Wie Leo richtig vermutet hatte, tauchte Aoide auch schon hinter der nächsten Biegung auf. Die Drachin ging sehr vorsichtig, was Victor in erster Linie auf die für Menschen ausgelegte Treppe und somit auch auf Aoides Größe schob.
Doch als die beiden Männer bei ihr ankamen, sah der Vampir das der Steiß ihrer Begleiterin stark angeschwollen war, offensichtlich eine Überbleibsel des Kampfes mit den Neandrus. Ihm war es zwar egal wie andere sich füllten und ob sie Schmerzen hatte, aber unter Umstände konnte sie diese Verletzung bei ihrer Jagt nach der anderen Gruppe behindern. Zuerst mussten sie jedoch wieder an die Oberfläche, den im Dunkeln konnte man schon das wilde Klackern von Krebsscheren hören und außerdem einen Verwesungsgeruch wahrnehmen, der nur für eine Sorte von Gegnern typisch war.
Außerdem lies sich hier unten keine Verletzung behandeln.
“Da wir nun alles haben was wir gebrauchen könnten, zu mindest hoffe ich das, können wir wieder an die Oberfläche. Ich hab nämlich keinen Bock wieder diesen Spinnendingern zu begegnen die da hinten schon nach ihrer nächsten Mahlzeit rufen…”
Gerade als Leo seinen ersten Schritt wieder ins Freie tat, wurde sein Fell von den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages beleuchtet. Murrend und vor sich hin grummelnd blieb dem Lamia so nichts anderes übrig als seinen Ledermantel wieder enger an seinen Körper zu ziehen und seine Kapuze über zu stülpen bevor er in Freie schritt.
Nachdem er noch schnell seine Lederhandschuhe angezogen hatte, wandte er sich zu Aoide um, welche gerade ebenfalls aus dem Treppeneingang heraus kam und kurz von der aufgehenden Sonne geblendet wurde.
Bei Tageslicht, konnte man sich die Schwellung besser ansehen und behandeln, so man denn etwas zum behandeln da hatte. Das traf bei den dreien jedoch nicht zu und so meinte die Drachin
“Lass mal, ich kann es noch eine Weile aushalten, aber es wäre besser, und auch angenehmer, wenn wir nicht mehr ganz so schnell rennen würden, damit die Schwellung nicht noch schlimmer wird…”
“Nun gut, aber wir müssen dennoch zügig vorankommen, sonst holen wir den Rest nie ein…”
Victor spielte noch mit dem Gedanken Aoide einen der Morphin-Injektoren zugeben die in seiner Manteltasche lagen, damit ihre Schmerzen erträglicher waren, doch er fand das Morphium für eine einfache Verstauchung, Prellung oder was auch immer, ein zu starkes Mittel war und außerdem Verschwendung. Man konnte ja noch nicht einmal sagen ob und wie das Mittel in ihrem Körper wirken würde. Von daher verwarf er die Idee fürs erste und behielt sie für später im Hinterkopf.
Somit setzten die drei ihre Reise weiter fort und kamen als die Sonne vollständig zusehen war, an der Schlucht und ihrer zerstörten Hängebrücke an. Links wie rechts konnten weder Leo noch Victor eine weiter Brücke erkennen oder eine andere Möglichkeit der Überquerung.
Somit blieben die drei erst einmal am Rand stehen und überlegten wie sie dieses Hindernis bewältigen sollten.
Dass die Anderen hier entlang gekommen waren, zeigten ihre Fußspuren und somit mussten sie die andere Seite erreicht haben.
“Was meinst du, wie weit ist es bis zur anderen Seite?” fragte der Vampir den Leoniden.
“Hm… schätzungsweise 100m-150m, aber auf keinen Fall mehr…”
“Also würden die Kletterseile von einer bis zur anderen Seite rüber reichen…”
“Schon, aber wie willst du die andere Seite erreichen?”
“Wie wäre es mit springen?”
“Springen! Willst du mich rollen? Wenn du dabei versagst landest du in dem Fluss da unten und man muss nicht mal hinsehen um zu wissen wie stark die Strömung ist! Das Rauschen müsste selbst dir eine Warnung sein…”
“Ein Grund mehr den Sprung nicht zu verkacken. Außerdem hab ich ja noch ein kleines Hilfsmittelchen aus dem Bunker, das sollte mir schon dabei helfen können…”
Victor griff in die Innenseite seines Ledermantels und holte das Epinephrin mit einer der Wegwerfspritzen hervor. Diese stach er in das kleine Fläschchen und zog die Spritze voll auf.
Danach flog das leere Fläschchen davon und Victor setzte die Nadel an einer Vene seines Unterarmes an.
Er drückte voll durch und spritzte sich den kompletten Inhalt ins Blut. Danach flog auch die Spritze im hohen Bogen über den Rand der Schlucht und der Lamia wartete auf die Wirkung.
Lange musste er nicht warten, denn schon nach ein paar Sekunden beschleunigte sich seine Herzschlag und erreichte eine Frequenz die für einen normalen Menschen alles andere als gesund war.
