Die Zeit in der Gummizelle floss so langsam, wie klebriger Schlamm einen Rinnstein entlang. Kin hatte schon längere Zeit nicht mehr geschlafen aufgrund der Schmerzen, welche ihm die Entzugserscheinungen zufügten. All diese Erschöpfung forderte schließlich ihren Tribut. Die Sicht verschwamm vor den Augen des Arbitrators und er viel in einen tiefen Schlaf.
Dunkel wars. Dunkel und kalt. Nur ein leises Schluchzen hallte von den rauen Mauersteinwänden wieder. In der Ecke des Raumes, welcher kaum größer war als eine Bahnhofstoilette und aufgrund des Mangels an Sanitäranlagen genauso roch, saß ein abgemagertes Kind. Seine Knie umarmend starrte es mit einem leeren Blick in die Finsternis. Ein Gefühl, welches man wohl als eine Mixtur aus Nostalgie und Abscheu beschreiben könnte, durchzog den Arbitrator, welcher das ganze wie ein Unbeteiligter betrachtete. In dieser kleinen Zelle begann Kin’s Abstieg. Dort wurde er zu dem gemacht, was er heute ist.
Er erinnerte sich noch, dass er zuvor in einem Waisenhäuser der Slums gewesen war. Das Leben dort war zwar beschissen, aber aushaltbar. Man sorgte zumindest dafür, dass die Kinder nicht verhungerten. Doch diese Zeit nahm ihr jähes Ende, als er in das Büro des Rektors gerufen wurde. Dort standen ein Paar Männer, welcher Kin genau betrachteten. Schließlich nickte einer der Fremden, legte dem Rektor ein Bündel Geldscheine auf den Tisch und nahm Kin bei der Hand um ihn aus dem Waisenhaus herauszuführen, direkt hinein in die Finsternis. Im Nachhinein betrachtet muss sich Kin immer wieder darüber amüsieren, wie dämlich er damals gewesen war. Man hatte ihn gerade verkauft wie ein Laib Brot, doch warum ging er trotzdem mit? Hatte er tatsächlich gehofft, dass es besser werden würde? Seine Erinnerung ging noch weiter… zu den ersten Tagen, welche er in diesem Höllenpfuhl verbrachte. Die Männer, welche den Knaben gerade gekauft hatten, sprachen kein Wort mit ihm. Sie lieferte ihn an einem baufälligen Industriegebäude ab und verschwanden. Kin sollte sie nie wieder sehen. Das erste, was man an diesem Ort tat, war dem Jungen sein neues Zuhause zu zeigen. Man packte ihn bei den Haaren und schleifte ihn hinunter in den Keller, wo man ihn in eine kleine, finstere Zelle warf – sein neues Zuhause. Von da an begann der Albtraum. Die ersten Tage vergingen damit, dass sich die Zellentür immer mal wieder öffnete um etwas Licht in die Finsternis herein zu lassen – eine Handlung, welche Kin lernte zu fürchten, denn jedes Mal wenn dies geschah, kamen auch ein paar maskierte Männer in den Raum. Am Anfang genügten sich diese noch damit die Scheiße aus Kin heraus zu prügeln, doch mit der Zeit wurden sie immer brutaler. Die Narben, welche er noch heute an seinem Körper trägt, sind sein Memento an diese Vergangenheit. Zumindest ließen die Maskenmänner am Ende stets etwas zu Essen und zu Trinken zurück, wobei es sich dabei nicht wirklich um Nahrungsmittel handelte, welche für den tatsächlichen verzehr gedacht waren. Vielmehr hinterließ man ihm gammliges Fleisch, schimmliges Bort und schmutziges Wasser. Anfangs wollte Kin diese Sachen nicht essen, doch nach mehreren Nächten, in welchen er Blut gepisst und sich in den Schlaf geweint hatte, sagte ihm sein Körper, dass er essen musste – egal was. Zunächst hatte er sich noch häufig erbrochen als er versuchte sein Mahl einzunehmen, doch mit der Zeit akzeptierte sein Magen was ihm vorgesetzt wurde. Noch heute ist Kin darüber erstaunt, was der Menschliche Körper zu leisten vermag, wenn er an seine Grenzen gestoßen wird. Sei es das verdauen von abartigen Essen, oder das ertragen von Schmerzen und Verletzungen. So vergingen die Tage, welche schließlich aus Kin das abgemagerte Kind mit dem leeren Blick machten, auf welches er gerade selbst herabblickte.
