnehin schon nervös, und hier handelte es sich um eine Dämonenkönigin. Es wäre seltsam, wenn man dabei gleichmütig bleiben könnte.​
»Ihr guckt plötzlich alle so zahm daher. Unsere Dämonenkönigin ist sehr freundlich, ihr könnt euch so benehmen wie immer.«​
Das sagte sie so, aber es gab auch engstirnige, dörflich denkende Typen, die nett zu ihren eigenen Leuten waren, aber kalt zu Außenstehenden. Wir mussten also auf der Hut sein.​
»Nein wirklich, unsere Herrscherin ist eine milde Natur. Unter uns Dämonen gibt es auch raue Leute, aber solange die Dämonenkönigin dabei ist, ist alles in Ordnung.«​
Selbst wenn Beelzebub so sprach, waren wir anderen ein wenig angespannt, auch weil wir uns in unbekanntem Gebiet befanden. In dieser Stimmung stiegen wir aus der Kutsche und betraten das Schloss. Es war ein solides Gebäude aus Stein. Das Innere des Schlosses allerdings war ziemlich kompliziert aufgebaut. Man musste hinausgehen, durch einen anderen Eingang wieder eintreten, dann in den Keller hinab, um wieder mehrere Treppen hinaufzusteigen ... Was sollte das?​
»Warum ist das hier drinnen wie ein Labyrinth gebaut?«​
»Damit eingedrungene Feinde sich verlaufen und wir sie in der Zeit vernichten können. Es ist ein Überbleibsel aus alten Zeiten.«​
Dieser Teil klang ziemlich dämonisch.​
»Es wurde nie angenommen, dass eine große Armee dieses Schloss erreichen könnte. Also muss sich der Feind nur verlaufen, damit wir ihn mit Gewissheit besiegen können. So lautet das Konzept.«​
Und so ließ man uns insgesamt etwa zwei Kilometer laufen.​
Von der Körperkraft her war das zwar kein Problem, aber irgendwann doch ermüdend. Gerade als sich unsere Anspannung etwas gelegt hatte, hieß es:​
»So. Da vorne befindet sich unsere Herrscherin, die Dämonenkönigin.«​
Wieder richteten wir uns gespannt auf.​
»Es ist so weit ... Jetzt gut benehmen ... gut benehmen ...« Wenn ich zu viel redete, riskierte ich einen Patzer, also nahm ich mir vor, so weit wie möglich zu schweigen. Dann war es sicher möglich, sich durchzuschummeln.​
»Ähm, entschuldigt bitte ... Ich, Halkara, habe Bauchschmerzen bekommen.«​
Halkara hob schüchtern ihre Hand.​
»Du stellst dich also doch krank.«​
Beelzebub hatte sie durchschaut.​
»Mach dir keine Sorgen. Die Dämonenkönigin wird selbst jemandem wie dir verzeihen. Nun komm schon mit!«​
Beelzebub zerrte Halkara mit sich. Selbst Halkara würde schon kein Problem bekommen, wenn sie sich Mühe gab und aufpasste. Schließlich betraten wir den Empfangssaal der Dämonenkönigin. Allein die Eingangstür zum Saal war ungefähr vier Meter hoch. Vier dafür zuständige Dämonen schoben sie mit vereinten Kräften auf.​
»Willkommen in der Dämonenfestung Schloss Vanzeld.«​
Als wir eintraten, sprach uns plötzlich jemand von der Seite an. Dieser Jemand hatte hübsche, Schaf ähnliche Hörner auf beiden Seiten des Kopfes. Sie sah aus wie eine Mittelschülerin. Jedenfalls war das das Alter, auf das man sie ihrem Aussehen nach schätzen würde.​
»Oh, guten Tag. Es ist uns eine große Ehre, hierher eingeladen worden zu sein.«​
»Ich freue mich auch, euch zu sehen. Du bist die Hexe Azusa, nicht wahr?«​
»Ja, genau.«​
»Oooh! Azusa in natura! Bitte Lass mich deine Hand schütteln!«​
Sie drückte mir fest die Hand. Ihr wedelnder Schwanz ließ vermuten, dass sie aufgeregt war. Der Schwanz war übrigens dreigeteilt und machte seltsame Bewegungen. Da ich stehen blieb, war auch der Rest der Schlange zum Stehen gekommen.​
»Große Meisterin, wenn wir uns hier zu lange aufhalten und reden, lassen wir dann nicht die Dämonenkönigin zu lange warten ... ? Nicht, dass wir am Ende für jede Minute, die wir zu spät kommen, mit einem zusätzlichen Spieß durchbohrt werden.«​
Halkara war vollständig darauf fixiert, bei der Dämonenkönigin einen guten Eindruck zu machen.​
»Oh, und du bist die Elfe Halkara! Ich liebe deinen Nährschnaps, er ist so lecker! Bitte Lass mich auch deine Hand schütteln!«​
Diesmal drückte das Mädchen Halkaras Hand. »Auauau ... Dein Griff ist zu fest!«​
»Oh, entschuldige. Ich habe meine Kraft nicht richtig kontrolliert. Hier, ein Heilungszauber.«​
Das Mädchen richtete sofort das Licht eines Heilungszaubers auf Halkara. Sehr aufmerksam von ihr.​
»Vielen Dank. Ahm, ich möchte nicht unhöflich sein, aber könntest du uns jetzt gehen lassen? Wir müssen der Dämonenkönigin unsere Aufwartung machen. Ich möchte nicht, dass es heißt: „Schlagt der Elfe den Kopf ab!“«​
»Aaach, so was Gemeines passiert doch nicht.«​
»Na ja, eure Werte sind anders als die von uns Elfen, weißt du? Es heißt, sie sei freundlich und milde, aber ich glaube offen gestanden nur die Hälfte davon. Deswegen habe ich vor, mich bis auf Weiteres damenhaft und besonders harmlos zu benehmen, selbst wenn ich damit meinen Charakter komplett verstelle. In anderen - nicht so netten Worten - werde ich die Dämonenkönigin täuschen.«​
»Du willst dich also verstellen?«​
»Natürlich ohne böse Absicht. Aber diese Art von Etikette ist ein wichtiger Teil zwischenmenschlicher Beziehungen. Man kann nicht von Anfang an alles offen heraushängen lassen.«​
»Du, Halkara ... Dieses Mädchen steht der Dämonenkönigin bestimmt nahe ... Du darfst solche Dinge wie verstellen oder >täuschen nicht sagen ...«​
In solchen Dingen war Halkara zu leichtsinnig und unbedacht.​
»Ups, das stimmt. Es tut mir leid, aber bitte verrate der Dämonenkönigin nichts von dem, was ich eben gesagt habe. Dann schenke ich dir auch drei Kisten Nährschnaps.«​
Halkara warf einen kurzen Blick auf den Thron, der weiter vorne stand. Aber der Thron war, wie auch ich nun feststellte, leer. Hm. Hmmm ... Was hatte das zu bedeuten ... ?​
»Ahm, Beelzebub, die Dämonenkönigin ist nicht hier.«​
»Sie ist doch direkt vor euren Augen.«​
Also doch. Das hatte ich mir fast gedacht. Das Mädchen mit den Schafhörnern fasste den Saum seines Rockes an beiden Seiten und machte eine leichte Verbeugung.​
»Ich bin die Dämonenkönigin Provato Pecora Aries. Ich mag es nicht, meine Gäste von oben herab zu begrüßen, deswegen bin ich heruntergekommen.«​
Na, das war ja eine schöne Bescherung. Natürlich war ausgerechnet dieses Mädchen die Dämonenkönigin. Als ich mich erneut umsah, bemerkte ich, dass fast alle Dämonen außer Beelzebub knieten.​
»Ich ... hab es vermasselt ...«​
Halkara war kalkweiß geworden. Und sie kniete sofort nieder. Um nicht zu sagen, was sie da tat, war eher, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu werfen!​
»Ich bitte um Vergebung, Majestät! Was ich da über verstellen und täuschen gesagt habe, war natürlich nur rhetorisch gemeint! Es ist wirklich, wirklich, wirklich so! Bitte glaubt mir!«​
Sie hatte schließlich recht unhöfliche Dinge von sich gegeben. Das war wirklich nicht gut.​
»H uuch, Halkara, du wolltest dich doch nur krank stellen. Tut dir dein Bauch jetzt echt so weh, dass du dich krümmen musst?«​
»Man sagt, Krankheit beginne im Geist. Es besteht die Möglichkeit, dass echte Magenschmerzen entstanden sind, nachdem sie sich so stark auf das Krank stellen konzentriert hat.«​
Was Falfa und Shalsha da sagten, war Salz in die Wunden - zusätzliche Schläge auf jemanden, der bereits am Boden lag.​
»Sagt das nicht. Ich bin schließlich doch hierhergekommen ...«​
»Oje, oje. solche Pläne hattest du sogar?«​
Die Dämonenkönigin hatte ein unverändert freundliches Lächeln aufgesetzt, aber das Lächeln war auf seine eigene Art unheimlich.​
»Nein, also ... Ich hatte einfach nur Sorge, dass mir eine Unhöflichkeit unterlaufen könnte ... Hoheit Prot Pacona Erlas ...«​
»He, der Name unserer Dämonenkönigin ist Provato Pecora Aries ..«​
Beelzebub konnte es nicht fassen.​
Halkara erstarrte. Irgendwie sah sie aus wie ein Frosch.​
»Meisterin Azusa, sie häuft fleißig immer weitere Unhöflichkeiten an. Ist das in Ordnung?«​
Laika, die hinter uns stand und zugesehen hatte, machte sich ernsthafte Sorgen. Ich konnte nicht verneinen, dass sie möglicherweise einen Doppelschlag gelandet hatte ...​
Die Dämonenkönigin kniete nieder und klopfte Halkara auf die Schulter.​
»Steh auf. Du bist keine Vasallin von mir, also musst du dich nicht so tief vor mir verbeugen.«​
Ein Glück. Sie schien ihr zu verzeihen.​
»Solange ich lebe, wird niemandem von euch etwas zustoßen.«​
»J... Ja! Verstanden, Majestät!«​
Diesmal hob Halkara ihren Kopf mit soldatischem Schwung. DOGOMM!​
Ihr Kopf krachte mit voller Wucht direkt gegen das Kinn der Dämonenkönigin. Es war ein kompletter Überraschungsangriff gewesen. Vermutlich fiel die Dämonenkönigin deshalb hintenüber und landete rücklings auf dem Boden.​
»Auauau ... Es tut mir leid, ich habe nicht nach oben gesehen ... Huch, Majestät? Wieso liegt Ihr am Boden? Wie ... ? D ... Das ist doch ein Witz, nicht wahr ... ?«​
Niemand antwortete Halkara. Bleiernes Schweigen breitete sich aus ... Die Luft um uns schien komplett eingefroren zu sein. Sie hatte einen tadellosen Schlag gegen die Dämonenkönigin ausgeführt ...​
»Majestät, bitte nehmt Euch zusammen! Oh nein, sie ist ... Sie ist ohnmächtig!«​
Wahrscheinlich hatte sie eine Gehirnerschütterung ... Wenn das Gehirn durchgerüttelt wurde, konnten selbst die Stärksten mal ohnmächtig werden ... Laika begann noch vor Halkara heftig zu zittern.​
»Halkara, es ist nicht zu glauben mit dir ... Diesmal haben wir wirklich ein Riesenproblem ...«​
Halkara reagierte nicht. Sie war im Stehen ohnmächtig geworden. Offensichtlich weigerte sich ihr Geist nachzudenken. Die Dämonen waren auf die abnormale Situation aufmerksam geworden und begannen zu lärmen.​
»Die Dämonenkönigin ist zusammengebrochen!«​
»Bringt sie sofort in das Behandlungszimmer!« »Es ist unfassbar!«​
Rosalie machte einen Kommentar, der nur von einem Geist kommen konnte.​
»Sieht so aus, als wenn gleich ihre Seele herausspringt. Verdammt mies. Wenn die Seele aus Versehen raus hüpft, kann sie nicht so einfach wieder zurück ...«​
»Laika ... Die Lage ist wirklich übel, oder? Was wird nun aus Halkara …?«​
Laika schwieg eine Weile und schüttelte dann aus irgendwelchen Gründen ihren Kopf.​
»W... Was soll das bedeuten? Es wirkt so unheilvoll ..«​
Shalsha zog an meinem Rock.​
»Ich habe die Gesetze der Dämonen nicht im Detail studiert, aber auch Laut menschlichem Recht wird jemand, der einem Mitglied des Königshauses Schaden zugefügt hat, üblicherweise hingerichtet. Herausreden ist ausgeschlossen ...«​
»Ja, aber das eben war doch kein Vorsatz, sondern Fahrlässigkeit ... Sie werden doch gnädig sein, oder?«​
»Nicht nur Halkara, sie könnten uns alle hinrichten ... So ernst ist das, was passiert ist,« sagte Shalsha. »Waaah, Falfa will nicht sterben!«​
Falfa begann zu weinen. War das etwa die größte Krise, in der die Familie Aizawa je gesteckt hatte ... ? Aber natürlich, ich würde Beelzebub fragen! Sie würde uns verraten, wie wir aus dieser Misere wieder herauskamen! Doch auch meine letzte Hoffnung Beelzebub war bleich.​
»Wenn ich geahnt hätte, dass das passiert, hätte ich sie simulieren lassen. Dem Gesetz nach wird Halkara definitiv hingerichtet. Das hier ist keine so mickrige Sache, wie den Gouverneur einer Provinz zu verärgern. Niemand zuvor hat so etwas je überlebt ...«​
»U... Und trotzdem. Tu bitte etwas.«​
Beelzebub flüsterte mir etwas ins Ohr.​
»Für den Moment verhaltet ihr euch erst einmal still. Wenn ihr euch nicht wehrt, werdet ihr alle - außer Halkara - der Form halber als Gäste in euer Zimmer geführt. Allerdings werdet ihr streng bewacht werden. Da man Ehrengäste nicht gleich unter dem Verdacht der Mittäterschaft ins Gefängnis werfen kann, stellt man sie unter Hausarrest.«​
»So weit alles klar.«​
»Es gibt nur eine einzige Methode, Halkara zu retten.«​
»Welche?«​
Dass eine Möglichkeit bestand, war ein Hoffnungsschimmer.​
»Die einzige Person, die ein Gesetz unwirksam machen oder aufheben kann, ist die Dämonenkönigin selbst. Und die ist gerade nicht bei Bewusstsein. Wenn das so bleibt, wird Halkara dem Gesetz entsprechend schuldig gesprochen und, nachdem sie aufgespießt wurde, ins Feuer geworfen werden. Im schlimmsten Fall ist es auch möglich, dass das Elfendorf, aus dem sie stammt, zerstört wird.«​
»Ich will gar keine Einzelheiten wissen ... Aber ich habe ungefähr verstanden, was zu tun ist.«​
Kurzum: Die Dämonenkönigin musste anordnen, die Sache zu stoppen.​
»Ich soll die Dämonenkönigin aufwecken, richtig?« Beelzebub nickte langsam.​
»Einen Menschen müsste man wahrscheinlich nur kurz schütteln, damit er wieder zu sich kommt, aber langlebige Dämonen können für mehrere Tage ohnmächtig bleiben. Dann wäre es zu spät. Und wenn sie dazu gezwungen werden muss: Sie muss ihr Bewusstsein wiedererlangen.«​
»Gut, verstanden.«​
»Aber ich kann dich nach außen hin nicht aus dem Zimmer lassen. Sie würden euch sonst verdächtigen, Mittäter zu sein. Tu etwas, aber du musst dabei in deinem Zimmer bleiben.«​
»V... Verstanden.«​
Es gab keine andere Möglichkeit.​
»Was glaubst du, wie viel Zeit wir haben?«​
»Nun, sie wurde auf frischer Tat ertappt und festgenommen, also nicht viel. Wisse, dass Halkara durchaus schon morgen früh eine Leiche sein könnte. Wenn Ihre Hoheit bis dahin wieder bei Bewusstsein ist, wäre es kein Problem, aber man kann nicht wissen, wann sie aufwacht.«​
In dem Moment kamen ein paar kräftige, männliche Dämonen herein. Sie trugen Speere mit U-förmigen Spitzen, mit denen man Verbrecher am Hals fixieren konnte.​
»Das ist die Täterin! Nehmt sie fest!«​
Halkara wurde fortgeschafft. Nun kamen weitere Dämonen auch zu uns.​
»Wir werden euch zunächst in euer Zimmer geleiten. Bitte seht sicherheitshalber davon ab, das Zimmer zu verlassen.«​
»Ja, vielen Dank.«​
Natürlich hatte ich nicht vor, ruhig im Zimmer hocken zu bleiben und zu warten.​
Ich würde uns ganz sicher aus dieser Krise heraus boxen.​
Man brachte uns alle - abzüglich Halkara - in das Zimmer für Ehrengäste. Es war ein großes Zimmer, in dem wir alle schlafen konnten. Das Zimmer auf dem Leviathan war auch so gewesen; es schien zur Dämonenkultur zu gehören, mehrere Leute in großen Räumen zusammenzufassen.​
»Es tut uns leid, aber wir bitten euch, bis morgen das Zimmer nicht zu verlassen. Toilette und Bad befinden sich im Zimmer. Euer Essen werden wir euch zu angemessener Zeit bringen.«​
Nach außen hin sprach der Dämon die Worte freundlich, aber Fakt war, dass wir hier nicht raus durften. Immerhin war ich dankbar, dass es nur Hausarrest war. Man überwachte uns nicht die ganze Zeit, also konnten wir alle möglichen Dinge ausprobieren. Ja, wirklich viele Dinge.​
»Also ... Wir sind in eine ziemlich schlimme Lage geraten.​
Aber es ist klar, was wir machen werden«, sagte ich, nachdem ich alle angewiesen hatte, sich zu setzen.​
»Mit der Dämonenkönigin selbst kann man reden, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie von dem einen Schlag sterben wird. Aus diesem Grund möchte ich ein Wiederbelebungsmittel herstellen und sie damit wecken. Das kostet weniger Zeit, als jetzt einen Heilungszauber zu kreieren.«​
»Meisterin Azusa, wie wir das Wiederbelebungsmittel zu ihr schaffen, können wir uns nachher noch überlegen, aber wie willst du es überhaupt herstellen? Wir sind in einem verschlossenen Raum. Vor dem Zimmer und im Gang werden Wachen stehen ...«​
Ich zeigte auf einen entfernten Punkt hinter Laikas Gesicht.​
Laika drehte sich um und verstand, was ich sagen wollte.​
»Wir werden durch das Fenster steigen und draußen nach Kräutern suchen, aus denen man die Medizin herstellen kann. Richtig?«​
»Genau.«​
Ich stand auf und sah aus dem Fenster nach draußen und besonders nach unten. Wir schienen im vierten Stockwerk zu sein.​
»Hier stehen keine Wachen. Wer fliegen kann, kann entkommen. So holen wir uns Kräuter, die als Zutaten taugen könnten. Wenn ihr mir alle Pflanzen bringt, die ihr kriegen könnt, suche ich daraus diejenigen aus, mit denen ich etwas anfangen kann.«​
»Aber Big Sis, wo gibt es denn Pflanzen? Hier in der Nähe ist​
nur Kopfsteinpflaster und es wächst nicht mal Gras ...«​
»Rosalie, du wirst suchen gehen.«​
»Hä?«​
»Du musst erst mal die Gegend auskundschaften. Hier ist das Hauptquartier der Dämonen. Deswegen ist es sehr wahrscheinlich, dass Plantagen und Heilkräutergärten in der Nähe der Festung sind. Die sind schließlich bei Belagerungen wichtig. Selbst wenn es so etwas nicht gibt, wirst du sicher wenigstens eine Parkanlage finden, und ich vermute, da wachsen auch jede Menge Pflanzen.«​
Heutzutage waren auch in Japan neben Schlössern oft botanische Gärten angelegt. Manche stammten aus der Meiji Zeit und später, aber es musste auch vorher schon Fürsten gegeben haben, die ihr weitläufiges Land genutzt hatten, um verschiedene Pflanzen anzubauen.​
»Alles klar! Ich bin dann mal weg, um Sis Halkara zu retten!«​
Rosalie schlüpfte durch die Wand und war verschwunden. Wir mussten hoffen und beten, dass es irgendwo Pflanzen gab. Aber in der Zwischenzeit ... Ich öffnete die Tür und stieß wie erwartet auf einen Dämon, der Wache hielt.​
»Entschuldigung. Ich würde gerne Pulver Medizin einnehmen. Könnte ich bitte ein Glas und einen Löffel haben?«​
»Es ist bereits ein Glas im Zimmer. Aber ich vermute, du willst nicht dasselbe Glas für deine Medizin benutzen. Ich werde eins bringen, zusammen mit einem Löffel und Wasser.«​
Der Gesichtsausdruck des Wächters war kühl, aber er hatte meine Bitte erhört. Den Löffel und das Glas brauchte ich, um das Mittel herzustellen. Noch bevor der Löffel kam, kehrte Rosalie zurück. Das war schneller als erwartet.​
»Du hattest recht, Big Sis. Im Schloss gibt es ein Gelände, auf dem lauter Pflanzen angebaut sind!«​
»Gut, dann gehe ich dorthin!«​
»Das übernehme ich, Meisterin Azusa.«​
Laika, die einen kühlen Kopfbehalten hatte, stoppte mich.​
»Wenn der Dämon mit dem Löffel zurückkommt und merkt, dass du weg bist, wird es kompliziert.«​
»Das stimmt ... Aber kannst du denn in Menschengestalt fliegen?«​
»Ich kann mich auch anders verwandeln.«​
Laika nahm die Gestalt eines kleinen Drachen an, der etwa die Größe eines Menschen hatte.​
»Es ist vielleicht unangebracht in dieser Situation, aber das ... das sieht total süß aus!«​
Was war das?! Als Haustier wäre diese Form sicher unheimlich beliebt!​
»Wenn sich ein ursprünglich riesiger Drache wie ich in einen kleinen Menschen verwandeln und seinen Alltag leben kann, kann er sich auch zu einem kleinen Drachen machen. Aber da diese Verwandlung nicht oft notwendig ist, bin ich nicht daran gewöhnt ...««​
Mir wäre es fast lieb gewesen, wenn sie immer so hätte bleiben können, aber das wäre wohl unhöflich gewesen zu sagen.​
»In der Version kannst du gut heimlich Kräuter pflücken gehen. Bitte, Laika!«​
Als Laika unterwegs war, nahm ich von der Wache Löffel, Glas und eine Karaffe mit Wasser entgegen. Wenn etwas fehlen sollte, würde ich mir mit dem Teegeschirr behelfen, das im Zimmer stand. Falfa und Shalsha, die nichts zu tun hatten, schlossen ihre Augen und beteten.​
Der Himmel musste uns einfach helfen, wenn selbst diese kleinen Kinder schon beteten.​
Eine Weile darauf kam der kleine Laika-Drache mit Pflanzen im Arm wieder durchs Fenster herein.​
»Reicht das? Ich habe viele verschiedene Sorten gepflückt!«​
»Super, Laika!«​
Die Pflanzen sahen anders aus als die, die ich aus meiner heimatlichen Umgebung kannte. Kein Wunder, schließlich herrschte hier auch ein anderes Klima. Aber einige von ihnen sahen artverwandt aus, also war es nicht unmöglich, damit zu arbeiten.​
»Die hier ist einer Distel ähnlich. Oh, und die hier ist ein Korbblütler. Wunderbar, das wird gehen.«​
Einige der Pflanzen zerstieß ich zu einer Paste, andere trocknete ich mithilfe von Flammen.​
»Ähm, Meisterin Azusa, hat das Mittel denn eine Heilwirkung?«​
Als mein Lehrling merkte Laika, dass meine Auswahl der Pflanzen etwas komisch war.​
»Nein. Es wird nur stark stimulieren und ist extrem bitter.«​
»Wie ...?«​
»Lebewesen nehmen Bitteres als Gift wahr. Schließlich würde man sterben, wenn man etwas Giftiges als lecker empfände und ständig davon essen würde. Natürlich gibt es viele Ausnahmen, aber als Grundregel gilt: Was lecker und süß ist, ist sicher und lebenswichtig, wohingegen das, was bitter ist, nicht gegessen werden darf.«​
Erst seit es den Menschen so gut ging, dass sie jede Menge süße Sachen essen konnten, hatte sich der Geschmack verändert. Nun gab es auch Menschen, die bitteres Bier und bittere Fischleber als lecker empfanden. Wenn man aber die für Lebewesen geltenden Regeln bedachte, war dies leicht abnormal. Kinder, die süßen Kuchen mochten, waren da natürlicher. Verfolgte man dieses Grundprinzip nun konsequent ...​
»Wenn man etwas Bitteres in den Mund gesteckt bekommt, versucht man instinktiv, es auszuspucken, oder zeigt eine sonstige Abwehrreaktion. Das sollte einen aufwecken ... hoffe ich jedenfalls.«​
Ich wünschte wirklich, es würde klappen ... Das Wiederbelebungsmittel herzustellen kostete mich nicht viel Zeit. Bald darauf war das Glas mit einem grünen, dickflüssigen Trunk gefüllt, dem man schon ansah, dass er bitter war.​
»Wenn wir ihr das einflößen, wird sie vom extrem bitteren Geschmack aufwachen.«​
Diese Art Strafen hatte es früher oft bei Gameshows im Fernsehen gegeben. Da mussten die Leute fürchterlich bitteren Tee trinken und so etwas. Weil man misstrauisch werden würde, wenn sie fröhliche Laute von sich gab, zeigte Falfa mit Gesten etwas an, das: „Hurra, geschafft!“ heißen sollte.​
»Jetzt fragt sich nur noch, wie wir das zur schlafenden Dämonenkönigin schaffen sollen.«​
»Weißt du denn, wo sie ist?«, fragte Shalsha.​
»Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Da sie umgekippt ist, ist fraglich, ob sie überhaupt in ihrem Schlafzimmer ist. Vielleicht ist sie in einem speziellen Raum für medizinische Behandlungen ...«​
»Big Sis, ich kann durch Wände gleiten! Ich kann herausfinden, wo sie ist!«​
Rosalie legte eine Hand auf die Brust und signalisierte, wie motiviert sie war. Ja, es stimmte schon, dass sich Rosalie für diese Aufgabe eignete, nur ...​
»So wie Beelzebub dich sehen konnte, besteht die Gefahr, dass auch andere Dämonen dich sehen. Du hast auch keine Spionagefähigkeiten ... Ich habe Sorge, dass du entdeckt wirst ...«​
Vorhin war sie draußen aktiv geworden und es war einfach gewesen, hinauszuschlüpfen, aber wenn sie das Innere des Schlosses untersuchte, stieg die Gefahr, von den Wachen entdeckt zu werden, um ein Vielfaches an.​
»Entschuldige, aber da Halkaras Leben auf dem Spiel steht, möchte ich nach einer sichereren Methode suchen. Ich möchte auch nicht die Verantwortung auf dich schieben, falls etwas schiefgeht, Rosalie.«​
»Verstanden ... Du hast recht ... Ich bin nur ein Geist, der auf die schiefe Bahn geraten ist ...«​
Rosalies guter Willen reichte mir hier. Aber so hatten wir noch keine Lösung gefunden.​
Da hörten wir, wie das Fenster mit einem Rattern geöffnet wurde. Oh, wir hatten das Fenster nicht richtig geschlossen! War herausgekommen, dass wir draußen gewesen waren? Aber wenn sie uns zur Rede stellen wollten, würden sie doch nicht durchs Fenster kommen, sondern durch die Tür, oder?​
»Zum Glück war es offen ..«​
Durch das Fenster kam Vania geklettert.​
»Was machst du denn hier?!«​
»Lady Beelzebub hat mir aufgetragen, euch das hier zu bringen. Es ist die Karte einer Anlage, die zu Schloss Vanzeld gehört. Das Gesamtbild ist ein Militärgeheimnis, das nicht dokumentiert ist, und es ist fraglich, ob überhaupt irgendjemand einen Überblick über alles hat.«​
Vania strich sich erleichtert über die Brust. Wahrscheinlich war dies ein nervenaufreibendes Manöver gewesen. Was sie hervorzog, war unverwechselbar eine Grundrisszeichnung.​
»Ihre Majestät befindet sich hier im zweiten Stock des Anbaus, im Erste-Hilfe-Raum. Wenn sie aufwacht, müsste sich die Sache regeln lassen - sagt zumindest Lady Beelzebub.«​
»Danke! Das ist eine unheimlich wichtige Information!«​
In dem Augenblick öffnete die Wache, die vor dem Zimmer gestanden hatte, die Tür. Fast zeitgleich drängte Laika Vania hinter die Tür, wo sich Toilette und Bad befanden.​
»Mir war, als hätte ich Lärm gehört.«​
»Oh, tut mir leid. Hier sind auch kleine Kinder, nicht wahr, und die haben getobt ...«​
»Das Schloss ist so prächtig und eindrucksvoll! Von malerischer Schönheit und feiner Eleganz!«​
Shalsha zwang sich, ein ausgelassen tobendes Kind darzustellen. Ihr Ausdruck war allerdings überhaupt nicht kindlich und es wirkte ziemlich gekünstelt. Da zog Falfa Shalsha mit sich und rannte lärmend im Zimmer herum.​
»Hurra! Es ist so groß hier! Komm, Shalsha, lauf mit mir mit!«​
»Nun, der Bau ist nicht so billig, als dass die Geräusche bis ins untere Stockwerk dringen könnten. Macht, was ihr wollt.«​
Der Wächter schien überzeugt und schloss die Tür. Das war knapp ... Vania hielt sich den Kopf, als sie wieder herauskam, und sagte:​
»Ich habe mir die Stirn gestoßen ...«​
Sie war wirklich anfällig für Pannen, also ein ähnlicher Typ wie Halkara.​
»Ich bin wirklich dankbar für die Karte, die Frage ist nur, wie wir da hinkommen.«​
Selbstverständlich konnte nicht jeder in das Zimmer rein spazieren, in das die ohnmächtige Dämonenkönigin gebettet worden war.​
»Ich beherrsche einen Verwandlungszauber ... aber wenn es Dämonen gibt, die Zauber durchschauen können, haben wir ein Problem. Ich vermute, hochrangige Dämonen werden wir nicht täuschen können ...«​
»Auch diesbezüglich hat mich Lady Beelzebub mit einem Plan hier hergeschickt.«​
»Wirklich?! Dafür bin ich ihr wirklich dankbar!«​
Nun war ich Beelzebub einen weiteren Gefallen schuldig. Falls sie sich mal dazu entscheiden sollte, als Politikerin zu kandidieren, müsste ich eine Rede halten, um sie zu unterstützen.​
Vania holte einen Haarreifen mit zwei Hörnern hervor. Und einen künstlichen Schwanz.​
»Verkleide dich damit und gib dich als Dämon au ... oh, ehrenwerte Hexe der Hochebene, dein Gesicht macht mir Angst ...«​
»Als ob man mit diesem albernen Witz Zubehör jemanden täuschen könnte! Jetzt mal im Ernst!«​
Hier ging es um Leben oder Tod von Halkara.​
»Nein, ich meine es ernst. Hörner und Schwanz sind beide von wilden Tieren gewonnen und mit bloßem Auge kann man nicht durchschauen, dass sie nicht echt sind. Wenn du noch eine Kapuze dazunimmst und den Teil mit dem Haarreifen verdeckst, wird es gehen.«​
»Und was ist mit dem Schwanz?«​
»Ich habe Dämonenkleidung mit einer Aussparung am Po mitgebracht.«​
Hmmm. Mir war nicht ganz geheuer bei der Idee, aber es ging wohl nicht anders. Wenn ich mich umzog, würde ich es ihnen erschweren, mich zu durchschauen.​
»Zieh diese Kleidung an, und dann geben wir dich als Ärztin aus und gehen zur Dämonenkönigin. Ich, Vania, werde dich führen. E ... Eigentlich will ich nicht so gern, aber Lady Beelzebub hat es befohlen ...«​
Wahrscheinlich stellte Vania sich gerade etwas Negatives vor, jedenfalls sah sie deprimiert drein.​
»Wenn das herauskommt, werden sie dich auch töten, nicht wahr?«​
»Mir ist ein Rätsel, wie es zu einer so schlimmen Situation kommen konnte ..«​
Tja, es tat mir leid, aber das war Halkaras Schuld.​
»Ich möchte so nah wie möglich an die Dämonenkönigin herankommen. Kriegen wir das hin?«​
»Ja. Der Zusammenbruch der Dämonenkönigin ist ein Notfall, und auch die führenden Untergebenen wissen höchstwahrscheinlich nicht bis ins Detail, nach welchen Ärzten geschickt wurde. Wenn wir sagen, du wärst eine Ärztin, kannst du dich ihr nähern ... das hoffe ich jedenfalls.«​
Es war unklar, ob wir Erfolg haben würden, aber wir mussten unser Bestes geben.​
»Also gut. Führe mich hin, Vania.«​
»Verstanden. Lass uns durch das Fenster nach draußen gehen und dann in Richtung Dämonenkönigin aufbrechen, unter dem Vorwand, du seist eine Ärztin.«​
Nun musste ich noch den Zurückbleibenden Anweisungen geben.​
»Laika, falls der Feind angreift, flieh mit meinen beiden Töchtern nach draußen. Ich habe nicht vor zu verlieren, also werde ich garantiert irgendwo mit euch zusammentreffen.«​
»Ja. Ich werde die beiden beschützen, komme, was wolle«, sagte Laika mit würdevoller Miene.​
»Rosalie, du musst mit Laika zusammen fliehen. Oder aber du nutzt deine Eigenschaften als Geist und fliehst an einen Ort, an dem dich die Dämonen nicht finden.«​
»Ich werde mich in einer Wand verstecken. Ich glaube, da können mich auch Dämonen nicht sehen.«​
Das war schlau. Solange sie keinen Röntgenblick hatten, würden sie sie nicht entdecken.​
»Also gut. Ich wünsche euch allen Glück. Drückt auch mir die Daumen!«​
Ich verkleidete mich und entwich mit Vania durch das Fenster.​
»Wir gehen jetzt zur Dämonenkönigin. Bitte vergiss nicht, dass du eine Ärztin bist.«​
»Keine Sorge. Ich habe schließlich auch eine Ärzte-Ausstattung bekommen.«​
Außer dem Arztgewand hatte ich noch eine Holzkiste für Medizin erhalten. Das Wiederbelebungsmittel hatte ich in eine Glasflasche aus der Kiste umgefüllt und einen Deckel drauf geschraubt. Beelzebub war sehr gründlich. Als wir uns dem Gebäude näherten, in dem sich die Dämonenkönigin aufhielt, wurden wir mehrmals kontrolliert, doch wenn Vania sagte:​
»Ich bin Vania, die Untergebene von Lady Beelzebub, und bringe auf ihren Befehl eine Ärztin«, und eine Art Mitarbeiterausweis vorzeigte, ließ man uns stets passieren. Da Vania und Beelzebub waschechte dämonische Angestellte waren, wurden wir weniger verdächtigt, als ich vermutet hatte. Wenn außerdem wirklich eine Ärztin gerufen worden war und herauskäme, dass sie nicht durchgelassen worden war, wäre die Gefahr für die Wachen, dafür belangt zu werden, hoch. Sie mussten uns also durchwinken. Wenn wir uns weiter so gut schlugen, konnten wir gewinnen. Endlich erreichten wir das Gebäude, in dem die Dämonenkönigin lag. Wir passierten die Kontrolle am Eingang und stiegen ins obere Stockwerk. Dort hatte sich eine ganze Reihe von Dämonen versammelt, die eindeutig zur Führungsriege gehörten. Beelzebub war auch dabei.​
»Hm? Wer sind diese beiden?«​
Ein streng wirkender männlicher Dämon sprach uns an.​
»Ich bin Vania, eine Untergebene von Lady Beelzebub. Ich habe eine Ärztin mitgebracht ...«​
Da ihr Gegenüber kein kleiner Fisch war, erzitterte Vania leicht.​
»Eine Ärztin? Ich habe nichts davon mitbekommen, dass Beelzebub nach einer Ärztin gerufen hat. Irgendetwas stimmt hier nicht.«​
Oh, das war nicht gut.​
Beelzebub sah zu Boden. Ihr war es wohl nicht gelungen, die Geschichte bis zu diesen Leuten durchdringen zu lassen.​
»Es geht darum, die Dämonenkönigin zu retten. Könntest du uns vielleicht durchlassen ... ?«​
Vania sprach erneut, in dem Versuch, diese Hürde irgendwie zu überwinden. Sie war mutiger, als ich dachte.​
»Wir haben eine Namensliste der Ärzte, die Ihre Majestät behandeln dürfen. Wie heißt du?«​
Mist ... Wie sollte ich das wissen?​
»Die Hörner dieser Ärztin sehen auch verdächtig aus. Sind die nicht angeklebt? Lass mal sehen.«​
Das Spiel war aus. Nun, aber ich hatte sowieso nicht vorgehabt, ewig Spielchen zu treiben, und ebenso wenig hatte ich vor, den Rückzug anzutreten!​
»Da kann man wohl nichts machen!«​
Ich zog die Kapuze ab und warf den gehörnten Haarreifen von mir.​
»Ich bin Azusa, die Hexe der Hochebene! Ich bin mit Medizin gekommen, um die Dämonenkönigin aufzuwecken! Ich werde eure Königin jetzt gleich zurückholen, also macht Platz!«​
Ich war schließlich gekommen, um zu helfen. Es gab nichts, wofür ich mich schämen musste.​
»Verdächtiger geht es ja wohl nicht! Kommt alle her, verhaften wir die beiden!«​
Aber ich konnte mich nicht einfach ruhig und brav festnehmen lassen. Sofort näherte ich mich dem Dämon, der so große Hörner hatte wie der König der Stierteufel - und drosch ihm schlicht eine rein.​
DOGOMM!
Für einen Moment knickte der Dämon ein, als hätte ich ihn in der Mitte gefaltet. Normalerweise reichte das, um jemanden niederzustrecken, aber ...​
»Warte, du ... Was ist das für ein Mensch …?«​
Er war nicht einmal ohnmächtig. Wer zur Führungsriege der Dämonen gehörte, war eine große Nummer. Ich hatte allerdings anderes zu tun, als herumzustehen und beeindruckt zu sein. Als Nächstes führte ich einen Roundhouse-Kick durch. Dann einen Schlag mit der Handkante, gefolgt von einem weiteren Roundhouse-Kick. Die anhaltende Angriffsserie zwang den Dämon in die Defensive. Das war meine Chance. Ich näherte mich und verpasste ihm einen Faustschlag! Endlich hatte er sich entschlossen, ohnmächtig zu werden. Er blutete aus der Nase und sackte zusammen. Ich legte eine kleine Pause ein. Die Medizinkiste störte, also stellte ich sie auf dem Boden ab, dann überprüfte ich die Lage. Es waren etwa zehn Feinde. Vania hatte man relativ schnell gefangen genommen. Dabei war sie doch ein Leviathan ... Beelzebub stellte sich unwissend, rief:​
»Ich weiß von nichts, von gar nichts!«, und lenkte damit die Aufmerksamkeit zweier Personen ab, die sie gerade befragten.​
Trotzdem standen noch etwa fünf Dämonen zwischen mir und dem Zimmer der Dämonenkönigin. Na schön. Die Herausforderung nahm ich an.​
»Lasst mich durch zur Dämonenkönigin!«​
Ich stampfte auf die Gruppe zu, die die Dämonenkönigin beschützte.​
»Verteidigt sie mit eurem Leben! Ihr dürft auch Zauber anwenden!«, rief ein anderer Dämon und sofort kamen Eisklingen und Sicheln auf mich zugeflogen.​
Durch diesen Angriff zerriss meine Kleidung ein bisschen. Und ich trug ein paar kleine Kratzer davon. Aber das war es auch schon.​
»Wie, war das alles? Das war ja nicht mehr als ein Mückenstich.«​
Ich sah, wie sie ein Schauer durchfuhr. Wenn das alles war, was sie zu bieten hatten, konnten sie jemanden mit Level 99 nicht stoppen.​
»Wenn ihr euch mir in den Weg stellt, versenke ich euch alle!« Ich bewegte mich mit Hochgeschwindigkeit ... und erschien direkt vor einem Gegner.​
»Guten Tag. Aus persönlichen Gründen muss ich dich bitten, mal in Ohnmacht zu fallen.«​
Ich verpasste ihm zwei Faustschläge direkt hintereinander. Gefolgt von einem Tritt. Dann benutzte ich den Teleportationszauber, erschien hinter dem Rücken eines anderen und ließ eine Serie von Schlägen los.​
»Wir können nicht vorhersagen, wo der Feind auftaucht!«​
»Ihre Zerstörungskraft ist enorm!«​
»Schnell, einen Heilungszauber!«​
Die Dämonen waren in Panik. Ich musste dranbleiben. Ich erschien wieder hinter einem Rücken. Diesmal ein Sprungtritt! Einen blies ich damit komplett weg. Dann bekam der Dämon daneben einen Schlag. Sauberer Treffer aufs Kinn! Wo ich schon dabei war, bekam auch der, der Vania gefangen hielt, von hinten einen Tritt an den Hinterkopf. Er war so freundlich, auf der Stelle umzufallen.​
»Du hast mich gerettet, aber . . . was um alles in der Welt ist eigentlich dein Status, Azusa?«​
»Mein Status? Nun ja, Level 99.«​
Die restlichen Gegner verprügelte ich auf ähnliche Weise. Sie hatten keine Möglichkeit, gegen meine Strategie, die Teleportation mit Nahkampf kombinierte, anzukommen. Konstant sein Level zu erhöhen war also doch der schnellste Weg, um zur Welt stärksten Person zu werden. Die Soldaten, die das Zimmer der Dämonenkönigin bewachten, fegte ich samt Rüstung weg. Schließlich waren alle außer Beelzebub um genietet.​
»I... Ich hätte nicht gedacht, dass es so kommen würde ...«​
Beelzebub war wie erstarrt.​
»Wenn du Ernst machst, könntest du ein ganzes Land ausradieren ...«​
»Vielleicht habe ich es ein bisschen übertrieben ... Aber jetzt kann ich mich voll und ganz darauf konzentrieren, die Dämonenkönigin aufzuwecken.«​
Ich nahm meine Medizinkiste und betrat den Raum, in dem die Dämonenkönigin liegen sollte.​
Die Dämonenkönigin Provato Pecora Aries lag in einem großen Bett mit einem Baldachin. Wunderbar. Wenn ich es schaffte, das Wiederbelebungsmittel in ihren Mund zu flößen, müsste alles in Ordnung kommen. Ich näherte mich mit der Medizin ihren Lippen. Sie musste ihren Mund öffnen, also war es nötig, ihr Gesicht ein wenig zu berühren ...​
In dem Augenblick öffneten sich die Augen der Dämonenkönigin ... und sie versetzte mir einen Kopfstoß.​
KLONK.​
Ich konnte nicht rechtzeitig ausweichen und merkte, wie mein Kopf getroffen wurde. Auauau ... Da auch meine Verteidigungsfähigkeiten hoch waren, hielt sich der Schaden allerdings in Grenzen.​
»Mir war, als wenn sich ein Feind näherte, deshalb haben mich meine Instinkte geweckt.«​
Die Dämonenkönigin war bereits aufgestanden. Aha. Selbst wenn sie nicht bei Bewusstsein war, konnte sie einen Feind erkennen. Das war beeindruckend und einer Dämonenkönigin würdig ... Aber halt. War es nicht ganz schön problematisch, wenn mich die Dämonenkönigin als Feind wahrgenommen hatte?​
»Ähm, Hoheit, ich bin nicht mit dem Vorsatz gekommen, Euch zu besiegen ...«​
»Azusa, Hexe der Hochebene, kämpfe gegen mich.«​
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, woher sie es plötzlich genommen hatte, aber die Dämonenkönigin hatte ein großes Schwert gezogen. Das war überhaupt nicht gut ...​
»Hoheit, ich habe bloß ein Wiederbelebungsmittel gebracht, um Euch aufzuwecken. Ich habe keinerlei Absicht, Euch anzugreifen.«​
»Aber dieses grüne Mittel sieht eindeutig wie Gift aus.«​
Ehrlich gesagt konnte man es wirklich als nichts anderes als Gift ansehen. Ich würde es auch nicht trinken wollen.​
»Das denkt Ihr nur. Wenn man es getrunken hat, würde man sagen: Oh, das war bitter ... aber gebt mir noch ein Glas!«​
»Das kann ich nicht glauben! Wenn du unbedingt willst, dass ich dir glauben schenke, kämpfe gegen mich, Provato Pecora Aries, und beweise deine Unschuld!«​
»W... Wie könnte ich die denn dadurch beweisen?«​
»Ganz einfach. Wenn es dein Ziel ist, mir Schaden zuzufügen, würdest du mich nicht am Leben lassen. Aber wenn es wirklich deine Absicht war, mir zu helfen, wirst du mich nicht töten, auch wenn du gewinnst.«​
Gut. Das war auf eine Art verständlich, aber ...​
»Aber das funktioniert nur, wenn ich haushoch gewinne, oder …?«​
»Wenn du stirbst, stirbst du eben. Dann bleibt nur die Tatsache übrig, dass ich eine Attentäterin getötet habe.«​
Diese fiese Aussage kam ganz locker, ohne dass sie mit der Wimper zuckte. Ich könnte natürlich auch kampflos abhauen, aber in dem Fall würde ich jegliche Gelegenheit, mich selbst zu erklären, verlieren. Die Sache konnte auch zu einem Großkrieg eskalieren, und außerdem bestand die Gefahr, dass Beelzebub und Vania getötet wurden.​
Nun gut. Ich war zu einem Entschluss gelangt. Wir mussten wohl oder übel die Fäuste sprechen lassen. Ich rief mir ein weiteres Mal meinen Status in Erinnerung.​

Angriff: 468,
Verteidigung: 580,
Lebenspunkte: 533.​
Das müsste für einen Zweikampf mehr als genug sein!​
»Also gut, Hexe der Hochebene. Ich werde mir deine Stärke ansehen und beurteilen!«​
Ich sprang vom Boden ab und rannte auf die Dämonenkönigin zu. Sie schwang ihr riesiges Schwert mit hoher Geschwindigkeit.​
VOOOOOH!
Das allein klang wie ein Tornado!​
»Wah!«​
Ich änderte meine ursprünglich geplante Aktion, um dem Schwert auszuweichen.​
»Wie? Du bist dem Schlag ausgewichen? Deine Schnelligkeit ist unfassbar!«​
Die Dämonenkönigin sah konsterniert aus. Es stand außer Zweifel, dass sie über große Fähigkeiten verfügte, die einer Dämonenkönigin alle Ehre machten. Bei all meinen bisherigen Gegnern wäre es mir möglich gewesen, erst dem Schwerthieb auszuweichen und dann problemlos zuzuschlagen. Obwohl ich nicht sicher war, ob es wirklich in Ordnung war, die Dämonenkönigin zu schlagen. Ich näherte mich ihr noch einmal, aber das Schwert war wirklich gefährlich. Die Dämonenkönigin schwang es blitzschnell. Offensichtlich hatte sie Schwertkampf studiert. Es war mir zwar nicht unmöglich, mich ihr zu nähern, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Das wäre auch nicht klug. Ich konnte es mir nicht leisten, zu verlieren. Zu viele Leben standen auf dem Spiel. Meine Gegnerin nannte sich nicht umsonst Königin der Dämonen. Sie war ziemlich stark. Fast jeder Gegner, der einen Schwertstreich von ihr abbekäme, wäre auf der Stelle tot. Ich ließ allerdings nicht so einfach zu, dass sie mich traf.​
Meine Geschicklichkeit betrug 841. Wenn der höchste zu erreichende Status dieser Welt 999 war, war ich fast ganz oben. Deshalb war es nicht einfach, mir Schaden zuzufügen. Ich wich weiterhin aus.​
»Meine Güte! Wie du hin und her wuselst! Immer erwische ich dich fast und dann doch nicht!«​
Da lag sie falsch, die Dämonenkönigin. Es war nicht so, dass es mir mit Glück gelang, im letzten Moment auszuweichen. Ich wich nur so knapp aus, weil ich genügend Spielraum hatte. Allerdings hatte ich mehr zu verlieren als meine Gegnerin.​
»Wenn du dir zu viel Zeit lässt, ist das Leben dieser Elfe in Gefahr.«​
Die Dämonenkönigin hatte ein wenig Abstand genommen und provozierte mich. Diese Provokation war allerdings ein Fehler. Denn damit hatte sie mein Herz in Flammen gesetzt.​
»Mach schnell und greif an, Hexe der Hochebene!«​
»Das musst du mir nicht erst sagen!«​
Um das Leben meiner Familie zu beschützen, ging ich keinerlei Kompromisse ein. Ich beschleunigte mit voller Kraft. Dann fuhr ich meine Faust aus, in der meine gesamte Kraft steckte dem Schwert der Dämonenkönigin entgegen.​
KlaAAAANNNG!

