Kapitel 1
Das Ende der Abenteurer
Kaum war der Kampf beendet, trat er gegen die Leiche des Goblins. Sein dreckiger Eisenhelm, die Lederrüstung und das Kettenhemd waren vom Blut des Monsters dunkelrot gefärbt. In der Hand des linken Arms, an dem ein verschrammter kleiner Schild befestigt war, trug er eine Fackel. Mit der Rechten zog er sein Schwert aus dem Kopf der Leiche, die er gerade getreten hatte. Es war ein billiges Langschwert von durchschnittlicher Länge, an dem Hirnteile des Goblins hingen. In der Schulter des Mädchens, das vor ihm auf dem Boden kauerte, steckte ein Pfeil. Es hatte langes, goldenes Haar und ihr gepflegtes, schmales Gesicht hatte sich vor Angst und Schmerz komplett verzogen. Die dünnen Arme und Beine ihres zarten Körpers waren von einer heiligen Kluft umhüllt, die sie als Priesterin zu erkennen gab. In einer Hand hielt sie einen Stab.
»
Wer ist dieser Mann vor mir?«, dachte die Priesterin.
Ist er etwa auch ein Feind wie die Goblins, oder vielleicht sogar ein viel schlimmeres Monstrum? Er sah wie ein menschlicher Mann aus, aber seine Haltung und sein Auftreten wirkten sonderbar auf sie.
»Ähm ... Wer bist du?«, fragte sie ängstlich und vom Schmerz gequält die Gestalt vor ihr.
»Goblin Slayer.«
Jemand, der nicht gegen Drachen oder Vampire, sondern gegen die schwächsten aller Monster kämpft. Jemand, der Goblins tötet. In anderer Lage hätte sie diesen Namen vielleicht als lächerlich empfunden, aber in diesem Moment wäre sie nie darauf gekommen.
* * *
Es passierte immer wieder. Ein im Tempel aufgewachsenes Waisenkind wurde fünfzehn Jahre alt und damit erwachsen. Als Erwachsener musste es sich für einen eigenen Weg durch das Leben entscheiden: Es konnte entweder als Diener der Götter im Tempel bleiben oder ebenjenen verlassen und in die weite Welt hinausziehen. Die Priesterin hatte sich für Letzteres entschieden, weshalb sie heute eine Zweigstelle der Abenteurergilde aufsuchte. Es wurde erzählt, dass die Gilde der Abenteurer ursprünglich nichts weiter als eine Kneipe war, in der sich Abenteurer versammelten, doch mittlerweile war sie eher etwas wie eine Agentur für Auftragsvermittlung. Durch den langwährenden Kampf zwischen den sprechenden Völkern und den Monstern hatten sich die Abenteurer zu einer Art von Söldnern entwickelt, die durch die Gilde beaufsichtigt wurden. Die Zweigstelle befand sich direkt hinter dem Stadttor. Die Priesterin war von der Größe des Gebäudes überwältigt und hielt einen kurzen Moment inne, bevor sie dessen Eingangshalle betrat. Darin hatten sich, obwohl es noch früh am Morgen war, bereits viele Abenteurer versammelt. In dem Gebäude gab es ein großes Gasthaus, eine Kneipe und ein Amt. Die Priesterin stellte sich in die Schlange für die Anmeldung, wo bereits die unterschiedlichsten Wesen warteten. Da waren Menschen in schweren Rüstungen, Elfen-Hexer mit Stab und Mantel, ein bärtiger Zwerg mit einer Axt und sogar Rhea, ein kleinwüchsiges Volk, das im Grasland wohnt. Ob sie alle wohl anstanden, um Aufträge anzunehmen oder Belohnungen abzuholen? Vielleicht wollten sie auch Aufträge aufgeben?
» Und hat es sich mit dem Mantikor auf dem Bergpass gelohnt«
»Nicht besonders. Wenn man ordentlich abkassieren möchte, sollte man eher Ruinen durchsuchen.«
»Mag sein, aber dadurch leistet man ja keinen Beitrag.«
»Stimmt eigentlich. In letzter Zeit soll in der Hauptstadt der Dämonenfürst oder so aufgetaucht sein. Dort soll man ordentlich verdienen können.«
»Gegen niedere Dämonen würde ich ja gerade noch klarkommen.«
Ein Abenteurer mit einem Speer plauderte mit einem anderen in schwerer Rüstung. Die Priesterin konnte sich nicht mal vorstellen, über was die beiden redeten. Entschlossen zog sie ihren Stab an die Brust heran und murmelte: »
Ab jetzt werde auch ich ... «
Die Priesterin war sich bewusst, dass der Beruf eines Abenteurers nicht so leicht war, wie man es sich zuerst vorstellen mochte. Sie hatte während ihrer Zeit im Tempel bereits unzählige verletzte Abenteurer gesehen, aber da es nun mal Teil der Lehre der Erdmutter war, dass man sich um verletzte Personen kümmern muss, war sie nicht abgeneigt, sich für diese Zwecke in Gefahr zu begeben. Sie selbst wurde als Waisenkind von dem Tempel aufgenommen und wollte nun als Abenteurerin einen Teil ihrer Schuld zurückzahlen.
»Wie kann ich Ihnen heute helfen?«, sprach sie eine Stimme an.
Die Priesterin war in Gedanken versunken und hatte gar nicht gemerkt, dass sie mittlerweile an der Reihe war. Eine Gilden Angestellte hatte sie angesprochen. Sie hatte einen freundlichen Gesichtsausdruck und schien ein wenig älter als sie zu sein. Ihre Uniform war sehr sauber und sie hatte ihre hellbraunen Haare zu einem Zopf gebunden. Dass sie sich nicht von der rauen Atmosphäre in der Eingangshalle beunruhigen ließ, zeugte davon, dass sie ihre Arbeit gut verstand. Die Priesterin strengte sich an, ihre Aufregung so gut es ging zu unterdrücken, und sagte:
»Ähm. Ich will ... Ich möchte Abenteurerin werden.«
»Ach, wirklich?«
Die Priesterin schüchterte diese Nachfrage der Gilden Angestellten ein, aber das Lächeln ihres Gegenübers klärte die Situation sofort auf.
»Ich verstehe. Können Sie denn schreiben und lesen?«
»Ähm, ja. Ich habe es im Tempel gelernt ... «
»Dann füllen Sie bitte diesen Bogen aus. Wenn Sie etwas nicht verstehen, dann fragen Sie ruhig.«
Ein Abenteurerbogen mit goldenen Buchstaben auf hellbraunem Papier. Die Felder, die es auszufüllen galt, fragten die Priesterin nach ihrem Namen, Geschlecht, Alter, Beruf, Haarfarbe, Augenfarbe, Körperbau, Fähigkeiten, Zauber, Wunder ... Irgendwie wirkten die Fragen etwas einfach auf die Priesterin.
»Ach, bitte lassen Sie die Felder Fertigkeitspunkte und Abenteuerchronik leer«, meinte die Gilden Angestellte.
»Das werde ich beurteilen.«
»I. .. In Ordnung.« Die Priesterin nickte, nahm sich mit zitternder Hand den Stift, tunkte ihn ins Tintenglas und füllte den Bogen mit säuberlicher Schrift aus. Als sie das ausgefüllte Schriftstück übergab, überflog die Gilden Angestellte es und nahm ihrerseits einen Stift in die Hand. In die andere nahm sie ein kleines Porzellanschild und notierte darauf einige Dinge in weicher Handschrift. Nachdem sie es der Priesterin überreicht hatte, bemerkte diese, dass darauf die gleichen Dinge wie auf ihrem Abenteurerbogen geschrieben standen.
Die Gilden Angestellte erklärte ihr: »Das ist ein Ausweis, aber er zeigt auch Ihren Rang an. Sollte Ihnen etwas passieren, kann man Sie damit identifizieren, also verlieren Sie ihn bitte nicht.«
Etwas passieren? Die Priesterin wollte zuerst nachfragen, was damit gemeint war, aber verstand dann von selbst. Der Ausweis wurde also auch dazu benutzt, um verstümmelte Leichen zu identifizieren.
» Ja.«
Die Priesterin nickte und war froh darüber, dass sie nicht zittern musste.
