
Kurz schreckte Aisling zurück als eine Gestalt unvermittelt zu ihr und den Elfen trat. Doch als sie erkannte, dass es sich um den vermuteten Anführer handelte, an den sie sich schon fast hatte wenden wollen und er zudem noch Worte sagte, die Hilfe versprachen, entspannte sie sich wieder etwas, blieb jedoch weiter auf der Hut.
"Sie mögen zur Ablenkung dienen, aber sie sind dann immer noch da", wandte sie auf Milas Worte zum Einsatz der Bluthunde bei einer Befreiungsaktion ein. Doch das Gesagte blieb vermutlich ungehört, da genau in diesem Moment eine Knabenstimme laut nach dem Anführer rief, der offenkundig Milas hieß. Den Elfen ein paar Befehle zurufend war der Mann so schnell wieder verschwunden wie er aufgetaucht war. Aisling war nicht wirklich erstaunt, dass der Mann so schnell auf die Rufe des Kindes hörte, es bestätigte vielmehr ihre Einschätzung, dass ihm vor allem die Unversehrtheit der beiden Kinder am Herzen lag, auch wenn sie noch nicht wirklich verstand, wieso diese überhaupt dabei waren.
Als die Elfen ihr kurz darauf ihre Hilfe zusagten, war die Erleichterung, die Aisling durchfuhr, fast schon spürbar. "Ich danke euch." Mit diesen tief empfundenen Worten und einem freudigen Lächeln, das sich auf ihr Gesicht stahl, verneigte sie sich leicht vor den beiden Elfen.
Sie wollte noch mehr sagen, doch da wurde sie des aufkommenden Sturms gewahr und auch wenn sie ihn nicht sofort mit Edana in Verbindung brachte, da sie das Mädchen meilenweit entfernt in Sicherheit wähnte, war etwas daran ungewöhnlich. Sie streckte unwillkürlich ihre telepathischen Sinne aus, doch was sie damit empfangen konnte, ließ ihr das Blut fast in den Adern gefrieren.
Ohne noch weiter zu zögern lief sie los, fast zeitgleich mit den Elfen, wenn auch aus anderen Gründen. Während die beiden Elfen behände und leichtfüßig über den Boden eilten, hatte es Aisling schwerer. Auch wenn sie inzwischen das schnellere Laufen mit menschlichen Beinen etwas mehr gewohnt war, blieb sie doch hinter den Elfen weit zurück. Dafür schaffte sie es, ohne zu fallen, dorthin zu gelangen, wo sich gerade Schreckliches abspielte.
"Edana, ich bin hier!" rief sie auf telepathische Weise dem Mädchen zu, das viel zu schnell zur Frau geworden war. Sie ersparte sich ein "Es wird alles gut" oder Ähnliches, da dies unter den gegebenen grausigen Umständen nur haltlose Floskeln gewesen wären. Stattdessen legte sie ihre ganze Zuneigung und ihre Stärke in ihre Gedanken und sandte diese immer wieder an das Mädchen.
Fassunglos musste sie mit ansehen, wie Felischia kaltblütig ermordet wurde, was ihr Unverständnis der gesamten Situation noch beträchtlich vergrößerte.
Wie hatte die Hohepriesterin so dumm sein können und im Ort bleiben? Das war für Aisling ganz und gar unverständlich. Denn Edanas Wunde war nicht so schwer gewesen, und die Ent hatte zeitloses Wissen, mit dem sie all die Pflanzen und Kräuter kennen musste, mit dem eine Heilung auch fernab jeglicher menschlichen Siedlung zu erlangen war. Aber auch Felischia hatte sie dieses Wissen zugetraut. Hinzu kam, dass die Ent das Mädchen leicht hätte tragen können und die drei hätten ebenso leicht bereits weit im Norden und damit außerhalb der Zugriffsmöglichkeiten ihrer Verfolger sein können. Doch Felischia war einfach auf der Stelle geblieben, ganz so, als ob sie es darauf angelegt hätte, dass man Edana fand. Und dann war sie völlig überraschend kaltblütig ermordet oder vielleicht eher mundtot gemacht worden?