Beim Aufprall gab das Schwert ein metallisches Geräusch von sich. Es klang, als wenn zwei Schwerter gegeneinander gekracht wären. Das heißt, meine Hand an sich war bereits eine Waffe. Wahrscheinlich hatte die Dämonenkönigin den Aufprall direkt abbekommen, denn sie strauchelte.​
»Uuups ...«​
Sie torkelte mit dem Rücken gegen die Wand und blieb stehen.​
»Ich denke, der Kampf ist entschieden, Dämonenkönigin.«​
»Nicht so voreilig. Ich habe zwar die Balance verloren, aber du hast mich in keiner Weise in die Enge getrieben.«​
»Ach. Du hast es wohl noch nicht mitbekommen.«​
Den Spruch hatte ich schon immer mal sagen wollen.​
»W... Was meinst du damit?«​
»Ich habe es bereits zerstört.«​
Einen kurzen Moment später zerbröckelte das Schwert in kleine Stücke.​
Fassungslos ließ die Dämonenkönigin das nunmehr unbrauchbare Schwert fallen.​
»D ... Das kann nicht sein ...«​
»Seinen Körper kann man immer weiter trainieren, aber eine Waffe zu verstärken hat nun mal seine Grenzen.«​
Das Schwert hatte gestört, also hatte ich es aus dem Weg geräumt. Es war der schnellste Weg gewesen, Halkara zu retten. Nachdem ich das Schwert zerschmettert hatte, war ich an der Reihe.​
Ich beschleunigte noch einmal.​
Und rammte meine Hand direkt neben dem Gesicht der Dämonenkönigin in die Wand.​
DOMMMM!

Es war ein ultimatives Gegen-die-Wand-Schlagen. In der Wand waren jetzt Risse. Endlich verzerrten sich die Gesichtszüge der Dämonenkönigin.​
»Uh ... Ieeeks ...«​
Ohne ihr Schwert konnte sie offensichtlich nicht kämpfen. Die Art, wie sie sich zurückzog, war nicht die von jemandem, der noch kämpfen konnte.​
»Schachmatt, Hoheit.«​
Ich bemühte mich, meinen Arger nicht zu zeigen, und lächelte, so gut ich konnte. Aber da ich größer war als sie, wirkte es wahrscheinlich immer noch ziemlich einschüchternd.​
»Wenn wir weiterkämpfen, werde ich gewinnen. Ich glaube nicht, dass Ihr fortfahren wollt, nicht wahr?«​
Die Dämonenkönigin sah auf und blickte mir ins Gesicht.​
Vielleicht lag es am Zittern, dass sie kein Wort hervorbrachte.​
»Werdet Ihr mir zuhören, was ich zu sagen habe?«​
»E... E ... Einverstanden.«​
»Bitte verschont Halkara. Sie ist einfach nur schusslig und kein bisschen böswillig. Und ich möchte auch, dass die Dämonen, die versucht haben, meiner Familie und mir zu helfen, nicht belangt werden. Wenn die Dämonenkönigin sagt, sie vergebe uns, wird alles gut enden.«​
»...«​
»Versteht Ihr? Das ist sehr wichtig, also antwortet mir bitte ordentlich.«​
»Ja, große Schwester.«​
War da nicht gerade eine ganz seltsame Bezeichnung aus ihrem Mund gekommen? Gerade als ich das dachte, streckte sie eine Hand aus und fasste mir an die Wange. Wie?! Was war das?! War das eine Kampfkunst?! Es ging allerdings nichts Mord lüsternes von ihr aus.​
»Ich werde auf alles hören, was du sagst, große Schwester! Mit Freuden sogar!«​
»Ahm ... Was meint Ihr denn mit „große Schwester...?“​
»Ich habe mir schon immer jemanden gewünscht, der stärker ist als ich und den ich anbeten kann. Und ich fand von Anfang an, dass du, Azusa, dafür perfekt passen würdest. Ich habe dich eben getestet.«​
Getestet? Hatte diese Person den Kampf etwa absichtlich angezettelt?!​
»Ich möchte dich auch in Zukunft lieben und ehren, große Schwester.«​
»Ähm ... Hoheit? Es ehrt mich sehr, dass Ihr mir Liebe und Respekt entgegenbringen wollt, aber würdet Ihr mir zuerst garantieren, dass Halkara und alle anderen sicher sind? Und würdet Ihr bitte Eure Hand entfernen?«​
»Oh, sprich nicht so höflich. Sag bitte im Befehlston so etwas wie: „Provato, Lass meine Familie frei!“ Ach, und lege deine Hand auf meine Wange, so wie ich es gerade tue.«​
Endlich zog sie ihre Hand zurück. Wie mir schien, hatte diese Person ein paar merkwürdige Vorlieben. Stimmt, ich erinnerte mich, früher einmal etwas in der Richtung gelesen zu haben: Je mächtiger eine Person war, desto mehr tendierte sie zu masochistischen Neigungen ... Aber jetzt ging es darum, Halkara zu retten. Es hatte keinen Sinn, davor zurückzuscheuen, Befehle zu geben.​
»Provato klingt nicht wirklich niedlich. Ich werde dich Pecora nennen.«​
Schließlich hieß sie mit vollem Namen Provato Pecora Aries.​
Allerdings war ich bei Dämonen nicht sicher, was der Vorname und was der Familienname war.​
»Ja, große Schwester.«​
Ich verbarg meine leichte Verwirrung und berührte mit meiner rechten Hand Pecoras Wange.​
»Oh, große Schwester ... Was tust du da nur ... ?​
Im Gegensatz zu ihren Worten wirkte sie erfreut. Da ich genau tat, was sie von mir verlangt hatte, war das allerdings nur natürlich.​
»Pecora, Lass Halkara frei. Ich garantiere dir, dass sie es nicht böse gemeint hat. Gut, kann sein, dass man bei euch normalerweise auch dann hingerichtet wird, aber ... wenn du die Anweisung zurücknimmst, ist alles widerrufen, oder?«​
»Verstanden, große Schwester. Ich könnte nie einer Freundin meiner Schwester ein Leid zufügen.«​
Pecora (ich beschloss noch einmal, sie von nun an so zu nennen) trat zu ihrer halb toten Führungsriege und ordnete an:​
»Azusa hatte nicht die Absicht, mich anzugreifen. Niemand von euch darf sie als Feind betrachten.«​
Diejenigen, die bei Bewusstsein waren, warfen sich untertänig zu Boden.​
»Und Lasst Halkara, die mir einen Kopfstoß versetzt hat, frei. Es darf nicht sein, dass Azusas Familie Schaden zugefügt wird.«​
Sofort wurde ein Dämon als Bote herbeigerufen und dorthin geschickt, wo Halkara festgehalten wurde, um die Nachricht zu übermitteln. Somit war Halkara gerettet. Was für ein Glück.​
»Es scheint irgendwie geklappt zu haben ...« Beelzebub stieß einen erschöpften Seufzer aus.​
»Oh, und wir sind auch gerettet ... Bin ich froh ...«​
Man hatte Vania mit einem Seil mehrfach umwickelt und gefesselt. Sie war in einer wirklich misslichen Lage und trotzdem sah sie irgendwie lustig aus.​
»Es muss einiges passiert sein, während ich ohnmächtig war. Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt untersuchen, wie das Land während meiner Abwesenheit funktioniert hat. Für den Moment möchte ich, dass die Vorbereitungen für die Verleihungsfeier fortgeführt werden, damit sie morgen ordnungsgemäß stattfinden kann.«​
Die Dämonen nickten und gingen grüppchenweise davon, um ihren Aufgaben nachzugehen. Pecora war ruhig, aber sehr beeindruckend, wie es sich für eine Dämonenkönigin gehörte. Ihre Würde hatte Klasse.​
»Ach, Hoheit. Könntet Ihr bitte auch dafür sorgen, dass meine Familie umgehend darüber informiert wird, dass alles gut ausgegangen ist?«​
»Ich denke nicht daran, wenn du nicht wie eine große Schwester mit mir redest«, sagte Pecora geziert.​
»Pecora, informiere auch meine Familie. So schnell wie möglich.«​
»Wenn es ein Befehl von dir ist, große Schwester, will ich ihm sofort nachkommen.«​
Sie würde auf alles hören, was ich sagte, solange ich es als Befehl aussprach. Das war schon eine dankbare Sache.​
Puh ... jedenfalls war dieser Job nun erledigt und ich war müde ... Wenn das Leben eines Menschen auf der Waagschale lag, war man schon angespannt. Auch mit Level 99 konnte man steife Schultern bekommen. Ich sollte eine kleine Pause machen.​
»Pecora, Lass uns einen Tee trinken. Lass Tee für uns zubereiten.«​
»Verstanden. Der Ort hier ist ein wenig verwüstet, ich werde ihn also im Nebengebäude servieren lassen.«​

 
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Edward Teach

Anime-Pirat
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Teeparty und Verleihungsfeier

So kam es also dazu, dass ich mit der Dämonenkönigin Pecora Tee trank und wartete. Man konnte es seltsam finden, jetzt eine Teeparty abzuhalten, aber ich fand es umgekehrt gerade gut, in einer Situation wie dieser Tee zu trinken und wieder ein wenig zur Ruhe zu kommen. Ich konnte verstehen, warum die Teezeremonie im Japan der kriegerischen Sengoku Ära populär gewesen war. Wenn der Körper kämpfte, sehnte sich der Geist nach Frieden. Auf dem Weg zum Teesaal hielt Pecora die ganze Zeit meinen Arm. Sie hatte offensichtlich nach jemandem gesucht, mit dem sie diese Art physischen Kontakt pflegen konnte.​
»Ich bin so glücklich, dass ich nun eine große Schwester habe!​
Es wurde mir langweilig, immer nur alle zu unterwerfen.«​
»Gibt es denn unter den Dämonen niemanden, den du respektieren kannst, wie einen alten Lehrer oder so was?«​
»Wenn sie mich sehen, benehmen sich alle automatisch unterwürfig.«​
Nun, sie war ja auch die Königin. Aber ich konnte sie schon verstehen. Auch ich fand es manchmal ganz schön erschöpfend, wenn man mich allzu sehr als die Hexe der Hochebene verehrte. Aber ich hatte noch Glück, da Beelzebub mit mir auf Augenhöhe verkehrte.​
»Welche Art Tee wünschst du, große Schwester?«​
»Ich weiß nicht, was es gibt, also empfiehl mir etwas, Pecora. Zeig mir deinen guten Geschmack.«​
»Das ist eine sehr große Verantwortung ...«​
Pecora und ich betraten zu zweit einen prunkvollen Raum. Das Getränk, das der Diener uns sogleich brachte, war eher eine ziemlich scharfe Suppe.​
»Was ist das?«​
»Das ist Nsuja Tee.«​
Das war schwierig auszusprechen. Ich war mir nicht sicher, aber vermutlich war es so etwas wie Buttertee. Das Dämonenreich lag schließlich im Norden, da brauchte man sicher wärmende Getränke. Das Getränk schmeckte ziemlich gut, wenn man sich einmal daran gewöhnt hatte.​
»Ooh, Tee trinken mit meiner großen Schwester. Ich habe mich immer nach so einem Tag gesehnt. Es war richtig, dich als Empfängerin des Dämonen-Verdienstordens auszuwählen. Obwohl ich nicht im Traum gedacht hätte, dass ich ohnmächtig werden würde.«​
War ich etwa eingeladen worden, um diese mysteriöse Pseudoschwester-Beziehung aufzubauen?​
»Wenn es etwas gibt, womit wir Dämonen dir helfen können, sag einfach Bescheid. Deine jüngere Schwester wird alles für dich tun, was in ihren Kräften steht.«​
Offensichtlich war ich nun tatsächlich in der Lage, völlig frei über die Hilfe der Dämonen zu verfügen. Ohne es richtig mitbekommen zu haben, hatte ich ein merkwürdig hohes Machtniveau erreicht. Je nachdem, wie ich diese Macht nun nutzen würde, wäre ich wohl sogar locker in der .Lage, ein ganzes Land auszulöschen ... Da sie mich „große Schwester“ nannte, konnte es unpassend wirken, zu locker mit ihr zu plaudern, und ich beschloss, mich ein wenig wortkarg und cool zu geben. Und ich blickte etwas strenger. »Ja gut, ich werde davon Gebrauch machen. Nichts für ungut, Pecora.«​
»Oooh, schön. Das ist schön ... Eine ältere Hexenschwester mit cooler Haltung. Besser geht es nicht ...«​
Meine Inszenierung war offenbar ein Riesenhit. Die Dämonenkönigin sah aus, als würde sie gleich anfangen zu sabbern. Ob sie in Ordnung war?​
»Als du in die Wand neben mir gehauen hast, habe ich richtig Herzklopfen bekommen. Eine Frau mit strengem Gesichtsausdruck, die mir Befehle erteilt . . . Ich bin fast umgefallen vor Begeisterung.«​
Ich hatte zufällig mitten ins Schwarze getroffen, was Pecoras Vorlieben betraf. In dem Moment hatte ich auch nicht gespielt, es war mir total ernst gewesen.​
»Ähm, große Schwester ... Ich habe eine Bitte an dich.«​
»Was, Pecora?«​
»Könntest du mich auf die Wange küssen?«​
»Hä?«​
Mir schien, ich sei um etwas sehr Seltsames gebeten worden.​
»In einem meiner Lieblingsbücher, in dem zwei Mädchen eine Schwester ähnliche Beziehung haben, gibt es eine Szene, in der die ältere der jüngeren einen Kuss gibt. Ich liebe diese Szene so sehr. Ich habe mich immer nach so etwas gesehnt ...«​
Pecora hielt sich mit beiden Händen ihre geröteten Wangen.​
»Sieh mal, im Moment ist auch keiner da ...«​
Es stimmte. Die Dämonen, die den Tee serviert hatten, waren wieder gegangen.​
»Einem Familienmitglied gibt man doch hin und wieder einen Kuss. Bei uns ist es auch nicht viel anders.«​
Ob das bei Dämonen so Usus war? Auch in unserem Land schien es relativ üblich zu sein, Familienmitglieder zu küssen, aber ich selbst hatte es bei meiner Familie bisher nicht gemacht ... Es wäre einfach, es bei meinen Töchtern zu tun, aber dann würde es wahrscheinlich nicht dabei bleiben und Laika und Halkara würden dazukommen, weshalb ich es bei Umarmungen belassen hatte.​
»Verstanden ... Aber nur auf die Wange.«​
Wenn keiner guckte, war es meinetwegen in Ordnung. Außerdem wäre es gefährlich, abweisend zu Pecora zu sein.​
»D... Danke, große Schwester!«​
Es war nur ein Küsschen auf die Wange. Es gab keinen Grund, deswegen so angespannt zu sein. Das hatte schließlich nichts mit Verliebtsein zu tun. Ich stand auf und näherte mein Gesicht Pecoras Wange.​
»Schließe die Augen, Pecora.«​
Sie gehorchte brav meinem Befehl. Wenn ich sie zu lange gespannt warten ließ, würde auch ich ungelenk werden, also führte ich sofort meine Lippen näher.​
In dem Moment öffnete sich die Tür.​
»Oooh, große Meisterin, ich hatte solche Angst ... Sie waren kurz davor, meine Zelle unter Wasser zu setzen.«​
Halkara war eingetreten. Genau in dem Moment, als ich gerade dabei war, Pecora zu küssen ... Der Kuss wurde zwar unterbrochen, aber Halkara hatte natürlich alles gesehen.​
»Was... ? Große Meisterin, du und die Dämonenkönigin, seid ihr etwa ... Waaaaaaas? !«​
Halkara war kurz davor durchzudrehen.​
»Beruhige dich, Halkara, beruhige dich! Das ist ein Befehl!«​
»Große Meisterin, bist du der Typ, der mehr auf Frauen steht?! Ach so ist das ... also ... Gut, du hast meine Unterstützung.«​
»Ich brauche keine Unterstützung!«​
»Nur ... Wenn das der Fall ist, ist es schon peinlich für mich. Wir wohnen unter einem Dach, aber mir gegenüber gab es noch nie Annäherungsversuche ... Bin ich so unattraktiv? Ich habe so ein komisches Gefühl, als hätte ich eine Niederlage erlitten ...«​
»Du hast in nichts verloren! Du brauchst dich nicht elend zu fühlen!«​
Während ich Erklärungen abgab, blickte Pecora missmutig drein. Sie war röter angelaufen, als ich es bisher bei ihr gesehen hatte.​
»Hast du überhaupt kein Feingefühl? Herein zu Platzen und die kostbare Zeit, die ich mit meiner großen Schwester verbringe, zu stören! Das verzeihe ich dir auf gar keinen Fall! Ich lasse dich hinrichten!«​
Waaaaaaas?!​
»Erst werde ich freigelassen und jetzt soll ich hingerichtet werden?! Bitte verschont mich! Ich tue alles, also verzeiht mir bitte!«​
Halkara war verzweifelt und weinte fast.​
»Keine Hinrichtung! Vergib ihr! Ja? Ja?«​
»Halte mich nicht auf, Schwester! Diese Person hat meinen romantischen Traum zerstört!«​
»Ich halte dich aber auf! Ich kann nicht anders, als dich aufzuhalten!«​
Hmmm ... Was konnte ich tun, damit sich ihre Laune besserte?​
»Möchtest du, dass ich dich jetzt küsse?«​
»Nein danke, die Atmosphäre ist zerstört ... Ein schwesterlicher Kuss ist ein Ritual, um die Bindung zu vertiefen. Es geht nicht nur um die Lippenberührung ...«​
Sie schien eine ziemlich genaue Vorstellung von der Sache zu haben. Jedenfalls musste ich sie jetzt nicht mehr küssen.​
Schließlich schaffte ich es irgendwie, Pecora zu besänftigen, und Halkara wurde verziehen.​
Danach war meine Familie glücklich wiedervereint. Als Halkara ins Zimmer zurückkam, sprang Falfa sofort auf sie zu. Shalsha und Laika seufzten erleichtert.​
»Für eine Weile war ich wirklich nicht sicher, wie es ausgehen würde. Halkara, bitte lebe in Zukunft ein bisschen vorsichtiger.«​
»Ich habe auch dir Sorgen bereitet, nicht wahr, Laika? Es tut mir leid ...«​
Diesmal schien Halkara wirklich reumütig zu sein.​
»Aber na ja, Ende gut, alles gut. Willkommen zurück. Ruh dich heute gut aus.«​
Laikas Gesichtsausdruck wurde sanft. Wir alle hatten uns Sorgen um Halkara gemacht.​
»Vielen Dank. Ein bisschen später, und sie hätten mit der Folter begonnen ...«​
»Wo ist eigentlich Rosalie? Ich sehe sie nicht.«​
Aus der Wand neben mir erschien Rosalies Gesicht.​
»Oh, Entschuldigung. Ich war in der Wand!«​
»Wah! Hast du mich erschreckt!«​
Ich zuckte zusammen. Ich machte sogar einen Hüpfer und wäre beinahe Halkara auf die Füße getreten. Aber nun waren wir wirklich alle wieder beisammen. Plötzlich wollte ich etwas Bestimmtes mit meinen Töchtern tun. Und wenn eine Sache nicht verkehrt war, sollte man sie am besten gleich in die Tat umsetzen. Zunächst rief ich Shalsha, die in meiner Nähe stand.​
»Shalsha, komm einmal her.«​
Sie trappelte zu mir, ich hatte sogar das Gefühl, ein bisschen schneller als sonst. Ich hob sie hoch und gab ihr einen Kuss auf die Wange.​
»Oh, ein Kuss ..«​
Auch nachdem ich sie abgesetzt hatte, war Shalsha noch eine Weile perplex.​
»Ich habe beschlossen, euch beide von jetzt an zu küssen. Ich darf doch ... ? Ich weiß, ich frage, nachdem ich es bereits getan habe ...«​
Pecora hatte mich inspiriert und ich hatte als Mutter beschlossen, meine Töchter in Zukunft zu küssen. Die Beziehung zwischen mir und meinen Töchtern war ein bisschen anders als die zwischen normalen Eltern und Kindern, deswegen war es umso wichtiger, sich vor Augen zu halten, dass wir eine Familie waren.​
»Ich finde es völlig in Ordnung ..«​
Wahrscheinlich hatte ich etwas getan, was sie beschämte, jedenfalls wurde Shalsha ein bisschen rot.​
»Mama! Falfa auch! Falfa auch!«​
Falfa sprang herum wie ein Gummiball. Natürlich sollte sie auch einen Kuss kriegen. Es war ein Grundsatz von mir, beide Töchter gleich zu behandeln. Die beiden waren verschieden im Charakter, aber es durfte keinesfalls einen Unterschied in der Liebe geben, die ich ihnen entgegenbrachte. Schließlich wären beide nicht geboren worden, wenn ich keine Schleime getötet hätte. Falfa sprang in meine Arme und ich hob sie direkt zu mir hoch. Und küsste sie. Die beiden waren zwar Schleimgeister, aber ihre Wangen hatten nicht diese weiche Konsis ... obwohl ... sie waren sehr elastisch. Ob das an ihrer Jugend lag? Oder daran, dass sie wirklich Schleime waren?​
»Hurra! Mama hat mich geküsst!«​
Falfa schämte sich überhaupt nicht und freute sich einfach. Richtig, zwischen Mutter und Kind war es auch nicht nötig, sich zu schämen.​
»Mama, Falfa will dich auch küssen!«​
»Ja, klar. Aber warte mal kurz.«​
Ich wollte den Willen beider respektieren und so fair wie möglich sein.​
»Shalsha, möchtest du mich auch küssen?«​
Shalsha nickte.​
»Dann kommt beide her und gebt mir einen Kuss.«​
Die beiden passten das Timing perfekt ab und küssten mich auf die Wangen. Von den Töchtern geküsst werden - gab es für eine Mutter einen Moment im realen Leben, der sie mehr erfüllte als dieser? Nein, bestimmt nicht. Ich hatte heute hart gearbeitet, da war es doch in Ordnung, wenn ich einen kleinen Bonus bekam, oder?​
»Danke, ihr zwei.«​
»Ich glaube, Falfa hat dich noch lieber als bisher, Mama!« »​
Man kann Liebe nicht in quantitativen Begriffen ausdrücken wie „mehr oder weniger“.«​
In solchen Situationen kam der Unterschied der beiden zutage. Ich musste der Dämonenkönigin dankbar dafür sein, dass sie mir die Vorstellung des Küssens nahegebracht hatte.​
»Ja, ja, Küsse zwischen Eltern und Kindern sind auch etwas Schönes.«​
Diese Stimme hatte ich doch noch bis vor Kurzem gehört. Als ich mich umdrehte, hatte Pecora die Tür geöffnet und war eingetreten. Halkara versteifte sich unbewusst. Klar, sie war gerade sehr knapp an einer großen Gefahr vorbeigeschlittert. Auch Laika hatte eine starre Haltung eingenommen. Aber die Posen der beiden unterschieden sich voneinander. Halkara sah aus, als ob sie fliehen wolle, während Laika wirkte, als sei sie bereit zum Kampf.​
»Was ist, Pecora …?«​
»Ich habe gehört, dass ihr noch nicht gegessen habt. Wo es doch gerade so schön passt, dachte ich, wir könnten zusammen essen.«​
Aha, das klang nicht schlecht. Im Gegenteil, als ich das Wort `“essen“ hörte, wurde mir erst bewusst, wie sagenhaft hungrig ich war. Natürlich, solange ich keine Gewissheit gehabt hatte, dass alle in Sicherheit waren, war Essen kein Thema gewesen. Menschliche Körper waren offenbar in der Lage, sich der Situation anzupassen.​
»Das kommt genau richtig. Wo essen wir?«​
»Ich werde euch in den Speisesaal für Gäste bringen. Komm, große Schwester, gehen wir.«​
Pecora nahm meinen Arm, als sei es das Natürlichste der Welt. Mir schien, von allen Leuten, denen ich bisher begegnet war, war ihre Körpersprache am stärksten ausgeprägt. Falfa nahm ich mal aus, weil sie meine Tochter war.​
»M... Meisterin Azusa ...«​
Laika sah ein bisschen traurig aus. Tatsächlich machte sie sich immer bewusst, dass sie mein Lehrling war, und hielt sich einen Schritt im Hintergrund. Ich sollte mich nachher ein bisschen um sie kümmern ...​
»Und ich habe doch dieses Gefühl, als wäre mir die große Meisterin weggenommen worden ... Es ist wie eine Niederlage ...«​
Auch Halkara schien ähnlicher Meinung zu sein. Es war schwieriger als gedacht, in Beziehungen die richtige Balance zwischen Abstand und Nähe zu finden. Mit dem Problem musste ich mich in Zukunft befassen.​
»Sag mal, Pecora, klammerst du dich nicht ein bisschen zu eng an mich?«​
Aber Pecora achtete nicht auf meine Worte und verstärkte ihren Griff noch.​
»Bei Pseudoschwestern Beziehungen ist das nun mal so. Bitte mach eine Weile bei meiner Traumvorstellung mit, große Schwester.«​
Nun, es hatte bisher niemanden gegeben, der die Rolle der großen Schwester der Dämonenkönigin hätte einnehmen können, also war da nichts zu machen. Pecora war vermutlich auf ihre Weise einsam gewesen.​
»Ja, gut. So war es auch abgemacht.«​
Ich strich Pecora über den Kopf. Da ich nicht wusste, ob man die schafähnlichen Hörner streicheln durfte, sparte ich sie aus.​
»Oooh. Heute bin ich zwar ohnmächtig geworden, aber ich bin so glücklich, dass es alles wettmacht.«​
Wenn sie so offenherzig sagte, wie glücklich sie war, fühlte ich mich geehrt.​
»Ähm, große Schwester, könntest du mich bis zum Speisesaal wie eine Prinzessin auf deinen Armen tragen?«​
»Du verlangst ganz schön viel, was …?«​
»Ja, ich bin schließlich Dämonenkönigin ... Natürlich bin ich eigensinnig.«​
Tatsächlich wirkte sie weder entschuldigend noch hatte man das Gefühl, sie habe auf billige Weise Spaß daran, andere zu beherrschen. In ihrem Leben war es offensichtlich immer selbstverständlich gewesen, andere mit etwas zu beauftragen.​
»Außerdem betrachte ich es als eine Art Ersatz für den Kuss, der nicht zustande kam. Zwischen Schwestern muss es solche speziellen Momente geben.«​
»Ja, stimmt. Möchtest du so getragen werden?«​
Ich hob Pecora hoch. Wahrscheinlich hatte ich es meinem Level 99 zu verdanken, dass ich nicht die Balance verlor und sie fallen ließ.​
»Ich liege in den Armen meiner großen Schwester ... Die Szene im Buch, nach der ich mich gesehnt habe, ist so wunderbar, wie ich es mir vorgestellt habe ...«​
Laika und Halkara folgten uns und sahen dabei nicht besonders glücklich aus.​
»Halkara, ich glaube, diese Person liegt mir nicht besonders.«​
»Ich kann auch nicht viel mit ihr anfangen. Verwöhnte, reiche Mädchen wie sie würden sich besser entwickeln, wenn sie ein bisschen von der rauen, wirklichen Welt mitbekommen würden. Zum Beispiel könnte sie in meiner Fabrik arbeiten mit achtzig Überstunden im Monat.«​
Das war sicher ein Witz, sie durfte ihre Mitarbeiter nicht so viele Überstunden machen lassen.​
Ich hätte nicht gedacht, dass Pecora die beiden so reizen würde ... Ich sollte mich darum kümmern. Ich war jemand, der in Frieden leben wollte.​
»Oh, du hast eben an etwas anderes gedacht als an mich, große Schwester.«​
Pecora plusterte ihre Wangen auf.​
»Ich kann denken, was ich möchte, oder?«​
»Aber wenn du deine kleine Schwester wie eine Prinzessin trägst, ist es natürlich, an sie zu denken.«​
Anscheinend gab es für das Tragen von Prinzessinnen auch bestimmte Regeln.​
»Hast du nichts zu sagen?​
»Du bist aber leicht, oder so etwas in der Art?«​
»Wahrscheinlich sind es deine prächtigen Kleider, aber ich finde, du wirst immer schwerer.«​
»Du bist gemein, große Schwester.«​
Pecora blies erneut ihre Wangen auf.​
»Andererseits finde ich es auch schön, wenn meine fiese große Schwester mich so aufzieht.«​
Am Ende sah sie doch glücklich aus. Die Dämonen, denen wir auf dem Weg begegneten, sahen uns erschrocken an, hüteten sich aber, etwas zu unserem seltsamen Auftritt zu sagen. Es gab offenbar keinen Dämon, der die Dämonenkönigin kritisieren wollte ... Vor dem Speisesaal warteten Beelzebub und Vania. Beelzebub sah ein wenig - oder besser gesagt sehr - schockiert aus.​
»Hoheit, geht Ihr nicht ein bisschen zu weit?«​
»Aber es gibt in dieser Welt nun mal niemanden, den ich als meine ältere Schwester anerkennen könnte. Ich dachte mal, du wärst vielleicht auch eine Kandidatin, Beelzebub, aber du hast mich kein einziges Mal geschimpft.«​
Pecora schmollte. Sie musste ein wildes Mädchen sein. Beelzebub und die anderen hatten es bestimmt nicht leicht.​
»Puh ... Azusa, dann übernimm bitte die Rolle der älteren Schwester, ja? Mir ist das zu viel.«​
»Schon gut. Die nächsten paar Tage mache ich das.«​
»Wenn möglich, hätte ich gerne, dass du etwa alle zwei Monate kommst.«​
Sollte diese komische Beziehung die ganze Zeit fortbestehen? Da könnte ich mich in etwas reingeritten haben ...​
»Iss doch mit uns, Beelzebub. Und deine Untergebene auch.«​
Das hieß, wenn in meinem Haus eine Party stattfand, kamen zur üblichen Gruppe künftig noch Pecora und Vania dazu. Na meinetwegen, es war schön, wenn es lebhaft zuging.​
Die Dämonen-Hofküche war etwas stark gewürzt, aber lecker. Ich war froh, dass keine Insekten oder Ähnliches darin vorkamen. Während des Essens sprach mich Pecora die ganze Zeit an:​
»Große Schwester, gibt es irgendeinen Wein, den du trinken möchtest?«​
»Große Schwester, sag Bescheid, wenn du ein Lieblingsgericht hast«​
»Schwester, Schwester ...«​
»Kannst du dich nicht mehr wie eine Dämonenkönigin verhalten?«​
»Aber das wäre ja dann wie immer und langweilig. Ich möchte mich als kleine Schwester um dich bemühen.«​
Ich hatte die Macht, die Dämonenkönigin zu lenken, wie ich wollte, aber wie sollte ich diese Macht anwenden?​
»Kannst du mir nachher erklären, welche Pflanzen im Dämonenreich wachsen? Ich könnte auf Basis von ihnen neue Medizin herstellen.«​
»Ja! Ich kümmere mich sofort darum!«​
Das würde, auch meinem Heimatort zugutekommen, also war es ein Gewinn.​
»Morgen ist endlich der Tag, an dem du den Orden erhältst. Ich freue mich schon!«​
»Stimmt, das war eigentlich der Grund unseres Besuchs ..«​
Ich fragte mich, was für ein Event uns erwartete.​
»Ach richtig. Laika, nicht wahr?«​
Ausnahmsweise nannte Pecora einen Namen außer meinem.​
»Ja bitte, Majestät?«​
Da Pecora immer an mir klebte, wirkte Laika noch immer ein wenig verschnupft.​
»Ich vermute, du wirst morgen eine unerwartete Person wiedersehen.«​
»Bitte?«​
Statt einer Antwort grinste Pecora nur schelmisch.​
Am nächsten Tag zogen wir unsere Partykleider an und begaben uns zum Ort der Zeremonie. Es war viel passiert, aber dort war alles mit Blumen geschmückt, als wenn nichts vorgefallen wäre. Wahrscheinlich würde es gar nicht öffentlich werden, dass ich herum gewütet hatte. Außer uns waren auch andere Personen anwesend, die offenkundig keine Dämonen waren. Von dem, was ich zu hören bekam, schloss ich, dass es sich um Wissenschaftler handelte. Es war also wirklich so, dass die Dämonen diese Feier abhielten, um verschiedene Leute zu ehren.​
»Ich bin nervös, aber etwas anderes macht mir mehr zu schaffen ...«​
Die Dämonen, gegen die ich gestern gekämpft hatte, waren auch anwesend. Wir grüßten einander ungelenk:​
»Entschuldige mein unhöfliches Verhalten gestern«​
»Nein, nein, ganz meinerseits ..«​
Als ich Beelzebub und Vania entdeckte, war ich erleichtert.​
»Puh, eine Zeit lang wusste ich wirklich nicht, wie die Sache gestern ausgehen würde«, sagte ich.​
»Ganz meine Worte. Das war die größte Krise, in der ich je gesteckt habe. Ich wusste zwar, dass es mit dir nicht langweilig wird, aber so etwas möchte ich nicht noch einmal erleben.«​
Beelzebub sah noch immer erschöpft aus. Ich erkannte es auch daran, dass ihre Flügel flatterten. Außerdem wedelte sie sich mit ihrem Feder besetzten Fächer Luft zu, obwohl es nicht heiß war.​
»Ich dachte auch, ich würde sterben ... Um nicht zu sagen: Ich hatte mich seelisch darauf vorbereitet.«​
Auch Vania wirkte irgendwie ausgelaugt. Neben ihr stand eine Dämonin, deren Gesicht ihrem ähnelte.​
»Wer ist das?«​
»Ich bin der Leviathan Fatla. Ihr seid 'auf mir hier her geflogen.«​
»Oh, vielen Dank dafür!«​
»Heute bin ich für die Verleihungsfeier eingeteilt. Ich persönlich finde es einfacher, zu fliegen. Sich um Gäste zu kümmern kostet mehr Energie ...«​
Das konnte ich nachvollziehen. In meiner Zeit als Firmensklavin war es mir auch leichter gefallen, die Chauffeurin zu sein, als die Gäste zu unterhalten.​
»Also, willkommen auf der Verleihungsfeier. Nehmt euch einen Drink, bis die Zeremonie beginnt.«​
Fatla bot uns Gläser mit alkoholischen Getränken an. Diese Gepflogenheit schien in allen Ländern gleich zu sein. Laika nahm sich nach mir ein Glas. Doch dann griff Vania ein.​
»Ahm, einen Moment bitte ... Wer schnell betrunken ist oder sonst irgendwie nicht klarkommt mit Alkohol, sollte bitte lieber Wasser trinken.«​
Vania sah dabei ganz klar zu Halkara.​
»Verstanden ... Ich werde vorsichtig sein.«​
Da Halkara aufpasste, sollte diesmal endlich alles gut gehen.​
»Falfa und Shalsha, ihr bleibt auch bei Wasser, ja?«​
Wie es aussah, konnten Schleime nicht gut Alkohol abbauen. Da es zu ihrem kindlichen Aussehen passte, konnte man das leicht nachvollziehen.​
»Ich habe mich gefragt, wie es sein wird, weil es sich um eine Dämonenzeremonie handelt, aber es läuft ziemlich kultiviert ab, nicht wahr, Meisterin Azusa?«​
Laika sah sich im Saal um, wobei sie sehr wie eine junge Dame aus gutem Hause wirkte.​
»Du bist solche Zeremonien gewohnt, nicht wahr, Laika?«​
»Ja. Diese hier unterscheidet sich kaum von einer Drachenzeremonie. Ich denke, sie wird ohne weiteren Ärger enden.«​
Laika, flehte ich innerlich, solche Kommentare ziehen doch Ärger an, also Lass es bitte ... In dem Moment kündigten Soldaten an:​
»Achtung! Ihre Hoheit die Dämonenkönigin!«​
Pecora erschien auf einem leicht erhöhten Podium.​
»Verehrte Gäste. Ich danke euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, zur heutigen Verleihungsfeier zu erscheinen. Ich bin die Dämonenkönigin Provato Pecora Aries. Ich möchte sogleich beginnen und der Reihe nach die Dämonen-Verdienstorden verleihen. Zunächst die Kategorie Zauber. Herr Mantoya, der maßgeblich dazu beigetragen hat, das Niveau des Abwehrsverstärkungs Zaubers zu heben.«​
Ein Mann, der ganz klar wie ein Zauberer aussah, trat hervor und erhielt von Pecora so etwas wie eine Medaille. Auch dieser Teil verlief so, wie man es erwarten würde.​
»Als Nächstes kommen wir zur Kategorie Natur. Herr Noreil, der erfolgreich blaue Rosen gezüchtet hat.«​
Nun erschien ein älterer Mann, der seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen keine Ahnung hatte, warum er hierher gerufen worden war. Man konnte sich problemlos vorstellen, dass er ohne jede Vorwarnung die Nachricht erhalten hatte, er solle einen Dämonen-Verdienstorden erhalten und deshalb gefälligst kommen. Danach folgten noch mehrere Kategorien.Wahrscheinlich lag es an Pecoras Charakter, aber die Zeremonie verlief zwanglos und locker.​
»Als Nächstes kommen wir zur Kategorie Frieden. Ich bitte die Hexe der Hochebene Azusa zu mir.«​
Begleitet von Applaus ging ich vor bis zum Podium. Ich hatte viel durchgemacht, nur um diese Medaille überreicht zu bekommen. Doch da grinste Pecora verschmitzt.​
Oh nein, wenn sie so guckte, musste etwas im Busch sein ...​
»Ehrlich gesagt bist du nicht die Einzige.«​
»Was heißt das?«​
»Du hast die langjährige Fehde der roten und blauen Drachen beigelegt, aber ich würde bei dieser Gelegenheit auch gerne die Drachenseite ehren.«​
Pecoras Blick wanderte zu Laika.​
»Wie? Ich auch?«​
Laika zeigte mit dem Finger auf ihr Gesicht. Applaus brandete auf und auch Laika musste zum Podium vorkommen.​
»Verstehe. Das ist doch eine schöne Idee.«​
Es stimmte. Ohne Laikas Hilfe hätte ich den Kampf nicht stoppen können. Aber wenn es nur das war, konnte ich mir Pecoras Gesichtsausdruck nicht erklären ...​
»So, wir haben hier nun Laika von den roten Drachen. Und nun wollen wir noch eine Vertreterin der blauen Drachen rufen. Bitte komm her, Flatorte!«​
»Was?!«​
Das kam von Laika und mir gleichzeitig. Die Tür öffnete sich und ein Mädchen mit Hörnern und Drachenschwanz kam herein. Es gab keinen Zweifel. Es war Flatorte in Menschengestalt. Sie war die Anführerin der blauen Drachen, die damals in die Hochzeit von Laikas Schwester eingefallen waren. Sie war von uns nach Strich und Faden verprügelt und später dazu gezwungen worden, einen Nichtangriffspakt mit den roten Drachen zu schließen.​
»Flatorte ist für die blauen Drachen verantwortlich und sorgt dafür, dass es zu keinen neuen Streitigkeiten kommt. Ich dachte, deshalb sollte auch sie eine Medaille erhalten.«​
»Du liebst es, Leute zu überraschen, was?«​
Flatorte näherte sich zögernd dem Podium. Verständlicherweise schien sie sich nicht wohl dabei zu fühlen, neben Laika zu stehen. Das Gleiche galt natürlich auch für Laika.​
»L... lange nicht gesehen, Laika.«​
»Ja ... Ich bin froh, dass wir uns nicht auf dem Schlachtfeld treffen.«​
»Dann werde ich euch mal eure Verdienstorden überreichen.«​
Pecora hängte uns nacheinander und ohne großes Brimborium die Orden um.​
»Somit ist der Frieden unter den Drachen noch einmal mehr gefestigt. Es gibt doch selbstverständlich niemanden, der Streit vom Zaun brechen würde, oder?«​
Pecora lächelte. Das System lautete:​
»Sollte jemand gegen diese Abmachung verstoßen, werden wir erbosten Dämonen angreifen«.​
»I... Ich weiß. Wir blauen Drachen werden nichts tun ..«​
Flatorte zitterte ziemlich stark. Auch Drachen fürchteten die Dämonenkönigin.​
»Pecora, du wirkst zwar nicht so, aber das hier hast du wirklich gut durchdacht.« »Schließlich muss ich als Dämonenkönigin dafür sorgen, dass die Weltordnung gewahrt bleibt.«​
Pecora sah sehr stolz aus.​
»In Zukunft wird die Dämonenkönigin ein Symbol für die Koexistenz verschiedener Gattungen sein. Schließlich ist unser Land selbst ein Vielvölkerland der Extreme.«​
Stimmt, die Dämonen waren von ihrem Aussehen her unglaublich verschieden, weshalb sie in dem Punkt wohl tolerant waren.​
»Ähm ... ich, Flatorte, werde mich nun verabschieden. Ich habe noch einiges zu erledigen ..«​
Flatorte war ganz offensichtlich sehr daran gelegen, schnell zu verschwinden. Es war ihr deutlich anzusehen, wie unangenehm es ihr war, hier zu sein. Schließlich gehörte sie nicht zur Gewinnerseite, sondern zu den Angreifern, die zurückgeschlagen worden waren. Allerdings entging mir nicht, dass Pecora noch ein weiteres Mal für einen kurzen Moment grinste. langsam verstand ich. Pecora hatte einen wirklich fiesen Charakter. Und da sie sich dessen auch noch bewusst war, war sie besonders schwer zu handhaben ...​
»Mir ist noch etwas eingefallen. Ich möchte, dass du auch meiner großen Schwester beweist, dass sich die blauen Drachen nicht mehr auflehnen werden.«​
Wollte sie mich etwa für noch etwas einspannen?​
»Große Schwester, sei so gut und streichle Flatortes Hörner.«​
Ich habe gehört, dass die blauen Drachen denjenigen, dem sie sich komplett unterwerfen, ihre Hörner streicheln lassen.«​
Pecora lächelte freundlich. Es war ein niedliches Lächeln, in dem sich aber eine gewisse Grausamkeit verbarg.​
»Iiiieek! N ... Nein, nicht die Hörner. Bitte nicht ...«​
Flatorte schrak zurück. Laika sah Flatorte mit einem mitleidigen Blick an, der zu besagen schien:​
»Die Dämonenkönigin kennt wirklich keine Gnade.«​
»Ist es so schlimm, wenn jemand die Hörner berührt?«​
»Es ist ein besonderer Brauch der blauen Drachen und bedeutet absolute Unterwerfung. Wenn man diese Regel bricht, bleibt einem nur der Tod. Deswegen haben sogar wir roten Drachen bei früheren Fehden darauf geachtet, ihre Hörner nicht zu berühren.«​
Da ich selbst keine Hörner hatte, konnte ich den Punkt nicht gut nachempfinden.​
»Es heißt, mehrere Abenteurer aus früheren Zeiten, die versucht haben, die Hörner eines Drachen zu berühren, um ihn zu unterwerfen, haben dabei ihr Leben gelassen. Allerdings wird man meistens durch ihren eisigen Atem ausgelöscht, bevor man an die Hörner herankommt.«​
Ich hatte schon von Rittern gehört, die auf Drachen ritten. Dabei hatte es sich wohl um blaue Drachen gehandelt.​
»Falls ein roter Drache wie Laika die Hörner berührt, würde das die vollkommene Herrschaft der roten Drachen über die blauen bedeuten, und das wäre für beide Seiten nicht angenehm. Deswegen ist es genau richtig, wenn meine große Schwester, die Hexe der Hochebene, das übernimmt. Mit anderen Worten: Ich möchte zu dem bereits vorhandenen Keil zur Sicherheit noch einen weiteren hineinschlagen.«​
Pecora war wirklich eine Taktikerin. Sie hatte nicht umsonst die Position der Dämonenkönigin inne.​
»Gut, dann werde ich sie berühren. Es ist schließlich für den Frieden.«​
»M... Mach, was du willst ... Mir ist jetzt alles egal ...«​
Flatorte ließ kraftlos den Kopf hängen. Gut, ich würde diese Hörner jetzt anfassen. Ich streckte meine Hand aus und strich darüber. SCHRATT SCHRATT. Sie waren hart und fühlten sich wie Stein an.​
»Liebe Vorfahren ... Flatorte muss sich einer Hexe unterwerfen ... Bitte vergebt mir, dass ich euch Schande gemacht habe ...«​
Während ich überlegte, wie grausam es von Pecora war, so etwas in aller Öffentlichkeit zu tun, beendete ich das Hörner streicheln.​
»Vielen Dank. Die Ordensverleihung ist hiermit beendet. Begeben wir uns nun wieder zur Stehparty.«​
Somit war mein Job auf der Verleihungsfeier getan. Aber ich hatte noch ein weiteres, komisches Problem. Selbst wenn ich mich nur zu den Tischen bewegte, um mir von den verschiedenen Gerichten etwas zu holen, war Flatorte immer direkt hinter mir. Meiner Meinung nach kamen nur Attentäter oder Diener so nah heran. War das etwa eine neue Art der Belästigung?​
»Ahm, was möchtest du denn?«​
»I... Ich, Flatorte ... wurde von der ehrwürdigen Hexe der Hochebene unterworfen ... deshalb bleibe ich hinter dir für den Fall, dass du mich brauchst.«​
Ein ungutes Gefühl stieg in mir hoch.​
»Und wann endet diese Herrschaft? Morgen? In drei Tagen?«​
»Wenn ich sterbe.«​
Ja, das ungute Gefühl war ein Volltreffer gewesen!​
»Heißt das etwa, du folgst mir bis nach Hause?!«​
»So ist es ...«​
Während Flatorte sprach, war ihr Gesicht rot vor Scham. Da sie vom Aussehen her ein Mädchen war, kam ich mir vor, als würde ich ihr etwas Schreckliches antun. Laika schien es auf ihre Weise ärgerlich zu finden.​
»Meisterin Azusa, wir brauchen keine zwei Drachen im Haus auf der Hochebene. I... Ich allein genüge ... Bitte befiehl Flatorte, in ihre Heimat zu den blauen Drachen zurückzukehren. Wenn sie sich vollkommen unterwerfen muss, wird sie gehen, wenn du es anordnest.«​
Laika hatte recht. Es war gemein, Flatorte zum Umzug zu zwingen, und ich musste ihr nur den „Befehl“ geben, weiterhin in ihrer Heimat zu leben.​
»Der Brauch der blauen Drachen besagt, dass man Selbstmord begehen muss, wenn man sich von seinem Gebieter entfernt. Schließlich ist es unsere Aufgabe, das Leben unseres Gebieters für immer zu beschützen ...«​
»Das ist aber ein harter Brauch!«​
Pecora stand ein wenig abseits und unsere Blicke trafen sich. Sie sah aus, als würde sie sagen:​
»Pass schön auf diese Flatorte auf, große Schwester.«​
»Pecora wusste alles, als sie mich die Hörner anfassen ließ! Sie sieht süß aus, aber sie ist ein Teufel!«​
»Meisterin Azusa, sie ist sogar der Teufel aller Teufel. Sie ist die Dämonenkönigin«, kommentierte Laika.​
»Das stimmt ... Dämonen sind wirklich furchterregend ...«​
In dem Moment kam Beelzebub herbei. Kaum, dass sie da war, senkte sie ihren Kopf.​
»Unsere Königin liebt es, anderen Streiche zu spielen. Sie ist keine schlechte Person und auch schlau, aber manchmal kommen ihr komische Ideen ... Es tut mir leid.«​
»Ach, schon gut. Ich bin dadurch ja nicht in ernsthaften Schwierigkeiten.«​
Im Vergleich zu Dämonenkönigin Pecora wirkte Beelzebub wie eine Sorgen geplagte Person aus dem mittleren Management.​
»Ähm ... ich tue alles, also nimm mich bitte mit.«​
Flatorte blickte die ganze Zeit zu Boden.​
»Ja, ja, schon gut. Und jetzt hebe deinen Kopf.«​
»Ja, Gebieterin Hexe der Hochebene.«​
Solange sie in Menschengestalt war, konnte sie problemlos in einem der leer stehenden Zimmer wohnen.​
»Wie es aussieht, bist du in eine schlimme Sache mit hineingezogen worden, aber mach dir keine Sorgen. Wir werden dich aufnehmen. Außerdem wirst du doch keinen Ärger kriegen, wenn du dorthin kommst, wo ich bin, oder? Wir werden hin und wieder auch deine Heimat besuchen.«​
»Vielen Dank, Gebieterin!«​
Flatorte kniete nieder. Es kam mir so vor, als wenn ich jetzt unheimlich wichtig und mächtig wäre, und das war ein komisches Gefühl.​
»Du kannst froh sein, dass es die barmherzige Meisterin Azusa ist, die dich aufgenommen hat.«​
Vielleicht fand Laika es nun doch nicht so übel, einen anderen Drachen um sich zu haben.​
»Laika, gegen dich werde ich nicht verlieren!«​
Flatorte riss plötzlich ihren Kopf hoch.​
»Wie? Was soll das heißen?!«​
»Ich, Flatorte, werde mich nur meiner Gebieterin unterwerfen! Aber nicht dir!«​
»Ich bin aber schon länger dabei! Du bist unhöflich!«​
»Die Zugehörigkeitsdauer hat nichts zu sagen! Du bist nicht meine Gebieterin!«​
Die beiden fuhren einander an und begannen zu streiten. Wenn das nicht nach Komplikationen aussah ...​

