In Gedanken versunken schlenderte Loki an den Ständen vorbei. Sehr lange hatte seine erste, nicht unfreiwillige, Unterhaltung seit Wochen, wenn nicht Monaten, nicht gedauert. Nachtrauern tat er ihr jedoch auch nicht.
Konversationen waren ihm meist unangenehm auch wenn er wusste dass sie von Zeit zu Zeit nötig waren. Er lies seinen Blick über die ausgebreiteten Waren der Händler schweifen. Vor dem Tisch eines rundlichen, dümmlich dreingrinsenden Mannes blieb er schließlich stehen.
Auf einem Tuch hatte er eine beeindruckende Anzahl und Variation an Backwaren ausgebreitet die allesamt frisch wirkten. Der Händler schien sein Interesse bemerkt zu haben den sogleich sprang er auf und begann ein Loblied auf seine Waren zu singen.
"Seien sie gegrüßt, seien sie gegrüßt. Ich habe hier frisches, ja sie hören recht, frisches Brot! Gebacken in einem guten, alten Steinofen. Mit besten Zutaten und dem Fachwissen erfahrener Bäcker zubereitet." Tatsächlich gab es vereinzelt Bäckereien in Hamburg allerdings standen diese meist unter der Kontrolle einer Sekte die ihnen die Rohstoffe beschaffte und für ihren Schutz sorgte. Die wenigen ausgebildeten Bäcker bekamen enorme Vergütungen. Wer hätte gedacht das der Beruf des Bäckers in nur wenigen Jahren zu einem der eintragsreichsten werden würde.
"Eine solch gute Qualität hat aber vermutlich auch einen recht hohen Preis nehme ich an?" schrieb Loki auf seinen Block.
"Wo denken sie hin?" entsetzte sich der Händler mit gespielter Entgeisterung.
"Aufgrund der großen Macht und Güte unserer Herren, der Knappen der Apokalypse, Gott schütze sie, haben wir ausgezeichnete und dennoch billige Rohstofflieferanten. Die große Gnade und Barmherzigkeit die uns unser Gott entgegenkommen lässt wollen wir auch den anderen Menschen zukommen lassen." Loki waren jedoch schon Gerüchte zu Ohren gekommen die etwas ganz anderes besagten... Aber sollte er doch ruhig ein bischen predigen Loki lies sich davon nicht beeindrucken. Er zog eine seiner Schnappsflaschen aus dem Rucksack. "Flasche" war stark untertrieben. Es war ein edler Schnapps der in einem ebenso edlen Flasche ruhte, die beinahe einem Flakon glich. Ein wunderschönes Muster aus ineinander verworrenen Rosen zierte das Glas. Die Augen des Händlers weiteten sich vor Erstaunen gefolgt von unsäglicher Gier. Wenn er soetwas seinen Vorgesetzten brachte würde er bestimmt weit in deren Ansehen steigen, unabhängig davon was ihn dieser Spaß gekostet hatte. Er setzte an, stotterte. Speichel lief ihm aus dem Mund und tropfte auf den Tisch bevor sich in einer hastigen Bewegung mit dem Ärmel über den Mund wischte.
"Äh, Ähähä Was hätten sie dafür den gerne?" Ruhig schrieb Loki sein Angebot auf den Block während der Händler verzweifelt mit Gier und Speichelfluss rang.
"Zwei große Laibe Brot, vier Krapfen sowie Zigaretten und Batterien die sie vermutlich schon ertauscht haben." Der Händler nickte eifrig und begann in den hinter ihm stehenden Taschen herumzukramen.
Loki war egal ob er nicht vielleicht noch ein wenig mehr hätte herausschlagen können. Mit den Vorräten würden sie wohl erstmal eine Zeit über die Runden kommen und für die Batterien und Zigaretten würde er sich wohl noch Marmelade oder etwas ähnliches besorgen. In festlicher Stimmung packte der Händler die Waren in große Papiersäcke und reichte sie Loki. Zitternd und gierig streckte er seine Hand aus doch Loki zögerte noch.
"Ich hätte gern einen Beweis das die Batterien noch zu gebrauchen sind." schrieb er auf den Block. Verärgert schnalzte der Händler mit der Zunge. Die unerwartete Verzögerung schmeckte ihm gar nicht. Hastig pfiff er eine der Wachen herbei und herschte ihn an das Testgerät zu holen. Die Wache zog von dannen um kurze Zeit später mit einer schwarzen Funkmaus zurück zu kommen. Die Hände des Händler zitterten immer stärker während er nacheinander die Batterien in das dafür vorgesehene Fach einlegte. Jedes mal wenn er die Funkmaus aktivierte leuchtete an der Seite eine LED Leuchte auf, die den Batteriestand anzeigte. Jedesmal leuchtete sie in einer kräftigen grünen Farbe auf. Alle Batterien waren gut geladen auch wenn nicht immer alle Ladebalken aufleuchteten. Der Händler hatte ihn nicht betrogen. Zufrieden packte er alles in seinen Rucksack und überreichte feierlich den Schnaps an den Händler. Vorsichtig wickelte dieser das kleine Fläschen umgehend in mehrere Papiertüten und Tücher ein und verstaute es in einer der Innenfächer seines Rucksacks.
