„Ihr Libertas müsst wohl immer so eine Bitterkeit verbreiten, hm?“
Auf Maels Bemerkung hin herrschte auf der Brücke plötzlich gespannte Stille. Wollte er etwa ihre Autorität in Frage stellen? Selbst ihm schien klar zu sein, dass er zu weit gegangen war. Jedenfalls erweckte sein verlegenes Grinsen diesen Eindruck. Die Männer an Eleanors Seite warteten nur auf ein Zeichen ihrer Kommandantin, um sich den Käpt‘n vorzuknöpfen. Und für einen Moment war sie auch versucht, Aarksson für diese Frechheit auspeitschen zu lassen.
Doch nach einem kurzen Moment des Überlegens ließ sie diesen Gedanken fallen. Den Käpt‘n zu bestrafen würde die Kluft zwischen Libertas und Mannschaft nur vertiefen, was der Mission nicht dienlich wäre. Also beließ sie es bei einem warnenden Blick mit einer hochgezogenen Augenbraue, die „Vorsicht!“ signalisieren sollte. Aber einfach vergessen würde sie die Angelegenheit auch nicht. Sie würde mit dem Käpt‘n unter vier Augen Tacheles reden.
Ihre Aufmerksamkeit hatte sie derweil schon wieder auf das Spektakel an Deck gerichtet. Der Matrose, den alle nur „Pfeife“ nannten - wohl, weil er mit seiner Tabakpfeife förmlich verschmolzen zu sein schien - und einige andere Matrosen ,die ihn unterstützten, zahlten die Wettgewinne aus. Zur Sicherheit hatte sie zweien ihrer Männer befohlen, das Ganze unauffällig zu überwachen und bei Bedarf einzugreifen, doch - zumindest bisher - waren ihre Befürchtungen unbegründet geblieben.
Als Aarksson sie über den bevorstehenden Ringkampfabend informierte, schrillten bei ihr alle Alarmglocken. Bei all den Mitgliedern untereinander verfeindeter Piratenbanden konnte dieser sportliche Wettstreit schnell zum Kampf auf Leben und Tod werden. Auch der Gedanke, dass Libertas und Piraten aufeinandertreffen könnten, erfüllte sie mit Unbehagen. Dennoch versuchte sie gar nicht erst, den Käpt‘n davon abzubringen. Er hatte gleich zu Beginn erklärt, dass dieser Ringkampf eine Tradition an Bord des Schiffes sei. Dennoch hätte sie den Libertas am liebsten die Teilnahme untersagt, aber in der kurzen Zeit wäre das nicht ohne Aufsehen zu erregen möglich gewesen. Also biss sie in den sauren Apfel und hoffte, dass es nicht dazu kommen würde.
„Maria Tanaka gegen Elisabeth Nilson!“
Ihre Hoffnung wurde nicht erfüllt. Aus der umstehenden Menge trat eine junge, schlanke – um nicht zu sagen, dürre - Frau mit langem, zu einem Zopf zusammengebundenem schwarzen Haar hervor. Das linke Auge war von einer Augenklappe bedeckt. „Die stand mir doch im Weg, als ich zurück an Bord kam?“ Schon ein paarmal war ihr dieses Mädchen negativ aufgefallen, lief sie doch immer ein wenig tagträumerisch an Deck herum. Warum hatte sie sie eigentlich ausgewählt? Ach ja, ihr Name stand auf Adeolas Liste, die wiederum eine Auswahl aus den von vielen Offizieren und Ausbildern eingereichten Namenslisten war…
„Eine Piratin gegen eine Libertas... das könnte interessant werden.“ Maels Worte unterbrachen Eleanors Gedankengang. Mit zu Schlitzen verengten Augen fixierte sie dieses Mädchen. „Wir werden sehen.“ Sagte sie zu Mael.
„Wehe wenn du verlierst, Kleine!“
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Angesteckt von der Begeisterung der umstehenden, hatte Maria den Käpt’n angefeuert. Schon bald nach Beginn des Kampfes war sie davon überzeugt, dass Aarksson gewinnen würde, und sie hatte recht behalten. Während Pfeife die Wettgewinne auszahlte, beobachtete sie die Menge. Sie selbst hatte nicht gewettet. Sie verabscheute es, Geld auf etwas zu setzen, das sie selbst nicht beeinflussen konnte. Ganz anders verhielt es sich da bei ihrem Kampf. Dessen Ausgang hing von ihr ab, und auch wenn sie das Ganze als großen Spaß betrachtete, verlieren wollte sie dennoch nicht. Als sie so in Gedanken versunken umherblickte, schien sich plötzlich jemand zu verstecken. „War das nicht mein Gaffer?“
„Maria Tanaka gegen Elisabeth Nilson!“
Der Klang ihres Namens lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Ring. „Lasst mich mal durch, ja?“ Sie drängte sich zwischen den Männer durch, von denen einige jetzt schon grölten. Jemand klopfte ihr auf die Schulter und sagte: „Viel Glück, Kleine!“ Sie drehte sich um und sah in die mattgrünen Augen eines Mittvierzigers. Miller aus dem Ausguck?„Der hat wohl auf mich gewettet…“ dachte sie und antwortete mit „Ja, Danke.“
Schon hatte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Ring gerichtet. Ihr gegenüber war ihre Kontrahentin vorgetreten, eine dunkelhäutige, athletische Piratin, etwas größer als sie. Und auch älter, sie schätzte sie auf höchstens Anfang 30. Mit einem arroganten Grinsen, das einige Goldzähne aufblitzen ließ, stellte sie sich breitbeinig hin und grüßte siegessicher die Zuseher.