 
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Edward Teach

Anime-Pirat
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Ein zweiter Drache im Haus

Unser Ausflug nach Schloss Vanzeld war zwar nicht pannenfrei verlaufen, aber immerhin hatte es keine Verletzten gegeben. Ich hätte zwar gerne auch noch ein bisschen Sightseeing gemacht, aber da die Zahl der Mitbewohner im Haus auf der Hochebene wieder gestiegen war, beschloss ich, direkt den Heimweg anzutreten. Wir flogen mit einem Leviathan zurück. Als wir uns im Speisesaal ausruhten, kam eine Dämonin herein.​
»Ich, Fatla, werde euch auf eurem Rückweg begleiten. Auf dem Hinweg hat euch meine Schwester Vania leider eine Menge Scherereien bereitet.«​
Die Schwestern nahmen abwechselnd ihre riesige Leviathangestalt an und arbeiteten als so etwas Ähnliches wie ein Reisebus. Diejenige, die nicht „fuhr“, übernahm die Rolle der Reisebegleitung.​
»Aber nein, Vania hat sich viel Mühe gegeben. Mach dir keine Gedanken.«​
»War es wirklich in Ordnung? Aus meiner Sicht ist sie eine echte Last für unsere Sippe.«​
Sie war ganz schön scharfzüngig, wenn es um ihre Schwester ging.​
»Ich werde mich ordentlich um euch kümmern, also macht euch keine Sorgen. Ich habe Getränke vorbereitet, die werde ich erst einmal holen.«​
Drei Minuten später kam Fatla mit einem Tablett kalter Getränke zurück.​
»Das ist in Quellwasser aufgelöster Honig. Es müsste genau das Richtige sein, wenn man von einer langen Reise erschöpft ist.«​
»Das ist wirklich eine tolle Bewirtung.«​
Wenn die Dämonenkönigin Pecora einen etwas normaleren Charakter gehabt hätte und wir nicht in Schwierigkeiten geraten wären, wäre es wahrscheinlich eine ganz normale Reise geworden. Aber irgendwie war es typisch für uns, in diese Art Arger hineingezogen zu werden. Es war gar nicht so einfach, ein ruhiges, beschauliches Leben zu führen. Es wartete allerdings noch ein Vorfall auf uns. Plötzlich schwankte der Boden.​
»Ein Erdbeben? Aber wir sind doch gar nicht auf der Erde?!«​
»Wahrscheinlich hat sich Vania an etwas erinnert und bebt vor lachen. Diese Idiotin!«​
Aha. Wenn ein Leviathan nicht ruhig und ausgeglichen blieb, wurde auch alles, was auf seinem Rücken war, durchgeschüttelt. Das Beben wurde noch stärker.​
»Wah, ah! Wenn es so schaukelt, kann ich das Tablett nicht gerade hal...«​
Fatla kippte um. Platsch! Das Honigwasser vom Tablett ergoss sich auf sie.​
»A... Aber ich bin doch kein Tollpatsch ... Das bin ich nicht ..«​
Fatla saß auf ihrem Hinterteil und ihre Augen füllten sich mit Tränen.​
»Die ganze Zeit hat mich Lady Beelzebub gelobt, dass ich gute Arbeit leiste ... Das ist das Letzte ... Ich werde Vania nachher fertigmachen, das schwöre ich!!!«​
»Beruhige dich! Hat irgendjemand ein Handtuch?«​
Halkara brachte uns ein Handtuch, und wir trockneten Fatla ab. Während wir sie abwischten, erklang eine Durchsage im Zimmer.​
»Hier spricht eure Pilotin Vania. Es tut mir leid wegen eben. Ich habe mich an einen Witz aus einer Komödie erinnert, die ich vor zwei Jahren gesehen habe ...«​
Sie hatte also wirklich über eine Erinnerung gelacht!​
»Das verzeihe ich dir nie, nie, nie!«​
Fatla brannte die Sicherung vor Wut komplett durch. Nun, das Problem sollten die beiden Schwestern untereinander lösen ... Fünfzehn Minuten später brachte Fatla neues Honigwasser, als wenn nichts gewesen wäre. Sie war warm und dampfte leicht, als wenn sie gerade aus dem Bad gestiegen wäre.​
»Ich habe ein Bad genommen, weil ich ganz klebrig vom Honig war ... Hier sind neue Getränke.«​
»Du hast es nicht einfach, was …?«​
»Ja, wirklich.«​
Das Honigwasser war nicht zu süß und schmeckte hervorragend. Wenn man trank, hatte man das Gefühl, der Körper werde sanft gereinigt. Auch meinen Töchtern schmeckte es, denn ich hörte sie zueinander sagen:​
»Das ist lecker, was, Shalsha?«​
»Ja, Schwester, sehr.«​
»Ich hätte gerne ein zweites Glas.«​
Halkara bestellte gleich Nachschub.​
»Wenn wir das auf kommerzieller Basis produzieren würden, würde sich das bestimmt gut verkaufen. Honig und Wasser zu besorgen ist auch nicht schwierig. Ich werde noch ein bisschen trinken und mir den Geschmack merken.«​
»Du bist aber geschäftstüchtig!«​
»Ich habe euch schon wieder Ärger gemacht, deswegen würde ich gerne gut verdienen und euch etwas schenken ..«​
Halkara schien diesmal wirklich zu bereuen, was passiert war.​
»Halkara, du musst nicht auf diese Art Rücksicht nehmen«, sagte Laika, während sie von ihrem Honigwasser trank.​
»Ich glaube, auch Meisterin Azusa wünscht sich, dass du aus dem Fehler lernst und dich weiterentwickelst. Wenn du uns etwas Handfestes schenken willst, koche uns doch ein Elfenmenü, wenn wir wieder im Haus auf der Hochebene sind.«​
Rosalie, die neben ihr schwebte, nickte. Das war auch ganz meine Meinung.​
»Verstanden. Vielen Dank. Aber über die Kommerzialisierung des Honigwassers denke ich trotzdem nach. Ich vermute, das wird ein gutes Geschäft.«​
Den geschäftlichen Teil vergaß sie also nicht. Das war in gewissem Sinne typisch Halkara, und während ich den Rest meines Honigwassers trank, wünschte ich mir, sie würde ihr Leben weiterhin in ihrem Stil leben.​
Da bemerkte ich, dass auf dem Tisch ein Glas stand, das noch völlig unberührt war.​
»Wieso trinkst du nicht, Flatorte? Magst du das nicht …?« Flatorte, die mit uns zum Haus auf der Hochebene kommen sollte, saß auch mit am Tisch, hatte aber noch kein Wort gesprochen und nichts zu sich genommen.​
»Ist das eine Art Protest ... ?«​
Vielleicht sollte es so etwas wie ein Hungerstreik sein.​
»Nein.«​
Flatorte schüttelte den Kopf. Dabei richtete sie allerdings ihren Blick auf das Honigwasser.​
»Ich habe nicht getrunken, weil ich von meiner Gebieterin nicht die Erlaubnis dazu erhalten habe.«​
Sie verkündete diesen ziemlich schockierenden Grund sehr schlicht. Halkara, Laika und Rosalie schraken auch zurück.​
»Du kannst trinken, Flatorte ...«​
Als ich ihr die Erlaubnis gab, trank Flatorte ihren Drink ganz normal und sagte lächelnd: »Das schmeckt gut.«​
Ob sie persönlich besonders durchgeknallt war, oder ob die blauen Drachen eine extreme Auffassung von Unterwerfung hatten, in jedem Fall war das nicht gut.​
»Flatorte, komm einmal her.«​
Ich nahm Flatorte mit in ein leer stehendes Zimmer.​
»Was ist los, Gebieterin? Habe ich etwas falsch gemacht?«​
»Sag mal, heißt das, dass du nichts machst oder nichts machen kannst, wenn es dir nicht befohlen wird?«​
»Ja. Das macht schließlich das Verhältnis zwischen Herrn und Diener aus. Es gab mal eine Zeit, in der menschliche Ritter auf blauen Drachen ritten und kämpften, und wenn da ein Drache ohne Befehl gehandelt hätte, hätte das zu dramatischen Vorfällen führen können ...«​
Aha. Es war also ein militärisches Verständnis von Unterwerfung.​
»Und wenn ich dir sagen würde: »Stirb!«, würdest du dann sterben? Das ist doch falsch, oder?«​
»Wenn du mir befiehlst zu sterben, werde ich sterben ... Es ist eine Frage der Ehre der blauen Drachen.«​
Jetzt hatte ich ein Problem. Ich prallte gerade gegen Werte, die sich von meinen unterschieden. Ich legte meine Hände auf Flatortes Schultern.​
»Flatorte, du möchtest doch nicht sterben, oder?«​
»N ... Natürlich nicht, aber es gibt Dinge, die ein blauer Drache beschützen muss ...«​
»Zu sterben, wenn man es befohlen bekommt, soll Ehrensache sein? Das ist doch nichts anderes, als sich aufzugeben. Ich weiß, dass ihr Unterwerfung allein nicht als Tugend anseht.«​
Ich musste Flatortes Denken irgendwie in normale Bahnen lenken.​
»Ja. Die größte Wertvorstellung der blauen Drachen ist: Der Starke erhält alles. Deshalb ... ist es selbstverständlich, dass ein Verlierer, dessen Hörner berührt wurden, sich dem Stärkeren komplett unterwirft und so den Rest seines Lebens verbringt«​
Während Flatorte sprach, waren ihr Tränen in die Augen getreten. Es zeigte, dass sie diese Ungerechtigkeit auch noch nicht ganz akzeptiert hatte.​
»Auch meine Eltern haben es mir so beigebracht ... Wer zugelassen hat, dass seine Hörner berührt wurden, soll alles verlieren und für den Rest seines Lebens in Unterwerfung verbringen. Es ist die Strafe fürs Schwachsein ...«​
»Aber das ist ja wie Sklaverei!«​
»In alten Schriften werden Drachenritter als jene, die kämpfen, indem sie sich blauer Drachensklaven bedienen beschrieben.«​
He, ich wollte aber keine Sklavin. Ich wohnte bereits ziemlich glücklich mit meiner Familie zusammen.​
»Gut. Dann werde ich dir einen Befehl erteilen, Flatorte.«​
»Ja, Gebieterin.«​
»Wenn wir im Haus auf der Hochebene ankommen, wirst du nicht meine Befehle abwarten, sondern selbst denken und handeln. Wirf den Gedanken von Unterwerfung von dir und lebe so, wie du willst.«​
Flatorte schien nicht begriffen zu haben, was ihr gerade gesagt worden war, aber bald darauf sah sie beunruhigt aus.​
»Gebieterin, dann weiß ich aber nicht, wie ich leben soll!«​
»Wieso? Ich dachte, meine Befehle sind absolut. Dann gehorche meinem Befehl. Du musst selbstständig leben. Ich kann dir natürlich gerne jede Menge Tipps geben, aber ich mag es nicht, Befehle zu erteilen.«​
Flatorte sah mich mit tränennassen Augen an. Offensichtlich war etwas von dem angekommen, was ich sagen wollte.​
»Aber Gebieterin, der Befehl ist widersprüchlich ...«​
Klar, jemandem zu befehlen, er solle machen, was er will, war in sich ein bisschen verdreht.​
»Egal. Ich bin doch die Gebieterin.«​
Ich war fest davon überzeugt, recht zu haben, und es gab nichts zurückzunehmen.​
»Du bist eine wirklich freundliche Person, Gebieterin.«​
»Ich glaube eher, dass du zu extrem bist. Nimm das Leben ein bisschen leichter. In gewisser Hinsicht wäre es genau richtig, wenn du dir Halkara zum Vorbild nimmst.«​
»Gebieterin ... Darf ich dich dann um etwas bitten?«​
»Ich werde tun, was ich kann, also ja. Was ist denn?«​
»Könntest du meine Hörner und meinen Kopf streicheln?«​
Was, ich sollte schon wieder Hörner streicheln?​
»Na meinetwegen, es schadet ja nicht.«​
Ich tätschelte Flatorte mit der linken Hand den Rücken und strich ihr mit der rechten über die Hörner und den Kopf.​
»Oooh, ich gehöre ganz dir, Gebieterin ...«​
Flatorte klang glücklich. Konnte ich den Fall erst mal als geklärt ansehen?​
»Unter den blauen Drachen habe ich immer darauf geachtet, keine Schwäche zu zeigen ... Deswegen hatte ich nie jemanden, an den ich mich anlehnen konnte ... Ich freue mich so!«​
Stimmt, als die blauen Drachen angegriffen hatten, war sie die Anführerin gewesen. Vielleicht war es bei ihr so ähnlich wie bei Pecora. Leute mit viel Macht tendierten oft zu Masochismus.​
»Gebieterin ... Mama, Mama ...«​
»Hä? Mama ...2«​
Natürlich waren Mütter die ultimativen Existenzen, an die man sich anlehnen konnte, aber ... Es war nur eine Vermutung von mir, aber wenn die Eltern einem die Hörner streichelten, hatte das wohl nicht unbedingt etwas mit Unterwerfung zu tun. Schließlich war es normal, dass Eltern ihren Kindern über die Köpfe strichen. Demnach berührten nur Gebieter und Eltern die Hörner. Wahrscheinlich hatte sie sich deswegen an ihre Mutter erinnert.​
»Es ist so angenehm in deinem Bauch, Mama ... Es ist, als wenn ich mich in einem warmen Zimmer hingelegt hätte ...«​
Es sah wirklich so aus, als wären ihre Erinnerungen zurück zu ihrer frühesten Kindheit gewandert. Sah sie etwas Mütterliches in mir und wollte von mir verhätschelt werden? Ich selbst war voll im Muttermodus und konnte nichts zu den Einzelheiten von Flatortes Gefühle sagen. Sollte doch ruhig noch ein weiteres ausgefallenes Kind dazukommen, ich würde es auch noch großziehen können.​
Da öffnete sich die Zimmertür. Herein kam Laika. Sie blickte ziemlich streng. Und dann zog sie Flatorte am Rücken.​
»Du belästigst Meisterin Azusa. Ich glaube, es ist Zeit, dich zu entfernen!«​
Flatorte wurde einfach fortgerissen. Als sie Laika sah, wurde sie fuchsteufelswild. Ihr Anfall infantiler Regression war vorbei.​
»Warum unterbrichst du uns?! Rote Drachen bauen immer nur Mist!«​
»Ich habe dich lediglich gestoppt, weil du dich komisch benommen hast!«​
»Wie ich es sehe, muss die Sache zwischen uns unbedingt geregelt werden! Ich fordere dich zum Duell heraus!«​
Hallo? Was hatten sie gerade vor der Dämonenkönigin geschworen?! Wollten sie schon wieder Krieg?​
»Hört auf, alle beide! Wenn ihr nicht das Gesicht der Dämonenkönigin wahrt, gibt es eine Katastrophe!«​
»Gebieterin, ein Kampf, der nicht als Krieg angesehen wird, ist kein Problem.«​
»Meisterin Azusa, wenn wir eine harmlose Disziplin wählen, sind wir auf der sicheren Seite.«​
Ich war erleichtert, fragte mich jedoch, was sie nun vorhatten.​
»W ... Wie wäre es, wenn diejenige gewinnt, die der Gebieterin bessere Dienste leistet?«​
Was war das für eine Disziplin?!​
»V... Verstanden ... Meinetwegen ...«​
Und Laika hatte angenommen?!​
»G... Gebieterin, hast du nicht verspannte Schultern?«​
»Meisterin Azusa, ich werde dir den Rücken massieren.«​
»Nein danke, beides ist bei mir in Ordnung!«​
Ich verließ den Raum. Wenn derart wild entschlossene Leute auf einen zu preschten, verspannten sich die Schultern erst recht!​
»Wenn wir im Haus der Hochebene ankommen, werden wir einen Kochwettkampf veranstalten!«​
»Gut ... Ich werde Süßigkeiten zubereiten, die der Gebieterin schmecken werden, warte nur!«​
In unserem Zuhause würde es von nun an wohl noch turbulenter zugehen ...​

 
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Edward Teach

Anime-Pirat
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Bonus: Eine verirrte Katze kommt zu uns

»Seht mal, wen ich mit nach Hause gebracht habe ...«​
Halkara, die aus der Fabrik zurückgekehrt war, hielt ein Katzen Junges mit Leopardenmuster in den Armen. Oder war es wirklich eine Art Leopard? Es handelte sich jedenfalls zweifellos um ein Tier aus der Familie der Katzen.​
»Ich habe gesehen, wie der Kleine allein in der Nähe der Fabrik saß und fror. Als ich ihm die Hand entgegenstreckte, wurde er ganz zutraulich. Ich wette, er wollte sagen: „Nimm mich bei dir auf!“«​
Halkara lachte fröhlich, aber die kleine Katze knabberte dabei kräftig an ihren Fingern. Tat das nicht weh ... ?​
»Dieses Tier ist eine Nanterre Wildkatze. Normalerweise leben sie in einsamen Gebieten, fernab von Menschen. Entweder hat sie sich in die Stadt verlaufen oder das Muttertier hat ihr Junges verlassen«, erklärte Laika, die Halkara zur Arbeit brachte und abholte, und beobachtete dabei, wie diese angenagt wurde.​
»Normalerweise lässt sich diese Spezies nicht von Menschen zähmen und ...«​
»Aber guck mal, wie sie an mir hängt! Ich glaube, es ist das erste Mal, dass mich ein Tier so lieb hat!«​
Halkara unterbrach Laika rigoros.​
»Große Meisterin, ich werde den Kleinen behalten! Ich werde seine Mama!«​
Ehrlich gesagt konnte ich mir nicht vorstellen, dass Halkara für ein Tier sorgen konnte. Und die Katze schien zu diesem Zeitpunkt auch überhaupt nicht an ihr zu hängen.​
»Auch der Kleine sagt: „Oh, ich möchte so gerne von einer Elfe gehalten werden!“, nicht wahr?«​
»Halkara, du sagst zwar der Kleine, aber ich glaube, das ist ein Weibchen.«​
»D... Dann ist es eben ein burschikoses Mädchen!«​
Daraufhin kamen Falfa und Shalsha angelaufen, um zu sehen, was los war.​
»Oh, wie süß! Eine Katze!«​
Falfas Begeisterung explodierte förmlich. Die kleine Katze sprang von Halkaras Arm und ging auf Falfa zu.​
»Liebes Kätzchen, braves Kätzchen . .l'«​
Als Falfa ihren Kopf streichelte, begann die Katze wohlig zu schnurren. Meine Tochter schien sie offensichtlich nicht beißen zu wollen. Auch Shalsha streichelte die Katze vorsichtig von der Seite.​
Oooh ... Meine Töchter mit Katzen Junges - das war der süßeste Anblick des Universums!​
»Shalsha findet, dass es möglich ist, für ein Tier dieser Größe zu sorgen.«​
»Falfa möchte diese Katze behalten! Dürfen wir, Mama?«​
»Shalsha interessiert sich außerdem für das Beobachten von Tieren.«​
»In Ordnung. Wir müssen sie sogar behalten.«​
Diese Katze brachte das Niedliche meiner Töchter noch stärker zur Geltung, also musste sie bei uns bleiben. Vielleicht sollte ich mich im Zaubern weiterbilden, eine Kamera herstellen und Fotos von meinen Töchtern und der Katze machen.​
»Gutgemacht, Halkara. Ich bin dir dankbar für deine Aktion.«​
»Große Meisterin, kann es sein, dass du deine Meinung um 180 Grad geändert hast, nachdem du Falfas Reaktion gesehen hast?«​
Halkaras Miene nach zu urteilen hatte sie gemischte Gefühle. Das Katzenjunge auch wenn es sich genau genommen um keine Katze handelte, aber immerhin um etwas Ähnliches - erhielt den Namen Doughnut. Weil es genau die gleiche Farbe wie die Doughnuts hatte, die wir zwei Tage zuvor gebacken hatten. Den Namen hatte Halkara ausgesucht. Da sie das Tier mitgebracht hatte, hatte ich ihr das Namensgebungsrecht zugesprochen. Der Name erschien mir zwar sehr simpel, aber wenn er besonders ausgefallen gewesen wäre, hätte man ihn sich bestimmt schwerer merken können, also war es in Ordnung. Am Anfang erkundete Doughnut exzessiv die verschiedensten Ecken im Haus, vielleicht, weil sie es nicht gewohnt war, in einem Gebäude zu sein, aber irgendwann begann sie, sich immer einer ganz bestimmten Person zu nähern.​
»Diese Katze kann mich sehen ...«​
Doughnut starrte Rosalie intensiv an. Katzen konnten offensichtlich auch Geister sehen. Wie es schien, nahm sich Doughnut zwei bis drei Mal pro Tag Zeit, um Rosalie anzusehen. Ich erinnerte mich, dass auch die Katze einer Highschool Freundin von mir Zeiten gehabt hatte, in denen sie nichts anderes tat, als aus dem Fenster zu starren. Wenn die Türen nach draußen geschlossen waren, hatte sie miauend gefordert, diese zu öffnen. Übrigens hatte man von diesem Fenster im Haus meiner Freundin aus nur Betonblöcke sehen können. Nicht einmal Blumentöpfe waren im Blickfeld gewesen. Das ästhetische Empfinden von Katzen war schwer zu verstehen. Man konnte allerdings nicht unbedingt sagen, dass Doughnut Rosalie besonders ins Herz geschlossen hatte. Am meisten hing sie an Falfa ... oder aber an Halkara. Um das zu beurteilen, kam es darauf an, welche Aspekte man in Betracht zog. So, wie die Bewertungen der einzelnen Jurymitglieder eines Auswahlkomitees, beispielsweise bei der Verleihung des Akutagawa Literaturpreises, weit auseinanderliegen konnten.​
»Doughnut, hier kommt dein Essen . .«​
Wenn Falfa eine Schüssel mit Milch hinstellte, kam Doughnut sofort angelaufen. Sie schien Falfa als Boss anzusehen und folgte ihr treu. Sie hatte auch nichts dagegen, wenn Falfa sie hochhob. Ich sah mir das aus der Ferne an und grinste vor mich hin.​
Meine Tochter war süß, das Katzenjunge war süß, und zusammengenommen waren sie unendlich niedlich! Und wenn Shalsha noch auf ihre zurückhaltende Art dazukam und die Katze am Kopf oder unterm Kinn streichelte, hatte das auch einen besonderen Reiz. Setzte man aber eine andere Bewertungsskala an, stand auch Halkara nicht zurück.​
»He, Doughnut, beiße mich bitte nicht. Und nicht beißen bedeutet nicht, dass du dafür deine Krallen in mich graben darfst!«​
Wenn Halkara im Zimmer herumlief, rannte Doughnut immer schnell herbei und hängte sich an ihre Beine. Manchmal wirkte es wie ein Angriff, was die Vermutung nahelegte, dass sie Halkara als ein rangniederes Wesen ansah. Auf der anderen Seite schien Doughnut sich ihr auf eine Art zugehörig zu fühlen. Sie biss Halkara zwar, aber es war eindeutig, dass sie nicht ernsthaft angriff. Shalsha drückte es so aus:​
»Einen Elternteil gegenüber verhält man sich natürlich anders als einer Freundin gegenüber.«​
Ich fand, dass sie mit dieser Einschätzung richtiglag. Vielleicht lag es daran, dass sie keine normale Katze, sondern eine Wildkatze war, aber Doughnut hatte einen enormen Bewegungsdrang und wir mussten mit ihr auf der Hochebene spazieren gehen. Da Halkara als Direktorin in der Fabrik arbeiten ging, fiel diese Aufgabe oft Laika oder mir zu. Es machte allein schon Spaß, Doughnut dabei zuzusehen, wie sie in der frischen Luft über die Wiesen rannte. Es hieß, es habe einen heilsamen Effekt, ein Haustier zu halten, und das konnte ich nun nachempfinden.​
Eines Tages, als Halkara frei hatte, beschloss unsere Familie gemeinsam mit Doughnut einen Spaziergang in der Nachbarschaft zu machen. Wir waren so begeistert, dass wir sogar Lunchpakete für alle vorbereiteten.​
»Warte! Warte doch!«​
Falfa rannte laut rufend hinter Doughnut her, wir anderen folgten in gemächlichem Tempo.​
»Doughnut hat sich ganz gut an das Leben hier gewöhnt.«​
Obwohl es passender war zu sagen, dass umgekehrt wir uns an das Leben mit einer kleinen Katze gewöhnt hatten.​
»Das stimmt. Wir müssen uns aber ein bisschen Gedanken machen, wie es in Zukunft weitergehen soll.«​
Laika war ein Musterschülerinnentyp und sah auch in diesem Moment ernst aus.​
»Was meinst du damit?«​
»Eine Wildkatze wird sehr groß, nicht zu vergleichen mit einer normalen Katze. Wenn sie ausgewachsen ist, werden wir sie nicht mehr im Haus halten können.«​
»Verstehe. Das typische Problem mit wachsenden Haustieren.«​
Auch in Japan hatte ich in den Nachrichten mal einen Bericht über jemanden gesehen, der seine Schildkröte nicht mehr halten konnte, weil sie zu groß geworden war. Eine Schildkröte lebte zudem mehrere Jahrzehnte lang, weshalb es zu unschönen Situationen kommen konnte, wenn der Mensch alt und schwach wurde und sich von seinem Haustier trennen musste, weil er sich nicht mehr darum kümmern konnte.​
»Die Hochebene ist weit, und wir können so gut es geht nah beieinanderbleiben«, sagte Halkara ziemlich laut.​
Ihr Gesichtsausdruck war der einer erwachsenen Frau, den sie immer aufsetzte, wenn sie bei der Arbeit war.​
»Wir haben schon zu lange mit Doughnut zusammengelebt, und ich werde mich um sie kümmern. Ich übernehme die Verantwortung.«​
»Hm. Ich habe nicht vor, sie vor die Tür zu setzen, also mach dir keine Sorgen.«​
In dem Moment hörten wir Falfa schreien.​
»U aaaaah !«​
Für einen Hilfeschrei klang es nicht angespannt genug, aber es war klar, dass etwas vorgefallen war.​
»Was ist los?! Falfa!«​
Als wir zu ihr liefen, war dort eine etwa zwei Meter lange, große Wildkatze. Sie und Doughnut sahen einander an. Die erwachsene Wildkatze war ziemlich dünn und ihr Körper war dreckig und voller Erde. Und doch stand sie mit ausgestreckten Beinen fest auf der Erde, als habe sie alle Erschöpfung vergessen. Schließlich ging die große Wildkatze langsam auf Doughnut zu und begann, sie abzulecken.​
»Auf diese Weise zeigen Elterntiere ihre Zuneigung. Diese beiden sind ohne Zweifel Mutter und Junges. Die Mutter ist aufgetaucht.«​
Auch ohne Shalshas Erklärung hatte ich gleich erkannt, dass das der Fall war. Die Mutter hatte offensichtlich die ganze Zeit ihr verschollenes Junges gesucht. An ihrem zottigen Äußeren erkannte man, dass sie sich auf nichts anderes hatte konzentrieren können.​
»Halkara, da ihre richtige Mutter aufgetaucht ist ...«​
Ich verstummte, als ich zu Halkara hinübersah und ihren wehmütigen Gesichtsausdruck bemerkte. Und doch fand ich, dass es keine einseitig egoistische Trauer eines Kindes war, was ich auf ihrem Gesicht sah, sondern der Ausdruck einer Erwachsenen.​
»Nun heißt es Abschied nehmen«, murmelte Halkara leise, während sie die beiden Tiere betrachtete.​
Vielleicht war das Muttertier sehr intelligent, oder es lag einfach nur daran, dass sie erschöpft war, aber als Falfa sagte:​
»Wenn wir ins Haus auf der Hochebene zurückkommen, gibt es Essen«, folgte sie uns zusammen mit Doughnut. Vielleicht hatte Doughnut ihrer Mutter auch mitgeteilt, dass es dort Futter gab. Vor dem Haus schlang die Mutter gierig das Essen hinunter und erholte sich langsam. Aber ich glaubte, es gab viele Familienmitglieder, die sich nicht aufrichtig darüber freuen konnten. Dass die Mutter gekommen war, bedeutete Abschied nehmen zu müssen. Nachdem die Wildkatzen auf eine Art kommuniziert hatten, die nur sie verstanden, wandten sie uns beide ihr Hinterteil zu. Doughnuts wahres Zuhause war nicht bei uns, sondern dort, wo ihre Mutter war.​
»Doughnut, geh nicht weg! Doughnut!«​
Falfa rief weinend immer wieder ihren Namen. Ich tätschelte sanft ihren Kopf.​
»Du würdest auch nicht gerne von mir getrennt sein wollen, nicht wahr, Falfa?«​
»Ja ...«​
»Doughnut geht es auch so. Wenn sie eine Mutter hat, will sie lieber bei ihr bleiben.«​
Falfa rieb sich mit den Händen die Augen und nickte. Ehrlich gesagt machte ich mir mehr Sorgen um Halkara als um Falfa. Schließlich hatte sie Doughnut so ins Herz geschlossen, dass sie sie mit nach Hause gebracht hatte.​
Halkara war leicht in die Hocke gegangen und winkte sanft mit einer Hand. Oh, sie war auf gleicher Augenhöhe mit Doughnut.​
»Lebe wohl, Doughnut.«​
Halkara wirkte viel älter als ich. Ihre Art, Abschied zu nehmen, zeigte erwachsene Reife und wahrte die richtige Distanz. Aber das bedeutete, dass gerade etwas Besonderes mit Halkara geschah, und ich wusste nicht, ob das gut war. Ich wusste, dass es geistig erschöpfte, wenn man sich immer erwachsen benehmen musste. In dem Moment drehte sich Doughnut plötzlich zu uns um. Dann lief sie zu der gebückten Halkara und blieb direkt vor ihr stehen.​
»Doughnut, du gehst in die falsche Richtung.«​
Halkaras und Doughnuts Blicke trafen sich. Doughnut gab ein kurzes Miauen von sich und begann, Halkaras Hände zu lecken. Dabei hatte sie sie doch vorher ständig gebissen.​
»He, das kitzelt. Es ist ja richtig langweilig, wenn es nicht wehtut.«​
Halkara sprach ein bisschen durch die Nase. Wie um sich für das Lecken zu revanchieren, streichelte sie Doughnuts Kopf.​
Es dauerte ungefähr fünfzehn Sekunden. Als ob sie fand, dass es nun an der Zeit wäre, ging Doughnut zu ihrer Wildkatzenmutter zurück. Wenn es länger gedauert hätte, wäre die Mutter sicherlich beunruhigt gewesen.​
»Auch Tiere haben Gefühle. Wahrscheinlich wollte sie ihre Dankbarkeit zeigen«, sagte Laika mit aufrichtigem Ernst.​
Ja, vermutlich war es so.​
»Du kannst dich gerne mal wieder bei der Fabrik blicken lassen, weißt du? Ich warte auf dich.«​
Doughnut miaute, als wenn sie die Worte verstanden hätte.​
»Sis Halkara hat eben gezeigt, dass sie eine große Nummer ist«, sagte Rosalie beeindruckt, während sie vor sich hin schwebte.​
»Sie ist eben doch der Typ große Schwester. In dem Punkt ist sie anders als deine Tochter.«​
Ja, Falfa war tatsächlich noch ein Kind.​
»Ja, sie hat sich wirklich erwachsen benommen. Aber als Mutter hätte ich gemischte Gefühle, wenn Falfa schon allzu reif wäre. Ich schätze, so war es genau richtig.«​
Also sagte ich zu mir: Lebt wohl, ihr Wildkatzen, und lasst es euch gut gehen.​
Eine Woche später.​
»Große Meisterin, ich habe jemanden mitgebracht!«​
Halkara trug ein Wesen in ihren Armen, das wie ein Fuchs Junges aussah. Das Tier nagte übrigens wieder an Halkaras Händen.​
»Seht mal, wie zutraulich es ist. Ich muss unbedingt seine Mutter werden!«​
Da kam Shalsha hektisch angelaufen.​
»Diese Fuchsart kann eine Krankheit übertragen, mit der sich nur Elfen infizieren! Du solltest das Tier besser nicht so viel anfassen ...«​
He, sie war schon gebissen worden!​
»Halkara, bring das Tier sofort dahin zurück, wo du es gefunden hast! Und desinfiziere deine Hände!«​
Damit war Schluss mit dem Traum, ein neues Haustier aufzunehmen.​