»Aber ist es wirklich in Ordnung, dass man so leicht ein Abenteurer werden kann ... ? «
»Tja, einer zu werden ist schon einfach, aber ... «
Auf einmal verdunkelte sich der Gesichtsausdruck der Gilden Angestellten. Machte sie sich etwa Sorgen? Oder war es nur Resignation? Die Priesterin wusste es nicht wirklich einzuschätzen und bevor sie ein Urteil fällen konnte, fuhr die Gilden Angestellte bereits fort:
»Für einen Rangaufstieg werden die besiegten Monster, der Beitrag zur Gesellschaft und der Charakter bewertet. Das ist ganz schön hart, oder?«
»Der Charakter ... bewertet?«
Die Gilden Angestellte erzählte, dass es viele egoistische Angeber unter den Abenteurern gab und diese schlechter bewertet wurden als bescheidene und selbstlose Abenteurer. Langsam hellte sich ihr Gesichtsausdruck wieder auf und ein warmes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie wandte sich einem Korkbrett an der Wand zu und erklärte:
»Die Aufträge werden dort drüben ausgehängt. Im Normalfall wählt man sie anhand seines Ranges aus.«
Da die Abenteurer von eben bereits viele der Aufträge vom Brett genommen hatten, waren nur noch einige übrig. Nichtsdestotrotz zeigte die imposante Größe des Bretts, wie viele Aufträge es immer zu erledigen gab.
»Aber ich rate Ihnen, sich erst einmal mit Aufträgen in der Kanalisation oder dem Reinigen von Rinnsteinen an das Abenteurerleben zu gewöhnen«
» Hm ... Kämpfen Abenteurer nicht eigentlich gegen Monster?«
»Riesenratten in der Kanalisation sind auch Monster. Außerdem ist es zum Wohl der Gemeinschaft. Ansonsten können Anfänger sich auch um Goblin Aufträge kümmern. Ihre Registrierung ist hiermit abgeschlossen. Ich hoffe, Sie sind erfolgreich.«
»Äh, ja. Vielen Dank.«
Die Priesterin verbeugte sich und entfernte sich von der Anmeldung. Ihr Porzellanschild hatte sie sich bereits umgehängt und sie seufzte erleichtert. Sie war jetzt eine richtige Abenteurerin. Was soll ich denn jetzt machen? Sie hatte nichts weiter als ihren Priesterstab, ein wenig Kleidung und ein paar Geldmünzen dabei. Da die oberen Etagen des Gebäudes Übernachtungsmöglichkeiten für Abenteurer auf niedrigem Rang boten, überlegte sie sich, ob sie sich zuerst dort ein Zimmer nehmen sollte. Sie könnte auch später nach einem Auftrag suchen ...
»Sag mal, möchtest du uns nicht auf ein Abenteuer begleiten?«
Eine unbekannte Person sprach die Priesterin plötzlich von hinten an. Es war ein Jüngling mit einem makellosen Brustpanzer, einem Kopftuch und einem Schwert am Gürtel. Um seinen Hals hing auch ein Porzellanschild, wie die Priesterin es eben erhalten hatte.
»Du bist doch eine Priesterin, oder?«, fragte er.
»Äh ... Ja, genau.«
»Das trifft sich perfekt. Uns fehlt noch jemand wie du ... «
Hinter dem Schwertkämpfer standen zwei Mädchen. Das eine sah mit ihren gebundenen Haaren und ihrer Kampfkleidung sehr tapfer aus. Das andere wirkte mit ihrer Brille und ihrem Stab eher kühl. Die Priesterin vermutete, dass es sich bei den beiden um eine Faustkämpferin und eine Magierin handelte.
»Das hier ist meine Gruppe. Wir haben einen dringenden Auftrag und bräuchten noch eine weitere Person. Könntest du uns unterstützen«, fragte der Schwertkämpfer.
»Ein dringender Auftrag?«, erwiderte die Priesterin.
»Goblins vertreiben!«, antwortete er aufgeregt.
Die Gruppe hatte gehört, dass sich Goblins in der Nähe eines Dorfes in einer Höhle eingenistet hatten. Goblins waren schwache Monster, die jedoch häufig in größeren Gruppen auftraten. Sie waren ungefähr so groß wie menschliche Kinder und auch ihre Körperkraft und ihre Intelligenz waren vergleichbar. Ihre wohl größte Stärke waren ihre Augen, mit denen sie im Dunkeln sehen konnten. Sie überfielen vornehmlich Dörfer, raubten Frauen und verhielten sich eigentlich wie viele andere Monsterarten, aber trotz ihrer Schwäche sollte man sie nicht unterschätzen. Aber dieses Dorf hatte sie zuerst ignoriert und das sehr bald bereut. Zu Beginn stahlen die Goblins für den Winter gelagertes Getreide. Da sie dabei auch Saatgut mitgehen ließen, begannen die Dorfbewohner Zäune und Wachen aufzustellen, doch die kleinen Biester überwanden diese mit Leichtigkeit. Kurz darauf stahlen sie ein Schaf, die Tochter des Schafhirten und ein weiteres Mädchen, das aufgrund der Geräusche herausgekommen war. Da die Lage jetzt wirklich ernst war, sahen die Dorfbewohner keinen anderen Weg mehr, als Abenteurer anzuheuern. Sie sammelten das wenige Geld, das sie hatten, und wandten sich an die Gilde. Die Priesterin dachte nach. Es war nichts Ungewöhnliches für einen neuen Abenteurer, dass sich sein erster Auftrag um das Austreiben von Goblins drehte. Vielleicht war diese Einladung ein Wink des Schicksals? Sie war sowieso der Meinung, dass sie allein nur wenig ausrichten konnte. Für Geistliche glichen die meisten Soloaufträge Selbstmord, weshalb sie sich irgendwann sowieso einer Gruppe anschließen müsste. Natürlich war sie sich etwas unsicher, da sie kein Mitglied der vor ihr stehenden Gruppe wirklich kannte, aber sie schienen nett zu sein.
»Okay ... Wenn ihr mit mir einverstanden seid.«
Der Schwertkämpfer jubelte auf:
»Wirklich? Wir haben es geschafft, Leute. Jetzt kann es endlich losgehen!«
» Ähm ... Etwa nur zu viert?«, mischte sich die Gilden Angestellte in die Unterhaltung ein.
»Wenn Sie etwas länger warten, werden bestimmt auch noch andere Abenteurer kommen ... «
» Wir vier sind genug. Die gefangenen Mädchen warten darauf, gerettet zu werden. Wir dürfen uns nicht noch mehr Zeit lassen!«
Und auch wenn die Gilden Angestellte darauf nichts erwiderte, bekam die Priesterin ein flaues Gefühl im Magen, als sie ihr ins Gesicht sah.
Die Flamme der Fackel flackerte durch die leicht verdorben riechende Zugluft und die Schatten der Felsen tanzten in ihrem Schein wie Monster über die Wände. Die vier jungen Abenteurer hatten die dunkle Goblin Höhle betreten und drangen immer tiefer in sie ein. Als Fackelträger übernahm der Schwertkämpfer die Vorhut, dicht gefolgt von der Faustkämpferin. Hinter ihr folgte die Priesterin und die Magierin sicherte die Gruppe von hinten ab. Diese Reihenfolge war eine Idee der Magierin gewesen und es war die Aufgabe der beiden Hinteren, die beiden Vorderen mit Magie und Wundern zu unterstützen.
»Ob das wohl gut geht«, murmelte die Priesterin.
Ihr ungutes Gefühl hatte sich mit dem Betreten der Höhle noch weiter verstärkt.
» Wir wissen nicht viel über unsere Gegner, aber sind trotzdem einfach in ihr Gebiet eingedrungen ... «
» Was bist du denn für ein Angsthase? Aber irgendwie so habe ich mir Priester vorgestellt!« Die heitere Stimme des Schwertkämpfers hallte durch den Höhlentunnel.
»Goblins kennt doch jedes Kind! Ich habe bereits welche aus meinem Dorf vertrieben!«
»Man sollte nicht damit angeben, einen Goblin vertrieben zu haben. Das ist peinlich«, entgegnete die Faustkämpferin frech.
» Ja . . . Du hast schon recht«, sagte der Schwertkämpfer schmollend.
Mit einem amüsierten Gesichtsausdruck drehte sich die Faustkämpferin der Priesterin zu und sagte: »Falls der Trottel versagt und welche vorbeilässt, mach ich sie fertig. Hab keine Angst.«
»Hey! Du musst mich doch nicht Trottel nennen ... «, protestierte der Schwertkämpfer.
»Wir vier könnten es bestimmt auch mit einem Drachen aufnehmen!«
» Jetzt übertreib mal nicht«, unterbrach ihn die Magierin und kicherte. Während die anderen sich vergnügt unterhielten, traute sich die Priesterin aus Angst, dass ihre Stimme etwas aus der Dunkelheit hervorlocken könnte, nicht, etwas zu sagen.