Maria hatte in aller Ruhe ihren Mantel abgelegt und war ebenfalls in den Ring getreten. Pfeife winkte beide zu sich in die Mitte, erklärte nochmal die Regeln und gab schließlich den Ring frei.
Die Frauen belauerten sich gegenseitig, umkreisten sich. Immer wieder stürzte die Piratin nach vor, versuchte Maria zu packen, doch die konnte jedes Mal ausweichen. Doch auch Marias Versuche, die Piratin zu packen, schlugen fehl.
„Du flaches Weißbrot, lauf lieber gleich davon, ehe ich dich über Bord werfe!“ versuchte die Piratin, Maria zu verunsichern. Diese lächelte nur. „Fällt dir nichts Originelleres ein?“erwiderte sie. Dabei waren ihre Augen immerzu auf ihre Gegnerin fixiert, registrierten jede kleinste Bewegung, jeden zuckenden Muskel, der eine kommende Bewegung ankündigte.
Die Frauen stießen aufeinander, nahmen sich gegenseitig in den Schwitzkasten und versuchten der jeweils anderen das Bein zu stellen, doch keine vermochte den entscheidenden Vorteil zu erlangen, der sie triumphieren lassen würde. Schließlich lösten sie sich wieder voneinander, um erneut in Lauerstellung zu gehen.
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Gespannt verfolgte Eleanor den Kampf der jungen Libertas. Obwohl scheinbar regungslos mit verschränkten Armen verharrend, konnte der Beobachter doch ein leichtes Minenspiel in ihrem Gesicht erkennen. Ein Aufblitzen der Augen, wenn Maria vorpreschte, ein missbilligendes zucken mit dem Mundwinkel, wenn der Angriff fehlschlug, ein zusammenkneifen der Lippen, wenn die Piratin Maria fast erwischte…
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Erneut prallten die Frauen aufeinander. Schweißgebadet konnten sie die andere kaum noch greifen. So packten sie sich an den Schultern und versuchten sich gegenseitig aus dem Ring zu schieben. Die Binden, die ihre Brüste bedeckten, hatten sich schon etwas gelockert und waren verrutscht. Die Männer grölten, ein paar vergaßen sogar auf ihre gute Kinderstube.
Langsam aber sicher gewann die Piratin die Oberhand. Marias Kräfte schwanden, sie konnte der kräftigeren Frau nicht mehr langer dagegenhalten. Plötzlich kam ihr ein Gedanke: „Sei wie das Gras im Wind!“
Maria versuchte nun nicht mehr, dagegenzuhalten, vielmehr dirigierte sie durch vermeintliche Gegenwehr ihre Kontrahentin in eine geeignete Position und ging langsam in die Knie. Und dann, als die Piratin ihren vermeintlich schon sicheren Sieg besiegeln wollte, umfasste Maria sie plötzlich bei der Hüfte, schnellte in einer leichten Drehung aus den Knien hoch und beförderte sie mit Schwung aus dem Ring.
Pfeife rief Maria zur Siegerin aus. Diese riss freudestrahlend, die Hände zu Fäusten geballt, die Arme nach oben. Die Piratin, noch völlig perplex von der plötzlichen Wendung, wollte sich wohl mit ihrer Niederlage nicht abfinden. „Na warte, du…“ weiter kam sie nicht.
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Mit zunehmender Unruhe verfolgte Eleanor den Kampfverlauf. Ohne es eigentlich zu wollen, hatte das Spektakel sie in den Bann gezogen. Dennoch machte sie sich Gedanken, welche Folgen ein Sieg der Piratin über die Libertas haben könnte. Im schlimmsten Falle könnten einige Dummköpfe sogar eine Meuterei wagen…
Der überraschende Zug der jungen Libertas wendete plötzlich das Blatt. Eleanor ballte die Faust und stieß ein kurzes, gepresstes „Ja!“ aus. Schnell fing sie sich wieder und schaute zu Mael, ob er es bemerkt hatte.
Tja, wer von den Piraten bringt Elisabeth zur Besinnung? Und hat Mael Eleanors Jubel bemerkt?
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