
Dass die von Kiara bereits zuvor mehrfach erwähnte Freundin sich nun als Ashley Marshall entpuppte, war eine glückliche Fügung, die Nobu ein grimmiges Lächeln entlockte. Für einige Momente erwiderte sie den Blick ihres Gegenübers schweigend, bevor sie nickte und mit funkelndem Blick sagte: "Desto mehr wir sind, desto besser. Lieber wäre mir, wenn wir noch mehr von uns finden würden und wir alle unsere Fähigkeiten vereinen. Aber das wird schwierig."
Sie zuckte mit den Achseln, schob sich eine weitere aufgehäufte Gabel mit Eiern und Speck in den Mund und kaute, während sie sehr nachdenklich aussah. Erst als sie auch diesen Bissen recht schnell vertilgt hatte, ließ sie Kiara an ihren Gedanken teilhaben: "Ich habe zwar von einigen Akten, aber selbst wenn es da Adressen gibt, werden die, die auf der Flucht sind, nicht so dumm sein, dort hinzugehen. Und die anderen sind sicher noch im Asylum oder werden gerade wieder eingefangen."
Sie warf einen verstohlenen Blick durch die Bar, mit dem sie jedoch sehr schnell die wenigen anderen Gäste und die Bedienung in all ihren Facetten erfasste, bevor sie leise gesprochen fortfuhr: "Wir müssen uns auch einen Ort als Stützpunkt suchen, der nicht so schnell aufgespürt wird und an dem wir in Ruhe unser weiteres Vorgehen planen können. Ich hätte da schon ein paar Objekte im Auge."
Als Kiara sich an ein weiteres Stück des Apfelkuchens machte, der eigentlich für Ashley Marshall gedacht war, schloss Nobu für einen Moment die Augen, als sich eine duftende Welle verschiedenster Gerüche in ihr Bewusstsein schob. Ohne, dass sie hätte erklären können, wie, sah sie plötzlich vor ihrem inneren Auge alle Einzelbestandteile dieses Potpourris vor sich: Dabei beschränkte sich das nicht auf Fleisch, Kartoffelecken, Eier, Kuchen, Speck und Kaffee, sondern sie sah auch die kleinsten Mengen an Gewürz, erkannte die Fette, das Salz, den Zimt und viele andere Zutaten, die sich ihr mit einem Mal wie einem Analysegerät offenbarten. Doch so schnell wie diese Sinneseindrücke gekommen waren, stürzten sie auch schlagartig wieder in sich zusammen, vermengten sich zu einem duftenden Konglomerat, das Nobus Nase weiter erreichte
"Ich ..." Überwältigt von dieser plötzlichen neuen Erfahrung, schlug sie die Augen auf, sah zu Kiara, bevor sie unwillkürlich langsam und tief einatmete und weitere Gerüche in sich aufnahm, die dieses Mal von ihrem immer noch essenden Gegenüber ausgingen.
In diesem Moment ließ eine Bewegung vor den Fenstern der Bar ihren Blick abschweifen, und sie riss gleich darauf die Augen auf, als sie eine Person erkannte, die definitiv nicht dort sein konnte.
"Was ...?" Perplex und ungläubig blieb ihr Blick auf die Stelle gerichtet, an der gerade noch die Mörderin vorbeigeschlendert war, von der Nobu wusste, dass sie sicher in eine Zelle weggesperrt war
"Warte hier, ich bin gleich wieder da", raumte sie der Rothaarigen zu, bevor sie im nächsten Moment aufsprang und zur Türe lief.
"Hey, du, bleib stehen!" Ihre eisige Stimme schnitt wie Stahl durch die morgendlich kühle Luft und traf die Killerin mit der gleichen Härte wie ihr Blick.
Noch während die Rothaarige sich in einer fließenden Bewegung umdrehte, zuckte sie zusammen, taumelte und musste sich an der Hauswand festkrallen, um nicht auf der Stelle zu Boden zu stürzen. Dabei verkam ihr fast schon als triumphierend zu bezeichnendes Grinsen, das sich für den Bruchteil einer Sekunde auf ihrem Gesicht abzuzeichnen begann, zu einer verzerrten Fratze, in der sich der Schmerz widerspiegelte, der ihren Körper nun mit enormer Vehemenz durchzuckte.