»Aber irgendwann möchte ich schon mal einen Drachen erlegen«, gab die Faustkämpferin zu.
Als der Schwertkämpfer und die Magierin ihr dann zunickten, musste auch die Priesterin ein wenig lächeln. Die Dunkelheit des Tunnels versteckte aber, dass ihr Gesichtsausdruck immer noch nicht ganz von Sorge befreit war. Ob das wohl jemals passieren wird? Auch wenn ihre Bedenken immer stärker wurden, schwieg die Priesterin. Der Schwertkämpfer hatte bereits von wir vier geredet, aber sie hatte die Gruppe doch erst gestern kennengelernt. Wie konnte er sich so sicher sein? Die Priesterin wusste, dass er damit nichts Böses meinte, aber ...
» Wir hätten uns etwas besser vorbereiten sollen ... Wir haben noch nicht einmal Heiltränke«, warf die Priesterin mit zitternder Stimme in die Runde.
»Wir hatten weder Geld noch Zeit, um welche zu kaufen«, entgegnete der Schwertkämpfer.
»Aber ich mache mir Sorgen um die gefangenen Mädchen ... Im Fall der Fälle kannst du sie heilen, oder«
» Ich beherrsche Wunder zum Heilen und zum Erzeugen von Licht, aber ... «
»Dann ist doch alles gut!«
»Aber nur insgesamt dreimal ... «
Keiner der anderen Abenteurer hörte die Worte der Priesterin.
»Dein Selbstvertrauen ist beeindruckend, aber wir haben uns nicht verlaufen, oder?«, fragte die Faustkämpferin.
»Hey! Das hier ist ein gerader Tunnel, wie soll man sich da verlaufen«, keifte der Schwertkämpfer zurück.
»Wer weiß? Wenn man sich so sehr rein steigert wie du, übersieht man manchmal Dinge.«
»Das sagt die Richtige ... «
Der Schwertkämpfer und die Faustkämpferin kamen aus demselben Dorf, weswegen sie sich häufig zankten. Während die Priesterin den beiden folgte, umklammerte sie ihren Stab und betete zur Erdmutter. Ihre Gebete hallten nicht wie die Worte ihrer Kameraden von den Wänden wieder, sondern verschwanden einfach in den Tiefen der Dunkelheit. Lag es daran, dass die Erdmutter ihre Worte erhört hatte, oder war genau das Gegenteil der Fall?
»Hey, du bist zu langsam. Wir müssen die Formation einhalten«, meckerte die Magierin.
»Äh, ja. Entschuldigung ... «
Plötzlich hörte die Priesterin das leise Geräusch von fallenden Steinen und blieb abrupt stehen.
»Was ist denn jetzt los?«, schimpfte die Magierin wütend. Sie hatte die Akademie in der Hauptstadt mit Höchstnoten abgeschlossen, doch sie wusste nicht, wie sie mit der Priesterin umgehen sollte. Ihre ängstliche Art war ihr schon in der Gilde negativ aufgefallen, doch seitdem sie die Höhle betreten hatten, wurde es immer schlimmer.
» Ich habe gerade etwas gehört ... «
»Wo denn? Da vorne?«
»Nein, es war hinter uns.«
Die soll sich mal zusammenreißen. Das Verhalten der Priesterin hatte nichts mit Vorsicht zu tun, sondern war einfach nur Angst. Dieses Mädchen war nicht dafür gemacht, Abenteurerin zu sein. Weil die Priesterin stehengeblieben war, war die Entfernung zu den anderen beiden mittlerweile sehr groß.
»Also wirklich ... Vom Eingang bis hier gab es doch nur einen Weg. Was soll denn jetzt hinter uns ... «
Sie drehte sich genervt um, doch dann veränderte sich ihre ruhige Stimme schlagartig zu einem Schrei:
»Goblins!«
Die kleinen Monster kamen aus Nebentunneln und scharten sich um die Mädchen am Ende der Formation. Sie waren unterschiedlich ausgerüstet und hatten grässliche Fratzen als Gesichter. Die Magierin zuckte zwar kurz zusammen, aber streckte dann ihren Granatstein-Stab in die Höhe, den sie als Zeichen ihres Abschlusses von der Akademie erhalten hatte. Sie sprach einen komplizierten Zauberspruch, der wie ein Wunder wirkte:
»Sajita ... Inflamarae ... Radius!«
Der Zauberspruch, der sich in ihr Gehirn eingebrannt hatte, veränderte die Welt und strömte als Worte wahrer Macht hervor. Aus dem faustgroßen Granatstein sprang ein roter Feuerpfeil hervor und schoss einem der Goblins ins Gesicht. Man hörte, wie sein Fleisch verbrannte, und direkt darauf folgte der passende Geruch.Ich hab einen! Die gerade noch verzweifelte Zauberin fühlte sich plötzlich überlegen und grinste. Sie konnte noch zwei Zauber wirken.
»Sajita ... Inflamarae ... Ra...«Aaahh...
Mittlerweile hatten sich noch mehr Goblins um die beiden versammelt und bevor die Magierin ihren Spruch vollenden konnte, umklammerten sie die dünnen Ärmchen der Biester. Sie versuchte sich zu wehren, aber bevor sie wusste, wie ihr geschah, wurde sie auf den harten Steinboden geworfen.
»Argh?!« Die Brille sprang ihr vom Gesicht und zerbrach. Direkt darauf entrissen die Goblins ihr den Stab.
»A ... Ah ... ! G ... Gebt ihn zurück! Fa ... Fasst ihn nicht an«, schrie sie.
Ein Stab und Ringe waren für Magier lebensnotwendig, da sie ohne sie keine Zauberwirken konnten. Doch während sie wie eine Wilde schrie, brachen die Goblins den Stab entzwei.
»Ihr ... Ihr!«
Während ihr üppiger Busen wackelte, zappelte sie wild mit den untrainierten Beinen, doch ihr Widerstand war zwecklos ... Nein, er war sogar zu ihrem Nachteil, da sie die Goblins damit erzürnte. Einer von ihnen zückte eine alte verrostete Klinge und rammte sie in den Bauch der Magierin.
»Waaaaaah?!«, sie schrie vor Schmerz auf, als die Klinge ihre Haut durchschnitt.
»I. .. Ihr! Lasst sie sofort los! Aufhören«
Mit ihren zarten, dünnen Armen schwang die Priesterin ihren Stab umher und versuchte die Goblins zu verscheuchen. Natürlich gab es Geistliche, die trainiert im Umgang mit Waffen waren und eine gewisse Körperkraft besaßen, aber die Priesterin war keines von beidem, weshalb ihr Unterfangen zuerst sinnlos erschien. Erst als die Spitze ihres Stabs auf den Boden stieß und so ein kurzes hallendes Geräusch erzeugte, wichen die Goblins ein wenig zurück. Vielleicht fürchteten sie, dass die Priesterin ein Kampfmönch sein könnte, oder sie hatten Angst, dass sie ein besonderes Wunder wirken würde, aber die Priesterin nutzte diesen Augenblick, um die Magierin aus der Goblin Gruppe herauszuziehen.
»Reiß dich zusammen! Bitte halte durch!«
Die Magierin reagierte nicht. Die Priesterin schüttelte sie und bemerkte, dass sich ihre Hände blutrot färbten. Der Bauch der Magierin war von der rostigen Klinge, die immer noch im Fleisch steckte, komplett aufgeschlitzt worden. Die Priesterin schnaufte entsetzt auf, als sie die Wunde sah. Aber die Magierin war noch am Leben. Noch war es nicht zu spät. Es durfte noch nicht zu spät sein. Die Priesterin biss sich auf die Lippe.
»Höchst barmherzige Erdmutter. Bitte lege deine Hände auf die Wunden dieser Person.«
Sie zog ihren Stab an die Brust und streckte eine Hand zu den herausragenden Eingeweiden der Magierin aus. Während man mit Magie die Regeln der Welt veränderte, war }Heilen{ zweifelsohne das Werk der Götter. Durch das aufopfernde Gebet der Priesterin entstand an ihren Handflächen ein Leuchten, das auf die Magierin übersprang. Das Licht verschwand in ihr und der aufgetrennte Bauch begann sich langsam wieder zu schließen. Aber natürlich schauten die Goblins nicht tatenlos zu.
»Ihr verdammten Goblins! Wie könnt ihr nur?!«, endlich hatte der Schwertkämpfer bemerkt, was passiert war, und griff die Bestien an.