Daraufhin packte der Vampir den Rucksack, welchen ihm Leo schon hin hielt und machte sich zuckend auf den Weg zu seinem Anlaufpunkt. Denn bei diesem Gefühl ruhig zu bleiben, war der reinste Kampf. Am liebsten hätte sich der Russe jetzt
Gut 100m vom Rand entfernt und so das er ohne Schwierigkeiten auf seine Höchstgeschwindigkeit käme, begann Victor mit seinem Sprint. Wie ein Geschoss stürmte der Lamia auf den Abgrund zu und verschenkte beim Absprung gut einen halben Meter. Mit rudernden Armen flog der Vampir durch die Luft, und das ohne irgendwelche komischen Fledermausflügel. Mit einem gerade zu mörderischen Aufschlag, landete der Russe auf der anderen Seite und stürzte dabei zu Boden.
Mit einer “Judo-Rolle”, fing er die Energie des Sturzes auf und leitete sie gekonnt ab. Auch das war ziemlich hart und alles andere als gesund, doch sowohl seine Regeneration als auch das übermäßig vor handele Adrenalin in seinem Körper ließen ihn die Schmerzen gar nicht erst bemerken.
Langsam erhob sich der Vampir wieder und schrie zum Himmel
“Na, hast du das gesehen Motherfucker, wenn das keine Goldmedaille gibt, fresse ich nen Besen.”
Doch viel Zeit zur Freude hatte Victor nicht, er musste immerhin noch die beiden anderen rüber bekommen.
Seine Methode würde den anderen beiden nicht gefallen, insbesondere Aoide mit ihrem geschwollenen Steiß nicht, aber da sie keine andere Wahl und auch keine Zeit zu verlieren hatten, ging es nun mal nicht anders.
Victor suchte sich einen großen Steinbrocken und verknotete an ihm überkreuz eines der Seilenden.
Danach verband er die beiden Seilpackete miteinander und ging wieder zum Rand der Schlucht.
Da die Seile ziemlich strapazierfähig waren, wusste er das seine “Hammerwurf-Methode nicht am Seil scheitern würde. Somit fing der Vampir an, den Stein über seinen Kopf kreisen zu lassen und dann wie ein Hammerwerfer um seinen Körperachse zu schwingen. Hierbei musste er aufpassen sich nicht in dem am Boden liegenden Seil zu verheddern und mit gerissen zu werden.
Doch es funktionierte. Und so schlug in Leos Nähe der Stein ein, wobei dem Leoniden noch nicht ganz klar war wie er nun rüber kommen sollte.
“BIND ES DIR UM DIE HÜFTE, ICH ZIEH DICH DANN HOCH…”
“JA NE IST KLAR, UND IM HIMMEL IST JAHRMARKT ODER WAS…?”
“NA WENN DU MEINST DAS DA EINER IST, DANN WIRD DAWOHL EINER SEIN. UND JETZT SCHWING DEINEN ARSCH HIER RÜBER, WIR HABEN NICHT EWIG ZEIT!”
Kopf schüttelnd band der Leonide sich das Seil um die Hüfte und ging zur Kante. Victor wusste das der Leonide sich nun voll auf ihn verlassen würde, auch wenn dass beiden Männern nicht gefiel.
Doch sie mussten den Rest der Gruppe einholen und sie vor Paul und seinen Absichten warnen. Somit schloss Leo die Augen und Victor zog. Mit einem Gebrüll bei dem selbst der stärkste Löwe geflohen wäre, schwang Leo sich zur anderen Seite hinüber. Victor zog in dessen wie ein Verrückter am Seil und schaffte es doch tatsächlich Leo Schwung etwas nach oben zu befördern. Dadurch wurde Aufprall des Leoniden in der gegenüberliegenden Wand abdämpfte und er konnte sich so besser mit seinen Pfoten abfangen. Danach war die kurze Kletterei nur noch ein Klacks und wenige Sekunden später packte der Lamia die Hand des Löwenmannes.
Dieser zeigte mit dem Finger auf ihn und hatte schwer atmend schon die derbsten Flüche für den Russen parat, doch der Winkte einfach ab und meinte locker
“Spar dir die Predigt und hilf mir lieber Aoide hier rüber zu bekommen…ausheulen oder zu hauen kannst du später noch.”
Diese weigerte sich auch zunächst, genauso wie Leo, doch da Victor ihr drohte wieder über die Schlucht zu kommen und sie als weiteren Wurfhammer zu missbrauchen nachdem es sie dafür weich genug geprügelt hatte, band sich die Drachin das Seil hinter ihren Vorderbeinen und über ihren Rücken.
Der eigentliche Akt war wie auch bei Leo, schnell vorüber. Auch wenn nun beide Männer mit anpacken mussten und Victor nicht wusste ob das Seil der Belastung stand hielt, so erreichte auch Aoide nach einer umständlichen Kletterpartie das obere Ende und das Trio hatte somit die Schlucht überwunden.
Wesentlich spektakulärer als die anderen überlebenden, aber immerhin schneller.