Samstag, 18.10.2198, 18.12 Uhr, Moskau, Innerer Bezirk, 83. Bezirk
Zakhar lachte. Sergejs Blick verfinsterte sich. Offensichtlich verstand Zakhar nicht den Ernst der Lage und Sergej war schon kurz davor die Entscheidung, die er getroffen hatte, zu bedauern. Als sich Zakhar, immer noch stoßweise lachend, Tränen aus den Augen wischte, klopfte es an der Tür. Adamu erschien im Raum, wo er auf dem Schreibtisch von Zakhar einen Datenchip legte.
„Danke Adamu, ich werde ihn mir später anschauen.“
Adamu verbeugte sich und verließ das Arbeitszimmer.
Zakhar richtete sich in seinem Sessel auf, versorgte den Chip in einer Schublade und sah Sergej an.
„Ein zweiter roter Sonntag sagst du also? Herrlich, einfach nur herrlich.“
Sein wiederkommendes Lachen konnte er gerade noch unterdrücken, denn Sergejs Stimmung war nicht mehr die Beste. Mitunter schaute auch Mikhail sehr ernst drein. Zakhar zündete sich eine Zigarette an. Er nahm einen tiefen Zug, dann schien er sich offensichtlich wieder völlig beruhigt zu haben. Mit der Zeit seines Erfolges war Zakhar eingebildeter geworden. Er war einer der wenigen Nachtclubbesitzer, die keine Abgaben an die Wory-Familie zu leisten hatten. Was aber nicht bedeutete, dass er nicht mit ihnen Geschäfte abwickelte. Und aus diesem Grund saß nun Sergej mit seinem Liquidator in dessen Arbeitszimmer. Denn wenn jemand Gerüchte und Informationen, die im Inneren Bezirk kursierten, aus erster Hand bekam, dann war es Zakhar.
„Für junge aufstrebende Gangs wäre das sicherlich eine willkommene Abwechslung.“
„Spar dir deine Witze, Zakhar. Was weißt du darüber? Selbst wenn es nur Gerüchte sind.“
„Hat der клоун nicht mehr rausfinden können?“
Es war kein Wunder, dass Zakhar Leonid kannte. Leonid besuchte oft seine Clubs und Zakhar wusste genau, welche Leute bei ihm ein und aus gingen.
„Ich habe dir schon alles gesagt. Seasnakes und die Wory‘s wollen einen Bündnispakt eingehen. Wenn ich noch an der Führungsspitze wäre, würde ich bei dieser Angelegenheit sofort das gleiche tun, was ich schon vor einiger Zeit getan hatte.“
„Tja, leider kann ich das nur wiederholen, was Leonid dir schon über seinen Spitzel mitgeteilt hat. Die Wory’s sind in letzter Zeit sehr verschlossen geworden. Kein Wunder bei dem, was sie da vorhaben.“
„Überrascht dich dieses Bündnis nicht?“
„Selbstverständlich bin ich überrascht gewesen, als ich es zum ersten Mal gehört…“
„Moment“, unterbrach ihn Sergej,
„Gewesen?“
„Du hast mich richtig verstanden. Gewesen. Du bist nicht der Erste, der mir diese Neuigkeit anvertraut.“
„Von wem hast du dann diese Information? Von den Wory’s?“
„Nein, von Adamu. Einige meiner Securities kommen aus dem Äußeren Bezirk. Einer von ihnen kennt ein Seassnake Mitglied namens Guttalin. Der hat ihm das im Suff anvertraut und so gelang es dann schließlich an meine Ohren.“
Das konnte stimmen. Zakhar gab oft seinen Untergebenen eine Geldspritze, wenn sie ihm wertvolle Informationen überbrachten.
Sergej dachte mit zusammengepressten Lippen nach, während Zakhar vor ihm sich seine zweite Zigarette anzündete. Es war nicht verwunderlich, dass die Seasnakes ein wenig mehr plauderten als die Wory’s. Ihr Haufen war nicht so organisiert wie ihr Konkurrent im Inneren Bezirk. Von Leonid und Zakhar konnte er also nicht mehr viel erfahren, insbesondere wenn es um die Seasnakes ging. Es galt also jemanden zu finden, der sich besser im Äußeren Bezirk auskannte.
