Ich fuhr langsam über die Kreuzung und nahm das Tempo raus. Zwei Streifenwagen standen schräg auf der Fahrbahn, grade so weit voneinander entfernt, dass ein Fahrzeug gerade so durchpassen würde. Die Scheinwerfer des Trucks wurden von deren Scheiben reflektiert und warfen ein schwaches Licht auf den zuvor dunklen Bereich auf den Fußgängerbereich links neben dem Einsatzwagen. Für einen kurzen Moment konnte ich die Gesichter der drei Personen erkennen, die dort standen. Es reichte jedoch aus, um zu erkennen, dass ich einen von ihnen bereits einmal in der Sicherheitsabteilung von EVE gesehen hatte. Was auch immer er dort zu suchen hatte, verhieß nichts Gutes für uns. Einer der Polizisten stand bereits einige Meter vor uns und lächelte uns entgegen. Wir waren dabei, direkt in eine Falle zu geraten.
Ohne groß nachzudenken und ohne Dorian zu warnen, beschleunigte ich den Truck und rammte dabei den linken Streifenwagen, der sich, wie ich im Seitenspiegel erkannte, durch die Wucht auf die Seite hob und anschließend auf dem Dach liegen blieb. Noch eh ich mir Gedanken darüber machen konnte, was als nächstes passieren sollte, durchschlug eine Kugel das hintere Fenster. Eine weitere folgte und zerschlug die Seitenscheibe zu meiner Linken. Dorian presste sich, ohne einen Ton von sich zu geben, in den Sitz. In dem Moment wäre es mir zum ersten Mal lieber gewesen, wenn sie mich für andere Zwecke entführen wollten, als auf uns zu schießen. Ich versuchte ein paar Kurven zu fahren, um weiteren Schüssen auszuweichen. Zu meiner positiven Überraschung folgten jedoch keine weiteren. Im Rückspiegel sah ich noch, wie sich der verbleibende Streifenwagen in Bewegung setzte, ehe wir links in die nächste Seitenstraße bogen.
Ich geriet völlig in Panik. „Schon gut, du hattest Recht. Wolltest du das hören?“, rief ich in einem leicht verzweifelt wirkenden Ton. Verwirrt und mit hochgezogener Stirn sah mich Dorian kurz an, bis seine Aufmerksamkeit wieder der Straße galt. „Ich kann es jetzt auch nicht ändern. Du kannst ja aussteigen, wenn du willst.“ Ich nahm ein Fahrrad mit, welches neben einer Laterne leicht auf der Fahrbahn stand, was eine kleine Erschütterung verursachte und nicht dazu beitrug, dass ich mich unter Umständen beruhigen konnte. „Ah!“, schrie ich, „Hör auf mich vollzutexten! Ich muss mich auf’s Fahren konzentrieren.“. Am Ende der Straße bogen wir rechts ab. Wir fuhren eine Hauptstraße entlang, die sich weiter vorne mit einer anderen Spur zu einer breiteren verband. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Mir blieb zunächst nichts anderes übrig, als auf dem Gas zu bleiben. Zu unserem bedauernswerten Unglück, war das Spielzeug unserer Verfolger jedoch nicht unerheblich schneller als unser Truck. Wieder waren zwei Schüsse zu hören, welche jedoch nicht in der Fahrerkabine. Dann schlug eine Kugel im hinteren Bereich der Trucks ein, sofern ich das beurteilen konnte. Offenbar versuchten sie uns die Reifen zu zerschießen. Allerdings konnte ich bei der Geschwindigkeit nicht versuchen, auszuweichen. Selbst wenn ich es so nicht schaffen würde, uns auf die Seite legen, würden wir unnötig an Geschwindigkeit verlieren. Ich sah wieder in den Rückspiegel. Sie brauchten höchstens noch eine Minute, um uns einzuholen. Unmittelbar vor uns lag die Stelle, an der sich die Fahrbahn mit einer weiteren Straße, die bisher noch von Bäumen verdeckt war, verband. So wie wir die Stelle passierten, erschien ein weiteres Fahrzeug, welches in gleicher Geschwindigkeit neben uns her fuhr, auf der linken Straße. Auf dem ersten Blick dachte ich, dass es zu unseren Verfolgern gehörte.
Auf dem zweiten Blick jedoch sah ich in das bärtige Gesicht eines Mannes mit langen blonden Haaren, der auf dem Beifahrersitz eines schwarzen Wagens saß und mich mit einer Zigarette im Mund anlächelte. Eine Weile sahen wir uns einfach nur an, bis ich endlich „Ang!“ rief. Ang hob Zeige- und Mittelfinger, wie er es immer tat, wenn er jemanden begrüßte. „Jo!“, sagte er, „Hast du Spaß?“. „Lass den Unsinn!“, rief eine Frauenstimme vom Steuer aus, „Peter, kümmere dich um um unsere Verfolger!“ Das Dach des Wagens ging auf und ein Kopf mit kurzen schwarzen Haaren kam zum Vorschein. Zwei weitere Schüsse fielen und Peter zog seinen Kopf wieder zurück. „Leckt mich!“, schrie er und steckte sein Gewehr, dicht gefolgt von seinem Kopf, erneut aus dem Dachfenster. Er feuerte vier Schüsse ab. Dann war das Aufschlagen des Streifenwagens zu hören, der sich hinter uns überschlug. „Was denn, vier Schüsse?“, lachte Ang, „Du schuldest mir 50 Mäuse.“. „Deine Mutter schuldet mir auch noch 50 Mäuse.“, entgegnete Peter, „Damit sind wir wohl quitt.“. Ang lachte herzhaft und sah mich wieder an. „Dort vorne befindet sich eine Raststätte.“, sagte er. „Dort nehmen wir dich mit zu uns.“ Sein Blick fiel jetzt auf Dorian, der sich bisher ziemlich unauffällig verhielt. „Eh…“, sagte er schließlich, „Wen hast du denn da bei dir?“. In diesem Moment fuhren sie jedoch vorbei, bevor ich oder Dorian darauf antworten konnten.
Am Rastplatz hielten wir dann. Außer uns war niemand dort. Ang sprang aus dem Auto und öffnete meine Tür. Beim Versuch auszusteigen hatte ich nicht mehr die Kraft, mich festzuhalten und fiel ihm in die Arme. Als ich wieder halbwegs auf den Beinen war, bemerkte Ang das Blut an meinen Sachen. „Sophie! Sie ist verletzt!“, rief er zu ihr rüber. „Auf der Ladefläche liegt der Körper eines Mannes.“, sagte ich völlig außer Atem zu Ang: „Der Parasit befindet sich noch in ihm. Werft ihn in den Kofferraum und lasst uns verschwinden.“. Ang sah mich kurz ein wenig missmutig an. „Jo, du willst meinen Wagen mit Blut besudeln?“, grummelte er. Peter, der bereits am Kofferraum stand, öffnete ihn. „Ah!“, sagte Ang plötzlich zu mir. „Dein Blut ist selbstverständlich eine Bereicherung für meinen Wagen.“ Wieder lachte er, bis seine Aufmerksamkeit auf Dorian fiel, der aus dem Truck gestiegen war und die Tür zugeworfen hatte.
Peter, der bereits eine Weile in den Kofferraum starrte, sah zu uns hinüber und sagte: „Eh… sorry, Claire. Wir können den Typ nicht mitnehmen. Bei uns im Kofferraum liegt schon einer.“