Doch damit sollte es noch nicht vorbei sein. Die Zellentür öffnete sich. Doch dieses Mal führten die Maskenmänner den Jungen nach oben. Aus welchem Grund auch immer, folgte Kin seinem kindlichen selbst, obwohl er genau wusste, was passieren würde. Man stieß ihn in ein Zimmer, in welchem schon ein paar Männer auf ihn warteten. Diese verloren keine Zeit und rissen dem Knaben seine Kleidung vom Leib, um vergingen sich an seinem Körper. Der Junge selbst, sprach während dessen kein einziges Wort. Kin wusste zwar noch, dass es schmerzte, doch war ihm zu diesem Zeitpunkt alles egal geworden. Der Schmerz, die Scham, einfach alles. Diese Prozedur sollte sich von da an immer mal wieder wiederholen. Doch schließlich sollte Kin an einen Kunden geraten, welcher sein Leben dauerhaft verändern würde. Erneut wurde der Junge aus seiner Zelle geführt und in eines der oberen Zimmer gebracht. Dieses Mal wartete jedoch nur ein Mann auf ihn, sowie ein anderes Kind – ein Mädchen, nicht viel älter als Kin selbst. Sie lag gefesselt vor dem Bett, welches sich im Zimmer befand. Ihre Augen verrieten Kin, das sie wohl aus denselben Umständen stammten. Der Mann drückte Kin ein Messer in die Hand und sagte nur:
„Töte sie.“, während er mit seiner freien Hand langsam anfing zu masturbieren. Der Junge ging auf das Mädchen zu, welches ihn unverändert ansah. Ohne seine Miene zu verziehen schnitt er ihr die Kehle durch. Das Blut spritzte dem Jungen ins Gesicht, doch sein Gesichtsausdruck veränderte sich kein bisschen, nicht einmal als ihm noch aufgetragen wurde, Teile des Mädchens zu essen – zumindest war ihr Fleisch frisch. Der Mann im Hintergrund jauchzte vor Freude und Erregung. Von diesem Tag an sollte Kin der persönliche Lustmörder dieses Mannes werden. Der jetzige Arbitrator kann sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, wie viele Menschen er diesem Zimmer getötet hatte, doch zwischen all dem Blut und Schmerz, kehrte langsam das Leben zurück in die Augen des Jungen. Doch war es kein wirkliches Leben. Seine Augen hatten nun einen stechenden Blick, welcher sich stets im Angesicht von Blut, Angst und Schmerz weitete. Das Kind namens Kin war zu diesem Zeitpunkt gestorben. Zurück blieb lediglich ein Monster, mit der äußeren Fassade eines Menschen. Kin wäre wohl noch heute in diesem Gebäude, wenn sich nicht langsam seine Telepathischen Fähigkeiten bemerkbar gemacht hätten. Durch diese erfuhr er schließlich, dass man vor hatte ihn zu entsorgen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf wurde er ein letztes Mal in das Zimmer gebracht, um ein letztes Mal sein blutiges Handwerk zu verrichten. Doch dieses Mal sollte es anders verlaufen. Anstatt dem Kind, schlachtete Kin den Mann, welcher ihn zum Monster gemacht hatte. Noch heute sträuben sich ihm die Nackenhaare voller Glück, bei dem Gedanken, welches Gesicht der Mann machte, als er ihm das Messer in den Hals stieß. Als schließlich vor dem Knaben nur noch ein blutiger Haufen Fleisch lag, schritt er zu dem anderen Kind, ein kleines Mädchen welches der Perversion der Erwachsenen geopfert werden sollte. Kin weiß nicht mehr, warum er es getan hat, aber schnitt die Fesseln durch und floh zusammen mit ihr durch ein Fenster. Als die Beiden im Gewirr der Gassen der Slums verschwunden waren, trennten sich die Wege der gebrannten Kinder und Kin folgte weiterhin dem blutigen Pfad, welcher ihm in der Hölle des alten Industriegebäudes eröffnet wurde. Zumindest solange, bis ihn Psycorps aufgriff.
Schweißgebadet erwachte Kin. Lange schon hatte er nicht mehr von seiner Vergangenheit geträumt und er hasste es wenn dies geschah, obwohl eben diese Schmerzhaften Erinnerungen der Schlüssel zu seiner Macht sind, Schmerz zu übermitteln. Seine Geschmacksrezeptoren zeigten ihm an, dass sich wohl Blut in seinem Mund befand – er hatte sich anscheinend die Lippe zerbissen. Weiterhin dröhnte ein Kinderlied auf ihn ein, Lieder welche er ins einer Kindheit nie gehört hatte. Er schluckte das Blut herunter und versuchte es sich so bequem wie möglich zu machen, während er darauf wartete, dass man ihn aus dieser neuen Zelle herrauslies.