„Nun gut, da du mir leider nicht mehr viel sagen kannst, werde ich dich auch schon wieder verlassen Zakhar.“
Sergej warf Mikhail einen Blick zu und sie beide erhoben sich aus ihrem Sessel. Zakhar stand ebenfalls auf, ging um den Tisch herum auf Sergej zu und reichte ihm die Hand.
„Es hat mich gefreut, alter Wolf.“
„Danke, Zakhar. Auf Wiedersehen.“
„Auf ein Wiedersehen.“
Als Sergej und Mikhail von Adamu aus dem Tabula Rasa geführt wurden, sprangen die Gedanken in Sergejs hin und her. Er brauchte dringend Schlaf oder wenigstens eine kurze, ruhige Zeit, wo er klaren Kopf fassen konnte.
„Einen Moment, Adamu.“
Adamu blieb abrupt stehen und drehte sich zu Sergej. Mit einer gehobenen Augenbraue hörte er Sergej zu.
„Ich möchte gerne etwas über diesen Guttalin erfahren. Kannst du mir ein paar Informationen geben?“
„Natürlich, Leader, warten Sie einen Augenblick.“
Adamu ging wieder zurück in die Richtung aus der sie gekommen waren, während Sergej und Mikhail sich neben eine Bar positionierten.
Langsam wurde es lebendig im Tabula Rasa. Einige wenige Kellnerinnen waren schon erschienen und waren im Club verteilt. Eine junge Frau mit kurzen, weiß gefärbten Haaren stand hinter der Bar, bei der Sergej und sein Liquidator warteten, wo sie beim Einrichten der Bar die beiden Besucher misstrauisch musterte. Die bionischen Arme, die dunkelblaue Tribal Tätowierungen hatten, welche in dieser Farbe leuchteten, hantierten geschickt mit den Flaschen und Gläsern. Sergej trug seinen schwarzen Ledermantel, an dessen Schultern der Engelsflügel prangte, und so war es nicht schwer zu erkennen, wer er in Wirklichkeit war. Obwohl die GOS deutlich entspannter geworden ist, so verhielten sich noch viele Menschen sehr zurückhaltend in Gegenwart von GOS-Einheiten.
Wie die Frau die beiden GOS-Soldaten betrachtete, so beäugte Mikhail jene interessiert. Mikhail war schon immer sehr von dem weiblichen Geschlecht begeistert gewesen, doch sein Erfolgsrate war nicht so hoch wie er es sich wünschte.
„Hallo, schöne Frau.“
Ohne ein Wort zu sagen, ließ die Frau eine spitze Klinge aus dem Zeigefinger ihrer rechten Hand fahren. Mikhail hob überrascht die Augenbrauen.
„Verzeihung. Wie ungeschickt von mir. Ich bin noch nicht so geübt mit meinen Erweiterungen.“
Nach diesem Satz wandte sie Mikhail den Rücken zu und kümmerte sich weiter um ihre Aufgaben.
Schließlich erschien Adamu mit einem Blatt Papier, welches er Sergej überreichte. Sergej bedankte sich und Adamu führte die beiden zum Ausgang.
Außerhalb des Gebäudes strömte noch immer der Regen unaufhörlich auf Moskau herab und so spannte Mikhail den Schirm auf. Als sie im Auto saßen, faltete Sergej das Blatt Papier auseinander. Die Regentropfen klatschten unterdessen wild auf das Fahrzeug, was Mikhail gekonnt durch den Verkehr führte.
Auf dem Papierstück las Sergej den Wohnort und den vollen Namen von Guttalin. Mehr brauchte er auch nicht. Das einzige Problem war, dass dieser jemand tief im Seasnake Gebiet wohnte.
„Mikhail?“
„Jawohl, Leader?“
„Du wirst mir heute noch weitere Informationen über Guttalin beschaffen.“
Sergej schaute gedankenverloren den Regentropfen, die an der Scheibe entlang glitten, zu.
„Wir haben noch einiges zu tun. Noch einiges.“