Ich glaube, das ist dasselbe Paar Schuhe. Es geht in der Philosophie um Erkenntnisse, subjektive und objektive. Das kann sich jedoch nur auf das Ziel der Ueberlegungen beziehen (Erkenntnis ueber jemanden Oder etwas), da der Denkende niemals Objekt ist. Objektivitaet ist daher lediglich eine subjektive Illusion. Das jedoch tut dem Bemuehen eine objektive Erkenntnis zu treffen keinen Abbruch und sollte es auch nicht tun. Denn der wahre Philosoph gibt sich nicht mit der einfachen Antwort zufrieden, dass er einfach nicht koenne, was er sich wuensche. Nein, es zeichnet ihn aus, dass er versucht die Grenzen von Objektivitaet und Subjektivitaet zu ueberwinden, es ist Ausdruck seiner Leidensbereitschaft und somit seines Wahrheitsdrang, der unermesslich gross in einem Philosophen sein muss. Da das wahre Philosophentum dem Maertyrertum gleichkommt und eine undankbare Kunst ist, kann so der Philosoph gar nicht zu der abschliessenden Erkenntnis gelangen, die er sich wuenscht. Denn immer wieder muss er erkennen, dass die Grenzen seiner Wahrnehmung nur einen verschwindend geringen Teil der Wahrheit miteinschliessen, nach der er sich so sehnt. Also reibt sich der Philosoph immer wieder an der eigenen Existenz auf, die es ihm versagt, wahrhafte Erkenntnis gelangen. Sich so seines rein physischen Makels bewusst, besteht die erste und einzige Erkenntnis eines Philosophen darin, dass der Mensch nicht zum erkennen geschaffen ist und folglich nichts wissen kann. Alles was er weiss, alles was er glaubt, ist lediglich eine Illusion. Doch so bitter diese Erkenntnis auch sein mag, so furchtlos stellt sich der Philosoph dem entgegen, um unermuedlich, immerwaehrend diese Worte Luegen zu strafen.
Ja, die Erkenntnis ist lediglich subjektiv. Aber wieso sollte das dem Philosophen ein Hindernis sein? Ganz im Gegenteil, es ist seine Erfuellung, dass er nichts weiss und nie wissen wird und sich dessen sogar bewusst ist! Denn das heisst, dass er schon mehr weiss als viele andere und sich von allerlei unnuetzem Ballast befreit hat. Was waere es denn fuer ein Leben fuer den Philosophen, wenn er suchen und streben und leiden wuerde und dann ploetzlich, weil seine "Voraussetzungen" so "ideal" waren, waere er unwiederruflich im Besitz "der Wahrheit". Und dann? Ist er nicht ein Mensch, der hinterfragt, zweifelt und keine eindeutigen Antworten akzeptieren kann, nennt er sich nicht Philosoph? Wie koennte denn ausgerechnet ein Philosoph auf eine so eindeutige Wahrheit stossen, wo in ihm doch das wahre Bewusstsein erkannt hat, dass es keine eindeutigen Wahrheiten gibt, seine Wahrnehmung truegerisch und ueberhaupt viel zu begrenzt ist? Nein, der Philosoph ist derjenige, der nur zuallerletzt, und wenn er besser als jeder andere ist, niemals seine Antworten erhaelt, weil er weiss, dass all die Erkenntnisse nur fuer die kleinen Menschen wie Wahrheiten aussehen, sich so anhoeren und anfuehlen. Der Philosoph aber ist Ausdruck seines Suchens und somit seines Zweifelns, keine Antwort als Genug zu akzeptieren und seines Leidens, keine Antwort zu erhalten, die genuegt. Ja, der Philosoph ist ein Maertyrer und irgendwo ein Wahnsinniger, ein ewig Suchender. Denn wer keine Antwort zaehlen laesst, wer immer nur "die" Wahrheit sucht, ist ein Mensch ohne Anker, ruhelos und zerrissen. Wunder, wenn er nicht wahnsinnig wird. Doch die Menschen lieben ihre Toten und besonders ihre Maertyrer, deren Leben Ausdruck suessen, menschlichen Leidens waren. So wird noch jeder geisteskranke Verirrte pathetisch verklaert und in Geschichtchen idealisiert. Man sollte jedoch nie vergessen, dass Philosophie tief in den (eigenen) Geist hineinfuehrt und dort abertausende Irrwege auf einen warten. So ist denn Philosophie letzten Endes eine Suche, eine harte und unerbittliche, die geradezu verlangt, dass du dich verlaeufst. Denn wer anfaengt, sich Glaubenspfeiler und Wegmarkierungen zu setzen, der wandelt ploetzlich auf ausgetrampelten Pfaden, die nicht mehr viel mit Wahrheit zu tun haben. Aber die Wahrheit befindet sich ganz tief unten im Kaninchenbau, dort wo es am finstersten und einsamsten ist. Und nur allzuleicht kann man sich verlieren. ABER (und das ist das Wichtigste!) Wahrheit kann nur dann gefunden und erfahren werden, wenn dieser Weg gegangen wird und wenn sich der Philosoph systematisch verirrt und selbst aus den Augen verliert, bis da nur noch die rohe Verwirrung und Angst uebrig ist. Wenn er alles vergessen hat, was er je zu wissen glaubte, wenn er alles verleugnet hat, was er je gewesen, wenn er mit der existenzialistischen Todeangst um sein Leben gerungen und diesen Kampf in purer Verzweiflung, nur das eigene Ueberleben vor Augen, gewonnen hat, DANN findet er Wahrheit.
Wer ein Philosoph sein will, der toetet sich zuerst selbst und gebaert sich anschliessend neu, um der Wahrheit willen.