Er warf die Fackel weg und hielt das Langschwert in beiden Händen. Mit dem ersten Streich erwischte er die Kehle eines Goblins.
»Guia?!«
»Der nächste!«
Mit ausgestrecktem Schwert wirbelte er um die eigene Achse und durchtrennte den Oberkörper eines weiteren Goblins. Eine gewaltige Blutfontäne spritzte aus dem heraus, was von dem Monster übrigblieb. Im Blutrausch forderte der Schwertkämpfer den Rest der Goblins heraus:
»Hey, was ist los? Kommt doch!«
Er war der zweitälteste Sohn eines Bauern und hatte schon als kleiner Junge davon geträumt, ein tapferer Ritter zu werden. Er wusste zwar nicht, wie man Ritter wird, aber auf jeden Fall durfte man kein Schwächling sein. Die Ritter aus seinen Gutenachtgeschichten kämpften gegen Monster, besiegten das Böse und retteten die Welt. Und so wie er jetzt die kleinen Goblins zerschlug und die Frauen beschütze, war er der Retter seiner Freunde und für sich damit ein wahrer Ritter. Der Schwertkämpfer begann zu grinsen. Während das heiße Blut durch seinen Körper pumpte, konzentrierte er sich komplett auf den Feind.
»Warte! Allein schaffst du das nicht!«
Doch leider war er noch kein Ritter und schon bevor er die Stimme der Faustkämpferin vernahm, bohrte sich ein Dolch in seinen Oberschenkel.
»Ngh ... Du verdammter ... !«
Auch wenn er den nächsten Goblin schwer an der Brust verletzte, war seine Klinge durch das ganze Blut bereits stumpf geworden. Er benötigte einen zweiten Hieb, um dem Goblin ein Ende zu bereiten, doch keine Sekunde später versuchte ein weiterer Goblin, ihn von hinten anzugreifen.
»Dann weiter!«
Als er mit seinem Langschwert herumwirbelte, gab es ein kurzes klingelndes Geräusch und der Schwertkämpfer merkte, dass sein Schwert an der Felswand hängen geblieben war. Es war sein Ende. Die Fackel auf dem Boden erlosch und als sich die Dunkelheit über ihn legte, hatte er das Gefühl, die Schmerzensschreie seine Kameraden noch lauter hören zu können. Er hatte weder Schwert noch Schild und ihn schützte nur ein Brustpanzer vor dem, was kommen würde, und er wusste, dass das nicht genug war.
»So was!«
Die Faustkämpferin konnte nur mitansehen, wie der Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlte, von den kleinen Biestern abgeschlachtet wurde. Sie war kreidebleich, aber schaffte es irgendwie, Kampfhaltung einzunehmen. Sie rief der Priesterin und der Magierin zu:
»Ihr beide. Lauft weg!«
»A ... Aber ... «, erwiderte die Priesterin, obwohl sie genau wusste, dass sie hier nichts tun konnte.
Trotz des gewirkten Heilwunders schien es der Magierin in ihren Armen nicht besser zugehen.
Einige der Goblins starrten die Faustkämpferin an, während die anderen sich weiter an dem längst toten Schwertkämpfer vergingen. Die Faustkämpferin schnalzte kurz mit der Zunge und stürzte sich auf die kleinen Biester.
»Hejaaah!«
Sie setzte ihren gut trainierten Körper ein und befolgte die Grundsätze der Kampftechnik, die ihr Vater sie gelehrt hatte. Sie würde hier nicht sterben. Die Techniken ihres bereits verstorbenen Vaters würden niemals gegen einfache Goblins verlieren. Ich kann ihnen nicht verzeihen, dass sie ihn umgebracht haben. Einer ihrer Schläge traf einen der Goblins und sorgte nicht nur dafür, dass er davonflog, sondern auch dafür, dass sein Darm und sein Magen sich währenddessen entleerten. Mit einer Drehung vollführte sie einen blitzschnellen Handkantenschlag, der einen weiteren Goblin traf. Die Halsknochen dieses Goblins gaben nach und sein Kopf knickte in einem unmöglichen Winkel zur Seite. Die Lücke, die die zwei getöteten Goblins hinterlassen hatten, nutzte die Faustkämpferin, um fest aufzutreten und zu mächtigen Tritten auszuholen, welche zwei der kleinen Biester gegen die Tunnelwand schleuderten.
»Ah?!«
Plötzlich traf sie mit einem ihrer Tritte auf einen Widerstand, der nicht nachgab, und spürte, wie ihr Fuß verdreht wurde. Die Faustkämpferin wurde kreideweiß im Gesicht. Eigentlich sollten Goblins nicht größer sein als Kinder, aber ...
»HURGGGGGGG!«
Mit einem kehligen Knurren atmete der gewaltige Goblin vor ihr seinen fauligen Atem aus. Obwohl die Faustkämpferin alles andere als kleinwüchsig war, musste sie zu ihm aufblicken. Spielend leicht riss er die Faustkämpferin an ihrem Fuß in die Höhe und schlug sie gegen die Wand der Höhle. Sie hatte gar keine Zeit zu schreien, bevor sie gegen die Wand auf der anderen Seite des Tunnels krachte und dann auf den kalten harten Steinboden geworfen wurde.
»Hngh. Gah?!«
Ihre Schmerzensschreie klangen alles andere als menschlich und während sie die Kontrolle über ihren Körper verlor, stürzten die kleineren Goblins sich auf sie. Die Biester kannten kein Erbarmen und begannen die Frau widerlich zu misshandeln, während sie sich die Seele aus dem Leib schrie. Die Priesterin konnte in ihren Schreien einige Worte verstehen:
»Lauft weg.«
»Vergib mir!«, rief die Priesterin.
Sie stützte die Magierin so gut es ging und lief stolpernd mit ihr los. Sie lief und lief und lief. Sie konnte nichts sehen und der Boden war uneben, aber sie lief, so schnell sie konnte.
»Vergib mir ... Vergib mir ... Vergib mir ... Vergib mir!«
Obwohl sie außer Atem war, wiederholte sie unaufhörlich diese Wörter. Sie wusste, dass sie immer tiefer in die Höhle lief, aber ...
»A... Ahl«
Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein schrecklicheres Geräusch gehört, als die sich in diesem Moment nähernden Schritte der Goblins. Sie durfte nicht stehen bleiben und noch viel weniger durfte sie sich umdrehen. Sie verstand jetzt, warum die Gilden Angestellte reagiert hatte, wie sie reagiert hatte. In der Tat, Goblins waren schwach. Selbst frischgebackene Abenteurer konnten einzelne von ihnen einfach erledigen. Körperbau, Intelligenz und Stärke waren mit der eines menschlichen Kindes vergleichbar. Aber Goblins waren nicht wie normale Kinder. Sie waren mordlustige, schwer bewaffnete Kinder, die Übel anrichten wollten. Auch wenn einer von ihnen leicht zu besiegen war, waren fünfzehn eine ganz andere Geschichte. Die Priesterin und ihre Kameraden hatten darüber nicht nachgedacht. Sie waren schwach, unreif, unerfahren und hatten weder Geld noch Glück. Ihre Gegner, die Goblins, waren hingegen zahlreich.
»Ah!«
Die Priesterin verhedderte sich im Saum ihrer Kleidung und fiel zu Boden. Die Kratzwunden an Gesicht und Händen schmerzten zwar, aber viel schlimmer war, dass die hilflose Magierin mit ihr gestürzt war. Sie rannte zu ihr und hob den Körper ihrer Kameradin an.
»Es tut mir leid ... Alles in Ordnung?!«
»Oh ... Äh ... «
Blutiger Schaum quoll der Magierin aus dem Mund. Während die Priesterin sich auf das Laufen konzentriert hatte, hatte sie nicht gemerkt, wie heiß der Körper der Magierin geworden war. Ihre Robe war von Schweiß durchtränkt.
»Wa ... Warum?!«
Die Priesterin begann an sich selbst zu zweifeln. Hatte die Göttin ihre Gebete etwa nicht erhört? Sie tastete unter der Kleidung der Magierin und fand keine Wunde, was bedeutete, dass sie eigentlich gewirkt haben mussten.
»Ähm, was ... soll ich jetzt tun«
Die Priesterin war verzweifelt. Würde ein erneutes Heilwunder sie heilen können? Sollte sie nicht etwas anderes probieren, wenn es beim ersten Mal nicht geklappt hatte? Würde sie mit ihren verzweifelten Worten überhaupt die Göttin erreichen?