 
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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Der Kekswettstreit

Irgendetwas schüttelte mich durch.​
Ich spürte, wie eine seltsame Kraft meinen Körper in zwei Richtungen zog. Was war das nur ... ? Als ich meine Augen öffnete, standen Falfa und Shalsha links und rechts an meinem Bett und rüttelten an mir. Aber da beide gleichzeitig an mir zerrten, wurde ich manchmal in Richtung Mitte gequetscht und dann wieder auseinandergezogen.​
»Hau... «​
»... ruck!«​
»Hau ...«​
»... r... ruck!«​
Shalsha war immer einen Tick zu spät! In solchen Situationen spürte man, wie unterschiedlich die beiden waren, auch wenn sie wie Zwillinge wirkten. Aber das war nicht der Moment, sich solchen Gedanken hinzugeben.​
»Hört auf, mich zu schütteln! Das tut weh!«​
»Oh, Mama ist wach!«​
»Gut, gut.«​
Falfa strahlte, und auch in Shalshas Mundwinkel erschien ein kleines Lächeln. Damit zeigte Shalsha bereits sehr viel mehr Emotionen als früher. Da hatte sie so gut wie nie gelächelt.​
»Du hast so lange geschlafen, dass wir uns Sorgen gemacht haben und dich holen gekommen sind.«​
»Es ist schon längst Essenszeit. Ziemlich spät zum Aufstehen.«​
Echt jetzt? Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass es eineinhalb Stunden später war als sonst.​
»Ach, richtig ... Wir sind gerade erst aus dem Dämonenschloss zurückgekommen ...«​
Im Dämonenschloss war eine Menge - wirklich eine ganze Menge - vorgefallen, weshalb ich sehr erschöpft gewesen war. In meinem eigenen Bett hatte ich dann tief und fest geschlafen.​
»Wer hatte heute gleich noch mal Frühstücksdienst? Ich nicht, oder …?«​
In unserem Haus auf der Hochebene hatten alle Bewohner abwechselnd Küchendienst. Wenn ich mich nicht irrte, war heute Laika dran. Ob sie es geschafft hatte aufzustehen?​
Als ich an den Küchentisch trat, sah ich, dass jemand einen Riesenhaufen Kekse hingestellt hatte. Oder besser aufgetürmt. Noch dazu waren die Kekse auf zwei große Teller verteilt. Was war das denn ... ? Es waren so viele, man hätte einen Laden damit eröffnen können ... Oder sollte ein Wettessen stattfinden ... ?​
»Oh, Meisterin Azusa, guten Morgen.«​
Laika sah ein wenig gestresst aus, aber ich vermutete, dass das hauptsächlich von der Reise kam. Schließlich war es eher seltsam, wenn man nach einer Reise nicht geschlaucht war.​
»Laika, was ist mit diesen Keksen? Aber gut, meinetwegen können wir sie zum Frühstück essen.«​
Außer dass sie durstig machten, war an Keksen nichts auszusetzen. Sie sahen auch recht nahrhaft aus.​
»Also, das hier sind ...«​
Laikas Worte wurden von einer Gestalt unterbrochen, die direkt hinter ihr auftauchte.​
»Hier, bitte probiere die Kekse, die ich gebacken habe, Gebieterin!«​
Das war Flatorte. Anders als Laika hatte sie nicht nur Hörner, sondern auch einen Schwanz, wenn sie Menschengestalt annahm, und fiel damit sehr auf.​
»Ich bin sicher, sie schmecken besser als die von Laika!«​
Flatorte versuchte, Laika beiseitezuschieben, aber Laika stemmte sich unverdrossen dagegen.​
»Das stimmt nicht. Meine Kekse sind leckerer. Schließlich kenne ich deinen Geschmack, Meisterin Azusa.«​
»Pah! Sie hat dein Essen immer nur gelobt, um nett zu sein!«​
»Du bist unverschämt! Das ist das Unangenehme an euch blauen Drachen!«​
Die beiden starrten einander grimmig an. Aha. Dieser Wortwechsel hatte mir die Situation im Großen und Ganzen erklärt. Stimmt, die zwei hatten auf dem Rückweg aus dem Dämonenreich auf dem Rücken des Leviathans davon gesprochen, einen Süßigkeiten-Wettkampf abzuhalten. Ich hatte gedacht, das wäre im Eifer des Gefechts geschehen, aber es schien ihnen ernst gewesen zu sein.​
»Verstanden. Sollen wir fair beurteilen, welche besser schmecken?«​
Beide schienen zufrieden und nickten heftig. Konnte es sein, dass die beiden überraschend gut miteinander harmonierten? Klar, beide waren Drachen, das wäre also nicht überraschend.​
»Dann werden Halkara, Falfa, Shalsha und ich zu viert bestimmen, welche Kekse besser schmecken.«​
»Das finde ich nicht gut.«​
»Nein, ich auch nicht.«​
Beide lehnten meinen Vorschlag ab. Ich hatte doch gewusst, dass sie miteinander harmonierten!​
»Ich habe Kekse gebacken, von denen ich wollte, dass sie dir schmecken, Gebieterin. Deshalb möchte ich nur deine Reaktion sehen.«​
»Auch ich habe Kekse nach deinem Geschmack gebacken, Meisterin Azusa. Außerdem: Wenn vier Leute die Jury bilden, kann es auch unentschieden ausgehen.«​
Egal, wie man es machte, in irgendeiner Form würde Groll zurückbleiben. Als ich mich setzte, wurden mir zwei Teller mit jeweils ein paar Keksen vorgesetzt. Um die Neutralität zu wahren, war nicht erkenntlich, von wem die Kekse stammten.​
»Ich bin davon überzeugt, dass die Gebieterin meine Kekse wählt!«​
»Bedenke die große Vertrautheit zwischen Meisterin Azusa und mir. Wie solltest du da eine Chance haben?«​
Ich wünschte, sie würden aufhören, sich zu streiten. Das erschwerte es mir, die Kekse zu genießen ... Jedenfalls beschloss ich, ein spätes Frühstück einzunehmen. Wenn es lecker wäre, war schließlich alles in Ordnung. Erst einmal der Teller rechts vor mir.​
»Oh ... Schmeckt schön buttrig und trotzdem leicht. Wirklich nicht schlecht.«​
Ich aß drei weitere gleich hinterher. Sie waren von ziemlich hoher Qualität. Da sich die Bäckerin verraten würde, wenn sie Freude zeigte, schwiegen beide und guckten brav. Als Nächstes nahm ich mir den linken Teller vor.​
»Hier sind wohl geröstete Bohnen drin. Das ergibt einen richtig interessanten Biss. Irgendwie erinnert mich das an süße Cracker, die es in Japan gab. Die hatten Sprudelwasser im Teig.«​
Es hatte da nämlich ein knuspriges, süßes Gebäck namens Tansan Senbei gegeben. Jemand hatte es mir von seinem Besuch der heißen Quellen in Arima mitgebracht.​
»Und, wer hat gewonnen, Meisterin Azusa? Obwohl ich sowieso überzeugt bin, dass ich die Siegerin bin.«​
Laika baute sich vor mir auf. So wie sie das sagte ... machte es die Sache noch schwieriger ... Ehrlich gesagt handelte es sich zwar in beiden Fällen um Kekse, aber ihr Konzept war unterschiedlicher, als ich vermutet hatte. Es war so, wie wenn man gefragt wurde, welches Fach wichtiger sei: Japanisch oder Mathematik. Ich konnte einfach nicht festlegen, welche Kekse besser schmeckten.​
»Und? Welche sind besser? Ich, Flatorte, bin doch die Gewinnerin, oder?«​
Auch Flatorte trat selbstbewusst vor mich.​
Was sollte ich nur tun? Ich wollte auf keinen Fall eine von beiden durch eine unüberlegte Antwort verletzen ... Wenn wenigstens eine Sorte deutlich besser geschmeckt hätte als die andere, wäre es einfacher ... Während ich zögerte, sahen die beiden immer selbstbewusster aus. Richtig selbstgefällig wirkten sie.​
»Ich habe eindeutig gewonnen.«​
»Nein, ich, Flatorte, bin die Siegerin. Ich mache mich schon bereit, einen Freudenschrei auszustoßen.«​
Ich wünschte, sie würden beide aufhören, Siegeserklärungen abzugeben! So wurde es immer schwieriger! Es half nichts. Hier musste ich einen Trick anwenden. Ich erhob mich von meinem Platz. Beider Blicke richteten sich auf mich.​
»Diesen Kampf - haben beide gewonnen ... weil beide Kekse lecker waren!«​
Ich konnte nicht eine von beiden gewinnen lassen, also trat ich mit voller Kraft die Flucht nach vorn an! So war es gut! Ich war nicht gemein, keineswegs! Ich wählte nur den Weg, der so wenige wie möglich traurig machte! Und es war wirklich schwierig, zu entscheiden!​
»Das ist nicht fair, Meisterin Azusa ... «​
»Gebieterin, du darfst hier ruhig erbarmungslos sein.«​
Für die beiden war es also doch ein unbefriedigendes Ergebnis. Aber erbarmungslos konnte ich einfach nicht vorgehen.​
»Wenn diejenige, die sich etwas Falsches eingebildet hat, weint, geschieht ihr das nur recht.«​
»Bitte bringe diese Person, die sich so aufspielt, nur weil sie schon ein bisschen länger hier wohnt, zum Schweigen.«​
»Heee, kapiert ihr nicht, dass ihr es mir damit noch schwerer macht, mich zu entscheiden?«​
Sie sollten sich echt mal in meine Lage versetzen.​
»Außerdem sagt ihr, beides wären Kekse, aber sie haben eindeutig ganz unterschiedliche Konzepte. Wenn ich euch fragen würde, was leckerer sei - Omelett oder frittiertes Hühnchen - könntet ihr auch nicht antworten, oder?«​
»Ich würde mich für Omelett entscheiden.«​
»Ich, Flatorte, auch.«​
Das war wohl ein schlechtes Beispiel gewesen. Dass Laika Omeletts mochte, wusste ich bereits. Ob es unter Drachen viele Omelett-Fans gab?​
Wie auch immer, ich konnte schon verstehen, dass ein Unentschieden kein befriedigendes Ergebnis war, und hatte mir bereits etwas Neues überlegt.​
»Sagt mal, wie wäre es, wenn wir diese Kekse im Dorf Flatta verkaufen und anhand der Umsätze entscheiden?«​
Mit einem solchen Vorschlag schienen beide nicht gerechnet zu haben, denn sie sahen mich verdutzt an.​
»Eine einzelne Person kann keine Entscheidung treffen, weil die Geschmacksrichtungen so verschieden sind, aber ein Verkaufsergebnis kann man messen. Wollen wir den Wettstreit nicht so entscheiden?«​
»Wenn du das sagst, Gebieterin, habe ich nichts dagegen.«​
»Ich werde gewinnen und dir zeigen, wo dein Platz ist!« Wunderbar, nun musste ich nicht mehr die Böse sein. Außerdem hatte diese Methode einen weiteren Vorteil. Da Flatorte nun zur Familie gehörte, hatte ich nach einer Gelegenheit gesucht, sie im Dorf vorzustellen. Wenn sie dabei selbst gebackene Kekse verkaufte, wäre das ein guter erster Kontakt.​
Um die Mittagszeit ging ich ins Dorf und besorgte mir vom Bürgermeister die Erlaubnis, ein leer stehendes Haus zu nutzen. Aber da viele Dorfbewohner ihre Einkäufe vormittags erledigten und nachmittags nicht mehr unterwegs waren, verlegten wir den Wettstreit auf den nächsten Tag. Das war ohnehin angemessen, denn es mussten auch noch Kekse für den Verkauf nach gebacken werden. Übrigens waren die Kekse mit den gerösteten Bohnen, die an die süßen japanischen Cracker erinnerten, Laikas Werk. Es hieß, sie stammten ursprünglich aus einer Thermalquellengegend in der Nähe eines Vulkans. Sie konnten also wirklich die gleichen Wurzeln haben wie die Cracker, die in japanischen Thermalbadeorten verkauft wurden. Am folgenden Tag eröffnete der Keksladen Hexenhaus in Flatta. Aber obwohl im selben Laden verkauft wurde, wurden die Kekse getrennt abkassiert. Beide Drachenmädchen hatten ihre Kekse zum Verkauf in Tüten gefüllt.​
»Hallooo, hier gibt es Kekse, die so viel besser schmecken als die von nebenan!«​
»Diese Kekse sind so lecker, dass es albern wäre, sie mit denen von nebenan zu vergleichen!«​
Es wäre ja schön, wenn sie Werbung für ihre Kekse machen könnten, ohne einander zu dissen ... Aber immerhin trug ich keine Verantwortung und konnte entspannt zuschauen. Übrigens hatte Rosalie die Rolle der Schiedsrichterin übernommen und schwebte um den Verkaufstisch herum, um zu überprüfen, dass nicht geschummelt wurde. Ich glaubte zwar nicht, dass die beiden so weit gehen würden, aber es war besser so, damit die Verliererin der anderen keinen Betrug vorwerfen konnte. Ganz undenkbar war es nämlich auch nicht, so kampflustig, wie beide waren.​
»Alfo, ifffinfe beide firklich fehr lecker.«​
Halkara hatte von beiden Kekssorten jeweils eine Tüte gekauft. Da sie gleichzeitig aß und sprach, konnte man sie nur schwer verstehen. Auch Falfa und Shalsha griffen in die Tüten und knusperten vor sich hin.​
»Toll, dass wir Süßigkeiten kriegen!«​
»Schön, Falfa. Sie können uns ja auch in Zukunft immer mal etwas backen.«​
Am Anfang kamen zwar nur wenig Leute, aber die Dorfbewohner waren so gestrickt, dass sie sofort ansprangen, wenn eine Nachricht die Runde machte, und so bildete sich nach und nach eine richtige Menschenmenge.​
»Oho, im Haus der ehrwürdigen Hexe werden jetzt Kekse gebacken?«​
»Mal sehen, dann will ich jeweils eine Tüte kaufen.«​
»Ja, ich auch.«​
Beide Sorten schienen sich gut zu verkaufen. Und mir schien, es waren ungewöhnlich viele männliche Kunden, obwohl es sich um Kekse handelte.​
»Also, ich finde, Laika ist hübscher.«​
»Mir gefällt das neue Mädchen. Sie ist mehr der Typ große Schwester.«​
»Wollen wir das ausdiskutieren?«​
»Du warst doch die ganze Zeit Halkara Fan!«​
Aha, diese Art Beliebtheit spielte also auch mit hinein. In meinem Haus lebten schließlich nur Mädchen. Aber auch junge Frauen, die in der Schlange standen, äußerten sich ähnlich.​
»Ich hätte gern Laika als kleine Schwester.«​
»Ja? Ich finde, sie wirkt ein wenig berechnend. Das neue Mädchen ist genau richtig.« »Nein ihr Schwanz beweist, dass sie die Berechnende ist. Sie weiß, was gut ankommt.« »Nein, der Schwanz ist ihr Markenzeichen. Als ältere Schwester könnte ich ihr beruhigend den Schwanz tätscheln.«​
Wie es aussah, gab es wirklich sehr viele ausgefallene Menschen auf der Welt ... Allerdings waren die beiden auch wirklich süß. Ihre Beliebtheit war nicht unverständlich. Laika sah aus, als wäre sie gerade erst in die Mittelschule gekommen. Flatorte hingehen sah ein bisschen älter aus, irgendetwas zwischen Mittel- und Oberschule. Ich war sozusagen die älteste Schwester, um die sich die beiden jüngeren Schwestern stritten. Nicht übel, das Gefühl.​
»Ui, große Meisterin, du hast gerade ganz schön seltsam gegrinst.«​
Halkara hatte mich erwischt. Das hätte sie eben nicht sehen müssen ...​
»Du hast so geguckt wie ich, wenn ich den monatlichen Umsatz berechne.«​
»Aha, du guckst also auch so.«​
»Wie auch immer, ich finde, dass es für Laika ein guter Impuls war, dass Flatorte dazugekommen ist, oder?«​
Halkara sah den beiden beim Verkaufen zu, während sie ihren Kommentar machte. Das stimmte. Vielleicht lag es daran, dass sie einen Wettkampf austrugen, aber Laikas Gesichtsausdruck wirkte lebendiger als sonst.​
»Du beobachtest ziemlich gut.«​
»Ich dachte mir, wenn man Heilkräuter in die Kekse mischen würde, könnte man sie als gesunde Snacks verkaufen und zusätzlich die gesundheitsbewussten Käufer ansprechen.«​
»Es geht dir ums Geschäft?!«​
Aber sie hatte recht, vielleicht war es gut, dass Laika nun jemanden hatte, mit dem sie sich messen konnte. Es gab den Ausdruck »sich selbst bekämpfen«, aber Menschen fiel es nun mal schwer, das umzusetzen. Häufig neigte man dazu, sich selbst gegenüber nachsichtig zu sein. Deswegen war es einfacher, wenn man gegen eine andere Person antrat. Zuvor hatte ich die beiden mit Schwestern verglichen, und damit hatte ich nicht unbedingt falschgelegen. Die Kekse schienen übrigens gut anzukommen. Hier und da hörte ich folgende Kommentare:​
»Die Kekse vorhin waren so lecker, dass mich meine Kinder gebeten haben, noch mal welche zu kaufen.«​
»Ich habe eben probiert und werde sie ganz klar kaufen!«​
Nun, mir war schon gestern, als ich die Kekse gegessen hatte, klar gewesen, dass sie erfolgreich sein würden. Da sah ich, dass Halkaras Kekstüten leer waren.​
»Gut, ich stelle mich noch mal an und kaufe jeweils eine Tüte.«​
»Nein, kauf bitte je zwei, Halkara«, bat Falfa.​
Wie es aussah, konsumierte allein mein Haushalt eine ganze Menge ... Die beiden mussten sich ihrer Sache sehr sicher gewesen sein, denn sie hatten Riesenmengen gebacken, und obwohl sie gut verkauften, hielt sich die Ware bis zum Abend. Endlich, kurz bevor die Sonne unterging, kaufte ein letzter Gast jeweils eine Tüte, und der Wettkampf war vorbei.​
»Wir haben beide gleichzeitig die letzte Tüte verkauft.«​
»Das spielt keine Rolle, wir messen uns schließlich an der Umsatzhöhe. Wenn es darum gegangen wäre, schnell zu verkaufen, wäre die im Vorteil gewesen, die weniger gebacken hat.«​
Der Preis der Kekstüten betrug bei beiden 300 Gold, was in etwa 300 japanischen Yen* entsprach. Da der Preis identisch war, musste die, die mehr verkauft hatte, auch mehr eingenommen haben.​
»Während des Verkaufs hat es keinerlei Unregelmäßigkeiten gegeben. Dafür verbürge ich mich.«​
Nachdem die Schiedsrichterin Rosalie bestätigt hatte, dass keine Regeln verletzt worden waren, gingen wir dazu über, die Einnahmen zu zählen.​
»Ich glaube, ich bin am schnellsten, also übernehme ich das Zählen.«​
Halkara zählte flink die Bronze- und Silbermünzen und sortierte sie dabei. Ganz Geschäftsfrau, waren ihre Bewegungen ziemlich schnell. Die beiden Kontrahentinnen sahen ihr mit angehaltenem Atem zu.​
»Ich verliere ganz sicher nicht. Schließlich genieße ich auch das Vertrauen der Dorfbewohner.«​
»Das heißt nicht, dass sie dich als professionelle Keksbäckerin wahrnehmen. Ich, Flatorte, werde aufgrund meiner Qualität haushoch gewinnen.«​
»Sag mal, kriegt die Gewinnerin eigentlich irgendetwas?«​
»Stimmt, wir haben nichts Besonderes ausgemacht ... Klären wir das jetzt.«​
Die beiden begannen sich abzusprechen. Vermutlich sollte der Verliererin zur Strafe mit den Fingern an die Stirn geschnippt werden oder so etwas. In der Nähe das Ladens hatten sich eine Menge Leute versammelt. Sie alle schienen sich dafür zu interessieren, welche von beiden gewonnen hatte. Man konnte hier und da auch Banner ausmachen, auf denen stand: »Alles Gute, Flatorte!«, oder: »Laika, greif dir den Ruhm!«​
Diese Dorfbewohner hatten wirklich die Angewohnheit, jede Gelegenheit zu nutzen, die entfernt Partycharakter hatte ...​
»So, die Umsätze sind raus. Da der Verkaufspreis der gleiche war, werde ich die verkaufte Stückzahl präsentieren.«​
Alle, nicht nur die beiden Kontrahentinnen, konzentrierten sich auf Halkaras Worte.​
»Zunächst einmal Laika - 300 Tüten!«​
Ein Raunen ging durch die Dorfbewohner. Auch ich war überrascht. Schließlich war ich sicher, dass das Dorf keine 300​
Einwohner hatte. Viele Leuten mussten also mehrere Tüten gekauft haben. Außerdem war es beachtlich, dass Laika 300 Tüten hergestellt hatte. Sie musste sich sehr sicher gewesen sein, dass sie sie verkaufen würde.​
»So viele waren das? Ich habe gar nicht auf die Zahl geachtet«, gab Laika zu.​
Bei Licht betrachtet hatte sie wirklich zu viel produziert.​
»Die großartige Flatorte hat auch nicht an Zahlen gedacht. Ich war überzeugt, dass sich Qualität durchsetzt und verkauft.«​
Für beide schien nur das Ergebnis zu zählen.​
»Als Nächstes kommen wir zu Flatorte.«​
Alle Augen richteten sich auf Halkara.​
Aus den Gesichtern der beiden war nun wirklich die Gelassenheit verschwunden und sie sahen aus, als würden sie Stoßgebete senden. Wer würde gewinnen? Aus irgendwelchen Gründen lachte Halkara fröhlich auf, bevor sie sprach.​
»Unglaublich, aber wahr - 300 Tüten! Somit endet der Kampf unentschieden!«​
Unfassbar!​
Für die Zuschauer war dies wohl das unterhaltsamste Ergebnis, denn sie stießen ein aufgeregtes »Oooooh!« hervor. Es war eine ähnliche Situation wie beim Highschool Baseball, wenn die Pitcher beider Mannschaften um die Wette warfen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, und das Spiel vertagt werden musste. Die beiden Kontrahentinnen sahen sich an.​
»Was sollen wir jetzt machen?«​
»Naja, es ist ein sprichwörtliches Unentschieden. Wir müssen es vertagen ...«​
Gewissermaßen hatte ich also recht gehabt und es war unmöglich, eine Gewinnerin festzustellen. Ich stellte mich zwischen die beiden und hob jeweils einen Arm von ihnen in die Höhe. »Diesen Wettkampf haben beide gewonnen! Ich bitte um Jubel und tosenden Applaus!«​
Bei meinen Worten brachen die Leute in Klatschen aus. Einige tröteten sogar in ihre mitgebrachten Blasinstrumente.​
»Und das hier ist der blaue Drache Flatorte, der ab jetzt bei uns im Haus auf der Hochebene wohnen wird! Bitte seid gut zu ihr!«​
Weiterer Jubel brach aus. Man hörte Rufe wie:​
»Willkommen!«​
»Flatta ist ein tolles Dorf!«​
»Oh, Gebieterin. Kann es sein, dass du das hier auch geplant hattest …?«​
Flatorte schien endlich meinen Plan durchschaut zu haben.​
»Ja, genau. Das war doch genau richtig, um dich den Dorfbewohnern vorzustellen, oder?«​
Ich hatte nicht genügend nachgedacht, um es wirklich einen Plan nennen zu können, aber meine Beziehung zum Dorf war immerhin 300 Jahre alt. Unser Vertrauensverhältnis war stark. Ich konnte auch mal etwas auf gut Glück tun, und meistens ging es gut. Flatorte hatte Tränen in den Augen.​
»Ich war unsicher, ob mein neues Leben gut gehen würde ... aber du bist wirklich großartig, Gebieterin. Einfach nur großartig!«​
Flatorte fiel mir stehenden Fußes um den Hals. Sie war ein blauer Drache und die Wucht war groß, aber ich hatte nicht umsonst einen anormal hohen Status und hielt den Aufprall aus.​
»Na, na. Du musst doch nicht weinen.«​
»Ich werde dir für den Rest meines Lebens folgen!«​
Dieses Mädchen war anhänglicher, als ich gedacht hatte. Vielleicht hatte sie bisher zu sehr die Starke gespielt.​
»Das ist gegen die Regeln! Du bist unfair!«​
Aus irgendwelchen Gründen protestierte Laika. Aber da es offensichtlich wahr war, dass Flatorte sich unsicher gefühlt hatte, fand ich, dass Laika als Alteingesessene sie gewähren lassen sollte. Doch etwas an ihren Worten machte mich stutzig.​
»Was meinst du mit gegen die Regeln?«​
»Wir hatten ausgemacht, dass die Gewinnerin dich zehn Minuten lang umarmen darf.«​
Was? Davon wusste ich nichts ... Keine hatte meine Erlaubnis eingeholt. Außerdem war das lang. Zehn Minuten waren lang ...​
Aber ohne Zweifel hatten sich beide sehr bemüht, deswegen nahm ich Laika im Anschluss auch einmal fest in die Arme.​
In jener Nacht war die Bevölkerungsdichte in meinem Schlafzimmer ziemlich hoch. Und im Bett war es eng, aber was sollte ich tun? Zu meinen beiden Seiten lagen Laika und Flatorte.​
»Dann lasst uns zu dritt wie ein Fluss schlafen, ja?«​
»Wie ein Fluss? Was bedeutet das?«​
»Ich verstehe es auch nicht.«​
Stimmt, das war ein japanischer Ausdruck, der sich an dem Schriftzeichen für »Fluss« orientierte. Bei diesem stand allerdings der kleinste Strich in der Mitte. Bei uns war es umgekehrt. Wir drei ergaben eher das Schriftzeichen für »klein«.​
»Wenn wir zu dritt in einem Bett schlafen, hat das etwas von drei Schwestern. Von der Größe her bin ich die älteste, danach kommt Flatorte, und Laika ist die jüngste. Und wir werden uns alle vertragen, verstanden?«​
»Verstanden, Gebieterin.«​
»Ich gehorche dir natürlich, Meisterin Azusa.«​
»Gut. Dann schlafen wir heute zusammen!«​
Ich freute mich, von den beiden umgeben zu sein, und schlief tief und fest.​
Und ich träumte, dass wir drei Schwestern in einem Café saßen und gut gelaunt gemeinsam Tee tranken.​
»Fuaaah, hab ich gut geschlafen!«​
Am nächsten Morgen wachte ich erfrischt auf. Auf die beiden an meiner Seite schien das allerdings nicht zuzutreffen.​
»Ich, Flatorte, habe kein Auge zugemacht ..•​
»Ich auch nicht ... «​
Wie es aussah, hatten beide nicht einschlafen können.​
»Lag das an dem engen Bett ... ? Das tut mir leid.«​
»Nein ... Immer wenn ich daran dachte, mit meiner Gebieterin zusammen in einem Bett zu liegen, konnte ich nicht zur Ruhe kommen ... Und du duftest auch noch so gut ...«​
»Und ich war so glücklich, dass ich es zu schade fand zu schlafen. Deswegen bin ich wach geblieben ...«​
Das war jetzt wirklich übertrieben von den beiden.​
»Wenn euch das so viel bedeutet, können wir es meinetwegen wiederholen. Einmal im Monat oder so.«​
Ehrlich gesagt, fiel es mir durch Flatortes Dazukommen leichter, so einen Vorschlag zu machen. Bisher war es mir aus Gründen der Vernunft wichtig gewesen, eine klare Trennlinie einzuhalten, wenn es darum ging, mit Laika zu zweit in einem Bett zu schlafen, selbst wenn wir beide Mädchen waren. Aber zu dritt fühlte es sich eher wie eine Übernachtungsparty an und mein Widerstand schmolz.​
»W ... Wirklich? Meinst du das jetzt wirklich?!«​
»Flatorte, deine Reaktion ist übertrieben ..•​
Ihr Schwanz wedelte hin und her. Ich wusste gar nicht, dass ihr Schwanz ein so starkes Eigenleben hatte. Einem Katzenschwanz ähnelte er allerdings nicht.​
»Aber wirklich. Du solltest dich ein bisschen zurückhalten ...«​
Doch auch Laika, die das sagte, hatte ein knallrotes Gesicht. Offensichtlich war es wirklich so, dass die jüngeren Schwestern immer zur älteren aufsahen. In diesem Moment gähnte Laika unerwartet herzhaft.​
»Wenn ich mit den Vorbereitungen für morgen fertig bin, werde ich heute früh ins Bett gehen ...«​
»Ja ... Da bin ich mal deiner Meinung ...«​
Auch Flatorte wirkte müde.​
»Huch? Was meint ihr mit Vorbereitungen für morgen?«​
Ich hatte gedacht, heute sei ich mit dem Essensdienst dran.​
»Meisterin Azusa, unsere Kekse waren so beliebt, dass wir beschlossen haben, bis auf Weiteres alle zwei Tage zu backen.«​
Was, so oft?!
Oh nein. Ich hatte nicht gedacht, dass sie dermaßen gut ankommen würden. Eigentlich war die Sache als eintägiges Event geplant gewesen.​
»Übrigens soll der Verkauf morgen in Naskute stattfinden.​
Wir müssen also heute alles vorbereiten. Ich bin zwar müde, werde mich aber sehr bemü... Fuaaah!«​
Auch Flatorte gähnte. Ich fühlte mich irgendwie auch verantwortlich und beschloss, ihnen beim Vorbereiten und beim Verkauf zu helfen.​
Als wir die Kekse in die Stadt brachten, verkauften sie sich sogar noch besser als im Dorf. Wir verdienten so viel, dass wir allein von den Keks einnahmen hätten leben können.​
»Wenn wir in Massenproduktion gehen und landesweit verkaufen, würden wir einen phänomenalen Gewinn einfahren!«​
Halkara äußerte sich, wie es einer Geschäftsführerin gebührte.​
»Das geht nicht. Man muss jeden einzelnen Keks mit Liebe backen, sonst werden sie nicht gut.«​
»Nur die große Flatorte kann Flatortes Kekse backen. Aus den Händen anderer würden sie nicht mehr so gut schmecken.«​
Beide äußerten sich sehr selbstbewusst.​
»Große Meisterin, findest du nicht auch, dass die beiden in einem komischen Modus sind? Sie fühlen sich wie richtige Keks-Profis, oder?«​
»Stimmt, sie gucken, als hätten sie dreißig Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel ... «​
Die Kekse verkauften sich auch weiterhin überall gut. Eigentlich zu gut. Die Provinzhauptstadt Vitamei bat uns, einen Laden zu eröffnen, und allmählich begannen die Leute in unserer Provinz, Drachen automatisch mit Keksen zu assoziieren.​
Eines Tages, als wir wieder ins Dorf Flatta gegangen waren, um dort Kekse zu verkaufen, sagte Halkara:​
»Irgendetwas ist hier komisch, große Meisterin ... «​
Sie blickte auf eine Menschenschlange, die sich bereits vor Ladenöffnung gebildet hatte.​
»Finde ich auch. Alles, was recht ist, aber jetzt übertreiben sie es wirklich ... «​
Durch die pausenlose Arbeit wirkten selbst unsere beiden Drachen erschöpft. Aber je mehr Kekse sie buken, desto mehr verkauften sich, also konnten sie nicht anders, als weiterzumachen.​
»Wir müssen sie stoppen, sonst kippen sie noch um ... Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass Drachen an Überarbeitung sterben können ... «​
»Du hast recht ... Es ist an der Zeit einzugreifen ... «​
Doch kurz nachdem der Verkauf gestartet hatte, veränderte sich die Stimmung im Dorf. Noch dazu verdunkelte sich der bis dahin strahlend blaue Himmel.​
»Huch? Irgendwie überläuft es mich kalt ..«​
Halkara begann zu zittern. Tatsächlich spürte auch ich etwas Unheilvolles nahen.​
»Lange nicht gesehen, große Schwester!«​
Da stand das Mädchen mit den schafähnlichen Hörnern ... die Dämonenkönigin Provato Pecora Aries, kurz: Pecora.​
Neben ihr stand Beelzebub, deren Aufgabe es war, einen Sonnenschirm über sie zu halten. Und dann war da noch Vania, das Leviathan-Mädchen, das wiederum einen Sonnenschirm über Beelzebub hielt. Sie sahen aus wie eine Matroschka-Konstruktion, diese ineinander steckenden Puppen.​
»Wah! Was macht ihr denn hier?!«​
»Ich habe gehört, dass hier diese berühmten Kekse verkauft werden, und wollte auch welche probieren. Ich bin mit dem Leviathan gekommen.«​
Ah! Ich hatte gedacht, der Himmel hätte sich bewölkt, dabei war es ein Leviathan gewesen! Da Vania Menschengestalt hatte, mussten sie auf ihrer älteren Schwester Fatla gekommen sein.​
»Immer, wenn Ihr reist, gibt es große Aufregung. Ich wünschte, Ihr würdet es lassen, Hoheit ...«​
»I... Ich hoffe, dass alles glattgeht ...«​
Beelzebub seufzte, und Vania schien verängstigt, wahrscheinlich, weil sie die Dämonenkönigin begleiten musste.​
»Hi hi hi, das hier ist also die Warteschlange? Schätze, ich werde mich mal wie ein Durchschnittsmensch hinten anstellen.« Pecora stellte sich wohlerzogen ans Ende der Schlange. Allerdings schienen auch die normalen Dorfbewohner zu spüren, dass eine Dämonenkönigin entsetzlich Furcht einflößend war.​
»H... He, dahinten stehen Dämonen!« »Irgendetwas ist da am Himmel. Ist das nicht ein riesiger Dämon?«​
»Es ist ein legendärer Leviathan!«​
Die Dorfbewohner begannen sich zu fürchten. Einige von ihnen mussten Beelzebub bereits kennen, aber der Leviathan hatte eine große Wirkung auf sie. Da wandte sich Pecora mit einem Lächeln an die Dorfbewohner.​
»Guten Tag. Ich bin die Dämonenkönigin. Freut mich.«​
»Die Dämonenkönigin!«​
»Das ist das Ende der Welt!«​
»Wir sind verloren!«​
»Bitte, ehrwürdige Hexe, besiege die Dämonenkönigin!«​
Die Leute in der Schlange flohen mit bleichen Gesichtern. Im Nu war die Schlange auf zehn Leute geschrumpft. Andersherum betrachtet: Es gab also zehn Leute, die nicht die Flucht ergriffen.​
»Oh, jetzt sind wir schon bald an der Reihe. Prima!«​
Pecora tat so, als sei sie überrascht über ihr Glück, aber ich durchschaute sie.​
»Gib's zu, du wolltest die Dorfbewohner erschrecken, um an den Anfang der Schlange zu kommen. Deswegen bist du auch auf dem Leviathan hergekommen ... «​
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, liebe Schwester.«​
Von wegen. Sie sah aus, als wenn sie es genau wüsste! Diese Dämonenkönigin brachte aber auch immer solche Sachen ... Flatorte und Laika hingegen wirkten fassungslos angesichts der drastisch geschrumpften Kundschaft.​
»Ich schätze, wir müssen den Rest einlagern. Was machen wir jetzt, Laika?«​
»Ja, wir haben ein Problem ... «​
Den restlichen Bestand kaufte Pecora komplett auf, aber als sich in den folgenden Tagen herumsprach, dass die Kekse Dämonen anzogen, sank die Nachfrage nach ihnen merklich.​
Pecoras Auftauchen hatte uns demnach zwar Ärger eingebracht, aber gleichzeitig hatte es auch Laika und Flatorte von ihrer Langzeitarbeit befreit. Dieser Punkt war also in Ordnung.​
Von nun an, so hieß es, wollten sie ganz entspannt etwa einmal im Monat im Dorf ihre Kekse verkaufen.​

* Entspricht ca. 2,40 €.


 
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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Meine Tochter bleibt ein Schleim

Der Keks-Aufruhr hatte sich gelegt, und in unser Haus auf der Hochebene waren wieder friedliche Tage eingekehrt. Ich erwachte von der Morgensonne, die durchs Fenster schien.
»Ach, richtig. Heute habe ich ja Essensdienst. Ich muss mit den Vorbereitungen beginnen.«
Doch gerade als ich aus dem Zimmer gehen wollte, hämmerte jemand mit ungeheurer Wucht an meine Tür.
BAMM BAMM! BAMM BAMM BAMM! BAMM BAMMBAMM!
»Oh, oje! Es ist schrecklich! Mutter! Mutter!«
Das war Shalshas Stimme. Sie war laut und voller Emotionen, sodass ich sie kaum wiedererkannte. Aber das war nicht der Zeitpunkt, darüber zu staunen. Irgendetwas Außergewöhnliches war im Gange!
»Was ist los, Shalsha?!«
Als ich die Tür öffnete, stand Shalsha schluchzend davor. Hatten sich die Schwestern etwa gestritten? Ich konnte mir allerdings überhaupt nicht vorstellen, dass sie sich mit Falfa zanken könnte.
»Schluck ... Schnüff ... Was soll ich nur tun?«
Sie stürzte auf mich zu und umklammerte mich. Ich hatte noch immer keine Ahnung, was los war.
»Beruhige dich, Shalsha. Ich verstehe überhaupt nicht, was hier vor sich geht.«
»Meine Schwester ... Meine Schwester ...«
»Hast du dich mit Falfa gestritten?«
»Nein ...«
Das heißt, die Tränen bedeuteten nicht, dass ihre Schwester gemein zu ihr gewesen war. Eine beängstigende Möglichkeit kam mir in den Sinn.
»Ist Falfa etwas zugestoßen?«
Shalsha wirkte immer noch außer Fassung, aber sie nickte. Dann durften wir keine Zeit verlieren! Ich lief sofort aus dem Zimmer. Für eine simple Erkältung oder so etwas war Shalshas Reaktion zu stark. Ich mochte es mir nicht vorstellen, aber es musste etwas Schlimmeres sein.
»Falfa, was ist los?!«
Plötzlich bemerkte ich auf dem Flur etwas Unnatürliches.
Ein großer, blauer Schleim hüpfte dort auf und ab. Je länger ich ihn anstarrte, desto stärker wurde mein Wunsch, einen Warabimochi, eine japanische Süßigkeit, zu essen, aber für so einen Unsinn war gerade keine Zeit.
»Wieso haben wir einen Schleim im Haus? Ich muss ihn erlegen!«
Ob der Schleim ins Haus geraten war, wie auch Insekten hineingerieten? Verstehe einer mal, was in einem Schleim vorgeht. Sofort kam Shalsha angerannt, schlang von hinten ihre Arme um mich und hielt mich fest. Wie es aussah, wollte sie mich davon abhalten.
»Nein, Mutter! Nein!«
»Warum? Stellst du etwa Forschungen über den Schleim an?«
»Das ... ist Falfa.«
»Entschuldige, ich glaube, ich habe dich nicht verstanden.«
»Als ich heute Morgen aufwachte, war meine Schwester ein Schleim!«
Niemals. Ich konnte meine Augen anstrengen, wie ich wollte, es handelte sich um einen ganz normalen Schleim. Der Schleim hüpfte auf uns zu. Und kuschelte sich an mich.
Wenigstens schien er nicht angreifen zu wollen. Na ja, ich wusste nicht, ob ich damit richtiglag, aber ich vermutete, dass dies kein Angriff war, sondern dass er spielen wollte. Es hieß, die Stärke von Schleimen sei von RPG zu RPG ziemlich verschieden, aber zumindest in dieser Welt waren sie die schwächsten Monster.
»Sag mal, bist du wirklich Falfa?«
HÜPF HÜPF!
Der Schleim hüpfte ziemlich hoch. Ich konnte nicht beurteilen, ob dies ein Ausdruck der Bestätigung war, aber irgendwie wirkte es wie ein »Ja«.
»W... Was machen wir jetzt?«
Da mir nichts anderes einfiel, streichelte ich den Schleim. Der reagierte darauf, indem er sich nach rechts und links wiegte. Ob das Freude ausdrücken sollte? Irgendwie bewegte er sich anders als wilder Schleim.
»Falls das jetzt Freude über die Streicheleinheit war, können wir davon ausgehen, dass es Falfa ist, oder ... ?«
Wir standen allerdings vor einem Rätsel, da es keinen Präzedenzfall gab.
»Shalsha, kannst du mir genau erzählen, was passiert ist?«


