Ich habe mir vor kurzem in Vorbereitung auf den Realfilm den Anime erneut angesehen und war dieses mal sehr sehr angetan. Die Verbindungen zu Matrix sind offensichtlich, nicht nur ästhetisch, sondern auch thematisch. Übergreifend behandeln beide das Thema der virtuellen Identität und damit einhergehend das philosophische Dilemma, das sich aus der Frage heraus ergibt, was Maschinen sind, die denken und fühlen wie Menschen und was der Mensch als Individuum überhaupt in einer zunehmend mechanisierten Umgebung ist? DAS ist Cyberpunk.
Während die klassische Science-Fiction mit ihren utopischen Zukunftsszenarien kilometerweit an der Wirklichkeit vorbeigeschossen ist, berührt Cyberpunk jetzt mehr denn je einen Nerv des vorherrschenden Zeitgeistes. Das Genre ist in den 80er Jahren aufgekommen (Blade Runner, Akira, die Klapperschlange, Robocop, Judge Dredd, Ghost in the Shell, Terminator, Videodrome, Fritz Langs Metropolis (ein Vorreiter von 1927!!), um nur einige zu nennen) und feiert jetzt mit Serien wie Black Mirror, die sich selbst nicht als Science Fiction sieht, Humans und Humans(US) und Filmen wie Transcendence oder Lucy ein Comeback. Nicht, dass es je ausgestorben wäre, brachte doch erst Matrix um die Jahrtausendwende die volle Dosis dieser dystopisch-philosophischen Überlegungen, garniert mit etwas Zen-Buddhismus, einem westlichen Mainstreampublikum näher und bildete damit seinen Höhepunkt im hollywoodschen Kollektivgedächtnis.
Sollte das Genre neu belebt worden sein? Die Gegenwart holt die Zukunft ein, der soziale Aspekt von weltumfassender Technologie wird immer wichtiger, es wird bereits über Roboter-Ethik diskutiert.
Und doch scheint mir der Trailer zum Realfilm von GitS nicht den Eindruck eines Sozialdramas zu machen, oder auch "nur" eines tiefgründigen Actionfilms. Möglicherweise ist es nur eine schöne Schale ohne Geist?
Ich habe den zweiten GitS-Anime nie gesehen, aber darüber gelesen. Es geht um Androiden-Prostituierte, in denen die Erinnerung echter Menschen aufgespürt wird. Kann es sein, dass der Realfilm beide Animes vereint? Auf mich macht es diesen Eindruck. Auch das Zitat "They did not save your life. They stole it." scheint mir den Film in eine geradlienigere Richtung zu treiben, weg vom atmosphärisch-depressiven Flair des Animes, hin zum cutting-edge action-getriebenen Popanz eines Minority report, einem einfacheren Konzept des Rape'n'Revenge-Motivs. Im Anime wurde es des Subtextes Wegen kaum aufgegriffen (im Gegensatz zum Manga), dass Major einst ein Mensch war und nach der Zerstörung ihres eigenen Körpers in die künstliche Schale eines Androiden gesteckt wurde. Im Anime wird das vorausgesetzt und hingenommen, da in einer biotechnologischen Welt eh jeder Mensch ein Cyborg ist. Daher muss Major auch nicht die Verantwortlichen aufspüren, die ihr "das angetan haben". Doch der Trailer des Realfilms stellt genau diese dämliche Prämisse in den Vordergrund, zum tausendsten mal, dass Menschen und Maschinen nicht gleich sind, Maschinen böse und unberechenbar sind, jede Form von Biotechnik einen Eingriff in Gottes Schöpferplan darstellt.
Dagegen wird der interessante Teil des Animes gar nicht thematisiert (im Trailer - zugegeben); was nämlich passiert, wenn ein künstliches Bewusstsein aufgrund seines Denkens und Fühlens plötzlich den Anspruch erhebt, ein vollwertiges Lebewesen zu sein! Wie der Mensch, der seinen nützlichen Sklaven um keinen Preis aufgeben will, aus Eigennutz also, alle Hebel in bewegung setzt, um diesen Vorgang zu unterdrücken. Wie künstliche/digitale Lebensformen fusionieren und dabei ein Äquivalent zur biologischen Reproduktion erzeugen, ein Schaffensakt, der der Kreation Adam und Evas gleicht und die Geburtsstunde einer neuen Spezies ist! All das sehe ich NICHT im Trailer ...
Ich zweifle, ob ich für den Film extra nach Berlin ins Cineplexxx fahren soll.