»Ah ... Ngh ... «
Plötzlich durchzog die Priesterin ein grässlicher Schmerz und sie fiel vornüber. Etwas war aus der Dunkelheit heran geschossen und hatte sich in ihre Schulter gebohrt. Es war ein Pfeil und das Blut aus der Wunde färbte ihr Priestergewand rot. Die Priesterin trug keine Rüstung, weshalb ein Pfeil problemlos ihre Kleidung durchbohren konnte. Auch wenn die Lehren übermäßige Rüstungen verboten, hatte es ihr vor allem an Geld gefehlt. Der Schmerz machte für sie jede Bewegung schwer und die Wunde brannte, als hätte jemand ein heißes Stück Kohle hineingelegt.
»Hngh!«
Die Priesterin biss mit tränenden Augen die Zähne zusammen, während sie zwei Goblins anstarrten. Sie begannen sich langsam zu nähern, während ihnen der Speichel aus den grinsenden Fratzen lief. Vielleicht wäre es für die Priesterin einfacher gewesen, wenn sie sich auf der Stelle die Zunge hätte abbeißen können, um so ihr Leben selbst zu beenden. Da ihr Glaube aber keinen Selbstmord erlaubte, blieb ihr wohl nur das gleiche Schicksal wie das ihrer Kameraden. Würden die Goblins sie zerstückeln? Würden sie sich auf unbeschreibliche Art und Weise an ihr vergehen? Oder vielleicht sogar beides?
» Uhh ... Urgh ... <<
Die Priesterin zitterte fürchterlich. Sie zog die Magierin fest an sich, um sie zu beschützen, aber merkte, wie sie sich vor Angst erleichterte. Die Goblins verzogen erregt ihre Gesichter, als sie dies rochen. Die Priesterin rief mehrfach nach der Erdmutter, aber diese antwortete nicht ...
» Wa ... ? «
Plötzlich sah die Priesterin ein entferntes Licht. Es war wie der Abendstern, der sich stolz aus der alles verschlingenden Dämmerung erhob. Es war ein kleiner leuchtender Punkt, der sich langsam näherte, gefolgt vom Ton entschiedener Schritte. Die Goblins drehten sich um und kurz darauf konnte die Priesterin die sich nähernde Gestalt erkennen ... Es war ein äußerst schäbig aussehender Mann. Er trug eine verdreckte Lederrüstung und einen Eisenhelm. In der Hand des linken Arms, um den ein kleiner Schild gebunden war, trug er eine Fackel. In der Rechten hielt er ein mittellanges Schwert. Selbst sie als Anfängerin hatte eine bessere Ausrüstung.
»
Nicht! Komm nicht her!«
Sie wollte ihn anschreien, aber die Angst lähmte ihre Zunge. Sie schämte sich dafür, dass sie nicht so mutig wie die Faustkämpferin war. Einer der Goblins legte einen Pfeil auf die Sehne seines Bogens, zog sie zurück und feuerte ab. Es war ein kruder Pfeil mit einem Stein als Spitze und auch der Umgang mit dem Bogen war primitiv, aber die Dunkelheit war auf der Seite der Goblins. Selbst so einem Pfeil konnte man in solch einer Dunkelheit ...
»Hmpf.«
Der Mann schnaufte kurz und schlug den Pfeil mit einem schnellen Schwertstreich aus der Luft. Während der eine Goblin noch nicht begriffen hatte, was gerade passiert war, stürzte sich der andere auf den Eindringling. Er stieß von oben mit seinem rostigen Dolch auf den Gegner ein und bohrte ihn zwischen die Schulterelemente der Rüstung.
»Ah!«
Die Priesterin schrie kurz entsetzt auf, aber ihr hallte gleich der Klang von Metall auf Metall entgegen. Ein Kettenhemd unter der Rüstung hatte den Dolch aufgehalten. Mit einem dumpfen Knall schleuderte der Fremde den Goblin gegen die Wand und hielt ihn dort mit seinem Schild fest.
»Eins«, murmelte der Mann und drückt seine Fackel in das Gesicht des Goblins.
Ein fast unerträglicher Schmerzensschrei und der Geruch von verbranntem Fleisch breiteten sich in der Höhle aus. Der Goblin zappelte wie verrückt, aber das Schild hielt ihn fest an der Wand. Als er aufhörte, sich zu bewegen, versicherte sich der Mann, dass der Goblin wirklich tot war, und ließ ihn los. Mit einem schweren Plumpsen fiel der Goblin zu Boden. Mit einem gekonnten Tritt schaffte der Mann die Leiche aus dem Weg. Es war ein außergewöhnliches Schauspiel und die Priesterin war nicht die einzige, die Angst hatte. Der andere Goblin wollte fliehen, doch die Priesterin versperrte ihm den Weg. Auch wenn es ihr alles andere als gut ging, schaffte sie es, ihren Stab hochzuhalten. Sie hatte reflexartig reagiert und es war eine eigentlich komplett sinnlose Form des Widerstands, aber es war trotzdem genug, um den Goblin für einen winzigen Moment zögern zu lassen. Dieser überlegte, was er tun sollte, doch bevor er zu einem Ergebnis kam, nahm ihm der unbekannte Mann die Entscheidung ab, indem er sein Schwert nach ihm warf. Einen Augenblick später fiel der Goblin mit gespaltenem Schädel zu Boden.
»Zwei.«
Kaum war der Kampf beendet, trat er gegen die Leiche des Goblins. Sein dreckiger Eisenhelm, die Lederrüstung und das Kettenhemd waren vom Blut des Monsters dunkelrot gefärbt. In der Hand des linken Arms, an dem ein verschrammter kleiner Schild befestigt war, trug er eine Fackel. Mit der Rechten zog er sein Schwert aus dem Kopf der Leiche, die er gerade getreten hatte. Es war ein billiges Langschwert von durchschnittlicher Länge, an dem Hirnteile des Goblins hingen. In der Schulter des Mädchens, das vor ihm auf dem Boden kauerte, steckte ein Pfeil. Es hatte langes, goldenes Haar und ihr gepflegtes, schmales Gesicht hatte sich vor Angst und Schmerz komplett verzogen. Die dünnen Arme und Beine ihres zarten Körpers waren von einer heiligen Kluft umhüllt, die sie als Priesterin zu erkennen gab. In einer Hand hielt sie einen Stab.
»
Wer ist dieser Mann vor mir?«, dachte die Priesterin.
Ist er etwa auch ein Feind wie die Goblins, oder vielleicht sogar ein viel schlimmeres Monstrum? Er sah wie ein menschlicher Mann aus, aber seine Haltung und sein Auftreten wirkten sonderbar auf sie.
»Ähm ... Wer bist du?«, fragte sie ängstlich und vom Schmerz gequält die Gestalt vor ihr.
»Goblin Slayer.«
Jemand, der nicht gegen Drachen oder Vampire, sondern gegen die schwächsten aller Monster kämpft. Jemand, der Goblins tötet. In anderer Lage hätte sie diesen Namen vielleicht als lächerlich empfunden, aber in diesem Moment wäre sie nie darauf gekommen.
* * *
Wie mag die Priesterin für diesen Mann ausgesehen haben, als sie so verdutzt vor ihm saß? Er ging direkt auf sie zu und sie konnte selbst aus direkter Nähe nicht die Augen des Mannes in der Rüstung ausmachen. Es war fast, als steckte nichts außer Finsternis in der Rüstung.
»Anfängerin?«, fragte Goblin Slayer ruhig, während er das Abzeichen an ihrem Hals kontrollierte.
Als er sich dann vornüberbeugte, um die Fackel kurz auf dem Boden abzulegen, fiel sein eigenes Abzeichen heraus. Selbst im schwachen Licht war zweifelsohne ein silbernes Glitzern zu erkennen.
»Ja ... «
Die Priesterin war sich bewusst, was das zu bedeuten hatte. Der Silber Rang war der dritthöchste von insgesamt zehn Abenteurer Rängen. Nur die wenigsten Abenteurer hatten jemals den Platin Rang erreicht und Gold Ränge kümmerten sich um Angelegenheiten auf Staatsebene. Der Silber Rang war der höchste Abenteurer-Rang, den man auf normalen Wegen erreichen konnte.
»Ein Abenteurer mit Silber-Rang.«
Verglichen mit der Priesterin war er gewiss ein Veteran. Wenn Sie etwas länger warten, werden bestimmt auch noch andere Abenteurer kommen ... Die Priesterin musste sich an die Worte der Gilden Angestellten erinnern. Hatte sie etwa von diesem Mann gesprochen?