NICK NICK NICK.​
Shalsha nickte öfter als sonst.
»Als ich morgens aufwachte, war Falfa ein Schleim ... Das Fenster war geschlossen, es kann also unmöglich jemand eingedrungen sein. Außerdem können Schleime keine Türen öffnen, also ist auch keiner durch die Haustür gekommen. Deshalb muss dieser Schleim meine Schwester sein ...«
Das klang mysteriös. Aber wenn der Schleim seit dem Morgen im Zimmer war, war diese Wahrscheinlichkeit hoch. Aus dem Boden wuchsen Schleime schließlich nicht.
»Shalsha, du kennst dich doch gut aus mit Schleimen, oder? Ich sage das nicht, weil du ein Schleimgeist bist, sondern weil du mal eine Abhandlung über sie geschrieben hast.«
Genau, Shalsha war nämlich ein talentiertes Mädchen, und eine Seite ihrer Persönlichkeit war eine ernst zu nehmende Wissenschaftlerin.
»Weißt du vielleicht die Ursache oder eine Lösung? Jedenfalls übersteigt das hier meine Grenzen ...«
»Meine Forschungen gingen über Kulturgeschichte. Die Biologie fällt nicht in mein Fachgebiet ...«
Hm, das hier war also etwas anderes. Kultur- und Naturwissenschaften waren schließlich verschieden. Ich sah ( den Schleim, von dem ich dachte, er sei) Falfa an.
Ja, es handelte sich ganz klar um einen Schleim.
»Das ist ein familiärer Notfall. Wir sollten die Sache gemeinsam besprechen.«
Und so kamen alle Familienmitglieder zusammen. Da es problematisch wäre, wenn jemand der Schleim Falfa begegnete und sie erlegte, bevor wir die Sache erklärt hatten, ließen wir Falfa im Zimmer und erzählten vor der Tür, was passiert war. Nachdem wir damit fertig waren, zogen wir weiter zum Esszimmer. Die Schleim Falfa folgte uns ebenfalls. Sprechen konnte sie zwar nicht, aber offensichtlich war noch etwas von ihrer Persönlichkeit übrig.
»Wir beginnen jetzt mit der Besprechung zu Falfas Rettung. Wer eine Lösung weiß, möge bitte die Hand heben.«
Die Wahrscheinlichkeit, dass es eine relativ einfache Lösung gab, war nicht gleich null. So wie wenn zum Beispiel der Home Bildschirm plötzlich riesengroß ist und man hektisch wird, weil man ihn nicht schließen kann, und dann stellt sich heraus, dass man nur aus Versehen die Fu Taste gedrückt hatte. Oder wenn man irritiert ist, weil man den Überschreibmodus angeschaltet hat und die vorangehenden Zeichen gelöscht werden, wenn man etwas schreibt. Lauter Erinnerungen an Computer ... Selbst nach 300 Jahren hatte ich das nicht vergessen. Viele Probleme auf der Welt waren gar keine, wenn man wusste, was dahintersteckte. Aber wenn nicht, waren sie nahezu unlösbar.
»Weiß jemand, wie man einen Schleimzustand wieder auflöst?«
Niemand hob die Hand. Wir hatten also doch eine Ausnahmesituation.
»Dann ... könnt ihr jetzt Vorschläge machen, was wir ausprobieren könnten.«
»Ja, Big Sis!«
Rosalie, der Geist, hob die Hand.
»Wir könnten nach Kräften beten, dass sie wieder ihre alte Gestalt annimmt! Man sagt doch: Wer glaubt, wird gerettet werden!«
Aus dem Mund eines Geists klang das ziemlich surreal ... Aber wir waren hier in einer Welt, in der Magie und Geister wie selbstverständlich existierten. Es wäre übereilt gewesen, die Möglichkeit, dass ein Gebet wirkte, mit einem Lachen abzutun.
»Verstanden. Dann zieh dich bitte in einen leeren Raum zurück, um zu beten.«
»Jawohl! Ich werde alles geben für deine Tochter, Big Sis!« Rosalie würde vollen Einsatz zeigen, dennoch wollte ich weitere Ideen sammeln. Wenn möglich konkrete.
»Kannst du nicht vielleicht etwas mit Magie ausrichten, Meisterin Azusa?«
»Ich glaube nicht, dass ich einen derart speziellen Zauber selbst erschaffen kann ... Aber ich kann Beelzebub befragen.«
Ich begann, einen Zauberspruch aufzusagen.
»Vosanosanonnjishidau Veiani Enlira!«
Das war der Spruch, mit dem ich Beelzebub rufen konnte. Da wir in Not waren, zögerte ich nicht, ihn anzuwenden.
PLAAATSCH!
Ein Geräusch ertönte aus dem Bad. Beelzebub war da. Beelzebub kam wassertriefend aus dem Bad zu uns.
»He... Wegen deiner schrägen Aussprache verrutscht immer der Punkt, an dem ich lande ... was ich meinetwegen gerade noch akzeptieren kann. Aber lass wenigstens das Wasser aus der Wanne ... Es ist das Gleiche wie letztes Mal ...«
So leid es mir tat, solche Beschwerden mussten auf später verschoben werden.
»Beelzebub, wir haben ein Problem! Falfa ist zu einem Schleim geworden!«
»Sag mal, hast du mich etwa gerufen, um mir einen derartig unlustigen Witz zu erzählen?! Geht das nicht zu weit?«
»Es ist die unlustige Realität!«
Ich nahm die Schleim Falfa auf den Arm und zeigte sie ihr.
»Das ist Falfa.«
»Das ist jetzt ein Witz, oder?«
»Wenn es ein Witz wäre, hätte ich die Ruhe gehabt, daran zu denken, die Badewanne zu leeren.«
Beelzebub wurde mit einem Mal bleich. Dann entriss sie mir die Schleim Falfa und drückte sie fest an sich.
»Oh, Falfa, was ist nur mit dir passiert ... ? Warum? Wer hat dir so etwas Furchtbares angetan?«
»Es ist wahrscheinlich niemandes Schuld. Als wir heute Morgen aufwachten, sah sie plötzlich so aus. Gibt es eine Methode, sie zurückzuverwandeln? «
Der Schleim, der wahrscheinlich Falfa war, rekelte sich in Beelzebubs Armen. Was damit ausgedrückt werden sollte, war mir allerdings nicht klar...
»Das sagst du so. Aber Falfa und Shalsha sind absolute Ausnahmewesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es schon mal jemanden wie sie gab...«
»Trotzdem sind auch Schleime Monster, also fallen sie eher in deinen Zuständigkeitsbereich als in den von Menschen, oder? Kannst du nicht etwas tun …?«
Ich hatte auch vor, Shalsha loszuschicken, um Schleimforscher zu befragen, aber ich befürchtete, dass sie keine Lösungen wussten, weil dieses Problem so beispiellos war. Beelzebub war unsere einzige Hoffnung. Beelzebub vergrub ihr Gesicht in (vermutlich) Falfa und dachte nach. Mir war schleierhaft, wie sie so atmen konnte.
»Hm. Es heißt schließlich: Überlasst das Brot dem Bäcker.«
Das war bestimmt ein Sprichwort dafür, dass jedes Ding seinen Fachmann hat.
»Wenn es um Schleime geht, sollten wir einen Schleim fragen.«
»Du meinst, wir könnten etwas von ihnen erfahren, wenn wir sie fragen ... ? «
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir irgendwelche Informationen erhalten würden, und wenn wir noch so viele Schleime in der Nachbarschaft fingen. Oder gab es in dieser Welt spezielle Geräte, die ihre Gefühle verstanden, ähnlich wie die, mit denen man Emotionen von Hunden oder Katzen lesen konnte?
»Es gibt einen speziellen Schleim. Im Schloss von Vanzeld lebt der Kluge Schleim.«
»Aha ... Die Dämonenhauptstadt hat echt was zu bieten ...
Und wie heißt dieser Schleim?«
»Kluger Schleim.«
»Nein, ich meinte den persönlichen Namen. Dass dieser Schleim unter seinesgleichen klug ist, kann ich mir schon denken.«
»Der Name lautet »Kluger Schleim. Schließlich gibt es sonst so gut wie keine klugen Schleime.«
»Klingt irgendwie nicht wirklich intelligent ... «
Ich fühlte mich zwar unsicher, aber wir mussten diese Chance ergreifen.
Sofort stiegen die Schleim Falfa und ich auf Laika in Drachengestalt und brachen auf in Richtung Schloss Vanzeld. In dieser Situation konnten wir nicht gemütlich mit einem Leviathan fliegen. Ich hatte nicht gedacht, dass wir so schnell wieder das Dämonenreich aufsuchen würden ... Kurz darauf liefen wir wieder einmal durch das labyrinthartige Schloss.
»Es heißt, der Kluge Schleim wünscht sich eine ruhige Umgebung und hält sich im untersten Stockwerk des Schlosses auf. Dahin gehen wir jetzt.«
Beelzebub schritt weiter voraus. Wir bogen im Flur mehrfach links und rechts ab und stiegen eine Treppe in die unteren Geschosse hinunter. Ich war beeindruckt, dass sie bei diesem Gewirr die Orientierung nicht verlor ... doch da verdüsterte sich Beelzebubs Gesicht.
»Huch? Gab es im dritten Untergeschoss so einen Weg …?« »Du weißt auch nicht, wo wir sind?!«
»Die Durchgänge, die ich während meiner Arbeit nicht benutze, kenne ich auch nicht ... Aber keine Sorge. Ich habe Brotkrumen ausgestreut, also finden wir zumindest problemlos zurück.«
Allerdings stellte sich heraus, dass Schleim Falfa jede einzelne Brotkrume auf dem Boden beim Gehen aufgenommen hatte. Mir fiel auf, dass ich zum ersten Mal einen Schleim beim Essen sah. Aber darum ging es gerade nicht.
»Hör mal! Falfa! Du darfst doch nichts vom Boden essen! Seit wann hast du so schlechte Manieren?«
»Beruhige dich, Meisterin Azusa! Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über Manieren zu sprechen!«
Das war natürlich wahr. Das Problem, dass wir uns verlaufen hatten, war wichtiger. Noch dazu war es im dritten Untergeschoss ziemlich dunkel. Vor uns erstreckten sich unheimlich wirkende Flure, die sich gut für Mutproben eigneten.
»Keine Sorge. Wir haben uns zwar verlaufen, sind aber innerhalb des Schlosses. Es wird sich schon irgendwann klären.«
»Ja, stimmt. Oh, da klebt eine Karte an der Wand!«
Laika hatte eine nützliche Entdeckung gemacht. Jetzt konnten wir zu unserem Ziel gelangen.
»Ach das. Diese Karte ist ein Bluff, um Eindringlinge in die Irre zu führen. Die Wege darauf unterscheiden sich stark von den tatsächlichen.«
»Wieso müsst ihr unbedingt einen auf Dungeon machen?!«
Falfa hüpfte auf meinen Rücken, vielleicht, weil sie erschöpft war.
»Was ist? Soll ich dich huckepack tragen?«
Ich spürte, dass sie sich auf und ab bewegte. Vermutlich konnte ich davon ausgehen, dass das ein Nicken war.
»Falls du vom Huckepack steife Schultern bekommst, löse ich dich ab. Falfa würde ich stundenlang auf meinem Rücken tragen«, sagte Beelzebub. Auf sie war wirklich Verlass. Auch Falfa bewegte sich und schien sich zu freuen.
»Jedenfalls werden wir schon ankommen, wenn wir nur weiter runtergehen.«
»Ja. Ist ja nicht so, dass wir in Monster rein rennen. Also, lasst uns langsam und vorsichtig weitergehen.«
Und so schritten wir weiter im Dungeon voran. Ich war fest entschlossen, ins tiefste Innerste des Schlosses vorzudringen!
Zwei Stunden später ...
Aus irgendwelchen Gründen waren wir wieder draußen, auf Höhe des Erdgeschosses gelandet.
»Oooh Mann! Erst geht man ständig abwärts, und dann kommen lauter Treppen nach oben. Was für ein bescheuertes Schloss!«
Beelzebub hatte die Geduld mit ihrem Arbeitsplatz verloren. Richtig. In diesem Schloss musste man, um ins obere Stockwerk zu gelangen, umständlicher weise erst einmal runter und dann wieder nach oben laufen. Wenn man sich naiv nur nach oben oder unten bewegte, erreichte man sein Ziel nicht. Und doch konnte es auch passieren, dass man wirklich oben landete, wenn man einen Richtungswechsel nach oben einschlug.
»Dämonen verwirrt dieser Aufbau also auch ...«
Die Konstruktion war für den Fall eines feindlichen Angriffs gedacht gewesen, aber wenn man sich selbst darin verlief, konnte das einen schon in Rage versetzen.
»Verdammt ... Dass wir nicht mal jemanden treffen, der uns einen Tipp geben könnte ... Ob ich ganz am Anfang die falsche Treppe runter genommen habe …?«
Da schlenderte uns ein elegant wirkendes Mädchen entgegen. »Oh, hallo. Was sucht ihr denn, alle miteinander?«
Es war Pecora, die Dämonenkönigin.
»Ich bin gerührt, dass ich meine große Schwester so schnell wieder zu Gesicht bekomme. Gib mir einen Begrüßungskuss auf die Wange.«
Sie forderte, ohne zu zögern, sofort einen Kuss ein. Mir war wirklich nicht danach. Ich erzählte, was passiert war.
»Deswegen würde ich gerne von dir wissen, wo der Kluge
Schleim ist. Dann ... gebe ich dir einen Kuss auf die Wange.«
Ich legte die Konditionen offen auf den Tisch.
»Könntest du wohl in Vorkasse gehen?«
Klar, dass sie hart verhandelte. Sie war nicht umsonst Dämonenkönigin.
»Ich verliere ja nichts dabei, also meinetwegen ...«
Ich gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange. Irgendwie kam es mir vor, als ob die danebenstehende Laika eifersüchtig aussah, aber das bildete ich mir bestimmt nur ein.
»Uuuh, ein Kuss von meiner großen Schwester ist ein besonderes Erlebnis ... Ich könnte dahinschmelzen und sterben. Ich fühle mich wie eine Schülerin einer Mädchenschule ...«
Pecora sah wirklich sehr glücklich aus. Ob in realen Mädchenschulen so viel geküsst wurde, war mir nicht klar, aber in den Romanen, die Pecora las, schien das der Fall zu sein.
»Meisterin Azusa, du darfst nicht so freizügig mit dem Küssen sein ... So etwas kann uns wieder Ärger einbringen ...«
Laika warnte mich. Mir war klar, dass es zu Komplikationen kommen konnte, wenn man Pecora zu nahe kam. Beelzebub, die Falfa auf dem Rücken trug, seufzte auch und sagte:
»Du bist und bleibst eine Menschenfängerin.«
Wenn Beelzebub sich nicht verlaufen hätte, hätte ich Pecora nicht küssen müssen, also sollte sie gefälligst darüber hinwegsehen.
»Also, ich würde gerne wissen, wo der Kluge Schleim ist.«
»Die Antwort auf die Frage ist: hier ganz in der Nähe ... Seht euch gut um...«
»Hä? Was? Nur ein Hinweis ... ? Sag uns doch die Antwort ...«
»Das macht dann einen langen Kuss auf die Lippen.«
Pecora legte ihren Zeigefinger an die Lippen und lächelte schelmisch. Dieses Biest!
»Da muss ich passen ...«
Wenn ich zu schnell nachgab, konnte das unwiderrufliche Folgen haben. Und vielleicht würde die Tür zu einer verbotenen Welt aufgestoßen werden.
»Ich habe natürlich nicht einfach irgendetwas daher gesagt. Seht euch aufmerksam um. Die Antwort ist nahe. Also, meine Lieben, macht es gut!«
Pecora schlenderte lässig davon.
»Was meint sie mit: Die Antwort ist nah? Hier gibt es keine Treppe, die nach unten führt. Außerdem sind wir draußen ... «
»Wartet. Wenn das, was Ihre Majestät gesagt hat, wahr ist, befindet sich die Antwort wirklich in der Nähe ...«
Beelzebub sah sich im Garten um. Ihr Blick blieb an einem kleinen Schuppen hängen.
»Ist es vielleicht ... das?«
Beelzebub rannte hastig zu dem Schuppen. Darin befand sich landwirtschaftliches Werkzeug und Ähnliches. Ein typischer Schuppen eben.
»Das war eine Niete. Lasst uns woanders suchen.«
»Nein, irgendetwas riecht hier faul«, sagte Beelzebub und begann, den Fußboden zu bearbeiten. Dabei entdeckte sie, dass sich die Dielen lösen ließen. Und darunter befand sich eine Treppe ins Untergeschoss.
»Das war die richtige Antwort! Dieser Weg führt zum Klugen Schleim!«
»Darauf kommt doch kein normaler Mensch!«
Ich wünschte, sie würden es lassen, mit diesen schwierigen, dungeonartigen Tricks zu arbeiten. Die Treppe führte ziemlich tief in den Untergrund. Hätte ich nicht meinen Feuerzauber als Licht eingesetzt, wären wir in fast vollständiger Dunkelheit gewesen.
»Meisterin Azusa, langsam beginne ich mich zu fürchten ...«
Obwohl Laika ein Drache war, schien ihr die Atmosphäre Angst zu machen. Naja, es gab schließlich auch Wrestler, die sich vor Gespenstern fürchteten, also war das nicht unnatürlich.
»Wenn etwas passiert, beschütze ich dich. Keine Sorge.«
Am Ende der Treppe stießen wir auf eine Tür. Auf den ersten Blick war es eine ganz normale, hölzerne Tür.
»Wir sind da. Wer hätte gedacht, dass es hier ist?«
»Es fühlt sich nach einem Erfolg an, weil es schwierig war, hierher zugelangen, aber noch haben wir nicht die Lösung.«
Beelzebub öffnete langsam die Tür.
Im Zimmer war ein Schleim, der etwa zwei Nummern größer war als ein normaler. Außerdem war seine Farbe besonders, er war fast schwarz. Ich hatte noch nie einen Schleim gesehen, der aussah, als hätte man ihn mit Tintenfischtinte bemalt. Außer dem Schleim gab es im Raum nur den Geruch von Schimmel und aufgetürmte Bücher. Und an den Wänden stand hier und da etwas geschrieben. Der Raum wirkte nicht belebt. Vielleicht konnten Menschen aber auch nur die Häuslichkeit, die Schleime verströmten, nicht wahrnehmen.
»Bist du der Kluge Schleim?«
Der Schleim sprang hoch und stieß gegen die Wand. Dort stand das Wort »Ja«. Daneben stand »Nein« und wieder daneben »Kann mich nicht entscheiden«, »Weiß ich nicht« und Ähnliches. So lief also die Kommunikation! Das war wirklich klug! In dem Punkt konnte ich nicht widersprechen!
»Kluger Schleim, ein Schleimgeist-Mädchen hat sich eines Tages wieder in einen Schleim zurückverwandelt. Wir sind hergekommen, weil wir dachten, du wüsstest vielleicht, was sich dagegen tun lässt.«
Wieder hüpfte der Kluge Schleim (den ich bei mir kurz Kluschl nannte) gegen das »Ja«. Bisher sah es ganz gut aus. »Dieses Mädchen ist eine Art Verbindungsbrücke zwischen Schleimen, Menschen und Dämonen. Bitte rette sie. Wenn du weißt, was wir tun müssen, verrate es uns bitte.«
Ich spürte sofort, dass Beelzebubs Worte aufrichtig waren. Sie war ehrlich besorgt um Falfa. Als Falfas Mutter freute ich mich.
Daraufhin schleifte Kluschl seinen Körper zu einer Seitenwand, an der einzelne Buchstaben standen. Dort sprang er mehrmals auf und ab.
»Kann es sein ... dass er die Buchstaben berührt, um Worte zu formen?!«
Das hatte wirklich Klasse! Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt, um beeindruckt zu sein. Ich musste mir Notizen machen, um herauszukriegen, was er sagen wollte ... Das erste Wort lautete: »Magier«. Dann musste er sich verschrieben haben, denn er sprang gegen die Stelle, auf der stand: »einen Buchstaben zurücksetzen«. Das war Kommunikation mit vollem Körpereinsatz. Anders gesagt war es so wie Tippen auf einem Computerkeyboard.
»Magier, Schleim, Provinz Tomriana, ist, Berg, am, höchsten, drin, solltet, fragen.«
Setzte man dies zu einem Satz zusammen, lautete er ...
»Ihr solltet den Magier-Schleim fragen, der auf dem höchsten Berg der Provinz Tomriana ist - richtig?«
Kluschl bewegte sich wieder zur Wand mit dem »Ja« und sprang dagegen.
»Ein Magier-Schleim ... Ich wusste nicht, dass es so viele verschiedene Schleime gibt, Meisterin Azusa ...«
»Ich bin auch schockiert ... «
Auch danach sprang Kluschl immer wieder gegen die Wände und gab uns weitere Informationen. Offensichtlich wurden manchmal auch Schleime mit hoher Intelligenz geboren. Und wiederum einige wenige unter ihnen wurden dann zu Kluschl oder Magschl (die Abkürzung für Magier-Schleim). Wenn sich nur Falfas Körper verwandelt hatte, vermutete Kluschl, mussten wir nur zu einem Magschl gehen und uns den Zauber beibringen lassen, mit dem man sie zurückverwandeln konnte. Gut, dann würden wir eben in diese Provinz Tomriana reisen. Wir bedankten uns höflich bei Kluschl. Es war richtig gewesen, sich bei einem Schleim über Schleime zu erkundigen.
»Aber sag mal, worüber denkst du hier eigentlich nach?«
Da ich die Lebensweise dieses Schleims nicht recht verstand, fragte ich interessehalber nach. Die Antwort lautete, er denke über den Sinn der Existenz an sich nach. Mit »Antwort« meine ich natürlich, dass er kontinuierlich an die Wand donnerte, um Wörter zu formen, was sehr anstrengend wirkte. Ich war fasziniert. Bei seinem Äußeren derart philosophische Überlegungen anzustellen ... Er formte außerdem die Worte, dass sein Körper mit der Zeit schwarz geworden sei, da er immer gegen die Wand stieß. Wer hätte gedacht, dass hinter seiner Farbe eine solch beeindruckende Geschichte steckte!
»Danke schön. Ich bete dafür, dass du deine Gedanken weiter vertiefen kannst.«
Wir verließen das Untergeschoss, tief beeindruckt vom klugen Schleim Kluschl. Unser nächstes Ziel war also die Provinz Tomriana, aber Laika, die uns bereits in Drachengestalt hierher geflogen hatte, begann deutliche Ermüdungserscheinungen zu zeigen.
»Laika, lass uns heute in Schloss Vanzeld übernachten.«
»Es tut mir leid, dass wir meinetwegen eine Pause einlegen müssen ...«
»Was sagst du da? Wer viel gearbeitet hat, muss sich danach selbstverständlich gut ausruhen.«
Außerdem war auch ich erschöpft. Der Schock über Falfas Schleimverwandlung war groß. Genau genommen war sie zwar vielleicht ursprünglich ein Schleim gewesen, aber für mich war sie kein Schleim, sondern meine Tochter Falfa. Ich nahm ein Bad in dem Zimmer, dass Beelzebub für uns vorbereitet hatte, und ruhte mich eine Weile aus.
Die anderen Familienmitglieder machten sich bestimmt auch Sorgen. Es wäre schön, wenn das Problem bald gelöst wäre. Da hämmerte etwas gegen die Tür. An der Art der Stöße konnte ich erkennen, dass es Falfa war. Als ich die Tür öffnete, sprang Falfa zu mir ins Badewasser. Ich fing sie mit den Händen auf, damit sie nicht zu tief ins Wasser sank.
»Möchtest du auch ein Bad nehmen, Falfa?«
Falfa hüpfte auf meiner Hand auf und ab. Egal welche Gestalt sie hatte, Falfa blieb Falfa. Dieser Gedanke erleichterte mich, machte mich aber auch ein wenig traurig. Ich wollte sie so schnell wie möglich aus dieser Lage befreien. Sie sollte wieder die alte Falfa mit dem wunderbar süßen Lächeln sein.
»Falfa, du musst dich nur noch ein bisschen gedulden, ja?«
Ich nahm sie fest in die Arme. So wie sie sich anfühlte, wusste ich, dass das Falfa war und nicht irgendein anderer Schleim. Ich konnte ihr gutes Herz spüren. Ich wusste, ich könnte Falfa durch bloßes Fühlen sofort wiedererkennen, selbst wenn sie unter Dutzenden von Schleimen untergehen würde.

Am nächsten Morgen kam Beelzebub in unser Zimmer.
»Ich habe mich über den höchsten Berg in der Provinz Tomriana informiert. Es ist ein karger Berg namens Modadiana. Es wachsen nur wenige Bäume auf ihm und Menschen verirren sich auch kaum dorthin.«
»Klingt so, als ob wir dort ziemlich sicher auf etwas stoßen. Danke fürs Recherchieren.«
»Falfa ist für mich wie eine Tochter. Ich werde sie retten, ganz bestimmt!«
»Ich freue mich, dass du das sagst, aber vergiss nicht - sie ist meine Tochter, ja ... ?«
Beelzebub hatte in der Vergangenheit schon einmal gefragt, ob sie sie adoptieren dürfe, also war ich vorsichtig. Ich musste verhindern, dass sie unauffällig Schritt für Schritt eine Adoption einleitete.
»Shalsha ist auch noch da. Du könntest mir ruhig eine von ihnen überlassen ...«
Sie hatte es immer noch auf sie abgesehen ... Ich musste wachsam bleiben.
»Das klingt, als würdest du fragen, ob du einen Teller haben könntest, den ich übrig habe! Außerdem sind sie Zwillinge! Es wäre grausam, sie zu trennen!«
»Stimmt. Dann nehme ich beide.«
Oh nein, mit ihr konnte man nicht reden ...
Wir stiegen auf Laika in Drachenform und flogen zum Berg Modadiana. Es sah dort wirklich ausgesprochen öde aus, und im oberen Abschnitt gab es noch nicht einmal Wege. Zu Fuß zu suchen wäre zu anstrengend gewesen, weshalb wir uns aufteilten und aus der Luft nach einer Behausung Ausschau hielten, in der ein Magier leben konnte.
Magier hatten ihre Werkstätten oft an abgelegenen, sehr einsamen Orten. Es wäre also nicht verwunderlich gewesen, hier eine zu finden. Allerdings konnten wir zumindest aus der Luft nichts ausfindig machen.
»Wir sind fast den gesamten Berg abgeflogen, aber hier ist nichts ... «
Wir beschlossen, uns zu einer Strategiebesprechung zusammenzusetzen.
»Der Berg ist fast kahl. Es kann nicht sein, dass der Wald etwas versteckt ...«, meinte Beelzebub.
»Zunächst einmal gibt es kein einziges von Hand erbautes Gebäude ... Ob der Magier vielleicht in einer Höhle lebt?«
»Eine Höhle ... Hm, die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Aber Moment mal ... «
Laikas Worte brachten mich auf eine Idee.
»Beelzebub, kennst du nicht einen Zauber, der magische Kräfte aufspürt? Falls nicht, könnte ich einen erschaffen und ihn mir selbst beibringen.«
Vermutlich war die Erschaffung eines solchen Zaubers nicht allzu schwierig, aber wenn jemand schon einen kannte, war es schneller, diese Person zu bitten.
»Ah, ich verstehe. Ja, ich kenne einen. Ich versuche es.« Offenbar hatte sie meinen Plan verstanden.
»Ahm, was meint ihr damit …?«
»Magier versehen ihre Werkstätten manchmal mit einem Bluff-Zauber, um sie vor den Augen anderer zu verbergen. Vielleicht haben wir deshalb bisher nichts gefunden.«
Ich war nicht umsonst schon so lange eine Hexe. Solche Dinge wusste ich. Obwohl ich selbst ziemlich auffällig und offen mitten auf der Hochebene lebte. Beelzebub schien deutlich etwas erspürt zu haben.
»Ich fühle ziemlich starke magische Kräfte. Ich glaube, da ist jemand.«
Wir brachen sofort in die Richtung auf. Dieses Mal gingen wir zu Fuß.
»Meisterin Azusa, vorhin haben wir hier nichts gesehen.«
»Ja, von oben aus.«
Als wir weitergingen, tauchte plötzlich ein kleines Haus vor uns auf.
»Oh! So etwas ist also möglich.«
»Diese Art, sich zu verstecken, ist für Magier ein klassischer Trick. Ich als Kräuterhexe habe mit so etwas aber nicht viel zu tun.« Das Haus stand gefährlich nah am Rand einer Klippe. Es wirkte beinahe, als würde es sich an die Klippe klammern.
»Scheint ein Treffer zu sein. Wollen wir hingehen?«
Ich klopfte laut an die Tür des Hauses. Nach einer Weile öffnete sie sich und ein »Mensch« kam heraus. Es war ein hübsches, etwa fünfzehnjähriges Mädchen, das sein blondes, geflochtenes Haar ordentlich hochgesteckt hatte. Das Mädchen sah uns überrascht an.
»Huch? Wer seid ihr? Es passiert sehr selten, dass jemand hier vorbeikommt.«
Ich war ebenfalls überrascht. Schließlich hatte ich wieder einen Schleim erwartet, und herausgekommen war ein Mensch.
»Ahm ... Ist das nicht die Werkstatt des Magier-Schleims …?« Es war eine einsame Gegend, also wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn sich noch ein anderer Magier niedergelassen hätte.
»Ah, ich verstehe, ich verstehe. Ich habe euch wohl verwirrt.« Das Mädchen lachte fröhlich.
»Ich bin ein Schleim. Diese Gestalt ist das Ergebnis eines Transformationszaubers.«
»Ein Schleim?!«
Ich traute meinen Augen nicht. Es war klar, dass absolut nichts Schleimartiges an ihr war. Ich war wohl nicht die Einzige, die das so empfand, denn auch Beelzebub und Laika standen fassungslos da.
»Du versuchst doch nicht etwa, uns zu täuschen?«
»Natürlich nicht. Ich habe etwa 300 Jahre lang als Schleim gelebt, aber da es sich in Menschengestalt besser leben lässt, habe ich vor etwa 150 Jahren diese Form angenommen.«
300 Jahre ... Wir waren sozusagen ein Jahrgang.
»Wenn ich darüber nachdenke, weiß ich nichts über die Lebenserwartung von Schleimen ...«
Ich hatte bisher weder alte Schleime gesehen noch Babys und hatte keine Ahnung. Falfa und Shalsha waren Schleimgeister und somit ohnehin eine Ausnahme.
»Die meisten Schleime verfügen über keine richtige Intelligenz, weshalb Leben und Tod nicht wirklich relevant sind. Sie vermehren sich, indem sie sich spalten. Und nur sehr wenige sind intelligent, so wie ich.«
»Das höre ich alles zum ersten Mal und habe keine Möglichkeit, die Richtigkeit zu überprüfen, also glaube ich einfach mal alles ... «
Ich sah auch keinen Vorteil für sie, uns anzulügen.
»Wir wollen uns doch nicht im Stehen unterhalten. Kommt herein. Obwohl ich nicht einmal Tee anbieten kann, weil wir Schleime fast nichts essen. Und genügend Stühle habe ich auch nicht.«
Wir beschlossen, die Einladung anzunehmen. Ehrlich gesagt war es ziemlich kalt oben auf dem Berg, und ich war froh, ins Innere treten zu können.
Es gab tatsächlich nur einen Stuhl, weshalb wir sie sitzen ließen und selbst stehen blieben. Das Zimmer sah wie eine typische Magierwerkstatt aus, und die Regale waren voller Bücher. Es gab weder eine Toilette noch ein Esszimmer, nicht einmal ein
Bett, sondern schlicht nur dieses Zimmer mit den Bücherregalen und dem Tisch. Wahrscheinlich brauchten Schleime solche Dinge nicht. Vorhin hatte Falfa Brotkrumen gegessen, was zeigte, dass auch Schleime essen konnten, aber offensichtlich waren sie in der Lage, aus nahezu allem Nährstoffe aufzunehmen. Das Mädchen stellte sich als Magier-Schleim vor. Es war wie bei Kluschl - irgendwie schienen sich Schleime nichts aus persönlichen Namen zu machen.
»Es kommt so gut wie niemand zu Besuch, und wahrscheinlich gibt es außer mir keinen Magier-Schleim, also brauche ich keinen anderen Namen.«
Ich verstand, was sie sagen wollte, und doch fand ich es passender, wenn sie einen Namen hätte.
»Dann können wir doch Magier-Schleim abkürzen . . . also Magschl ... hm, okay, wir rufen dich Magsly.«
Ich fand, das lag noch im akzeptablen Bereich.
»Verstanden. Dann sagt Magsly zu mir. Und was führt euch zu mir?«
Magsly sah zu Falfa herüber.
»Ich kann mir schon denken, dass es etwas mit diesem Schleim zu tun hat.«
Genau. Sie hatte es erfasst. Ich erzählte ihr, dass Falfa, ein Schleimgeist, eines Tages plötzlich zu einem Schleim geworden war.
»Deshalb suchen wir nach einem Weg, sie zurückzuverwandeln. Weißt du eine Lösung?«
»Hmm, mal sehen. Könnte ich mir den Schleim einmal ansehen?«
Falfa näherte sich Magsly von sich aus. Auch in veränderter Gestalt schien sie zu verstehen, was gesprochen wurde. Magsly hob Falfa hoch und drückte auf verschiedene Punkte ihres Körpers. Ob das eine Art medizinische Untersuchung war?
»Hmmm, verstehe. Ihre Elastizität ist ganz anders als bei normalen Schleimen. Sie ist ohne Zweifel ein besonderer Schleim.«
»Das kannst du erkennen?!«
Laika war überrascht.
»Ja, das kann ich. Schließlich bin ich selbst schon lange ein Schleim. Kurz gesagt: Wenn ein normaler Schleim Level 1 ist, ist dieser hier etwa Level 35. Ein durchschnittlicher Abenteurer hätte Schwierigkeiten, ihn zu besiegen.«
Das konnte ich gut verstehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Falfa und Shalsha mit normalen Schleimen auf Augenhöhe kämpften, und tatsächlich besiegten sie diese auch immer mühelos. Magsly drückte weiter an Falfa herum.
»Aaah, ich verstehe, ich verstehe. Soso. Hm, hm. So ist das also? Ja, das ist es!«
Ich wäre gerne mit einem »Was ist es denn jetzt?« dazwischengegangen, aber vermutlich gab es Dinge, die nur Schleime verstanden ...
Beelzebub murmelte verblüfft:
»Ich lebe zwar schon lange, aber die Welt ist immer noch voller unbekannter Dinge.«
Die Welt der Schleime war tiefgründig. Magsly untersuchte Falfa schließlich etwa fünfzehn Minuten lang und machte sich Notizen auf einem großen, getrockneten Blatt. Das war wohl ihr Papierersatz.
»Ich habe die Antwort gefunden.«
Magsly ließ Falfa los, die sofort zu mir gehüpft kam. Ich fing sie mit beiden Armen auf.
»Wie lautet sie? Bitte sag es uns!«
Wir richteten uns ehrfurchtsvoll auf.
»Dieser Schleim hat seine jetzige Gestalt, weil ...«
»Weil?!«
Ich lehnte mich vor. Was konnte es sein? Ich hoffte, es war keine schlechte Nachricht ...
»Sie hat beim Schlafen falsch gelegen.«
»Falsch gelegen?!«
Unser ungläubiger Aufschrei kam unisono.

 
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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Wir verwandeln meine Tochter zurück in einen Menschen

