Vergebung
Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel, doch an meinem momentanen Aufenthaltsort machte mir das nicht wirklich viel aus. Es dürfte so gegen 11:00 Uhr gewesen sein als Sheriff Brightwater mit einemseiner Gehilfen, der ein abgedecktes Tablett trug, zu meiner Zelle kam. Dann öffnete er mit seinem Schlüsselbund die Gittertür und der Depute stellte es auf dem kleinen und wackligen Tisch ab, bevor er wieder die Zelle verließ und mir mit gesenktem Kopf einen guten Appetit wünschte. Ich nahm das Verschließen des Schloßes zwar wahr, aber mein Interesse galt mehr der Henkersmahlzeit, welche sich auf dem Messingteller unter dem Handtuch befand.
Ich war gerade mit dem Hinunterschlingen des, doch leicht zähen und blutigen Steaks fertig, als der Pastor der Gemeinde Springtime Falls hereinkam und mir die Beichte abnehmen wollte. Er stellte sich höflich vor und fragte dann, ob er sich setzen dürfe. Ich verneinte dies nicht, aber meine fehlende Begeisterung schien ihm aufgefallen zu sein, denn er began darauf hin mich auf meine Gründe anzusprechen, die zu den schändlichen Taten - welche ich vor zwei Wochen begangen - geführt hatten. Ich blieb ihm in dem darauf folgenden kurzen Gespräch keinerlei Antwort schuldig. Aber diese konnten, wie ich rasch an seinem enttäuschten Gesicht sah, ihn nicht zufrieden stellen, falls sie dies überhaupt sollten. Und dann ging er wieder und meiner Meinung nach unverrichteter Dinge. Ich war nicht einsichtig genug gewesen, wie es auch schon vor Wochenfrist nicht der Fall war.
Man hatte nämlich schon während der Gerichtsverhandlung versucht, mich durch die Anwesenheit der hinterbliebenden Frauen und Kinder, die allesamt weinten und klagten, mich dazu zu bewegen, bei ihnen um Vergebung zu bitten, doch dies würde ich nicht zulassen. Wer hatte denn damals mit mir und meinen Angehörigen Mitleid gehabt, hm? Keiner dieser Schurken und Halsabschneider hatte es... Doch während ich versuchte, mich durch diese Art Gedanken ein wenig davon abzulenken, die Trauernden zu betrachten, fiel mir ein kleiner Junge auf. Er stand ganz am Rand der Angehörigen und schien der Sohn eines der von mir Getöteten sein. Er war ungefähr vier Jahre alt und zu meinem Erstaunen wies sein junges Gesicht keinerlei Träne auf. Auch war von ihm kein Wimmern oder Klagen zu hören, sondern er schaute mich einfach nur an. Dies ließ mich frösteln, aber konnte meine Meinung nicht ändern, sein Vater und die beiden anderen waren nicht zu unrecht gestorben. Aber aus demselben Grund wurde auch ich am Ende zum Tod durch den Strang verurteilt, der eine Woche später auf dem Marktplatz vollstreckt werden sollte und auf dessen Weg ich mich jetzt gerade befand.
Ich, Pete Winslow, hatte diese drei Männer, deren Namen ich nicht einmal gekannt hatte, für die meisten der hier anwesenden Zuschauer oder todeslüsterne Gaffer - wie man sie nach Belieben nennen wollte - einfach so ohne für sie erkennbaren Grund über den Haufen geschossen und würde nun ganz zurecht dafür büßen müssen. Und ob ich das mit baumelnden Beinen in der MIttagshitze oder eher am kühlen Abend tun würde, war ihnen schlicht und ergreifend schnurzpiepegal. Die Hauptsache war nämlich, ich würde es vor ihnen tun. Und während ich so langsam die Treppe zum Galgen hinaufging, sah ich erneut die Angehörigen. Auch sie wollten der Urteilsvollstreckung beiwohnen, um dieses Kapitel für sich abschließen zu können. Ich blickte nicht weg und plötzlich erblickte ich wieder den kleinen Jungen, der mich zugegebenermaßen im Gerichtssaal schon durch seine scheinbar völlige Unfähigkeit auch nur eine Gefühlsregung zu zeigen beeindruckt hatte. Ja, ich mußte es zugeben, wenn auch nur zögerlich. Oben angekommen blieben meine Augen auf ihn gerichtet und ich konnte mich auch nicht während der erneuten Urteilsverkündung von ihm abwenden. Er nahm mich einfach mit seinem traurigen und auch völlig ruhigen Blick vollkommen gefangen. Man stellte mich direkt über die Luke, welche mir in wenigen Augenblicken durch ihr ruckartiges Aufklappen und der gerade, um den Hals gelegten Schlinge das Genick brechen und zu meinem Tode führen würde. Und da geschah es...
Der Junge begann plötzlich zu weinen. Völlig geräuschlos, aber doch so eindringlich, daß sein ganzer kleiner Körper dadurch heftig erschüttert wurde. Und mit dem Überstreifen der Kapuze und diesem letzten Anblick ohne ihn noch um Vergebung bitten zu können, starb ich tief in meinem Innern schon...
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