»Gut. Du kannst sprechen.«
»Wie?«
»Du hast Glück.«
Es war fast unmenschlich, wie entspannt er war. Während die Priesterin noch nach einer Antwort suchte, riss Goblin Slayer plötzlich den Pfeil aus ihrer Schulter. Die Pfeilspitze hatte ein Stück ihres Fleisches mit herausgerissen und während die Wunde stark blutete, bildeten sich Tränen in ihren Augen. Goblin Slayer schien das jedoch nicht weiter zu kümmern und er zog ein kleines Fläschchen aus der Tasche an seiner Hüfte.
»Trink das.«
In dem durchsichtigen Glasbehälter befand sich eine leuchtend grüne Medizin, ein Heiltrank. Die Priesterin wusste nicht, ob sie den Trank annehmen sollte, und schwenkte ihren Blick zwischen dem Fläschchen und der verletzten Magierin hin und her.
»Da ... Darf ich ihn auch für sie benutzen? Meine Wunder ... «
» Wo und wie wurde sie verletzt?«, unterbrach Goblin Slayer sie.
»Ä ... Ähm, anscheinend wurde sie mit einem Dolch in den Bauch gestochen.«
»Aha.«
Goblin Slayer tastete den Bauch der Magierin ab. Als er schließlich an verschiedenen Stellen drückte, spuckte sie würgend Blut.
»Vergiss es.«
Die Priesterin wurde kreidebleich. Noch immer hielt sie die Magierin fest in den Armen.
»Schau.«
Goblin Slayer zog den Goblin Dolch aus seiner Rüstung. Die Klinge war mit einer pechschwarzen Flüssigkeit überzogen.
»Das ist Gift.«
»Gift ... ?«
»Sie vermischen Kräuter aus den Bergen mit ihren eigenen Exkrementen. Damit reiben sie dann ihre Klingen ein.«
Du hast Glück. Endlich verstand die Priesterin, was Goblin Slayer damit gemeint hatte, denn der Goblin hatte seine Pfeilspitzen nicht mit diesem Gift eingerieben. Hätte der Goblin mit dem Dolch sie angegriffen ...
»Ist es erst einmal in deinem Körper, kannst du nicht mehr atmen, deine Zunge ist gelähmt, dein ganzer Körper verkrampft, du bekommst Fieber und stirbst.«
Er wischte das Gift vom Dolch und steckte ihn in seinen Gürtel. »Goblins sind schließlich dreckig.«
» Können wir nicht irgendwie ... das Gift neutralisieren ... ? «
» Ich habe ein Gegengift, aber für sie ist es längst zu spät.«
In diesem Moment trafen sich die Blicke von Goblin Slayer und der Magierin. Während das Blut in ihrem Mund blubberte und ihre Lippen zitterten, murmelte sie ein paar fast unverständliche Worte:
» ... ö ... te ..... .ich.«
»Okay.«
Ohne zu zögern bohrte Goblin Slayer einen Dolch in die Kehle der Magierin. Nachdem sie ihren letzten Atemzug getan hatte, zog Goblin Slayer den Dolch wieder heraus. Er stellte fest, dass die Klinge durch das Blut stumpf geworden war, schnalzte mit der Zunge und sagte:
»Man darf sie nicht leiden lassen.«
»Warum? Sie hätte noch ... «, schrie die bleiche Priesterin, während sie den leblosen Körper in den Armen hielt.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte die Magierin nicht retten können, aber war es wirklich für deren Wohl gewesen, dass sie hier getötet wurde? Die Priesterin trank weder den Heiltrank, noch stand sie auf, sondern zitterte einfach.
»Hörst du? Sie sind dumm, aber nicht hilflos«, Goblin Slayer sprach mit ihr.
»Sie haben zuerst euren Magier angegriffen ... Schau.«
Er zeigte auf einen Rattenschädel, der mit Krähenfedern geschmückt und an der Wand befestigt war.
»Ein Goblin Totem. Das ist ein Zeichen dafür, dass es hier einen Schamanen gibt.«
»Einen Schamanen?«
»Kennst du sie nicht?«
Die Priesterin schüttelte nur den Kopf, weshalb Goblin Slayer erklärte: »Ein Hexer. Bestimmt stärker als das Mädchen hier«
Sie hatte noch nie von Goblins gehört, die hexen können. Wäre die Gruppe etwa nicht ausgelöscht worden, wenn sie davon gewusst hätten? Nein, auch dann hätten sie die Gefahr wahrscheinlich unterschätzt.
»Hast du einen Größeren gesehen?«, fragte Goblin Slayer, während er der Priesterin ins Gesicht starrte.
Diesmal konnte sie ganz schwach seine Augen erkennen. Tief im schmutzigen Eisenhelm sah sie ein kaltes maschinenartiges Leuchten. Sie fühlte sich unwohl dabei, so angestarrt zu werden, ohne das Gesicht ihres Gegenübers sehen zu können.
»Ich glaube, da war einer, aber ... ich bin weggelaufen ... «
Die Priesterin konnte sich nicht mehr genau an die Details erinnern.
»Etwa ein Hob? Haben sie etwa einen >Wanderer< als Leibwächter?«, murmelte Goblin Slayer.
»Ein Hob ... ?«
»Das ist eine Abart«, erklärte Goblin Slayer, während er kurz seine Ausrüstung überprüfte.
»Ich gehe zuerst in diesen Nebentunnel.« Die Priesterin schaute zu ihm hoch, aber er hatte seinen Blick längst in die weite Dunkelheit gerichtet. Er fragte:
» Was machst du? Willst du warten?«
»Ich komme mit!«
Die Priesterin nutze ihren Stab, um unter Tränen aufzustehen. Sie konnte nicht allein zurückgehen und es auch schon gar nicht ertragen, allein hier zurückgelassen zu werden. Ihr blieb keine andere Wahl. Goblin Slayer nickte und sagte nur:
»Dann trink den Heiltrank.«
Nachdem die Priesterin die bittere Flüssigkeit aus dem Fläschchen hinuntergewürgt hatte, ließ das Pochen ihrer Wunde sofort nach. Der Trank konnte zwar keine größeren Wunden heilen, aber zumindest war er dazu fähig, die Schmerzen zu stillen. Sie atmete erleichtert aus. Kaum hatte die Priesterin den Trank zu sich genommen, setzte sich Goblin Slayer mit festen Schritten in Bewegung und die Priesterin hastete ihm hinterher, um nicht zurückgelassen zu werden. Sie drehte sich ein letztes Mal um und schaute auf die Leiche der Magierin. Sie biss sich fest auf die Lippe und schwor, später wieder zurückzukommen.
* * *
Es war nicht weit bis zu dem Nebentunnel, den Goblin Slayer ausgewählt hatte, aber es waren nirgends Goblins zu sehen. Stattdessen fanden sie nur einen grässlichen Fleischklumpen, der bis vor kurzem noch der Schwertkämpfer gewesen war. Der Geruch von Blut und Eingeweiden wurde von der Zugluft durch die Höhle geblasen.
»Öööörk ... «
Die Priesterin musste sich beim Anblick der sterblichen Überreste ihres ehemaligen Kameraden übergeben. Es kam ihr vor, als wäre ihre letzte Mahlzeit schon mehrere Jahre her ... Nein, selbst dass der Schwertkämpfer sie auf dieses Abenteuer eingeladen hatte, schien ewig her zu sein.
»Waren es neun?«
Goblin Slayer ignorierte ihre Lage und zählte die Leichen der Goblins.
»Bei der Größe dieses Baus wird wohl noch die Hälfte von ihnen übrig sein.«
Er nahm sich das Schwert und den Dolch des Schwertkämpfers und steckte beides in seinen Gürtel. Er durchsuchte auch die Goblins, aber schien nichts Zufriedenstellendes zu finden. Die Priesterin hielt sich die Hand vor den Mund und warf ihm tadelnde Blicke zu, doch das schien ihn nicht zu stören.
Er fragte:
»Wie viele?«
»Was?«
»Ich habe an der Anmeldung nur gehört, dass Anfänger ausgezogen sind, um Goblins zu töten.«
»Wir waren vier ... Ah!«
Plötzlich realisierte die Priesterin, dass sie ein Mitglied ihrer Gruppe komplett vergessen hatte. Die Faustkämpferin war nirgends zu sehen.
»Eine Frau?«
»Ja ... «
Goblin Slayer kniete sich hin, um sich den Boden genauer anzuschauen. Neben Fußspuren, Blut und Dreck fand er Abdrücke, dass jemand weggeschleift wurde.