Aisling versuchte, das neu aufkeimende Misstrauen der Hohepriesterin gegenüber zu verdrängen, versuchte, ihren Kopf klar zu halten und sich auf Edana zu konzentrieren. Doch sie verstand nicht, wie sich Felischia, deren Leben angeblich zum Schutz des Mädchens ausgerichtet war, sich einfach so hatte übertölpeln lassen. Sie dachte kurz an eine Illusion, als sich die Leiche in Luft auflöste. Doch bei einer Illusion würde es kein Blut geben. Und davon gab es reichlich.
Aisling vertiefte ihre Gedanken nicht weiter, sie konzentrierte sich vielmehr wieder auf Edana, sandte ihr abermals ihren telepathischen Zuspruch "Edana, ich bin gleich bei dir. Du bist nicht allein."
Dabei bewegte sie sich näher ans Geschehen heran, vermied jedoch, der Gruppe aufgestachelter Bluthunde zu nahe zu kommen. Die Männer stanken nach Schweiß und aus jeder ihrer Poren konnte man riechen, dass sie sich bereits seit Tagen nicht mehr gründlich gewaschen hatten. Aber neben dem Geruch nach Schweiß, Schmutz und Alkohol drängte sich auch ein anderer Geruch auf, wie ihn vor allem die männlichen Exemplare der Menschen ausdünsteten. Ein Geruch, der Aisling abschreckte und sie einen großen Bogen um die johlenden und vor Gier und Eifer fast sabbernden Männer machen ließ, die sich an dem Geschehen sichtlich ergötzten.
Wie eine Welle plötzlich im Meer entsteht, erschien Aisling nur wenig später direkt vor dem Jungen und streckte die Arme aus. "Lass sie los!" Obgleich ihre Stimme leise und fast sanft war, lag darin auch etwas wie Eis, das kurz vor dem Zerspringen war. Dies mochte den Knaben auch dazu bewegen, der Aufforderung nachzukommen, denn er ließ Edana wortlos in die Arme von Aisling gleiten.
Diese zog das völlig erschöpfte Mädchen beschützend an sich und wich einige Schritte zurück, instinktiv in die Richtung, in der die beiden Elfen im Hintergrund standen und das Ganze schweigend beobachteten.
"Was seid ihr?" Aislings bebende, aber dennoch ruhig vorgebrachte Frage war an den Jungen, an Milas, aber auch die anderen menschlichen Umstehenden gleichermaßen gerichtet, und der Abscheu und das Unverständnis in ihrer Stimme spiegelte sich auch in ihrem Gesicht wider.
"Was gibt euch das Recht, andere Wesen zu jagen, nur weil sie anders sind als ihr, weil ihr sie nicht verstehen könnt?"
"Wie kommt ihr dazu, andere einfach abzuschlachten, nur weil ihr Lust dazu habt, Spaß daran oder einfach weil ihr es könnt? Keiner sollte das Recht dazu haben, einem anderen ungestraft das Leben zu nehmen. Das ist nicht richtig."
Ihr Blick wanderte unbeirrt auch über die Bluthunde und ihre Kommandantin, bevor sie sich noch weiter aufrichtete und die Worte sprach, die seit ungezählten Generationen jeder in ihrem Clan offiziell vorbringen durfte, um die Strafe für ein begangenes Verbrechen einzufordern: "Ich, Aisling Dubheasa da Muirin, verlange Genugtuung für den Mord an der Hohepriesterin Felischia Kronwall."
Ihr Blick richtete sich jetzt von Milas auf den Knaben, denn auch, wenn sie sein Alter nicht einschätzen konnte, sagte ihr etwas an dem, wie er sich verhalten, was er gesagt hatte, dass er der Einzige der Anwesenden war, der ihr auch zu dieser Genugtuung würde verhelfen können.
Während ihr Blick dem des Jungen begegnete, strömte nicht nur ein intensiver Duft auf die Anwesenden ein, der an die Urgewalten des Meeres erinnerte, das es bereits seit Anbeginn der Zeiten gab und ohne dem ein Leben auch an Land überhaupt nicht möglich wäre. Es ging mit einem Mal auch ein eisiger Wind von Aisling aus, der nicht nur die Näherstehenden schaudern und frösteln ließ.