Zufrieden zog Loki zum nächsten Stand weiter. Für den edlen Tropfen hatte er nun, neben Krapfen und Brot, 8 Batterien und 2 Schachteln Zigaretten bekommen.
Relativ rasch fand er einen Stand auf dem mehrer Gläser Marmelade und Brotaufstriche angeboten wurde. Schnell wurde er sich mit dem Händler einig und er tauschte eine halbe Schachtel Zigaretten und zwei Batterien gegen ein Glas mit Erdbeermarmelade. Er beendete seinen Einkauf indem er 3 Batterien gegen zwei 0,5 Liter PET-Flaschen mit doppelt gefiltertem Wasser tauschte. Dieses Wasser unterschied sich von den normalen Wasserflaschen nicht nur enorm vom Preis sondern auch von der Qualität. Das Wasser war normales Flusswasser das man nur kurz duch zwei Filterpapiere laufen lies bevor man es in die Flaschen abfüllte und verkaufte. Mit doppelt gefiltertem Wasser hatte Loki hauptsächlich gute Erfahrungen gemacht. Es war sehr günstig und meist unbedenklich zu drinken, auch wenn man nie wusste wie gut die Filter der Hersteller waren. Zwischen den Sekten die das Wasser produzierten herschten teilweise gigantische Qualitätsunterschiede. Während er mit dem Wasser des Händlers in der Biblothek noch nie Probleme gehabt hatte, hatte er von dem Wasser das der Händler auf der Kattwybrücke anbot schweren Durchfall und Magenschmerzen bekommen. Mehrere Tage hatte er fiebrig in ihrem Unterschlupf gelegen bis er sich schließlich wieder erholt hatte.
Mit vollem Rucksack verließ er die Biblothek und trat nach draußen. Die Wächter hatten noch nicht gewechselt es waren immer noch dieselben die auch bei seiner Ankunft den Eingang bewacht hatten. Im Moment waren sie jedoch so sehr in ihr Gespräch vertieft das sie ihn gar nicht wahrnahmen.
"Ach" seufzte der eine
"Endlich mal wieder richtige Brüste zu Gesicht bekommen hat schon was, nicht immer diese verdreckten Heftchen auf denen man eh kaum was erkennt. Muss unser Glückstag sein." Der andere grunzte zustimmend.
"Wenn ich das nächste mal Brüste sehe geb ich allen ne Kippe aus." fuhr er fort. Amüsiert zog Loki leise seinen Block und zeichnete zwei kleine Kreise und um diese herum zwei größere Kreise. Er war zwar kein besonders guter Zeichner aber was das Bild darstellen sollte war denoch einfach zu erkennen. Er trat einen Schritt vor sodas die beiden Wachen auf ihn aufmerksam wurden und hielt der einen Wache die Zeichnung und seine offene Hand entgegen. Verdutzt starrte diese erst auf die Zeichnung dann auf seine offene Hand bevor sie begriff. Sein Kumpan brach in schallendes Gelächter aus. Verärgert spuckte die Wache aus traf jedoch nicht, wie vermutlich beabsichtigt, die Hand, sondern den eigenen Schuh was den Lachanfall des anderen aufs neue entfachte.
"Es ist Zeit für die Wachablösung." knurrte er wütend und stapfte zurück in die Biblothekt. Damit ließ er Loki und Hel mit dem, noch immer lachendem zweiten Wächter zurück. Nachdem sich dieser wieder beruhigt hatte zog er, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, eine Packung Zigaretten und reichte Loki großzügig eine derselbigen. Loki zündete sich seine Zigarette an und machte sich auf den Heimweg.
"Machs gut. Du bist hier stets willkommen." rief ihm die Wache noch hinterher.
Der Heimweg gestaltete sich schwieriger als erwartet. Das hinzugekommene Gewicht seines Rucksacks machte Loki ordentlich zu schaffen. Schnaufend und keuchend lehnte er sich an eine Mauer nachdem er den Schuttberg überquert hatte. Plötzlich barst das Glas eines Fensters im zweiten Stock des gegenüberliegenden Hauses. Im Fensterrahmen zeichneten sich, unschwer zu erkennen, die Umrisse der Dämonin ab.
"Schwächling!" brüllte sie von oben auf ihn herab.
"Wie willst du so über unsere Feinde obsiegen, wo dich doch ein zehn-minuten Marsch schon beinahe umbringt." Die Tür des Hauses an dessen Wand Loki lehnte öffnete sich und der Engel schritt anmutig hindurch. Sie schien keine Probleme zu haben mit ihren weiten, schneeweißen Flügeln durch die Tür zu gelangen. Sie trat auf Loki zu und umarmte ihn fest. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus.
"Hör nicht auf sie." hauchte sie ihm zärtlich ins Ohr.