»Sie wurde tiefer hinein verschleppt. Ich weiß aber nicht, ob sie noch lebt.«
»Wir müssen sie retten!«, rief die Priesterin, doch anstatt auf ihren Aufruf zu antworten, zündete Goblin Slayer eine neue Fackel an und warf die alte in den Nebentunnel.
Er sagte: »Goblins können im Dunkeln sehen. Mach etwas Licht und achte auf Geräusche.«
Die Priesterin spitzte die Ohren. Weiter hinten im Tunnel konnte sie das patschende Geräusch von Schritten hören. Es mussten Goblins sein. Sie mussten das Licht der Fackel gesehen haben und kamen nun, um nachzuschauen. Goblin Slayer zog einen Dolch von seinem Gürtel und warf ihn in die Dunkelheit. Kurz darauf brach ein Goblin mit einem Dolch in der Kehle im Licht der Fackel zusammen. Da er Angst hatte, dass das Röcheln des sterbenden Goblins dessen Artgenossen warnen könnte, sprang Goblin Slayer auf und rannte zu ihm, um ihm den Todesstoß zu versetzen. Es verlief alles blitzschnell.
»Zehn.«
Goblin Slayer setze ruhig seine Zählung fort. Die Priesterin starrte in den dunklen Nebentunnel und fragte ängstlich:
» Kannst du etwa auch im Dunkeln sehen?«
»Nicht doch. Ich habe einfach nur geübt, die Kehle dieser Biester zu treffen.«
Wissend, dass es bereits stumpf sein musste, ließ Goblin Slayer sein Schwert einfach in dem Goblin stecken. Als er dann das Schwert des Schwertkämpfers zog, musste er allerdings feststellen, dass dieses viel zu lang für Kämpfe in den engen Tunneln der Höhle war. Da er keine andere Wahl zu haben schien, griff er zu dem Speer des eben erlegten Goblins. Es war ein kruder aus Tierknochen gefertigter Speer, den ein Mensch bequem in einer Hand führen konnte.
»Geübt? Wie viel denn?«
»Sehr viel.«
»Sehr viel?«
»Du stellst zu viele Fragen. Was kannst du?«, fragte er.
»Was?«
Die Priesterin verstand nicht, was Goblin Slayer von ihr wissen wollte. Während er weiterhin in die Dunkelheit des Tunnels starrte, antwortet er:
»Ich meine deine Wunder.«
»Ich beherrsche die Wunder {Heilen} und {Heiliges Licht}.«
» Und wie häufig?«
»Insgesamt dreimal ... Mir bleiben noch zwei.«
Das war zwar nichts, womit man angeben konnte, aber für eine Anfängerin war die Priesterin begabt. Es war allein schon ein Talent, dass die Götter überhaupt jemandes Gebete erhörten und somit das Wirken von Wundern erlaubten. Es gab nicht viele, die mehrfach solch eine Verbindung aufbauen konnten, denn es benötigte viel Erfahrung.
»Besser als erwartet«, sagte Goblin Slayer, doch irgendwie fühlte es sich nicht wie ein Lob für die Priesterin an, denn es schwang keinerlei Emotion in seinen Worten mit.
»Nutze nur {Heiliges Licht}, {Heilen} ist hier nutzlos.«
»Ve ... Verstanden ... «
»Der Goblin eben war nur ein Späher. Wir sind auf dem richtigen Weg.«
Er zeigte mit dem Speer auf den Tunnel, aus dem der Goblin gekommen war.
»Aber der Späher wird nicht zurückkommen. Genauso wenig die, die deine Kameraden getötet haben, denn die habe ich erledigt. Was machen die Biester jetzt?«
»Was?«
»Was würdest du machen, wenn du einer dieser Goblins wärst?«
Die Priesterin legte ihren Finger auf ihre Lippen und überlegte. Was würde sie als Goblin tun? Sie antwortete:
»Ich würde uns auflauern.«
»Ganz genau«, erwiderte Goblin Slayer ruhig.
»Sie warten auf uns. Mach dich bereit.«
Er nahm ein Seil zusammen mit zwei Holzpflöcken aus seiner Tasche. Er schlug die zwei Pflöcke mit Abstand in den Boden und spannte das Seil zwischen ihnen.
»Das ist unser Glücksbringer«, sagte Goblin Slayer, ohne den Blick von seiner Arbeit zu nehmen.
»Merk es dir. An der Abzweigung. Vergiss das nicht. Sonst stirbst du.«
»J ... Ja. An der Abzweigung. An der Abzweigung.«
Die Priesterin umklammerte ihren Stab und wiederholte die Worte mehrfach, um es ja nicht zu vergessen. Sie konnte sich gerade nur auf diesen Mann verlassen, der sich ihr zwar als Goblin Slayer vorgestellt hatte, aber über den sie sonst nichts wusste. Sollte er sie hier im Stich lassen, wäre es das Ende für sie, die Faustkämpferin und die entführten Mädchen aus dem Dorf.
»Wir gehen.«
Zusammen mit Goblin Slayer trat sie über das Seil hinweg und betrat den Nebentunnel. Da er wirklich gut ausgearbeitet war, machte er überhaupt nicht den Eindruck, als wäre er ausschließlich für Überraschungsangriffe errichtet worden. Aber sie musste auf der Hut sein, denn dies war kein Menschengebiet mehr. Goblins sind Wesen, die unter der Erde leben. Die Priesterin hätte es schon viel früher wissen sollen, aber ihr wurde es erst jetzt bewusst. Während sie auf den Rücken des Mannes vor ihr schaute, passte sie auf, wohin sie trat. In seinem Verhalten konnte man keinen Hauch von Angst erkennen. Wusste er etwa schon, was sie beide erwartete?
»Wir sind gleich da.«
Goblin Slayer blieb plötzlich stehen.
»Heiliges Licht!«, erinnerte er sie an ihre Aufgabe.
»J ... Ja, ich kann es jederzeit wirken.«
»Mach es.«
»Höchst barmherzige Erdmutter. Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht.«
Goblin Slayer sprang nach vorn, während die Priesterin ihren Stab in die Dunkelheit streckte. An der Spitze ihres Stabs leuchtete ein Licht auf, das wie die Sonne alles erhellte. Mit diesem Licht im Rücken war Goblin Slayer furchtlos in den vor ihnen liegenden Raum gesprungen. Es handelte sich um den größten Freiraum dieser Höhle, worin es sich sechs normale Goblins, ein größerer Goblin und einer mit einem Schädel als Kopfbedeckung gemütlich gemacht hatten. Der Goblin mit der Kopfbedeckung saß auf einer Art Stuhl. Auf dem Boden des Raums lagen mehrere Frauenkörper, die sich nicht regten. Was für schauderhafte Dinge mit ihnen veranstaltet wurden, musste wohl nicht gesagt werden. Das strahlende Licht des Wunders ließ die Goblins fassungslos aufschreien.
»GAUI?!« »GORRR?«
»Sechs, ein Hob, ein Schamane. Also acht.«
Goblin Slayer überprüfte ruhig die Anzahl der Gegner.
»OGAGO ... GRAROA ... «
Der Schamane fuchtelte wild mit seinem Stab durch die Luft und schien eine unerkennbare Zauberformel zu sprechen, doch bevor er diese beenden konnte, flog Goblin Slayers Speer durch die Luft. Dieser durchbohrte die Brust des Schamanen, der einen grellen Todesschrei von sich gab, bevor er von seinem Sitz stürzte. Obwohl ihr Anführer gerade getötet worden war, starrten die restlichen Goblins noch etwas verdutzt in die Gegend. Diese Chance nutzte Goblin Slayer, zog das Schwert des Schwertkämpfers aus der Scheide und rief:
»Zurück!«
»Wie?! Äh, ja!«
Sobald diese Worte seine Lippen verlassen hatten, drehte er sich um und rannte los. Obwohl die Priesterin nicht verstand, was der plötzliche Rückzug zu bedeuten hatte, folgte sie ihm. Die Goblins setzten ihnen nach. Obwohl die Priesterin mit aller Kraft rannte, hatte Goblin Slayer sie mit einem Satz überholt. Wie konnte er mit seiner Ausrüstung überhaupt so gewandt sein? Sie sah, wie er an der Abzweigung einen Sprung machte, und erinnerte sich an die Falle. Sie sprang darüber und lehnte sich wie Goblin Slayer an einer der Wände neben dem Ausgang des Nebentunnels.
»GUIII!!« »GYAA!!«
Die wilden Beschimpfungen und die Schrittgeräusche zeugten davon, dass die Goblins ihnen immer noch folgten. Als die Priesterin einen Blick auf die Gruppe erhaschte, erkannte sie, dass diese von dem Hobgoblin angeführt wurde.
