Mittlerweile hatte man die vollkommen verängstigte Samantha zum schwer befestigten Anwesen der Inquisition gebracht. Interogator Lir Cyren wollte sie umgehend vor das Tribunal stellen, daher lies man die Mentarin nicht einmal verschnaufen und schaffte sie sofort an den Tagungsort des Tribunals.
Eine düstere und kalte runde Steinkammer in deren Mitte sich eine kleine Erhöhung befand. Mit einem Abstand von mehreren Metern befand sich eine steinerne Tribüne rings um die Mitte, die nur auf der einen Seite durch das dicke Eingangsportal und auf der anderen Seite durch ein hohes Podest aus Granit mit drei Plätzen unterbrochen wurde. Fenster gab es nicht. Der Raum wurde lediglich durch qualmende Feuerpfannen und Fackeln erleuchtet.
Um den mittigen Sockel war ein massiver Stahlkäfig aufgestellt, an dessen Verlaufspunkten (Die Stellen, an denen sich die Käfigstreben treffen) Löcher waren, durch die Stahlspeer ins Innere des Käfigs ragten. So war der Gefangene in seinen Bewegung stark eingeschränkt. Der steinerne Boden des Käfigs war zugleich auch eine Falltür, die den Insassen des Käfigs in einen tiefen Schacht voller Klingen und Speere auf dem Weg nach unten stürzen lassen konnte. Am Grund des Schachts brannte das Feuer eines heißen Kohleofens. Um den Gefangenen die Nähe auch spüren zu lassen, hatte die Falltür kleine Schlitze, durch die die Hitze empor stieg. Aus einem ähnlichen Grund, war oben im Käfig ein mit Glut gefüllter Korb aufgehängt worden, aus dem brennende Funken auf den Angeklagten rieselten, wenn dieser sich zu stark bewegte.
Dies alles war zwar selbst bei Mentaren schon ein guter Garant dafür, dass sie nicht zu fliehen versuchten, aber es hatte dennoch schon Fälle gegeben, in denen ein Mentar sich selbst befreit hatte. Darum waren rund um den Käfig vier starke Akolythen aufgestellt, die den Insassen des Käfigs in einem Sturm aus Mentarattacken rösten würden, wenn dieser versuchen würde sich zu befreien.
Für zusätzlichen Schutz hatte man jeweils zwei Gardisten am Eingang und am Fuße des Granitpodests aufgestellt. Von diesen vier Gardisten und den vier Akolythen (Gardisten = Soldaten und Nahkämpfer, die ihre Mentarkräfte zur Unterstützung im Kampf nutzen. Akolythen = Junge Inquisitionsagenten, die hauptsächlich auf starke Mentarkärfte setzen.) einmal abgesehen, war die Kammer leer, als Cyren und seine Gefangene von einigen Gardistern herein eskortiert wurden.
Einer der Gardisten beförderte Samantha unsanft in den Käfig und zog vorsichtshalber noch einmal ihre Fesseln fest, bevor er das kleine Gefängnis verriegelte. Die Mentarin hatte jetzt einen guten Blick auf das Granitpodest, das mit seinen drei Sitzen weit über sie aufragte. Auf dem Podest war fein säuberlich ein Schriftzug eingemeißelt worden, der jedem Angeklagten unmissverständlich mitteilte, wie seine Verhandlung wohl laufen würde.
Unschuld gibt es nicht - nur verschiedene Abstufungen der Schuld
Interrogator Cyren ging um den Käfig herum und stellte sich vor das Podest. Dort stand er dann einfach eine Weile und wartete. Offenbar tat er dies in seiner Karriere nicht zum ersten mal. Zwischendurch kam Akolythin Palin herein, um sich auf die leere Steintribüne zu setzen. Erst nach ein paar Minuten tat sich etwas. Eine zuvor vollkommen in der Wand verborgene Steintür öffnete sich am Fuße des Podest. Durch die Tür kamen drei Gestalten herein. Ein kleiner gebeugter Mann in einem verschließenem grauen Gewand, der unter seinem Arm ein schweres Buch trug und auf dessen Schultern drei Ratten kauerten, eine in ein rotes Kleid gehüllte Frau mittleren Alters von kalter Schönheit, die aussah als wäre sie auf dem Weg zu einem Fest und nicht Teil eines Tribunals und ein in eine schwarze Robe gehüllter Mann, auf dessen Rücken ein Stab aus schwarzem Holz geschnallt war. Das Gesicht des berobten Mannes war unter einer Schädelmaske verborgen, in deren Augen ein mattes Licht schien.
Die drei Gestalten Namen auf den Sitzen des Granitpodests platz und einer der Gardisten verkündete:
"Das verehrte Tribunal der edlen Inquisitoren Abrahm, Emanuella und Grimm. Inquisitor Grimm hat den Vorsitz!" Beim letzten Wort des Gardisten stießen er und seine Kollegen die Stäbe ihrer Hellebarden auf den Steinboden.
Der Inquisitor mit der Schädelmaske, bei dem es sich anscheinend um Inquisitor Grimm handelte, beugte sich ein Stück vor und blickte dann auf Cyren herab.
"Nun gut Interrogator. Hier haben es alle etwas eilig. Tragen sie also schnell vor, was vorliegt."
Cyren verneigte sich respektvoll, ordnete seine Worte und begann dann zu sprechen.
"Heute Nacht hat ein Mentar seine Kräfte genutzt, um in einem menschlichen Gasthaus ein abscheuliches Massaker unter Nicht-Mentaren anzurichten. Ich bin der Sache nachgegangen und habe den Täter festgenommen. Es ist diese junge Frau, die dort vor ihnen kniet. Bei einem solchen Verbrechen kann es nur eine Strafe geben, darum fordere ich die auf ein solches Verbrechen stehende Mindeststrafe."
Das Tribunal hörte Cyrens Ausführung schweigend an, wobei der alte Mann, bei dem es sich vermutlich um Inquisitor Abrahm handelte, in seinem Buch blätterte, die rot gekleidete Frau - offenbar Inquisitorin Emanuella - interessiert die Angeklagte musterte und Inquisitor Grimm sich zurück gelehnt und die Spitzen seiner behandschuhten Finger aneinander gelegt hatte. Schließlich beugte sich Inquisitor Grimm vor.
"Sehr förmlich heute, denken sie nicht Interrogator?" Cyren antwortete lieber nicht auf diese Frage. Es war klar, was Grimm meinte. Einen so eindeutigen Fall wie diesen trug man für gewöhnlich nicht dem Tribunal vor, auch wenn die Richtlinien dies eigentlich erforderten.
"Aber wie ihr wünscht. Der Fall scheint klar zu sein. Darum werde ich sofort das Urteil verkü..."
"Einen Moment." Warf Inquisitorin Emanuella ein. Irgendetwas hatte das Interesse in ihren tiefroten Augen aufflackern lassen.
"Ich würde gerne hören, was die Angeklagte zu ihrer Rechtfertigung zu sagen hat."
Inquisitor Grimm lies ein Seufzen hören, das wie ein Todeshauch klang, konnte seiner Kollegin den Wunsch aber wohl nicht ausschlagen.
"Nun gut." Sagte er. Dabei beugte er sich vor und blickte mit den schimmernden Höhlen seiner Totenkopfmaske auf Samantha herab.
"Möchtest du etwas sagen mein Kind?"