Aisling bedankte sich mit einem knappen Nicken bei dem Mann mit den schneeweißen Haaren, der jedoch kaum älter sein konnte als sie selbst und wartete noch einige Augenblicke bis er sicher außer Reich- und Hörweite war. Danach sah sie zu Freya und Edana. "Also dann auf zu Abteilung VII. Du kannst doch lesen?" Der fragende Blick galt dem Mädchen, das daraufhin fast entrüstet dreinblickte. "Klar ..." Doch ihre anschließende Mimik verriet, dass sie sich da gar nicht so sicher war.
"Wir suchen die Nummer VII." Aisling deutete in der Luft die entsprechende Zahl an. Als der Blick der Kleinen erneut nachdenklich wurde, erläuterte die Fischmenschenfrau das System der Zahlenschreibung, was Edana fast schon begierig einzusaugen schien.
"Ach, das ist doch leicht. Los geht's, da lang." Sie zeigte mit ihrem Finger eine der Regalreihen entlang, und Freya setzte sich bereits in Bewegung. Doch Aisling hielt ihre Freundin am Arm fest, sah ihr vielsagend in die Augen und sagte daraufhin zu Edana: "Wie wäre es mit dem Karren. Da könntest du drin sitzen und wir ziehen dich."
Nur kurz überlegte das Mädchen, bevor es auch schon begeistert an Freya hinunterrutschte und in den Karren kletterte. "Und jetzt los ..."
Doch Aisling beugte sich nur zu ihr hinab und sagte in ruhigem, sanften, aber doch bestimmten Ton: "Wir sind weder Tragtiere, noch Lastenschlepper, die dafür gezahlt werden. Wir tun das, weil wir dir helfen wollen, weil wir herausfinden wollen, wer du bist und wo du eigentlich hingehörst. Darum solltest du uns nicht herumkommandieren." Sie sah Edana tief in die Augen und das Mädchen erwiderte den Blick. Schließlich nickte es und zeigte erneut in die schon gedeutete Richtung, während es diesmal leiser sagte: "Wir müssen da lang."
Aisling lächelte und strich dem Mädchen über den Kopf, bevor sie in stillem Einverständnis mit Freya begann, den Karren in die gewünschte Richtung zu ziehen.
Eine Weile schritten sie die Reihen ab, immer wieder von Edana in die entsprechende Richtung gebeten, bis sie tatsächlich bei Abteilung VII angelangt waren. Freudig klatschte die Kleine in die Hände, während die beiden Fischmenschen die langen Reihen an Büchern bestaunten, die hier zu finden waren.
"Das wird nicht leicht werden," meinte Freya und Aisling nickte. "Wo fangen wir nur an?"
Doch bevor Aisling antworten konnte, zeigte Edana ganz nach oben und sagte: "Können wir da rauf? Können wir oben anfangen? Bitte!"
Aisling sah auf Edana, reckte dann den Kopf nach oben und seufzte leise, bevor sie zustimmend nickte. Kaum hatte sie so ihr Einverständnis gegeben, krabbelte Edana aus dem Karren und lief zu einer der Leitern. Noch einmal sah sie zu Aisling, um offenkundig ihr Einverständnis einzuholen und Aisling nickte erneut. Daraufhin kletterte Edana die Leiter hoch, sichtlich erfreut über diese neue Abwechslung.
"Was ist, wenn sie runterfällt?"
Aisling suchte Körperkontakt zu ihrer Freundin und erwiderte telepathisch:
"Ich bin sicher, sie wird sich selbst auffangen." Die Fischmenschenfrau brauchte Freya nicht mit Worten an die Fähigkeiten des Mädchens erinnern, sondern sie vermittelte einfach nur das Bild einer schwebenden Edana.
Während Edana sehr geschickt im oberen Regal herumturnte, machten Aisling und Freya sich daran, in den unteren Reihen systematisch die Buchrücken zu betrachten. Immer mal wieder zogen sie das eine oder andere Buch heraus, um darin zu blättern. Doch meist wanderte das Buch zurück ins Regal. Dennoch entdeckten sie einige wenige Bücher, die zwar nicht genau das waren, was sie suchten, aber dennoch so interessant schienen, dass sie sie in den Karren legten, um sich später mit allen in Frage kommenden Büchern an eine abgelegene Stelle in der Bibliothek zurückziehen zu können, wo sie sich ungestört in Ruhe dem Inhalt widmen konnten.
"Hier oben ist nichts," verkündete Edana nach einer ganzen Weile. Aisling und Freya sahen sich fragend an, kamen dann aber gemeinsam stillschweigend überein, dass so wie Edana sie zur Großen Bibliothek geleitet hatte, ihren Worten auch in dieser Hinsicht Glauben geschenkt werden sollte.
"Kannst du uns vielleicht die Bücher zeigen, die wir benötigen?" Aisling sah nach oben, und Edana erwiderte: "Weiß nicht ..." Sie ließ sich kopfüber herunterhängen, was Freya veranlasste, leicht erschrocken nach dem Arm der Freundin zu greifen, und blickte aus dieser Perspektive auf die Reihen weiter unten. "Das sind so viele ..."
"Wie wäre es mit einem Spiel?" Aisling legte ihre Hand beruhigend auf die der Freundin, während sie nach oben sah. "Freya kommt zu dir hoch, ohne Leiter, und dann macht ihr eine kleine Reise, die Bücher entlang. Wenn dir ein Buch gefällt, lässt du Freya anhalten und sie muss raten, welches es ist."
Nur sehr kurz musste Edana überlegen, dann strahlte sie übers ganze Gesicht, zog sich hoch und klatschte erneut freudig in die Hände. "Du machst dieses Schlangendings, richtig?"
Aisling grinste und meinte telepathisch zu ihrer Freundin:
"Sie hat eine sehr schnelle Auffassung. Aber vielleicht solltest du ihr das mit dem Schlangendings erklären. Ich sehe mir inzwischen weiter die Bücher hier unten an."