»Weil sie falsch gelegen hat ... ?«
Ehrlich gesagt war das ein ziemlich doofer Grund. Natürlich war es gut, dass es keine schwere Krankheit oder ein anderes Symptom war, aber ich hätte nie gedacht, eine so banale Antwort zu erhalten.
»Ja, sie hat sich wirklich verlegen. Ich mache keinen Witz«, sagte Magsly lächelnd. Ihre Art, das zu sagen, verriet, dass sie wusste, wie doof das klang.
»Falfa hat normalerweise Menschengestalt, und als sie im Schlaf eine falsche Position einnahm, hat sie sich verletzt. Ich habe das festgestellt, weil ihr Körper noch ein bisschen verkrampft ist.«
»Schleime kriegen also auch Krämpfe ...«
»Deshalb konnte sie ihre menschliche Gestalt nicht mehr halten und wurde zu Schleim. Da sie aber von Geburt an nur Menschengestalt kannte, wusste sie nicht, wie sie sich zurückverwandeln sollte, und blieb deshalb so.«
Ich hatte Falfa nie als Schleim gesehen, daher schien die Antwort, sie wisse nicht, wie man sich zurückverwandelte, plausibel. »U ... Und was müssen wir tun, damit sie wieder die süße kleine Falfa wird?!«
Beelzebub machte Druck.
»Statt nach einer Methode zu suchen, wie wir den Schleim in einen Menschen verwandeln, sollten wir besser herausfinden, wie Falfa ihre menschliche Gestalt halten kann.«
Ihre menschliche Gestalt halten . . . Irgendwie verstand ich, was sie meinte, und irgendwie nicht.
»Dämonin, ist es dir schon einmal passiert, dass du jemanden, der immer stark geschminkt ist, ohne Make-up nicht erkannt hast?«
»Ja, schon oft.«
Ah, das gab es also auch unter Dämonen ... Ich erinnerte mich, wie anders manche Leute ungeschminkt aussahen, beispielsweise am zweiten Tag einer Übernachtungsreise unter Mädchen.
»So ähnlich ist das. Die menschliche Gestalt dieses Schleims war wie Make-up. Aber da Falfa nicht weiß, wie sie sich selbst schminken soll, kann sie ihre Menschengestalt nicht mehr annehmen.«
Ich fand, es brauche ein größeres Kaliber als Make-up, um einen Schleim wie einen Menschen aussehen zu lassen, trotzdem war der Vergleich gut verständlich. Aber wie sollten wir das nun in die Realität umsetzen? Wenn wir Falfa jetzt puderten, wäre sie nichts weiter als ein gepuderter Schleim.
»Hmmm, gibt es keine andere, schnellere Methode? Könntest du nicht zum Beispiel einen Verwandlungszauber anwenden und sie menschlich machen?«, fragte Beelzebub.
»Ja, ich habe dasselbe gedacht wie Beelzebub.«
Wenn Falfa wieder Menschengestalt hätte und sprechen könnte, wäre alles wieder beim Alten.
»Theoretisch ist das möglich, aber dann müsste man jedes Mal den Zauber neu anwenden, wenn seine Wirkung nachlässt. Und da Verwandlungszauber nur das Aussehen verändern, müsste sie beispielsweise wieder lernen zu sprechen oder zu schreiben.«
Klar, wenn die wabbelige Schleimstruktur bliebe und sie nur wie ein Mensch aussähe, könnte sie natürlich noch nicht sprechen. Nicht mal Kluschl hatte sich mit ihr unterhalten können.
»Aber Magsly, du sprichst und schreibst doch auch?«
»Dafür habe ich über zehn Jahre geübt. Auch nachdem ich meine Gestalt verändert hatte, war mein wahres Ich noch ein Schleim, also konnte ich weder sprechen noch schreiben, wie ich es jetzt kann. Ich habe allein einen ganzen Monat gebraucht, bis ich auf zwei Beinen stehen konnte. Deshalb wäre es in vielerlei Hinsicht ineffizient.«
Je mehr ich hörte, desto besser verstand ich, wie viele Probleme diese Lösung mit sich brächte.
»Außerdem verändert der Verwandlungszauber jemanden so, wie der Zaubernde ihn sich vorstellt, weshalb möglicherweise einige Teile von ihr anders aussehen könnten als ursprünglich. Sie könnte beispielsweise kleiner sein als vorher, oder ihr Gesichtsausdruck könnte anders sein. Es kann einiges verrutschen.«
Ich verstand, was Magsly sagen wollte. In dieser Welt gab es nicht einmal Fotografien, also wäre es schwierig, exakt die alte Falfa wiederherzustellen.
»Auch mein Gesicht und meine Proportionen sind ganz anders als vor 150 Jahren. Wie bei einem Maler, dessen Zeichenstil sich im Laufe der Zeit verändert.«
Ach, so wie dieses Phänomen bei Manga-Charakteren einer Serie, die in Band eins und Band zwanzig ganz anders aussehen.
»Wir haben sehr, sehr gut verstanden, warum diese Lösung nicht funktioniert. Könntest du uns jetzt sagen, was das Beste ist, das wir tun können?«
Beelzebub war wirklich ungewöhnlich engagiert. In Notfällen wie diesen zeigte sich am deutlichsten, wie freundlich eine Person wirklich war.
»Ja. Am schnellsten wäre es, wenn dieser Schleim sich an seine eigene Form erinnert und begreift, wie er sich zurückverwandeln kann. Kurz: Er soll keinen Zauber anwenden, sondern sich selbst formen.«
»Und wie soll sie sich selbst formen?«
»Was das angeht, fragt ihr am besten jemanden, der Kampfkunst studiert und dabei seine Menschengestalt beibehält. Ihr solltet den Kampfkunst-Schleim um Rat fragen.«
»Den Kampfkunst-Schleim?! So etwas gibt es auch?!« Wie weit erstreckte sich die Schleimwelt noch ... ?
»Ja. Der Kampfkunst-Schleim hat seine Menschengestalt nicht wie ich durch Magie, sondern durch körperliche Aktivität erlangt. Ich denke, ihr solltet von ihm Techniken erlernen.«
Na gut. Jetzt also ein Kampfkunst-Schleim, ein Kamschl.
»Und wo ist dieser Kampfkunst-Schleim?«
Magslys Gesicht verfinsterte sich. Wie, bedeutete das etwa, der Aufenthaltsort war unbekannt?!
»Der Kampfkunst-Schleim reist ständig durch das Land, um zu trainieren, und hat keinen festen Wohnsitz .•
»Jetzt haben wir ein Problem ... Ihn landesweit zu suchen ist schwierig ... Ich muss wohl ein Fahndungsplakat machen wie damals bei Halkara ..•
Mussten wir etwa noch einmal die Leute in Angst und Schrecken versetzen ...?
»Aber der Kampfkunst-Schleim hat es sich zum Motto gemacht, sich unters Volk zu mischen, wenn ihr nach und nach die Städte absucht, findet ihr ihn bestimmt. Außerdem hat er auch einen Namen, den er in der Menschengesellschaft benutzt.«
Ein Glück! Jemanden mit Namen konnte man leichter finden!
Schließlich wäre es fast aussichtslos, sich nur nach einem schleimähnlichen Kampfkünstler zu erkundigen.
»Der Schleim heißt Kampsly.«
Das war doch meine Art, Namen zu vergeben!
Also nahmen wir den nächsten Schritt unserer Suchaktion in Angriff. Zunächst einmal kehrten wir zurück ins Haus auf der Hochebene und stellten ein Plakat her, um nach Kampsly zu suchen. Dann baten wir auch Flatorte um Hilfe und verteilten das Plakat in verschiedenen Städten. Bis wir Kampsly ausfindig gemacht hatten, sollte sich Shalsha um ihre Schwester kümmern. Das hieß, sie würde sie baden und waschen und solche Dinge. Laut Shalsha war Falfa »ziemlich dreckig und staubig und muss dringend gesäubert werden.« Klar, sie rutschte prinzipiell ja auch auf dem Boden herum. Wenn Shalsha ihr Gemüse brachte, sog sie dies in ihren Körper ein und verdaute es. Es war mir zwar ein Rätsel, wo ihre Verdauungsorgane waren, aber man konnte erkennen, wie das Aufgenommene nach und nach zerlegt wurde, also schien das Essen zu klappen.
»Es muss kein gekochtes Essen sein, sie kann auch aus Erde und Unkraut, das in der Gegend wächst, Nährstoffe ziehen. Deswegen vermehren sich Schleime überall und benötigen kaum etwas, das wir als Mahlzeit bezeichnen würden.«
»Stimmt, in Magslys Haus gab es auch keine Küche.« Wahrscheinlich hatte sie sich aus der Erde in der Gegend Nährstoffe gezogen. Das konnte man wirklich nicht als »essen« bezeichnen.
»Aber es wäre traurig zu sehen, dass meine Schwester Erde und Unkraut isst. Ich möchte ihr richtiges Essen geben«, sagte Shalsha und legte Salat auf die Schleim Falfa.
Während ich diese Szene der Schwesternliebe (?) betrachtete, kam Beelzebub hereingeflogen.
Sie flatterte mit den Flügeln und wirkte furchtbar aufgeregt. »Wir haben Kampsly gefunden!«
»Jaa! Damit ist das Problem so gut wie gelöst!«
Ich lehnte mich vor und klatschte Beelzebub ab. Jetzt mussten wir nur noch diesen Kampfkunst-Schleim um Rat fragen. »Kampsly wurde in einer Stadt namens Kerney im Süden des Landes gesichtet.«
»Dann lass uns Kampsly gleich einen Besuch abstatten!« »Wir lassen uns wieder von Laika fliegen!«
Doch in diesem Augenblick verdüsterte sich Beelzebubs Ausdruck.
»Na ja ... Ich habe ihr - Kampsly ist nämlich ein weiblicher Schleim - schon mal erzählt, worum es geht ... und sie sagte, sie wolle mit profan irdischem Leben nichts zu tun haben ... Sie wolle sich nur ihrem Training widmen, um noch mehr Stärke zu erlangen. Sie sei schließlich keine Physiotherapeutin und könne uns nicht helfen ...«
Moment, Moment, wir klammerten uns gerade an den letzten Strohhalm, da konnten wir uns unmöglich wegen so etwas zurückziehen.
»Was heißt überhaupt, sie wolle nichts mit irdischem Leben zu tun haben? Sie lebt in einer Stadt, da wird sie total irdisch beeinflusst. Dann kann sie sich auch uns widmen.«
»Übrigens hält sie sich in Kerney auf, um an einem Kampfsportturnier teilzunehmen.«
»Ein Kampfsportturnier!«
Ich spürte, wie etwas in mir aufflammte. Bestimmt lag es daran, dass ich als Kind viele Kampf-Manga gelesen hatte, in denen solche Turniere vorkamen. Natürlich hatte ich aber auch Shojo Manga gelesen.
»Sag mal, kann man sich für das Turnier noch anmelden?«
»Willst du etwa teilnehmen …?«
Ich nickte sofort, noch bevor Beelzebub ihre Frage richtig beenden konnte.
»Ich glaube, wenn ich zeigen kann, dass ich stärker bin als Kampsly, wird sie gesprächsbereiter sein. Außerdem bin ich eine Kämpferin wie sie, wenn ich teilnehme, und das verbindet, oder?«
Natürlich war es Kampsly, die letztendlich die Entscheidung traf, aber eine Gelegenheit zum Gespräch würde sich schon ergeben. Ich verstand nicht, warum Beelzebub so zögerlich war.
»Gewinnst du das Turnier, wird dein Name auch in Gegenden bekannt werden, die vorher noch nicht von dir gehört hatten ... Das wird dich von deinem friedlichen Leben entfernen ...«
»Ach, das meinst du ...«
Da hatte sie recht ... Aber es wäre komisch, eine Vertretung zu schicken, um meine Tochter zu retten, also blieb mir nichts übrig, als teilzunehmen.
»Ich tue es! Um Falfa wieder zurückzuholen!«
Falfa hüpfte eifrig herum. Bestimmt sollte das heißen:
»Mama, ich feuere dich an!«
So interpretierte ich es jedenfalls.
»Verstehe. Dann werde ich wohl auch teilnehmen.«
»Wenn du mitmachst, werden die Leute in Panik ausbrechen, weil ein Dämon erschienen ist, befürchte ich ...«
»Keine Sorge. Ich werde als mysteriöse unbekannte Kämpferin teilnehmen.«
Also reisten Beelzebub und ich nach Kerney und erledigten alle Anmeldeformalitäten. Es waren nur noch drei Tage bis zum Beginn des Turniers, aber sie waren recht locker mit der Zulassung von weiteren Teilnehmern.
»Du musst vorsichtig sein beim Ausfüllen. Ich habe gehört, dass mehr als zehn Prozent der Leute disqualifiziert werden, weil ihre Bewerbung mangelhaft ist.«
»Das sind aber ziemlich viele, die das Formular nicht richtig ausfüllen ...«
Übrigens betrug das Preisgeld 30 Millionen Gold1. Das war ganz schön viel Geld. Plötzlich kam mir etwas in den Sinn.
»Du, könnte es sein, dass der Kampfkunst-Schleim des Geldes wegen teilnimmt ... ? Oder will sie wirklich nur ihre Stärke testen?«
»Auszuschließen ist das nicht. Schließlich gibt es für Kampfkünstler nur begrenzt Möglichkeiten, Geld zu verdienen.«
Klar, nur an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten brachte kein Geld ein. Ich fand, das machte sie zu so etwas wie einer Geschäftsfrau. Schließlich war der Tag der Vorrunden Kämpfe gekommen. Regen wäre unangenehm gewesen, aber zum Glück war es sonnig. Das Turnier fand in einer Art Kolosseum statt. Da es viele Kämpfe gab, hatte man zwei Bühnen aufgebaut, auf denen die jeweiligen Blöcke abgearbeitet wurden. Die Arena schien eine Menge Fans fassen zu können, doch während der Vorrunden Kämpfe war es natürlich noch ziemlich leer. Die Zuschauerzahl hätte beim Sumo Ringen den Kämpfen der dritt untersten Klasse entsprochen. In den Vorrunden Kämpfen sollten die knapp 300 Teilnehmer auf die besten 16 reduziert werden. Mein Ziel heute war es, so lange zu gewinnen, bis ich unter diesen 16 war. Wie schon vermutet, war die Männerquote im Warteraum hoch. Frauen waren ziemlich in der Unterzahl.
Da ich nach wie vor wie siebzehn aussah, wurde ich ganz schön angestarrt. Ich fühlte mich unwohl und unterhielt mich mit Beelzebub.
»Ja, ich spüre auch ständig Blicke. Männer sind wirklich äußerst ehrliche Lebewesen ...«
Beelzebub hatte ebenso empfunden wie ich. Sie trug eine Mütze, um ihre Hörner zu verdecken, und hatte auch ihre Flügel durch einen Zauber temporär verschwinden lassen. So vertuschte sie, dass sie ein Dämon war. Da die Personalien nicht überprüft worden waren, war sie offensichtlich damit durchgekommen.
»Unter welchem Namen hast du dich angemeldet?«
»Beelze.«
»Nicht sehr fantasiereich.«
»Naja, in den Vorrunden sind sowieso nur kleine Fische. Die muss man bloß verkloppen. Das Einzige, was wir nicht vergessen dürfen, ist, dass Magie verboten ist. Es wäre idiotisch, wenn wir deswegen disqualifiziert würden.«
Ja, es war ein Kampfsportturnier, weshalb der Einsatz von Magie sowie von Waffen verboten war. Man durfte nur seinen Körper einsetzen. Während wir uns noch locker unterhielten, wurde ich aufgerufen. Mein Gegner war ein etwa zwei Meter großer Riese. Sein kahler Kopf funkelte in der Sonne.
»Das ist kein Ort für ein junges Mädchen, weißt du? Ich möchte nicht, dass du dich verletzt. Kannst du nicht auf den Kampf verzichten?«
Er schien ein Gentleman zu sein. Mein Eindruck von ihm wurde ein bisschen besser. Immerhin war er nicht so ein Idiot, der johlend auf mich zugeprescht kam.
»Ich wollte gar nicht teilnehmen, aber ich muss es tun, damit meine Tochter wieder fröhlich herumtollen kann.«
»Wie... Tochter? Du hast in deinem Alter schon eine Tochter, die in Feldern und Hügeln herumtollen kann ... ?
Oh, das hatte er jetzt missverstanden ...
»Aber nein, für persönliche Gefühle ist hier kein Platz, junge Dame. Ich muss dieses Turnier unbedingt gewinnen, sonst ... «
»Ah! Bitte erzähle mir nicht deine Geschichte, sonst fällt es mir schwerer, dich zu besiegen!«
Ich wollte nicht hören, dass er 30 Millionen Gold brauche, um die Operation für seine Tochter zu bezahlen oder so etwas!
»Du hast recht. Erst einmal werde ich dich besiegen und einen vielversprechenden Start hinlegen!«
Der Glatzkopf rückte an, und ich verpasste ihm einen Kinnhaken. Von diesem einen Schlag ging er ohnmächtig zu Boden. Gut, er zuckte, also war er nicht tot. Ich hatte keine Erfahrung darin, Leute zu schlagen, also wusste ich nicht, wie man seine Kraft reguliert, aber das von eben hatte gepasst. Da nur wenig Zuschauer da waren, gab es keine begeisterten Reaktionen. Wunderbar, ich wünschte, es würde weiterhin so bleiben.
Als ich in den Warteraum zurückkam, saß Beelze (Turniername) mit verschränkten Armen da und sah zufrieden aus.
»Du hast deine geringe Körpergröße geschickt genutzt, bist schnell in seine Deckung geschlüpft und hast ihm einen Aufwärtshaken verpasst. Ein idealer Schlag.«
»An so etwas habe ich überhaupt nicht gedacht ... Ich habe auch gar keine Erfahrung mit Kampfsport ...«
Es hatte sich lediglich so angefühlt, als hätte ich auf mich regnende Funken von mir weggefegt.
»Soso ... Ich habe auch teilgenommen, weil es eine gute Gelegenheit ist, mir noch einmal deinen Kampfstil anzusehen. Vermutlich bist du gerade deshalb stark, weil du keinen festgelegten Stil hast ... «
Ich fühlte mich unwohl angesichts dieser Analyse, weil das wahrscheinlich einfach nur an meinem hohen Status lag. Es war das Ergebnis meines kontinuierlich fortgeführten Erlegens von Schleimen. Wie gesagt, im Durchhalten liegt die Kraft. Beelze und ich kämpften uns geschmeidig durch unseren jeweiligen Block und kamen unter die besten 16. Wir bekamen die Tabelle (eine Zusammenstellung) für das Turnier und sahen, dass auch Kampsly es geschafft hatte. Kampsly schien zweifelsohne sehr stark zu sein. Sie war allerdings in einem anderen Block, sodass wir, falls wir gegeneinander kämpfen sollten, erst im Endkampf aufeinanderstießen. Wenn ich mich also gut machte, musste Kampsly mich anerkennen. Und dann würde sie bestimmt auch Falfa heilen!
Zum Turnier war auch meine Familie gekommen, um mich anzufeuern. Für die Familien waren gute Plätze reserviert, und Shalsha saß mit Falfa in den Armen dort. Durch den Schleim fiel sie schon von Weitem auf.
»Du schaffst das, Mutter!«
Shalshas Blick war ernst.
»Natürlich. Ich werde nicht verlieren!«
Ich konnte nicht aus dem Turnier ausscheiden, bevor ich nicht auf Kampsly gestoßen war. Das Turnier fand in einem voll besetzten Kolosseum statt. Mein Gegner im nächsten Kampf war wieder ein Glatzkopf. Er war ein richtiges Muskelpaket.
»Ich habe mir diesen stählernen Körper an trainiert, um alles und jeden zu zerschmettern!«
Ich pustete seinen gestählten Körper mit einer Handbewegung weg.
»Hui!«
Mein Gegner fiel in Ohnmacht, und der Kampf war beendet.
Alles und jeden hatte er also doch nicht zerschmettern können. Es war ein K. o. durch einen einzigen Schlag, und das Publikum rastete aus. Kein Wunder, schließlich waren wir nicht mehr in der Vorrunde.
»Dieses Mädchen Azusa ist unglaublich!«
»Bestimmt hat sie exakt seine Schwachstelle getroffen!«
»Du musst den nächsten Kampf auch gewinnen! Ich habe 30.000 Gold2 auf dich gewettet!« Wie, die Leute setzten Geld auf mich ... ? Aber es war wohl unmöglich, jetzt noch zu hoffen, dass sie nicht aufmerksam wurden. Ich akzeptierte, dass ich auffiel, und winkte in die Menge. Danach ging ich zu den Familiensitzen. Laika und Flatorte hatten sich spontan an den Händen gefasst, um zujubeln, aber als sie es bemerkten, ließen sie einander sofort wieder los.
»Ich habe nicht vor, mich mit einem roten Drachen anzufreunden!«
»Das geht mir genauso. Du bist mir viel zu problematisch!« Schade! Die Freude über den Sieg wäre die Chance für die beiden gewesen, sich näherzukommen! Da sie ein Geist war, bewegte sich Rosalie übrigens frei umher und konnte auch in den Warteraum. Vermutlich war das gegen die Regeln, aber bestimmt gab es andererseits keine Regel, die einen Geist bestrafte, also war es auch egal. Im Moment schwebte sie direkt hinter Shalsha. Neben Flatorte saß Halkara, die mir kräftig zuwinkte.
»Große Meisterin, ich habe Werbung für die Drinks meiner Firma hier im Kolosseum platziert! Das ist richtig gute PR!«
Jetzt, wo sie es sagte, bemerkte ich die Plakate mit der Aufschrift: »Gesunde Drinks haben einen Namen - Halkara Pharma«. Halkara war wirklich eine tüchtige Geschäftsfrau ... Aber am aufgeregtesten war Falfa. Sie hüpfte so heftig, als wolle sie aus Shalshas Armen ausbrechen, wodurch Shalsha aussah, als wiirde sie auf einem Trampolin springen.
»Falfa freut sich sehr ...«
»Mir hat es auch Motivation und Mut geschenkt. Den nächsten Kampf gewinne ich auch. Wenn ich gegen den Nächsten gewinne, bin ich unter den besten vier.«
Ja, Ruhm und Ehre waren schon recht nah.
Mein nächster Gegner war schon wieder ein glatzköpfiger Mann. Waren Glatzen in Mode ... ?
»Ein kahler Kopf ist das Zeichen, dass man ein Kämpfer des Grand Stils ist! Auch ich habe in einem Kloster meiner Heimat trainiert!«
War das so etwas Ähnliches wie Shaolin Kung Fu?
»Ich werde dieses Turnier gewinnen und der erste Grand Stil Sieger seit 54 Jahren werden!«
Er war wirklich unheimlich motiviert ...
»Du bist zwar ein Mädchen, aber ich werde mich nicht zurückhalten! Besiege die Schwachen zuerst und beherrsche so die Schlacht. So lautet die eiserne Regel des Grand Stils!«
»So eine Drecks-Strategie!«
Das war doch absolut unehrenhaft!
»So, erst fixiere ich meinen Gegner und entscheide dann den Kampf!«
Er griff sich meinen Arm. Offensichtlich meinte er es ernst und wollte mich schnell besiegen. Deshalb riss ich mich los.
»Was?! Du hast dich aus meinem Griff befreit?! Obwohl man mir nachsagt, ich beiße mich fest wie eine Schnappschildkröte?!«
Aha, es gab also Schnappschildkröten in dieser Welt. Ich wollte gerne mal eine in einem Eintopf essen. Der Kampf würde nicht enden, wenn ich nur den Angriffen meines Gegners auswich, also probierte ich einen Roundhouse-Kick auf meine eigene Art aus. Nämlich möglichst so, dass mein Rock nicht zu hoch flog.
BAGOMM!
Mein Gegner flog etwa zehn Meter in die Höhe und fiel wieder auf den Boden.
»Hmm, na ja, das war's wohl.«
Nachdem man festgestellt hatte, dass mein Gegner ohnmächtig war, stand fest, dass ich im Halbfinale war. Wenn ich den nächsten Kampf gewann, würde ich gegen Kampsly antreten können. Aber was für ein Typ war Kampsly überhaupt? Da bei dem Hauptturnier jeder einen eigenen Warteraum hatte, waren wir uns noch nicht begegnet. Der nächste Kampf wurde aufgerufen und Kampslys Name erklang. Im selben Moment brandete ein Schrei in der Menge auf:
»Die Preisgeld-Königin!«
Huch? Das hatte wenig mit einer weltfernen, stolzen Kämpferin zu tun ... Auf die Bühne trat ein sehr kämpferisch wirkendes Mädchen in knappem Outfit mit zurückgebundenen Haaren. Sie trug ein Tanktop, das Schultern und Bauchnabel entblößte, und so etwas wie Shorts. Ihre Gegnerin war Beelze, die sich ebenfalls bis hierhin durchgekämpft hatte.
Moment, das bedeutete doch ...
Direkt nachdem der Kampf begonnen hatte, landete Beelze mit ihren Kicks und Schlägen einen Treffer nach dem anderen. Die heftige Schlagfolge schickte Kampsly schnörkellos zu Boden. Der Schiedsrichter erklärte den Kampf für beendet und Beelze riss die Arme hoch.
»Wie - sie ist besiegt, bevor ich gegen sie kämpfen konnte?!«
Oh nein, was sollte ich tun? Wenn sie nun raus geflogen war, bevor wir uns gegenüberstanden, war es schwierig, mit ihr Kontakt aufzunehmen ...
»Ha ha ha! Gegen mich haben irgendwelche herumziehenden Kämpfer absolut keine Chance!«
Beelze ruderte fröhlich mit beiden Armen. He! Wieso verkündete sie triumphierend ihren Sieg?! Hatte sie etwa vergessen, worum es hier ging?!
»So, Leute, preist mich! Ruft mich >Herr der Fliegen<!« Noch dazu verriet sie, wer sie war!
»Stimmt, der Herr der Fliegen heißt ja Beelzebub.«
»Der Name Beelze soll wohl eine Anspielung sein.«
»Sie hat sich den Namen eines Bösewichts gegeben.«
Ein Glück. Die Wahrheit war offensichtlich nicht ans Licht gekommen. Wenn herausgekommen wäre, dass ein hochrangiger Dämon hier war, wäre das Turnier wahrscheinlich abgebrochen worden.
»So ein Kampf zwischen Mädchen hat schon was.«
»Ja, besonders, wenn es sonst fast nur glatzköpfige Kerle gibt.«
Dem Publikum war es also auch aufgefallen. Kampsly erhob sich und taumelte kraftlos in ihren Warteraum. Wahrscheinlich war sie schockiert, weil sie von einer Unbekannten nach Strich und Faden vermöbelt worden war. Das war übel. Wenn sie weggehen würde, hätten wir keine Chance mehr, mit ihr zu reden.
»Kampsly hatte es überhaupt nicht drauf.«
Beelzebub, die schon von der Bühne gestiegen war, sprach mich an.
»Es ging doch nicht darum, mit deiner Stärke anzugeben ...«
»Keine Sorge. Ich habe die Mission, Falfa zurückzuverwandeln, nicht vergessen. Ich werde Kampsly aufhalten, also sieh zu, dass du dich zum Finale durchkämpfst.«
Ach, richtig. Beelzebub hatte gerade erst gewonnen und somit Zeit.
»Ehrlich gesagt ist mir das Finale jetzt ziemlich egal.«
Ich war weder auf das Preisgeld aus noch auf den Ruhm. Es wäre auch lästig, wenn wieder Leute mein Haus auf der Hochebene aufsuchten, um sich mit mir zu messen.
»Ich werde im Finale gegen dich kämpfen. Lauf bloß nicht weg. Es ist viel Zeit vergangen, und wir haben unseren Kampf immer noch nicht entschieden.«
Mir war sofort klar, dass Beelzebub es ernst meinte.
»Ich werde auf jeden Fall herausfinden, wie wir Falfa retten können, also konzentriere du dich auf deinen Kampf und komm ins Finale.«
Stimmt, wir hatten unseren Kampf tatsächlich nie zum Abschluss gebracht. Beim letzten Mal hatte sich Beelzebub verletzt, als sie gegen den Bannkreis geprallt war, den ich errichtet hatte, und der Kampf hatte damit geendet. Kurz gesagt: Es war ein Unfall gewesen. Und das war tatsächlich ein äußerst unbefriedigendes Ergebnis. Mehr noch, Beelzebub war kampfunfähig geworden, bevor wir überhaupt beginnen konnten. Seitdem hatte Beelzebub immer wieder einen zweiten Kampf gefordert, aber es hatte sich keine gute Gelegenheit ergeben, vielleicht auch, weil wir uns angefreundet hatten.
»Hmm, na gut, aber du musst dich unbedingt um die Sache mit Falfa kümmern.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich bin im selben Block wie Kampsly und mein Warteraum ist nahe bei ihrem. Ich werde sie dazu bringen, mit uns zu kooperieren.«
Beelzebub rannte zu den Warteräumen. Ich beschloss, ihr zu vertrauen. Bis zum Halbfinale gab es noch eine kleine Pause, also wartete ich, darauf hoffend, dass Beelzebub mit einer guten Nachricht käme. Aber so schnell ging es mit den guten Nachrichten natürlich nicht. In solchen Fällen konnte man schon mal von negativen Fantasien geplagt werden. Was sollten wir tun, wenn auch Kampsly Falfa nicht zurückverwandeln konnte ... ? Uns waren die guten Ideen ausgegangen ... Ich war noch immer schlecht drauf, als ich zum Halbfinale antreten musste, und meine Sorgen standen mir ins Gesicht geschrieben. Doch ich schlug zu und gewann. Mein Gegner hatte sich wohl gedacht, er könne gewinnen, weil ich so besorgt aussah, aber ich war nicht so schwach, dass ein wenig Unsicherheit den Leistungsunterschied zwischen uns zunichtemachen konnte. Auch Beelzebub hatte ihren Kampf gewonnen und sich fürs Finale qualifiziert. Das war schön und gut, aber ich hatte noch nichts zu unserem Falfa Problem gehört. Aber dass Beelzebub so fit wirkte, bedeutete vielleicht, dass sie bereits eine gute Spur verfolgte. Sonst würde sie ebenfalls geknickt aussehen. Oh weh. In meinem Kopf herrschte das reinste Chaos ...
Schließlich war es Zeit für das Finale. Ich hatte nicht gedacht, dass ich in aller Öffentlichkeit erneut gegen Beelzebub kämpfen würde. Der Lärm in der Arena war ohrenbetäubend geworden. Keiner hatte ein Finale zwischen zwei jungen Frauen erwartet. Außerdem waren wir zwei Unbekannte, die nicht zu den Siegeskandidaten gezählt hatten, was die Aufmerksamkeit nur noch erhöhte.
»Hexe der Hochebene!«
»Das Gerücht stimmt also, dass du die Stärkste bist!«
»Beelze, die Fliegenkönigin!«
Langsam betrat ich die Bühne. Beelzebub tat es mir nach. Ihr vorsätzliches Schauspiel peitschte die Menge auf.
»Was ist? Endlich haben wir unseren großen Auftritt, und du bist immer noch griesgrämig?«
»Natürlich. Falfas Problem ist noch nicht gelöst. Der Kampf gegen dich ist zweitrangig.«
Ich war keine Kampfmaschine, die nur den Sieg im Kopf hatte.
Ich war eine ganz normale Mutter, die sich Sorgen um ihr Kind machte. Es gab eine Geschichte, in der ein Baseballspieler einem kranken Kind versprach, ihm zu Ehren einen Homerun zu schlagen, aber ehrlich gesagt war es in meinem Fall egal, ob ich gewann oder verlor. Da auch Falfa in Schleimform dem Wettkampf zusah, wäre es schon schön zu gewinnen, aber das würde sie nicht zurückverwandeln. Ich versuchte, nicht zu den Familienplätzen zu gucken. Wahrscheinlich würde mich das nur noch düsterer stimmen.
»Puh ... Sag doch nicht so etwas Enttäuschendes. Nimm mal Rücksicht auf die Stimmung! Eine Antwort wie „Ich werde dich niedermachen!“ wäre schön gewesen.«
Beelzebub schien unzufrieden über meine fehlende Motivation. Das war verständlich, aber ich konnte mich nicht verbiegen und mir einreden, dass mir der Kampf wichtig war.
»Tut mir leid, aber du kannst nicht verlangen, dass ich hier richtig Ernst mache. Wenn du möchtest, dass ich unbefangen kämpfe, bring mir meine Falfa mit ihrem strahlenden Lächeln zurück.« Dann würde ich für den Kampf meine gesamten Kräfte und Techniken aufwenden. Daraufhin grinste Beelzebub. Sie sah aus wie ein Wrestler, der den Bösewicht spielt.
»Ich habe mir gut gemerkt, was du gesagt hast.«
»Entschuldige, aber habe ich eben irgendetwas Verbindliches gesagt?«
»Ich habe eine Überraschung für dich, bevor wir mit dem Kampf beginnen.«
Beelzebub wandte sich um und sah zu der Treppe, die auf die Bühne führte.
Dann ging sie darauf zu. Aus dem Publikum erklang ein Raunen: »Willst du etwa weglaufen?«
»Verzichtet sie auf den Kampf?«
Aber das war es nicht. Beelzebub hielt nur jemanden an der Hand. Und diejenige, die an Beelzebubs Hand die Treppe heraufkam ...
»Mama! Falfa ist wiederhergestellt!«
... war meine geliebte Tochter!
»Falfa! Falfa! Falfa! Du bist wieder die Alte!«
Ich rannte sofort los und umarmte meine Tochter wie ein Rugbyspieler, der einen Try erzielen will. Ich konnte Falfas Wärme spüren, ganz anders als bei ihrer Schleimform. Natürlich fühlte sie sich auch ganz anders an. Ich spürte die Wärme eines Menschen, alles Geleeartige war verschwunden.
»Ja! Eine gewisse Kampsly hat mir geholfen!«
Beelzebub sah sehr zufrieden aus. Aha, sie hatte also nichts gesagt, um mir die Neuigkeit genau jetzt zu überbringen ... Na ja, es wäre mir lieber gewesen, sie hätte es mir ganz normal gesagt. Sie war doch tatsächlich ein bisschen wie Pecora. Als ich zu den Familienplätzen blickte, sah ich Halkara und die anderen winken. Offensichtlich wussten sie bereits, dass Falfa wiederhergestellt war. Sie hatten mich also reingelegt. Ich war zwar mit einem hohen Status ausgestattet, aber Gedanken lesen konnte ich nicht.
»Puuh, ich wünschte, du hättest es mir gleich gesagt, aber offensichtlich handelt es sich nur um eine kurze zeitliche Abweichung, also verzeihe ich dir.«
Das Publikum begriff nicht ganz, was vor sich ging, aber es verstand immerhin, dass etwas gefeiert wurde, sodass »Oh, wie schön!«-Rufe zu hören waren.
Gleichzeitig hörte man auch:
»Was, diese Azusa hat eine so große Tochter ... ?«
»Was für ein Schock ...«
Moment, ich sah zwar aus wie siebzehn, war aber kein Starlett und konnte Erwartungen in dieser Richtung bestimmt nicht erfüllen ...
»Viel Glück, Mama! Falfa feuert dich an, ja?«
»Jetzt ist Mamas Motivation auf dem Maximallevel!«
Gäbe es ein Gerät, das Kampfkraft messen könnte, wäre es jetzt bestimmt explodiert.
»Sieh dir an einem sicheren Ort an, wie deine Mama gewinnt.«
Ich wollte sie eigentlich nicht gehen lassen, ließ sie aber doch los. Dann wandte ich mich der Drahtzieherin zu.
»Beelzebu ... nein, Beelze. Du wirst es noch bereuen, dass du mir einen Vorteil verschafft hast. Jetzt kann ich nämlich so konzentriert kämpfen wie nie zuvor!«
»Deswegen habe ich es getan. Ich wollte nicht hören, dass du dich vor lauter Sorge um deine Tochter nicht auf den Kampf konzentrieren konntest.«
Das waren Worte einer würdigen Gegnerin. Jetzt wollte ich auch alles geben. Da wir keine Magie benutzen durften, konnten wir vielleicht nicht wirklich alles geben, aber der Rahmen für einen Kampf war nicht schlecht. Ich vergewisserte mich, dass Falfa die Bühne verlassen und sich entfernt hatte, dann nahm ich eine erste Kampfhaltung ein. Ob die nun sinnvoll war, wusste ich nicht. Ich wollte einfach nur ein bisschen protzen. Auch Beelzebub sandte blutrünstige Schwingungen aus. Der Schiedsrichter eröffnete den Kampf. Jetzt wollte ich es ihr zeigen.
Da ließ Beelzebub ihre Jacke herabgleiten. Moment, sie konnte sich doch nicht vor all den Leuten ausziehen?! Ihre Oberweite war bedeckt, das beruhigte mich schon mal. Aber ihre Flügel konnte jeder sehen. Aha, sie hatte ihre Flügel gezeigt und verheimlichte nicht mehr, dass sie ein Dämon war! Die Regeln verboten zwar Magie, aber nirgendwo stand, dass Dämonen nicht am Turnier teilnehmen durften.