»Noch einmal!«, befahl Goblin Slayer ihr.
Die Priesterin nickte, streckte ihren Stab in den Nebentunnel und sprach:
»Höchst barmherzige Erdmutter. Schenke uns, die durch die Dunkelheit irren, dein heiliges Licht.«
»GAAU?!«
Der geblendete Hobgoblin übersah das zu seinen Füßen aufgespannte Seil und stürzte.
»Elf.«
Sofort sprang Goblin Slayer hervor und bohrte seine Klinge in das Rückgrat des Gegners. Der Hobgoblin stieß noch ein paar unverständliche Worte aus, bevor sich sein Körper verkrampfte und er starb.
»Die anderen kommen!«, rief die Priesterin.
Sie hatte ihre Wunder aufgebraucht und war körperlich vollkommen erschöpft.
»Ich weiß.«
Goblin Slayer holte ein Fläschchen aus seiner Tasche und zerschlug es auf der Leiche des Hobgoblins. Das Gefäß zerbrach und heraus lief eine klebrige Flüssigkeit, die an Exkremente erinnerte. Da sie außerdem schrecklich roch, hielt die Priesterin sie für ein ihr bisher unbekanntes Gift.
»Bis dann«, sagte Goblin Slayer und trat den gewaltigen Körper in den Tunnel hinein.
Die verfolgenden Goblins erschraken, aber gingen dennoch zum Angriff über. Erst als sie merkten, was der Fleischklumpen eigentlich war, verloren sie die Fassung.
»Zwölf und dreizehn.«
Goblin Slayer warf seine Fackel dem Leichnam hinterher und mit einem Donnern wurden die Überreste des Hobgoblins und zwei weitere Goblins in ein Meer aus Flammen gehüllt.
»GYUlAAAAAAAA?!?!?!?!«
Die Goblins schrien grell auf, bevor sie sich auf den Boden warfen und noch eine Zeit lang zappelten. Durch den Gestank von verbranntem Fleisch und dem aufsteigenden Rauch musste die Priesterin husten. Sie fragte:
»Wa ... Was war das?«
»Es wird Medeaöl oder Petroleum genannt. Ich habe es von einem Alchemisten gekauft«, erklärte Goblin Slayer.
»Dafür, dass es so teuer ist, hat es nur begrenzte Wirkung.«
»Di ... Die entführten Personen!«, entgegnete die Priesterin.
» Nur durch zwei, drei Leichen wird sich das Feuer kaum ausbreiten.
Wenn sie noch leben, wird sie das hier nicht umbringen.«
Nach einer kurzen Pause ergänzte er:
»Aber die Goblins sind auch noch nicht alle tot.«
» Dann willst du also wieder reingehen?«
»Nein, der Rauch wird sie schon raus treiben.«
Goblin Slayer hatte das Schwert des Schwertkämpfers in dem Hobgoblin stecken lassen und nahm sich deshalb die Steinaxt, die aus der Hand des Hobgoblins gefallen war. Sie war eigentlich nichts weiter als ein scharfer Stein, der an der Spitze eines Schafts befestigt worden war. Er schlug damit mehrfach schnell durch die Luft und es stellte sich heraus, dass er sie gut in einer Hand führen konnte. Als nächstes wühlte er in seiner Tasche und zog eine neue Fackel heraus.
»Ach«, murmelte die Priesterin und nahm ihren Feuerstein in die Hand, aber Goblin Slayer schaute nicht in ihre Richtung.
»Diese Biester denken überhaupt nicht daran, dass man ihnen auflauern könnte ... Keine Angst, es ist gleich vorbei«, sagte Goblin Slayer.
Er behielt recht. Er erledigte gelassen die Goblins, die aus dem Rauch heraussprangen. Der erste stolperte über das Seil und brach sich den Schädel. Die nächsten beiden schafften es, über das Seil zu springen, aber Goblin Slayer erwischte sie noch im Flug mit der Axt. Da in der Stirn des Vierten die Axt steckenblieb, schnappte Goblin Slayer sich einen Knüppel.
»Damit wären es siebzehn. Lass uns reingehen.«
»J ... [a.«
Als Goblin Slayer durch den Rauch sprang, versuchte die Priesterin verzweifelt, ihm zu folgen. In dem Raum am Ende des Tunnels sah es grässlich aus. Neben den bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Goblin-Überresten lag der Goblin-Schamane vom Speer durchbohrt am Boden. Zwischen all den Leichen lagen die entführten Frauen und da der Rauch höher im Raum stand, war er für sie keine Gefahr. Jedoch war es vielleicht kein Segen für sie, immer noch am Leben zu sein. Darüber wurde sich die Priesterin bewusst, als sie die Faustkämpferin fand.
» Uh ... Ööööörk« Die Priesterin konnte mittlerweile nur noch
Magensaft aus ihrem leeren Magen hervorwürgen. Ihre Kehle fühlte sich unfassbar trocken an und sie plagte ein brennender Schmerz. Wieder schossen ihr Tränen in die Augen.
»Nun gut.«
Goblin Slayer ließ sich von der ganzen Szenerie nicht beirren und trat die Reste des Feuers aus. Gezielt näherte er sich dem Schamanen, der vom Speer durchbohrt auf der Seite lag. Sein Gesichtsausdruck zeigte, wie sehr er von seinem eigenen Tod überrascht worden war.
»Also doch«, sagte Goblin Slayer und riss den Knüppel nach oben.
»GUI?!«
Der Schamane, der sich offensichtlich tot gestellt hatte, versuchte aufzuspringen, aber er war nicht schnell genug. Goblin Slayer zerschmetterte ihm endgültig den Schädel.
»Achtzehn, Die Entwickelten sind unnötig zäh.«
Mit diesem Kommentar trat er gegen den Stuhl des Schamanen, der darauf auseinanderbrach. Als die Priesterin erkannte, dass er aus Menschenknochen bestand, musste sie erneut würgen.
»Es ist wie immer ... Schau«, forderte Goblin Slayer sie auf.
Hinter dem Stuhl befand sich eine verrottete Holzplatte. Zuerst vermutete die Priesterin eine Art Schatzkammer, aber dann hörte sie Geräusche.
»Du hast wirklich Glück«, sagte er und riss das Brett weg.
In dem Raum befanden sich neben geraubten Schätzen auch vier Goblin-Kinder, denen die Furcht ins Gesicht geschrieben stand.
»Goblins vermehren sich schnell. In Kürze wären es fünfzig oder mehr gewesen«, erklärte Goblin Slayer.
Die Priesterin dachte über seine Worte nach und erschauderte bei dem Gedanken, was mit ihr hätte passieren können.
»Willst du auch die Kinder töten?«, fragte die Priesterin, obwohl sie die Antwort eigentlich schon kannte.
Die Erlebnisse des Tages hatten ihr Herz und ihre Gefühle eingefroren, aber sie hoffte, dass es nicht ewig so bleiben würde.
»Natürlich«, antwortete Goblin Slayer gelassen.
Wahrscheinlich hatte dieser Mann schon viele solcher Tage erlebt.
»Sie würden nie vergessen, was passiert ist und aus ihren Erfahrungen lernen.«
Goblin Slayer riss den Knüppel hoch.
»Es gibt keinen Grund, sie am Leben zu lassen.«
»Auch gutmütige Goblins nicht?«, fragte die Priesterin.
»Gutmütige Goblins?« Goblin Slayer dachte ernsthaft über ihre Aussage nach.
» Vielleicht gibt es welche ... Aber gutmütige Goblins lassen sich nicht vor Menschen blicken.«
* * *
Es passierte immer wieder. Dörfer wurden von Goblins überfallen und die Mädchen von dort verschleppt. Frischgebackene Abenteurer versuchten sie zu retten und wurden kurz darauf von den Goblins getötet. Und selbst wenn die Mädchen aus den Fängen der Goblins befreit wurden, traten sie danach, traumatisiert von ihren Erfahrungen, einem Tempel bei. Die vom Verlust ihrer Kameraden entmutigten Abenteurer versteckten sich danach in ihrer Heimat. All dies gehörte zum Alltag dieser Welt. Die Priesterin war sich nicht bewusst gewesen, dass es derart normal war, dass Menschenleben zerstört wurden. Wie sollte sie, mit dieser Realität konfrontiert, noch an die Erdmutter glauben? Sie war sich über vieles nicht mehr sicher, aber zwei Dinge waren für sie klar. Sie würde weiterhin Abenteurerin bleiben und Goblin Slayer würde irgendwann alle Goblins töten.
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