Coronar, du unterliegst dem Fehler, den heutzutage fast alle Menschen machen, indem du den Menschen auf das Bild eines Egoisten reduzierst. Versuche mit Kleinkindern und psychologische Studien legen jedoch den Schluss nahe, dass der Mensch von Geburt an kein Egoist ist. Der Mensch ist in der Hinsicht laut Vergleichsstudien mit Tieren sogar eines der sozialsten Lebewesen auf dieser Welt. Es gibt da einen sehr anschauliches Experiment, wo zwei Kindern jeweils ein verdeckter Teller hingestellt wird, dessen jeweiligen Belag sie dann essen dürfen. Bei einem Kind ist der Teller leer, beim anderen befindet sich ein belegtes Brot.
Eine überwältigende Mehrheit der Kinder kommt freiwillig und ohne Einfluss von außen selber auf die Idee, dieses Brot mit dem anderen Kind, das leer ausgegangen ist, zu teilen. Affen tun das zum Beispiel nicht. Ein Düsseldorfer Institut hat sogar festgestellt, dass genau dieselbe Reaktion bereits bei wenigen Monate alten Kleinkindern messbar ist.
Ähnlich verhält es sich auch bei Vergleichsversuchen des Max-Plank-Institus in Leipzig, wo anstatt Essen Spielzeug verwendet wird. Der Zusammenhang soll dabei noch größer sein, wenn die Kinder zuvor auch schon zusammengearbeitet haben.
Die Menschen also als zwanghafte Egomanen darzustellen, die nur an sich denken, ist somit schlicht und einfach falsch. Daher ist der Schluss, dass Geld die einzige Motivationsquelle für Arbeit ist, ebenfalls nicht zulässig und faktisch inkorrekt.
Es gibt mehr Motivationsgründe, als der eigene Überlebenswillen. Wäre das so, dann müsste unser Land doch vor Sozialschmarotzern überquillen. Ist doch schließlich freies Geld, ohne großartig etwas dafür tun zu müssen.
Klar, es gibt immer Ausnahmen. Leute, die dann unser Sozialsystem nach Strich und Faden ausnutzen kennt ja jeder durch Fernsehen und Medien. Aber fast alle Menschen in Deutschland gehen doch einer Arbeit nach. Warum denn, wenn das System auch freiwillig das Geld zur Verfügung stellt?
Ich zum Beispiel gebe mich damit auch nicht zufrieden, obwohl das Leben als Arbeitsloser sehr bequem ist und ich finanziell deutlich besser dastehe, als jemals zuvor in meinem Leben. Dennoch möchte ich arbeiten und warum? Weil ich Ideale habe und Ziele, die ich erfüllen möchte. Und das muss auch der Zusammenhang sein, finde ich. Dass man aufhört, sich über Besitz zu definieren und anfängt, sich über Leistung und Erfolge zu definieren. Das ist ja auch der Grundgedanke vom Kommunismus: Wenn alle Menschen gleich sind, dass heißt, gleiche Möglichkeiten haben, sich alles, was sie wünschen, selber zu geben, dann fällt der Gedanke an Neid und Geiz weg, weil er überflüssig wird. Denn er ist ja nur von materieller Ungleichverteilung abhängig und schafft man eine Möglichkeit, dass alle alles haben können, gibt es schlicht und einfach keine ungleiche Verteilung mehr. Und dann ist der einzige Weg, sich bei anderen Ansehen zu erwirken, über die Persönlichkeit und über die erbrachten Leistungen und Erfolge. Und die kann man nun einmal nicht in Geld messen.
Nehmen wir Johann Sebastian Bach. Schon Jahrhunderte tot, aber weltbekannt dadurch, dass er einfach ein musikalisches Genie war und Maßstäbe gesetzt hat. In den Medien wird er zusammen mit Goethe, Schiller und einigen anderen großen Namen als einer der wichtigsten Deutschen jemals gehandelt. Warum war er dann sein Leben lang arm wie eine Kirchenmaus und hat von seinem Weltruhm zu Lebzeiten selbst nicht einmal ein bisschen was mitgekriegt?
Ich vertrete wehement die Annahme, dass der Mensch nicht als Egoist geboren wird, sondern dazu erzogen wird. Das fängt an im Kindergarten mit der Mentalität "der Stärkste setzt sich durch", geht weiter in der Schule über das in meinen Augen völlig ungerechte Notensystem (wer dem Lehrer gefällt und sagt, was er hören will, der ist besser als die anderen) und findet dann schließlich in Studium und Beruf seinen Höhepunkt, wo nur noch Ellenbogenmentalität gefragt ist und keiner mehr auf den anderen Rücksicht nimmt. Das sind die tollen Früchte unseres supertollen Kapitalismus.
Ich stimme dir ja zu, dass Geld nicht grundsätzlich schlecht ist. Aber die Verwendung und Umsetzung in unserem System, sowie das dadurch vermittelte Menschenbild, von dem erwartet wird, dass wir uns ihm willenlos unterwerfen, ist eine menschliche, sowie soziale Katastrophe.