»Ohne Flügel kann ich schließlich nicht mit vollem Tempo fliegen! Ich habe nicht vor, mich zu verstellen, wenn ich gegen dich kämpfe!«
»Das verstößt nicht gegen die Regeln, aber wenn beim Anblick eines Dämons Panik ausbricht, könnte das Turnier abgebrochen werden.«
»Ist doch egal, jetzt, wo wir unser Ziel erreicht haben, Falfa zurückzuverwandeln, oder?«
»Oh, ach ja, stimmt.«
Ob nun das Turnier abgesagt wurde oder wir gegen die Regeln verstießen, spielte absolut keine Rolle mehr.
»Dann lass es uns durchziehen!«
Beelzebub stürzte mit rasender Energie auf mich zu. Wie, gleich zu Anfang ein Frontalzusammenstoß? Gut, dann würde ich eben kontern! Aber ich hatte keine Kampfsporterfahrung, wusste also genau genommen nicht, wie ein Konter funktionierte. Alles, was ich wusste, war, schlag zurück, wenn der Gegner gerade dabei ist, dir einen Schlag zu verpassen. Doch Beelzebub schoss knapp über meinem Kopf vorbei und beschrieb einen Bogen hinter mir.
»Von vorne komme ich gegen deine Schnelligkeit nicht an! Ich muss dich von hinten kriegen!«
»Du hast deine Strategie verraten!«
»Das zählt noch nicht zur Strategie!«
So war das also. Was mich betraf, plante ich lediglich, Beelzebub anzugreifen, wenn sie sich mir näherte. Man konnte das mit gutem Willen »Freestyle« nennen. Beelzebub drehte Kreise in der Luft und lauerte auf eine Gelegenheit zum Angriff.
Bitte schön, sollte sie angreifen, wann sie wollte! Aber sie griff überhaupt nicht an. Wie eine echte Fliege flog sie einfach nur in der Luft herum.
»Verdammt ... Ich habe ein Problem ...«
»Hä? Biete ich so wenig Angriffsfläche?«
Konnte es sein, dass meine laienhafte Haltung irgendwie richtig gut war? Hatte ich etwa auch verborgenes Kampfsporttalent?
»Du bestehst aus offenen Angriffsflächen. Und deine Haltung ist unmöglich. Wieso bist du nur so stark? Das muss der Zauber deines hohen Status sein ... «
Schade, ich hatte mir schon Hoffnungen gemacht!
»Greif doch an, wenn alles offen ist bei mir!«
»Normalerweise zielt man auf offene Stellen, weil sich so selten welche bieten. Aber wenn jemand die ganze Zeit komplett offen ist, macht das die Sache nur schwieriger!«
Meine Güte, meine Gegnerin hatte aber auch seltsame Wünsche. Gut, dann würde ich angreifen - dachte ich, aber es ging nicht, weil meine Opponentin schwebte. Ich beherrschte zwar den Levitationszauber, aber der konnte bei Weitem nicht mit einem Gegner mithalten, der eigene Flügel hatte und damit völlig frei herumfliegen konnte. Was ich konnte, war nur wenig mehr, als gemütlich in der Luft zu schweben.
»Wenn du nicht zu mir kommst, wird nichts passieren, also los. Und sag am besten Bescheid, wenn du angreifst. Ich warte so lange.«
»Ich habe das Gefühl, du machst dich über mich lustig ... also gut: Ich greife an!«
Beelzebub zog ihre Arme zurück, reckte ihr Gesicht vor und schnellte nach unten. Das war wohl eine Methode, den Luftwiderstand zu minimieren! Ich fragte mich, ob sie sich nicht das Genick brechen würde, falls ihr Frontalangriff schiefging, aber vermutlich war Beelzebub nicht so schwach.
»Ich werde dich weg pusten!«
Daraufhin ... ... streckte ich beide Arme aus und wartete. Wenn Beelzebub mich erreichte, würde ich sie einfach fangen! So machte man Fliegen fertig! Eine echte Fliege würde ich allerdings mit bloßen Händen nicht anfassen wollen ...
»Haaah!«
Mit einem Klatscher stoppte ich Beelzebubs Gesicht zwischen meinen Händen.
»Abububuuu! Quesch nisch mein Geschischt!«
»Selbst schuld, wenn du mit dem Gesicht voran angreifst!«
Aber natürlich hatte das nicht gereicht, um die Wucht von Beelzebubs Angriff komplett zu stoppen.
ZUZUZUMM!
Meine Beine schlitterten rückwärts bis zum Bühnenrand. Doch nach etwa fünf Metern blieb ich stehen. Eine große Erschütterung fuhr durch meinen Körper, aber ich wurde weder weg gepustet, noch verlor ich das Bewusstsein.
»Hnnn ... Hör auf, mein Geschischt zu kwetschen ...«
Beelzebubs Gesicht sah ulkig aus.
»Darauf kann ich nicht hören. Wir kämpfen gerade!«
»Daff ift doch kein rifftiffer Anfriff!«
Beelzebub schlug wie wild um sich, um freizukommen. Ich steigerte mich allerdings auch und hielt ihr Gesicht weiter fest. Den Kampf würde diejenige von uns gewinnen, die etwas tat, das der Gegnerin unangenehm war. Deshalb war es richtig, was ich hier machte!
»Puaaah!«
Beelzebub schaffte es schließlich, sich frei zu winden.
»So eine bescheuerte Abwehr hatte ich nicht erwartet. Wusste ich doch, dass starke Amateure schwierige Gegner sind«
»Du könntest mich loben, weil ich dir einen guten Kampf liefere!«
Jetzt war Beelzebub in unmittelbarer Nähe.
»Dann will ich auch mal!«
Ich trat nach vorne. Ich holte mit der Faust aus und zielte auf Beelzebubs Schulter. Selbst während eines Turniers wollte ich es vermeiden, einem Mädchen ins Gesicht zu schlagen. Ich könnte die Wunden wohl mit meinem Heilungszauber kurieren, aber ich sträubte mich trotzdem dagegen. Beelzebub hielt meinen Schlag mit der Hand auf. Ein lautes BAAAMM! ertönte in der Arena und das Publikum brach in Raunen aus. Ich kümmerte mich nicht darum und setzte zum nächsten Schlag an. Es donnerte erneut mehrere Male laut.
»Verdammt, es ist so laut, wenn ich dich mit den Händen stoppe ... Und es tut weh, unfassbar weh ... «
»Und ich mache immer weiter! Aber unglaublich, dass du meine Schläge aufhalten kannst.«
»Ich habe nicht umsonst für diesen Tag trainiert! Ich bin angetreten, um zu gewinnen! Ich bin bei Regen und Wind vor und nach der Arbeit lange Runden gelaufen!«
Das hörte ich zum ersten Mal!
»Ich stehe immer frühmorgens auf und trainiere eine Stunde, bevor ich zur Arbeit gehe.«
Sie war wohl der Typ für morgendliche Aktivitäten. Ich hatte allerdings nicht gewusst, dass sie sich so intensiv auf unseren Kampf vorbereitet hatte. Wenn wir uns sahen, hatte ich nie den Eindruck gehabt, aber offensichtlich hatte Beelzebub mich als Rivalin betrachtet.
Vielleicht klang es ein bisschen komisch, aber ich freute mich ein wenig darüber.
»Also gut! Ich werde nicht zurückstehen!«
Auch Beelzebub ließ Schläge und Tritte auf mich regnen, die ich in meinem eigenen Stil abwehrte.
»Du hast tolle Oberschenkel.«
»Behalte deine komischen Kommentare für dich!«
»Dafür, dass du so dünne Arme hast, bist du ganz schön robust! Das ist irgendwie unfair!«
Das mochte ja sein, aber was konnte ich dagegen tun? Es war nun mal so.
Vom Publikum war mehr Jubel zu hören, als ich es erwartet hatte.
»Wahnsinn, dieser Schlagabtausch!«
»Keine von beiden gibt nach!«
Mir kam es so vor, als wenn wir uns planlos prügelten, wie es sich gerade ergab, aber in den Augen des Publikums sah es offenbar wie ein richtiger Kampf aus. Konnte es sein, dass wir in Hochgeschwindigkeit abwehrten und angriffen? Dessen war ich mir jedenfalls nicht bewusst.
»Aber du musst auch wahnsinnig stark sein, Beelzebub, wenn du es auf Augenhöhe mit mir aufnehmen kannst!«
»Natürlich bin ich das! Ich bin ein hochrangiger Dämon! Selbstverständlich bin ich stark! Es ist viel unglaublicher, dass ein Mensch gegen mich ankommt! Gegen jeden anderen Menschen hätte ich schon längst gewonnen! Allein, dass du mich mit Armen und Beinen abwehren kannst, ist seltsam!«
Verstehe. Beelzebub kam so oft zu Besuch, dass meine Wahrnehmung in der Hinsicht abgestumpft war. Normalerweise hatte man einfach keine Dämonen in der Nachbarschaft. Aber langsam wusste ich nicht mehr weiter ... Wenn ich weiterhin Angriffe ins Gesicht vermied, würde der Kampf nie enden. Mit bloßen Angriffen gegen die Schulter konnte ich meine Gegnerin nicht kampfunfähig machen. Wie sollte ich die Sache zu Ende bringen? Ich musste sie zumindest ohnmächtig kriegen. Doch nun schien es, dass der Kampf doch nicht ewig dauern würde. Denn langsam kam Beelzebub außer Atem.
»Keuch ... Deine Deckung ist unfassbar dicht ... Ich greife dich mit voller Power an, weißt du das? Ich halte mich nicht zurück!«
Was die Körperkraft anging, war ich ihr wohl überlegen. Ich fühlte mich nämlich nicht wirklich erschöpft.
»Wieso sagen wir nicht, ich hätte nach Punkten gewonnen?«
»Nein, das akzeptiere ich nicht! Die Regeln sehen auch kein Zeitlimit vor!«
Es war mir klar gewesen, dass sie das sagen würde. Aber so konnten wir nicht weitermachen. Ob ich eine Armtechnik anwenden sollte, um sie zu stoppen? Allerdings wusste ich nicht, wie man das machte. Dann vielleicht eine Judo-Technik? Nein. Die einzige, die ich kannte, war die Große Außensichel, das reichte nicht ... Vielleicht sollte ich für das nächste Mal ein paar Bodentechniken studieren. Ich beschloss, mich auf die Verteidigung zu konzentrieren, da es erst einmal nicht so aussah, als würde ich verlieren. Um ihr nicht ins Gesicht schlagen zu müssen, konnte ich vielleicht ihre Beine angreifen. Ich wollte sie dazu bringen, aufzugeben. Doch da sprangen mir die schönsten Anfeuerungsrufe ins Ohr.
»Mamaaa! Du schaffst das! Du verlierst nicht!«
Falfa hatte ihre Arme in die Höhe geworfen und schrie aus Leibeskräften.
»Mutter, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ja, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«
Shalshas Anfeuerungsrufe waren ein wenig schlicht ... Aber beide gaben mir Energie. Auch die anderen Familienmitglieder schienen für meinen Sieg zu beten. Flatorte war bereits heiser, während sie schrie: »Du musst gewinnen!«
»Ich habe in meiner Schleimgestalt gesehen, was du die ganze Zeit getan hast, um mir zu helfen, Mama. Ich habe mich so gefreut! Dafür feuere ich dich an, so laut es geht!«
Ich war mitten im Kampf, also konnte ich nicht laut antworten, aber ... Vielen Dank. Wirklich.
Man sagt oft, zu starkes Anfeuern setze einen umgekehrt unter Druck, aber mir ging es nicht so. Bei mir wurde alles in Kraft umgewandelt.
»Tut mir leid, Beelzebub. Wenn mich meine Töchter so anfeuern, muss ich ihnen etwas Cooles bieten.«
»W... Was …?«
Mein Körper war erfüllt von überschäumender Energie.
»Ich habe mich gerade um etwa zwei Stufen weiterentwickelt!«
»Was redest du für einen Blödsinn?! Dein Äußeres hat sich kein bisschen verändert!«
Naja, es war nicht so, dass mir Hörner wuchsen oder so.
»Zumindest einen Treffer werde ich jetzt landen!«
Beelzebub wurde hektisch. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass gar keiner ihrer Angriffe Wirkung zeigte. Das war meine Chance. Ich trat zeitgleich mit ihr nach vorne, um einen Konter zu setzen! Am Anfang hatte Beelzebub wachsam gewirkt, aber langsam wies ihre Deckung Lücken auf. Erst einmal wich ich Beelzebubs Faust knapp aus. Gleichzeitig verlagerte ich mein Gewicht nach vorne. Für einen Moment achtete ich nicht auf meine Abwehr und konzentrierte mich nur auf den Angriff! Trotzdem schlug ich nicht mit der Faust zu. Ich nahm meine flache rechte Hand und versetzte ihrem Gesicht von unten einen heftigen Schlag. Als wenn ich mit meiner Handfläche ihr Gehirn durchschütteln wollte.
»Nimm das!«
Nannte man das nicht Handhallentechnik?
Meine rechte Hand erwischte Beelzebubs Kinn. Ihr Kopf geriet ins Schwanken. Und kurz darauf fiel sie kraftlos um. Es folgte der lauteste Aufschrei des Tages aus dem Publikum. Es klang, als ob die Erde dröhnte.
»Und? Ich habe gehört, dass man davon eine Gehirnerschütterung kriegt und ohnmächtig wird«, sagte ich zu der am Boden liegenden Beelzebub. Zum ersten Mal hatte ich sie zu Boden geschickt, auch wenn ich nicht wusste, wie das von den Regeln her gewertet würde.
»Ich glaube, wir können sagen, dass ich gewonnen habe. Oder musst du noch eine Weile liegen bleiben?«
Beelzebub hatte noch nicht geantwortet, als der Schiedsrichter herbeikam und nach ihr sah.
»Beelze ist kampfunfähig. Azusa ist die Siegerin!«
Nach dieser Erklärung hüllten Rufe wie »Azusaaa!« und »Sie ist sooooo stark!« die Arena ein. Ich fand, ich hatte gute Arbeit geleistet. Mir wäre es egal gewesen, mich vor Fremden zu blamieren, aber vor den Augen meiner Töchter konnte ich nicht verlieren. Die Sache war allerdings noch nicht abgehakt. Beelzebub war noch immer nicht zu sich gekommen.
»Beelzebub, bist du in Ordnung? Na ja, vermutlich nicht, sonst würdest du nicht herumliegen.«
Beelzebub lag auf dem Rücken und bewegte sich nicht. Sie war doch nicht etwa tot ... ?
Ich hatte schon lange keinen ernsthaften Kampf mehr geführt, und es war auch nicht nötig gewesen, meine volle Kraft einzusetzen, sodass ich nicht wusste, wie ich mit meiner Stärke haushalten sollte. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass das von eben zu einer tödlichen Verletzung führen könnte ... Ich rüttelte Beelzebub leicht.
»Heee, wir sind fertig! Komm, steh auf, steh auf. Schlafen kannst du in deinem Bett. Heee ... «
Keine Reaktion. Plötzlich überlief es mich kalt. Nein, sie konnte jetzt nicht einfach gestorben sein. Falfa war endlich wieder die Alte, aber so konnte ich mich überhaupt nicht freuen.
»Moment! Das hier ist das Gegenteil von dem Sprichwort:
Ende gut, alles gut! Die Sache darf aus verschiedenen Gründen nicht so unheilvoll enden, verstehst du? War der Treffer so sauber? He! Mach die Augen auf!«
»Azusa, du solltest sie nicht so schütteln. Wir werden gleich eine Trage organisieren«, mahnte der Schiedsrichter hinter mir. Er hatte recht, ich konnte dadurch alles nur noch schlimmer machen.
»Komm schon, steh bitte auf ... «
In alten Romanzen würde sie jetzt von herunter tropfenden Tränen geweckt werden, aber ich war eher panisch als traurig und konnte nicht weinen. Aber wenn es auch ein wenig Wasser täte, hatte ich eine Idee. Ich beschloss, den Schnee-und-Eis-Zauber ganz schwach auf ihr Gesicht anzuwenden. Das könnte ein Ersatz sein. Von der Wirkung her war das stärker als Wasser. Aber wenn ich den Zauber direkt auf ihr Gesicht richtete, konnte das ein Angriff werden, also lenkte ich ihn auf den Boden, um Eis zu machen. Das brach ich in kleine Stücke und legte diese auf ihr Gesicht.
»Sieh mal, es wird kalt. Gaaanz, ganz kalt.« Nach etwa zehn Sekunden ...
»Brrrr! D ... Das ist kalt!«
... kam Beelzebub zu sich!
»Oh, guten Morgen, Beelzebub!«
»Du bist ja verrückt! Ich habe geträumt, dass Ihre Majestät, die Dämonenkönigin, mich vereist hat!«
»Ich musste so weit gehen, damit du aufwachst. Was sollte ich sonst tun? Aber ich bin wirklich erleichtert.«
Ich hob Beelzebub wie eine Prinzessin oder Braut in meine Arme. Wahrscheinlich war sie noch wacklig auf den Beinen, also wollte ich sie zumindest zu ihrem Warteraum bringen.
»He ... Das fällt zu sehr auf. Da sind so viele Zuschauer ...«
»Macht doch nichts, schließlich bist du verletzt. Nach einer Gehirnerschütterung kann man nicht gut laufen, weil einem schwindlig ist. Ich hab das gesehen, als ich im Fernsehen Kampfsport geguckt habe.«
»Fernsehen? Schon wieder so ein seltsames Wort ... «
»Ach, kümmere dich nicht drum.«
Ich trug Beelzebub leichtfüßig davon und ließ die Bühne hinter uns. In solchen Situationen war ich dankbar, einen hohen Status zu haben.
»Ich habe schon wieder gegen dich verloren. Es war eine totale Niederlage.«
Beelzebubs Gesichtsausdruck wirkte befreit.
»Wenn du mich wieder herausfordern möchtest, können wir irgendwann noch einmal kämpfen. Aber wenn es geht, möchte ich so etwas Umständliches lieber vermeiden.«
»Du bist so stark, aber kein bisschen kampflustig.«
Klar, ich war schließlich nicht stark geworden, weil ich stark werden wollte.
»Das ist nun mal meine Persönlichkeit. Ich gehe meinen eigenen Weg. Ich bemühe mich in Maßen und genieße das Leben, wie es ist.«
»Ob ich auch stärker werde, wenn ich diesen Lebensstil übernehme?«
»Vielleicht musst du einfach nur kontinuierlich Schleime erlegen?«
»Hmmm ... An meinem Arbeitsplatz gibt es aber keine Schleime, die einen anfallen ... «
Ich verstand ... Offensichtlich fühlte es sich nicht gut für sie an, Schleime zu töten, die nicht einmal angriffen.
»Jetzt könnte dein friedliches Leben allerdings wieder gestört werden.«
»Was? Wie meinst du das?«
Ich wünschte, sie würde nicht solche unheilvollen Aussagen machen.
»Nun wissen auch alle im Süden des Königreichs, wo du vorher unbekannt warst, wie stark du bist.«
»Oh ... «
Die gesamte Arena applaudierte mir. Das war zwar eine Ehre, aber ich wünschte, sie würden mich morgen wieder vergessen haben!
Danach erhielten Beelzebub und ich bei der Preisverleihung unsere Medaillen und das Preisgeld.
»Die stärkste Hexe!«
»Hexe der Hochebene!«
»Dank dir habe ich über 100.000 Gold3 gewonnen!«
Ich antwortete mit einem zurückhaltenden Winken. Hauptsache, niemand kam mit seinen Problemen zu mir, um sich einen Rat zu holen; das würde ich ablehnen. Übrigens war auch Kampsly bei der Siegerehrung dabei. Da sie einen höheren Rang erreicht hatte, bekam auch sie ein Preisgeld. Nach der Zeremonie ging ich zu ihr und bedankte mich förmlich.
»Ich danke dir, dass du meine Tochter kuriert hast!«
Ich verbeugte mich tief. Ohne sie wäre Falfa vielleicht für immer ein Schleim geblieben.
»Ach, es war mir eine Freude, meinesgleichen helfen zu können. Schade war nur, dass ich zwischendrin verloren habe und nicht mehr so viel Preisgeld gewinnen konnte.«
Kampsly setzte das erfrischende Lächeln einer Sportlerin auf. Vom Äußeren her war nichts Schleimartiges an ihr.
»Aber ich werde weitermachen und verdienen! Und wenn es nur ein Gold4 ist!«
»Ahm, hm ... ja. Viel Glück dabei. Geld ist schließlich wichtig.«
»Wenn ihr wieder eine Frage zu Schleimen oder ein Problem habt, wendet euch gerne an mich. Und wenn ihr von einem Kampfsport-Event erfahrt, auf dem man Geld verdienen kann, sagt mir bitte Bescheid.«
»Dafür, dass du eine stolze und unnahbare Kämpferin sein sollst, bist du ganz schön an Geld interessiert.«
»Tut mir leid, aber ich habe meine Gründe ...«
Sie würde doch jetzt nicht von einer kranken kleinen Schwester erzählen, deren Arztrechnungen sie zahlen musste ... ?
»Geld verdienen ist mein Hobby.«
Was für ein oberflächlicher Grund!!!
Kampsly wirkte ein wenig verschämt. Das war aber auch die weltlichste aller weltlichen Lebensweisen.
»Aber Beelzebub hat mir erzählt, dass du nicht ein Gold verlangt hättest, als du Falfa geheilt hast. Ich denke, du hast doch ein gutes Herz.«
Dabei hätte ich sogar gezahlt, wenn sie hundert Millionen Gold5 verlangt hätte.
»Na ja, man hilft sich schließlich gegenseitig, wenn man in Not ist. Außerdem ... habe ich eine Bitte an dich.«
Kampsly blinzelte mich von unten her an. Dabei fiel mir zum ersten Mal auf, dass sie selbst für ein Mädchen ziemlich klein war.
»Und die wäre …?«
Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, was sie von mir wollte.
Wenn es Geld war, hätte sie einfach nur eine Behandlungsgebühr für Falfa erheben müssen. Durch diverse Begebenheiten in der Vergangenheit hatte ich ganz ordentliche Ersparnisse (die von Halkara geführte Fabrik spielte dabei auch eine große Rolle), und wenn ich auch nicht mehrere Milliarden zahlen konnte - eine beträchtliche Summe konnte ich aufbringen. In dem Fall müsste ich allerdings bei Halkara Schulden machen.
In dem Moment machte Kampsly eine Verbeugung um 9o Grad.
»Ich bitte dich, Miss Azusa! Nimm ich als deine Schülerin auf!«
»Was?! Du meinst, als Kampfkunstschülerin …?«
Kampsly blieb in ihrem 90-Grad-Winkel und antwortete:
»Ja, genau! Ich habe noch von niemandem eine so wunderbare Serie von Schlagtechniken gesehen! Ich strebe die stärkste Kampfkunst überhaupt an. Bitte lass mich bei dir lernen, damit ich sie vollenden kann!«
»Aber ich habe keine Kampfkunsterfahrung! Ich kann dir wirklich absolut nichts beibringen!«
Kampsly richtete sich mit einem Ruck auf. Diesmal nahm sie Habachtstellung ein.
»Das kann nicht sein. Du hast einen ureigenen Stil. So etwas habe ich noch nie gesehen!«
»Was für einen denn genau? Das interessiert mich jetzt.«
»Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob du lauter offene Stellen hast, aber im Endkampf konnte Beelze dich nirgendwo treffen. So einen eigenartigen Stil habe ich noch nie gesehen. Wahrscheinlich handelt es sich um gut gehütete Geheimtechniken.«
Nein, ich hatte tatsächlich lauter Schwachstellen.
»So auszusehen, als hätte man lauter Lücken und offene Stellen, und dabei unangreifbar sein: Ich glaube, das ist ultimative Kampfkunst. Der natürliche Zustand ist zugleich der stärkste das hat Tiefe. Das geht nicht nur mir so. Jeder, der Kampfkunst studiert, würde das als absolut erstrebenswert erachten.«
Kampslys Augen leuchteten. Was sollte ich nur tun ... ?
Ob sie mir glauben würde, wenn ich ihr sagte, ich käme nur wegen meines hohen Status so gut weg? Aber etwas anderes konnte ich ihr nicht sagen ...
»Auch Beelze war sagenhaft stark. Es war, als wenn wirklich ein hochrangiger Dämon hierhergekommen wäre. Zuerst wollte ich Beelze fragen, ob sie mich als Schülerin aufnehmen kann. Aber selbst Beelze konnte gegen dich nichts ausrichten! Azusa, du bist einfach göttlich!«
Es war wirklich ein hochrangiger Dämon hier
»Also, ich fände es gut, wenn du bei Beelze lernen würdest ...«
Mein Plan war, alles auf Beelzebub abzuwälzen.
»Na ja, also wenn schon, würde ich lieber Schülerin bei der Nummer eins werden.«
Hey, das war ja wohl oberflächlich!
»Bitte! Nimm mich als Schülerin auf! Lass mich dich Meisterin nennen!«
Oh nein, sie machte schon wieder so eine 9o-Grad-Verbeugung ...
»Ich werde mein Bestes geben und auch das härteste Training ertragen!«
»Ich sagte doch, ich trainiere gar nicht hart ...«
Was konnte ich tun, damit sie mir glaubte?
»Pass auf, ich sage das nicht, weil ich gemein bin. Ich bin wirklich nur zufällig stark geworden, während ich langsam und lässig vor mich hin gelebt habe. Es sah so aus, als wenn ich lauter offene Stellen hätte, weil ich absolut keine Basis habe. Und das ist die Wahrheit, kein Wort ist gelogen!«
»Verstanden ...«
Gut. Sie hatte es also geschluckt.
»Dann lass mich einmal gegen dich kämpfen! Dann werde ich am eigenen Leib spüren, wie stark du bist, und kann nachher in Ruhe darüber nachdenken!«
»Du hast doch nichts kapiert!«
Wieso sollte ich gegen die Person kämpfen, die Falfa gerettet hatte? Der ich so viel verdankte? Das Leben war zu seltsam. Würde ich nicht bestraft werden, wenn ich sie schlug und trat? Aber wenn sie nur dann nachgab, musste es wohl sein.
Wir wählten eine Ecke der Arena, aus der das Publikum schon abgezogen war. Es würde wohl keine Probleme geben, wenn wir hier ein kleines Match austrügen.
»Gut, dann kämpfen wir. Aber ich will nicht, dass du mich erst verehrst und dann enttäuscht bist, wenn dir etwas nicht passt. Ich habe nie mit irgendetwas angegeben, klar?«
»Jawohl! Lass uns beginnen!«
Sie war schwächer als Beelzebub, also musste ich es locker angehen. Kampsly nahm sofort eine Kampfhaltung ein. Man merkte, dass sie sich schon lange der Kampfkunst widmete. Es sah richtig gut aus. Haltung und Atmosphäre waren ganz anders als bei irgendwelchen Schlägertypen. Man spürte an der Aura, dass sie ein Profi war.
»Ich habe mit meinen Fähigkeiten schon eine Menge Geld verdient. So schwach bin ich nicht!«
Aha. Sie konnte es sich also leisten, so etwas zu sagen. Da mir nichts anderes übrig blieb, nahm auch ich eine Pose ein.
»Die Pose ist wirklich amateurhaft ... Lauter offene Stellen ...
Da sind so viele Lücken, dass ich nicht sagen kann, welche echt sind und welche nicht ...«
»Du machst dich über mich lustig, oder?!«
Allerdings war ihre Haltung so perfekt, dass ich mich nicht beschweren konnte, wenn sie mich verspottete.
»Ich wollte ein unbesiegbarer Schleim werden und habe hart gegen meine Schleimkollegen gekämpft. Und schließlich war ich so weit, dass ich Abenteurer vom Level 2o besiegen konnte.«
»Die armen Abenteurer!«
»Auch danach trainierte ich hart, und irgendwann war es mir möglich, Menschengestalt anzunehmen. Von da an habe ich mich jeden Tag ernsthaft in der Kampfkunst geübt.«
Sie war also immer auf der Suche nach Wahrheit und Vollkommenheit.
»Und während ich als Mensch lebte, lernte ich, wie wichtig Geld ist, und verlegte mich aufs konsequente Geldverdienen. Ohne Geld kann man nicht leben. Wer kein Geld hat, ist Abschaum. Mit Geld kann man sogar Liebe kaufen!«
»Das ist total verzerrt!«
Vielleicht war sie so extrem geworden, weil sie ursprünglich in einer Welt gelebt hatte, in der man kein Geld brauchte. Die Arme ...
»Ich werde deine Einstellung korrigieren!«
»Los geht's! Hier kommt die Kampsly Schleim-Faust!«
Gut, ich würde jetzt wie bei Beelzebub kontern! Kampsly rückte immer näher. Doch plötzlich blieb sie abrupt stehen. Ging es ihr so wie Beelzebub und es fiel ihr schwer, jemanden anzugreifen, der überall offene Stellen zeigte? Doch als ich genau hinsah, bemerkte ich, dass ihre Beine zitterten. War das ein Zittern vor lauter Kampfgeist und Aufregung, wie man es den Samurai nachsagte? Die gab es aber in einer Fantasy Welt wie dieser nicht.
Huch, ihr Gesicht war auch bleich geworden. Ging es ihr plötzlich nicht gut? Ich hatte mal in den Nachrichten von einem Sumo Ringer gehört, der während des Kampfs Magenprobleme bekommen hatte. Furchtbar .
»I... Ich habe Angst ... «
Sogar Kampslys Stimme zitterte. Angst? Klar, eine normale Person hätte Angst, gegen die Turniersiegerin zu kämpfen, aber sie war selbst eine Teilnehmerin und hatte von sich aus um den Kampf gebeten. Es war so widersprüchlich, dass ich nicht verstand, was sie meinte.
»Ich spüre unfassbar große Mordlust, die wie ein Felsblock über mir aufragt ... Das ist also die stärkste Kämpferin der Welt ... «
»Mordlust? Ich bin aber keine Auftragskillerin oder Schwertkämpferin...«
Ich war doch nur eine Hexe, die ein gemütliches, ruhiges Leben führte. Ich hatte noch nie mit blutigen Angelegenheiten zu tun gehabt.
»Nein, deine Aura ist die einer Person, die unfassbar viele Leben vernichtet hat ... Wenn ich dir zu nahe komme, werde ich getötet ...!«
»Jetzt mach aber mal halblang! Stelle eine unschuldige Hexe nicht als Mörderin dar!«
Hm ... ?
Ich war keine Menschenmörderin.
Eine Schleimmörderin allerdings schon. Und meine Gegnerin war ein Ex-Schleim.
»Die Schleimseelen bedrängen mich, dir nicht näher zu kommen! Sonst würde ich mein Leben verlieren!«
Das Rätsel hatte sich gelöst. Für Schleime war ich die Feindin aller Feinde. Normalerweise erlegten Menschen nicht 300 Jahre lang Schleime, also war es sehr wahrscheinlich, dass ich weltweit die meisten auf dem Gewissen hatte. Offensichtlich hatte Kampsly das instinktiv erfasst. Wahrscheinlich war sie unter anderem deswegen eine gute Kämpferin, weil ihre Sinne so geschärft waren. Ich näherte mich einen Schritt. Schweiß tropfte von Kampslys Kinn. Der eigentliche Kampf hatte noch nicht begonnen, folglich musste das Angstschweiß sein. Ich machte noch einen Schritt auf sie zu. Kampsly lehnte sich zurück. Ihr Instinkt schien ihr zu sagen, sie solle mich meiden. Ich eilte mit schnellen Schritten zu ihr.
»H... Hilfe ... «
Kampsly brach mit geöffneten Augen zusammen. Wie es aussah, hatte sie vor lauter Angst aufgegeben, mich verstehen zu wollen.
»Eine wahre Kämpferin besiegt ihre Gegner, ohne sie zu berühren ... oder was?«
Ich hatte gewonnen, aber nur, weil mich meine Gegnerin als unsäglich schlimmes Ungeheuer empfunden hatte. Das Mädchen in mir rebellierte dagegen. Mann, war das unhöflich ...
Eine halbe Stunde später kam Kampsly wieder zu sich.
»Huch, wo bin ich? In meiner Umkleide …?«
»Ja. Ich habe dich erst mal hierher getragen.«
»Wah! Wenn das nicht Azusa, die stärkste Kreatur der Welt ist!«
Also langsam müsste ich sie wegen verbaler Belästigung verklagen ...
»Ich hätte nicht gedacht, dass der Kampf endet, bevor ich dich überhaupt berührt habe. Diese Begegnung hat dir wahrscheinlich leider nichts gebracht, aber dafür übernehme ich keine Verantwortung.«
»Ja ... Ich muss noch viel trainieren ... Ich habe gelernt, dass ich mich etwas so dermaßen Fürchterlichem nicht mal nähern kann. Ich muss mich noch mehr stählen.«
»He, behandle mich gefälligst wie eine Dame! Oder wenigstens wie einen Menschen. Ich sehe schließlich erst aus wie siebzehn! In Japan würde ich als Highschool Schülerin durchgehen!«
»Oh, Kampsly ist wach!«
Von hinten ertönte eine niedliche Stimme. Es war Falfa. Auch die anderen Familienmitglieder waren da. Ebenso Beelzebub.
»Ich wollte nicht allein hier warten und habe die anderen hergeholt!«
»Euer Kampf ist entschieden, oder? Ich ziehe mich jetzt zurück.«
Als Kampsly Beelzebub erkannte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Ich war mir sicher, dass er Bewunderung widerspiegelte.
»Oooh, du bist es, Beelze! Ich danke dir für den Kampf vorhin.
Ich werde hart trainieren, damit ich das nächste Mal mehr Preisgeld einstreiche als du!«
Diese Person musste einfach immer in irgendeiner Form Geld erwähnen.
»Dank dir ist Falfa wieder die Alte. Wir sind es, die uns bedanken müssen«, sagte Beelzebub in großzügigem Ton.
»Noch mal vielen Dank, Kampsly! Falfa hat endlich ihren Körper wieder!«
Falfa bedankte sich artig mit einem Lächeln. Schön, das war ein ordentliches Danke gewesen. Meine Erziehung war also auf fruchtbaren Boden gefallen.
»Ach nein, das ist doch nicht der Rede wert. Aber du hast wirklich eine ganz außerordentliche Mutter, Falfa ...«
»Ja, meine Mama ist die stärkste auf der ganzen Welt!«
Es klang so, wie wenn normale Kinder sagten:
»Meine Mama ist die liebste auf der ganzen Welt«. In meinem Fall war es allerdings wahrscheinlich, dass ich tatsächlich die Weltstärkste war. Darauf war ich aber nicht unbedingt stolz.
»Ja, deine Worte sind wohl wahr. Ich werde von nun an noch härter trainieren ...«
Schön, wenn jemand ambitioniert war. Ich hoffte nur, dass sie nicht an zu hartem Training starb, für den Fall, dass Falfa oder Shalsha sich wieder in Schleime verwandelten.
»Also, ehrwürdige Beelze, würdest du mich als Schülerin annehmen?«
Kampsly verneigte sich vor Beelzebub.
»Hä? Warum sollte ich das tun? Ich habe nicht vor, Schüler zu nehmen!«
Beelzebub schmetterte sie ohne Umschweife ab. Es wäre auch wirklich eine umständliche Angelegenheit gewesen.
»Ich habe bei diesem Turnier deine dämonenhafte Stärke am eigenen Leib zu spüren bekommen! Bitte lass mich unter dir trainieren!«
»Na klar bin ich dämonisch stark. Aber ich nehme keine Schüler. Wenn ich mich nicht langsam auf meine Arbeit konzentriere, machen mich noch meine Untergebenen fertig.«
»Was? Du hast noch einen Hauptberuf und bist trotzdem so stark?! Wann trainierst du denn?«
Aus normaler Perspektive betrachtet war das wirklich erstaunlich.
»Ich trainiere einfach hier und da, wenn ich kann. Bevor ich Azusa begegnet bin, habe ich es allerdings schleifen lassen. Danach habe ich mich zwar für einen Vergeltungskampf vorbereitet, aber es hat nicht gereicht.«
»Ich bitte dich! Mach mich zu deiner Schülerin!«
»Lass das! Ich habe anderen nichts beizubringen!«
Beelzebub zeigte sich überraschend unerbittlich. Wahrscheinlich wehrte sich ihr Instinkt gegen alles Lästige.
»Nun nimm sie doch bei dieser Gelegenheit auf. (Mir wäre es lieber zu wissen, wo sie ist, für den Fall, dass meine Töchter erneut zu Schleimen werden.)«
»He, ich weiß genau, was du heimlich denkst!«
»Bitte! Ich wasche auch Teller! Ich tue alles!«
Ich sah den beiden beim Diskutieren zu und hatte dabei Falfa auf dem Arm.
»Falfa, du kannst dir heute wünschen, was du willst. Möchtest du etwas Bestimmtes essen?«
»Mama, Falfa hätte gerne Süßigkeiten!«
Nachdem sie von Kampsly noch lange und zäh bearbeitet worden war, gab Beelzebub auf und nahm sie als Schülerin auf. Ich war gespannt, wie Kampsly reagieren würde, wenn sie Beelzebubs Heimat sah. Aber es würde schon irgendwie hinhauen. Schleime waren schließlich auch Monster.