"Nicht der Körper obsiegt letztendlich sondern der Geist." Einen Moment verharrte sie so bevor sie langsam ihre Umarmung löste. Sie legte ihre rechte Hand auf seinen Kopf und fuhr ihm durchs Haar. Seine Schwester hatte das gerne gemacht. Ein Zeichen des Abschieds. Ein stummes: "Pass auf dich auf." oder "Du schaffst das schon." Die Dämonin meldete sich wieder zu Wort.
"Was hilft dir sein starker Geist wenn du dich beim schießen beinahe selbst ins Koma beförderst." höhnte sie und spielte dabei auf ein Ereignis aus nicht allzu ferner Vergangenheit an das Loki am liebsten vergessen hätte. Sie hatte Recht. Sein Körper war sein Schwachpunkt. Ein Schwachpunkt der ihm leicht das Leben kosten konnte. Dennoch missfiel ihm die Vorstellung sich körperlich ertüchtigen zu müssen. Er verachtete beinahe alle Arten von körperlicher Arbeit. Aber irgendetwas musste er tun sonst würde er hier vermutlich nicht mehr lange überleben. Immer öfter wurden Streuner und Satanisten gesichtet. Die Nahrungsmittel wurden knapper, die Sekten aggressiver. Er musste sich dieser Entwicklung anpassen. Engel und Dämonin nickten zustimmend und aus ihrere beider Kehle erklangen die Worte die sieh ihm immer zum Abschied zuzurufen pflegten.
"Schreite voran Bruder. Wo auch immer dich dein Weg hinführen wird, ich werde bei dir sein."
Glücklicherweise stand das Fahhrad immer noch in dem Hauseingang in dem er es abgestellt hatte.
Er wollte gerade aufsteigen als er Schritte wahrnahm. Er hielt die Luft an, drückte sich in einen Hauseingang und wartete. Drei Personen gingen die Straße entlang. Loki spähte kurz aus seiner Deckung und war mehr als überrascht. Eine der Personen war das Opfer vom Platz vor ihrem Unterschlupf. Scheinbar waren die anderen beiden ihr zu Hilfe geeilt. Ein Jammer, hatte Loki doch gehofft das die Streuner wenigstens die Munition für ihn liegen gelassen hatten. Ob die beiden Männer zu ihrer Sekte gehörten? Vermutlich eher nicht sonst wäre sie wohl kaum alleine unterwegs gewesen. Ob sie sich kannten? Vermutlich nicht. Aber aus welchem Grund dann? Einfach aus einem Akt der Menschlichkeit heraus? So etwas dummes. Munition verschwenden um einen Menschen zu retten. Wenn er das versuchen würde hätte er bereits nach einem halben Tag keine einzige Kugel mehr. Letztendlich schien die Erklärung am logischsten dass der Grund für die Männer, die ihnen unbekannte Frau zu retten, ein unbewusster Beschützerinstinkt, vermutlich sexuellen Ursprungs, war. Das konnte nur passieren wenn man Opfer der eigenen Emotionen wurde. Sicher waren Gefühle meist eine angenehme Sache, allerdings nur wenn man sie stets unter Kontrolle hatte.
Auch Loki gab sich gerne positiven Gefühlen hin nur achtete er stets darauf eine bestimmte Grenze nicht zu überschreiten.
Als sich die Personen weit genug entfernt hatten schwang er sich auf sein Fahrrad und machte sich wieder auf den Heimweg. Er fuhr schnell und in schlangenlinien. Sein prall gefüllter Rucksack war weithin sichtbar. Ein Scharfschütze sollte schließlich kein leichtes Ziel haben. Je unberechenbarer er sich bewegte desto eher würde ein eventueller Schütze einsehen dass auf ihn zu schießen nur Munitionsverschwendung wäre und es erst gar nicht erst versuchen. Auf dem Gepäckträger saß Hel, die Hände um den Rucksack geschlungen um bei den ständigen Bodenunebenheiten nicht vom Fahrrad zu purzeln.
Schließlich kam er an dem Platz an, an dem sein Unterschlupf lag. Mehrere große Blutlachen und Einschusslöcher zeugten von einer Schießerei größeren Ausmaßes. Leichen gab es nicht. Vermutlich hatten sie die Streuner geholt um sie zu verspeißen. Aus den verschiedenen Munitionsarten, Einschusslöchern sowie der Lage der Blutlachen konnte Loki bestätigen das dem Opfer tatsächlich von zwei verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Richtungen und mit unterschiedlichen Waffen geholfen worden war.
Müde schleppte er sich in die Wohnung nachdem er das Fahrrad in den, teilweise verschütteten, Keller gestellt und die Eingangstür verbarrikadiert hatte. Obwohl er müde war überprüfte er sofort ob alles noch an seinem Ort war. Zufrieden lies er sich auf den Boden plumpsen. Hel tat es ihm gleich was Loki ein leichtes schmunzeln entlockte. Möglichst ohne Kraft zu verschwenden kroch er zum Rucksack, den er in einer Ecke des Raumes deponiert hatte, und zog seinen Block samt Stift.
"Leg dich aufs Sofa und ruh dich aus, Hel. Morgen wird ein langer Tag. Schlaf gut." schrieb er noch bevor ihm die Augen zufielen.