1 Entspricht ca. 240.000 €.
2 Entspricht ca. 240 €.
3 Entspricht ca. 800 €.
4 Entspricht ca. 1 C.
5 Entspricht ca. 790.000 C.


 
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Edward Teach

Anime-Pirat
VIP
Wir machen eine Grillparty

Wir hatten die alte Falfa wieder, und in das Haus auf der Hochebene war endlich wieder Ruhe eingekehrt.
»So, heute gibt es meinen Spezial-Salat. Vergesst nicht, euch von dem Sesamdressing zu nehmen!«
Gemeinsam frühstückten wir eifrig den Gemüsesalat, den Halkara zubereitet hatte. Abgesehen von meinen Töchtern, die seit etwa fünfzig Jahren lebten, war der Rest von uns in einem dreistelligen Alter. Wir waren eine langlebige Familie, achteten aber auch auf die Gesundheit.
»Hmmm, Gemüse ist gut für die Schönheit, aber manchmal brauche ich auch eine ordentliche Portion Fleisch.«
»Was das angeht, stimme ich Laika zu.«
Laika und Flatorte klangen wie richtige Drachen.
»Ja, ich befürchte auch, dass ihr davon nicht satt werdet.«
»So ist es, Gebieterin. Wir Drachen sind, was wir sind, weil wir Fleisch verschlingen. Wenn wir so weitermachen, magern wir ab.«
Flatorte aß mehr als Laika, also musste es für sie besonders unbefriedigend sein.
»Das klingt, als ob ihr meinen Salat disst. Das macht mich schon traurig ..«
Halkara blickte ein wenig geknickt drein. Als Elfe war es für Halkara normal, sich vegetarisch zu ernähren, deshalb konnte sie mit der Beschwerde nichts anfangen. Für Rosalie hingegen, die uns von der Zimmerdecke aus zusah, waren wir wohl interessante Beobachtungsobjekte, denn sie nickte interessiert und sagte:
»Wenn man lebendig ist, muss man sich also auch wegen des Essens viele Gedanken machen.«
Vielleicht fühlte sie sich wie jemand, der begeisterte Angler beobachtete und selbst absolut kein Interesse am Angeln hatte.
»Wie auch immer, Salat ist ein eigenständiges Gericht, also esst ihn gefälligst. Wenn ich das nächste Mal Kochdienst habe, kaufe ich euch Hühnchen. In Naskute gibt es sehr leckeres Huhn.«
Da Halkara in Naskute eine Fabrik führte, kannte sie sich mit den dortigen Läden gut aus.
»Nein, Halkara, das siehst du falsch. Hühnchen ist ... wie soll ich es ausdrücken ... zu schwach.«
Der Gesichtsausdruck von Flatorte schien zu sagen: Sie kapiert es nicht.
»Was das betrifft, finde ich die Meinung dieser Person nicht unverständlich.«
Laika drückte sich vage aus, aber es bedeutete, dass sie Flatorte zustimmte. Die beiden wetteiferten ständig miteinander, aber oft waren sie auch einer Meinung. Vielleicht gab es gewisse Feinheiten, die nur Drachen verständlich waren.
»Geflügel ist eben nur Vogelfleisch. Und einen Vogel zu essen ist unbefriedigend. Er ist zu leicht. Da esse ich schon lieber ein gigantisches Omelett.«
»Das sagst du so, aber in der Gegend, in der ich gelebt habe, hat man nur Vögel oder Rehe gejagt.«
»Aaaah, Rehe ... Das trifft es auch nicht ganz. Fleisch muss von einem biestartigeren Tier kommen, sonst ist es einfach nicht befriedigend. Nein, mehr noch. Sonst fühle ich mich nicht richtig lebendig beim Essen. Salat ist zu artig. Sollte man sich nicht offen der Freude am Essen hingeben?«
»Ich verstehe immer mehr, was Flatorte meint.«
Die beiden erinnerten mich an Jungs aus der Highschool, die nach dem Sporttraining in ein „All-you-can-eat Grillhaus“ eilten. Oder meinetwegen auch Mädchen. Mädchen aus Sport-AGs aßen auch wie die Wilden.
»Ehrlich gesagt ist es nicht gesund, nur Fleisch zu essen. Man muss auf eine ausgeglichene Ernährung achten. Und es ist noch schlechter, so lange alles in sich rein zuschaufeln, bis man papp satt ist. Aber ... «
Zu diesen Worten schlug ich leicht auf den Tisch.
»Aber manchmal hat man im Leben einfach Lust auf ein Gelage. Auf Essen und Trinken nach Lust und Laune. Alle Tiere haben das Bedürfnis, wild zu sein!«
Ich erinnerte mich, wie ich mich früher einmal bei einem Grill-Büfett vollgestopft hatte. Das war nicht übel gewesen.
»Ich wusste es, Gebieterin! Du verstehst die Gefühle von uns Drachen!«
Flatorte lobte mich. Na ja, eigentlich nicht die von Drachen, sondern nur die von Highschool Schülern, aber egal. So entstand meine These: Highschool Schüler aus Sport AGs = Drachen.
»Ich mag auch Fleisch!«
Falfa hob schwungvoll ihren Arm, und Shalsha nickte neben ihr. Ob es daran lag, dass sie Schleime waren, weiß ich nicht, aber meine Töchter aßen fast alles. Und wie viele Kinder mochten sie lieber Fleisch als Gemüse.
»Aber Wildfleisch ist hier nicht einfach zu kriegen. Es gibt nicht so viele wilde Tiere in dieser Gegend.«
Laika legte den Kopf zur Seite und dachte nach. Ja. Das Hochland um uns herum war zu friedlich. Das lag zum Teil auch an mir. Ich hatte nach einem ruhigen Leben verlangt, als ich wiedergeboren wurde, also war ich in ein Gebiet gekommen, in dem es nur schwache Monster und Wildtiere gab.
»Ich kann mit Laika oder Flatorte fliegen, also lasst mich herauskriegen, wo es viele Wildtiere gibt. Einverstanden?«
Das hielt ich für einen ganz guten Kompromiss. Und wenn schon, wollte ich nach einem Ort suchen, der sich auch für ein Picknick eignete.
POCK POCK POCK!
Jemand klopfte zaghaft an die Tür. Vom Ton her war ich mir zu 90 Prozent sicher, dass es sich um ein weibliches Wesen handelte. Oder jemand hielt sich zurück, weil es früher Morgen war und wir noch schlafen könnten. Als ich die Tür öffnete, stand dort Natalie. Sie war eine Angestellte der Gilde im Dorf Flatta. Da meine Familie ihren Lebensunterhalt mit den Zaubersteinen aus der Schleimjagd verdiente und diese bei der Gilde in Gold eintauschte, kannten wir Natalie gut. Vom Profit her brachte Halkaras Fabrik natürlich bei Weitem mehr ein, aber dieses Geld sollte prinzipiell in Halkaras Geldbörse wandern.
»Oh, das ist aber selten, dich hier zu sehen, Natalie. Hast du heute frei?«
»Nein, ich dachte, ich schaffe es noch vor der Arbeit, und bin direkt hierhergekommen. Die Sache ist einigermaßen dringlich.«
Wir gingen nur ein oder zwei Mal in der Woche zum Wechseln in die Gilde, und manchmal zeigten wir uns eine ganze Woche nicht, also war es verständlich, dass sie gekommen war.
»Was ist denn? Du willst wahrscheinlich, dass ich ein Monster erlege, oder?«
Ich betätigte mich zwar nicht als Abenteurerin, aber wenn im Dorf ein Monster auftauchte, erledigte ich das schon mal.
»Genau genommen sind es gar keine Monster, sondern Wildtiere ...«
Wo gab es hier denn solche gefährlichen Tiere?
»Komm erst mal rein. Wenn du schon mal hier bist, möchte ich, dass du es meiner ganzen Familie erzählst.«
Ich ließ Natalie eintreten. Shalsha guckte überrascht, als sie den ungewohnten Gast sah, aber da wir alle gute Manieren hatten, lief es unproblematisch.
»Also, Natalie, was ist los?«
»Es geht nicht um diese Provinz, sondern um eine, die etwas weiter weg liegt. Dort gibt es einen Wald namens Nilka.«
»Ja, richtig.«
Nachdem Shalsha diesen Namen gehört hatte, war sie in ihr Zimmer gegangen. Wahrscheinlich wollte sie eine Geländebeschreibung oder so etwas holen. In Shalshas Zimmer gab es viele Bücher. In dieser Welt waren Bücher kostbar, es konnte also durchaus sein, dass allein sie schon ein Vermögen wert waren.
»Im Wald Nilka gibt es eine Wildschweinsorte namens Langhammer-Wildschwein.«
»Das klingt vertraut. Ach ja, ich habe mal Monster erlegt, die Langspeer-Wildschweine hießen.«
Das war doch, als wir zur Hochzeit von Laikas Schwester geflogen waren.
»Der Name ist ähnlich, aber diese sind keine Monster, sondern Wildtiere. Aus ihnen fallen keine Zaubersteine. Ihr Kopf ist lang und hart, und mit dem stoßen sie zu und erlegen so ihre Feinde.«
Es überraschte mich nicht, dass es so ein Wildtier gab.
»In letzter Zeit haben sich die Langhammer-Wildschweine extrem stark vermehrt, und die dortigen Abenteurer kommen nicht mehr hinterher. Es heißt, auch ziemlich erfahrene Abenteurer hätten Probleme mit ihnen ... Es sind so viele, dass sie die Abenteurer umzingeln und in eine gefährliche Lage bringen.«
»Ja, ich habe gehört, dass es ein Problem werden kann, wenn es so viele sind. Ich kenne mich da aber nicht gut aus.«
Abenteurer hatten mir mal erzählt, dass Monster, die einzeln genommen kein Problem waren, plötzlich zur Gefahr werden konnten, wenn sie einen umzingelten.
So wie Arbeitsaufträge, die jeweils nur eine Stunde in Anspruch nahmen, kein Witz mehr waren, wenn man 15 an einem Tag erledigen sollte. Als ich noch eine Firmensklavin gewesen war, hatte man mir so etwas ständig ganz selbstverständlich aufgedrückt ... Man hatte einfach nicht daran gedacht, mich um eine festgelegte Uhrzeit nach Hause gehen zu lassen. Nein, nein. Ich sollte mich nicht mit üblen Erinnerungen aufhalten. Zurück zu den Wildschweinen.
»Aber sie haben doch eine eigene Abenteurergilde. Können sie nicht einfach Leute anwerben?«
Alles, was recht war, aber wenn man uns schon wegen so etwas um Hilfe bat, würden wir irgendwann nicht hinterherkommen, selbst wenn wir noch mehr Leute wären. Und ich war mir sicher, dass es Abenteurer gab, die Biester von dem Kaliber besiegen konnten.
»Also... Die Gegend um den Wald Nilka ist nur dünn besiedelt ... und sie haben überhaupt kein Geld, um die nötige Anzahl Abenteurer anzuheuern ... Für ein paar könnte es reichen, aber den Betrag für mehrere Dutzend können sie auf keinen Fall aufbringen ...«
Sie brauchten also viele Helfer, hatten aber kein Geld, um diese zu bezahlen. Ja, das waren typische Probleme der Landbevölkerung. An diesem Punkt würde ich gerne die Regierung in die Verantwortung nehmen, aber bei der Mentalität, die in dieser Welt herrschte, würde es wahrscheinlich heißen: »Dann verlasst doch das Dorf und zieht woandershin.« Es war auch nicht ganz unverständlich, dass sie nicht in ein winziges Dorf investieren wollten.
»Die Langhammer-Wildschweine sind so viele geworden, dass sie sogar schon in die Wohngebiete der Menschen vordringen. Wenn das so weitergeht, müssen die Leute vielleicht wirklich ihr Dorf verlassen ...«
Deswegen hatte sie es so eilig gehabt, hierherzukommen. Wenn man nicht schnell etwas unternahm, war das Dorf in Gefahr.
»Ein Hilfegesuch erreichte auch unsere Gilde. Und da dachte ich mir, dass du, ehrwürdige Hexe der Hochebene, und deine Leute die Wildschweine im Nu erledigen könntet ...«
Ehrlich gesagt konnten wir das sogar mit links. Wenn es mir möglich war, das Dorf vor dem Untergang zu bewahren, würde ich es eben tun. Es hätte schließlich auch keine Nachteile für mich.
»Wenn das so ist, übernehmen wir da ...«
»Ja, wir tun es!«
Flatorte fiel mir begeistert ins Wort.
»Wir werden mindestens eins der Viecher pro Minute erlegen. Dafür muss ich nicht mal Drachengestalt annehmen.«
»Du bist ganz schön motiviert, Flatorte ... Nicht, dass das ein Problem wäre ...«
»Gebieterin, ich finde einfach nur, der Auftrag ist wie gemacht für uns Drachen!«
Ich verstand noch nicht so recht.
»Die Wildschweine sind keine Monster, richtig? Das heißt, wenn wir sie erlegen, werden sie nicht zu Zaubersteinen, sondern bleiben als Kadaver zurück.«
»Ja, so will es die Natur.«
»Das bedeutet ein All-you-can-eat Wildschwein-Büfett!«
KLAPPER!
Laika sprang ebenfalls impulsiv vom Stuhl auf.
»Das ist es! Das ergibt Unmengen Fleisch!«
»Mein Magen kann sich endlich mal wieder freuen! Wir müssen da hin!«
Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich die beiden Drachen so aufgeregt sah . . . In unserer Familie gab es nie romantische Abenteuer, wir hatten wirklich mehr Appetit auf Essbares als auf Romantik ...
Natalie sah uns mit offenem Mund entgeistert an.
»Ahm, natürlich könnt ihr sie gerne essen ... Aber es handelt sich nicht um ein oder zwei Tiere ... Ihr könnt nicht sagen, dass ihr nach zweien satt seid und genug von der Jagd habt, versteht ihr?«
Tatsächlich wirkte es so, als hätten wir die Wildschweine nur als Mahlzeit aufgefasst.
»Versteht sich von selbst. Ich esse auch hundert oder zweihundert!«
War ihr klar, wie groß die waren? Wie viele wollte sie eigentlich essen?
»Wildschweinfleisch schmeckt streng, glaube ich. Kennt ihr eine gute Zubereitungsmethode?«
Wildfleisch musste doch nach dem Erlegen sofort abgehangen werden, oder?
»Für uns Drachen ist es vollkommen in Ordnung, wenn das Fleisch streng schmeckt, Gebieterin.«
»Meisterin Azusa, der Wildgeschmack gehört nun mal zum Wildschwein dazu.«
Die beiden sprachen fiebrig auf mich ein. Die Welt der Drachen war aber auch tiefgründig ...
Wir teilten uns auf und flogen auf Laika und Flatorte in Drachenform zum Wald Nilka. Da wir uns dem nahe gelegenen Dorf erklären mussten, nahmen wir auch Natalie mit. Weil sie zum ersten Mal auf einem Drachen saß, war sie zunächst ziemlich verängstigt, aber sie gewöhnte sich bald daran und genoss die Landschaft von oben. Sie war eine ziemlich unerschrockene Person. Vielleicht wurde man mutiger, wenn man sich bei seiner Arbeit ständig mit hartgesottenen Abenteurern abgeben musste. Nachdem wir im Dorf angekommen waren, begrüßten wir den Bürgermeister und fragten ihn nach den Stellen, an denen die Langhammer-Wildschweine aufkreuzten.
»Im Wald fließt ein kleiner Fluss, zu dem die Wildschweine oft zum Trinken kommen.«
»Grillen am Flussufer ... Klingt gut ...«
»Fast wie Camping. Wie chic!«
Die beiden Drachen sahen aus, als würden sie gleich zu sabbern anfangen.
»Dann gehen wir mal los. Aber ... aus Sicherheitsgründen bleiben Falfa, Shalsha und Halkara hier.«
Diese Wildschweine sollten schließlich ziemlich aggressiv sein. Lieber auf Nummer sicher gehen.
»Große Meisterin, ich würde aber gerne im Wald Pilze sammeln ...«
»Ich verstehe dich, Halkara, aber halte dich diesmal bitte zurück.«
So leid es mir tat, aber alles, was ich mir vorstellen konnte, war, dass Halkara umzingelt von Wildschweinen enden würde.
»Halkara, ich würde gerne das Geschichts- und Volkskundemuseum des Dorfs besuchen.«
»Dein Geschmack ist wirklich nicht sehr kindlich, Shalsha. Aber so können wir uns gut die Zeit vertreiben.«
Wie es aussah, würde Halkara auf meine Töchter aufpassen und wir könnten in der Zeit Wildschweine erlegen. Die beiden Drachen und ich brachen in den Wald auf und nahmen den Geist Rosalie zum Auskundschaften mit. Laika und Flatorte waren in ihrer Menschengestalt. Es wäre nämlich auch keine Lösung, wenn sie als Drachen kämpften und dabei den Wald einfroren oder abfackelten.
»Ich kann verstehen, warum sich die Wildschweine so vermehrt haben. Die Wege sind steil und gefährlich. Und weil sie für Menschen schwer begehbar sind, sind sie für die Wildschweine umso sicherer.«
Laika hatte wohl recht. Der Waldweg unterschied sich kaum von den Trampelpfaden der Tiere. Ein Schritt daneben und man landete tief im Wald. Außerdem breiteten sich überall Ranken und Spinnweben aus und störten ungemein.
»Für uns mit unseren hohen Fähigkeiten ist das hier kein Problem, aber normale Abenteurer würden es hassen ... «
♫»Fleisch, Fleisch, bald gibt es Fleisch!«♫
Flatorte war übertrieben begeistert und motiviert.
♫»Überlaufender Fleischsaft, heraus spritzender Fleischsaft , fast wie ein Drink!«♫
Wie groß konnte die Liebe zu Fleisch eigentlich sein? Aber Flatortes Fleischhunger bewies wahrscheinlich auch, wie gesund sie war. Als ich noch Firmenangestellte gewesen war, waren Begriffe wie »vegan« oder »LOHAS¹« in aller Munde gewesen, aber ich hatte damit nicht viel anfangen können. Mein Eindruck war, dass Leute Essen zu Mode machten, und das gefiel mir nicht besonders ...
۞Das war aber nur meine persönliche Meinung.
Wettessen fand ich nicht gut, weil es sich anfühlte, als spiele man mit einer Mahlzeit, aber ordentlich viel zu essen war ein animalischer Instinkt, den ich nicht verkehrt fand. Rosalie schlüpfte durch die Bäume und spähte aus, was vor uns lag. Für unseren Plan war sie unabdingbar. In gewisser Weise fand ich Rosalie, die dauerhaft als Geist existierte, am stärksten von uns allen.
»Jetzt habe ich ein Bild der Lage. Wenn wir weiter geradeaus gehen, geht es bergab und wir kommen zu einem Gebirgsfluss. Geht einfach weiter, Big Sis! Am Bach sind etwa 15 große Wildschweine.«
Laut Rosalie waren es eine ganze Menge.
»15 Wildschweine ... Jaaa! Schnappen wir sie uns!«
Flatortes Motivation überschlug sich nun fast, und sie stürmte durch den Wald vorneweg.
»Bitte keine Alleingänge!«
»Laika, jetzt kommt es darauf an, unsere wilden Instinkte wachzurütteln! Haltet mich nicht auf!«
Laika schien Flatorte zu verstehen und erwiderte nichts darauf. Aber die Ranken und Äste versperrten uns den Weg ... und als es bergab ging, fanden wir Flatorte, die sich im Geäst verfangen hatte.
»Ich wollte mich frei strampeln und jetzt bin ich erst recht verstrickt ... Diese Dinger sind elastisch und lassen sich nicht gut zerreißen ...«
»Das kommt davon, wenn man überstürzt vorprescht ...«
Ich entwirrte die Äste um Flatorte. Wenn sie sich in einen Drachen verwandelte, könnte sie die Dinger mühelos zerreißen, aber das kam wohl nicht infrage.
»Ooooh, Mann! Die Kleider sind schuld, dass ich hängen geblieben bin!«
»Nun reg dich nicht darüber auf. Es ist doch selbstverständlich, Kleidung zu tragen.«
Kopfschüttelnd befreite ich Flatorte aus dem Geäst. Sie griff nach ihrer Kleidung und zog daran, als ob sie sie zum ersten Mal sehen würde.
»Jetzt, da meine wilden Instinkte stärker werden, stören mich diese Dinger«, sagte sie und begann auf der Stelle, sich auszuziehen.
Wobei das Wort »ausziehen« es nicht traf. Sie riss sich die Kleider grob vom Leib und schleuderte sie fort.
»H... He, warte! Was machst du da?!«
»Bist du verrückt geworden?«
»Ach, richtig. Wenn man lebendig ist, kann man seine Kleidung ausziehen!«
Rosalies Äußerung lag etwas daneben. Wir hatten hier eine außergewöhnliche Situation. Wo gab es schon ein junges Mädchen, das sich mitten im Wald die Kleider vom Leib riss?!
»Es tut mir leid, Gebieterin, aber wenn wir blaue Drachen Drachengestalt haben, sind wir natürlich nicht bekleidet. Deswegen empfinde ich Kleidung einfach als lästig ... Die verlockende Aussicht, Wildschwein zu fressen, bringt mich stark in Versuchung, zu meinem ursprünglichen Ich zurückzukehren.«
»Das mag ja sein, aber das gehört sich für ein Mädchen einfach nicht!«
Flatorte hatte sich auch während des Gesprächs weiter entkleidet und stand nun in Unterwäsche da. Dieses Mädchen war aber auch ein Problemkind!
»Keine Sorge. In diesem Wald ist sowieso niemand. Wenn keiner weiß, dass ich nackt bin, ist das so, als wenn ich bekleidet wäre.«
»Was ist das für eine Hyper Logik?!«
Ich fand, sie sollte mit solchen Aussagen vorsichtig sein, um nichts heraufzubeschwören. Doch schließlich hatte Flatorte auch ihre Unterwäsche ausgezogen und fortgeschleudert. Man sah deutlich ihren Schwanzansatz.
»Ich bin frei! Ich bin freeeiii!«
Mit diesen Worten rannte sie den Hang hinab. Sie hatte so viel Schwung, dass man nicht erkennen konnte, ob sie hinunterkullerte oder rannte.
»Da geht sie hin ...«
»Es tut mir leid, Meisterin Azusa, ich möchte mich im Namen aller Drachen entschuldigen ... Diese Person neigte schon früher zu unerwarteten Handlungen. Einmal bekam sie aus heiterem Himmel Lust, sich mit einem roten Drachen zu prügeln, und stand kurz darauf bei mir auf der Matte ...«
Laika fasste sich an die Stirn.
»Ich glaube, ich weiß, was du meinst.«
Als sie damals die Hochzeit attackiert hatte, hatte es auch nicht nach einem ausgefeilten Plan ausgesehen.
»Grundsätzlich ist sie bekloppt ... Was sie allerdings besitzt, ist Tatkraft. Deswegen hat sie die blauen Drachen früher angeführt. Aber es ist eben nur Tatkraft. Richtige Führungsqualitäten hat sie nicht, und ausgefeilte Pläne schmieden kann sie auch nicht.«
»Ihr roten Drachen habt es nicht einfach gehabt, was?«
Wie auch immer, es gab offensichtlich keine anderen Abenteurer, die auf die Wildschwein-Prämie aus waren, also konnte ihr im Wald eigentlich nichts passieren. Umgekehrt würde wahrscheinlich ein Abenteurer, der ihr begegnete, vor Schreckerstarren ... Und sich fragen, warum ein nacktes Mädchen wie wild durch den Wald stürmte.
»Es geht noch weiter einigermaßen steil bergab, also solltet ihr beiden langsam laufen.«
»Ja, danke, Rosalie, wir werden in unserem eigenen Tempo gehen.«
Wir stiegen langsam bergab und brauchten etwa 15 Minuten. Da kam uns Flatorte schon wieder entgegen, und aus irgendwelchen Gründen weinte sie.
»Als ich zum Fluss kam, waren da Leute, und sie haben mich nackt gesehen ..•
»Siehst du. Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich anziehen ...
Aber man hat dir nichts angetan, oder?«
»Nein, es waren Frauen, das war in Ordnung. Sie sahen sehr irritiert aus.«
Wahrscheinlich war es für die Zeuginnen fast schlimmer gewesen.
»Ich habe deine Sachen mitgebracht. Zieh dich jetzt an.« Laika reichte ihr die Kleidung. In solchen Dingen war sie wirklich zuverlässig.
»D... Danke, Laika ... Ich schulde dir etwas ..«
»Schon gut. Zieh dich einfach an.«
Flatorte zog ihre Unterwäsche an und ...
»So! Jetzt ist es nicht mehr peinlich! Bewahre den Rest für
mich auf.«
»Bitte?«
»Ich gehe noch mal zum Fluss!«
Flatorte drehte uns den Rücken zu und lief los. He! Wieso war sie der Meinung, Unterwäsche sei ausreichend?!
»Los, Laika, hinterher! Sonst hält man uns für eine Exhibitionisten-Gruppe!«
»Aber wirklich ... Wir müssen sie wieder anziehen!«
»Ich bin ein Geist, ich kann so schnell fliegen, wie ich will!« Wir rannten durch die Bäume, dem Fluss entgegen.
Etwas später hörten wir Wasserrauschen und wussten, dass das Ziel nah war. Von da an brauchten wir nur noch fünf Minuten bis zum Fluss. Er war flach, aber etwa fünf Meter breit, also war es eine angemessene Wasser- und Futterstelle für die Langhammer-Wildschweine.
»Der Wind ist total angenehm!«
Flatorte tollte fröhlich in Unterwäsche herum.
»Es wäre schön, wenn du aufhören könntest, in dem Aufzug dafür zu werben, wie prima sich das anfühlt ... Du sagtest, da seien Leute gewesen ... Zieh dich an.«
»Huch? Sie scheinen weggegangen zu sein. Ich sehe niemanden mehr.«
Es war tatsächlich kein Mensch da. Vielleicht hatte ihnen die nackte Flatorte einen Schrecken eingejagt und sie vertrieben ... Die Möglichkeit erschien mir am wahrscheinlichsten.
»Ach, und Gebieterin, wir haben jetzt keine Zeit für Kleider.«
»In den meisten Fällen hat Kleidung Priorität, wenn man sonst nackt ist.«
»Naja, aber der Feind nähert sich.«
Ich blickte mich um und sah, wie sich die Langhammer-Wildschweine versammelten. Ihre auffällig hervorspringenden Köpfe wirkten sehr hart. Einige schüttelten ihren Kopf, als ob sie uns einschüchtern wollten. Oder machten sie sich schon mal warm?
»Aha. Sie sind bereit, anzugreifen. Gut, dann bringen wir die Sache zu Ende.«
»Ja, lass und jagen, Gebieterin!«
»Jetzt werde ich euch die Ergebnisse meines Schleim-Trainings mit Meisterin Azusa zeigen!«
Laika sprach zwar von Training, aber ich hatte nichts Spezielles getan. Wir näherten uns dem jeweils nächsten Wildschwein. Erst einmal wollte ich herausfinden, wie sich diese Tiere bewegten. Sie kamen sofort angerauscht, um uns einen Kopfstoß zu versetzen. Wir wichen aus. Ihre Bewegungen waren präzise. Kein Wunder, dass Abenteurern der Angstschweiß ausbrach, wenn sie umzingelt wurden. Ich fing einen Kopfstoß mit der Hand auf.
Es war ein ziemlich schwerer Aufprall.
»Verstehe. Sie sind schon starke Kämpfer.«
Das Wildschwein schien irritiert, weil es mich nicht weg gepustet hatte, und begann heftig zu grunzen und zu schnauben. So, dann wollten wir uns mal an die Arbeit machen. Ich versetzte ihm einen Schlag gegen den Kopf und spürte, dass der gesessen hatte. Ich vermutete, dass der Knochen eingedrückt oder zerborsten war. Das Wildschwein strauchelte und kippte seitlich um. Ich war nicht umsonst Level 99. Als sich das nächste näherte, um mich umzuhauen, duckte ich mich und verpasste ihm einen Aufwärtshaken. Das Wildschwein segelte in hohem Bogen davon und wurde zu Boden geschleudert. Ich hatte den Angriff dem Gegner angepasst, weshalb er vermutlich nicht tot war, denn er zuckte noch.
»Hm, ja, ich denke, das hat gepasst.«
Ich hatte nicht vor, die Angriffe einzustellen, und es war gut, dass ich den Dreh raus hatte. Wie es wohl bei den anderen beiden lief? Laika überwältigte gerade ein Wildschwein mit einer Schlagserie wie ein Boxer.
»Angriff ist die beste Verteidigung! Ihr werdet keine offene Stelle bei mir finden!«
Zum Abschluss platzierte sie einen akkuraten Kick, das Wildschwein flog davon und war k. o. Ein sauberer Sieg wie aus dem Lehrbuch. Eigentlich klar, dass sie selbst in Menschengestalt gegen Gegner dieses Kalibers nicht verlieren konnte. Daraufhin versuchten zwei weitere Wildschweine, sie zwischen ihren harten
Köpfen zu zermalmen, aber sie wich mit einem eleganten Sprung nach oben aus, und die beiden donnerten gegeneinander.
»Ihr habt nicht genug trainiert.«
Naja, es waren Wildschweine. Die trainierten nicht. Gut, Laika hatte kein Problem, aber wie sah es bei Flatorte aus?
»W... Warte! Gib das zurück!«
Flatorte verfolgte ein Wildschwein, an dessen Kopf aus irgendwelchen Gründen ihr BH hing.
»Sag mal, was machst du da?!«
»Oh, Gebieterin. Ich dachte, ich sei ausgewichen, aber dabei ist mein BH an dem Wildschwein hängen geblieben ... He, nicht weglaufen! Kämpfe gegen mich!«
Sie benahm sich ein bisschen wie ein Höhlenmensch ... Aber auch Flatorte verpasste den Wildschweinen, die sich ihr näherten, Hiebe und erledigte sie. Nur den Unterwäschedieb hatte sie noch nicht erwischt.
»Hab ich dich endlich!«
Ein prächtiger Dropkick landete auf dem Wildschwein, das daraufhin bis zum Fluss geschleudert wurde und hineinfiel. Und der BH schipperte den Fluss hinab.
»Waaaaaaah! Er wird weggetrieben! Es tut mir leid! Es war mein Fehler! Ich hätte dich nicht plötzlich ausziehen dürfen, BH!«
Oh, wie unbarmherzig es doch war ... Sosehr Flatorte ihre Arme auch ausstreckte, die Distanz zum BH vergrößerte sich zusehends. Aber die Lage hatte sich noch zusätzlich verschlimmert. Die anderen Wildschweine hatten sich, Flatortes restliche
Kleidungsstücke auf den Köpfen, in Bewegung gesetzt. Wahrscheinlich waren die Sachen auf ihren Köpfen gelandet, während sie sie nach Essen durchwühlt hatten.
»Uaaaaah! Ohne die Kleider habe ich ein Problem auf dem Rückweg! Im schlimmsten Fall könnt ihr die Unterwäsche haben, aber lasst mir den Rest!«
Flatorte sah furchtbar verzweifelt aus. Würde sie etwa gegen diese nicht nennenswerten Gegner Ernst machen? »Blauer-Drache-Kick!«
Flatortes Tritt saß, und das Wildschwein segelte davon, als wäre es aus Papier. Und versank samt Kleidung im Fluss. Ja, genau, die Kleidung auch, wie es sich für ein Klischee gehörte. Und schwamm nun elegant davon.
»Uaaaaaaah! Wartet, wartet! Ja, es waren nicht meine Lieblingssachen, und vielleicht hätte ich sie auch weggegeben, wenn sie heute allzu schmutzig geworden wären, aber trotzdem ... nein, nur das nicht, Stopp!«
Flatorte hätte hinsehen sollen, in welche Richtung sie kickte ... Aber in solchen Situationen konnte man planen, wie man wollte, die Schüsse gingen immer nach hinten los. Flatorte stand fassungslos da, als sich ihr ein weiteres Wildschwein von hinten näherte. Und sein Kopf verhakte sich in ihrer Unterhose. Oh ... Mir war klar, was jetzt kam.
»Warte! Lass uns reden! Ich bitte dich! Bitte, alles, nur das nicht! Vorhin habe ich zwar viel über wilde Instinkte gesprochen, ich weiß, aber Drachen sind kultivierte Wesen!«
RATSCH ... RAAAAATSCH!
Die Unterhose zerriss und verwandelte sich in eine Ex-Unterhose - einen Stofffetzen. In dem Moment wurde in Flatorte ein Schalter umgelegt.
»E... Egal jetzt ... Na gut, Wildschweine! Wenn ihr nackt seid, werde ich, die große Flatorte, auch nackt gegen euch antreten! Das nennt man einen ernsthaften Kampf! Ist es nicht so? Na? Was ist verkehrt daran, nackt zu sein? Gibt es etwa irgendein Lebewesen, das angezogen auf die Welt kommt? Nein, gibt es nicht! An mir ist nichts komisch!«
Oh doch, ganz bestimmt. Alles, was sie machte, war definitiv komisch. Aber wie es aussah, würde sie sowieso nicht mehr zuhören. Flatorte begann, mit rasender Energie Wildschweine zu erlegen. Nach etwa einer halben Stunde machten wir eine kurze Pause von der Wildschweinjagd. Im Endeffekt hatten wir - die Meute, die sich noch in der Nähe aufgehalten hatte, mitgezählt - über 100 Wildschweine erlegt. Wir hatten sie am Ufer des Flusses turmhoch aufgestapelt. Diese Wildschweine waren äußerst aggressiv, und es waren immer mehr gekommen, um uns anzugreifen. So gesehen war es effektiv gewesen, denn auf diese Weise hatten wir viele auf einmal erwischt. Es hätte länger gedauert, wenn wir tiefer in den Wald gemusst hätten, um weitere Tiere zu finden. Für die beiden Drachen stand das Hauptevent allerdings noch an. Laika machte sich gleich daran, am Flussufer das Grillzubehör aufzubauen. Sie hatte großes Gepäck mit sich geführt, und wie es aussah, war alles hierfür gewesen. Nachdem sie mit dem Aufbau fertig war, begann sie, mit einem riesigen Messer Fleisch zu zerschneiden. Ein bisschen achtete sie zwar darauf, dass das Fleisch nicht zu streng roch, aber da die Menge so immens war, konnte sie irgendwann nur noch grob schneiden, schneiden und noch mal schneiden. Flatorte hingegen sammelte still, konzentriert und nackt Brennholz.
»Mittlerweile fühle ich mich richtig gut! Wir grillen und essen Wildschwein im Wald! Das sind die wahren Outdoor Freuden!«
Dass sie nackt herumlief, ging zwar zu weit, aber die Einstellung gefiel mir! Mich wunderte allerdings, dass man in dieser Welt Outdoor Aktivitäten kannte. Ich hätte gerne den Japanern, die damals von »Camping« sprachen, diesen Anblick gezeigt. Hier war rein gar nichts glamourös, und zu essen gab es nur Wildschwein.
»Rosalie, wie sieht es aus? Werden uns in der nächsten Zeit Wildschweine angreifen?«
»Ihr habt die Wildschweine so heftig zurückgeschlagen, dass sie sich zurückgezogen haben. Für eine Weile habt ihr Ruhe. Es sieht nicht so aus, als ob sich ein neues Rudel nähert.«
Dann sprach also nichts dagegen, mit dem Gelage zu beginnen.
»Ich denke, wir haben genug Platz.«
Laika spie Feuer und zündete den Grill an. Es wirkte surreal, wenn aus dem Mund eines Mädchens Feuer schoss, aber ich hatte mich an den Anblick gewöhnt. Das Fleisch brutzelte, und weißer Rauch stieg auf.
»Das Fett spritzt durch die Gegend! Das ist heiß!«
»Du bist auch splitterfasernackt, pass auf! Halte dich fern!« Ich kümmerte mich hauptsächlich um das Fleisch. Die anderen beiden hatten keine Probleme, es halb roh zu essen, ihnen konnte ich es also nicht anvertrauen. Offen gestanden war unter uns dreien niemand, auch ich nicht, der sich mit rohem Fleisch den Magen verdarb, aber ich hatte mental ein Problem damit. In meinem früheren Leben hatte ich mir mal eine Lebensmittelvergiftung eingefangen und mehrere Tage lang gelitten ...
»Fertig! Die Grillparty unter blauem Himmel kann starten!«
»Ooo0oh!«
In dieser Welt gab es keine Grillsoßen, also hatte ich Salz mitgebracht. Wir grillten, salzten, aßen. Fertig.
Das Fleisch hatte einen starken Wildgeschmack, aber das ebenso simple wie kräftige Salz hielt diesen angenehm im Zaum, sodass es wirklich nicht übel war. So hatte Wild zu schmecken. »Das ist gut! Wirklich lecker!«
»Nicht wahr, Meisterin Azusa? Essen wir, so viel wir wollen!«
»Das ist eine wahre Mahlzeit! So sollte Essen sein! Wir lassen es uns wie die Wilden schmecken!«
Von einer Nackten klang das sehr überzeugend ...
Am Anfang hatten wir etwa im gleichen Tempo gegessen, aber nach zehn Minuten machten sich Unterschiede bemerkbar. Ich hatte es langsam satt, nur Wildschweinfleisch zu essen, aber die anderen beiden hatten ihr Tempo sogar noch erhöht. Die Grillplatte war riesig, dennoch legten sie pausenlos weiteres Fleisch auf. Grillen, essen, grillen, essen. Sie wiederholten dies wie ein Perpetuum mobile.
»Es ist so lecker, lecker, lecker!«, so Flatorte.
»Ja, ich spüre, wie Energie durch meinen ganzen Körper rauscht!«, so Laika.
»Zur Hölle mit den menschlichen Tischmanieren!«
»Der Geschmack ist nicht edel und raffiniert, aber selten hat Essen so einen Spaß gemacht!«
Ich war beeindruckt. Drachen blieben einfach Drachen.
»Essen bedeutet Leben, was, Big Sis?«
Rosalie kam neben mich geschwebt.
»Tut mir leid, dass wir dir etwas vor essen, Rosalie.«
»Ach, kein Problem. Ich habe Sis Laika noch nie so strahlend gesehen. Das ist schön. Außerdem empfinden Geister keinen Appetit, deswegen tut es nicht weh.«
Jetzt, wo sie es sagte, fiel mir das auch auf. Wenn es nicht nötig zum Überleben war, konnte auch kein Bedürfnis danach entstehen.
»Willst du nicht kurz von jemandem Besitz ergreifen und ein bisschen essen? Hier gibt es auch einen Fluss. Wenn du da reinspringst, kannst du die Verbindung wieder auflösen. Und da wir eine Nackte haben, wird auch keine Kleidung nass.«
»Gut, wenn ich die Erlaubnis bekomme, probiere ich es mal.« Rosalie schlüpfte in Flatorte. Als sie in ihr war, schrie sie auf und verdeckte ihren Körper.
»Ich bin nackt! Wie peinlich!«
Ah, auch ein Geist entwickelte also Schamgefühl, wenn er in einem Körper steckte ... Ihre Meinung, nachdem sie gegessen hatte, lautete:
»Schmeckt nach Wild ...«
Es war wohl nicht nach ihrem Geschmack gewesen. Wahrscheinlich war es ihr vor dem Essen leckerer vorgekommen. Danach sprang die in Flatorte steckende Rosalie in den Fluss und schlüpfte problemlos wieder aus ihr heraus.
»Das Wasser hat meinen Körper ausgekühlt. Ich werde ihn durch Essen wieder aufwärmen!«
Und wieder biss Flatorte mit wippenden Brüsten ins Fleisch.
So langsam war ich desensibilisiert. Ich nahm gar nicht mehr richtig wahr, dass Flatorte nackt war. Laika verschlang ebenfalls Fleisch, als wenn sie nicht zurückstehen wolle. Kohlenhydrate waren nicht nötig. Sie aßen nur Fleisch. Ich war voll und hatte bei dieser Menge keine Lust mehr weiter zu essen, aber wie Rosalie machte es mir Spaß, zuzugucken. Und mir wurde klar, warum mich diese Szene so zufrieden machte.
»Ich glaube, ich wollte schon immer so eine Art Mädchenparty haben ..«
In meinem Leben davor hatten Mädchenabende immer in einigermaßen schicken Restaurants mit viel Lärm stattgefunden. Zumindest hatte ich es so erfahren. Es war entspannt, da wir nur junge Frauen waren. Man musste sich nicht darum kümmern, wie einen die Männer sahen. Und doch beobachteten wir uns gegenseitig ... Wir wählten unsere Gesprächsthemen mit Bedacht, ließen unauffällig einfließen, wie toll oder erfolgreich wir waren, und versuchten immer, über den anderen zu stehen. Dabei arbeiteten wir nicht einmal in derselben Firma. Wir starteten nicht mal im gleichen Spiel.
Trotzdem gab es viele Frauen, die unbedingt betonen mussten, dass sie glücklicher waren als die anderen. War das nicht sinnlos? Oft hatte ich bei mir gedacht: Dein Leben ist doch mehr, als dich und das tolle Essen auf Instagram zu posten, oder?
So etwas gab es hier nicht. Wir grillten einfach nur Wildschweine und aßen sie. Eine von uns hatte nicht mal etwas an. Hätte ich in meiner Zeit als Firmensklavin manchmal solche Mädchenpartys feiern können, hätte das bestimmt Stress abgebaut und Spaß gemacht. Während ich solchen Gedanken nachhing, kam Rosalie hektisch von ihrer Patrouille zurück.
»Big Sis, da kommen Leute!«
»Was? Und jetzt? Was machen wir mit Flatorte?«
»Es ist jemand, den wir kennen.«
Beelzebub kam mit Vania unterm Arm angeflogen.
»Was macht ihr denn hier?«
Beelzebub sah uns zweifelnd an. Da wir uns wirklich zweifelhaft benahmen, konnte ich mich nicht beschweren. Also antwortete ich wahrheitsgemäß:
»Ääähm, wir grillen Wildschweine.«
»Wir sind gekommen, weil wir dachten, wir sollten euch das hier bringen.«
Vania hielt in ihren Händen Flatortes davon gespülte Kleidung!
»Anfangs habe ich mich gefragt, was das zu bedeuten habe, aber dann dachte ich mir, dass die Besitzerin ohne ihre Kleider bestimmt Probleme hätte, und habe sie gesucht.«
»Danke, Vania! Du hast uns wirklich geholfen!«
Ich bedankte mich sofort an Flatortes Stelle.
Auch Flatorte freute sich in all ihrer Nacktheit:
»Puh, wie gut! Bin ich erleichtert!«
»Ihr seid aber auch wirklich überall«, sagte Beelzebub kopfschüttelnd, aber sie schien es gewohnt zu sein sie kannte uns schon zu lange, um sich wirklich zu wundern.
Wir beschlossen, dass Laika in Drachengestalt Feuer speien und die Kleidung trocknen sollte. Ihre Flammen als Drache waren nämlich mächtiger als die ihrer Menschengestalt. Was für ein Luxus, einen Drachen so einsetzen zu können.
»Ihr habt eine ganze Menge Wildschwein gegessen. Das ist beeindruckend. Dann wollen wir uns auch mal bedienen. Wir dürfen doch?«
»Ja, natürlich, esst so viel wie möglich. Ich kann nämlich nicht mehr. Es schmeckt alles gleich ... «
Wir überreichten Beelzebub und Vania übrig gebliebene Gabeln.
Die beiden Dämonen füllten ihre Münder mit Wildschweinfleisch, als wenn sie Wasser tränken, was so gar nicht zu ihrer äußeren Erscheinung passte. Dämonen hatten einen gesunden Appetit ...
»Hm, gar nicht übel.«
»Diese rustikale Art ist wirklich gut. Aber ich würde gerne noch ein paar Verfeinerungen vornehmen«, sagte Vania und brachte eine große Kiste.
»Ich habe mein Koch-Set dabei.«
In der Kiste waren Gewürze, Lebensmittel, Töpfe und andere Kochgeräte. Wie es aussah, wollte sie sofort anfangen, etwas zuzubereiten.
»Wie? Trägst du das immer mit dir herum?«
»Kochen gehört schließlich zu meiner Arbeit. Ich vergesse nie und nirgends den Geist des Kochens.«
Stimmt, als wir zum Dämonenschloss gereist waren, hatte sie schon einmal für uns gekocht.
»Die Qualität des Fleischs ist gut. Ich glaube, ich kann daraus ein leckeres Wildgericht machen!«
Und in kurzer Zeit entstand ein Wildschweingericht mit Soße, das mit Kräutern auf Tellern angerichtet war.
»So. Das schmeckt ganz anders, vielleicht kannst du davon noch etwas essen?«
Ich probierte sofort, und es schmeckte tadellos. Wie ein Gericht, das in teuren französischen Restaurants serviert wurde!
»Vania, du kochst ja wie eine Profiköchin!«
»Hallo?! Ich bin eine Profiköchin! Deswegen habe ich euch auch letztes Mal bekocht!«
»Hm, ja. Vania besitzt eine Lizenz als Köchin. Ihr liegt das Kochen mehr als Büroarbeit.«
Bei Dämonen gab es sogar Kochlizenzen? Beelzebub hatte sich auf einen großen Felsen gesetzt und genoss elegant das Essen. Man konnte sagen, was man wollte, sie war einfach High Society. Auch Laika und Flatorte genossen das wahre Können einer Profiköchin. Flatorte aß übrigens in Unterwäsche, da der Rest ihrer Kleidung noch nicht getrocknet war. Es wirkte irgendwie wie Badezeug und war somit tolerabel.
»Wenn wir irgendwo wären, wo wir noch andere Zutaten bekämen, hätte ich mehr ausprobieren können, aber für hier habe ich wohl das Beste herausgeholt. Kommt mal wieder zu Besuch ins Schloss Vanzeld.«
»Ja, bestimmt.«
»O... Oh ... Ihr wollt also kommen ... Dann muss ich wieder Vorbereitungen treffen ...«
Beelzebub schien der Gedanke zu freuen, und sie wirkte sogar seltsam verlegen.
»Ja, das schmeckt! Das Essen haben wir mir und meiner Nacktheit zu verdanken! Manchmal ist es gut, sich auszuziehen!« Das war nicht gänzlich verkehrt, aber gleichzeitig auch extrem positiv gedacht! Wenn wir wieder zu Hause waren, musste ich ihr dringend eine Lektion über denn Sinn von Kleidung erteilen.
Laika, die neben uns saß und fertig gegessen hatte, spie noch einmal Feuer, um Flatortes Kleidung fertig zu trocknen.
»Aber wirklich. Als wir vorhin am Fluss waren, kam uns diese nackte Person entgegen und hat uns fürchterlich erschreckt. Vania ist sogar in den Fluss gefallen ... «
Ach, dann waren die beiden die Personen vorhin am Fluss gewesen. So viele Leute verirrten sich nämlich wirklich nicht hierher.
»Und der Bestand an Langhammer-Wildschweine dürfte jetzt ein wenig ausgedünnt sein«, sagte Beelzebub.
»Formal sind wir übrigens im Auftrag der Gilde hier. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Wildschweine gibt«, entgegnete ich.
Da tauchte eine Frage in meinem Kopf auf. Ich hätte sie mir schon früher stellen können, aber die Aufregung um die Nacktgeschichte hatte sie wohl verdrängt.
»Weswegen seid ihr Dämonen eigentlich hier? Die Gilde hat euch bestimmt nicht um Hilfe gebeten.«
»Deswegen.«
Beelzebub deutete mit ihrer leeren Gabel auf das Fleisch.
»Nein, das kann nicht sein. Ihr wusstet doch gar nichts von unserer Grillparty.«
Oder hatten Dämonen vielleicht die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen?
»Nein, nein, wir hatten auch nicht vor, hier zu grillen. Aber es gab einen Plan, die Wildschweine als Nahrungsmittel für uns Dämonen zu verwerten.«
»Was?! So etwas habt ihr geplant?«
Als Laika davon hörte, wurden ihre Flammen für einen kurzen Moment stärker und versengten beinahe Flatortes Sachen.
»Hm. Wir wussten, dass sich die Langhammer-Wildschweine in dieser Gegend übermäßig vermehrt hatten. Deshalb wollten wir sie als Nahrungsquelle ins Dämonenreich schaffen. Heute sind wir gekommen, um die Lage zu erkunden. Wir fanden, wir könnten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, weil wir auch den Leuten aus dieser Gegend einen Gefallen tun.«
»Verstehe ... Die Idee ist mir gar nicht gekommen ...«
»Wenn ich Leviathan-Gestalt annehme, kann ich tausend Wildschweine transportieren. Und während wir zu Schloss Vanzeld fliegen, können wir auf dem Schiff schon das Fleisch zerlegen und verarbeiten«, meinte Vania.
Sie sagte zu sich selbst also »Schiff«...
,Ein Leviathan nahm sich offensichtlich als Schiff wahr.
»Ihr denkt wirklich in großen Maßstäben ... Klar, wenn man in solchen Dimensionen Wildschweine jagt, hat sich die Plage ruckzuck erledigt.«
Ich hatte den Eindruck, dass die Staatsführung bei ihnen glatter lief als bei den Menschen.
»Wir Dämonen sind Vielfraße. Deswegen ist es wichtig, überflüssiges Fleisch effizient zu konsumieren. Wir haben in der Vergangenheit auch mal Hirsche gejagt, als die sich in einer anderen Region zu stark vermehrt hatten.«
»Lady Beelzebub ist unsere Landwirtschaftsministerin. Deswegen fällt der Lebensmittelbereich auch hauptsächlich in ihr Aufgabengebiet.«
Stimmt, das war ja Beelzebubs Hauptberuf! Aufgaben wie diese zu lösen war exakt Beelzebubs Job. Nicht, sich sinnlos überheblich zurückzulehnen und zu verkünden, wie bemerkenswert sie war.
»Kann es sein, dass du eben einen unverschämten Gedanken hattest …?«
»Nein, nein, das bildest du dir ein.«
Beelzebub war ganz schön scharfsinnig ... Endlich waren Flatortes Sachen getrocknet und sie war wieder bekleidet.
»Das ist also die Macht der Zivilisation! Ich komme mir gleich klüger vor!«
»Diese Aussage klingt einfach unglaublich doof. Reiß dich zusammen, immerhin hast du früher einmal die blauen Drachen angeführt.«
Für Laika war es offensichtlich unerträglich, dass sich ihre Rivalin so verhielt.
»Ich beneide sie ein bisschen darum, dass sie ihre Kleider ausziehen kann. Uns Geistern fehlt diese Vorstellung komplett.«
Seit Rosalie mit uns zusammenlebte, schien auch sie sich für Mode zu interessieren. Wenn ich Zeit hatte, würde ich einen Zauber erschaffen, mit dem man ihre Kleider wechseln konnte.
Durch das Dazukommen von Beelzebub und Vania schwand das Fleisch noch schneller als zuvor, aber es waren immer noch Unmengen übrig.
»Sag mal, Beelzebub, was machen wir damit?«
»Wir brauchen mehr Leute. Wir müssen wohl Falfa und Shalsha rufen.«
Halkara war nicht erwähnt worden, aber dahinter steckte kein böser Wille. Beelzebub war einfach nur furchtbar vernarrt in meine Töchter.
»Sieht so aus. Ich wollte sie sowieso rufen.«
»Hm. Ich garantiere dir, dass sie hier sicher sind, also hol sie nur schnell her. Dafür rotte ich diese Langhammer-Wildschweine gerne aus.«
Das war nett gemeint, aber ausrotten musste sie sie nun wirklich nicht.
»Wenn du nicht aufpasst, wird meine Liebe zu den beiden deine überflügeln.«
»Keine Sorge, das passiert bestimmt nicht. Meine Liebe quillt beinahe über ... nein, nicht beinahe - sie tut es schon. Sie ist eine Quelle, die nie versiegt, egal, wie sehr man aus ihr schöpft.«
Als ihre Mutter konnte ich auf gar keinen Fall zurückstehen.
Zwischen Beelzebub und mir stoben Funken. Ich wünschte wirklich, sie würde nicht versuchen, mit der Liebe einer Mutter zu konkurrieren. Konnte sie da nicht mal zurücktreten?
»I... Ich habe nicht gesagt, dass du als Mutter versagt hast.
Lass gut sein ...«
Prima. Beelzebub hatte einen Rückzieher gemacht.
»In jedem Fall müssen wir mehr Leute zusammentrommeln. Das steht fest«, sagte sie.
»Ja. Ihr könnt auch von eurer Dämonenseite Leute einladen.«
Laika sah mich an und nickte lächelnd.
»Ich werde mich höllisch beeilen und die anderen holen.«
»Ja, bitte. Tut mir leid, dass es so kurz nach dem Essen ist.«
»Wenn ich als Drache fliege, muss ich weiter entfernt vom Dorf landen, aber ich werde trotzdem nicht lange brauchen.«
»Super! Ich bitte dich darum!«
Von uns Übriggebliebenen vertiefte sich Vania völlig in die Entwicklung neuer Rezepte und überlegte sich Gerichte aus verschiedenen Wildschweinteilen.
»Bei diesen Langhammer-Wildschweinen ist der Teil mit der Beule charakteristisch in der Textur. Ich werde ihn in Blöcke schneiden, garen, gehackte Kräuter und aromatische Gemüse zugeben und ihn mit süßsaurer Soße begießen.
»Was, echt? Das kann nur gut schmecken!«
»Das Ganze lege ich dann in ein aufgeschnittenes Brötchen, damit man nur noch rein beißen muss. Wollt ihr mal probieren?«
Es gab keinen Grund abzulehnen, also aßen wir. Ja, es war lecker. Das war klar gewesen, aber echt - es war lecker! Obwohl ich im Grunde schon satt war, passte immer noch mehr rein. Flatorte aß schon das zweite Brötchen, obwohl sie nur probieren sollte.
»Flatorte ist jetzt richtig glücklich!«
»Das ist das höchste Lob für eine Köchin.«
Ich hatte gedacht, Vania gehöre auch eher zur Sorte schussliger Witz Chara, aber nun war ihr guter Ruf wiederhergestellt. So wie Halkara hatte sie ein Spezialgebiet, in dem sie wahnsinnig hohe Fähigkeiten besaß.
Während wir noch so redeten, war es so weit. Laika in Drachenform kam mit Halkara und meinen beiden Töchtern zurück. Halkara sagte:
»Du bist zu schnell geflogen. Ich hatte ein bisschen Angst ...«
Auch Shalsha sah ein wenig gedämpft aus. Falfa hingegen war gut drauf und jubelte:
»Das ging so schnell! Es war ein großes Abenteuer!«
In solchen Situationen zeigte sich ihr unterschiedlicher Charakter. Es war wie bei Achterbahnen: Manche hatten Spaß daran, manche nicht.
»So, ihr macht jetzt auch mit bei unserer Grillparty!«
»Hurraaa! Falfa will ganz viel essen!«
»Shalsha ist auch bereit, viel zu essen.«
»Ich ernähre mich zwar vorwiegend vegetarisch, aber ich liebe Partys!«
Ich dachte mir gerade, dass nun die ganze Familie versammelt war, als Beelzebub von hinten erschien. Wahrscheinlich hatte sie einen Teleportationszauber angewendet.
»Ich habe ein paar Leute mitgebracht, damit sie nachher nicht beleidigt sind, weil sie nicht eingeladen wurden.«
Eine der Personen, die hinter Beelzebub standen, war Fatla, Vanias ältere Schwester. Als ich den Dämonenverdienstorden erhalten hatte, hatte sie uns auf dem Hinweg geflogen und auf dem Rückweg bedient. Da war auch der Kampfkunst-Schleim Kampsly, der unter Beelzebub zu trainieren begonnen hatte. Und außerdem noch jemand mit charakteristischen Schafhörnern ...
»Ach, große Schwester, es ist wie ein Traum, dass wir gemeinsam essen können!«
»Oh, Pecora, lange nicht gesehen. Obwohl - es kommt mir so vor, als würden wir uns oft begegnen.«
Pecora huschte nah an mich heran und schlang ihre Arme um meine Hüften.
Sie war eine ziemlich starke Kämpferin. Wenn ich unaufmerksam war, gelang es mir nicht, sie auf Abstand zu halten.
»Dein Duft ist unheimlich lecker, große Schwester.«
»R... Red keinen Unsinn und iss lieber von dem leckeren Fleisch.«
So ging die Wildschwein-Grillparty mit mehreren Leuten weiter. Da auch Vanias Gerichte hinzugekommen waren, gab es viel Auswahl. Im Vergleich zum Anfang, als wir nur pures Fleisch in uns hinein geschlungen hatten, ging es jetzt sehr viel zivilisierter zu. Alle neu Hinzugekommenen waren ebenfalls am Lächeln. Es zeichneten sich auch neue Freundschaften ab, zum Beispiel waren Shalsha und Fatla in ein Gespräch vertieft. Beide waren eher stille, in sich ruhende Charaktere, weshalb sie sich wohl gut verstanden.
Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich einem Grill-Event am Fluss nichts hätte abgewinnen können, aber die waren vorbei.
»Es ist doch sinnvoll, Fleisch zu essen, oder, Gebieterin?«
Flatorte hatte so viel Fleisch auf ihrem Teller aufgestapelt, dass ich mich ernsthaft fragte, wie ihr Magen beschaffen war. Sie lachte mich an.
»Es gibt den ein oder anderen Punkt, über den du nachdenken solltest, aber gut. Heute sehe ich drüber hinweg.«
Schließlich hatte ich auch Spaß an diesem Event. Es wäre wohl nicht sehr überzeugend, sie lächelnd zurechtzuweisen. Heute würden wir einfach nur gemeinsam Spaß haben.
»Ich glaube, es müssen noch ein paar Wildschweine mehr erlegt werden. Wir sollten nachher noch mit Beelzebubs Gruppe eine Runde jagen.«
»Ja, Gebieterin!«
Später erlegten wir noch mehr Langhammer-Wildschweine.
Und zwar richtig viele. Diese froren wir mit Flatortes Eis-Atem ein, luden sie auf Vania in ihrer Leviathanform und transportierten sie ab. So hatte sich die Zahl der Wildschweine erheblich verringert und die Gilde war uns dankbar.
Danach erschienen die Dämonen öfter zum Jagen, wenn sich irgendwo eine Tierart zu stark vermehrt hatte, nicht nur Langhammer-Wildschweine, sondern auch Hirsche oder andere Wildschweine. Es war keine reine Wohltätigkeitsveranstaltung von ihnen, da sie für sich selbst Nahrung gewannen, aber der Gegend half es ebenfalls, also war es gut. Und auch in meinem Garten war etwas Neues dazugekommen. Auf dem Boden war ein Deckel, und wenn man den abnahm, kam eine Leiter zum Vorschein. Und am Ende dieser Leiter lagerten tiefgefrorene Fleischblöcke. Richtig, wir hatten einen kalten Kellerraum gebaut. Dort bewahrten wir hauptsächlich tiefgekühltes Fleisch auf. Schon vorher hatten wir durch meine Magie oder Flatortes Eis-Atem Lebensmittel einfrieren können, aber da sie so viel Platz wegnahmen, hatten wir uns darauf beschränkt, Reste einzufrieren. Aber nachdem sich herausgestellt hatte, dass wir sehr große Esser unter uns hatten, hatte ich für Raum gesorgt, um große Mengen Fleisch aufzubewahren.
»Hm, es ist so schön kühl und angenehm hier. Wenn ich so etwas als Kind gehabt hätte, wäre ich bestimmt begeistert gewesen.«
Auch wir jagten jetzt Wildschweine und Hirsche, die sich zu stark vermehrt hatten, für unseren persönlichen Konsum und bewahrten sie hier auf.
»So, dann hole ich uns mal etwas Hirschfleisch fürs Abendessen hoch.«
Mein Repertoire an Wildgerichten hatte sich spürbar vergrößert. Vielleicht sollte ich aber doch noch einmal bei Vania in die Lehre gehen. In dem Moment hörte ich ein seltsames Rascheln.
War irgendjemand hier eingedrungen? Abgeschlossen war der Raum schließlich nicht. In solchen Momenten bekam ich Angst, trotz meines hohen Levels. Denn egal, wie hoch mein Level war, da war noch etwas Mädchenhaftes übrig. Hoffentlich war es kein Perverser. Dass ein Wildtier eingedrungen war, war nicht undenkbar, aber in dieser Gegend gab es nicht so viele. Der Wald lag ein ganzes Stück entfernt. Oh, vielleicht war es auch ein Schleim? Der Keller war ziemlich groß. Zögernd ging ich weiter hinein. Wieder hörte ich ein Rascheln. Verhört hatte ich mich also nicht. Ich ging entschlossen in die hintere Ecke.
»Wer ist da? Hausfriedensbruch lasse ich nicht zu!«
Aber es war nur Laika, die mir den Rücken zukehrte und irgendetwas tat.
»Oh ... Meisterin Azusa ... «
Ihr Gesicht war pures Schuldbewusstsein. Es war deutlich, dass sie etwas getan hatte, weswegen sie sich verstecken wollte. Ich wusste nur nicht, was es war.
»Was machst du da? Ich werde nicht schimpfen, also sag es mir. Na ja, vielleicht ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich sauer werde, doch nicht gleich null, aber ich gebe mein Bestes. Also rück raus mit der Sprache.«
Als Laika sich verstört umdrehte, sah ich ein Stück gebratenes Fleisch in ihrer Hand. Es roch würzig, sie schien es an Ort und Stelle mit ihren Flammen gegrillt zu haben ...
»Naschst du etwa ...?«
Laika nickte stumm. Ich hatte sie auf frischer Tat ertappt, abstreiten war zwecklos.
»Ich hatte großen Hunger und dachte mir, hier unten ist so viel Fleisch ... Es tut mir leid.«
Dann hörte man auch noch ihren Magen laut knurren. War sie so ausgehungert gewesen ... ?
»Verstanden ... Ich werde ab jetzt unsere Essensrationen erhöhen. Dann kannst du mehr essen als bisher und wirst auch richtig satt. Du machst ja keine Diät, also sollst du dich auch nicht zurückhalten.«
»Vielen Dank, Meisterin Azusa!«
Laika machte mit dem Fleisch in der Hand eine Verbeugung.
»Hm, ja, dann iss erst mal dieses Stück auf.«
Laika biss hungrig ins Fleisch.
»Warst du etwa die ganze Zeit ausgehungert?«
»Nein, so ist es nun nicht ... Es ist eher ein Snack für mich!« Laika schüttelte heftig den Kopf.
Es bestand kein Zweifel, dass sie sich schämte, denn was sie tat, gehörte sich nicht. Aber anders betrachtet war es für sie normal, als Nachmittagssnack an einem Fleischbrocken zu knabbern. Ich musste offensichtlich noch viel über die Gewohnheiten von Drachen und anderen Lebewesen lernen. Ich durfte nicht passiv auf Informationen warten. Von zurückhaltenden Typen wie Laika war nicht immer zu erwarten, dass sie offen sagten, was sie wirklich dachten.
»Gut, und noch etwas. Ich werde meinen heutigen Kochdienst verschieben.«
Ich machte eine Ansage:


»Dafür gehen wir heute alle zusammen ins Lokal Zum schlauen Adler und schlagen uns die Bäuche voll! Ihr könnt so lange bestellen, bis ihr satt seid!«
Wir gingen ins Dorf Flatta und stürmten in die Gaststätte Zum schlauen Adler.
»Wir hätten gerne zehn Omeletts, für jeden ein Kaninchensteak, also sechs, und sechsmal Salat ... wie, du willst keinen? Keine Widerrede, den isst du auch!«
Shalsha hatte den Salat abgelehnt, aber sie sollte sich ebenfalls ausgewogen ernähren.
»Bei euch geht es ja auf einmal noch lebendiger zu ...«, sagte die Wirtin kopfschüttelnd.
»Wir haben beschlossen, unsere Einstellung zum Essen ein bisschen zu verändern. Schließlich sind alle noch in der Wachstumsphase.«
Die tatsächliche Lebenszeit ignorierten wir einfach. Wenn man aussah, als sei man noch am Wachsen, dann war das eben so. Falls wir dick werden sollten, würden wir uns etwas überlegen. Jetzt schlugen wir erst einmal zu! Flatorte war noch nicht zufrieden und beäugte ernst das Menü. Sie sah aus wie eine Schülerin, die kurz vor der Klassenarbeit noch etwas im Buch nachlas.
»Gebieterin, darf ich auch dieses Gericht mit Gans essen?«
»Natürlich, Flatorte. Bestell dir, was du möchtest!« »Gebieterin, darf ich auch dieses Lammgericht bestellen?«
»Klar. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich bin ziemlich
großzügig!«
»Gebieterin, sie haben auch Wildtaube. Darf ich das auch nehmen?«
»Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich genug Geld mitgebracht habe, aber im schlimmsten Fall lasse ich anschreiben. Bestell ruhig!«
Laika allein wäre unproblematisch gewesen, aber wenn jemand anders auch so viel aß, würde mein Portemonnaie ganz schön leiden ...
»Du solltest lernen, dich ein bisschen besser zu beherrschen.
Ich nehme auch die Gans, das Lamm und die Wildtaube, bitte.«
Hatte Laika nicht mitbekommen, dass sie gerade genau das Gleiche nachbestellt hatte wie Flatorte? Aber ich wollte nichts sagen.
Jener Abend kostete mich schließlich über 70.000² Gold, aber es war in Ordnung, da wir viel Spaß hatten!
Übrigens: Am nächsten Tag erlegten Laika und ich mehr Schleime als sonst.
¹Abk. für »Lifestyles of Health and Sustainability«, Bezeichnung für Personen, die besonders gesundheitsbewusst und nachhaltig leben wollen.
²Entspricht ca. 550 €.



 
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